Cover

Prolog

Im tiefen Schnee, irgendwo weit draußen in der Welt, läuft er ziellos umher, ohne zu wissen wohin er geht, wo er ist, wer er ist. Namenlos ist das Tier, blutbefleckt und schwach. Rote Spuren verschmutzen das reine und unschuldige Weiß. Im Schein des Mondes erliegt der Wolf seinen Qualen, legt sich nieder in die Kälte und schließ seine treuen Augen.

The new Schoolmate

Der neue Mitschüler

 

Lautes Gelächter, Stimmengewirr und Musik. Die Nacht ist erfüllt von Lärm, von feiernden Jugendlichen, die sich betrinken. Sie seufzte. Partys waren noch nie ihr Ding gewesen und auch jetzt wollte sie eigentlich nicht sein, wo sie gerade war: Die Party, die das neue Schuljahr einläuten sollte. Die anderen hatten ein großes Lagerfeuer entzündet, verbrannten ihre alten Schulhefte und tranken Alkohol bis sie nicht mehr stehen konnten. Aber sie war anders. Sie hasste diesen Lärm, diese Menschenmassen und den Geruch von Asche und Bier.

„Chloe, alles klar bei dir?“, fragte eine Stimme hinter ihr und sie drehte sich um.
„Ja, ja. Alles bestens. Ich fasse es nicht, dass du mich zu so etwas überreden konntest. Das ist doch furchtbar!“ 
„Sei doch etwas lockerer. Das neue Jahr beginnt. Sieh es als einen Neuanfang.“ Sie legte ihr die Hand auf den Rücken.
„Sag mal, Yu: Wie kannst du das so gelassen sehen?“, fragte Chloe verzweifelt.
„Ich habe schon das ein oder andere Glas getrunken. Solltest du auch mal versuchen. Dann geht’s dir bestimmt besser.“, antwortete ihre beste Freundin.
„Nein danke. Ich passe. Viel Spaß noch.“ Entschlossen drehte sich Chloe um und wollte gehen, als sie mit jemandem zusammen stieß. „Oh…Das tut mir leid. Das wollte ich nicht.“, stammelte sie.
„Nein. Ist schon okay. Das war meine Schuld.“, antwortete der Junge.
Ein neuer Schüler…
„Hallo. Mein Name ist Jaden. Ich bin neu hier und dachte es wäre nicht schlecht mal her zu kommen. War im Nachhinein vielleicht doch nicht so schlau.“, stellte er sich vor.
„Hi. Ich bin Yu.“, mischte sich ihre Freundin gleich ein. „Freut mich.“, gab Jaden zurück.
„Und ich werde verschwinden. Viel Spaß noch euch beiden.“ , erwiderte Chloe. Yu warf ihre blonden Haare zurück. Ein klares Zeichen dafür, dass sie den Neuen für sich beanspruchte.
„Willst du nicht noch bleiben?“, fragte dieser zu ihrer Überraschung.
„Nein. Solche Partys sind nicht mein Ding.“
„Meine auch nicht. Hast du nicht Lust, mir das Schulgelände zu zeigen?“
„Ähm… Ja, klar. Warum auch nicht.“
„Hat mich wirklich sehr gefreut, Yu.“, meinte Jaden zu der völlig perplexen Yu und wandte sich dann an Chloe. „Nach dir.“
„Geh schon mal vor. Ich komme gleich nach.“ Sie zeigte ihm eine wage Richtung und eilte dann in die Entgegengesetzte davon. Yu eilte ihr hinterher. „Was sollte das denn?“, wollte sie wissen.
„Was meinst du?“
„Du hast dich so offensichtlich an ihn rangeschmissen, das ist doch nicht mehr feierlich!“, rief sie, während Chloe sich eine Flasche Wodka nahm. I
ch glaube das werde ich brauchen!
„Ich habe mich an ihn rangeschmissen? Und wovon träumst du nachts? Ich wollte nur weg von der Party und er wollte, dass ich ihm das Schulgelände zeige. Was ist denn schon dabei?“, meinte Chloe weniger aufgebracht. „Wenn du unbedingt willst, kannst du ihn gerne haben. Komm aber nicht heulend zu mir, wenn er dich abserviert hat.“
„Ich werde daran denken.“ Damit schien das Thema für Yu gegessen zu sein und sie verschwand in der feiernden Menge.

Memo an mich: Ihr die Freundschaft kündigen, dachte Chloe. Sie geht mir echt auf die Nerven!
„Du hast mich also einfach diesem schrägen Weib überlassen?“
Chloe fuhr herum. Jaden stand mit einem breiten Lächeln hinter ihr. „Oh, Mann. Erschreck mich nie wieder so!“, flüsterte sie empört und legte die Hand über ihr rasendes Herz. „Wenn du das öfter machst, kriege ich noch einen Herzinfarkt.“
„Ich merke es mir für das nächste Mal.“, erwiderte er und sein Lächeln wurde breiter. „Noch mal: Du hast mich einfach so diesem schrägen Weib überlassen?“
Schräges Weib?“, lachte Chloe. „Sie ist kein schräges Weib. Eigentlich ist sie meine beste Freundin.“
„Dann bist du Masochistin?“, hakte er nach.
„Nein. Das bin ich nicht. Na komm. Lass uns gehen.“, sagte sie und öffnete die Wodkaflasche. „Möchtest du auch etwas?“ Chloe bot ihm die Flasche an.
„Klar. Danke.“
Während er trank, hatte sie genug Zeit ihm einen Seitenblick zuzuwerfen. Er sah gut aus: Schwarze, wilde Haare umrahmten das makellose Gesicht, tief grüne Augen erfassten jedes Detail, dunkle Kleidung machte ihn unauffälliger und seine schlanke und doch muskulöse Statur zusammen mit seiner seltsamen Art zu gehen, machten ihn etwas unheimlich. Jaden erinnerte Chloe an eine Raubkatze. Leise, vorsichtig und elegant. 

„Um jetzt nochmal auf diese-Wie hieß sie noch gleich? Ach genau - Yu zurückzukommen.“, setzte er an und gab ihr die Flasche zurück aus der sie einen großen Schluck nahm. „Was will sie von mir?“
„Du bist neu und siehst gut aus. Du stehst damit ganz oben auf ihrer Abschussliste.“
Jaden stieß einen leisen Seufzer aus. „Na da hab ich mir ja was eingebrockt.“
Zusammen bahnten sich die zwei einen Weg durch die Feiernden und Betrunkenen zum Rand der Party.
„Du ärmster. Leider wird es dir nicht viel bringen, wenn du sie einfach nur abblitzen lässt. Sie wird immer wieder kommen, bis du nicht mehr interessant bist.“  
„Und deshalb schuldest du mir etwas.“
„Was? Wieso ich?“, rief Chloe erschrocken.
„Du hast das zugelassen. Aber keine Sorge, mir fallen bestimmt ein paar nette Sachen ein, mit denen du das wieder gut machen kannst.“, sagte er und lachte in sich hinein.
„Chloe!“, rief jemand und in ihrem tiefsten Innern, blieb ihr das Herz stehen. Sie stoppte so abrupt, dass Jaden fast in sie hinein gelaufen wäre, wäre er nicht so schnell zu Seite ausgewichen.
„Chloe, wo willst du hin?“ Ein Junge kam auf die beiden zu. Ein Blonder Junge mit der Statur einer Football Spielers.
„Lass mich in Frieden, Brad.“, zischte Chloe.
„Was ist los mit dir?“, fragte dieser erstaunt. 
„Verpiss dich einfach.“, knurrte sie, ging an ihm vorbei und stieß ihn mit der freien Hand bei Seite.
„Chloe. Jetzt bleib stehen!“ Brad schien die Geduld zu verlieren und packte sie am Handgelenk.
„Lass mich los, Brad.“
Vor lauter Wut klang Chloe´s Stimme ganz ruhig und sie funkelte ihn an. Er stieß sie von sich und sie stolperte zwei Schritte zurück. Jaden trat zwischen die beiden.
„Wenn du sie nicht verstanden hast, sag ich es dir gerne noch mal: Lass sie in Frieden.“
Selbstbewusst stand er zwischen den beiden, mit seiner lockeren Haltung, einem frechen Grinsen im Gesicht und so unglaublich ruhig, als könnte er es mit der ganzen Welt aufnehmen.
„Bist du jetzt ihr neuer Freund?“, fragte Brad überraschend.
„Nicht das ich wüsste.“, antwortete Jaden und sah zu Chloe, die die Szene mit großen Augen betrachtete und langsam den Kopf schüttelte.
„Diese kleine Schlampe hat doch immer sofort nen Neuen am Start.“
Jaden lachte. „Sie hat mit dir Schluss gemacht, stimmt´s? Und jetzt bist du beleidigt. Das ist ja echt zum Totlachen.“ 
Er schien sich kaum noch einzukriegen. Einige Schülerinnen und Schüler hatten sich umgedreht,  sahen den beiden Jungs zu und lachten leise. Brad sah sich verzweifelt um. Niemand war da, der ihm helfen wollte.
„Du verdammter Mistkerl. Dir werd ich´s zeigen!“, schrie er und stürmte auf Jaden zu.
Chloe ging dazwischen. „Das reicht jetzt. Hört sofort auf dam…“ Weiter kam sie nicht, denn Jaden schob sie hinter sich.
Brad setzte zum Schlag an, doch Jaden fing seine Hand ab und in einer Bewegung, der das Auge nicht folgen konnte, hatte er Brad den Arm auf den Rücken gedreht und ihn zu Boden geworfen.
„Muss ich mich etwa klarer ausdrücken?“, knurrte er.
Jetzt kam er Chloe nicht mehr wie eine Raubkatze vor, sondern wie ein wilder Hund. Langsam verstärkte er seinen Griff und Brad biss die Zähne zusammen. Chloe legte Jaden sanft die Hand auf die Schulter.
„Lass gut sein. Es reicht.“, flüsterte sie, doch Jaden ließ nicht nach. „Jaden. Jaden lass ihn los.“ Erst jetzt ließ er von dem am Boden liegenden Jungen ab.
„Komm mit.“ Chloe zog Jaden von der Feier weg in ein kleines Waldstückchen.


Nach einer Weile blieb er stehen. „Geht’s dir gut?“, fragte er.
„Ja, sicher. Danke, dass du mir geholfen hast.“, bestätigte sie.
„Bist du dir da wirklich sicher?“, beharrte er und strich ihr vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich bin mir sicher.“ Plötzlich wich jede Anspannung aus seinem Gesicht. „Aber was ist mit dir?“
„Mir geht’s bestens. Lass mich raten: Er versteht nicht, dass ihr nicht mehr zusammen seid?“
„Stimmt.“ Chloe drehte sich um und ging weiter. Als Jaden zu ihr aufgeschlossen hatte fragte er: „Warum hast du Schluss gemacht?“
„Er war…. Wie soll ich es sagen? Besitzergreifend, eifersüchtig, wenn ich mit einem anderen Jungen geredet habe, herzlos und ungeduldig.“
„Also ein Mistkerl. Muss man mit dir denn geduldig sein?“ Fragend sah sie ihn an und entdeckte das leise Lächeln, das über seine Lippen huschte.
„Nein. Nur wenn man nicht warten kann.“
„Dachte ich mir.“
Sie erreichten eine Brücke, die über einen kleinen Bach führte. „Da hinten ist das Schulgebäude.“, sagte Chloe. „In die Richtung ist eine kleine Kapelle und ein Friedhof.“ Sie zeigte in etwas weiter nach links.
„Warum gibt es auf einem Internatsgelände einen Friedhof?“
„Da liegen die Gründer der Schule. Viele Lehrer benutzen ihn als Drohung. >>Wenn ihr nicht artig seid, lasse ich euch eine Nacht auf dem Friedhof übernachten, oder verscharre euch gleich da<<. So etwas bekommen wir öfters zu hören.“
Mit einem ziemlich anzüglichen Unterton fragte Jaden: „Dann bist du also ein ganz böses Mädchen?“
Verstohlen schaute sie zu ihm auf. „Aber immer doch.“
„Gut zu wissen.“ Die beiden lachten.
„Komm ich zeig dir war Besonderes.“, sagte Chloe, als sie sich wieder gefasst hatte und ging nach rechts.
„Und wohin gehen wir?“, wollte Jaden wissen.
„Warts einfach mal ab.“, erwiderte sie daraufhin.

Zusammen gingen sie am Bach entlang, bis sie zu einigen großen Steinen kamen, die im Wasser lagen. „Nach dir.“, bot Jaden an, als sie sich zu ihm umdrehte.
Vorsichtig setzte sie den Fuß auf den ersten Stein, dann den zweiten und dritten. Das Wasser plätscherte gemütlich vor sich hin, zerrte aber an den Steinen. Plötzlich lockerte sich einer und Chloe stolperte. Jaden wollte sie zurückziehen, doch sie riss ihn mit. Das kalte Wasser stach wie hunderte kleiner Nadeln in ihre Haut, durchtränkte ihr Kleidung und ihre Haare.

Zum Glück war das Wasser nicht tief, doch Jaden´s Gewicht drückte sie in das kalte Nass. Er stütze sich auf die Hände um sie nicht länger unter Wasser zu halten und sah sie an. Erst musste sie husten, weil sie Wasser geschluckt hatte, doch dann begegneten sich ihre Blicke. Chloe hatte das Gefühl sich in dem dunklen Grün zu verlieren. Es erinnerte sie an Moos, das im Schatten unter großen Bäumen wuchs, an Sommer, an Licht und Wärme. Ein Leuchten huschte durch seine Augen, aber es war so schnell wieder verschwunden, dass Chloe sich nicht sicher war, ob es wirklich da war. Der Moment schien unendlich lang und trotzdem viel zu kurz. Doch dann blinzelte er, als wäre er gerade aufgewacht und erhob sich.
Wasser lief an seiner Kleidung herunter, tropfte von seinen Haarspitzen und an seinem Gesicht hinunter. Jaden half ihr auf und sie wateten zum anderen Ufer.
„Um ehrlich zu sein, hab ich heute schon geduscht. Normalerweise reicht einmal am Tag.“, sagte sie.
„Tja, jetzt ist es wohl zu spät um zu sagen, dass es rutschig ist. Aber man kann ja nie sauber genug sein.“, meinte Jaden grinsten.

