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Ein ganzer Kerl!

Zufrieden betrachtete Karsten sich. Zu diesem Zwecke hatte er sich extra einen so großen Spiegel angeschafft, in dem er sich von Kopf bis Fuß sehen konnte. Lässig zog er mit seinem rechten Daumen seine sauberen Augenbrauen nach. Der neue Seidenanzug war sein Geld wert, er sah umwerfend darin aus. Das Hemd ein Stück aufgeknöpft, gewährte einen Blick auf seine nackte Brust. Auch die feine Goldkette, die seinen Hals zierte, war nicht zu übersehen. Das dunkle Haar trug er lasziv nach hinten gekämmt. Dass es auch so liegen blieb, verdankte er dem sündhaft teuren Gel seines privaten Frisörs. Ein letzter Blick, ein Augenzwinkern und dann verließ Karsten das Loft. Wie jeden Morgen führte ihn sein erster kurzer Weg zu dem roten Flitzer, der ihn freundlich anstrahlte. Pfeifend stieg er ein und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Karstens Wirkungsstätte war nicht nennenswert weit entfernt, aber ihm war wichtig, dass sein neuer, roter Flitzer seinen täglichen Auslauf und die damit verbundene Anerkennung bekam. Auf diesen allmorgendlichen Kick würde er niemals freiwillig verzichten. Kurz später saß er auf seinem Lederstuhl vor dem Rechner und machte seine Arbeit. Überwiegend zumindest, denn ab und zu gönnte er sich einen kleinen Spaziergang durch das Internet. Dort suchte er gezielt nach bestimmten Damen. Karsten stand nur auf blonde, vollbusige Frauen mittleren Alters. Obwohl er selbst gerade erst seinen achtundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hatte.

Seit acht Jahren arbeitete er nun in dieser Bank und war mittlerweile zum Kreditmanager aufgestiegen. Er erledigte seine Arbeit gut und gewissenhaft, war immer darauf bedacht, seinem Chef Geld zu sparen. Karsten nahm die Kunden, die bei ihm einen Kredit beantragten, sehr genau unter die Lupe. Zu genau, denn die meisten Anträge lehnte er ab. So auch den Antrag von Frau Dorau, einer jungen, allein erziehenden Mutter mit einem gut bezahlten Vollzeitjob. Es handelte sich nur um einen geringen Betrag. Aber Ramona Dorau stieß bei Karsten Vollmer auf taube Ohren. Keine Chance, er schmetterte jedes Argument ab. Er war viel wortgewandter als sie und so gab die junge Mutter auf.
Komisch, dass er ausgerechnet jetzt an sie denken musste, als eine etwa vierzigjährige Blondine die Bank betrat.
„Genau meine Kragenweite“.
Er erhob sich und ging der Dame entgegen.
„Kann ich Ihnen behilflich sein?“
Die stark geschminkte Frau lächelte ihn an.
„Na, das will ich doch hoffen, mein Lieber“, säuselte sie ihm zuckersüß entgegen.
„Sie müssen Karsten sein, richtig?“
Er räusperte sich.
„Woher kennen Sie meinen Namen?“ wollte Karsten nun unsicher wissen.
„Lola hat so von Ihnen geschwärmt, dass ich nicht umhin kam, mir selbst ein Bild von Ihnen zu machen. Sie sind doch nicht etwa böse deswegen?“
Karsten dachte fieberhaft nach. Lola, dieses kleine Luder, was dachte die sich eigentlich, für ihn Werbung zu machen?
