„Hey Dina.“ Mit der Begrüßung kroch ihr ein unangenehmer Duft in die Nase.
Angewidert drehte die junge Frau ihren Kopf zur Seite.
„Hast du was getrunken?“ Eigentlich war die Frage überflüssig. Thomas hatte so viel getrunken, dass man es wahrscheinlich Meilenweit roch. Ob man wollte oder nicht…
Das grenzte schon an Körperverletzung, was Thomas da trieb.
„Oooch, nur ein ganz kleines Bisschen“, lallte Thomas und machte eine ungeschickte Geste mit seinem Daumen und dem Zeigefinger.
Zumindest reichte es aus, um Dina allein durch seinen Atem trunken zu machen.
„Du siehst heute besonders hübsch aus“, säuselte Thomas weiter. Dina verdrehte die Augen und sah ihren besten Freund sträflich an.
„Thomas, ich fahre dich jetzt nach Hause und dort wirst du erst einmal deinen Rausch ausschlafen, versprichst du mir das?“ Damit war dann wohl der geplante Kinoabend gestorben.
„Aye Aye Sir!“ Thomas versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen, aber es kam nur ein Lallen aus seinem Mund. Dina hievte den schweren Thomas auf den Beifahrersitz, schnallte ihn an und fuhr vorsichtig los. „Nicht, dass er mir in den Wagen kotzt“, dachte sie und sah ihn von der Seite an.
Ein paar Minuten später waren sie bereits an seiner Wohnung angekommen. Dina brachte den torkelnden Thomas nach oben, sie war nicht sicher, ob er das noch allein schaffen würde.
Nach mühevollen Minuten lag dieser endlich in seinem Bett. Dina wollte gerade gehen.
„Ich liebe dich“, flüsterte er leise. Erschreckt horchte die junge Frau auf. Was hatte er da gesagt? Sie musste sich verhört haben. Nein, er hatte tatsächlich die drei Worte gesagt.
„Das liegt an der Wirkung des Alkohols, ganz bestimmt sogar“, redete sich Dina ein.
Thomas konnte sie nicht lieben, nein! Sie waren Freunde und wollten es auch bleiben. Ein fester Ruck zerrte sie aus ihren Gedanken und kurz später fand sie sich neben Thomas im Bett.
„Du bist betrunken, Thomas. Und du liebst mich auch nicht, wir sind beste Freunde.“
Dina versuchte, die Situation und sich aus dem festen Griff von Thomas zu retten. Doch er hatte, obwohl er so voll war, eine unbändige Kraft. Er zog Dina ganz nah an sich heran. Als sein alkoholisierter Atem ihr Gesicht streifte, kroch Übelkeit in ihr hoch. Thomas nahm Dinas Gesicht in seine Hände und presste seinen Mund auf ihre Lippen. Dina kämpfte mit ihrer Übelkeit und versuchte gleichzeitig, sich aus der Umarmung zu befreien. „Hör auf dich zu wehren. Du willst es doch auch“, hörte sie Thomas lallen. Energisch schüttelte sie ihren Kopf. „Lass mich los, ich will das ni…!“
Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment steckte Thomas seine Alkoholgetränkte Zunge in ihre Mundhöhle. Ekel überkam sie, ein kalter Schauer lief über ihren verkrampften Rücken. Seine Hände waren überall auf ihrem Körper, viel zu grob machte er sich an ihrem Busen zu schaffen. Es tat weh! Dina spürte, wie das letzte Essen des Tages langsam durch ihre Speiseröhre nach oben kroch und konnte gerade noch ihren Kopf nach links drehen. Das noch fast unverdaute Essen landete auf Thomas Kopfkissen. Der schaute erst angewidert auf die Lache neben sich und dann auf Dina. Sein finsterer Blick machte ihr Angst und sie nutzte den Moment, um aus seiner Wohnung zu flüchten. Beim Herunterhechten der Treppen stolperte sie. „Autsch!“ schrie sie und hielt sich den Fuß. Weiter oben öffnete sich langsam eine Wohnungstür. Dinas Herz fing an zu rasen, sie konnte kaum noch atmen. Ohne einen Blick nach hinten zu riskieren, stürzte sie mit Schmerzen einfach weiter nach unten zur rettenden Haustür. Sie sog die frische Luft tief ein und humpelte zu ihrem Wagen.