Der schöne Moment war eindeutig vorbei. Sie seufzte und wrang ihr Haar aus. Aus dem Augenwinkel sah sie Jaden, wie er seinen Pullover auszog und ihn kräftig auswrang. Das T-Shirt, das er darunter trug war nicht weniger nass als der Pullover. Das Shirt klebte an seinem Oberkörper und ließ die ausgeprägten Muskeln darunter hervortreten. Er schüttelte den Kopf, als wäre er ein nasser Hund, der das Wasser aus seinem Fell schleudern würde.
„Manchmal erinnerst du mich an einen Hund.“, warf Chloe in Stille hinein.
Fast als wäre er erschrocken, starrte er sie an. „Ein Hund?“, fragte er dann ganz erstaunt.
„Ja. Ein Hund.“, gab sie zurück und streifte ihre Jacke ab.
Der dünne schwarze Stoff hatte sie in dieser kühlen Herbstnacht warm gehalten, doch jetzt klebte er an ihr. Ihre Schwarzen Stiefel standen voller Wasser und gaben bei jedem Schritt ein schmatzendes Geräusch von sich. Kurzer Hand zog sie Stiefel und Socken aus und marschierte wieder in Richtung Wald.
„Na komm schon!“, rief sie Jaden zu, der sich seinem T-Shirt gewidmet hatte.
Er hatte es über den Kopf gezogen und war dabei es von Wasser zu befreien. Blasse Haut kam zum Vorschein, Muskeln, die bei jeder Bewegung arbeiteten und ein Tattoo, das sich über seinen Rücken und teilweise seinen Bauch zog. Schwarze Linien wie Flammen verbanden alte Runen miteinander und trafen auf seinem Rücken zusammen. Plötzlich sah Chloe einen Wolf vor sich, mit schwarzem Fell und gebleckten Zähnen. Ein riesiges Tier, das sie, hätte es sich auf die Hinterpfoten gestellt, überragt hätte.

Doch im nächsten Moment war der Wolf weg und Jaden stand vor ihr.
„Chloe. Chloe.“, sagte er mit Nachdruck und schüttelte sie. „Hey. Alles klar?“
Sie blinzelte ein paarmal und antwortete etwas verwirrt: „Ja, mir geht’s gut.“
Er hatte sein Shirt wieder übergezogen, auch wenn es nicht wirklich trocken war.
„Na komm. Lass uns weiter gehen.“, meinte sie schließlich und setzte ihren Weg fort. Sie führte Jaden durch das Unterholz.
„Willst du mir jetzt sagen, wofür wir das alles machen?“, wollte er wissen.
„Warum siehst du es dir nicht einfach selbst an.“

Vor den Beiden lag eine Lichtung. Selbst zu dieser Jahreszeit waren hier Blumen mit geschlossenen Blüten. Kleine zierliche Pflanzen, die Jaden noch nie zuvor gesehen hatte. In der Mitte stand ein großer alter Baum, fest verwurzelt in der Erde. Sein Blätterdach verdeckte fast die ganze Lichtung, doch als Jaden nach oben sah, konnte er noch den Mond sehen.
„Komm.“, flüsterte Chloe, nahm Jaden bei der Hand und führte ihn zu dem alten Baum.
„Was ist das hier?“, fragte er voller Staunen.
„Das ist ein Ort, der nur wenigen Leuten zugänglich ist. Nur jemand, der keine bösen Absichten hat, kann ihn betreten.“
„Woher weißt du das alles?“
„Meine Großmutter hat mir davon erzählt.“
„Und was sind das für Blumen?“ „Sie werden Mitternachtsblumen genannt.“
„Aber…“, begann er, doch Chloe unterbrach ihn.
„Und drei, zwei, eins…“
Jaden sah auf. Alle Blumen öffneten gleichzeitig ihre Blüten und streckten sich dem vollen Mond entgegen. Ein helles Licht breitete sich aus und erhellte die gesamte Lichtung. Auf einmal verspürte Jaden ein unendliches Glücksgefühl. Er fühlte sich frei und unsagbar geborgen. Chloe pflückte eine der Mitternachtsblumen und roch daran und da vernahm auch er den Geruch der Blumen. Ein zarter Duft erfüllte die klare Nachtluft. Es roch nach Sommer, nach frischem Gras und Wärme, nach kaltem Schnee und nassen Steinen. Wind kam auf, strich sanft durch sein Haar und die Blüten der Mitternachtsblumen. Als hätte der Wind den Blumen die Energie gestohlen, erlosch das Licht, stieg aus den Blumen empor formte sich zu kleinen Lichtpunkten und wurde vom Wind hinauf in den Himmel getragen.

„Das war einfach unglaublich.“, flüsterte Jaden und sah dem Licht der Blumen nach.
„Ja nicht wahr?“
„Was ist da gerade passiert?“
„Neue Sterne wurden geboren. Sieh nur.“ Chloe trat einige Schritte vom Baum weg und sah in den Himmel hinauf. Jaden tat es ihr gleich. Am Himmel funkelten irre viele Sterne, mehr als er je gesehen hatte.
„Erzähl mir mehr über diesen Ort.“, bat er.
„Vielleicht morgen. Ich bin unendlich müde.“, entgegnete sie.
Jaden musterte sie, ihre dunklen Haare, die ihr am Kopf klebten, ihre nasse Hose und das durchweichte Top, ihre Jacke und Schuhe in der einen und die fast leere Wodkaflasche in der anderen Hand.
„Du hast fast den ganzen Alkohol alleine getrunken?“
„Entschuldige, aber manchmal hilft es gegen einen kleinen Teil der Sorgen.“, flüsterte sie. „
Erzähl mir doch davon.“, bot er an.
Sie brachte ein schiefes Lächeln zustande und antwortete: „Du bist neu. Du bist ein Fremder. Eigentlich hätte ich dir das hier nicht mal zeigen dürfen. Niemand weiß davon. Niemand. Wirklich niemand.“
„Und warum hast du es mir dann gezeigt?“
„Ich habe keinen blassen Schimmer.“, brachte sie hervor.
„Auch gut. Also lass uns gehen.“, beschloss Jaden.


Es kostete Chloe einige Anstrengungen so lange wach zu bleiben, das konnte Jaden deutlich sehen, doch schon bald kam das Schulgebäude in Sicht. Es sah aus wie ein Schloss. Dunkel und verlassen lag es da, bewegungslos und für immer stumm. Der Mond erhellte die Fassade und ließ es fast bedrohlich wirken. Die Eingangshalle war leer. Niemand schien noch wach zu sein, außer denen, die noch feierten. Chloe schleppte sich die Treppe hoch, doch Jaden sah, welche Schwierigkeiten ihr das bereitete. „Warte. Ich helfe dir.“, sagte er und hob sie hoch. „Nein. Ich kann selbst laufen.“, protestierte sie, aber da waren sie schon am Ende der Treppe und Jaden setzte sie wieder ab. Ganz am Ende des Flurs, des Mädchentrakts lag Chloe´s Zimmer. Sie verschwand im Bad und Jaden sah sich etwas um. Der Raum war ordentlich, aber seltsam leer. Keine Poster hingen an der Wand, es gab kaum persönliche Gegenstände. Nur über dem Bett hing eine Collage.

Mehrere Bilder waren auf dem Blatt aufgeklebt. Bilder von glücklichen Menschen. Ein Mann mit einem kleinen Kind auf dem Schoß, ein älterer Mann mit einer älteren Frau im Arm. Ein kleiner Junge auf einem Fahrrad und viele mehr. In der Mitte stand ein Spruch: „Manchmal muss man einen Menschen, den man liebt loslassen, damit er glücklich werden kann. Auch wenn man selbst daran zerbricht“. Chloe kam aus dem Badezimmer zurück und trug nur ein viel zu großes T-Shirt. Sie sank auf das Bett und schloss die Augen. Jaden lächelte. Sie war wirklich schon eingeschlafen. So friedlich kann man nur aussehen, wenn man schläft, dachte er und deckte sie mit der Decke zu, die über dem Fußende des Bettes hing. Eine Träne rann Chloe über die Wange und sie gab einen erstickten Laut von sich, schlief aber weiter. Leise schloss Jaden die Tür und ging in sein eigenes Zimmer.

Just a Dream

Nur ein Traum

 

Langsam schwebte sie über den Wald. Ein seltsamer Geruch zog sie an und trieb sie voran. Rauch stieg in der Ferne auf und sie wusste, dass das ihr Ziel war. Je näher sie kam, desto stärker wurde er: Der Geruch von Tod. Ihr Ziel war eine Lichtung. Ein Schlachtfeld voller Leichen. Fast erloschene Feuer schickten Hitze in die Luft und der Rauch raubte ihr den Atem.
     Ein gespaltener Baum stand in der Mitte der Lichtung. Leblos lagen seine Teile am Boden, seine Wurzeln, sonst fest in der Erde verankert, waren herausgerissen. Drum herum lagen erschlaffte Körper. Wölfe, Menschen, alle waren tot. Nichts bewegte sich noch. Alles war still, bis auf das leise Rauschen einer sanften Brise. Mit Trauer im Herzen betrachtete sie den Kampfplatz und eine Träne rann ihr über die Wange. Wie in Zeitlupe fiel sie zu Boden. Ein kleiner Trieb wuchs aus der Erde, wurde größer, bis er zu einer Blume wurde. Langsam öffnete die Blume ihre Blüte. Die Blätter waren so rein weiß, dass sie absurd wirkten in dem Dreck und dem vielen Blut der Schlacht. Plötzlich färbte sich die Blume vom Stielansatz an blutrot. Das Rot durchtränkte die Blütenblätter. Schließlich knickte die Blume und verdorrte.

Schweißgebadet und schwer atmend saß Chloe senkrecht in ihrem Bett. Instinktiv fasste sie sich an den Hals. Sie spürte wie ihr Herz raste, doch von einer Bisswunde merkte sie nichts. Chloe seufzte tief und sah auf den Wecker neben ihrem Bett. Drei Uhr morgens. Sie gab die Hoffnung auf, noch einmal einzuschlafen.

Familiar

Vertraut

 

Mit einem leisen Stöhnen ließ sich Chloe auf den Stuhl in der Mensa fallen. Jeder Knochen im Leib tat ihr weh, jeder Muskel brannte. Ein lautes Knacken hallte durch den menschenleeren Raum, als sie sich aufrichtete und ihre Wirbel an ihren eigentlichen Platz sprangen. Chloe fühlte sich, als hätte jemand sie durch eine Mangel gedreht. Nicht mal eine heiße Dusche hatte geholfen.
„Chloe. Was machst du denn schon hier?“, fragte jemand hinter ihr und sie zuckte zusammen.
„Jaden.“, flüsterte sie erleichtert. „Erschreck mich nicht so.“
„Ach genau. Das hatte ich vergessen. Tut mir leid.“ Erst jetzt bemerkte er die dunklen Ringe unter ihren Augen. „Was ist passiert? Du siehst furchtbar aus.“
„Danke. Das wollte ich unbedingt hören.“, gab sie zurück.
Er setzte sich auf den Stuhl neben sie. „Nochmal Entschuldigung. Das war taktlos.“
„Allerdings.“, gab Chloe zurück, doch dann seufzte sie und sagte: „Ich hatte einen Albtraum und konnte danach nicht mehr schlafen.“
„Willst du mir davon erzählen?“
„Später vielleicht. Aber was machst du eigentlich schon hier? Es ist doch erst sechs Uhr morgens.“
„Ich bin ein chronischer Frühaufsteher.“
„oh, man.“ Chloe ließ den Kopf auf den Tisch fallen und schloss die Augen.
Fast wäre sie eingeschlafen, doch eine Stimme riss sie wieder in das Hier und Jetzt: „Chloe. Du bist ja schon wieder so früh hier. Konntest du wieder nicht schlafen?“
Chloe schreckte hoch und ihr schwammiges Hirn brauchte eine Weile, um das bekannte Gesicht zu zuordnen. „Oh, Izzy. Ja, stimmt. Hast mich wieder erwischt.“, sagte Chloe verlegen.
Die Schulköchin trug eine weiße Schürze über ihrer weißen Bluse und der dunklen Jeanshose. Die krausen roten Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihre Augen strahlten sie besorgt an.
„Ach genau. Izzy, das ist Jaden. Er ist neu hier.“, stellte sie die beiden einander vor.
„Hi, Jaden. Freut mich dich kennenzulernen.“, begrüßte Izzy Jaden. 
„Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“, gab dieser zurück.
„Uh… Charmant. Da hast du dir aber einen netten Jungen raus gefischt. Solche gibt es nicht mehr oft heutzutage.“, flüsterte Izzy.
Chloe spürte wie ihr das Blut in die Wangen schoss. „Wir sind nicht zusammen, Izzy.“, brachte sie hervor.
„Na, was nicht ist kann ja noch werden.“, trällerte Izzy fröhlich. 
„Und? Wollt ihr etwas essen?“
„Gerne. Ich glaube Chloe braucht das gerade ziemlich dringend.“, meinte Jaden.
„Das sieht man. Ich bringe euch ein paar Sandwiches und was zu trinken. Wollt ihr es hier essen, oder willst du es mit nach draußen nehmen, Chloe?“ Doch diese war so in Gedanken vertieft, dass sie die Frage gar nicht bemerkte.
„Wir essen draußen.“, antwortete Jaden stattdessen.
„Alles klar. Bin gleich zurück.“ Izzy schlenderte in Richtung Küche davon.
„Mensch, Chloe. Hey, bist du noch wach?“, rief Jaden ihr zu.
Chloe hatte die Augen geschlossen und es nicht einmal gemerkt. Sie öffnete ihre schweren Lider und blinzelte den Jungen vor ihr verwirrt an. Leise flüsterte sie: „Ich bin so müde“ und schloss die Augen wieder.
Jaden seufzte und schaute zur Küche.  Die Tür öffnete sich und Izzy kam zurück. In der einen Hand hatte sie eine Tüte und in der anderen eine Thermoskanne.
„So bitte sehr. Da ist euer Essen. Ich hab euch nach ein bisschen Kakao gemacht, davon wird sie normalerweise immer wach.“
„Danke.“, sagte Jaden und stellte die Sachen auf den Tisch.
„Lasst es euch schmecken.“, erwiderte Izzy und machte Kehrt. Wieder verschwand sie in der Küche. „Na komm Chloe, lass uns etwas essen gehen.“, wandte sich Jaden an das schlafende Mädchen.