„Ja natürlich erinnere ich mich an die wunderbare Lola. Ein entzückendes Geschöpf, genau wie Sie.“
Niemand war besser im Heucheln als Karsten. Nervös blickte er sich um. Ob seine Arbeitskollegen ihn schon im Visier hatten? Doch es schien, als schenkte ihm niemand Beachtung. „Oh nein, bitte nicht die Dorau! Nicht ausgerechnet jetzt!“ dachte er, als die junge Mutter auf die Bank zusteuerte. Schnell zückte er eine Visitenkarte, steckte sie der Blonden ins Dekolletee und bugsierte sie Richtung Ausgang. „Ich rufe Sie dann an, wenn ich das Ergebnis der Prüfung vorliegen habe. Auf Wiedersehen Frau Müller.“
Erleichtert atmete er auf, denn Frau Dorau wollte gar nicht zu ihm, sondern lediglich nebenan in die Drogerie. Mittlerweile war es schon später Nachmittag geworden und Karsten machte sich für den Feierabend bereit. Von dem kleinen Schreck in der Bank erholt, saß er nun wieder gut gelaunt in seinem roten Flitzer. Plötzlich schrillte sein Handy. Er schaltete die Freisprechfunktion ein und nahm das Gespräch an.
„Wer stört mich bei meiner Lieblingsbeschäftigung?“ fragte Karsten gut gelaunt.
„Die blonde Dame, die Sie heute in der Bank besucht hat. Ein schönes Spielzeug fahren Sie da, Karsten.“
Irritiert blickte er umher.
„Woher wissen Sie das?“
„Sie haben doch nicht etwa Angst, Karsten?“
Ihre Stimme klang herrlich verheißungsvoll. Und dann sah er sie. Von einem Straßencafe aus winkte sie ihm zu. Frech parkte er sein Spielzeug im Halteverbot und gesellte sich zu der hübschen Frau.
Die Blondine genoss einen appetitlich aussehenden Eisbecher, Karsten bestellte sich einen Cappuccino. Er brauchte jetzt etwas Starkes!
„Schön, dass wir uns nun doch noch getroffen haben“, stellte die Blonde lächelnd fest.
„Verraten Sie mir denn nun auch Ihren Vornamen? Ich muss Ihren Vorsprung doch langsam ausgleichen.“
Charmant lächelte er sein Gegenüber an.
„Natürlich“, sagte die Blonde und tätschelte Karstens Arm, „ich heiße Elvira.“
„Ein schöner Name, der hervorragend zu Ihnen passt. Was fangen wir beide denn nun mit dem restlichen Tag an?“ Karsten blickte erwartungsvoll in die blauen Augen von Elvira. Dann wanderten seine Augen weiter zu ihrem einladend aussehenden Dekolletee. Sein Kennerblick schätzte ein großzügiges 85 E Körbchen.
„Wir könnten zu mir gehen und dort mein neues Wasserbett einweihen. Es ist gerade heute Morgen frisch geliefert worden“. Ihre Stimme hatte dabei so einen erotischen Klang, dass Karsten ihr diesen Wunsch unmöglich abschlagen konnte, obwohl er eigentlich schon eine andere Verabredung hatte. Schnell zückte er sein Handy.
„Ja wirklich Helen, es tut mir unendlich leid, aber mein Chef besteht nun mal darauf, dass ich die Akte heute noch fertig mache. Es geht um einen äußerst wichtigen Kreditpartner. Wir sehen uns dann einfach morgen Abend, Liebes, in Ordnung? Ja, gut, bis morgen.“
Damit beendete er das Telefonat und widmete sich wieder Elvira zu.
„Na, du bist ja ein gerissener Hund“, stellte sie fest, aber es klang eher belustigt als besorgt. Ihr schien das völlig egal zu sein. Und so bezahlte Karsten die Rechnung und fuhr mit Elvira in ihre Wohnung.
„Wenn ich gewusst hätte, dass Sex im Wasserbett so viel Spaß macht, dann stünde längst eines in meinem Loft“, sagte Karsten rund zwei Stunden später und zündete sich eine Zigarette an.
„Nun, es ist ja noch nicht zu spät dafür, mein Lieber. Du kannst dir ja jetzt eines zulegen. Aber rauchen würde ich in diesem Bett nicht, das kann gefährlich werden.“
Mit diesen Worten schubste sie ihn auf den Boden und stellte ihm den Aschenbecher runter. Genüsslich rauchte er seine Kippe zu ende und zog den sündhaft teuren Anzug wieder an. Plötzlich hörte man einen Schlüssel klimpern, Elviras Miene wurde ernst.
