"Wo ist dieses verdammte Haus, Peter? Wir müssten es längst passiert haben!"
"Halt die Klappe, Chloè!" zischt Peter und wirft seiner Beifahrerin einen scharfen Blick zu.
"Aber ich bin müde, mir ist kalt und Hunger habe ich auch!"
"Weiber!" Peter ist sichtlich genervt, versucht er doch schon seit Stunden, seine nervige Begleiterin zu ignorieren. Aber sie gibt einfach keine Ruhe.
Chloè verschränkt beleidigt die Arme vor der Brust und schnaubt verächtlich in die Dunkelheit, die längst über der Insel eingebrochen ist. Aber dafür ist sie jetzt endlich ruhig und für die weitere Fahrt sitzen die beiden stumm nebeneinander. Nach einigen Minuten wendet Peter, weil ihm aufgefallen ist, dass sie längst von der Straße abgekommen sind, auf der dieses Haus stehen soll, in das sie für ein Wochenende einkehren wollen.
Angestrengt starrt Peter in die Dunkelheit, während Chloè noch immer schmollend ihre Schnute verzieht. Doch er kann kein Haus entdecken, beim besten Willen nicht. Hier ist nirgends auch nur ein einziges Gebäude zu sehen. Und so ein besonderes würde man ja kaum übersehen können. Auf den Bildern, die sie im Kellergewölbe dieses Museums gefunden haben, wirkt es fast mystisch.
"Was ist das, Peter?" fragt seine Begleiterin und unterbricht somit seine Gedanken. Ihre Stimme klingt dünn und ängstlich. Jetzt fallen Peter ebenfalls die dichten Nebelschwaden auf, die von einer auf die andere Sekunde aufgezogen sind. Chloè beginnt zu frösteln und legt den Cardigan enger um ihren kühlen Körper.
"Mir ist auf einmal so kalt", flüstert sie und sieht Peter mit fahlem Gesicht an.
"Ich habe keine Ahnung, woher das so plötzlich kommt. Aber hab' keine Angst, es ist sicher gleich vorbei."
Doch im Gegenteil verdichtet sich der Nebel immer mehr. Es scheint, als würde er den Wagen einhüllen.
Kaum noch etwas ist zu sehen. Peter will das Auto zum Stehen bringen, doch es funktioniert nicht.
Das Gefährt reagiert nicht auf seine Bremsversuche. Als hätte es ein Eigenleben entwickelt, fährt es einfach weiter. Chloè beginnt heftig zu weinen vor Angst.
"Was ist hier los? Wieso reagiert der Wagen nicht mehr?" schreit Peter, fast hysterisch. Er kann nicht verstehen, warum er nicht anhalten kann. Vor Antritt der Fahrt hat er sein Auto noch durchgecheckt.
Nur den Bruchteil einer Sekunde später reißen beide ihre Augen auf vor Entsetzen und starren auf das Unglaubliche, das sich direkt vor ihnen abspielt.
Eine schwarze Wand, mit einem riesigen, dunklen Loch, taucht plötzlich wie aus dem Nichts vor ihnen auf. Peter kann den Wagen noch immer nicht bremsen und fährt unumgänglich direkt in das magische Auge hinein. Der schwarze Volvo wird samt Insassen in Sekundenschnelle verschlungen.
Stille, absolute Stille kehrt ein. Kein Laut ist mehr zu hören, nicht einmal das Bellen irgendeines Hundes, der irgendwo an einem Hof angeleint sein könnte, ist zu vernehmen.
Ein paar Jahre später sind Eve und Mike auf demselben Pfad unterwegs, um das sagenumwobene Haus zu besichtigen und dort ein Wochenende zu verbringen. Sie haben unglaublich viel Material darüber gesammelt, über Jahre. Die Presse und die Polizei berichtete damals Monatelang über das junge Pärchen Peter Christen und Chloè Monroe, das sich auf den Weg zu diesem Haus gemacht hatte und danach niemals wieder aufgetaucht war. Sie blieben bis heute wie vom Erdboden verschluckt.
Angst ist für Mike ein Fremdwort, ihm wurde die Risikobereitschaft scheinbar schon in die Wiege gelegt.
Eve dagegen hat sehr großen Respekt bezüglich ihres Vorhabens. Je näher sie dem Haus kommen, desto unruhiger wird sie. Leichtes Zittern ihrer Hände verrät sie.
"Ganz ruhig, meine Süße. Ich würde dich niemals in Gefahr bringen oder zulassen, dass dir etwas passiert."
Seine Worte beruhigen sie tatsächlich, so wie es immer der Fall ist, wenn sie ihn braucht. Mike und sie sind bereits seit ihrer Studienzeit ein Paar und immer noch glücklich verliebt.