 

Er tat die Kanne in die Tüte, nahm Chloe huckepack und die Griffe der Tüte in den Mund. So verließ er das Schulgebäude und ging in Richtung Wald. Chloe war so leicht. Sie sieht unglaublich friedlich aus, dachte er. Jaden stolperte über einen großen Stein und hätte sie fast fallen lassen, doch er schaffte es im letzten Moment sich wieder zu fangen. Mit klopfendem Herzen ging er weiter. Er erinnerte sich gerade noch so gut an den Weg, dass er die Stelle wieder fand, die Chloe ihm mitten in der Nach gezeigt hatte. Jaden lehnte sie gegen die große Eiche und setzte sich neben sie.  Alle Mitternachtsblumen hatten sich geschlossen. Sie wirkten kleiner als das letzte Mal, doch der Baum wirkte nur noch größer. Wie ein Riese, der in der Erde verankert auf einen Moment wartet den Himmel zu berühren. Plötzlich ertönte ein Schrei und Jaden fuhr vor Schreck hoch. Chloe saß mit weit aufgerissenen Augen am Fuße der Eiche. Tränen rannen über ihre Wangen während sie ihren Hals abtastete.

„Chloe! Was ist los?“, rief Jaden und beugte sich zu ihr herunter, doch Chloe saß einfach nur da, den Blick starr geradeaus gerichtet und schaute durch ihn hindurch. Jaden rüttelte sie an den Schultern, bis sie blinzelte und ihn verwirrt ansah.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte er besorgt.
„Ja. Ja, sicher.“, gab sie zurück. „Wo sind wir?“
„Erkennst du deinen Lieblingsplatz etwa nicht wieder?“
„Natürlich. Du hast recht.“ Sie schwieg einen Moment. „Was tun wir hier?“
„Ich dachte es wäre ein schöner Platz um etwas zu essen.“ „
Ja. Du hast recht.“
„Chloe, hast du einen Albtraum gehabt?“, fragte Jaden.
„Ich... Ja. Ich hatte einen Albtraum.“ 
„Willst du mir davon erzählen?“
„Nein.“
„Na schön. Dann iss wenigstens etwas.“
Er kramte in der Tüte herum und förderte eine Thermoskanne und Sandwiches zu Tage. Eines davon reichte er ihr. Während sie das Brot aus der Folie befreite, goss er Kakao in den Deckel der Kanne. Dampf stieg auf und der Geruch von Schokolade lag in der Luft. Jaden nahm sich auch ein Sandwisch und aß es genüsslich. Es schmeckte wirklich lecker.
„Erzähl mir etwas über diesen Ort.“, bat er sie.
„Was willst du denn wissen?“
„So viel wie möglich.“
„Meine Großmutter hat mir einmal davon erzählt. Sie ging selbst einmal auf diese Schule. Sie hat mir immer Geschichten über diesen Ort erzählt. Am Anfang hab ich ihr nichts davon geglaubt, aber als ich die Mitternachtsblumen das erste Mal blühen sah, wusste ich, dass alles wahr war.“, begann Chloe.
„Was waren das für Geschichten?“, fragte Jaden.
Chloe kaute an ihrem Brot herum. „Vor vielen hundert Jahren, war die Welt ein einziges Chaos. Menschen kämpften gegen Menschen, brachten Vernichtung und Tod über die Welt. Aber es war auch eine Zeit, in der die Wölfe lebten. Heute gibt es nur sehr, sehr wenig davon. Sie haben gelernt sich an die Menschen anzupassen, sehen aus wie sie und leben wie sie. Viele von ihnen haben schon vergessen, was sie sind, aber es gibt noch welche, die sich erinnern. Unsere Schule war damals ein Schloss, auf dem viele Menschen wohnten. Diese Menschen bedrohten das Gebiet der Wölfe und töteten die Gefährtin des Rudelführers. Aus blinder Wut griffen die Wölfe die Menschen an. Nicht weit von hier, an dem Fluss in den wir gefallen sind, in einer Vollmondnacht kämpften die Wölfe gegen die Menschen. Die Wölfe waren den Menschen unterlegen und als die Menschen die Wölfe zurückdrängten zogen sich die Wölfe hier her zurück. Sie wurden alle besiegt. Als die Menschen ihren Sieg feiern wollten erschien eine schneeweiße Wölfin, gebieterisch als würde ihr die Welt gehören. Sie sah in den Himmel hinauf und stieß ein wehklagendes Heulen aus, das die Menschen in ihrem Glauben erschütterte. Alle erkannten, wie grausam sie waren. Es war das erste Mal, dass ein Mensch einen Wolf hat weinen sehen. Sie weinte um ihren Geliebten, den Anführer des Rudels und um jeden einzelnen Gefallenen, ob Wolf oder Mensch. Die Tränen der weißen Wölfin fielen zu Boden und die erste Mitternachtsblume erblühte. Aber die Wölfin weinte für jeden der Gefallenen und so entstand diese Masse an Mitternachtsblumen.“
„Wow. Eine traurige Geschichte.“
Inzwischen hatten sie die Sandwiches aufgegessen und den Kakao fast leer getrunken. Chloe schien es wieder gut zu gehen.
„Ja nicht wahr? Aber ich mag sie trotzdem. Glaubst du an Wölfe?“, fragte sie.
„Ja. Ich glaube daran, dass die Wölfe so sind wie in der Geschichte.“
„Damit bist du der erste.“, flüsterte sie.
Er lachte und sagte: „Da würde ich mich nicht drauf verlassen. Ich bin mir sicher, dass es noch andere gibt, die das glauben.“
„Vielleicht.“ Sie schwieg einen Moment. „Magst du Musik?“, fragte sie dann.
„Sicher. Warum?“
„Warte hier.“
Chloe stand auf und sprang an den untersten Ast der großen Eiche. Elegant schwang sie sich hinauf und kletterte einige Äste weiter. Sie förderte ein großes Paket zu Tage. Als sie herunter kam landete sie gekonnt auf den Füßen, als würde sie das jeden Tag machen. Chloe packte das Paket aus. Es war eine Geige.
„wie kann es sein, dass deine Geige so gut in Takt ist, wenn sie Wind und Wetter ausgesetzt ist?“, wollte er wissen.
„Siehst du das Papier? Fühl mal.“
Es war ein hauchdünnes Material, fast wie Stoff. Das dünne Papier fühlte sich weich an und als könnte es jeden Moment durch einen sanften Lufthauch reißen.
„Das Papier hat meine Großmutter mir gegeben. Sie meinte es würde Dinge beschützen, die mir wichtig sind.“ „Das ist ja fantastisch.“, murmelte Jaden.
„Ja, nicht wahr?“
„Und? Kannst du auch spielen?“ Er deute auf das Instrument in Chloe´s Schoß.
„Sicher.“, antwortete sie.

Chloe legte das Instrument auf ihre Schulter und das Kinn auf das Polster. Der Bogen berührte die Saiten und strich über sie hinweg, als würde er sie liebkosen. Zarte Töne erklangen, eine leise Melodie entsprang der Geige und erfüllte die Luft mit einem seltsam schweren Gefühl von Trauer. „Die Musik drückt aus was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist“, erinnerte sich  Jaden an einen alten Spruch. Sie spiegelt Gefühle wieder und ist ein Fenster zur Seele. Diese tiefe Trauer entsprang nicht nur dem Lied, sondern dem Herzen von Chloe. Jaden hörte wie die Musik lauter wurde und erkannte einen stummen Schrei, der direkt aus Chloe´s Seele heraus empor stieg. Als er sie ansah, lief eine Träne über ihre Wange und tropfte zu Boden. Plötzlich wuchs ein kleiner Spross aus der Erde und reckte sich dem Himmel entgegen. Eine Mitternachtsblume wuchs und entfaltete ihre Blütenblätter. Jaden blinzelte und da war die Blume auch schon verschwunden, so als wäre sie nie da gewesen. Chloe spielte die letzten Noten und legte die Geige in ihren Schoß.
„Warum weinst du?“, fragte Jaden.
„Ich weiß es nicht.“, gab sie zu. „
Und die Sorgen, die du gestern erwähnt hast? Erzähl mir davon.“
„Ich habe keine Ahnung. Ich habe Angst, bin besorgt und unendlich traurig, aber ich weiß nicht warum.“  Weitere Tränen liefen ihr über das Gesicht und Jaden lächelte sanft.
„Komm her.“ Er schloss die Arme um Chloe, die sich an ihn schmiegte. Eine Weile saßen sie schweigend da. Chloe´s Tränen versiegten nach wenigen Momenten, doch sie blieb in Jadens Armen liegen. Sie fühlte sich geborgen und sicher.
„Warum bist du so?“, fragte sie plötzlich in die Stille hinein. 
„Wie bin ich denn?“
„Vertraut.“
„Vertraut?“
„Ja, vertraut.“ Wieder schwieg sie, fügte aber hinzu: „Ich kenne dich erst seit gestern, aber ich habe das Gefühl dich schon mein ganzes Leben lang zu kennen.“
Jaden lachte. „Ach, ja? Was ist denn meine Lieblingsfarbe?“
„Schwarz.“ „Okay. Das war nicht schwer. Ich trage fast immer schwarz. Wie wär´s mit meinem Lieblingsessen?“ „Fleisch.“
„Welches?“
„Reh.“
„Wow. Das ist gruselig.“
Jetzt musste Chloe lachen. „Und was ist mit mir?“
„Deine Lieblingsfarbe…. Weiß, obwohl du nur dunkle Farben trägst. Dein Lieblingsessen ist Fisch.“, antwortete Jaden ohne nachzudenken. Erst jetzt schien ihm aufzufallen, dass es das alles wusste.
„Siehst du? Ich sag doch, dass wir uns schon unser ganzes Leben lang kennen könnten.“
„Ja, aber warum?“
„Keine Ahnung. Was ich aber weiß ist, dass du etwas vor mir geheim hältst. Los raus damit.“, forderte Chloe und richtete sich auf. Jaden machte große Augen.
„Ich wusste es!“, rief sie glücklich. „Na los! Erzähl es mir!“
„Das geht nicht. Ich kann…“, begann er, doch da sah er in Chloe´s Augen und irgendetwas in ihm riet ihm, ihr alles zu sagen. Ein anderer Teil jedoch, versuchte das zu verhindern. Chloe legte eine Hand an seine Wange und kam etwas näher. „
Du kannst mir alles sagen.“
„Chloe, hör zu. Das ist nicht so einfach.“
„Dann lass mich versuchen, es zu verstehen.“ Der Teil, der es ihr sagen wollte gewann die Oberhand, doch es war nicht möglich.

The Truth

Die Wahrheit

 

Jaden legte seine Hand auf Chloe´s. „Ich darf nicht. Es tut mir leid. Ich kann es dir nicht erzählen.“
„Du bittest mich die ganze Zeit, über alles mit dir zu reden und selbst erzählst du es mir nicht? Wie bescheuert ist das denn?“, rief sie.
Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Chloe, hör mal. Ich…“
„Lass gut sein.“ Sie stand auf und ging.
Auf dem Weg brannten Tränen in ihren Augen, doch sie blinzelte sie einfach weg. Sie schob sich durch die Schülerreste, derer, die noch nicht nach Hause zu ihren Eltern gefahren waren. Über die Ferien würde die Schule wie ausgestorben aussehen.
Chloe dachte an das Lagerfeuer zurück und daran, wie hirnrissig es ist, eine Party vor den Herbstferien zu schmeißen, obwohl das Schuljahr schon längst angefangen hatte. Gleichzeitig drifteten ihre Gedanken aber auch immer wieder zu Jaden zurück, wie sie sich kennengelernt hatten und wie enttäuscht sie in diesem Augenblick war.

Über eine versteckte Dienstbotentreppe gelangte sie aufs Dach. Die Sonne war gerade erst aufgegangen und das bunte Laub der Bäume des Schulwaldes leuchteten unter ihren Strahlen in orange und rot. Chloe setzte sich an den Rand des Daches und ließ die Beine baumeln. Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen und dieses Mal erlaubte sie sich zu weinen.

Im warmen Schein der Herbstsonne, dachte sie nach. Sie dachte daran, dass sie Jaden erst seid gestern kannte und ihn doch mehr mochte, als sie es wollte. Schon oft hatte sie die bekannten Schmetterlinge im Bauch gespürt, doch nie war es so. Dieses Mal schien es irgendwie anders zu sein, surreal.

Sie sprang auf. Das konnte sie nicht einfach bei einem blöden Streit belassen. Viel zu schnell rannte sie die Dienstbotentreppe hinunter bis sie plötzlich mit jemandem zusammen stieß und die Treppe herunterfiel. Sie landete auf einem muskulösen Körper. Ein Moment verging bis sie in dem schwachen Licht Jaden erkannte.