„Beeil dich, Karsten, das ist mein Mann. Eigentlich wollte er erst morgen heim kommen, aber offensichtlich…“
Sie brach ab und schob den verdutzten Karsten in Richtung Balkon.
„Bist du verrückt, du wohnst im dritten Stock, Elvira!“
Hastig schaute Karsten umher und entdeckte den riesigen, begehbaren Kleiderschrank. Gerade noch rechtzeitig konnte er hinein schlüpfen, als auch schon die Stimme von Elviras Mann zu ihm durchdrang.
„Hast du etwa ein Mittagsschläfchen gehalten, Liebchen?“ hörte er ihn fragen.
„Ich hatte plötzlich solche Kopfschmerzen, Schatz, da habe ich mich hingelegt“, log Elvira gekonnt. Karsten schmunzelte und dachte sich, dass er wohl einer von vielen zu sein schien, denn Elvira hatte die Situation absolut im Griff.
„Dann solltest du weniger rauchen, Liebling“, hörte Karsten nun wieder den Ehemann.
„Armer Kerl, der kann einem richtig leid tun“, dachte er und war froh, frei wie ein Vogel zu sein. Bisher hatte er sich erfolgreich der Institution Ehe erwehren können. Und das sollte auch noch lange so bleiben. Außerdem hatte er in seinem bísherigen Leben noch keine Dame kennen gelernt, die auch nur annähernd seine Ansprüche für eine Ehe-Kandidatin erfüllte.
Das Knarren der Schranktür holte ihn aus seinen Gedanken und er erkannte den blonden Schopf von Elvira. „Schnell Karsten, mein Mann steht unter der Dusche.“ Sie begleitete ihn zur Haustür.
„Raus mit dir! Und bis zum nächsten Mal, ich freu mich auf eine Wiederholung“, säuselte sie ihm ins Ohr.
„Oh nein, du kleines Biest, noch mal bekommst du mich nicht in den Schrank!“ rief Karsten, während er die Treppen zur Haustür runter stürmte.
„Nichts wie raus hier!“ Das war ihm in all den Jahren noch nie passiert und für eine Wiederholung sah er keinen Bedarf. Gedanklich hatte er Elvira längst abgehakt, obwohl sie im Bett eine Granate war. „Man muss Abstriche machen“, sagte er und blickte dabei in den Rückspiegel seines roten Flitzers.
„Elviras gibt es doch zuhauf auf dieser schönen Welt!“
Mit quietschenden Reifen fuhr er dem nächsten Abenteuer entgegen.

Eine Woche später saß Karsten vor dem Rechner in seinem Büro. Schon von weitem sah er die junge Frau auf sich zukommen. „Oh nein, nicht die Dorau, bitte nicht“, schickte er ein Stoßgebet gen Himmel. Doch Gott schien ihn nicht zu erhören, denn Ramona Dorau stand nun mit einem gequälten Lächeln vor ihm.
„Herr Vollmer, Sie müssen sich meinen Kreditantrag noch mal anschauen. Ich brauche das Geld unbedingt und es handelt sich doch nur um 5000 Euro.“
„Frau Dorau, wir haben das doch schon mehrmals durchgesprochen. Ihr Verdienst in der Apotheke reicht nicht aus, um die monatliche Rückzahlung ab zu decken.“ Karsten würdigte die junge Mutter keines Blickes.
„Dann machen Sie eine Ausnahme und bieten mir kleinere Ratenbeträge an. Dann dürfte die Rückzahlung kein Problem sein“, bat Frau Dorau. Aber Karsten ließ sich nicht erweichen, denn er wusste, was es bedeutet, wenn man zu freundlich ist. Dann bleibt es nicht bei diesem Einzelfall. Dann kommen ganz schnell viele Frau Dorau’s, die alle Geld von ihm wollen. Nein, das konnte er nicht zulassen!
Jetzt sah Karsten sie direkt an. Und zum ersten Mal fielen ihm ihre schönen dunklen Augen auf.
