Cover

Zwischen den Stühlen 2

Und wie sollte ich Yvonne beibringen, dass ich ihren Traummann geküsst hatte? Oder hatte er mich geküsst? Nein, wir uns! Egal, sie würde mir das bestimmt niemals verzeihen. Das konnte ich ihr nicht antun.
„Wie war es denn noch mit Martin?“ Wie gewohnt schmatzte Yvonne am Telefon.
„Och weißt du, er hat sich ein Taxi bestellt und ist bald nach euch ebenfalls heimgefahren.“ Die Wahrheit wollte einfach nicht über meine Lippen. Ich wollte ihr diesen herrlich sonnigen, aber winterlichen Sonntagvormittag nicht verderben. Oder mir?
„Und du und Lars? Seid ihr sofort nach Hause?“ fragte ich neugierig.
„Klar, dein Lehrer wollte unbedingt schnell ins Bettchen.“
Mein Magen verkrampfte sich. Ins Bettchen? Was meinte sie denn damit? Wieder keimte eine leise Eifersucht in mir auf.
„Wie ins Bett?“
Yvonne ließ eine Kaugummiblase platzen und sagte dann gleichgültig:
„Der war wohl ziemlich müde und wollte schlafen. Der Taxifahrer hat ihn als erstes abgesetzt und sich köstlich über Lars ständiges Gähnen amüsiert.“ Yvonne lachte.
Erleichterung machte sich in mir breit.
„Aber dafür habe ich jetzt die Telefonnummer von dem heißen Taxifahrer.“
„Und? Wie ging es weiter?“
„Ich bin noch ein bisschen bei ihm im warmen Auto sitzen geblieben und wir haben uns unterhalten. Dabei habe ich erfahren, dass er eigentlich studiert und der Fahrdienst nur ein lukrativer Nebenjob ist. Gott sei Dank, ich dachte schon, der wäre so ein armer Tropf.“
Yvonne lachte laut auf, aber ich stimmte nicht mit ein. Mir war nicht danach. Allein wenn ich an morgen dachte, meinen nächsten Arbeitstag, wurde mir ganz schlecht. Wie sollte ich Martin nach unserem heißen Kuss gegenüber treten? Ich hatte keine Ahnung.
„Hast du eigentlich mit Martin über mich gesprochen? Wie findet er mich?“
Ich hatte gehofft, Yvonne würde mich aufgrund ihrer neuen Taxi fahrenden Errungenschaft nicht mehr auf Martin ansprechen. Was sollte ich ihr bloß sagen?
„Tja“, druckste ich herum, „wenn ich ehrlich sein soll, dann haben wir eigentlich gar nicht mehr so viel miteinander geredet.“
Mit schlechtem Gewissen erwartete ich ihre Reaktion.
„Schade“, sagte sie schmatzend, „aber lass uns doch einfach nächstes Wochenende noch mal so ein Vierertreffen veranstalten. Was hältst du davon?“
Ein mulmiges Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Überhaupt nichts hielt ich davon. Aber das konnte ich ihr schlecht sagen.
„Ich kann zumindest versuchen es einzurichten. Aber erst in zwei Wochen, wenn Chris wieder bei Karsten ist, okay?“
„Natürlich Süße, ist doch selbstverständlich. Derweil vertreibe ich mir dann die Zeit mit meinem heißen Taxifahrer“, plante Yvonne und ließ wieder eine Kaugummiblase platzen. Erleichtert atmete ich auf, denn nun hatte ich noch zwei Wochen Galgenfrist und konnte an der Lösung meines Problems arbeiten.