„Also echt mal.“, beschwerte er sich. „Ich weiß ja, dass du sauer auf mich bist, aber deshalb musst du mich nicht gleich umbringen.“ Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Aber so zu sterben ist bestimmt ganz angenehm.“
Chloe rollte von ihm herunter und blieb neben ihm liegen. Sie starrte an die Decke, als sie sagte: „Es ist okay wenn du es mir nicht sagen willst. Ich hab ein bisschen drüber nachgedacht und jetzt finde ich es nicht mehr schlimm. Ich kanns verstehen.“
„Dinge, die man nicht sagen kann, kann man zeigen.“
„Was?“
„Ich darf es dir nicht sagen, aber ich kann es dir zeigen.“
„Du musst das nicht machen…“
„Möchte ich aber. Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn wir das im Wald machen. Es muss nicht jeder sehen…“
Jaden war zwar froh, dass sie es verstand, aber er konnte sie nicht die ganze zeit anlügen. Das war nun mal der einzige Weg. Zusammen gingen sie ein Stück in den Wald hinein, bis Jaden stehen blieb.
„Und jetzt?“, fragte Chloe ungeduldig.
„Jetzt musst du die Augen zu machen.“ Sie schloss die Augen. Kurz war sie geschockt, als sich seine Lippen auf ihre legten, doch sie erwiderte den Kuss.
„Das ist also dein Geheimnis? Dass du küssen kannst?“, fragte sie sarkastisch, als sie sich von einander gelöst hatten.
„Nein. Das wollte ich nur unbedingt mal machen.“, antwortete Jaden grinsend.
„Und was willst du mir jetzt zeigen?“
„Bleib genau da stehen.“ Er trat ein paar Schritte zurück. „Oh. Und erschreck dich nicht.“
„Ich geb mein Bestes.“
Vor Chloe´s Augen verwandelte sich der Junge in einen Wolf. Beine wurden zu Hinterbeinen, Arme zu Vorderbeinen, Hände zu Pranken und das hübsche Gesicht zu einer Schnauze. Haut wurde zu schwarzem Fell und das Tier wurde so groß, dass es Chloe bis zur Hüfte reichte. So weit sie konnte wich sie zurück. Panik überkam sie. Ein Baum stoppte ihren Rückzug und Jaden verwandelte sich wieder in einen Menschen.
„Hey. Chloe. Alles in Ordnung. Ich bin es doch nur.“
„Du… Du bist ein Werwolf?“, stammelte sie.
„Nein. Ich bin ein normaler Wolf. Naja. Fast normal.“
„Gibt es noch mehr von deiner Sorte?“ „Ja. Und wenn du willst zeige ich sie dir.“
Eine Zeit lang zeigte sie keine Reaktion, doch dann nickte sie langsam.
„Super, dann komm mit.“ Er nahm ihre Hand und führte sie durch den Wald. Ihrer Einschätzung nach waren sie schon längst über die Schulgrenze hinaus, doch Jaden führte sie immer weiter.

Je näher sie dem Ziel kamen, desto ruhiger wurde Chloe, das konnte Jaden spüren. Er konnte verstehen, dass das alles noch schwer zu glauben war, aber er war froh, dass sie es jetzt wusste.

The Lair

Das Lager

 

Schon von weitem konnte sie das Lager der Wölfe sehen, doch als sie näher traten, wurde ihr erst klar, wie groß es war. Die Lichtung war riesig. Überall standen Zelte, mehrere Baumstämme lagen um einen großen Feuerplatz herum und auf dem ganzen Platz herrschte ein reges Treiben. Wölfe glitten in Menschenhaut und Menschen in Wolfspelze. Jeder wusste um seine Aufgaben, bis sie Chloes Geruch wahrnahmen. Köpfen wurden ihr zugewandt, Blicke erhoben. Sofort beschlich sie ein Gefühl des Unwillkommen-Seins. Es kostete sie einiges an Kraft, nicht einfach ihrem Instinkt nachzugeben und wegzulaufen.

Jaden nahm ihre Hand und sagte leise: „Keine Sorge. Ich passe auf dich auf.“ Laut verkündete er: „Das ist Chloe! Sie gehört zu mir und steht unter meinem Schutz.“
Für Chloe fühlte sich die Ruhe unendlich an und doch war es nur ein Augenblick, bis der graue Wolf vor trat. Seine gelblichen Augen schienen sich in ihre Seele zu brennen. Seine Ohren bewegten sich aufmerksam als würden sie ihrem rasenden Herzen lauschen. Seine Nase blähte sich auf, als würde er ihre Angst riechen. Doch Chloe erwiderte seinen durchdringenden Blick. Als sie den Kopf neigte um ihren Respekt zum Ausdruck zu bringen, tat das Tier es ihr gleich. Der Wolf akzeptierte sie. Er drehte sich um und während er ging, verwandelte er sich in einen Menschen zurück.

„Setzt dich.“, sagte er. Seine Stimme war tief und sie hatte das Bedürfnis ihm stundenlang zuzuhören.
Jaden gab Chloe einen leichten Schubs und flüsterte:„Na los. Er beißt schon nicht.“
Mit 99 prozentiger Wahrscheinlichkeit, konnte Chloe hören, wie sehr er hoffte, dass dieser Mann nicht beißen würde. Trotzdem ging sie zum ihm.

Er hatte sich auf einen Baumstamm gesetzt und klopfte auf den Platz neben sich. Zögernd setze sie sich. „Mein Name ist Salazar Beck, aber alle nennen mich Beck.“, stellte er sich vor.
„Ich heiße Chloe. Freut mich sie kennen zu lernen.“
„Du bist ein nettes Mädchen.“
„Danke.“
Kurz schwiegen beide, doch dann warf Chloe ein: „Sie sind der Anführer dieses Rudels nehme ich an?“
„Wieso glaubst du das?“
Sie überlegte kurz. „Sie waren derjenige, der als erstes auf mich zukam. Niemand sonst hat sich mir genähert, also verlassen sich alle auf ihr Urteil und Jaden scheint riesen Respekt vor ihnen zu haben.“
Beck lachte. „Du kannst mich ruhig duzen… Aber du hast recht. Ich bin der Rudelführer. In einem Punkt liegst du aber falsch: Jaden hat keinen Respekt.“
Verdutzt sah Chloe ihm in die gelblichen  Augen. „Ich glaube schon, dass er sie respektiert. Er hat nur eine andere Art das zu zeigen.“
„Wir werden sehen.“
Sie lächelte. „Da bin ich mir sicher.“ Beide sahen zu Jaden, der mit einem blonden Jungen sprach und beide mussten lachen.
„Jaden ist etwas Besonders. Halt ihn gut fest“, sagte Beck plötzlich.
„Ja, ich weiß. Er ist irgendwie anders.“
„Du hast doch bestimmt viele Fragen.“
„Was meinen sie? Jaden, oder das Rudel?“
„Hatte ich nicht gesagt, dass du mich duzen sollst?“
„Oh.. ja stimmt. Entschuldigung.“
„Schon okay. Ich meine beides.“
„Wie wurde Jaden zu einem Wolf?“
„Das weiß keiner so genau. Er sagt es auch niemandem. Vor zehn Jahren, also als er noch 7 Jahre alt war, fand ich ihn. Er war ein kleines schwarzes Fellbündel, das blutüberströmt im Schnee lag, total unterkühlt und dem Tode nahe.“
„Und woher hat er diese Muster auf dem Rücken?“
Zuerst sah er sie verwundert an, doch dann sagte er: „Ich bin mir nicht sicher. Das hat kein anderer Wolf, nur er.“
Plötzlich kam ein Wolf auf die beiden zu. Sein Fell war hell braun, fast blond. Chloe streckte ihm die Hand entgegen. Er schnüffelte kurz und schmiegte dann sein Gesicht an ihre Hand. Sein Fell war weich, als würde man in eine Tüte Watte greifen. Blaue Augen sahen mich freundlich an.
„Das ist Paul.“
„Paul.“, flüsterte Chloe und ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. Plötzlich knurrte etwas links von ihr. Paul knurrte erst zurück, doch als der schwarze Wolf zu schnappen begann, zog er sich zurück.  Chloe erinnerte sich daran, wie Jaden sich vor ihren Augen verwandelt hatte und erkannte ihn in diesem Tier wieder. Er legte sich Chloe zu Füßen und ließ sich von ihr kraulen.
„Jaden du blöder Köter! Runter von meinem Fuß!“, rief Beck.
Der Jaden-Wolf erhob sich und gähnte, als würde er Beck die Zunge herausstrecken.
„Siehst du? Er hat keinen Respekt."
„Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann wird er mehr Respekt zeigen, als jeder andere hier.“
Beck musterte sie. Ihr glänzendes dunkelbraunes Haar, ihre grünen Augen und ihre feinen Gesichtszüge.

„Warum bist du so?“
Plötzlich klang er genau wie sie, als sie Jaden sagte, dass er ihr vertraut vorkam.
„Ich… Ich weiß nicht was du meinst.“
„Du bist so anders. Du sprichst, als hättest du mehr gesehen als ich. Immer wenn ich dich aus dem Augenwinkel betrachte schimmern deine Haare weiß und in deinen Augen sehe ich eine unglaubliche Last, die du mit dir trägst. Wer bist du?“
Jaden hatte seinen Wolfskopf gehoben und aufmerksam zugehört.
„Ich bin nichts besonders. Ich bin einfach eine durchschnittliche Schülerin, die nicht viele Freunde hat.  Ich bin auch keine von denen, die andere in ihrem Innern berührt. Ich bin einfach nur ich.“
„Ich glaube es steckt mehr in dir, als du glaubst.“
„Beck, ich muss mit dir reden.“ Chloe zuckte beim Klang von Jadens Stimme zusammen. Sie strich nicht mehr das seidige Fell des Wolfes, sondern hielt die Hand des Jungen.
„Sicher. Lässt du uns kurz allein, Chloe?“
„Natürlich.“ Chloe hörte nicht mehr, wie Jaden Beck von der Lichtung erzählte und wie eine Mitternachtsblume aus ihren Tränen wuchs.

Sie ging zum Rand der Lichtung und setzte sich an den Stamm eines Baumes. Eine Weile sah sie dem regen Treiben zu, das im Lager herrschte.
„Hallo. Mein Name ist Paul.“ Chloe fuhr zusammen, als sie die Stimme hörte.
Ein Junge stand vor ihr. Sie erkannte ihn als den, mit dem Jaden vorhin gesprochen hatte. Sein Haar erinnerte sie an das Fell des Wolfs, der zu ihr kam, bevor Jaden ihn verscheucht hatte.
Sie lächelte. „Ja ich erinnere mich. Dein Fell ist wirklich sehr schön.“
Zuerst wirkte er erstaunt, doch dann lachte er. „Danke.“ Dann sagte er: „Hast du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir setzte? Du sahst so einsam aus.“
„N-…Nein. Setzt dich ruhig.“
„Danke.“  Er nahm Platz.
„Und jetzt, wo du sitzt, kannst du mir ja auch sagen, warum du wirklich hier bist.“
Er sah sie an. Ein seltsamer Schimmer huschte durch seine Augen, doch so schnell wie er da war, war er auch schon wieder verschwunden. „Du bist schlau.“, stellte er fest. Paul seufzte.
„Ich finde dich interessant.“
„Du bist ja sehr zurückhaltend.“
Er kicherte in sich hinein. „Du bist seltsam. Irgendwie anders, als alle hier.“ „
Vielleicht weil ich kein Wolf bin?“
„Und ob du das bist. Ich kann ihn an dir riechen.“
„Sicher, dass das nicht Jaden´s Geruch ist?“
„Ich bin mir sicher. Jaden riecht anders. Fast jeder hier müsste es wahrgenommen haben. Du bist eine von uns.“
„Das glaube ich nicht. Ich habe zwar keine Ahnung wie man zu einem Wolf wird, aber ich bin mir sicher, dass ich keiner bin.“
„Man wird ein Wolf, wenn man als solcher geboren wurde, oder wenn man von einem gebissen wird.“
„Chloe, kommst du bitte!“, rief Beck von weitem.
Sie stand auf. Über den Baumwipfeln senkte sich langsam die Sonne und tauchte den Himmel in orange und rosa.