„Geh doch auf, du verdammte Scheißtür!“
Ihre zitternden Hände hatten Mühe, die Autotür zu öffnen.
„Dina, warte! Ich habe es nicht so gemeint“, hörte sie Thomas hinter sich.
„Ich muss weg hier! Ganz schnell weg hier!“ hämmerte es in ihrem Schädel. Sie spürte Thomas näher kommen und eine unbändige Angst überkam sie. „Geh weg! Lass mich in Ruhe!“ schrie sie ihre Verzweiflung heraus. Endlich klickte das Schloss und Dina konnte in das rettende Fahrzeug steigen. Sofort verschloss sie die Tür von innen und ließ den Motor an. Er surrte leise, ließ sich aber nicht starten. „Verdammt, das kann doch nicht wahr sein!“ heulte sie laut auf. Thomas hämmerte gegen die Scheibe der Fahrerseite. Dina sah seinen Mund, sah, wie er Worte formte, aber sie hörte ihn nicht, wollte ihn nicht hören.
Endlich! Der Wagen sprang an und Dina fuhr mit quietschenden Reifen davon. Im Rückspiegel sah sie Thomas auf der Straße stehen. Er wurde immer kleiner und kleiner, bis er ganz verschwunden war. Jetzt konnte Dina ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Sie weinte und weinte und weinte. Die Straße war kaum noch zu erkennen unter ihrem Tränenschleier. In sicherer Entfernung von Thomas Wohnung hielt sie auf einem Parkplatz an. Dina schrie los, so laut sie konnte. Ihre Fäuste hämmerten gegen das Lenkrad, bis sie wehtaten.
„Warum hast du das gemacht? Wieso hast du das getan?“ Immer und immer wieder schrie sie dieselben Worte. „Warum? Warum? Warum?“
Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis Dina sich einigermaßen beruhigt hatte, um den Rest der Fahrt antreten zu können.
Zuhause angekommen ließ sie ein heißes Bad ein, zog ihre nach Alkohol stinkenden Klamotten aus und stopfte sie in die Waschmaschine. Danach reinigte sie Minutenlang ihre Zähne. Doch der eklige Geschmack blieb. Ihr Blick fiel auf ihr Mundwasser. Gierig ließ sie viel zu viele Tropfen in ein Glas mit Wasser plumpsen und versuchte damit, diese eklige Mischung aus Kotze und Alk weg zu spülen. Aber der bittere Geschmack blieb.
Dina nahm das Telefon aus der Basis und tauchte in das wohlig warme Nass ein.
Ihr Telefon, das auf dem Badewannenrand stand, blinkte und blinkte. Zittrig schaute sie auf die Nummer und stellte fest, dass Thomas sie mindestens Acht mal angerufen hatte. Angewidert dachte sie an seine erregte Stimme und drückte langsam auf die Löschtaste.
Wieder klingelte das Telefon. Ein Blick auf das Display verriet Dina, dass Thomas erneut versuchte, sie zu erreichen. „Lass mich in Ruhe, du verdammter Mistkerl!“ Aber das Telefon schrillte unaufhörlich weiter. „Ich dachte, wir wären Freunde…“ stellte sie traurig fest, schlug die Augen nieder und tauchte ganz in das Nass ein. Hier unten hörte sie das Klingeln nicht…
Als sie ganz langsam wieder nach oben glitt, war das Telefon längst verstummt.
Es verging Tag für Tag und Thomas rief immer noch an, jeden Tag, fast jede Stunde. Dina konnte nicht mit ihm reden, zu tief saß der Schmerz noch.
***
„Wenn er sich doch entschuldigen will, Dina.“
Ungläubig sah sie ihren Bruder Nils an.
„Sei doch nicht so hart mit dem armen Kerl“, versuchte er, an ihr Gewissen zu appellieren.
Jetzt war Dina geschockt. Diese Worte versetzten ihr einen Stich ins Herz.
„Das ist nicht dein Ernst, Nils, oder?“
„Schau, der arme Kerl bereut sein Missgeschick ganz offensichtlich. Und du bist doch gar kein nachtragender Mensch.“
Dina musste daran denken, wie sie Thomas vor fast fünf Jahren kennen gelernt hatte. Nils hatte ihn damals zu ihrer Geburtstagsparty angeschleppt.
