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Dunkle Tage

„Nun Aramis? Hast du dich entschieden?“ Diese grollende und zugleich majestätische Stimme, die mir Mark und Bein erschütterte, gehörte keinem geringeren als meinem Herrn Vater. Ares mit stolzem Namen. Seine Frau Enolah, die mich vor sehr langer Zeit geboren hatte, sah mich mit demselben strengen Blick an wie ihr Göttergatte. Kein Gefühl, keine Regung war in den Gesichtern meiner Erzeuger zu erkennen. Wozu befragten sie mich überhaupt? Tief in ihren schwarzen Seelen, sofern sie denn welche hatten, war die Entscheidung längst gefallen. Und zwar zu meinen Ungunsten.

 

„Wirst du die Aufgabe annehmen und erfüllen, mein Sohn?“ donnerte die Stimme Ares erneut zu mir herunter.

Tief in mir erwehrte sich alles, ich wollte diese Bürde nicht auf mich nehmen. Aber hatte ich denn auch nur den Hauch einer Wahl? Er, der Gott über alle Reiche, Menschen und Götter, ließ mich kleinen Wicht doch nicht selbst darüber entscheiden, ob ich das gesamte Universum ins Unglück stürze oder mich selbst opfere.

Die, die mich gezeugt und auf diese Welt gebracht haben, wollten aus mir einen elendigen Tyrannen machen. Ich sollte Unheil über jedes Reich, alle Gottheiten und alles Leben bringen. Furcht säen und mithilfe der Anemoi in sprichwörtlicher Windeseile verbreiten. Warum wollte Ares, mein Gottvater, die Welt zerstören und jedes noch so winzige Leben aus ihr vertreiben?

Warum war er so ein Barbar und zudem noch der schlechteste Vater im ganzen Universum? Meine Brüder Phobos und Deimos hatte er schon vor vielen Jahren für seine Zwecke mißbraucht und dadurch in den Tod getrieben. Und jetzt war ich, der Jüngste der Sippe, an der Reihe.

Siegessicher sah er von seinem Thron auf mich herab. Seine Augen spiegelten alles wider, was er fühlte. Wut, Hass und eine nicht unbeachtliche Portion Größenwahnsinn paarten sich hier und bildeten eine gefährliche Mischung. Von Liebe keine Spur. Außer für sein Ebenbild. Dass ausgerechnet jemand wie er ein so hohes Amt bekleiden durfte, wollte einfach nicht meinen Verstand erreichen.

Und Enolah traute keinen Widerspruch. Das war auch gar nicht ihr Ansinnen, denn sie fühlte offenbar genau wie er. Ihr Inneres bestand, wie seines, aus einer schwarzen Seele, ohne Liebe.

Ich jedoch liebte. Mein Weib trug den schönen Namen Iris und war die Göttin des Regenbogens. Sie hatte den Liebreiz und die Anmut aller unbezahlbaren Kostbarkeiten unseres Universums zusammen und noch weit mehr. Ihr Glanz stellte sämtliche Sterne am Firmament in den Schatten. Oh, wie sehr ich sie liebte. Allein der Gedanke an sie ließ mein Herz in der Brust davon flattern.

Ein lauter Donnerhall riss mich von meiner Iris fort und brachte mich umgehend vor meinen Herrscher und Vater. Seine Augen blickten zornig. Ich wusste, was mich nun erwartete. Wieder einmal ließ er mich vor sich in der Luft schweben, mit dem Kopf nach unten. Das tat er nämlich furchtbar gern, denn ich fand mich mehrmals täglich in dieser Haltung wieder. So fällt das Denken recht schwer und genau das war sein Ansinnen.

„Denke nicht zu lange nach, Sohn, meine Geduld ist nicht unendlich!“ herrschte er und schickte mich mithilfe seiner Kräfte zurück an meinen Platz weit unter seinem heiligen Thron. Mein Herz blieb für einen kurzen Moment stehen vor Schreck, denn ich schoss mit dem Kopf nach unten auf die Erde zu. Gerade noch rechtzeitig, bevor ich den harten Steinboden erreichte, drehte er meinen Körper wieder in die richtige Position und ich landete schmerzvoll auf den nackten Füßen.

 

„Lass uns zusammen von hier fliehen, Aramis.“

Meine geliebte Iris lag in meinen starken Armen und sah mit flehentlichem Blick zu mir auf. Nur zu gern hätte ich ihr nachgegeben. Stattdessen beugte ich mich zu ihr herunter und küsste ihre roten Lippen, die so herrlich nach Kirschen schmeckten.