Ein Mädchen stand bei Beck und Jaden. Ihre blonden Haare schimmerten im Licht der untergehenden Sonne. Chloe dachte darüber nach, wie lange sie schon hier war, doch sie konnte es beim besten Willen nicht sagen.  Anscheinend war es fast ein ganzer Tag gewesen, obwohl es ihr nur wie zwei Stunden vorgekommen war. 
„Chloe, das ist Shelly. Shelly das ist Chloe.“, stellte Beck die beiden einander vor. 
„Sie soll die richtige sein?“, fragte diese schnippisch.
„Ich soll was sein?“ Beck führte sie ein Stück von den anderen beiden weg.
„Jaden hat mir erzählt, was auf der Wiese der Mitternachtsblumen passiert ist.“
„Er hat dir von den Blumen erzählt? Wie konnte er nur?“
Sie fühlte sich verraten. Ihr Herz schien in ihrer Brust zu zerspringen und Tränen brannten ihr in den Augen. „Glaub mir. Es war das Beste, das er tun konnte.“
„Wieso das denn?!“
„Er hat mir erzählt, dass du auf der Wiese geweint hast.“
„Super!“ Sie warf die Hände in die Luft. „Das wird ja immer besser.“
„Chloe!“ Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie kräftig. „Jetzt hör mir doch mal zu! Jaden hat gesehen, wie aus deiner Träne eine Mitternachtsblume entstanden ist.“
„Ja sicher. Sonst noch was?“
„Das ist nur damals mit den Tränen der weißen Wölfin möglich gewesen! Verstehst du das nicht?“
„Nein. Was meinst du?“
„Du bist die weiße Wölfin!“
Erschrocken starrte Chloe Beck an. In seinem Gesicht suchte sie nach Anzeichen dafür, dass er einen Witz gemacht hatte, aber seine Miene blieb ungerührt.
„Das kann nicht sein. Ich bin doch gar kein Wolf.“
„Natürlich bist du einer. Du weißt es nur noch nicht.“ Sie erinnerte sich an das Gespräch mit Paul. Er hatte den Wolf in ihr gerochen. Vielleicht war sie es ja doch…


„Nein!!“, kreischte Shelly plötzlich. „Sie kann nicht die richtige sein! Ich bin die die ihr sucht!“  Mit vernichtenden Blicken wandte sie sich an Chloe. „Du nimmst mir das nicht weg!“

Sie sprang auf sie zu und verwandelte sich in einen Wolf. Eine schöne Wölfin mit matt weißem Pelz. „Chloe. Pass auf!“, rief Jaden, doch es war zu spät. Er musste mitansehen, wie Shelly sich auf Chloe stürzte. Als er ihr helfen wollte hielt Beck ihn auf.
„Nein. Lass die beiden das unter sich austragen.“
Mit aller Kraft wehrte sich Jaden, doch als Paul dazukam und ihn zu Boden rang, musste er hilflos zusehen. Bedrohlich stand Shelly über Chloe. Aus ihrem Maul triefte der Speichel und ihre Augen funkelten vor Abscheu und Hass.
„Jaden.“, flüsterte Chloe und streckte die Hand nach ihm aus. Sie konnte sehen, wie er sich unter Pauls Griff wand, doch dieser hielt ihn fest wie ein Schraubstock. Aus der Entfernung sah Jaden, wie Chloe mit den Tränen rang. Sie war sich ihrer Niederlage so sicher, dass ihr Tränen die Wange hinab rollten. Langsam  bohrten sich Shellys krallen in Chloe´s Schulter und Blut sickerte in die trockene Herbsterde und erfüllte die kühle Abendluft mit einem kupfrigen Geruch.  Shelly wurde wieder ein Mensch und legte ihre Hand um Chloe´s Hals.

„Du wirst mir nicht alles nehmen. Weder meine Position als Retterin des Rudels, noch als Partnerin von Jaden.“
„Jaden… gehört dir nicht…“, brachte Chloe heraus und Shelly drückte noch fester zu.
„Wenn du erstmal weg vom Fenster bist, wird er das. Du hast keine Chance gegen mich!“
Chloe drehte so weit es ihr Möglich war, den Kopf zu Jaden. Er lag immer noch im Gras und wand sich. Als er ihren Blick spürte sah er auf. Jaden sah durch seine Wolfsaugen zu Chloe. Er roch ihr Blut und hörte ihr immer langsamer schlagendes Herz. Und doch konnte er den Blick nicht abwenden. Immer mehr Tränen rannen ihre Wangen hinab, doch plötzlich waren es nicht mehr die Tränen, die sie vorher vergossen hatte. Blut trat an die Stelle der salzigen, klaren Tropfen und färbte ihre Haut rot.
„Du… wirst ihn… niemals bekommen.“  Chloe rang nach Luft, doch es war, als wäre in ihrem Kopf ein Schalter umgelegt worden. Sie hatte ihren Kampfgeist zurück und die Liebe zu Jaden fachte dieses Feuer nur noch mehr an. Jeder Schmerz war vergessen. Sei es nun das dröhnende Hämmern in ihrem Kopf, oder der dumpfe Schmerz in ihrer Schulter, der sich langsam über ihren Arm ausbreitete, ihr in die Fingerspitzen kroch und ihre linke Körperhälfte lähmte. Sie vergaß alles. Sie stieß Shelly von sich und stürzte sich auf sie. Im Sprung veränderte sich ihr Körper und plötzlich stand eine Wölfin über Shelly. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie sie an und… lachte.
„Schwarz? Du hast schwarzes Fell? Ich wusste es!“ 
Langsam verwandelte sich Chloe zurück und sagte: „Ich will weder jemanden anführen noch retten, aber Jaden wirst du nicht bekommen.“
„Dann töte mich! Anders wirst du mich nicht aufhalten können, ihn mir zu holen.“ Ein Klatschen hallte durch die Abendluft und auf einmal schien die Welt den Atem anzuhalten. Erschrocken starrte Shelly nach oben, ihre Wange glühte rot.
„Ich töte dich nicht. Du sollst sehen wie ich mit ihm zusammen bin und du sollst dich immer daran erinnern, dass ich das hier gewonnen habe. Verreckte meinetwegen, aber eins kann ich dir versprechen: Wenn du mir in die Quere kommst, werde ich dich vernichten. Ich werde dich bis auf den Grund der Hölle jagen, wenn es sein muss, aber ich werde dich finden und du wirst leiden, bis du mich anflehst, dich zu töten. Vergiss das niemals.“

Plötzlich legte sie ein nebliger Schleier über Chloe´s Blick. Verzweifelt umklammerte sie ihre Schulter und Jaden schaffte es, sich aus Pauls Griff zu befreien. Chloe verlor die Kontrolle über ihren Körper. Immer wieder wechselte sie zwischen Wölfin und Mensch hin und her, wurde erst Wolf, dann Mensch, wieder Wolf und Mensch, bis sie schließlich als Wolf vor Jaden zusammenbrach. Noch immer sickerte Blut aus ihrer Wunde an der Schulter. Ihr Atem ging flach. Auf einmal glitt eine Art Welle über ihren Körper. Von ihrer blutenden Verletzung aus, wurde ihr Fell weiß. Langsam schlich sich das Weiß über die Wölfin, über ihr Gesicht und ihre Beine bis zu den Füßen. Das reinste Weiß, das Jaden je gesehen hatte und tausendmal schöner als das von Shelly. Jetzt war er sich sicher: Sie war die, auf die sie seit Ewigkeiten warteten.


Die Sonne verschwand endgültig hinter dem Horizont und schien der Welt die Farbe zu stehlen.


Und dann… hörte ihr Herz auf zu schlagen.

Without a grave

ohne Grab

 

 

 Niemand konnte ihr mehr helfen. Viel zu lange lag sie auf dem Boden und doch war es nur ein Wimpernschlag. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit und ging ihm doch zu schnell. Er eilte zu ihr. Versuchte sie zu wecken indem er sie ansprach, den leblosen Wolfskörper schüttelte. Ihre Lider blieben geschlossen. Das reine Weiß, durchtränkt vom tiefen Rot ihres eigenen Blutes. Ihr Fell war seidig und weich. Sie sah so friedlich aus, wie sie in seinen Armen lag, ohne jede Regung und ohne Herzschlag.

Tiefer Hass schürte sich in seinem Innern. Wurde immer größer, ein Waldbrand in seinem Herzen. Vorsichtig legte er seine Liebe ab und strich ihr ein letztes Mal durch den Pelz.

Er stand auf. Ohne sich Mühe zu geben, seinen Hass zu verbergen, schritt er auf Shelly zu.

„Jaden. Hör zu…“, begann Beck, doch Jaden beachtete ihn nicht. Er war ganz und gar auf sie fixiert.

Mit weit aufgerissenen Augen wich sie vor ihm zurück. Er genoss ihre Angst. Er konnte sie riechen, sog den Duft tief ein und ließ sich von ihm leiten. Tief im Innern geriet sein Blut in Wallung. Seine Instinkte liefen auf Hochtouren. Alles in ihm schrie nach Rache, nach Vergeltung, nach ihrem Tod.

Beck stellte sich vor Shelly.
„Stopp! Das reicht!“

„Geh mir aus dem Weg.“, knurrte Jaden. Seine Stimme war so hasserfüllt, dass Beck kurz zweifelte ob es schlau war, zwischen Jaden und seiner Beute zu stehen. Dann aber war er sich sicher.

„Jaden. Lass das sein.“

„Verschwinde!“, schrie Jaden. Tiefe Trauer lag in seinen Augen und vernichtete jeden Glanz, der sonst darin lag.

Paul versuchte Jaden von hinten zu fassen und nieder zu ringen, doch der Schmerz gab ihm Kraft. Unendlich viel Kraft. Mit einem Schlag lag Paul drei Meter weiter am Boden und bewegte sich nicht mehr.

Plötzlich sah er Chloe. Eine blasse Erinnerung, die sich zwischen ihn und Shelly stellte. Sie hatte sie nicht umgebracht, obwohl sie es gekonnt hätte, obwohl Shelly es verdient hätte. Er sank auf die Knie, sein Blick traf sich mit dem der Chloe-Erinnerung. Sie lächelte.

Erleichterung überkam Beck. Er hätte es nicht mit Jaden aufnehmen können. Nicht wenn er so voller Verachtung war. Niemand hätte es gekonnt und jetzt kniete er plötzlich vor ihm, am Ende seiner Kräfte.

„Jaden.“, flüsterte Beck und nahm den Jungen in den Arm. „Beruhige dich.“
Kurzes Schweigen.
Dann:  „Ich würde dir gerne sagen, dass es ein Traum ist, aber diesmal ist es das nicht und ich werde dich nicht anlügen. Ich weiß wie viel sie dir bedeutet hat. Sie war wirklich etwas Besonderes, aber wenn du Shelly tötest bringt das Chloe auch nicht zurück.“

„Ich weiß, Beck. Aber… Ich… Was soll ich denn jetzt machen?“

„Ich weiß es nicht.“

Eine Träne rann Jaden über die Wange. Er richtete sich auf und ging. Während er sich entfernte, verwandelte er sich. Wenige Augenblicke später erklang ein herzzerreißendes Jaulen. Nur eine, von Trauer zerfressende Seele konnte so weinen. Beck wusste es am besten.

„Paul!“, rief er.

„Ja?“, sagte dieser während er sich aufrappelte. Jaden´s Schlag hatte gesessen.

 „Komm. Hilf mir.“

„Ja.“

Gemeinsam trugen sie Chloe´s leblosen Körper weg. Normalerweise bekamen Rudelmitglieder bei ihrem Tod ein offizielles Grab. Diese Wölfin bekam keins.

 

 

Zäh wie Kaugummi. Anders konnte Jaden die Herbstferien nicht beschreiben. Jede Minute einer Stunde, jedes Tages einer Woche, alles zog sich in die Länge. Noch immer dachte er an sie. Jedes Mal, wenn er das Schulgebäude betrat erinnerte er sich, wie er sie in der ersten Nacht die Treppe hinaufgetragen hatte. Jedes Mal, wenn er die Treppe zum Dach hinaufsteigt, erinnert er sich daran, wie sie ihn umgerannt hatte und auf ihn gefallen war. Jedes Mal wenn er den Wald betrat erinnerte er sich an ihren Kuss.

Mit jedem Tag wurde der Schmerz größer. Immer öfter wurde ihm klar, dass seine Liebe tot war.

An diesem Tag rief Beck ihn zu sich: „Hör mal Jaden, ich weiß, diese Zeit ist schwer für dich, aber ich muss mit dir reden.“

„Was gibt’s, Beck?“ Seine Stimme klang müde, als hätte er lange nicht geschlafen. Die dunklen Ringe unter den Augen waren ein klares Zeichen dafür.

„Ich möchte, dass du das Rudel führst.“
Jaden lachte. Ein freudloses Lachen. „Deine Witze waren noch nie besonders gut gewesen, Beck.“
Doch Beck sah ihn so ernst an, wie er es noch nie gesehen hatte.

„Ich soll was?“ Jetzt war Jaden eindeutig wach. „Ich kann das nicht! Ich kann doch kein ganzes Rudel führen. Das geht nicht!“

„Ich weiß, dass du das kannst. Du bist jung und schlau. Du weißt so viel wie ich über die anderen. Jaden, ich bin alt. Ich kann kein ganzes Rudel in eine Schlacht führen. Aber du, du kannst das.“

Er winkte einen Jungen zu sich. „Alan wird dich unterstützen. Er ist den Menschenkriegern beigetreten und weiß wie sie handeln.“

„Beck, ich weiß nicht ob ich das kann!“

„Ich aber. Glaub mir. Du schaffst das.“

„Beck, ich…“, begann er, doch Beck unterbrach ihn: „Keine Widerrede.“ Laut rief er: „Meine Freunde! Ich werde meinen Posten als Rudelführer an Jaden abgeben.“
Stille legte sich über die Versammelten. „Respektiert ihn so, wie ihr mich respektiert habt. Er wird euch in die Schlacht führen, jetzt, da Chloe es nicht mehr kann.“

„Und was ist mit mir?“, warf Shelly ein. „Ich bin doch auch eine weiße Wölfin und ICH lebe.“

Beck spürte, wie sich Jaden hinter ihm anspannte. Er konnte seinen Hass fast greifen. „Nur weil du weiß bist, heißt das nicht, dass du das Recht hast, dir die Führung mit Jaden zu teilen. Du hast ein Mitglied dieses Rudels verletzt.“
„Verletzt? VERLETZT? Sie hat Chloe nicht verletzt! Sie hat Chloe GETÖTET!“, schrie Jaden.
„Sie war doch gar kein Mitglied!“
„Jaden hat sie, als sie das Lager das erste Mal betrat, unter seinen Schutz gestellt und allen mitgeteilt, dass sie zu ihm gehört. Damit gehörte sie auch zu uns!“
„Aber ein Mensch kann kein Mitglied sein! Das ist doch gar nicht möglich!“
„Jeder von uns hat den Wolf in ihr gerochen. Jeder  den du fragst, wird dir bestätigen, dass es nicht Jaden´s Geruch war!“
„Aber…!“
„Nichts ABER! Es reicht jetzt!“
„Warum tust du uns allen nicht den Gefallen und gehst irgendwo verrecken? Dort wo dich nie wieder jemand findet!“
„Jaden! Was soll das?! Ich weiß, das du verletzt bist aber das gib dir nicht das Recht so etwas zu sagen!“ „Aber, Beck…!“
„Nein! Wir reden später noch mal. Bis dahin bin ich noch der Anführer und sage, dass du jetzt gehen sollst!“ „Auf keinen Fall!“ „
Los! Geh!“ Man konnte Beck anhören, wie seine Geduld auf ein Minimum.
Jaden ging.

