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Mit Entsetzen fand ich mich - nach nur einem einzigen Augenaufschlag - mitten auf einer Landstraße wieder. Und dazu auch noch in völliger Dunkelheit. Wo war ich hier gelandet?
Und war nicht eben noch hellster Sonnenschein? Saß ich nicht eben noch mit einem lauwarmen und - zugegeben - miesen Kaffee an einem weißen, runden Tisch? Nur widerwillig schüttete ich die schwarze Plörre in mich rein, das war noch in meinem Bewusstsein. Und dass ich mich dort in einer Runde studierter Menschen befand, von denen einige gleichzeitig auf mich einredeten.

Doch jetzt stand ich auf irgendeiner dunklen, verlassenen Landstraße mit einem riesigen Fragezeichen im Kopf. Wo zum Teufel war ich hier gelandet? Auf einem anderen Kontinent? Oder gar einem anderen Planeten?

Ich fing an zu laufen, einfach der Straße nach. Doch blieb ich immer wieder stehen, helle Blitze schossen durch mein Gehirn in Form von Sekundenbildern. Es schien, als würde eine rasante Diashow in meinem Kopf ablaufen. Aber die Bilder ergaben keinen Sinn und folgten viel zu zügig aufeinander.

Fast wie ein Daumenkino flossen sie durch meine Hirnlappen, schlängelten sich widerwillig durch Hirnwindungen und verweigerten mir eine reelle Chance, sie zu verstehen, zu erkennen.


Plötzlich blieb ich abrupt stehen. Ein weißes Auto fuhr in langsamen Tempo auf mich zu.
Wo kam das so plötzlich her?
Und sah es mich nicht? Der Fahrer machte keine Anstalten, zu bremsen oder sich bemerkbar zu machen. In dem Moment, in dem ich meine Arme hob und auf mich aufmerksam machen wollte, blendeten mich die Scheinwerfer mit solch heftiger Kraft, dass ich kurzzeitig blind war. Mein Mund öffnete sich und mein greller Schrei durchbrach die Stille, um dann aber in der Dunkelheit ungehört zu verhallen.

Dann spürte ich, wie nah mir das Fahrzeug bereits war, schloss meine Augen und legte die Hände vor das Gesicht. Es war zu spät, der Fahrer hatte mich nicht gesehen, nicht gehört, einfach übersehen.

Ich presste meine Augen ganz fest zusammen, wollte nichts mehr sehen oder spüren, wollte nicht bei vollem Bewusstsein meinen eigenen Tod erleben.
WUSCH!
Und schon war es geschehen. Der weiße Lieferwagen erwischte mich frontal, ein heftiger Ruck durchfuhr mich, rüttelte und schüttelte mich durch. Es entstand ein unglaublicher Sog, der mich einige Meter nach hinten riss.

Dann war der Spuk vorüber, ich sank erschöpft zu Boden. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie das Auto unbeirrt weiter auf der Landstraße fuhr.
Als hätte es nicht gerade einen Menschen überfahren. Warum fuhr es einfach weiter? Warum sah der Fahrer nicht nach mir? Man muss doch bemerken, wenn man frontal einen Körper erfasst, oder nicht?


Erst Sekunden später dämmerte es mir. Ich spürte überhaupt keinen Schmerz, fühlte kein Blut. Warum? Vorsichtig tastete ich meinen Körper ab, aber es schien alles in Ordnung.
Wie konnte das sein? War ich nicht eben von einem Lieferwagen überfahren worden?


Was war hier los? Panik machte sich in mir breit und verseuchte nach und nach mein Hirn. Klares Denken war kaum mehr möglich. Ich versuchte krampfhaft, mich zu erinnern, irgendwelche versteckten Details in meinem Kopf aufzuspüren.


Eine Spritze! Für einen kurzen Moment tauchte eine aufgezogene Spritze in meinen Gedanken auf.


Was hatte es damit auf sich? Wurde mir vielleicht ein Medikament intravenös zugeführt?
Ich zog meine Jacke aus, schob die Ärmel hoch und tastete meine Arme nach Einstichen oder Pflastern ab. Und tatsächlich, ich fühlte etwas. Doch leider ließ die Dunkelheit keinen vernünftigen Blick darauf zu. Meine einzige Chance war das Tageslicht, ich musste nur Geduld haben. Ich legte mich an den Straßenrand auf meine Jacke und wartete.

Irgendwann fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Gefühlte zwölf Stunden später schlug ich meine Augen wieder auf und erblickte...nichts. Ein Meer aus Dunkelheit empfing mich, es hatte sich nichts geändert.


Wo zum Teufel war der Tag hin? Hatte ich ihn etwa komplett verschlafen? Verdammt noch mal, was war denn hier los? Ich wollte nur noch nach Hause, zurück in meine eigenen vier Wände.