Sie verstanden sich auf Anhieb und Dina mochte ihn sofort. Im Laufe der Zeit entwickelte er sich zu ihrem engsten Vertrauten. Sie teilte jedes Geheimnis mit ihm und wenn es noch so intim war. Immer enger wurde ihr Kontakt und eine Zeitlang sahen sie sich täglich. Irgendwann hatte Dina einen Mann kennen gelernt. Thomas konnte damit nicht umgehen, überhaupt nicht. Damals fing es langsam an, zu bröckeln. Obwohl immer klar war, dass zwischen den beiden nur Freundschaft existierte. Dina hatte in all den Jahren nie einen Zweifel daran gehegt. Sie selbst hatte immer nur freundschaftliche, fast geschwisterliche Gefühle für Thomas. Umso größer war für sie der Schock, den sie vor einigen Tagen mit ihm erlebte. Eine Träne löste sich und floss über ihre Wange herunter zum Kinn.
„Ach Kleines, ist es denn wirklich so schlimm?“ fragte Nils und legte einen Arm um seine kleine Schwester. Sie nickte nur stumm und sah ihn mit traurigen Augen an.
Es vergingen weitere Tage und Wochen, ohne dass Dina den Kontakt zu Thomas zuließ. Er war sehr hartnäckig, das musste man ihm lassen. Immer noch rief er jeden Tag bei ihr an oder trällerte den Anrufbeantworter voll. Entschuldigte sich tausend Mal und sang Lieder für sie.
In strömendem Regen stand er unter ihrem Fenster. Hängte sich Schilder um den Hals mit der Aufschrift: „Verzeih mir!“ „Ich war so ein Idiot!“ und „Gib unserer Freundschaft noch eine Chance!“ Dina hatte sie nach und nach alle vom Fenster aus gelesen, aber sie blieb hinter der Gardine versteckt, wollte sich ihm nicht zeigen. Zu groß war noch immer der Schmerz dieses Vertrauensmissbrauchs. Auch seine Briefe, die er ihr regelmäßig schrieb, las Dina.
Nach und nach verschwanden die Wut und die Zweifel. Aber erst Wochen später war sie bereit, sich mit Thomas an einen Tisch zu setzen und ihm zuzuhören. Nils war bei diesem Treffen dabei, darauf hatte sie bestanden.
Thomas sah sehr schlecht aus, abgemagert und blass. Er musste die Hölle hinter sich haben. Eine andere Hölle als sie selbst, aber eine Hölle…
***
„Ich find es so toll, dass wir endlich wieder zusammen tanzen gehen“, sagte Thomas erleichtert und strahlte Dina an. Nach langer Zeit standen sie endlich wieder einmal zusammen in ihrer Lieblingsdisko, dem Tanzpalast. Die Stimmung war gut, heiter und ausgelassen tanzten sie Stundenlang. Irgendwann später am Abend näherte sich den beiden zaghaft ein junger Mann. Fragend schaute er Dina an. Sie wusste genau, was er wissen wollte, ließ ihn aber noch ein wenig zappeln. Er gefiel ihr, keine Frage. Der junge Mann war etwas größer als sie, trug seine hellbraunen Haare frech kurz und hatte einen offenen Blick. Die moderne Brille brachte seine blauen Augen noch mehr zur Geltung. Und Dina flirtete nur zu gern mit ihm. Auch Thomas war diese Tatsache nicht entgangen. Seine eben noch zufriedene Miene verdüsterte sich und mit finsterem Blick beobachtete er die beiden. Je mehr er von dieser knisternden Atmosphäre zwischen den beiden aufsog, desto mehr veränderten sich seine Gesichtszüge, bis hin zu einer bösen Fratze. Als Dina irgendwann die Toilette aufsuchte, fasste er die Gelegenheit beim Schopfe. Langsam ging er auf den jungen Mann zu. Sein zorniger Blick verriet seine Gefühle, die sich in seinem Innern abspielten. Mit ruhiger, fester Stimme sagte er: „Ich will ja kein Spielverderber sein, aber lass die Finger von meiner Freundin.“ Irritiert sah der junge Mann Thomas an. In seinen Augen standen Fragezeichen. Thomas hatte noch nicht mal gelogen, denn Dina war ja seine Freundin. Nur eben nicht so, wie er es gern hätte. Seit sie damals diese unsägliche Affäre mit diesem Lackaffen hatte, wusste er, dass er sie liebt. Immer lieben würde, bis ans Ende seiner Tage.
