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Der Job meines Lebens

Ich bekam ein unglaublich geiles Angebot von Radio XYZ. Und zwar wurde ich ins Studio eingeladen, um ein Interview zu geben. Sie wollten Hobbyautoren ans Mikrofon bringen und ihre Geschichten erzählen lassen. Wie sie ans Schreiben und der Liebe zur Literatur gekommen waren. Das reizte mich ungemein und ich sagte sofort zu. Allerdings fragte ich mich, wieso der Sender ausgerechnet auf mich gekommen war. Sie verrieten mir nur, dass sie einen Tipp erhalten hatten, der sie neugierig auf mich gemacht hätte. Und das nicht nur als Autorin, sondern auch als Mensch. Was hatte der sog. Tippgeber wohl über mich berichtet? Die Neugierde hatte mich gepackt und ich war dementsprechend aufgeregt, als ich zum Vorgespräch im Sender erschien. Timm Schrader, mit dem ich schon einmal telefoniert hatte bezüglich eines anderen Themas, blickte mich erstaunt an. Auf meine Frage nach dem Warum erklärte er salopp: “Ich hatte mir eine fünffache, allein erziehende Mutter anders vorgestellt, muss ich ehrlicher Weise zugeben.“

Das versteckte Kompliment nahm ich schmunzelnd zur Kenntnis und fragte frech, welche Vorstellung er denn von mir im Kopf gehabt hatte. Bevor er antworten konnte, sagte ich ihm platt ins Gesicht, dass er da wohl, wie viele andere auch, einem Irrtum aufgesessen war. Oder nennen wir es lieber Vorurteil. Nämlich dem, dass die Gesellschaft sich unter Mehrfach - Müttern eine rollende, verschwitzte Bowlingkugel im Jogger vorstellte. Er sah mich entgeistert an, bevor er dann doch in schallendes Gelächter ausbrach.

„Sie gefallen mir, Sophia! Ich würde Ihnen glatt eine eigene Sendung anbieten!“ rief er begeistert. Sofort war mein Interesse geweckt. Eine eigene Sendung. Aber das war bestimmt nur ein Scherz von Herrn Schrader.

„Das war mein Ernst“, versicherte er mir auf meine Nachfrage hin. In meinem Kopf entstanden automatisch Bilder und ich sah mich schon im Studio vor dem Mikrofon sitzen.

„Was stellen Sie sich denn da so vor?“ Neugierig sah mich Timm Schrader an, „wie könnte Ihre Sendung heißen?“

 

Ich überlegte kurz und sagte entschlossen: „Was ich schon immer sagen wollte!“ Der Radiomoderator kratzte sich am Kopf, überlegte kurz und nickte dann. „Das klingt nicht nur interessant, sondern auch sehr vielversprechend.“

Wir schlugen ein und ich wurde in meinem neuen Arbeitsplatz auf Zeit eingewiesen. Danach machte er mit mir das Interview und verkündete auch direkt im Anschluss an diesem den Hörern den Beginn einer neuen Sendung. Meiner ersten, eigenen Sendung. Mit dem Namen „Was ich schon immer sagen wollte.“ Auch verriet er mir nach dem Interview, dass einer meiner Söhne der Tippgeber gewesen war und das freute mich besonders. Er ist selbst auch ein begeisterter Schreiber.

Timm Schrader klärte mich weiter auf:

„Sophia, Sie werden während Ihrer einstündigen Sendung auch Telefonate von unseren Hörern entgegennehmen und ein wenig mit ihnen plaudern.“ Mein Bauch kribbelte vor Aufregung und ich war bis zur Höchstgrenze gespannt, wie es laufen und vor allem bei den Leuten draußen ankommen würde. Jeden Tag für eine Stunde hieß es also ab sofort „Schalten Sie ein und reden Sie mit bei 'Was ich schon immer sagen wollte'. Wir erwarten Ihren Anruf und freuen uns auf Sie“

Am meinem ersten Tag auf Sendung begrüßte ich zuerst die Welt draußen und begann selbst mit einer wichtigen Botschaft. Ich hatte freie Hand und es wurden mir keinerlei Grenzen gesetzt. Wann im Leben bekam man schon mal solch eine Chance?