"Da, da!" ruft Eve plötzlich und zeigt rechts an den Straßenrand, "da ist das Haus, Mike!"
Er fährt rechts ran , parkt den Wagen dort, steigt langsam aus und erblickt das Haus in voller Größe.
Fast ehrfürchtig tastet er es mit seinen flinken Augen Zentimeter für Zentimeter ab. Dann vergleicht er das alte Gemäuer mit den Bildern, die er in seinen Händen hält. Sie haben es tatsächlich gefunden, sie stehen wahrhaftig vor dem magischen Haus. Eine unendlich alte Legende besagt, dass mystische Kräfte in seinem Innern wohnen sollen.
Eine klappende Autotür reißt Mike aus seinen Gedanken. Eve ist ebenfalls ausgestiegen, um die geheimnisvolle Bleibe in voller Pracht bewundern zu können. Das Haus ist von einfacher Schönheit, die einen dennoch unweigerlich in seinen Bann zieht.
Das größere der beiden Tore öffnet sich plötzlich leicht, wie von Geisterhand. Zu sehen ist niemand. Es scheint eine wortlose Einladung ins Innere. Immer mehr Nebel zieht auf und erschwert die Sicht auf das, was das junge Pärchen begehrt. Eine kühle Brise frischt plötzlich auf und läßt Eve frösteln.
"Lass uns reingehen, drinnen ist es sicher wärmer", schlägt die junge Frau vor, nicht ganz ohne Angst.
Aber die Neugier auf das Innere ist mindestens ebenso groß. Mike nimmt sie bei der Hand und zusammen schreiten sie durch das inzwischen weit geöffnete Tor in die Halle. Diese ist mit vielen Gemälden verziert und die beiden treten näher heran. Auf nahezu allen Bildern sind Paare zu sehen. Eine Gänsehaut überzieht Eve's schmalen Körper und sie beginnt erneut zu frösteln. Auch Mike wird es heiß und kalt, als er sich die Menschen näher ansieht, die dort abgebildet sind. Fast zeitgleich entdecken sie das Gemälde, das die Vermissten Chloè und Peter zeigt.
Augenblicklich gefriert das Blut in ihren Adern.
Mit weit aufgerissenen Augen stehen sie, keiner Regung fähig, mitten in der Halle.Stille, unendliche, eiskalte Stille umfängt die beiden.
"Faszinierend, nicht wahr?"
Eine männliche Stimme läßt das Pärchen erschreckt herumfahren. Doch es ist niemand anderer zu sehen. Die beiden drehen sich mehrmals um ihre eigene Achse, doch sie bleiben allein, allein mit einer Stimme...
"Ich bin der Hausherr, wie Sie sich vielleicht denken können."
Die dunkle Stimme ist klar und deutlich zu hören, aber noch immer keine Menschenseele zu entdecken.
"Ich habe Angst, Mike!" ruft Eve, fast schon panisch und klammert sich an ihren Freund, dem ebenfalls langasam aber sicher die Gesichtszüge entgleiten.
"Vor mir müssen Sie keine Angst haben, junge Dame, ich bin ganz friedlich. Für das Haus mit seinem eigenen Willen möchte ich allerdings keine Garantie übernehmen!"
Hämisches Gelächter beendet den Monolog und hallt noch lange nach...
Eine weitere Tür öffnet sich plötzlich wie von Geisterhand und gewährt somit Einblick in das Kaminzimmer. Ein Raum, der durch eine überaus geschmackvolle Einrichtung die Sinne betört. Eve schmilzt dahin beim Anblick der verschnörkelten Gardinen, die farblich zu Tapeten und dem sündhaft teuren Teppich abgestimmt sind.
"Wie im Märchen!" schwärmt sie begeistert und vergißt für einen Moment ihre Angst.
"Gehören die beiden Leichen auf dem Sofa auch in dein Märchen?"
Als Eve die beiden leblosen und furchtbar zugerichteten Körper erblickt, entweicht ihr ein markerschütternder Schrei.
Wortlos fassen sich die beiden an den Händen und rennen auf das noch geöffnete Tor zu.
Ein lauter Knall erschüttert das gesamte Haus. Bevor das Paar den rettenden Ausgang erreicht, hat sich das Tor bereits wieder geschlossen.
Ihnen wird klar: Sie sitzen in der Falle.
Es gibt kein Entkommen.
Bald schon wird auch ein Abbild Ihresgleichen die Wand der Halle zieren.
"Ich will nicht sterben...", wimmert Eve leise.
Dann wird es dunkel.
Texte: Reggi67
Bildmaterialien: google
Tag der Veröffentlichung: 21.02.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Beitrag für den Februar Wettbewerb in der KG-Gruppe