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Angeln ist gut für's Herz

Herbert starrte fassungslos auf den Bildschirm seines neuen Laptops. Alles schwarz! Da war nur noch alles schwarz! Aber das konnte doch nicht sein! Wo war sein Geschriebenes hin? Doch nicht etwa einfach so im Nirvana verschwunden? Er hatte sich solch eine Mühe gemacht und Stundenlang an dem Text herum gefeilt.

Und nun war einfach alles weg! Futsch! Er hätte heulen können.

„Du verdammtes Ding, spuck sofort meinen in mühevoller Arbeit entstandenen Text wieder aus!“

Drohend hielt er dem Bildschirm die geballte Faust entgegen und blickte so zornig, wie er konnte.

Aber auch das ließ den Monitor völlig kalt, es geschah nichts. Herbert verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich warte, ich habe Zeit.“

Doch auch nach fünf Minuten blieb der Bildschirm stumm und weiterhin schwarz.

„So, mein Freund, ich gebe dir Zeit, bis ich mir einen Kaffee aus der Küche geholt habe. Und dann will ich meinen Text wieder genau da sehen, wo er vorhin noch war.“

Sprach’s und schlurfte gemächlich in die Küche, goss sich einen heißen Kaffee in seine Tasse, krönte ihn mit einem Sahnehäubchen und schlurfte langsam zurück ins Arbeitszimmer.

Der Bildschirm war noch immer schwarz, genau wie sein Kaffee. Plötzlich hatte Herbert einen Gedankenblitz. Er schielte auf die Taste zum Ausschalten des Monitors. „Ob ich ihm mal kurz den Saft abdrehen soll?“ fragte er sich und drückte dann entschlossen den kleinen Knopf. Wartete zehn Sekunden ab und schaltete den Monitor wieder ein. Und tatsächlich! Nach und nach war sein gesamter Text wieder zu sehen. Ein riesiger Stein fiel Herbert vom Herzen. Gott sei Dank war die Stundenlange Arbeit nun doch nicht umsonst gewesen. Dieser Text war überaus wichtig. Er las ihn noch ein letztes Mal Korrektur und speicherte ihn ab.
„Pling!“ Herbert vernahm ein ihm wohlbekanntes Geräusch und horchte auf. Als er das Blinken in der Statusleiste sah, setzte sich ein Strahlen auf sein Gesicht.

„Sie ist da, endlich ist sie wieder da“, flüsterte er fast zärtlich. Und schon erschien eine Nachricht auf seinem Bildschirm.

„Guten Abend, mein Liebster. Bist du da?“

„Natürlich, ich habe schon auf dich gewartet, mein Herz“, schrieb er eilig zurück.

Den ganzen Tag schon hatte er sich auf Inge gefreut. Inge…die er in einem Anglerforum kennen und lieben gelernt hatte. Dabei hatte er sich erfolgreich Jahrelang gegen das Internet verschworen.

„Das ist doch nur was für senile, alte Leute, die nicht mehr aus dem Haus gehen“, hatte er stets behauptet. Doch irgendwann, als er nach einer alten und seltenen Angelrute gesucht hatte, machte er Bekanntschaft mit der unendlichen, virtuellen Welt. Sein Freund Bernie erklärte ihm alles, was er wissen musste und fortan war er gefangen von der großen Weite des Internets. Es dauerte nicht sehr lang, bis Herbert sich einen Laptop zulegte, mit dem er, zugegebenermaßen, noch sehr oft auf Kriegsfuß stand. Aber nach und nach bekam er alles in den Griff und konnte gefahrlos im web surfen.
Und irgendwann war er auf dieses Anglerforum gestoßen, und auf Inge. Denn sie war es, die ihm die heiß ersehnten Antworten auf seine Fragen gab. Durch sie erfuhr er alles über die schwer zu findene, seltene Angelrute. Und dazu war Inge auch noch nett! Und so hübsch an zu sehen! Und liebenswert! Und einfühlsam! Und einfach alles...
Herbert hatte sofort sein Herz für Inge geöffnet, direkt beim ersten Treffen in diesem hübschen, kleinen Restaurant am Stadtrand. Inge wohnte nur einen Ort weiter als er und sie trafen sich quasi in der Mitte.

Als er ihr damals am Tisch gegenüber saß und sie sich unterhielten, als würden sie sich schon ewig kennen, machte es sofort Peng! und er wollte keine Andere mehr anschauen. Nie im Leben hätte er für möglich gehalten, dass ihm noch einmal genau das passieren würde.