„Hallo liebe Hörer da draußen. Mein Name ist Sophia und ich bin für die nächsten zwei Wochen Teil Eures Lieblingssenders Radio XYZ. Meine Sendung heißt „Was ich schon immer sagen wollte“ und ich lade Euch hiermit herzlich dazu ein. Ich werde direkt den Anfang machen und möchte meinem Expartner und Vater meines jüngesten Sohnes etwas sagen, von dem ich hoffe, dass er jetzt gerade zuhört. Jürgen: wir waren sechs Jahre zusammen und haben uns auch nachweislich geliebt. Dein Sohn, den du nicht kennen willst, ist mittlerweile acht Jahre alt. Es mag schwierig mit uns beiden gewesen sein, ja. Aber mal ganz ehrlich: was hat er damit zu tun? Was kann er dafür, dass seine Eltern zu blöd waren, um es miteinander hinzubekommen? Er braucht einen Vater, so wie jedes Kind. Also beweg endlich deinen Arsch und kümmer' dich um ihn. Hör auf, dich selbst wie ein trotziges Kind zu benehmen und lerne ihn endlich kennen! Bevor es irgendwann zu spät ist!“

Ich hörte plötzlich tosenden Applaus aus den Nachbarstudios und dazwischen gab es auch ein paar erstaunte Gesichter. Doch Gott sei Dank überwog der Beifall und ich fühlte mich unendlich erleichtert. Nicht wegen des Applauses, sondern wegen meiner ausgesprochenen Worte, die eine äußerst befreiende Wirkung hatten. Ein Ton unterbrach meine Gedanken.

„Da ist ein erster Anruf für Sie, Sophia!“ kroch die Stimme von Timm Schrader durch einen Lautsprecher an meinen Schreibtisch. Jetzt wurde ich doch etwas nervös. Zitternd nahm ich den Anruf mit den Worten „Radio XYZ, Sie sprechen mit Sophia. Und wer ist da?“ entgegen. „Hallo Sophia, hier ist Jasmin aus Augsburg. Ich finde die neue Sendung toll. Darf ich bitte auch etwas für meinen Ex loswerden?“ fragte mich eine etwas piepsig klingende Stimme. Ich lachte und bejahte ihre Frage.

„Also, Thorsten aus Bärenkeller, hier spricht deine Ex Jasmin. Falls du dich noch an mich erinnerst. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dir mit Karsten, deinem Zwillingsbruder, fremdgegangen bin und das Kind, das ich erwarte, gar nicht von dir ist und...“

 

„Ja, vielen Dank für deinen Anruf, Jasmin“, unterbrach ich ihren Redeschwall, „ich bin sicher, dein Ex weiß auch bald Bescheid.“ Damit beendete ich das Telefonat. Ganz bestimmt hatte irgendjemand aus ihrem Bekanntenkreis zugehört, zumindest konnte man davon ausgehen und dann würde der arme Thorsten es sowieso erfahren. Aber das war eindeutig nicht Sache von Radio XYZ. Der Daumen von Timm Schrader, der nach oben ragte, zeigte mir, dass ich richtig gehandelt hatte. Ich spielte ein paar Songs, aus den 80ern, im Wechsel mit den neusten aus den Charts. Das machte richtig Spaß und wäre ein toller, abwechslungsreicher Job für mich. Bald leuchtete erneut das rote Signal und verriet mir neben dem Signalton, dass ein neuer Anrufer wartete.

„Hallo lieber Anrufer, was hast du zu sagen?“ trällerte ich gutgelaunt ins Mikro.

„Hallo Sophia. Du klingst sehr interessant. Ich würde dich gern auf einen Kaffee einladen, wenn du mich lässt“, flötete eine Männerstimme. Irritiert sah ich zu Timm Schrader, der breit grinsend zu mir rüber kam.