Schneller als mir lieb war, ging der Sonntag herum und ich musste zur Arbeit.
Martin hatte mich schon an der Tür mit einem liebevollen Lächeln begrüßt. Eine wohlige Wärme durchfuhr mich, als ich seinen dunklen Augen begegnete. Fast zärtlich schaute er mich an und nickte mir zu. Freundlich grüßte ich zurück und richtete meinen Arbeitsplatz ein. Doch die Konzentration ging gen Null und ich war froh, als endlich der Feierabend eingeläutet wurde. Dennoch war ich fast die Letzte, die das Büro gerade verlassen wollte, als Martin mich ansprach:
„Frau Freitag, bitte kommen Sie doch noch kurz in mein Büro.“
Ich wartete, bis auch Uta, meine Kollegin, das Gebäude verlassen hatte und ging dann zu Martin ins Büro.
„Endlich“, flüsterte er. Wie selbstverständlich legten sich seine Arme um meine Taille.
Mein Körper verkrampfte sich, obwohl es mir nicht unangenehm war.
„Was ist mit dir?“ fragte Martin unsicher. Er spürte sofort, dass er statt einer Frau einen Betonklotz im Arm zu halten schien. Ich seufzte schwer, doch als seine weichen Finger über mein Gesicht strichen, entspannte sich meine Körperhaltung. Automatisch kam ich ihm entgegen und unsere Lippen fanden sich erneut zu einem langen, innigen Kuss. Die Büros waren nicht gerade gemütlich, aber das störte uns nicht. Martin ließ seine weichen Lippen über meinen Hals wandern und ich seufzte leise. Als er dann seine Zunge mit ins Spiel brachte, die sich in meiner Halskuhle verirrte, war es um mich geschehen. Mein verhaltenes Seufzen entwickelte sich mehr und mehr zu lustvollem Stöhnen. Fordernd presste Martin mich an sich und die Härte in seiner Hose machte mich noch gieriger auf ihn. Meine Hand wanderte unter sein Hemd und ertastete erstmals seine Haut. Sie war herrlich warm und weich. Neugierig setzte ich meine Reise auf seinem Oberkörper fort. Plötzlich drang ein leises Klingeln an meinem Ohr. Es kam aus meiner Tasche. Mein Handy! Das wurde langsam zur Gewohnheit, dass ich genau in solchen Momenten gestört werde.
„Geh nicht ran, Sonja…“ hauchte Martin heiser.
„Ich muss. Es könnte wichtig sein, auch wegen Chris, meinem Sohn.“
Dafür hatte Martin Verständnis und entließ mich aus seinen Fängen. Ein Blick auf das Display verriet mir, dass es Lars war, der mich anrief. Das war das erste Mal überhaupt, dass er mich anrief. Ich hatte seine Handynummer erst an diesem gemeinsamen Abend zu viert bekommen. Ich wollte unbedingt, dass er mich anruft. Aber doch nicht ausgerechnet jetzt. Ich zupfte an mir herum, bis ich wieder ansehnlich aussah, schnappte mir meine Tasche und ließ den total verdutzten Martin einfach stehen.
„Es tut mir leid, ich kann nicht, Martin!“
„Ich muss weg, weg von dir…“
Die letzten Worte waren nur ein Flüstern und Martin hörte sie nicht.
Schnell huschte ich durch die Tür, flüchtete zu meinem Auto und startete den Motor. Was hatte ich getan? Tränen stiegen mir in die Augen und ich ließ den Kopf auf das Lenkrad sinken. Wieder schrillte mein Handy. Doch auch diesmal ging ich nicht ran. Was sollte ich Lars auch sagen? Er würde an meiner Stimme hören, dass etwas nicht stimmt. Ich war einfach zu feige ihm die bittere Wahrheit zu gestehen. Das Handy klingelte erbarmungslos weiter und ich hob meinen Kopf vom Lenkrad zum Rückspiegel.
„Oh Gott, ich seh ja furchtbar aus!“ dachte ich erschrocken und versuchte, mein Gesicht einigermaßen wieder in Ordnung zu bringen.
Schweren Herzens ignorierte ich Lars hartnäckige Anrufe und fuhr nach Hause. Dort fand ich Chris in der Küche sitzend vor.
„Was ist denn mit dir los, Mama?“ fragte er besorgt. „Du siehst aber gar nicht gut aus.“
Er schien sich wirklich Sorgen zu machen und ich versuchte, ihn zu beruhigen.
„Ich hatte ein bisschen Stress auf der Arbeit heute. Mach dir keine Sorgen.“
Skeptisch sah er mich an.
„Wirklich?“
„Ja wirklich“, sagte ich lächelnd.
„Dann ist es also okay, wenn ich mich jetzt auf den Weg zu Ali mache?“
Natürlich, heute war das wöchentliche Fußballtraining. Da ging er immer zusammen mit Ali hin.
„Natürlich Schatz, geh nur! Ich wünsche dir viel Spaß und jede Menge Tore.“
Lachend klopfte ich ihm auf die Schulter. Chris schnappte sich seine Sporttasche, die immer griffbereit in der Diele platziert war und machte sich auf den Weg zu seinem Kumpel.
Ausnahmsweise war ich froh, allein zu sein. Ein heißer Kaffee musste her, mir war saukalt. Irgendwie fror ich innerlich, ich wurde einfach nicht warm. Zitternd ließ ich mich auf einen Küchenstuhl sinken und wartete, bis der Kaffee durchgelaufen war. Im Wohnzimmer hüllte ich mich in meine flauschige Decke und schlürfte das heiße Schwarz. Wie gern ich jetzt Yvonne anrufen und mich ihr mitteilen würde. Doch ab diesem Zeitpunkt schied sie aus, war längst aus dem Rennen als Ansprechpartner. Sie war selbst an Martin interessiert. Wie könnte ich mich da bei ihr ausheulen! Also schnappte ich mir das Telefon und rief meine Freundin Simone an. Das war viel unkomplizierter, denn sie kannte keinen der beiden Herren und war somit nicht voreingenommen. Geradezu perfekt!

Schallendes Gelächter erreichte mein Ohr. Ich fragte mich, ob Simone wirklich die richtige Wahl war. Denn im Gegensatz zu ihr brachte meine Situation mich so gar nicht zum Lachen. Schade eigentlich, denn seit dieser Geschichte hatte ich tatsächlich kaum noch gelacht, obwohl ich nicht unglücklich war.
„Warum behältst du nicht einfach beide Männer? Offenbar tun dir doch beide gut, oder?“
Simone sagte das in einem Ton, als wäre es das normalste von der Welt. Das war es aber nicht, jedenfalls nicht für mich. Ich hasste Menschen, die sich nicht für einen Partner entscheiden konnten. Und ausgerechnet ich befand mich jetzt in solch einer Situation.
Ich dumme Nuss!
Beide Männer machten mich verrückt. Lars Nähe ließ meinen Körper glühen wie einen Hochofen. Alles in mir kribbelte und mein Herz raste wahnsinnig. Bei Martin fühlte ich mich geborgen, begehrt und verstanden. Seine Nähe ließ unzählige Schmetterlinge in meinem Bauch tanzen. Wie also sollte man sich da entscheiden können?

Impressum

Texte: Alle Rechte an Texten liegen bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 06.03.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für alle, die sich nicht entscheiden können oder wollen...

Nächste Seite
Seite 1 /