„Iris, du weißt, dass das sinnlos wäre. Ares würde uns suchen lassen und wenn es Jahrhunderte dauerte.“

Erneut küsste ich ihren Kirschmund. „Er würde keine Ruhe geben und wir könnten niemals in Frieden leben, geschweige unsere süße Liebe genießen. Willst du ein Leben lang auf der Flucht sein?“

Ihre blauen Augen füllten sich mit salzigem Nass und benetzten mein weißes Gewand. Es brach mir fast das Herz sie so sehen.

„Aber was wäre die Alternative, Aramis? Du nimmst die Aufgabe an und zerstörst alles. Leben sowie Götterwelten. Das überleben auch wir beide nicht." Sie streichelte meine Wange. "Das starke Band unserer Liebe wird das nicht überstehen können.“ Dann begann sie bitterlich zu weinen und ich konnte nur machtlos zusehen. Sie hatte ja Recht! Wir konnten nichts tun, außer uns dem Schicksal zu ergeben. Zärtlich streichelte ich ihre Tränen fort.

„Meine kleine Regenbogengöttin, lass uns den Rest der Zeit versuchen zu genießen und das Böse verdrängen. Meine Liebe wird auf ewig dein sein, auch über den Tod hinaus.“

Nach und nach versiegte das Nass auf ihren rosigen Wangen. Gequält lächelte sie mich an.

„Ich verspreche es dir, Aramis“, sagte sie leise und schloss ihre Augen. Erneute legte ich meine Lippen auf ihre und sie erlaubte mir, mich an ihrem süßen Geschmack zu erlaben.

Dann liebten wir uns, als gäbe es kein Morgen mehr. Wäre uns jedoch bewusst gewesen, dass Daphne uns voller Zorn beobachtete, hätten wir uns sicher nicht so hemmungslos vereint.

Die schöne Nymphe mit dem blutroten Haar war erfüllt von Eifersucht und Mißgunst, denn sie liebte mich. Sehr zu meinem Leidwesen. Iris wusste nichts von Daphnes Gefühlen, ich wollte sie immer von allem Leid verschonen. Dass dies unmöglich war, wurde in dieser Sekunde zur schmerzvollen Gewissheit.

Flink zückte Daphne einen ihrer Pfeile, zielte und schoss. Todesmutig warf ich mich zwischen meiner Liebe und den Pfeil. Wollte ihn abfangen, war bereit, für meine Regenbogengöttin zu sterben. Doch ich scheiterte jämmerlich. Er traf meine geliebte Iris mitten ins Herz. Als er sich tief in ihre Brust bohrte, versteinerte ihr gesamter Körper. Die azurblauen Augen erstarrten und ihr Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei.

Niemals werde ich diesen Ausdruck des Todes auf ihrem schönen Gesicht vergessen.

Sie tat ihren letzten Atemzug in meinen Armen und ich küsste sie zart auf ihre noch warmen Lippen.

Ein letztes Mal schmeckte ich ihre Liebe, bevor sich ein lauter Schrei durch meine Kehle rang und den Himmel binnen Sekunden verdunkelte. Mein ganzer Schmerz legte sich über das gesamte Götterreich. Ich hatte nicht nur meine Liebe, sondern mein Dasein verloren. In dieser schwarzen Stunde begann meine Hölle.

Diese scheinheilige Nymphe hatte mir meine Sonne genommen, in mir herrschte nur noch Dunkelheit. Unbändig vor Zorn stürmte ich Daphne entgegen, schnell wie ein Tiger. Sie hatte keine Chance. Meine Hände legten sich um ihren schlanken Hals und drückten langsam zu. Ihre giftgrünen Augen quollen hervor und mit letzter Kraft flehte sie um ihr Leben.

„Glaubst du, deines wäre mehr wert als das von Iris?“

Aus mir war jedes Gefühl von Menschlichkeit oder Gerechtigkeit gewichen.

„Du elende Schlange! Nichts als den Tod hast du verdient!“

Der Druck meiner Hände kräftigte sich und nur wenige Momente später sank Daphne leblos zu Boden. Unbeeindruckt ließ ich sie auf dem Hügel zurück, hinter dem sie sich verschanzt hatte um meine Liebe zu töten. Genau dort ging nun auch ihr Leben zuende und genau dort sollten sich die Geier ihre Überreste holen.