„Hallo?“ fragte der Anrufer, „bist du noch da?“

Es wurde still, eindeutig zu still...

„Doch doch, ich bin noch da. Wie heißt du und woher kommst du?“

Ich war wieder Herr meiner Sinne und Mister Schrader inzwischen direkt neben mir.

„Mein Name ist David, ich bin 37 Jahre jung und komme aus Siegen“, klärte mich der Mann am Telefon auf. Timm tippte vielsagend auf seine Armbanduhr und ich verstand sofort.

„Hinterlasse einfach gleich bei meinen Kollegen deine Handynummer und ich melde mich zwecks Kaffee. Einverstanden?“ sagte ich und beendete auch dieses Gespräch. Zum zweiten Male lobte mich Timm und verabschiedete sich dann wieder an seinen eigenen Arbeitsplatz. 

 Der Rest der Stunde verlief reibungslos und so saß ich auch am nächsten Nachmittag wieder in dem Studio von Radio XYZ. Meine Sendung lief nun täglich von 17 bis 18 Uhr. Eine gute Zeit, viele hatten bereits Feierabend oder waren auf dem Weg nach Hause oder hörten einfach den richtigen Sender.

„Da bin ich wieder, liebe Leute“, begrüßte ich die Welt, „und auch heute höre ich Euch zu und umgekehrt hoffentlich auch.“ Dann spielte ich einen Song aus den Charts, bevor ich wieder ans Mikrofon ging.

„Auch heute möchte ich wieder ein paar Worte an jemanden richten. An meinen besten Freund, um genau zu sein. Aber vorher habe ich für ihn noch einen Song im Gepäck. Obwohl er garantiert nicht der einzige ist, der diese Nummer geil findet.“ Dann legte ich „Smoke on the water“ auf und alle im Studio gingen ab wie Schmidts Katze. Timm Schrader zupfte die unsichtbare Luftgitarre. Was für eine geile Stimmung! Kurz vor Ende drehte ich die Lautstärke runter und sagte ins Mikrofon: “Hey, bester Freund, ich wollte dir einfach mal Danke sagen. Dafür, dass du immer für uns da warst und uns geholfen hast. Meine Kinder und ich konnten uns stets auf dich verlassen. Sogar nachts bist du angerückt, wenn wir dich gebraucht haben. Und das ist heute, nach über 10 Jahren noch immer so. Ein ganz fettes Danke von uns allen!“

Wieder hörte ich die Belegschaft klatschen und sah in lächelnde Gesichter.

„Hoffentlich wird ihnen das Lachen nicht gleich vergehen, dachte ich, spielte den Song ein Stück weiter und sagte dann abschließend: „Aber es wird Zeit, mich loszulassen und eine Frau zu finden, die dich liebt. Von Herzen alles Gute dafür!“

Ein paar betretene Gesichter schauten mich fragend an. Deshalb spielte ich zügig den nächsten Song und nahm danach den ersten Anrufer des Tages entgegen.

„Hi, ich bin Kai und möchte auch gerne was loswerden, was ich schon längst hätte rauslassen sollen“, sagte eine aufgeregte Männerstimme.

„Schieß los!“ forderte ich ihn auf.

„Gut, also...ähem...Herr Nowak, hier spricht ihr Angestellter Kai Schulte, der seit mehr als 10 Jahren Ihren Kram erledigt, ohne ein einziges Mal eine Gehaltserhöhung bekommen zu haben. Glauben Sie nicht, dass es vielleicht Zeit dafür wird? Meine Frau bekommt nächsten Monat unsere Zwillinge und da brauchen wir das Geld mehr als dringend.“

„Das ist doch der beste Grund, um über sich selbst hinaus zu wachsen, Kai“, sagte ich und lobte ihn für seinen Mut. Und ins Mikrofon: „Herr Nowak, ich hoffe, Sie haben ein Ohr für Ihren treuen Angestellten Kai und geben dem künftigen Familienvater mehr Lohn für seine Arbeit. Gerne besucht das Team von Radio XYZ Sie auch mal persönlich in Ihrer Firma.“

Das klang zwar mehr wie eine Drohung, aber Herr Nowak sollte schon spüren, dass wir ganz auf der Seite von Kai standen. Der Rest der Stunde war ausgefüllt mit einigen Beichten und sogar einem Heiratsantrag.

