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Vorsichtig schob Barbette ihren blonden Lockenschopf um die Ecke der Essenstheke und versuchte, einen Blick auf Jochen zu erhaschen. In der Mittagspause saß er regelmäßig mit seinen Kollegen in der Cafeteria und aß zu Mittag. Seit ein paar Monaten arbeitete er als Verwaltungsfachangestellter in der Uniklinik Münster. Barbette erkannte ihn sofort - inmitten sämtlicher Weißkittel stach er mit dem dunklen Anzug immer hervor. So auch heute.
„Wie gut er wieder aussieht in seinem schicken Anzug“, geriet sie ins Schwärmen. Sämtliche Frauen drehten sich nach den beiden um, wenn sie gemeinsam unterwegs waren. Und genau das war Barbettes Problem. Sie hatte es einfach satt, mit ansehen zu müssen, wie ihr Jochen von anderen Frauen mit Blicken verschlungen wurde. Er war ihr Jochen, er gehörte zu ihr, und nur zu ihr. Er hatte es nicht nötig, nach anderen Frauen zu schauen, wenn er doch sie, Barbette, haben konnte.
Barbette sah aus wie ein Model, zumindest glaubte sie das. Nun, einige Eigenschaften könnten ihr durchaus zu einem Modeljob verhelfen. Sie war groß, schlank und auf ihre langen Beine waren viele Frauen neidisch. Mittellanges, Blondgelocktes Haar umrahmte ihr schönes, ebenmäßiges Gesicht. Der rote Schmollmund und die großen, blauen Augen rundeten das fast vollkommene Bild ab.

Barbettes Miene verdüsterte sich schlagartig, als sie wahrnahm, wie eine dunkelhaarige Frau sich zu den Weißkitteln und ihrem Jochen gesellte.
„Was hat die da zu suchen? Die soll ja die Krallen von meinem Freund lassen!“ Ihre Augen verengten sich und das schöne Gesicht ähnelte nun eher einer hässlichen Fratze. Die junge Frau nahm neben Jochen Platz und die beiden waren alsbald in einem recht intensiven Gespräch versunken. Wütend stampfte Barbette mit dem Fuß auf den Boden - wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekam.

„Jetzt legt diese Schlampe auch noch ihre Hand auf Jochens Arm!“ schnaubte sie und rang nach Luft. Am liebsten würde sie auf der Stelle rüber gehen und diesem Miststück eine knallen. Sie war kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Mit geballten Fäusten stampfte sie erneut mit dem Fuß auf. Aber das reichte nicht aus, um ihren Frust los zu werden. Deshalb holte sie aus und versetzte der armen Essenstheke einen heftigen Tritt. Er war so kraftvoll, dass diese erschütterte und das Geschirr klirrte. Das Fräulein hinter der Theke strafte sie dafür mit einem bitterbösen Blick. Barbette lächelte zuckersüß, warf einen letzten Blick auf die angeregt Unterhaltenden und schlich aus der Cafeteria.
Sie atmete einmal tief durch und verließ schnellen Schrittes das Gebäude. Draußen sog sie die frische Luft ein und schrie los. So laut sie konnte. Es war ein markerschütternder Schrei. Gemischt aus Wut, Hass und Verzweiflung. Nachdem ihre Stimme versiebte, sank sie erschöpft in die Knie. Tränen liefen über ihr hübsches Gesicht und die schwarze Wimperntusche malte verzerrte Bilder auf ihre Wangen.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ fragte eine freundliche Stimme. Doch statt einer Antwort, sprang Barbette auf und lief schnell zu ihrem Wagen. In einem Affentempo raste sie zu ihrer Wohnung, um dort ihr Gesicht wieder her zu richten. Der Blick in den Badezimmerspiegel ließ sie erschauern und mit weit aufgerissenen Augen betrachtete sie sich.
„Bin das wirklich ich?“ fragte sie ungläubig ihr Spiegelbild. Einige Schrecksekunden später wusch sie ihr Gesicht und machte gekonnt schnell aus dem verschmierten wieder ein ansehnliches.

