Das kann er doch nicht tun!
Das darf er nicht!
Das geht nicht!
Es tut so weh.
Im Herzen. In der Brust. Im ganzen Körper.
Aber am meisten schreit meine Seele.
Heute Morgen saßen wir uns noch zufrieden am Frühstückstisch in der Küche gegenüber.
Hielten uns an den Kaffeetassen fest, tauschten verliebte Blicke aus.
Oder war es nur mein verklärter Blick, der meinen Verstand außer Kraft setzte?
Mein Versinken in seine stechend blauen, manchmal auch leeren Augen.
Emotionen waren nie sein Ding.
Liebevoll ja, aber immer ein wenig distanziert, so beschrieb ich ihn stets.
Gierig schlürfte er das schwarze Gebräu und vermied es, mich anzusehen.
Jetzt frage ich mich, warum er meinem Blick auswich.
War ihm heute Morgen schon klar, was er mir am Abend antun würde?
Dieser Mistkerl kann mich doch nicht ohne Grund einfach so verlassen!
Hatte er eine andere kennengelernt? Gab es vielleicht schon länger eine andere?
Aber er liebt mich doch.
Jedenfalls waren das heute Morgen noch seine Worte. Laut und deutlich hatte er :"Ich dich auch" gesagt, bevor er zur Arbeit ging. Allerdings vermied er während dieser Begebenheit den Blickkontakt und blieb distanziert. Und am Abend kommt er heim, sitzt mir wortlos beim Abendbrot gegenüber und vertilgt in aller Ruhe sein Essen.
Dann, bei einem vermeintlich gemütlichem Glas Wein und einer Verdauungszigarette lässt er plötzlich die Bombe platzen.
Völlig unvorbereitet schmeißt er mich ins kalte Wasser.
Stürzt mich den Trennungsabgrund hinab.
Schickt mich zurück in den Dschungel des Singledaseins.
Wir hätten uns auseinander gelebt, uns nichts mehr zu sagen.
Pah!
Wann ist ihm das denn aufgefallen? Warum hat er nicht mit mir geredet, statt mich einfach weg zu schmeißen wie einen alten Müllbeutel? Ein dumpfer Schmerz schleicht sich in mein Herz...
Das kann er doch nicht tun!
Das darf er nicht!
Das geht nicht!
Auf dem Boden neben meinem Bett, nein, unserem einstmaligem Doppelbett, liegen Berge von Papiertaschentüchern.
Getränkt mit unendlicherTraurigkeit.
Getränkt mit bitterer, salziger Erinnerung an vergangene Tage des Glücks.
Getränkt mit Liebeskummer.
Ein neuer Tag ist erwacht, ich weiß nicht mal, wie lange ich geweint oder geschlafen habe.
Welcher Tag ist heute? Wie spät ist es?
Auf der Arbeit habe ich mich krank gemeldet. Jemand anders ist für mich eingesprungen.
Ich kann heute nicht aufstehen und auf der Arbeit die unzufriedenen Kunden bedienen, als wäre nichts gewesen. Als wäre alles so wie immer.
Nichts ist mehr so wie immer, nichts ist mehr gut.
Nichts ist mehr in mir.
Mein Herz ist tot.
Ein lauter und gequälter Aufschrei erfüllt den Raum.
Wer war das? Wer hat da geschrien?
Es ist mein Schmerz, der sich durch meine Kehle nach außen presst.
Immer und immer wieder! Meine Fäuste malträtieren mein Kopfkissen, schlagen es, bis es platt in sich zusammenfällt. Genauso wie ich.
Das kann er doch nicht tun!
Das darf er nicht!
Das geht nicht!
Wer ist die andere Frau? Hat er eine andere? Es muss eine andere geben. Warum sonst würde er mich aus heiterem Himmel einfach so verlassen? Wir waren doch glücklich, richtig verliebt und glücklich. Lange fünf Jahre teilten wir unseren Lebensweg. Ein halbes Jahrzehnt waren wir füreinander da, teilten ein Stück unseres Lebens zusammen.
Seit zwei Jahren leben wir in einer Wohnung, nicht mehr jeder in der eigenen, sondern einer gemeinsamen. Was denkt der sich eigentlich? Mir am Frühstückstisch noch die heile Welt vorzuspielen. Der hat sie doch nicht alle...
Wieder krampft sich mein Herz zusammen, mühsam kriecht ein letzter Rinnsal salziger Traurigkeit durch den Tränenkanal, um dann auf meiner Wange hinab zu rollen.
Das Quell der Traurigkeit geht zur Neige, die Tränen versiegen langsam, ich bin leer. Leergeweint.
Doch der Schmerz ist nicht fort, hat sich hinterlistig wie eine Zecke in mein Herz festgekrallt, will mich nicht loslassen. Es tut so weh.
Das muss aufhören, es wird unerträglich. Ich renne in meinen vier Wänden hin und her, weiß nicht, wohin mit mir. Setze mich an den Tisch und starre ins Nichts. Heule das nächste Päckchen Papiertaschentücher voll, bis das letzte Quentchen Wasser des erneut aufgefüllten Trauerquells restlos vergossen ist.
Ich kann nicht mehr, es tut so wahnsinnig weh, in meiner Brust treibt ein Presslufthammer sein Unwesen, ich kann ihn nicht abstellen. Lass mich in Ruhe, geh weg von mir.
In meinem Kopf ist nur ein Wort: Warum?
Das kann er doch nicht tun!
Das darf er nicht!
Das geht nicht!
Plötzlich stehe ich in der Küche vor unserem Messerblock. Vorsichtig nehme ich eines heraus und fahre langsam mit einem Finger an der Schneide entlang.
Nur ein kleiner Schnitt und ich wäre erlöst, erlöst von diesen Qualen, die übermächtig scheinen. Ich habe keine Chance gegen diesen unsäglichen Schmerz, der mein Herz und meinen Körper beherrscht, als wäre ich vom Teufel besessen.
"Ich muss ihn ausschalten, sonst wird er mich besiegen", sind meine letzten Gedanken, bevor ich die glänzende Klinge ansetze und zitternd ein Stück der Haut auf meinem Arm einritze. Sofort füllt mein Blut die entstandene Spalte wieder aus. Fasziniert betrachte ich dieses Schauspiel. Voller Erleichterung spüre ich, wie sich der Schmerz rasch von meinem Herzen auf den Weg zu meinem verletzten Arm macht. Ich atme tief ein und wieder aus, die Anspannung weicht aus meinem Körper, er wird deutlich geschmeidiger.
Ein paar Minuten später habe ich die Wunde versorgt und mit einem Pflaster versehen, welches nun meinen linken Arm ziert.
Für den Schmerz in meinem Herzen aber gibt es leider kein Pflaster.
Texte: Reggi67
Bildmaterialien: google.de
Tag der Veröffentlichung: 29.02.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb mit dem Thema "Liebeskummer"
("es" ist weder eine Lösung, noch ein Heilmittel...)