Wie schwer es fällt Abschied zu nehmen
oder
Die kleine Geschichte von den drei Weinflaschen
Oh man. Wieder stolperte ich über irgendeinen Scheiß in meiner Wohnung. Ich musste aber auch immer alles aufheben. Alles war so gedrängt, verstopft und es wurde immer enger. Überall musste ich schieben, wühlen, stapeln und hinter mir entstand immer mehr Chaos. Wozu musste ich aber auch die ganzen kleinen und großen Urlaubserinnerungen aufheben? Wer brauchte das? Nur der Staub, um sich darin zu verfangen. Der ganze bunte Ikeascheiß, an dem ich nie vorbeikam, verunstaltete auch langsam meine Wohnung. Ich hatte überhaupt keine klare Linie mehr. Dabei fing alles mal klein und übersichtlich an. Genau so wollte ich es wieder haben.
Ich musste meine innere Überzeugung sofort umsetzen, sonst würde das Projekt der Entrümpelung erbarmungslos scheitern. Und dann hielt ich mit jedem kleinen Erinnerungsstück eine Geschichte in der Hand. Ich musste lachen und weinen. Dauernd stellte sich mir natürlich die Frage, aufheben oder wegschmeißen. Das Meiste flog in die blaue Tüte, ganz besondere Schmuckstücke blieben natürlich und für “ weiß nicht so recht“ gab es eine Kiste, die in den Keller kam. Also das war schon ein schwerer Abschied von meiner langjährig gesammelten Urlaubsvergangenheit. Bei den Dekosachen war es einfacher. Meine Güte wie schnell füllten sich die Tüten. Der Gang in den Müll lohnte sich. Ich traute meinen Augen kaum als ich dann das Ergebnis sah. Was hatte ich Platz in meiner Wohnung. Wie schön hell war es auf einmal. Das Grün der Pflanzen kam wieder zur Geltung. Ich hatte das Gefühl, dass ich etwas ganz Besonderes an diesem Tag geschafft hatte. Das musste ich feiern. Ich kaufte mir einen edlen Wein in einem Fachgeschäft. Das fand ich angemessen. Die Flasche hob ich erst mal auf.
Ich fand es erstaunlich, dass meinem Freund nichts aufgefallen wäre, wenn ich nichts gesagt hätte. Nun ja, es waren nicht seine Erinnerungsstücke und seine Wohnung. Aber er fand es gut, sich von alten Erinnerungen zu trennen.
Monate vergingen.
Ich musste zum Vorstellungsgespräch und fand in meinem Kleiderschrank nicht die Bluse, die es sein sollte, und die, die es dann wurde, war zerknittert. Zerknittert kam ich auch vom Vorstellungsgespräch zurück und machte mich wütend auf die Suche nach der Bluse. Was fand ich nicht alles im Schrank. Kaum zu glauben. Die Hälfte passte mir überhaupt nicht mehr, verstopfte nur die Fächer. Manche Farben zog ich überhaupt nicht mehr an und würde sie auch nicht mehr anziehen. Und warum ich ausgeleierte T-Shirts gesammelt hatte, war mir so auch nicht bewusst. Von Jahr zu Jahr aufgehoben. Mit einigen Kleidungsstücken kamen und gingen Geschichten. Ich lachte und weinte. Da stand ich nun vor diesem Haufen und sagte mir, trenn dich. Tu es jetzt. Weine nicht der Vergangenheit hinterher. Und ich stopfte alles in eine Tüte und brachte es zum Müll. Ich war nach Stunden versucht, es zurück zu holen. Aber dann überkam mich wieder das Gefühl, etwas Großartiges geschafft zu haben. Und wieder ging ich in das Weinfachgeschäft und holte mir eine Flasche Wein zum Feiern. Auch diese Flasche hob ich auf.
Mein Freund begrüßte die Aktion. Sich von alten Sachen zu trennen, fand er schließlich gut, zumal der Umzug in unsere gemeinsame Wohnung bevorstand.
Wochen später.
Die Umzugskisten standen seit Tagen im Flur. Ich müsste anfangen zu packen. Irgendetwas hielt mich mit aller Macht zurück. Ich musste Abschied nehmen. Wieder einmal. Ich dachte an meine Entrümpelungsaktion. Die kam mir jetzt dagegen klein und unbedeutend vor. Genauso das Wegschmeißen meiner gesammelten Lieblingskleidungsstücke. Das war ein Nichts gegen das, was mir nun bevorstand.
Ich holte mir eine Flasche edlen Wein für den Abend. Zum Feiern oder zum Trost, ich hatte keine Ahnung. Jedenfalls sollte sie zu den anderen dazukommen. Diesmal wollte ich mich von meinem Alten trennen.
Texte: Text alle Rechte beim Autoren
Tag der Veröffentlichung: 15.04.2012
Alle Rechte vorbehalten