Weg von dieser dunklen Straße, fort aus dieser immerwährenden Nacht und der Schwärze in meinem Kopf.

Was geschah während dieses Treffens mit den Studenten? Was hatte ich dort zu suchen und warum schüttete ich freiwillig diese eklige Plörre in mich rein, die sie unverschämter Weise Kaffee nannten?

Das Zeug schmeckte derart widerlich, dass ich jetzt noch kotzen möchte. Nach diesem lauwarmen Gesöff endete alles. Ich habe es getrunken und danach färbte sich mein Gedächtnis ebenso schwarz wie die Nacht, die mich umgab.

Plötzlich durchzuckte mich ein erneuter Blitz. Die Erinnerung schlug mit voller Wucht zu und haute mich um!

 

Ich hatte mich als Versuchskaninchen für eine Zeitreise bei diesen Studenten beworben. Gelockt hatte mich die unglaublich gute Bezahlung, die ich für meinen Sommerurlaub nutzen wollte. Aber irgendwas musste schief gelaufen sein.

Ich wollte zurück in die Vergangenheit, zurück an ein bestimmtes Ereignis geschickt werden. Aber das konnte unmöglich funktioniert haben, denn dann säße ich nun auf einer grünen Wiese voller Blumen und würde meinen verstorbenen Eltern gegenüber sitzen. Stattdessen hockte ich auf einer einsamen, endlos scheinenden, in vollkommene Schwärze gehüllte Landstraße. Tränen der Verzweiflung rannen über meine kühlen Wangen und brannten wie Feuer. Die Erinnerung an mein Vorhaben machten mir den Wahnsinn, den Albtraum meines Lebens erst so richtig bewusst.
Befand ich mich in einer Art Zwischenwelt? War bei dem Versuch irgendetwas schiefgelaufen? Jetzt drohte die Panik, die Oberhand zu übernehmen und meinen Verstand auszuschalten.

Ich war nicht mehr ich selbst, das stand außer Frage. Ein weißer Lieferwagen hatte mich überfahren und mir nicht einmal eine Schramme zugefügt.

Was war ich? Kein Mensch mehr? Gar ein Geist? War ich nun für den Rest meines Lebens dazu verdammt, hier auf dieser Straße herum zu spuken? Gab es für mich überhaupt noch einen Rest des Lebens?

Diese Studenten hatten mich hierher geschickt, aber offensichtlich keine Möglichkeit, mich wieder in meine, ihre Zeit zurück zu holen. Sie haben mir ein Mittel verabreicht, wie mein Arm mir verraten hatte, aber was für eines? Es musste irgendein Medikament gewesen sein, welches den Körper in einen anderen Zustand versetzt. In einen unverwundbaren vielleicht?
Oder in einen Narkoseähnlichen?
Ich wollte meinen alten Zustand wiederhaben! Sofort und auf der Stelle! Und zurück ins Jahr 2024 wollte ich auch. Nach und nach setzten sich alle Puzzleteile in meinem Kopf wieder zusammen und mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Ich hörte die Stimmen der Studenten, die wild durcheinander und gleichzeitig redeten.
"Was machen wir jetzt?"
"Die Dosis war zu hoch! Das wird sie umbringen!"
"Sie wird nicht in unsere Zeit zurückkehren können!"
"Wie konnte das passieren, Jeff? Wie hast du die Spritzen vertauschen können?"
"Ich weiß doch auch nicht, wie das geschehen konnte, Mitch. Was sollen wir nun tun?"
"Wir müssen es auf jeden Fall vertuschen. Niemand darf jemals erfahren, dass wir mit dem Serum von Professor Miller Selbstversuche durchgeführt haben."
"Aber was ist mit der Frau...?"
"Hast du gehört, Jeff? Niemals! Niemand darf erfahren, dass wir mit IFTT herumexperimentiert haben. Niemand! Unter keinen Umständen!"


Die wirren Stimmen waren keine Gesprächsfetzen mehr und alles ergab plötzlich einen Sinn.
Meine Erinnerung war komplett zurückgekehrt. Ich wusste sogar wieder, was IFTT bedeutete:

injection for time travelling

Allerdings half mir dieses Wissen nicht wirklich weiter. Ich saß hier unweigerlich fest, weil etwas schief gelaufen war. Wie konnte ich nur so dumm sein, mich auf so ein abenteuerliches Wagnis einzulassen?
Geld war das Motiv.
Für läppische zweitausend Euro hatte ich meine Seele verkauft und war nun für immer in diesem Nichts aus Dunkelheit gefangen.

Für mich gab es kein Morgen mehr, ich war gefangen im Gestern...

Impressum

Texte: Reggi67
Bildmaterialien: google.de
Tag der Veröffentlichung: 30.01.2012

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