Sie erinnerten ihn ein wenig an diese heißen Mandeln, die er so gern aß. Karsten räusperte sich und sagte mit fester Stimme: „Frau Dorau, es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann, aber so sind nun mal meine Vorgaben.“ Die junge Frau schüttelte ihren Kopf und Karsten bemerkte erstmals ihre kastanienbraunen, leicht gelockten Haare, die ihr bis über die Schulter fielen.
„Nein, ich kann nicht glauben, dass Sie schon alles getan haben, was in Ihrer Macht steht. Sie müssen das noch mal prüfen, es geht um Leben und Tod“, sagte sie ernst.
Die großen, mandelbraunen Augen füllten sich mit Tränen. Karsten durchfuhr eine nie gekannte Wärme. „Was ist denn los mit mir?“ fragte er sich besorgt. „Werde ich jetzt plötzlich sentimental? Da kann ich meinen Beruf ja gleich an den Nagel hängen!“
Karsten öffnete seinen Mund um etwas zu entgegnen, aber Frau Dorau hatte fluchtartig die Bank verlassen. Nervös schaute Karsten sich um, wurden seine Arbeitskollegen vielleicht auf ihn aufmerksam? Aber wie immer schien sich niemand für seine Arbeitsmethoden zu interessieren. „Was hatte Frau Dorau da eben gesagt? Es ginge um Leben und Tod? Da hat sie aber ganz schön dick aufgetragen“, versuchte Karsten, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen, das ihr Auftritt bei ihm geweckt hatte. Er wusste, dass sie eine Tochter im Grundschulalter hatte. Die konnte ja noch keine großen Wünsche haben, davon war er felsenfest überzeugt. Was also könnte der Grund für den Kreditwunsch sein? Sie war ihm damals auf diese Frage geschickt ausgewichen, wollte nicht mit der Sprache rausrücken. „Selbst Schuld“, dachte er unbekümmert und machte Feierabend. Den Abend verbrachte er mit Helen, einer blonden Dame Mitte Vierzig. Gut ausgestatteter Vorbau, genau nach seinem Geschmack, der Haarfarbe wurde zwar etwas nachgeholfen, das tat aber ihrer Attraktivität keinen Abbruch. Karsten hatte den besten Sex seines Lebens mit diesen reifen, attraktiven Frauen, die genau wussten, was sie wollten. Da wurden keine Zicken gemacht, man verabredete sich, traf sich und huschte ins Körbchen, ohne viel Aufhebens. Das war herrlich stressfrei und genau danach suchte Karsten immer und immer wieder. Unkomplizierte Frauen, die nur das Eine wollten, genau wie er.
Allerdings stellte er nun immer vor dem Schäferstündchen klar, dass bei Treffen mit Ehefrauen nur sein Loft in Frage kam, denn diese Schranknummer wollte er sich kein zweites Mal antun.
Entspannt rauchte Karsten seine berühmte Zigarette danach, als plötzlich Ramona Dorau in seine Gedanken spazierte. Es war schon fast einen Monat her, dass sie zuletzt bei ihm in der Bank aufgetaucht war. Anfangs war er erleichtert, später verwundert. Aber jetzt ging ihm diese Frau nicht mehr aus dem Kopf. Ja, er fing sogar an, sich Sorgen zu machen. Er dachte an ihre braunen Augen, die ihn an gebrannte Mandeln erinnerten. Und an ihre vollen, roten Lippen, die ihm vorher nie aufgefallen waren.
„Hast du Erdbeeren im Haus?“ fragte er Monique, seine momentane Bettgespielin. Eine gefärbte Französin hatte doch bestimmt so etwas in ihrem großen Kühlschrank. „Oh la la, cherie, ast dü etwa vor, misch mit die öbst zu schmücken?“
Karsten fing laut an zu lachen.
„Nein, Monique, ich werde mich jetzt anziehen und dann meinen schnittigen Flitzer schmücken, und zwar mit mir!“
Die Gedanken an diese Ramona Dorau hatten ihm die Stimmung auf den zweiten Gang mit der schönen Französin gnadenlos verhagelt. Moniques Mundwinkel sanken nach unten und sie blickte Karsten mehr als enttäuscht an.