„Lass es einfach, Junge. Ist gesünder für dich!“ Mit abwertendem Blick musterte Thomas den jungen Mann von oben bis unten. „Was sie wohl an dir Kauz finden mag?“ fragte er mehr sich selbst und ging mit festem Schritt wieder zurück an den Tisch. Kurz später kam Dina zurück und gesellte sich zu ihm. Sie wollte nicht den ganzen Abend mit dem netten jungen Mann flirten und ihn deswegen vernachlässigen. Ihre Augen aber suchten die seinen, doch er drehte sich weg. „Was ist denn mit Sven los?“ wunderte sie sich.
„Wer soll das sein?“ Thomas gab sich betont lässig.
„Ach Tommi“, sagte sie liebevoll, „bekommst du denn gar nichts mit? Ich habe doch die ganze Zeit mit ihm getanzt.“ Dina strahlte Thomas an.
„Ach so, den meinst du. Ich wusste ja nicht, wie der Typ heißt. Keine Ahnung, was dem über die Leber gelaufen ist“, meinte er dann achselzuckend.
Dina und Thomas tanzten noch einige Male. Dina versuchte immer wieder, Blickkontakt mit Sven auf zu bauen, aber es gelang ihr nicht. Irgendwann gab sie auf und die beiden verließen die Disko am frühen Morgen.
„Trinken wir bei dir noch einen Kaffee?“ Thomas wollte noch mit in ihre Wohnung. Unwohlsein breitete sich in ihrem Körper aus. Sie sah auf ihre Uhr.
„Lieber nicht, ich bin müde, es ist ja schon vier.“
Enttäuscht sah Thomas sie an. „Schade, aber wenn du so müde bist.“
Sie stieg in ihren Wagen und drehte die Scheibe herunter.
„Nicht böse sein, ok?“ Liebevoll lächelte sie Thomas an.
„Gute Nacht, Tommi, schlaf gut!“
„Du auch, Dina. Es war ein schöner Abend. Ich rufe dich an.“
Winkend brauste Dina davon. Thomas Heimweg war nicht lang. Außerdem vermied sie immer noch Situationen, in denen sie allein mit ihm sein könnte. Unter normalen Umständen hätte sie ihn liebend gern auf einen Kaffee mit nach Hause genommen. Aber seit diesem Vorfall war alles anders…
***
Die nächsten Samstage verbrachten sie fast immer im Tanzpalast. Und jedes männliche Wesen, das sich Dina auch nur näherte, wurde systematisch mit Blicken von Thomas in die Flucht geschlagen. Auch Sven war Dina einige Male dort begegnet. Sie konnte ihn nicht vergessen, dachte oft an den einen Abend. Dina begrüßte ihn jedes Mal mit einem strahlenden Lächeln, aber mehr als ein Kopfnicken kam von ihm nicht mehr. Thomas war zu einem Bodyguard mutiert und wich seiner Dina kaum mehr von der Seite. Von diesen Svens gab es einfach zu viele auf dieser Welt und er wollte keinen einzigen verpassen. Bisher hatte er mit diesem Bulldoggen-Blick jeden in die Flucht schlagen können, der auch nur ansatzweise Interesse an seiner schönen Begleitung zeigte. Dina war so unbekümmert, nichts bekam sie von dem mit, was sich hinter, vor und neben ihr abspielte, wenn sie im Tanzpalast waren. Thomas benahm sich wie auf dem Schlachtfeld, so als gehöre Dina ihm. Dabei kann ein Mensch niemals Besitz eines anderen sein. Trotzdem markierte er ständig sein Revier.
Erst Wochen später fing Dina an, sich Sorgen zu machen. Sie fragte sich, warum kein Mann sie mehr ansprach, niemand mehr mit ihr flirtete und vor allem, warum Sven sich so seltsam benahm. In ihrer unendlichen Naivität zog sie ein Mitwirken von Thomas gar nicht erst in Betracht.
