„Bitte, bringen Sie mir etwas Wasser…ich habe solchen Durst“. Annas Stimme klingt nur noch wie ein leises Wimmern. Hoffentlich hört sie der Kerl hinter dieser dicken Eisentür. Im oberen Teil dieser wird das kleine Gitterfenster geöffnet. Ein bärtiger Mann schaut auf Anna herunter, die auf dem Boden kauert.
„Hast du was gesagt?“ fragt er gleichgültig. Anna atmet tief ein und bittet mit letzter Kraft um Wasser.
„Schon wieder? Du hattest doch erst gestern was!“ Flehentlich schaut Anna hoch.
„Bitte…“
„Na gut!“ raunzt er, „aber diesmal teil es dir besser ein. Noch mal geh ich dir keines holen!“
Er schlägt das Türfenster zu und Anna hört schwere Schritte, die sich entfernen. Sie leckt sich die aufgesprungenen Lippen und lehnt sich erleichtert an die dreckige Kerkerwand, die sie umgibt. Dieses Loch, in das man sie verschleppt hat, mag vielleicht acht oder neun Quadratmeter groß sein, wenn überhaupt…
Außer einem kleinen Gitterfenster oben unter der Decke gibt es nichts, was ihr ein wenig Licht spenden könnte. Sobald es draußen zu dämmern anfängt, wird es innen stockdunkel.
Leise fängt sie an zu weinen. Dann zuckt sie zusammen. Da war ein Schrei! Sie hat es ganz deutlich gehört. Und wieder...
„AAAAAAH! LASST MICH LOS, IHR SCHWEINE! NEIN! BITTE NICHT!“
Anna packt die Übelkeit, erneut schüttelt ein Weinkrampf ihren mittlerweile schwachen Körper durch. Sie hält sich die Ohren zu, aber die Schreie sind so laut, dass sie es immer noch hört. Zitternd schlingt sie ihre Arme um ihre Knie und wippt vor und zurück, summt ein Lied, um sich zu beruhigen. Minuten später herrscht wieder Ruhe und sie bekommt endlich ihr Wasser. Gierig trinkt sie es bis zur Hälfte aus und stellt es dann neben sich auf den Boden.
„Du solltest sorgsam damit umgehen, so schnell bekommst du keines mehr!“
Und wieder ist sie allein, allein mit ihren Fragen und Gedanken. Anna hat keine Ahnung, wie sie in dieses Verließ gekommen ist und warum. Wo mag sie hier sein? Mehrere Tage muss es mittlerweile dauern...
Außer diesem bärtigen Kerl, der vor ihrer Tür Wache hält, spricht niemand mit ihr. Ab und zu hört sie ihn mit anderen Frauen reden. Wo ist sie hier nur gelandet?
Ihre letzte Erinnerung ist der Mittwochabend. Der heftige Streit zwischen ihr und ihrem Freund Florian ist noch klar in Annas Bewusstsein, aber ab da ist alles schwarz, wie ausgelöscht.
Was ist nur passiert? Anna zermartert sich das Hirn, aber es will ihr einfach nichts Plausibles einfallen. Warum sitzt sie hier fest? Und all die anderen Frauen, die sie hört Und wo steckt Florian? Wieso hilft er ihr nicht? Erneut wird sie von einem Weinkrampf übermannt. Mittlerweile kommt keine Träne mehr, ihr Körper ist zu ausgetrocknet. Irgendwann schläft Anna erschöpft ein.
Wilde Träume begleiten ihren Schlaf.
Ihr Freund Florian eilt ihr zu Hilfe, aber er scheint es nicht zu schaffen...
Laute Männerstimmen lassen sie plötzlich hochschrecken. Es streitet sich jemand, dann fällt ein Schuss. Verschreckt kauert Anna in der hintersten Ecke ihres kleinen Gefängnisses, zieht die Knie ans Kinn und schlingt ihre Arme um ihre geschundenen Knie. Viel kann sie nicht erkennen, es muss noch Nacht sein. Sie vernimmt ein Klacken an der schweren Eisentür.
Knarrend wird diese langsam aufgeschoben und es tritt jemand herein. Schleppende Schritte nähern sich. Anna beißt vor Angst ihre Lippen auf, das Blut tropft herunter. Ihr Körper wippt hin und her, sie summt erneut ein Kinderlied, aber es hilft nicht.
Jemand steht vor ihr, sie spürt es ganz deutlich. Ihr Herz schlägt so sehr, dass sie es überall in ihrem Körper spürt.
Plötzlich packen grobe, kräftige Hände nach ihr und heben sie hoch.
Anna ist wie gelähmt, sagt kein Wort. Wehrt sich nicht, ist zu schwach. Die starken Pranken drücken sie gegen die eiskalte staubige Wand, reißen ihr die Kleider in Fetzen und werfen sie achtlos irgendwo hin.
Noch immer sagt die junge Frau nichts, kein Schrei oder Hilferuf entweicht ihrem Mund.
Der Mann, vermutlich der Bärtige, hält eine Waffe in seinen Händen. Anna sieht die Umrisse derer, ihre Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt. Der Kerl legt sie vielleicht einen oder zwei Meter links von ihr auf den Boden. Er glaubt, sie würde es nicht bemerken. Anna lässt die Waffe nicht mehr aus den Augen. Der Bärtige macht sich nun an ihrer Unterwäsche zu schaffen. Eilig streift er Slip und BH ab, Anna wird schlecht. Sie weiß, was gleich passieren wird und auch, dass sie es nicht verhindern kann. Dieser Kerl ist stark wie ein Bär und auch genauso haarig. Überall fühlt sie ihn und seinen ekelhaften Pelz, riecht seinen Schweiß. Ekel kriecht in ihr hoch und droht sich über den Oberköper ihres Peinigers zu ergießen. Nur mit Mühe kann sie verhindern, dass ihr Mageninhalt den Weg nach draußen findet. Sie schließt die Augen, versucht an etwas Schönes zu denken. Eine grüne Wiese mit bunten Blumen.