„Ach komm, Schätzchen, mach nicht so ein Gesicht. Wir hatten doch richtig Spaß miteinander, und wer weiß, vielleicht sehen wir uns noch mal wieder.“
„Ja, das würde misch freuen, wenn dü noch einmal Zeit für misch ättest“, sagte sie mit diesem niedlichen französischen Akzent. Karsten ging zur Tür, drehte sich noch einmal um und schickte Monique einen Luftkuss. „c' est la vie, ma cherie.“

Ein weiterer Monat verging, ohne dass Karsten ein Wort von Ramona Dorau gehört hatte. Ihre Akte lag gerade auf seinem Schreibtisch, als er sie plötzlich sah. Offensichtlich war sie auf dem Weg in die Drogerie neben der Bank. Er beschloss, seine Pause früher zu machen, nahm sein Jackett und hechtete nach draußen. Betont unauffällig betrat er nach ihr die Drogerie und steuerte auf die Düfte zu. Karsten benötigte ohnehin einen neuen Duft, den alten trug er schon zu lange.
Dann sah er sie, in dem Gang, wo die Kosmetik ausgelegt war. Ihr Haar trug sie hochgesteckt, nur ein paar widerspenstige Locken lugten an den Seiten hervor. Jetzt sah sie zu ihm rüber und er fühlte sich ertappt. Ihre Mandelaugen und diese herrlich vollen Lippen brachten ihn ganz durcheinander. Ihm fiel sofort ihre ungewohnte Blässe auf. Sie sah müde aus, aber trotzdem hübsch.
„Guten Tag Herr Vollmer“, hörte er sie plötzlich sagen. Er war so in Gedanken versunken, dass er jetzt völlig überrumpelt war.
„Hallo Frau Dorau, schön Sie zu sehen.“ Das klang mehr wie ein unsicheres Stammeln und Karsten war peinlich berührt. Was war nur los mit ihm? Er hatte sich doch sonst besser im Griff.
Ohne darauf zu antworten, zahlte Ramona Dorau ihre Waren und verließ zügig die Drogerie.
Ein völlig verdutzter Karsten Vollmer stand derweil immer noch am Duftregal und sah aus wie ein begossener Pudel. Er konnte es gar nicht fassen. Zum ersten Mal in seinem Leben lag ihm eine Frau nicht zu Füßen, im Gegenteil, sie ignorierte ihn einfach. Das konnte unmöglich sein! Schnell stellte er den Flakon wieder ins Regal und eilte der jungen Mutter nach. Doch diese war längst wieder in der Apotheke und bediente die Kunden. Zielsicher trat er ein.
„Wie kann ich Ihnen helfen, Herr Vollmer?“ Freundlich lächelte Ramona Dorau ihn an.
„Gehen Sie mit mir Essen nach Feierabend.“ Karsten erschrak förmlich über sich selbst. Mit großen Augen sah er sie an.
Abwartend.
„Tut mir leid, aber ich bin heute schon zum Essen verabredet“, sagte Ramona Dorau und zerstörte seine Fantasie, die bereits mit ihm durchging. Er sah sich schon mit ihr auf seinem Wasserbett liegen, nackt und wunderschön. Er schüttelte seinen Kopf, als wolle er dadurch diese wirren Gedanken abschütteln. Was war denn nur los mit ihm? Sie passte doch so gar nicht in sein Beuteschema. Ramona Dorau war vielleicht Anfang Dreißig, wenn überhaupt. Ebenfalls zierten keine blonden Haare ihr Haupt und ihren Vorbau schätzte er höchstens auf 80 C.
„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Herr Vollmer?“ fragte die junge Frau schon zum dritten Mal. Karsten verneinte und verabschiedete sich.
Er versuchte noch weitere Male, sie ein zu laden, aber sie gab ihm immer wieder einen Korb. Karsten hatte seitdem keine einzige Frau mehr getroffen, seine Lust war quasi lahm gelegt, als hätte jemand den Stecker gezogen.