„Pech gehabt, leider nur Jochens Mailbox. Aber dafür könnt ihr zumindest eine Nachricht hinterlassen, wenn es brennt.“ hörte Barbette, nachdem sie Jochens Nummer gewählt hatte. „Warum hatte dieser Mistkerl eigentlich auf der Arbeit immer sein Handy aus?“ fragte sie misstrauisch. Die Erklärung, im Krankenhaus müssten Handys ausgeschaltet bleiben, war bestimmt nur eine Ausrede.
Das Klingeln des Telefons unterbrach ihre Überlegungen und sie sprintete zum Schreibtisch.
„Aua!“ stöhnte sie laut auf. Barbettes Knie hatte unfreiwillig Bekanntschaft mit dem neuen Glastisch gemacht. Den hatte Jochen ausgesucht, obwohl sie ihn überhaupt nicht mochte.
„Du verdammtes Scheißding!“ schimpfte sie laut und humpelte dann zum immer noch klingelnden Telefon.
„Hölter“, keuchte sie ins Telefon.
„Barbette, bist du das?“
„Natürlich, wer soll denn sonst hier sein? Immerhin haben Sie doch meine Nummer gewählt, oder nicht?“ fragte sie schnippisch zurück.
„Ist Jochen zuhause?“
„Wer will das wissen?“ fragte Barbette jetzt noch gereizter.
„Die Mutter seiner Kinder!“ kam es nicht minder gereizt zurück.
„Susa?“
„Richtig erkannt. Kann ich jetzt bitte mit Jochen sprechen?“
„Nein, kannst du nicht, weil er erst in knapp zwei Stunden Feierabend hat. Was willst du überhaupt von ihm?“
„Meine liebste Barbie…äh Barbette, das würde ich doch gern mit ihm selbst besprechen. Oder bist du neuerdings seine private Sekretärin?“
Ohne ein weiteres Wort legte Susa auf. Barbette knallte das Telefon in die Basis und stampfte erneut mit dem Fuß auf. Was war das bloß heute für ein komischer Tag! Erst diese dunkelhaarige Tussi, die ihren Jochen begrabscht und vollgelabert hatte und nun auch noch seine Ex. Das war zu viel für die hübsche Blondine. Sie schmiss sich auf ihr Bett und weinte. Konnte gar nicht mehr aufhören zu schluchzen. Irgendwann schlief sie erschöpft ein.