 

 In meiner nächsten Sendung von „was ich schon immer sagen wollte“ ging mein erster Aufruf diesmal an meinen letzten Expartner. „Michael“, begann ich, „auch dir möchte ich etwas mitteilen. Ich bin sehr enttäuscht von der Entwicklung, die du genommen hast. Wir haben uns einmal sehr geliebt und ich glaube mittlerweile, du tust es insgeheim immer noch. Du scheinst dir selbst nicht verzeihen zu können, dass du es dir mit mir so derbe verscherzt hast und deshalb enden unsere Treffen oft in mittleren Katastrophen. Daher bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob wir uns überhaupt noch verabreden sollten. Wir beide hätten gern Kontakt zueinander, das habe ich kapiert. Aber auch, dass wir nicht zusammen sein können. Mach dir das bewusst und gehe in dich. Und stelle dir selbst die Frage, was du eigentlich von mir möchtest. Selbstverständlich erwarte ich eine ehrliche Antwort von dir.“

Danach spielte ich den Song „Safe and Sound“ und holte mir einen Kaffee an meinen Platz. Mir machte das Ganze immer mehr Spaß und ich freute mich riesig darüber, dass der Radiosender meine Sendung für weitere 6 Wochen verlängerte. In meiner nächsten Sendezeit erhielt ich überraschender Weise einen Anruf meiner Tochter.

 

„Mamong? Ich wollte dir nur sagen, dass mir leidtut, dass ich oft so zickig und gemein bin. Du weißt, dass ich dich über alles liebe, oder? Und meine Brüder auch.“ Aufsteigende Tränen verschleierten meinen Blick, so gerührt war ich.

„Ja, Süße, das weiß ich. Und ich liebe dich auch“, antwortete ich. Dann spielte ich ihren Lieblingssong von den Imagine Dragons und beendete das Gespräch.

 

Während des Liedes sammelte ich mich wieder ein wenig und richtete dann eine nächste Message an die Eltern in dieser Welt. „Ihr Lieben da draußen, wenn Ihr Kinder haben solltet, dann tut alles für sie, was Euch möglich ist. Auch, wenn das bedeuten sollte, sie loszulassen, damit sie Euch wieder näher sein können. Oder weil sie auf einem Weg sind, den sie nur alleine beschreiten können. Ich weiß, dass das furchtbar schwer ist und sehr sehr wehtut, aber nur dann kehren sie zu Euch zurück. Kinder sind unsere Zukunft und wir müssen sie unterstützen und ihnen die bestmöglichen Chancen geben. Diese sehen natürlich bei jedem anders aus und das ist auch gar nicht schlimm. Jeder kann nur das leisten, was er zu leisten imstande ist. Vergesst das niemals.“

 

Wieder ertönte das mir inzwischen vertraute Klatschen und Timm, der mir mittlerweile das Du angeboten hatte, kam zu mir und nahm mich tröstend in den Arm. Das tat gut und ich fühlte mich danach wieder bereit, den Rest der Sendung zu meistern. Kurz vor Ende der Stunde erhielt ich noch einen letzten Anruf. Diesmal waren meine Söhne am anderen Ende der Leitung.

„Mama, wir haben deine Botschaft gehört und wollten dir nur sagen, dass wir dich auch lieb haben“, sagten sie alle gleichzeitig. Einen schöneren Abschluss für diese Sendung hätte ich mir nicht wünschen können.

Impressum

Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Cover: google
Tag der Veröffentlichung: 20.04.2022

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Kinder und meinen besten Freund.

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