Bis an einem Samstagabend ihre beste Freundin Beate mit in den Tanzpalast ging.
Innerhalb Sekunden hatte sie durchschaut, welch fatales Spiel Thomas trieb. Sven war an dem Abend auch da und Dina zeigte ihn stolz ihrer Freundin.
„Schmuckes Kerlchen. Du hast Geschmack, das muss man dir lassen.“ Anerkennend musterte sie den jungen Mann.
Doch Sven gab sich betont gleichgültig. Dieses Verhalten machte Dina noch immer traurig.
„Was ist denn los?“ fragte Thomas scheinheilig, denn er war sich genau darüber bewusst, worum es im Gespräch der beiden jungen Frauen ging.
„Kann sie diesen Kerl denn nicht endlich einfach vergessen?“ Wut stieg in ihm hoch und er musste sich beherrschen. Was wollte sie von so einem Weichei, wenn sie ihn, Thomas, haben konnte? Er verstand einfach nicht, was sie an all diesen Hohlköpfen fand.
Was hatten diese Typen, das er nicht hatte? Solche Einfallspinsel konnten ihm doch gar nicht das Wasser reichen. Automatisch streckte er seine männliche Brust hervor.
Dina und Beate waren inzwischen auf die Tanzfläche gegangen. Thomas hatte gar nicht bemerkt, dass er längst allein am Tisch stand. Allein, mit seinen Gedanken und Gefühlen.
Beate nutzte den Moment für ein Gespräch mit ihrer Freundin.
„Ich weiß jetzt, warum dich keine Männer mehr ansprechen.“
Dina schaute ihre Freundin verwundert an.
„So? Und warum? Bin ich über Nacht zu einem hässlichen Monster mutiert?“ Dina lachte bitter.
„Du nicht, aber Thomas.“
Jetzt war Dina irritiert.
„Thomas ist für deine unfreiwillige Abstinenz verantwortlich. Ob du es glaubst oder nicht.“
Dina lachte ungläubig.
„Soso…und wie sollte er das anstellen? Allen Männer, die hier verkehren, erzählen, dass ich verheiratet bin?“ Sie schüttelte ihren blonden Lockenkopf. „Nein! Du musst dich irren, Beate!“
„Dina, sei doch nicht immer so verdammt naiv. Schau mal in den Spiegel! Du bist wahnsinnig hübsch und normalerweise machen dich die Männer gerade hier in diesem Schuppen reihenweise an!“ Sie machte eine kurze Pause.
„Und du machst dir doch selbst schon längst Gedanken über diese Veränderung. Wie bitte erklärst du dir das Verhalten der Männer?“
Jetzt war Dina verunsichert. Für einen kurzen Moment dachte sie über diese Möglichkeit nach. Was wäre, wenn Thomas tatsächlich dahinter stecken würde? Ihr wurde flau und sie ging zur Toilette.
„Was ist denn mit Dina? Sie ist plötzlich so blass geworden. Geht es ihr nicht gut?“ fragte Thomas Beate, die sich wieder zu ihm an den Tisch gesellte.
„Ich geh mal nach ihr schauen.“
Beate und Dina beschlossen, Thomas zu beobachten, um Beates Behauptung untermauern zu können. Und vor allem, um Dina davon zu überzeugen, dass Thomas ein falsches Spiel mit ihr trieb.
Die Stunden im Tanzpalast vergingen und Thomas schlug sämtliche Männer in die Flucht. Allein durch diesen Kampfblick, den er aufsetzte, verscheuchte er die meisten Interessenten.
Die Hartnäckigen wurden verbal ausgeschaltet, sobald Thomas sich unbeobachtet fühlte.
Dina traute ihren Augen nicht, ihre Enttäuschung wuchs ins Unermessliche.
Dann machte sich eine unbändige Wut in ihr breit! Nach und nach wurde ihr klar, warum Sven sie nicht einmal mehr anlächelte. Fassungslos stand sie auf der Tanzfläche, während Thomas die Männer arglistig täuschte.
Der Sanitärbereich war der einzige Ort, an dem die beiden Frauen ungestört reden konnten. Beate zog Dina hinter sich her und verlegte ihre Unterhaltung geschickt dorthin.