Between Enemys

(Unter Feinden)

 

 

„Kannst du mich bei den Menschenkriegern einschleusen?“, fragte Jaden Alan.
„Sicher. Ich kann dich jederzeit vorstellen, wenn du willst.“
„Dann los.“
„Ein paar Sachen noch: Du darfst mit keinem Wort Chloe, das Rudel oder Wölfe im Allgemeinen erwähnen auch wenn du glaubst wir wären allein. Du musst einen bestimmten Grad an Kampfsport können.  Und zum Schluss: Egal wie sehr es aussieht, dass ich das Rudel hasse, vergiss niemals, dass ich hinter dir stehe. Das Rudel ist meine Familie, egal was ich darüber sagen werde.“
Jaden schwieg einen Moment. „Okay. Es kann losgehen.“, sagte er schließlich.
Alan übernahm die Führung.

In der Eingangshalle der Schule war keine Menschenseele. Ihre Schritte hallten durch den großen Raum, als sie zur Treppe gingen. Alan führte ihn zu der Holzverkleidung neben der Treppe und sah sich um, als fürchtete er beobachtet zu werden. Plötzlich legte er die rechte Hand auf das alte Holz und drückte es leicht ein. Es knarrte, doch auf einmal glitt ein Teil der Verkleidung zur Seite.
„Nach dir.“, flüsterte er und machte eine einladende Geste  in Richtung Dunkelheit. Jaden zögerte kurz, trat dann aber ein. Hinter ihm schloss Alan die Tür und betätigte einen Lichtschalter. Das grelle Neon-Licht brannte Jaden in den Augen, aber er erkannte eine lange Treppe die tief unter die Schule führte.


Am Ende der Treppe lagen lange, enge Gänge vor den beiden. Von dort aus ging Alan wieder vor und führte Jaden durch eine Tür in einen weiteren Gang. Dieser war nun breit genug um nebeneinander gehen zu können und mehrere Türen grenzten daran an. Zusammen gingen sie zum Ende des Ganges und Alan öffnete die Tür, die vor ihnen lag. Köpfe wurden gehoben und Blicke auf ihn gerichtet und plötzlich wurde Jaden klar, wie Chloe sich gefühlt haben muss, als er sie zum Lager geführt hatte. Er blieb kurz stehen, gefesselt von der Erinnerung an Chloe, doch Alan drängte ihn zum Weitergehen.

Der Raum war groß und eine große Menge Menschen saßen auf Sportmatten oder trainierten.

„Wer bist du?“ Zum Glück hatte Jaden den Mann hinter ihm wahrgenommen und trotzdem zuckte er innerlich zusammen.
„Mr. Hell, das ist Ja…“ Mit einer Handbewegung brachte der Mann Alan zum Schweigen. „Verzeihung, Sir.“  Alan zog den Kopf ein und deutete eine Verbeugung an während er zwei Schritte zurück ging.
Stattdessen antwortete Jaden: „Mein Name ist Jaden, Sir.“
„Was willst du hier?“  Seine Stimme war sehr tief und monoton.

Aus dem Augenwinkel heraus erkannte Jaden die Anspannung Alan´s. Auf solche Fragen hatte er ihn nicht vorbereitet, aber Jaden war schon davon ausgegangen, dass so etwas passieren würde.
„Ich würde mich gerne in Kampfkunst weiterbilden.“
„Kannst du kämpfen?“
„Selbstverständlich.“ Mr. Hell winkte einen Jungen heran. Er war schlaksig und trug eine große Brille.
„Das ist dein Gegner. Fangt an.“

Sofort machte sich der Junge ans Werk. Schon der erste Faustschlag saß und traf Jaden in den Magen. Ihm blieb die Luft weg und wurde in die Knie gezwungen. Der Junge stieß ihn um und nahm ihn in einen Würgegriff.
„Entschuldigen Sie, Sir? Ist das das Einzige, das sie anzubieten haben?“, fragte Jaden und musste sich große Mühe geben um sich nicht anmerken zu lassen, wie schwer es für ihn war, normal zu sprechen.
Der Mann sah ihn aber nur mit durchdringendem Blick an. Die Narbe, die sich über sein rechtes Auge zog, ließ ihn eisern wirken, wie eine uneinnehmbare Festung. So langsam nervte Jaden dieser Griff. Im Handumdrehen hatte er sich herausgewunden, sprang auf und trat seinem Gegner, der noch am Boden saß, gegen den Kopf. Der Junge fiel wie ein Stein zur Seite und hielt sich stöhnend den Kopf.


„Sie haben gerufen, Sir?“, fragte ein Mädchen. Jaden hatte gar nicht bemerkt, dass dieser gruselige Mann etwas gemacht hatte, das einem Kommando ähnlich war. Sie war hübsch, mit ihrem dunkelbraunen Haar, den rehbraunen Augen und der schlanken sportlichen Figur.

„Soll ich etwa gegen sie kämpfen?“, erkundigte sich Jaden zweifelnd. Er hielt es schon immer für falsch ein Mädchen zu schlagen. Shelly wäre natürlich eine Ausnahme gewesen…
„Nein. Sie wird mit dir trainieren.“, antwortete Mr. Hell. Jaden kannte das Mädchen nicht, doch sie hatte sein Interesse geweckt. „Aber fürs Erste kannst du gehen. Alan wird dir bald sagen wann du wieder hier zu sein hast.“
„Jawohl, Sir.“
„Und jetzt verschwinde!“
Ohne ein weiteres Wort ging Jaden. Er sah sich noch einmal um. Das Mädchen mit den Reh Augen redete gerade mit Alan, als ihre Blicke sich trafen. Sie sah traurig aus, fast gequält und kurz glaubte Jaden, sie würde anfangen zu weinen, doch da wandte sie den Blick wieder ab und lächelte Alan an. Jaden ging endgültig.

Grandma

(Großmutter)

 

 

Jaden musste erst überlegen, bis er sich erinnerte, welcher  Weg nach draußen führte. Er hatte schon zwei Türen geöffnet, die eindeutig nicht die richtigen waren. Hinter der ersten lag eine Waffenkammer, vollgestopft mit Schusswaffen, Schwertern und allerlei anderem Kram, den Jaden nicht weiter begutachtete. Hinter der zweiten lag ein Umkleideraum in dem ein Mädchen gerade dabei war sich ein anderes T-Shirt anzuziehen. Sofort bemerkte sie Jaden und warf etwas das aussah wie ein Tennisball. Als dieses Etwas die Türdurchschlug und in der Wand gegenüber steckenblieb, machte Jaden sich so schnell wie möglich aus dem Staub. Nach der fünften falschen Tür, fand er endlich die Tür, die zu der Treppe und hinauf in die Eingangshalle der Schule führte.

Erleichtert sog er den Duft der Halle ein. Es roch weder so muffig und staubig wie in dem Labyrinth da unten, noch war es so eng und unbekannt. Stattdessen roch es nach anderen Schülern, nach der angrenzenden Bibliothek und nach  Geschichte. Dieses Gebäude hatte im Laufe seiner langen Zeit schon so viel mitgemacht, so viel gesehen und so vielen Menschen Schutz gewehrt.


Eine Bewegung aus dem Augenwinkel heraus machte Jaden aufmerksam. Die Eingangstür stand einen Spalt breit offen und ein Schatten huschte nach draußen in die kühle Nachmittagsluft. Eigentlich sollte niemand hier sein, außer zwei Lehrern, die eigentlich nie da waren, ihm und… Chloe.

Chloe!

 
Ohne nachzudenken rannte er dem flüchtigen Schatten hinterher. Die Sonne blendete ihn mit ihrem hellen Licht und er musste kräftig blinzeln. Etwas weißes verschwand im Unterholz der Waldes.
„Chloe!“, rief Jaden, doch es folgte keine Reaktion.
Er rannte weiter hinter diesem Wesen her. Schnell wie ein Wolf entfernte es sich bis Jaden es nicht mehr sah. Fluchend rannte er noch ein Stückchen weiter.

Plötzlich bremste er. Er stand auf der Wiese der Mitternachtsblumen.
„Hallo, mein Junge!“, rief eine Stimme.
Ruckartig drehte Jaden den Kopf. Eine alte Frau saß am Fuße des alten Baumes auf einer Decke und hielt eine Art Päckchen in Händen.
„Wer sind sie?“
„Ein schöner Tag nicht wahr?“
„Wer sind sie?“ Jaden sah die Frau skeptisch an.
Ihre weißen Haare glänzten durch die Lichtflecken, die durch die Blätter des Baumes schienen. Alte, freundliche Augen sahen in die von Jaden und das Blau darin erinnerte ihn an Chloe´s Augen. Auch ihre Weißen Haare waren Chloe´s Fell sehr ähnlich und das nette, freundliche Lächeln glich dem von Chloe.
„Sie sind Chloe´s Grandma.“, flüsterte Jaden. „
Na komm und setzt dich.“ Er zögerte, ging dann aber doch zu ihr.
„Was machen sie denn hier?“
„Du kannst mich ruhig duzen und mich Grandma nennen. Die meisten Leute tun das.“
„Aber wie kommen sie hier her? Ähm… Ich meine: Wie kommst du hier her? Und was willst du hier?“
„Chloe hatte mich vor einer Weile mal angerufen und vorgeschlagen, dass ich mal vorbeikommen sollte. Also dachte ich, dass ich wirklich mal vorbeikommen sollte. Schließlich hab ich sie schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“
„Mrs. …. Ich meine Grandma, warum bist du hier im Wald? Hier kann es gefährlich sein.“

Grandma lachte. Es klang wirklich aufrichtig. „Was soll mir hier passieren? Soll ich etwa von einem bösen Wolf gefressen werden während ich darauf warte, dass meine Enkeltochter mit einer Roten Kappe mit Wein und Kekse bringt?“
„Ich…“
„Es ist wirklich lieb, dass du dir Sorgen um mich machst, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass mich ein Wolf fressen würde. Aber jetzt hab ich Lust auf Kekse. Möchtest du auch welche?“
Aus einem Picknickkorb, den Jaden bisher nicht gesehen hatte, nahm Grandma eine große Dose voller Kekse mit Schokostückchen. Jaden nahm sich einen davon während die alte Frau zwei Flaschen Milch aus dem Korb zauberte. Eigentlich wirkte der Korb gar nicht groß genug um das alles darin zu verstauen, aber Grandma schien das nicht zu beachten und förderte noch eine Thermoskanne mit Tee zutage.
„Die sind sehr lecker.“, überlegte Jaden laut.

Erstaunt knabberte er an seinem inzwischen dritten Keks und beobachtete sie dabei wie sie noch eine Dose mit Muffins herzauberte.
„Sind sie vielleicht mit Mary Poppins verwandt?“, fragte Jaden und nahm einen Schluck Milch und seinen… vielleicht sechsten Keks.
Wieder lachte Grandma und antwortete: „Nein leider nicht. Ich spiele nur gerne Tetris.“
„Sie haben einen Computer?“
„Natürlich. Ich muss doch mit der Zeit gehen. Weißt du, das Schlimmste, das du machen kannst, ist, einfach stehen zu bleiben.“
Jaden überlegte kurz und beschloss, dass sich das nicht nur auf Elektronik beziehen lässt. „Sie haben meine Frage gar nicht beantwortet.“, bemerkte Jaden und begann, sich seinen zweiten Muffin einzuverleiben.
„Welche Frage?“
„Warum du hier im Wald bist.“
„Ich liebe diesen Wald. Als ich so alt war wie du, da war ich jeden Tag hier.“
„Du bist hier zur Schule gegangen?“
„Nein. Das hier war früher mein Zuhause.“

Hustend versuchte Jaden, den verschluckten Kekskrümel seines siebten Kekses – diese Kekse waren WIRKLICH lecker- aus seinen Atemwegen zu kriegen während Grandma ihm als Hilfe auf den Rücken klopfte.  
„Das…“ *hust hust* „…war ihr Zuhause?“
„Oh ja. Und es war wirklich schön hier. Aber vor gut fünfzig Jahren habe ich daraus eine Schule gemacht.“
„Warum?“ *hut hust*
„Ich wollte etwas Gutes tun.“
*hust* „Inwiefern?“
„Kennst du die Legende, die sich um dieses Gebäude rangt?“
„Ja. Sie handelt davon, dass hier ein Krieg zwischen Menschen und Wölfen stattfand. Glauben sie etwa an diese Geschichte?“
„Sicher. Und du als Wolf solltest das etwas ernster nehmen.“  
„Bitte?!“ Das hatte Jaden wirklich nicht erwartet.
„Mein Junge, ich bin noch nicht alt genug um einen Wolf nicht mehr von einem Menschen unterscheiden zu können, wo ich doch mein ganzes Leben mit Wölfen verbracht habe.“
„Bitte?!“
Das ganze wurde immer verwirrender und Jaden kam langsam nicht mehr mit.
„Als ich noch hier gewohnt habe, wurde mein Bruder zu einem Wolf. Er zog sich in den Wald zurück und lebte dort mit einigen anderen Wölfen zusammen und bildete ein Rudel, das er selbst anführte. Du kennst ihn bestimmt.“
„Beck.“, flüsterte Jaden voller Unglauben.
„Salazar und ich hielten den Kontakt und er war auch voll und ganz damit einverstanden, dass hier eine Schule entstehen würde. Sicher, er hatte seine Zweifel, aber er hat zugestimmt, als ich ihm erklärt habe, warum ich das tun wollte.“
„Und warum wolltest du das?“
„Anscheinend kennst du nicht die ganze Legende. Dabei dachte ich, Salazar hätte sie dir ganz erzählt.“ Grandma nahm einen Schluck Tee und fuhr fort: „Die Legende geht so:

Vor hunderten von Jahren lebten sehr viele Menschen hier. Die Tochter des Herren dieser Residenz hatte die Wölfe gern und die Wölfe die Tochter. Eines Tages spielte das Kind mit den Wölfen und viel in den Fluss. Die Wölfe versuchten das Mädchen zu retten, doch als sie sie aus dem Fluss ziehen konnten, hatte sie längst aufgehört zu atmen. Die Wölfe brachten das Kind zu seinem Vater. Der war so traurig über den Tod seines einzigen Kindes, dass er die Wahrheit nicht sah. In seinen Augen hatten die Wölfe seine Tochter umgebracht. Er erklärte den Wölfen den Krieg.

