***1***
Sie stand im Lichtkegel.
Sie war sich dessen voll bewusst.
Und noch mehr. Sie wollte das alles so.
Sie wollte gesehen werden.
Sie wollte bewundert werden.
Sie wollte auffallen.
Sie gab alles dafür.
In ihr breitete sich ein Hochgefühl aus.
Der Bass wummerte in ihrem Bauch und ließ ihre
Bewegungen fließend aber kraftvoll aus ihr
heraus strömen.
Sie wollte vergessen.
Sich fühlen.
Bei sich sein.
Ganz allein.
Marie.
Immer wieder kam es vor, dass sie angerempelt wurde.
Anfangs reagierte sie ärgerlich darüber,
fühlte sich gestört.
Aber bald nahm sie es gar nicht mehr wahr, nahm es
als selbstverständlich hin.
Immer besser gelang es ihr in die entspannte Wirkung
der Musik hinüber zu gleiten.
Für ein paar Stunden.
Nur für sich.
Marie.
Er hob die Hand um zu signalisieren, dass er noch
ein Trink wollte. Abgekämpft und müde hing er auf
dem Barhocker. Eigentlich müsste er längst im Bett
liegen und Schlaf nachholen.
Eigentlich.
Aber irgendwie brauchte er etwas anderes um sich
herum, musste das Leben auch mal spüren.
Das Leben fühlen, das Leben sehen.
Nicht nur um Leben kämpfen.
Tag und Nacht.
Fabian.
Aus dem Augenwinkel sah er eine junge Frau
im Rampenlicht, versunken in sich selbst.
In dem Augenblick fühlte er sich ihr sehr nahe.
Fabian.
Einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke.
Mit ihren Lächeln winkten sie sich zu
als wenn sie sich schon ewig kennen würden.
***2***
Wunderschön glitzerte der Schnee auf den Bäumen.
Dass er das noch einmal erleben durfte, das hätte
er nicht mehr erwartet. Er musste tief durchatmen,
damit nicht Tränen seine Augen füllten.
Er stand regungslos am Fenster und legte seine ganze
Kraft in die Bewunderung dieses Augenblicks.
Minutenlang.
Minuten schwer.
Im Hintergrund hörte er das morgendliche Klappern
der Essenswagen. Bald würde seine Tür aufgehen und
Schwester Marga würde den Tag beginnen.
Tagein.
Tagaus.
Seit zwei Wochen.
Seit ihn der Schlag getroffen hatte.
Er konnte seinen Blick nicht von der verschneiten
Winterpracht wenden.
So weiß.
So schön.
So friedlich.
So rein.
So unverbraucht.
So einladend.
Hinter ihm lag sein kleines Zimmer.
So eng.
So dunkel.
So abstoßend.
Er fühlte auf einmal, das sein Inneres rebellierte.
Das kann und soll es noch nicht gewesen sein.
Mit einem Lächeln begrüßte er Schwester Marga.
***3***
Mittagspause.
Hochsommer.
Die Bank lag im Schatten und Lena fühlte sich
endlich unbeobachtet. Heute empfand sie mehr
denn je die Blicke ihrer Kolleginnen wie Nadelstiche
auf ihrer Haut. Kopfschüttelnd entzog sie sich den
Fragen nach ihrem Befinden.
Sie schwitzte.
Ärgerlich und ruckartig zog sie sich die Ärmel ihrer
langen Bluse noch tiefer, bis in die Hände.
Sie hatte dieses Versteckspiel so satt.
Innerlich stöhnend schloss sie die Augen.
Angst.
Erniedrigung.
Gewalt.
Dann.
Versprechen.
Hoffnung.
Ein Kreislauf in einer Endlosschleife.
Wie konnte sie da nur hineingeraten.
Sie glaubte so sehr an seine Worte.
An die lieben mehr als an die bösen.
Lena sog die friedliche Stille ein. Vogelgezwitscher
ließ ihren Blick in die Wipfel gleiten.
Ein Pärchen saß über ihr.
In Eintracht.
Sie schnäbelten miteinander und flogen dann fort.
Gemeinsam.
Bei dem Anblick kamen Lena die Tränen.
Bitter.
Heute Abend würde sie endlich ihren Koffer packen.
Texte: alle Rechte beim Autoren
Bildmaterialien: alle Rechte beim Autoren
Tag der Veröffentlichung: 23.12.2022
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