Besonders in seinem Alter rechnet man doch eher täglich mit dem Tod, statt einer neuen Liebe. Herbert hatte immerhin kürzlich seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert und Inge war siebzig. Diese Tatsache hinderte die beiden aber nicht daran, sich wie verliebte Teenies zu benehmen. Alle sollten wissen, dass die beiden ein Pärchen waren. Sie schämten sich nicht für ihre Liebe, sondern genossen es in vollen Zügen. Für ihr Alter waren sie mehr als fidel. Sie küssten sich in der Öffentlichkeit, was ihnen oft bitterböse Blicke bescherte. Auch mit fiesen Kommentaren mussten sie immer rechnen, wenn sie die Frechheit besaßen, außerhalb ihrer Wohnungen den Gefühlen freien Lauf zu lassen. Das hielt sie aber überhaupt nicht davon ab, dies weiter zu tun, im Gegenteil.

Zu Herberts Achtzigsten stand Inge mit einer Angelrute vor der Tür. Der Angelrute, nach der er so lange gesucht hatte. Eine edle Fliegenrute aus Bambus. Herbert freute sich so sehr, dass Inge schon kurz davor stand, einen Notarzt zu rufen. Man kann nie wissen, wie sich so etwas im hohen Alter auf das Herz auswirkt. Aber da hatte sie sich ganz umsonst gesorgt, denn Herbert war fit. Sehr viel rüstiger als die meisten seiner Altersgenossen. Denn die wenigsten hatten eine Inge…
Ihm war sehr wohl bewusst, dass er das große Los mit ihr gezogen hatte und sich gerade im mittlerweile dritten Frühling seines Lebens befand. Herbert fühlte sich wie ein verliebter Gockel und so benahm er sich auch. Für den bevorstehenden Valentinstag hatte er sich etwas Besonderes für seine Liebste ausgedacht. Komisch, all die Jahre davor hatte er diesen Tag nicht mal zur Kenntnis genommen. Und jetzt war er dabei, den Tag der Verliebten zu einem unvergesslichen Ereignis für Inge heran reifen zu lassen. Alles war längst organisiert, denn es war nicht mehr viel Zeit.

Der Tisch im „Scharmützel“ war bereits bestellt. Dort hatten die beiden sich zum ersten Mal gesehen. Und dort haben sie sich ineinander verliebt. Und genau dort wollte er den Valentinstag mit ihr verbringen. Sogar einen Geigenspieler hatte er engagiert. Zur musikalischen Untermalung sollte er Inges Lieblingsstück spielen.

Als es endlich soweit war, überfiel Herbert starke Nervosität, das war er nicht mehr gewohnt.

In seinem Alter noch mal auf eine Frau zu warten, in einem edlen Restaurant. Und dann erschien sie, seine heiß geliebte Inge. Wunderschön, in einem langen Abendkleid. Er war sprachlos und starrte sie ehrfürchtig an. Strahlend nahm sie ihm gegenüber Platz.

„Du bist wirklich wunderschön, meine Liebste“, hauchte er ihr zu, füllte zwei Gläser mit lieblichem Rotwein und reichte ihr eines davon. In dem Moment trat der Geigenspieler in Aktion und schon bei den ersten Klängen füllten sich Inges Augen mit Tränen. Ihr Lieblingslied…
Herbert legte seine Hand auf ihre und schob eine Karte zu ihr rüber.

„Das habe ich dir gewidmet, meine Liebste. Ich hoffe, es gefällt dir.“

Er lächelte sie an.

„Alles Liebe zum Valentinstag.“

Aufgeregt öffnete seine Inge die Karte und las:



Mit Leidenschaft saß ich oft Stundenlang
Am Ufer, die Angelrute in der Hand
Lauschte dem herrlichen Wasserklang
An der Angel einen Barsch oder Aland

Lange vor dem Sonnenaufgang spazierte ich
Mit meinem besten Freund im Morgentau
An alle Ufer dieser Welt, bis leise schlich
Die Sonne herein und verdrängte das Grau

An meinem Haken hingen viele Fische schon
Doch keiner war solch ein prächtig Stück
Wie meine Liebste, betörend wie süßer Mohn
Geliebte Inge, mein persönliches Anglerglück

 

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Bildmaterialien: google.de
Tag der Veröffentlichung: 08.02.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Mein Beitrag zum Wortspiel

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