In einer Vollmondnacht kämpften die Menschen gegen die Wölfe. Auf einer Lichtung tief im Wald wurden die Wölfe besiegt. Als der Anführer seinen letzten Atemzug tat um die verbliebenen zu retten, erschien eine fremde Wölfin. Ihr Fell war so rein, dass selbst Schnee nicht damit konkurrieren konnte. Die Wölfin sah das Schlachtfeld und die toten Wölfe. Die Lebenden hatten sich in Ehrfurcht vor ihr verneigt und selbst die Menschen hatten in ihrem Tun innegehalten. Der Herr erkannte seine Tochter in der Wölfin und fiel auf die Knie. Und da begann die Wölfin zu weinen. Sie weinte um jeden Wolf, der sein Leben lassen musste. Sie weinte um die Menschen die starben. Sie weinte um jeden. Und jede Träne, die zu Boden fiel wurde eine Blume. Jede Blume verschlang die Seele eines Wolfes und schickte sie in den Himmel hinauf, wo die Seelen zu Sternen wurden. Die Wölfin begann zu heulen und eine große Tür erschien. Und mit den verbliebenen Wölfen ging die Weiße durch die Tür ins Paradies.
Grandma hielt kurz Inne,  überlegte und nahm einen weiteren Schluck Tee.
„Weißt du, ich wollte, dass das eine Schule wird, damit sich wieder Menschen zusammenschließen um die Wölfe zu schlagen.“
Jaden schwieg, geschockt von dem was er gehört hatte.
„Ich wollte, dass sich wieder Menschen gegen die Wölfe erheben, damit die weiße Wölfin wieder erscheint. Nur so können wir alle das Paradies betreten. Ich wollte, dass dieses Mal die Geschichte eine andere Richtung hat.“ In ihrer Stimme schwang Trauer und Schuld mit. „Natürlich möchte ich nicht, dass jemand verletzt wird, aber ich habe dafür gesorgt, dass  die Wölfe dieses Mal auf einen Angriff vorbereitet sind.“
„Wie kannst du nur?“
„Ich…“
„Du nimmst dir das Recht heraus meine Freunde in den Krieg zu schicken? Du nimmst Opfer in Kauf nur um irgendwo hin zugehen ohne zu wissen ob es das wirklich gibt und was dich erwartet?“
Plötzlich wurde Grandma´s Gesicht sehr, sehr traurig. Sie hielt wieder dieses Paket in den Händen.
„Hast du sie schon einmal spielen sehen?“
„Was?!“
„Hast du Chloe schon einmal Geigenspielen sehen?“
„Ja, aber…“
„Hast du da auch diese Traurigkeit gespürt, die von irgendwo tief aus ihrem Herzen kommt?“
„Klar.“
„Du musst wissen, dass Chloe sich beim Spielen immer an diesen Krieg erinnert hat. Sie hat das Schlachtfeld gesehen und die vielen Leichen. Sie konnte es mir nie wirklich erklären, aber ich habe es verstanden. Ich habe ihren Schmerz verstanden und ihre Tränen, wenn sie aufhörte.“
„Aber wie kann sie sich denn daran erinnern?“
„Es ist, als wäre sie zwei Wesen.“
„Wie meinst du das?“

„Du bist voll und ganz ein Wolf, der gelernt hat wie ein Mensch zu sein, doch Chloe ist ein Mensch und ein Wolf. Sie wurde als Mensch geboren, doch sie hat in ihrer Vergangenheit so viel Leid erlebt, dass sich die Seele der weißen Wölfin mit Chloe´s Seele  verbunden hat. Die Wölfin in ihr kam nur zum Vorschein, wenn Chloe besonders stark empfunden hat. Die Traurigkeit in ihren Augen, hast du die gesehen?“
„Ja.“
„Sie ist einsam. Als sie noch ganz klein war, hat ihr Vater sie misshandelt. Sie hatte Angst. Zu diesem Zeitpunkt erwachte die Wölfin in ihr zum ersten Mal. Dann wurde Chloe von ihrer Mutter zurückgewiesen weil sie Angst vor ihrem eigenen Kind hatte. Das zweite Mal war der Moment, indem Chloe von ihrer Mutter in eine Irrenanstalt gebracht wurde. Sie fühlte sich verletzt. Ich habe Chloe dann zu mir genommen, doch ich hielt es für das Beste sie hier her zu bringen.“

Jaden nahm die Informationen auf und erinnerte sich gleichzeitig an Chloe. Ihre Albträume, ihre Sorgen, ihre Tränen. Alles ergab jetzt Sinn. Aber es war zu spät um ihr zu sagen, dass er es jetzt verstand, dass er für sie da wäre, dass er an ihrer Seite wäre. Es war alles zu spät. „Aber sie hat ich vor Kurzem wieder verwandelt. Warum? Sie war doch nicht dabei jemanden zu verlieren.“ „Salazar hat mir davon erzählt.“ Grandma überlegte kurz.
„Sie dachte sie würde dich verlieren.“, sagte sie schließlich und erklärte: „Shelly hatte ihr gesagt, dass du ihr gehörst und nicht Chloe. Chloe liebt dich und würde es nie zulassen, dass jemand wie Shelly mit die zusammen ist.“

„Chloe LIEBT dich“, überlegte Jaden. Also wusste Grandma noch gar nicht, dass Chloe… tot war.
„Chloe ist…“, begann er und suchte nach den richtigen Worten.
„Ich glaube sie kommt heute nicht mehr. Komm hilf mal einer alten Frau.“
Garndma war aufgestanden und hatte die Dosen mit Muffins und Keksen und die Getränke wieder in ihrem -eindeutig zu kleinen- Korb untergebracht. Jaden faltete die Decke zusammen und reichte sie ihr.
„Hör mal, Grandma: Chloe ist… sie ist tot.“, flüsterte Jaden ohne zu merken wie verletzt er klang. Doch Grandma lachte bloß und reichte ihm einen Keks.
„Mein Junge, bist du dir da so sicher?“

Noch immer lachend ging Grandma ein Stück um den Baum herum. Jaden wollte ihr folgen um zu fragen, was sie meinte, als die alte Frau plötzlich verschwunden war. Nur das Lachen, nett, freundlich und aufrichtig, hallte in seinen Ohren nach.

The Leader

(Der Anführer)

 

Grandma war wirklich verschwunden. Sie war einfach so weg. Keine Spur mehr von ihrem Geruch nach Flieder und Keksen. Nur das Paket lag dort wo sie gesessen hatte. Jaden nahm es hoch und erkannte es sofort. Es war der Stoff, der um Chloe´s Geige gewickelt war, aber in diesem Stück befand sich keine Geige. Es war eine Maske. Sie war Schlicht und trotzdem schön. Die Maske würde nur Stirn und Nase bedecken. Auf der einen Seite war sie schwarz, auf der anderen weiß. Schwarze Streifen kräuselten sich hinüber zur weißen Seite und umgekehrt. Jaden erinnerte sich, dass der Herbstball ein Maskenball war. Eigentlich hatte er nicht mehr vorgehabt hinzugehen, aber er las das, was auf der kleinen Pappkarte in schöner Kalligrafie stand, die bei der Maske lag: Man stirbt wenn man vergessen wird! Er legte die Karte zurück und wickelte die Maske wieder ein. Jaden kletterte auf den Baum und legte die Maske zu Chloe´s Geige. Dann machte er sich auf den Weg zum Lager.

Beck wartete bereits auf Jaden. „Da bist du ja“, begrüßte er ihn.
„Freut mich auch dich zu sehen.“, antwortete Jaden sarkastisch und in Gedanken versunken.
„Wir müssen über deine Position als Anführer sprechen.“
„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Chloe´s Großonkel bist?“ Beck war so erstaunt, dass ihm nichts einfiel, was er hätte sagen können. „Du hast mir verschwiegen, dass du der Bruder von Chloe´s Grandma bist, dass du mal hier gewohnt hast und dass du mit daran beteiligt bist, dass sich hier eine Armee sammelt, die uns abschlachten will, nur weil sie vergessen haben, dass sich die ganze Geschichte vor hunderten von Jahren schon geklärt hat!“
„Jaden, von wem weißt du das alles?“, fragte Beck.
„Von Chloe´s Grandma.“ Beck schwieg kurz.
„Jaden, Chloe´s Grandma ist schon seiteinigen Monaten tot.“
„Das, das kann nicht sein. Ich habe doch eben noch mit ihr gesprochen und Kekse gegessen.“
„Es ist aber wahr.“
„Aber die Karte und die Maske…. Wer hat es denn sonst da hingelegt?“
„Maske? Gehst du etwa doch zum Ball?“, fragte Alan plötzlich von der Seite und stellte sich zu den beiden.
„Ja ich denke schon.“, gab Jaden zurück.
„Die Planungen für die Schlacht sind übrigens von Seiten der Menschen abgeschlossen.“, warf Alan ein. „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“, rief Beck. Alan hob die Hände zur Beschwichtigung.
„Tut mir leid, aber ihr habt gerade miteinander gesprochen, da wollte ich nicht dazwischenreden.“
„Ist schon gut. Also erzähl uns was du weißt.“

Sie saßen alle zusammen- Jaden, Beck, Paul, Alan und drei andere- während Alan erzählte: „Sie planen in der Nacht des Balls den Wald zu durchkämmen um dieses Lager zu finden. Es wird um Mitternacht beginnen. Sie werden uns zu einer Lichtung zurückdrängen, die tiefer im Wald liegt, aber nicht weit entfernt ist.“ Jaden dachte an die Wiese mit den Mitternachtsblumen. „Dort werden sie dann zum finalen Schlag ausholen.“, beendete Alan seinen Vortrag. Kurz legte sich Schweigen über die Versammelten.
„Jaden, was glaubst du, ist der beste Weg um vorzugehen?“, fragte Beck in die Stille hinein.
Er überlegte kurz.
„Wir sollten uns vorbereiten. Ähm… Als ich heute bei ihnen war habe ich die Waffenkammer gefunden. Wir könnten uns daraus selbst Waffen nehmen und den Rest manipulieren.“
Alan nickte, Paul und Beck tauschten ernste Blicke aus, nickten aber auch, nur die drei anderen unterhielten sich leise. Jaden kannte sie nicht besonders gut. Er wusste nur, dass sie gute Strategen waren.
Einer von ihnen, ein Mann mit hellbraunen Haaren meldete sich zu Wort: „Wäre es nicht besser, wenn wir jeden Kampf vermeiden können indem wir ihnen einfach alle Waffen stehlen?“
„Ich glaube nicht, dass das Möglich ist. So weit ich das sehen konnte, waren es zu viele um sie alle wegschaffen zu können. Außerdem ist der Ball schon morgen und damit haben wir nicht mehr genug Zeit um Unmengen an Waffen zu verstecken.“, gab Jaden zu bedenken.
„Also bleibt uns wirklich nur noch das Manipulieren.“, überlegte Beck.
„Das übernehme ich. Ich kann mich ja frei unter ihnen bewegen.“, schlug Alan vor.
„Gut. Dann tu das. Wir verlassen uns auf dich.“
„Alles klar.“ Er stand auf und wollte gehen, doch da fiel ihm noch etwas ein: „Jaden, du sollst übrigens in einer halben Stunde wieder unten sein, damit du anfangen kannst mit Mia zu trainieren.“ „Ich gehe gleich runter.“ „Beeil dich. Hell hasst es wenn jemand unpünktlich ist.“
„Gut. Ich werde da sein.“ Und damit ging Alan. Und auch Paul und die drei Strategen gingen. Beck und Jaden waren allein.

 

„Hör mal Jaden, du musst nicht der Anführer werden, wenn du nicht willst. Ich kann auch jemand anderen finden, der das übernimmt.“, meinte Beck.
„Nein. Das ist okay. Ich habe mich entschieden das zu machen.“ Erleichterung überkam Beck und Jaden konnte es spüren.
„Sag mal, wo ist eigentlich Shelly? Ich habe sie schon seit heute Morgen nicht mehr gesehen.“
„Ich bin hier.“, meldete sich eine Stimme hinter ihnen. Sofort war Jaden wieder angespannt. „Jaden, s tut mir leid, was ich getan habe.“
Schweigen.
„Ich habe sie nicht töten wollen und ich wollte fragen, ob du mit mir zu dem Maskenball gehst?“
Schweigen.
„Jaden?“
„Nein.“
So aufrichtig Shelly auch klang, Jaden sah ihr in die Augen und konnte nicht anders als diese Augen zu hassen. Dieses blasse blau, das zu grau war um wirklich blau zu sein und Wimpern, die zu schwarz waren um nicht bemalt zu sein. Er sah ihr ins Gesicht und sah rote Lippen, die zu rot waren um nicht mit Lippenstift zugekleistert zu sein und blasse Haut, die zu perfekt schien um nicht wie eine Maske zu wirken. Er betrachtete ihre Figur und sah die abgemagerte Gestalt, die sportlich aussah und es doch nicht tat. Er sah ihr blondes Haar und sah sie als Wolf über Chloe stehen, Blutverschmierte Pranken die sich in ihr Fleisch bohren. Er sah sie an und konnte sie nur hassen.