Die Tränen liefen unaufhörlich über Dinas Wangen.
„Wie kann er so etwas tun? Warum macht er das nur?“ Laut schluchzend fiel sie Beate um den Hals.
„Ja, so ist gut. Lass alles raus, Süße.“ Beate streichelte ihr behutsam über die Haare.
Mit einem Mal durchfuhr Dina ein Ruck und sie richtete sich auf.
„Was glaubt der Kerl eigentlich, wer er ist? Dem wird ich’s zeigen!“
Sie wischte sich vor dem Spiegel das verschmierte Gesicht sauber.
„Was hast du vor?“ fragte Beate besorgt.
„Das wirst du schon sehen. Jetzt ist Schluss mit lustig!“
„Bitte pass auf, Dina. Ich glaube, Thomas ist völlig durchgeknallt und zu allem fähig“, warnte Beate ihre Freundin.
„Gibst du mir etwas von deiner Schminke? Ich kann mich ja kaum so auf die Tanzfläche wagen.“
Lächelnd reichte Beate ihr das kleine Schminktäschchen. Einige Minuten später sah Dina so aus, als wäre nichts gewesen. Sie gingen zurück in den Tanzbereich. Zielstrebig steuerte Dina auf Sven zu, der gerade allein an der Bar stand.
„Hallo Sven“. Überrascht drehte er sich um.
„Hallo Dina.“
„Tanzt du mit mir?“
Dina bemerkte, wie Svens Blick zu Thomas hinüber glitt, der ihn bitterböse ansah.
Er überlegte kurz, nahm dann Dinas Hand und ging mit ihr auf die Tanzfläche.
„Ich hoffe, dein Freund kann mit einem Tanz zwischen uns umgehen, der ist ja eifersüchtig wie ein Tier.“ Sven warf einen kurzen Blick zu Thomas, der gerade dabei war, sich in eine Bulldogge zu verwandeln.
„Das ist zwar ein Freund, aber nicht mein Freund!“ Dina lächelte ihn zärtlich an.
In Svens Augen blitzte es freudig auf und er vergaß für einen Moment die vernichtenden Blicke seines Rivalen.
Eine langsame Nummer wurde eingespielt und Dina konnte kaum erwarten, in Svens Armen zu liegen. Sie zog ihre Schüchternheit aus wie einen alten Mantel, ging langsam auf Sven zu und schlang vorsichtig ihre Arme um seinen Hals. Er ließ es geschehen und wieder fing Dinas Herz zu rasen an. Doch diesmal vor Aufregung, nicht vor Angst und Abscheu. Auch Svens Herz schlug spürbar schneller. Dina schloss ihre Augen und genoss diesen Tanz mit jeder Faser ihres Körpers. Zu lang war es her, dass sie verliebt gewesen war. Zu lang war sie allein, weil der Richtige nicht dabei war. Und wenn sie ernsthaftes Interesse an einem Mann zeigte, spielte sich immer das gleiche Drama ab. Irgendwann meldeten sie sich nicht mehr.
„Das war er!“ schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Ihr Körper verkrampfte sich und sie hielt abrupt inne.
„Was ist los?“ Sven sah sie besorgt an.
„Es hat nichts mit dir zu tun, mir sind nur gerade sämtliche Lichter aufgegangen. Komm….“
Sie nahm Sven bei der Hand und ging mit ihm zum Tisch, an dem Thomas und Beate einen Cocktail tranken. Vor Schreck verschluckte sich Beate und sah zwischen den beiden und Thomas hin und her. Demonstrativ stellte Dina sich gegenüber von Thomas und kuschelte sich an Sven. Seine wahnsinnige Wut konnte sie in seinen Augen lesen, er konnte sich kaum noch beherrschen. Sie wollte ihn aus der Reserve locken, wollte wissen, was mit ihm los war.
„Küss mich“, flüsterte sie Sven zu.
„Sicher?“ fragte er nach. Dina nickte und Sven kam ihr ganz langsam entgegen. Seine weichen Lippen legten sich auf ihre. Dinas Herz drohte zu zerspringen, sie hatte nicht damit gerechnet, dass sein Kuss so etwas in ihr auslösen würde. Unzählige Schmetterlinge tanzten durch ihren ganzen Körper, in ihrem Bauch kribbelte es unbeschreiblich. In diesem Augenblick wurde ihr klar, dass sie sich verliebt hatte. Ja, sie war tatsächlich in Sven verliebt.