Ohne einen weiteren Blick zu verlieren, ging ich von dannen. Jetzt begannen die dunklen Tage, die Tage des Zorns und der Rache. Entschlossen trat ich vor meinen Gottvater Ares und erklärte mich bereit für die Aufgabe.

Ich hatte nichts mehr, für das es sich zu leben lohnte. Mein Herz war mit Iris gestorben.

In mir war es dunkel geworden und statt eines Herzens loderten in meiner Brust die Flammen der Hölle.

Ich war zu einem Teufel mutiert. Zu dem Teufel, der die gesamte Welt samt aller Götterreiche auslöschen würde. Das war nun mal die mir zugeteilte Aufgabe und ich setzte mich umgehend an einen Plan, möglichst fehlerfrei und zielführend. Ares hatte mir aufgetragen, das Übel aller Übel zu stehlen. Die Büchse der Pandora sollte ich mir aneignen und über diesen Weg die Welt vernichten. Mein unbeliebter Gottvater weihte mich in das Geheimnis dieser mysteriösen Dose ein. So lange man sie verschlossen hielt, blieb alles Unheil in ihrem Innern. Wagte man jedoch, die Büchse zu öffnen, entließ man Krankheit, Hunger, die schwarze Pest, Krieg und Tod in die Welt. Und genau darin bestand meine Aufgabe.

Die erste Hürde war Pandora selbst. Ich musste sie überlisten, um an die von ihr gut behütete Schachtel zu gelangen. Zu diesem Zwecke übergab mir Ares einen Speer und zwei seiner Kampfhunde. Außerdem vertraute er mir sein geliebtes Saradomin-Schwert an.

„Es wäre eine Genugtuung, wenn du es mir samt dem Blut Pandoras an seiner Klinge zurückbrächtest“, sagte er mit gierigem Ausdruck in den Augen. Seine Worte ließen mich kurz erschauern, doch im nächsten Augenblick spürte ich wieder die lodernde Hölle in mir. Iris. Für sie hätte ich den Plan sofort aufgegeben. Doch sie war fort und alles Leben und Dasein würde ihr nun folgen. Und mein verwundetes Herz vielleicht Ruhe und Frieden finden.

Lautlos schlich ich in der folgenden Nacht, erst einmal ohne Kampfhunde und Speer, in Pandoras Schlafgemach und machte mich auf die Suche. Das Schwert trug ich quer über der Brust, es sollte mich verteidigen, wenn es Hart auf Hart käme. Doch Pandora störte mich, weil sie früher zurück kam als erwartet. Schnell versteckte ich mich unter ihrem großen Bett. Dort verharrte ich und wurde unfreiwillig Zeuge eines Liebesspiels, denn Pandora war nicht allein. Ausgerechnet Charon hatte sie in ihr Schlafgemach begleitet. Charon! Das Entsetzen stand mir sicher auf dem Gesicht geschrieben, denn niemand hätte ausgerechnet die beiden miteinander vermutet. Charon war der Totenfährmann. Er ruderte die Seelen der Verstorbenen über die Unterweltflüsse Acheron, Kokytos und Styx ins Totenreich. Ausgerechnet mit ihm vergnügte sich Pandora. Dieses Wissen hielt mich davon ab, aus meinem Versteck zu springen und das Schwert meines Vaters in ihre Körper zu stoßen. Ich hätte sogar beide, miteinander vereint, durchstoßen können. Aber vor Charon hatte ich Ehrfurcht. Er war schließlich der Fährmann der toten Seelen...

Einen Augenaufschlag lang war ich wie versteinert, doch dann begann ich, Pandoras Bett von unten zu betrachten und die Holzlatten und Verschachtelungen zu zählen. So konnte ich versuchen, dem munteren Treiben über mir zumindest gedanklich zu entfliehen. Dabei fiel mir eine besondere Verkleidung auf, die ich näher betrachtete. Die beiden Liebenden über mir bemerkten mich nicht, zu sehr waren sie mit ihren animalischen Gelüsten beschäftigt. Meine Hände erfühlten dieses kleine Fach und mit leichtem Druck ließ sich der Deckel entfernen.

„Was war das?“ unterbrach Pandora plötzlich mein Handeln. Ich hielt den Atem an.

„Das ist nur das Bett, meine Schöne. Lass uns weitermachen“, hörte ich die verzückte Stimme Charons.