Dann beschloss er, dem Kreditantrag von Ramona Dorau nun doch statt zu geben. Er schrieb ihr einen förmlichen Brief und lud sie zu diesem Zwecke in die Bank ein.
Stunden hatte er am Morgen des Termins vor seinem großen Spiegel verbracht, er wollte, dass sein Anblick Ramona Dorau schlicht umhaut. Dass sie quasi mit ihm Essen gehen musste, von einer höheren Macht getrieben. Er setzte dabei ganz auf seine Attraktivität. Als die junge Frau die Bank betrat, wurden Karstens Hände feucht, sein Herzschlag beschleunigte sich und Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. „Jetzt reiß dich mal zusammen, Alter!“ ermahnte er sich.
„Da kommen Sie leider etwas zu spät, Herr Vollmer, ich benötige den Kredit nicht mehr.“
Jetzt war Karsten geplättet. Wie, sie benötigte das Geld nicht mehr? Da war sie ihm so lange mit diesem scheiss Kredit auf die Nerven gegangen und jetzt brauchte sie ihn gar nicht mehr?
„Wie bitte?“ Mehr brachte Karsten nicht raus.
„Ich hatte Ihnen doch damals gesagt, es ginge um Leben und Tod. Ich brauchte das Geld für einen teuren Flug für meine Tochter und mich. Meine Mutter lebte am anderen Ende der Welt und lag im Sterben. Ich wollte mich von ihr verabschieden, sie ein letztes Mal sehen.“
Karstens Mund war staubtrocken geworden und er sah sie fassungslos an.
„Und die Kleine wollte sich von ihrer Oma verabschieden. Doch das Schicksal wollte es nicht und so ist sie nun vor einigen Wochen gestorben.“
Die Augen der jungen Frau füllten sich mit Tränen, es musste sie unendlich viel Kraft gekostet haben, ihm das zu erzählen. Karsten hingegen war sprachlos, hatte keine Worte für das, was er gerade empfand. Jetzt wurde ihm klar, warum sie so schlecht aussah, warum sie schwarz gekleidet war und ihre schönen Augen so traurig blickten.
Er hasste sich in diesem Moment abgrundtief.
Langsam und schwer erhob sich Ramona Dorau von ihrem Stuhl.
„Es tut mir so wahnsinnig leid“, stammelte Karsten. „Kann ich irgendetwas für Sie tun?“
„Da gibt es tatsächlich etwas, ja.“
Karstens Augen hellten sich auf. Erwartungsvoll schaute er sie an.
„Bitte hören Sie auf, mich ein zu laden. Mein neuer Lebensgefährte bekommt langsam ein Problem mit ihrer Hartnäckigkeit.“
Damit drehte sie sich um und ließ ihn einfach stehen.
Das hatte gesessen, mit offenem Mund starrte er ihr nach, bis sie ganz verschwunden war.
Karsten hat Ramona Dorau nie wieder in der Bank gesehen, sie hatte das Kreditinstitut gewechselt. Es dauerte einige Monate, bis er ihr Bild aus seinen Gedanken verbannen konnte. Bis ihr Gesicht endlich nicht mehr in seinen Träumen herumschlich.

Nach etwa einem Jahr kehrte auch seine Lust auf Frauen zurück. Sein Geschmack allerdings hatte sich völlig verändert. Nun hielt er Ausschau nach brünetten, schlanken Damen.
Offensichtlich ein Überbleibsel aus dem vergangenen Jahr.
Ein weiteres Jahr verging und Karsten lernte eine junge Frau in seinem Alter kennen. Er war sofort fasziniert von der Grundschullehrerin und ging zum ersten Mal in seinem Leben eine feste Beziehung ein.
Nach und nach veränderte sich sein Leben. Aus dem Loft wurde eine gemeinsame Wohnung, aus dem roten Flitzer ein praktischer Kombi incl. Kindersitz und aus dem Wasser- ein Ehebett.

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Texte: Alle Rechte liegen beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 30.03.2010

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