Dina vergaß Thomas, die ganze beschissene Situation und sogar Beate war in weite Ferne gerückt. Sie gab sich ganz diesem Gefühl hin. Genoss diesen wunderbaren Moment, Svens Nähe und diesen wunderschönen Kuss…
Plötzlich riss jemand sie mit Gewalt aus Svens Armen. Dina öffnete ihre Augen und schaute direkt in Thomas wütendes Gesicht.
Ehe sie etwas sagen konnte, hatte dieser Sven einen Kinnhaken verpasst. Dina schnappte nach Luft, das Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie ihren besten Freund an. Fassungslosigkeit verschlug ihr schier die Sprache. Sven stand längst wieder neben ihr und hielt sich die Nase.
Endlich fand auch Dina in die Wirklichkeit zurück.
„Bist du jetzt von allen guten Geistern verlassen, Thomas?“ schrie sie aufgebracht.
„Was ist nur los mit dir? Ich erkenne dich gar nicht mehr wieder!“ Mit einem sauberen Taschentuch versorgte sie Svens Nasenbluten und sah flehentlich zu ihrer Freundin hinüber.
Beate legte eine Hand auf Thomas Schulter, um ihn zu beruhigen. Doch er schüttelte sie nur grob ab und sah sie drohend an. Thomas stellte sich vor Dina und strählte seine Brust. „Ich habe dir schon einmal gesagt, lass die Finger von Dina!“ Sven sah hilflos umher. Dina stellte sich neben den immer noch blutenden jungen Mann und sah Thomas ernst an. Doch der ergriff blitzschnell ihren Arm und zog die immer noch geschockte junge Frau wieder zu sich.
„Du gehörst mir! Nur mir, hörst du?“ Seine Stimme klang bedrohlich und duldete keinen Widerspruch.
„Das grenzt ja schon an Besessenheit.“ Auch Beate fand ihre Sprache wieder und machte sich auf den Weg zur Security, um Hilfe zu holen.
„Lass mich los, Thomas, du tust mir weh!“ Dina versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien. Erfolglos.
„Und du? Hast du mir in den letzten Jahren nicht wehgetan?“
Fragend blickte Dina ihn an.
„Na, indem du mir diese ganzen Hohlköpfe und Weicheier vor die Nase gesetzt hast“, sagte er böse.
Jetzt wurde auch Dina wütend.
„Die hast du doch alle erfolgreich vergrault. Und ich dumme Gans habe davon nicht mal etwas mitbekommen!
Thomas grinste sie hämisch an und sein Gesicht sah im Halbdunkel der Disko aus wie eine gruselige Fratze. Dina graute langsam vor ihm und sie versuchte erneut, sich aus seinem Griff zu befreien.
„Sven, hilf mir!“ rief sie. Angst und Verzweiflung hüllte ihre Stimme ein.
„Der ist längst über alle Berge! So ein Versager!“ klärte Thomas sie höhnisch auf.
Ungläubig fuhr Dina herum und sah in zwei braune Augen. Es war nicht Sven, sondern ein Mitarbeiter des Securityteams vom Tanzpalast.
„Ich höre, es gibt hier ein Problem“. Dinas Augen füllten sich mit Tränen. Sven war tatsächlich auf und davon und hatte sie in dieser Situation sich selbst überlassen?
„Bitte lassen Sie die Dame los“, forderte der Sicherheitsmann Thomas auf.
Dina spürte seinen Griff nicht mehr, die Enttäuschung über Svens Verschwinden überschattete alles andere.
In diesem Moment wusste sie nicht, was ihr mehr zusetzte. Beate nahm sie liebevoll in den Arm und dort ließ sie ihrem Schmerz, ihrer Verzweiflung und den Tränen freien Lauf.
Thomas ließ sich von den zwei Security Mitarbeitern ohne Widerstand nach draußen führen.
Dina brach nach diesem Abend den Kontakt zu Thomas endgültig und unwiderruflich ab.
Von Sven hatte sie nie wieder etwas gehört…
Texte: alle Rechte beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 27.04.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
allen, die besessen sind...