Aber der stinkende, haarige Kerl nimmt jeden Platz in ihrem Gehirn ein. Lässt keinen Gedanken an nur eine einzige Blume zu.
Lieblos schmeißt er sie auf den Boden. Überall spürt Anna seine wurstigen Hände, auch zwischen ihren Beinen. Schnaufend legt er sich auf sie.
Jetzt oder nie! In seiner Erregung nimmt er nicht wahr, dass Anna sich der Waffe nähert und versucht, sie zu greifen. Er glaubt, es sei nur ihre Gegenwehr. Das scheint ihn noch wilder zu machen. Trotz des schweren Gewichtes, das auf ihr liegt, schafft Anna immer näher an die Pistole zu gelangen. Es fehlen nur noch einige Zentimeter und sie wäre erlöst. Sie spürt, es wird nicht mehr lange dauern und er wird sein Glied in sie stoßen. Nur noch ein Stück, ein kleines Stück und ihre Finger berühren die Waffe. Sie muss es verhindern...sie muss! In diesem Moment legt der Bärtige eine Hand auf Annas Hals. Ihr wird bewusst, dass er sie umbringen will. Erst wird er sie vergewaltigen, dann grausam erwürgen. Panik bricht in ihr aus, sie fühlt ihren Körper nicht mehr, kann nicht mehr denken. Sie hört nichts mehr, nur ein lautes Rauschen vermischt mit dem Pochen ihres Herzens. Nur noch ein Stück, vielleicht ein Zentimeter fehlt, dann kann sie sich befreien.
Die Hand umschließt Annas Kehle noch fester, während ihre Finger nach der Waffe schlängeln. Endlich! Jetzt hat sie sie in ihrer Hand, zieht den Abzug und schießt dem Bärtigen in den Kopf. Er sackt umgehend zusammen und bleibt regungslos auf ihr liegen.
Langsam lässt Anna die Pistole sinken, dann wird sie ohnmächtig.
***
Eine vertraute Stimme dringt in Annas Unterbewusstsein. Florian kniet neben ihr und streichelt sie beruhigend.
„Wo ist er?“ Anna schaut an sich herunter. Der Bärtige ist weg, endlich kann sie wieder atmen. Eine Decke verhüllt und wärmt sie stattdessen. Trinken darf sie, endlich! Sie schaut sich um und sieht Polizisten, die offensichtlich nach Spuren suchen.
„Was ist passiert?“
Behutsam streichelt Florian Annas Kopf.
„Ich glaube, ich habe mir da einen falschen Freund ausgesucht.“
„Du meinst John?“
Schlagartig wird ihr bewusst, dass er an dem Streit mit Florian maßgeblich beteiligt war. Sie hat ihm nie über den Weg getraut, er war ihr immer suspekt.
Florian nickt schuldbewusst.
„Ich habe dich nach unserem Streit mit ihm allein gelassen. Das war ein großer Fehler.“
Annas Erinnerung kehrt zurück.
„Ich habe noch ein Glas mit ihm getrunken und von da an ist alles schwarz.“
„John hat dich betäubt und dann hier her verschleppt…“
Er brach ab. „Es tut mir so leid, Anna.“
Die junge Frau legt einen Finger auf seine Lippen.
„Pssst…Hauptsache ist, dass alles gut wird. Wie geht es den anderen Frauen?“
„Sagen wir den Umständen entsprechend. Ihnen ist ähnliches widerfahren wie dir. Ich werde es mir nie verzeihen, dass ich dich mit diesem Schwein allein gelassen habe! Wenn ich das gewusst hätte…“
„Eben. Du konntest es gar nicht wissen.“
Der Arzt, der Anna untersucht und versorgt hatte, ist längst wieder weg, ebenso wie die Polizisten. Sie ist allein mit Florian, eine unerklärliche Angst macht sich in ihr breit.
Anna sieht ihren Freund eindringlich an.
„Woher wusstest du eigentlich, dass ich hier bin?“
Vorhin hat er kurz allein mit einem Polizisten geredet. Was hat er ihm gesagt? Wieso ist niemand mehr hier?
„Ich habe alle fortgeschickt.“ Lächelnd zündet Florian sich eine Zigarette an. "Sind ja meine Untergebenen, wie du weißt."
"Ja, dessen bin ich mir bewusst, umsonst bist du ja nicht Hauptkommissar geworden"...flüstert Anna.
„Ich habe versprochen, dich mit meinem Wagen ins nächste Krankenhaus zu bringen. So haben wir uns den Rettungswagen gespart. In zwei Stunden machen sie hier weiter.“
Florian nimmt einen tiefen Zug und pustet den Qualm in Annas Gesicht.
„Ich musste handeln. Unser Ring drohte aufzufliegen.“
Annas Kehle ist plötzlich wie zugeschnürt, sie kann kaum noch atmen. Entsetzt sieht sie dem Mann in die Augen, den sie liebt.
„Dann hast du John an deine Kollegen verraten? Um deine eigene Haut zu retten?“
Florian grinst hämisch und drückt seine Zigarette neben ihr aus.
„Sag Gute Nacht, Liebling.“
Langsam legen sich seine starken Hände auf ihren Hals.
Texte: Alle Rechte bei der Autorin
Bildmaterialien: google
Tag der Veröffentlichung: 26.03.2011
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