Sie widmeten sich wieder dem Liebesakt und mir wurde ein wenig flau im Bauch. Doch dann blitzten meine Augen auf wie die Sterne am Himmelszelt, denn ich war soeben auf die von Ares begehrte Büchse der Pandora gestoßen. Mein Herz raste los wie eine Horde Kampfhunde und mein Körper war in heller Aufruhr, beinah hätte ein Freudenschrei mich verraten.

Nun galt es nur noch, zu warten, bis die beiden ins Reich der Träume geglitten waren und ich mit der Dose von dannen schleichen konnte. Unter dem Bett liegend, mit dem geliebten Saradomin-Schwert meines Gottvaters auf meiner Brust, harrte ich bis in die Nacht aus. Irgendwann vernahm ich endlich, nach gefühlten Tagen, gleichmäßige Atemzüge und wagte mich samt Büchse und Schwert aus meinem Versteck. Stolz trat ich vor Ares, der die Büchse in meiner rechten Hand erblickte und aufbegehrte. Seine Augen blitzten mich an.

„Sohn, ich bin stolz auf dich. Nun kann ich meine Herrschaft um Jahrhunderte verlängern. Denn alle Lebewesen und Götter werden fürchten, dass ich die Büchse der Pandora öffne und sie alle ins Verderben schicken könnte!“

Er streckte die Hand nach der Dose aus und mir ging ein Licht auf. Er wollte nicht die Welt und alle Götterreiche vernichten, sondern schlicht und einfach ein Druckmittel, um seine Zeit auf dem Thron zu verlängern. Denn er war so unbeliebt, dass er nur unter Zwang wieder zum Herrscher gewählt werden würde. Krampfhaft umschloss meine Hand die Büchse.

„Nein Vater! Das kann ich nicht zulassen!“

Zornig blickte er auf mich nieder und ich wusste, gleich würde er mich wieder kopfüber schweben lassen. Deshalb zückte ich in Windeseile das Saradomin-Schwert und stach es in seine Brust.

Blut tränkte sein weißes Gewand und er schaute mich ungläubig an. Doch ich unterschätzte ihn, denn seine Kraft hatte er durch den Stoß noch nicht verloren. Erneut fand ich mich mit dem Kopf nach unten wieder. 

„Du wagst es tatsächlich?“ donnerte er mir entgegen, „du wagst wirklich und wahrhaftig den Aufstand gegen deinen eigenen Vater?“ Unzählige Gedanken schossen durch mein Haupt, das sich langsam mit Blut füllte und das Denken erschwerte. „Ja“, presste ich hervor und hielt noch immer die Büchse des Unheils in meiner Hand. Ares stieg schwerfällig von seinem Thron und kam auf mich zu. Die Dose war es, die er begehrte, aber er war viel zu träge, sie selbst zu erobern. Verächtlich sah er mich an, bevor er die vernichtenden Worte aussprach. Niemals hätte ich gedacht, dass er sich selbst an Hinterhältigkeit noch übertreffen könnte. Doch genau so kam es.

„Ich habe dafür gesorgt, dass Daphne erfährt, wo du dich mit Iris vergnügst.“

Ich spürte, wie sich mein Hals zuschnürte. Das hatte er nicht wirklich getan, so böse war nicht einmal er.

Oder irrte ich? Er hatte in Kauf genommen, dass eine liebeskranke Nymphe mein Leben zerstörte?

„Ihre Eifersucht auf Iris kam mir nur recht. Das Ende der Geschichte ist dir bekannt, du warst ja mit allen Sinnen dabei!“ lachte er so schallend, dass ihm die ungöttlichen Tränen liefen.

Das war an Grausamkeit und Zynismus nicht zu überbieten. Er hielt sich den Bauch vor Lachen und mich dürstete es nach Genugtuung.

Meine Iris...

 In diesem geschichtsträchtigen Moment wurde mir gnadenlos vor Augen geführt, welch ein Tyrann mein eigener Vater war und ich fasste einen verhängnisvollen Entschluss. Das Gesicht meiner wunderschönen Regenbogengöttin schob sich vor mein inneres Auge und ein Lächeln umspielte meinen Mund und meine Augen.

 In dem Moment, als Ares sich die Dose in meiner Hand aneignen wollte, ließ ich sie hart zu Boden fallen. Sein Lachen erstarb augenblicklich und der Gott der Götter erstarrte.

Seine Augen waren weit aufgerissen, während die Büchse der Pandora aufschlug und sich ihr Deckel ganz langsam mit einem unheilvollen Ton öffnete...

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Texte: alle Rechte liegen bei der Autorin
Bildmaterialien: by Google.de
Tag der Veröffentlichung: 24.02.2015

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