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Linda stand auf der Veranda des kleinen Ferienhauses ihres Onkels und schaute auf das Meer.
Sie war alleine.
Traurigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben, sie fühlte eine unglaubliche Leere in sich.
Sie trauerte ihrer großen Liebe hinterher und war mittlerweile der festen Überzeugung, dass sie mit ihren 22 Jahren nicht mehr glücklich werden könnte, ihre Liebe unwiderruflich verbraucht und verschenkt sei und nie wieder für sie zu spüren sei.
Warum sollten ausgerechnet fünf Tage am Meer ihre Stimmung verändern?
Sie hatte sowieso nicht daran geglaubt. Morgen würde sie wieder nach Hause fahren und alles würde wieder so sein, wie immer.
Sie ließ ihren Blick über die Dünen schweifen.
Es war fast windstill.
Das Meer lag friedlich vor ihr und sie sah emotionslos einen grandiosen Sonnenuntergang. Selbst mit dem dritten Glas Wein konnte sie sich dieses Schauspiel nicht schön reden.
Andere würden es genießen.
Nicht sie.
Ohne ihn war alles farblos.

Obwohl sie leicht fröstelte in ihrem dünnen Kleid, einem Hauch aus Nichts, blieb sie auf der Veranda stehen.
Sie hörte die Dünen im Wind rascheln.
Geheimnisvoll.
Wie ein zartes Flüstern.
Verlockend.
Oder hatte sie sich nur getäuscht?
Sie lauschte angestrengt und fühlte sich irgendwie gerufen. Sie stieg die drei Stufen der Veranda hinab.
Zögernd stand sie barfuß im Sand.
War es der Wind oder waren es Stimmen? Die Neugier trieb sie weiter.
Leise näherte sie sich der Stelle, wo die Dünen flüsterten.
Es klang wie ein Liebeslied.
Wunderschön.
Fasziniert blieb sie stehen.
Leises Plätschern der Wellen.
Hingebungsvolles Stöhnen.
Wechsel im Einklang.
Sie ließ sich einfangen.
Es war ihr unmöglich wieder zu gehen.
Sie schloss die Augen, konzentrierte sich voll und ganz auf den fessselnden Lockruf und begann sich im Takt zu wiegen. Unwillkürlich passte sich ihre Atmung dem Rhytmus des Liebesliedes an.
Es weckte Sehnsucht und Lust.
Sie fühlte sich leicht erregt.
Eine Brise ließ ihr Kleid tanzen und brachte die Wellen zum Schaukeln. Wärme breitete sich in ihr aus und ihr Atem wurde schneller und verräterisch lauter...
Komm zu uns.
Nein, nein, nein.
Sie wollte sich gerade dem Zauber entziehen, da kam eine Welle, rollte auf sie zu, hüllte sie ein und setzte sie sanft in den klangvollen Raum ab.
Komm spiel mit uns.
Sie reichten ihr die Hände und nahmen sie in ihre Mitte.
Sie spielten über ihr und unter ihr.
Wind strich über ihre erhitzte Haut.
Fremdes Haar kitzelte ihr im Gesicht.
Sie hörte das Rauschen des Meeres, fühlte die Wellen.
Sie flüsterten ihr zu.
Wir halten dich.
Habe keine Angst.
Lass dich fallen.
Wir holen dich wieder zurück.
Und dann schaukelte sie auf den Wellen. Langsam.
Auf und ab.
Ließ sich halten.
Ließ sich treiben.
Fasste Vertrauen in das Flüstern und ließ sich fallen.
Die Wellen überschlugen sich, nahmen ihr die Luft.
Stöhnen.
Nicht nur ihr eigener Atem.
Sie tauchten ab, kopfüber in das Nass. Auf den Grund.
Tiefer als tief.
Sauerstoff von Mund zu Mund.
Soviel Mund überall.
Ohne Sprache so wundervoll.
Nicht auszuhalten ohne ein Ton.
Ein Ritt über und unter den Wellen. Das Meer bäumte sich auf, schäumte über, hatte seinen Spaß daran. Dann brach die letzte Welle mit einem tosenden Gebrüll und brachte sie wieder zurück.
Legte sie sanft ab.
Zog sich zurück.
Leise flüsternd.
Wie versprochen.


Linda wurde durch die Sonne wachgekitzelt. Sie war ganz benommen und eigenartig erschöpft. Langsam richtete sie sich in ihrem zerwühlten Bett auf.
Das Fenster war weit geöffnet, der Vorhang flatterte im Wind.
Auf der Veranda lag ihr Kleid.
Zwischen ihren Zehen fühlte sie Sand.
Sie ließ sich in ihre Kissen zurückfallen und atmete fremden Duft ein.
Da war noch was.
Sie spürte es genau.
Ihr Körper fühlte sich warm an.
Ihre Finger tauchten ab in eine feuchte Grotte.
Sie hörte das Flüstern des Meeres und versuchte zu verstehen.


Sie nahm Abschied vom Meer.
Gab ihm ein Lächeln zurück.
Auf dem Weg zur Fähre winkte ihr ein junges Paar hinterher.

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Tag der Veröffentlichung: 29.04.2011

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