„Bist du krank, Liebes?“ fragte Jochen besorgt, als er sie im Bett vorfand.
Kurz darauf spürte sie seine warme Hand auf ihrer Haut. Zärtlich strich er über ihren Rücken. Barbette seufzte wohlig und gab sich der zarten Berührung hin. Seine Finger spielten mit ihren Locken, streichelten ihren Nacken und suchten den Weg zurück zu ihrem Rücken. Sie stöhnte leicht und eine Welle der Erregung durchströmte ihren Körper. Jochen ließ seine Hände nach unten wandern. Auf ihrem knackigen Po hielt er inne. Barbette würde ihm am liebsten die Klamotten vom Leib reißen und mit ihm schlafen, jetzt sofort. Doch als vor ihrem inneren Auge die Szene aus der Cafeteria auftauchte, änderte sich schlagartig ihre Stimmung. Dieses unverschämte Miststück, das sich Jochen an den Hals geworfen hatte! Bestimmt hatte er diesen dunkelhaarigen Vamp in irgendeiner Wäschekammer zum Nachtisch vernascht.
Mittlerweile war auch Jochen den Reizen Barbettes erlegen und in seinem Schritt zeichnete sich unter der schicken Hose deutlich seine Erregung ab. Normaler Weise gab es bei diesem Anblick für Barbette kein Halten mehr, aber heute nicht. Immer wieder schob sich diese junge Frau in ihre Gedanken.
„Hast du überhaupt noch genug Power, um mich zu befriedigen?“
Provozierend blitzte sie ihn an.
„Wer weiß, vielleicht hast du ja schon für die hübsche Dunkelhaarige dein ganzes Pulver verschossen“, setzte sie noch einen drauf. Jochen sah sie verständnislos an.
„Worauf willst du eigentlich hinaus, Barbette?“
„Sag du mir lieber, wer diese Schlampe ist, die heute an deinem Arm und deinen Lippen hing!“
In Barbettes Augen lag mit einem Mal so viel Hass, dass Jochen erschrak.
„Von wem um Himmels Willen redest du bloß?“ Scharf zog Barbette die Luft ein.
„Bitte lass diese Spielchen, Jochen! Das kann ich jetzt nicht vertragen. Ich habe dich gesehen!“ Jochen verstand nur Bahnhof.
„Wo hast du mich gesehen?“
„In der Cafeteria, mit diesem dunkelhaarigen Flittchen!“
Wütend sprang sie aus dem Bett und baute sich vor Jochen auf.
„War es schön mit ihr? Wo habt ihr es getrieben? In einem leeren OP-Saal? Auf dem Klo oder womöglich in der Besenkammer?“
Barbette hatte sich nun richtig in Rage geredet. Ihre Stimme wurde mit jedem Vorwurf lauter.
Ihre blauen Augen wirkten eiskalt und ihr Blick verachtend.
„Sag mal, spinnst du, Barbette?“ fragte Jochen nun mit ruhiger Stimme. „Du spionierst mir also auf der Arbeit heimlich nach?“ Fassungslos schaute er sie an, verstand die Welt nicht mehr.
„Ach, hör doch auf, das Unschuldslamm zu spielen. Du hast Susa ohne mit der Wimper zu zucken, verlassen. Warum sollte es also bei mir nicht auch so sein?“ mutmaßte sie.
„Du bist wirklich verrückt, Barbette. Und mit deiner ewigen Eifersucht machst du mich verrückt. Bis jetzt dachte ich, es sei nur eine Marotte von dir, aber nun beschleicht mich langsam das Gefühl, dass das krankhaft ist.“
„Pah! Krank? Ich? Nee!“ Barbette schüttelte ihren Kopf, dass die Locken durch die Luft wirbelten.
„Ich lass mich nur nicht von euch Kerlen verarschen! Und das ist auch gut so!“
Dann schnappte sie sich ihre Klamotten und verschwand im Bad. Jochen genoss die Ruhe, die eingekehrt war. Resigniert sank er auf das Bett. Es war noch warm von Barbettes Körper.
So hatte er sich seinen Feierabend nicht vorgestellt. In seine Gedanken schlich sich ein leises Klingeln. Das Telefon! Langsam schlich er rüber in Barbettes Wohnzimmer und hob den Hörer ab.
„Susa, schön, dich zu hören“, begrüßte er seine Exfrau.
„Bist du krank?“ fragte diese sogleich. So freundlich kannte sie Jochen kaum noch.
„Du, ich wollte nur mit dir die Besuchstermine für Max absprechen“, erklärte Susa ihren Anruf.
In dem Moment schoss Barbette wie eine Furie aus dem Bad und schnappte sich das Telefon.
„Rufst du meinen Mann jetzt schon zuhause an, du kleines Miststück? Na, du hast ja Nerven! Eines sage ich dir: lass meinen Jochen in Ruhe, oder ich werde dir…“
„Barbette, ich bin es, Susa.“
Barbettes Gesicht verfärbte sich dunkelrot, stumm drückte sie das Telefon zurück in Jochens Hand. Beschämt blickte sie zu Boden, dann verschanzte sie sich erneut im Bad.

„Es ist gerade unpassend, Susa. Ich rufe dich später von meiner Wohnung aus an, ok?“ entschuldigte sich Jochen und legte auf. Eine Weile saß er noch auf dem Sofa und starrte ins Leere. Ließ die Zeit mit Barbette Revue passieren, malte sich eine Zukunft von vielen mit ihr aus. Dann erhob er sich langsam, zog seine Jacke an und ging mit schweren Schritten in den Flur. Vor der Haustür angekommen, machte er kehrt, kramte seinen Schlüssel für Barbettes Wohnung aus der Jackentasche und legte ihn auf den Wohnzimmertisch. Danach angelte er Barbettes Schlüssel zu seiner eigenen Wohnung vom Schlüsselbord und steckte ihn wehmütig ein.
Einige Sekunden lang blieb er an der Tür stehen, bevor er mit festem Griff den Türknauf nach unten drückte, um in seine neue Freiheit hinaus zu schreiten…

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.12.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
eigenständiger Fortlauf von "der ganz normale Wahnsinn!"

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