„Nein, ich kann nicht mit dir zum Ball gehen.“
„Ist schon okay. Ich hab diese Antwort erwartet.“ Sie drehte sich um und ging.
„Jaden, du hättest ihr eine Chance geben sollen.“, meinte Beck.
„Hätte ich gerne. Wirklich. Aber ich konnte einfach nicht.“
Beck seufzte. „Dann kann man es wohl nicht ändern.“
„So ist es.“
„Denk dran, dass du jetzt der Anführer bist. Du darfst keine Unterschiede zwischen den Mitgliedern deines Rudels machen.“
„Ich darf zwar nicht, aber ich kann.“ Und damit ging auch Jaden.

Training

 

 

Im Trainingsraum wartete schon das Mädchen mit den Reh Augen auf Jaden. Alan hatte gesagt sie hieße Mia. Der Name passte zu dem Mädchen.
„Hi, ich bin Jaden.“, stellte er sich vor.
„Hi, ich bin Mia.“, gab sie zurück. „Also dann lass uns anfangen.“
„Klar. Und wo fangen wir an?“, fragte Jaden und grinste unabsichtlich sein typisches Bad-Boy-Grinsen.
„Greif mich einfach an.“
„Ich kämpfe aber nicht gegen Mädchen.“
„Ach nein? Gibt es wirklich kein Mädchen, das es deiner Meinung nach Wert wäre, geschlagen zu werden?“
Sie hatte ins Schwarze getroffen. „Ah ich hab also Recht?“
Er seufzte. „Ja.“
„Na dann los. Greif mich an und stell dir vor ich wäre dieses Mädchen.“
Jaden machte einen Schritt auf sie zu, sodass sie nur noch wenige Zentimeter voneinander trennten. „Wieso sollte ich. Mir gefällt es so viel besser.“
Was tat er da bloß? So war er immer wenn er mit Chloe zusammen war, aber doch nicht bei einem unbekannten Mädchen, dass eindeutig nicht Chloe war!
„Na schön. Dann fange ich eben an.“ Jaden war noch so in Gedanken, dass er sich nicht gegen sie wehrte, als sie einen Schritt um ihn herum machte, ihm das Bein wegtrat und ihn zu Boden warf. Sie setzte sich auf ihn und hielt seine Handgelenke fest.
„Wo bist du nur mit deinen Gedanken?“
Jaden sah ihr in die Augen und lächelte, als er daran dacht, wie Chloe auf ihm lag, als sie die Treppe runtergefallen waren. „Ganz wo anders.“
„Dann konzentrier dich besser.“
„Schon dabei.“
Mit so viel Schwung wie er konnte rollte Jaden herum, sodass er jetzt auf Mia saß.
„Schon besser“, sagte sie. Sie lächelte und hob das Gesicht ein bisschen. Jaden war von dem Kuss so überrascht, dass er zurückwich und Mia die Möglichkeit gab anzugreifen. Ehe er es sich versah lag er wieder am Boden.
„Ganz mieser Trick.“, sagte Jaden und musste einfach grinsen.
„Ja, nicht wahr?“
„Ich habe irgendwie das Gefühl, dass du hier nicht hingehörst.“, flüsterte er.
Mia war so erstaunt, dass sie kurz ihre Deckung aufgab. Jaden sprang auf, drehte ihr den Arm auf den Rücken und legte das Kinn auf ihre Schulter.
„Du bist viel zu nett für diese ganzen… Krieger.“
„Danke, aber ich muss hier sein.“
„Wieso das?“
„Weil Hell mein Vater ist.“
„Wow. Du hast mein Mitleid.“
„wie süß, aber ich komm schon klar.“
„Ach ja?“ „Ja!“ „Wir treffen uns nach dem Training auf dem Dach.“
„Na schön.“
„Aber bis dahin habe ich gewonnen.“
„Was macht dich so sicher?“ Sie boxte ihm mit dem freien Arm in die Rippen, sodass er sie loslassen musste, trat ihm in den Schritt und flüsterte dicht an seinem Ohr: „Bis gleich.“ Sie ließ Jaden zurück und ging sich umziehen.

On the Roof

(auf dem Dach)

 

Die Tür quietschte leise, als Jaden das Dach betrat. Mia stand am Abgrund und schaute über das Gelände und den  angrenzenden Wald. Noch war der Himmel nicht rot, doch bald würde er von der untergehenden Sonne gefärbt werden.

„Du hast lange gebraucht.“, stellte sie fest ohne sich umzudrehen. Jaden stellte sich neben sie und genoss den leisen Windhauch, der den Geruch von Erde, Gras und alten Steinen zu ihm trug.
„Du hättest mir ja eine Uhrzeit sagen können.“
„Du hast mich herbestellt.“
„Du hättest nicht kommen müssen.“
„Und doch stehe ich hier.“
„Warum hast du mich nicht verpfiffen. Du wusstest, was ich bin und du hast nichts gesagt.“
„Ich finde dich interessant, Jaden. Chloe hatte nicht übertrieben.“
Bei ihrem Namen zuckte Jaden unweigerlich zusammen. Wusste Mia denn nicht, dass Chloe tot war? Nein, wie denn auch?
„Ihr kanntet euch?“
„Sicher. Wir sind die besten Freunde gewesen bis sie hier her kam. Sie wusste gar nicht, dass ich auch hier bin, aber wir haben mindestens einmal in der Woche telefoniert.“
Jaden schwieg.
„Wie ist es so, ein Wolf zu sein?“, fragte sie plötzlich in das Schweigen hinein.
„Wie ist es so, ein Mensch zu sein? Ich kenne nichts Anderes, aber es ist schön.“ 
„Und was bedeutete das Tattoo auf deinem Rücken?“
Wieder schwieg er.
„Du weißt es nicht, stimmt´s?“
Noch mehr Schweigen.
„Meine Eltern haben Wölfe studiert. Meine Mutter hat mir vor langer Zeit mal erzählt, dass es Wölfe gibt, die sich in Menschen verwandeln können. Nur sehr wenige dieser Wölfe tragen ein Tattoo, das sie als Wächter kennzeichnet. Sie sollen eine weiße Wölfin beschützten, die alle ins Paradies führen wird.“
„Wächter also, ja? Tja ich konnte sie nicht davor bewahren.“
„Wen?“
Jaden rang mit sich, ob er es ihr vielleicht sagen sollte, entschied sich dann aber dagegen. „Ist nicht so wichtig.“
Mia seufzte. „Ich wäre auch gerne ein Wolf.“
„Aber du bist doch eine Kriegerin. Solltest du die Wölfe nicht hassen?“
„Habe ich gesagt, dass ich das freiwillig mache? Ich würde lieber frei sein, durch die Wälder streifen und mein Mehr-Sein finden.“ „Dein Mehr-Sein?“
„Weißt du nicht was das ist?“ Jaden schüttelte den Kopf.
„Aber das erklärt sich doch von ganz alleine. Mehr-Sein ist das, was einen besonders macht. Es ist etwas, das einen mehr sein lässt als eine sich bewegende Masse aus Haut und Knochen.“ Die Sonne kam dem Horizont immer näher, bis sie ihn schließlich zu berühren schien. Das Lächeln, das Mias Lippen umspielte war ebenso schön wie die letzten Strahlen der Abendsonne und genauso warm, wie die Farben des Himmels im letzten Tageslicht.

„Wie bist du zu einem Wolf geworden, Jaden?“
„Ich bin so geboren worden.“
„Und wo sind deine Eltern?“
„Als ich sieben Jahre alt war, haben uns die Menschen angegriffen. Vorher hatten wir mit den Menschen dort zusammengelebt und haben mit ihnen gearbeitet, aber plötzlich wandten sie sich gegen uns. Sie haben meine Eltern getötet, als sie mich beschützt haben. Ich entkam und wurde von dem Rudel hier im Wald aufgenommen.“
„Das mit deinen Eltern tut mir leid.“
„Schon okay. Ich habe wieder eine Familie, die ich beschützen möchte.“ Sie lächelte. „Kannst du mich zu einem Wolf machen?“
Jaden sah sie erstaunt an. „Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“
„Ich auch nicht, aber ich möchte es gerne. Lass mich mein Mehr-Sein finden.“ „Dein Vater hasst doch die Wölfe. Er wird dich töten wollen.“
„Dann ist es eben so.“
„Es tut mir leid, aber das mache ich nicht.“
„Bitte.“ Mia sah ihm tief in die Augen.
So aufrichtig wie sie guckte, konnte er nicht anderes: „Na schön. Aber unter zwei Bedingungen: Nummer eins: Du musst dir das gut überlegt haben. Das lässt sich nicht wieder rückgängig machen. Und Nummer zwei: In der Schlacht, kämpfst du auf meiner Seite, egal was passiert.“
„Ich habe mein ganzes Leben überlegt, ob ich es machen sollte oder nicht. Also ja, ich bin mir sicher.“ Das Zögern, so kurz es auch war, war offensichtlich.
„Und in dieser und jeder weiteren Schlacht kannst du dir sicher sein, dass ich an deiner Seite kämpfe.“
„Ich nehme dich beim Wort.“
„Ich werde es nicht vergessen.“
„Es wird weh tun.“
„Das weiß ich.“
„Und du bist dir wirklich sicher?“
„Ja.“
„Gut.“

Während Jaden sich in einen Wolf verwandelte, trat Mia vom Rand des Daches zurück und kniete sich vor den schwarzen Wolf, der nun vor ihr stand. Grüne Augen sahen sie zweifelnd an, doch Mia öffnete die Arme, als würde sie das Tier umarmen wollen. Der Wolf schmiegte sich kurz in die Umarmung bevor sich seine Zähne in ihre Schulter gruben. Doch Mia wich nicht zurück, sie zuckte nicht zusammen. Sie seufzte einfach erleichtert, als sie in die Arme des Jungen sank, der eben noch ein Wolf gewesen war. Blut strömte aus der Wunde, doch diese schloss sich schon langsam wieder und Mia rappelte sich auf. Der Mond begann seine Bahnen zu ziehen und zog die Sterne hinter sich her.  Die beiden standen auf und Jaden stütze Mia, als eine Gestalt in der Tür stand.
„Vater.“, hauchte Mia.
„Was hast du meiner Tochter angetan?“, fragte Hell entgeistert.
„Mr. Hell, ich…“
„Er hat nichts getan.“, schaltete sich Mia ein. „Nichts was ich nicht wollte.“
Mit seinen Wolfsaugen sah Jaden das Gesicht des Mannes in der Dunkelheit, besser. Wut und Hass, das sah Jaden.
„Sir, es geht ihrer Tochter gut.“                                  
„Nein!“ Der Mann entsicherte seine Waffe.
Mia stellte sich vor Jaden, in ihrer Wolfsgestalt. Wie konnte sie sich so schnell verwandeln? Das erste Mal dauert doch viel länger! dachte Jaden. Hells Maske bröckelte und Entsetzten machte sich auf seinem Gesicht breit. Er war schockiert, fast angewidert vom Anblick seiner eigenen Tochter.
„Ein Monster.“, flüsterte er. „Du hast ein Monster aus ihr gemacht!“
Jaden lächelte. „Nein ich habe ihr die Freiheit geschenkt, die sie schon immer gesucht hat.“
Der Mann sank auf die Knie und starrte auf den Boden. Seine Hände zitterten und sein Gesicht war schmerzverzerrt. Wie er so da saß, mit gebrochenem Herzen, hatte Jaden fast Mitleid mit ihm.

„Komm.“ Mia zog Jaden mit sich an ihrem Vater vorbei und durch die Tür.

Silence before the Storm

(Ruhe vor dem Sturm)

 

 

Als Wölfe gingen die beiden ins Lager. Jaden stellte Mia Beck vor, der zwar skeptisch war, sich aber doch bereiterklärte sich ihre Geschichte anzuhören. Unterdessen klärte Jaden ein paar Sachen für die morgige Nacht und ging mit Alan und Paul den Plan noch zwei Mal durch um alle Fragen auszuräumen. Dann zog er sich zurück. Er holte das Päckchen von Grandma aus seinem Versteck und ging.

In dieser Nacht sah der Himmel besonders schön aus. Der beinahe volle Mond leuchtete heller den je und Jaden wusste, dass das seine letzte Nacht in Frieden sein würde. Und er würde sie alleine verbringen. Sie war nicht da um diese letzte Nacht mit ihm zu verbringen und ihm zu sagen, dass es nach der morgigen Schlacht noch ein Morgen geben wird. Sie war nicht da um sich mit ihm zu fürchten. Sie war einfach nicht da. Chloe war einfach nicht da.

Jaden zog sich aufs Dach zurück. Hell war verschwunden und das war ihm nur recht. Vermutlich schlug der Mann gerade auf einen Sandsack ein auf dem Jadens Foto hing. Jaden grinste bei dieser Vorstellung, obwohl es nichts Lustiges an sich hatte. Seine Verzweiflung hatte sich aufgestaut, bis zu diesem Zeitpunkt. Am Abgrund sitzend begann Jaden lauthals zu lachen. Gleichzeitig rann eine Träne seine Wange hinab. Zweifel übermannten ihn und er wusste nicht, was er anderes tun konnte, außer zu lachen.

Er musste der neue Rudelführer sein. Er musste ein Rudel in den Krieg führen. Er musste seine Trauer überwinden. Er musste es allein. Weit draußen im Wald erblickte Jaden hunderte kleiner Lichtpunkte, die in den Himmel aufstiegen. Er fuhr sich mit den Händen durch das dunkle Haar. Die Mitternachtsblumen. Fast hätte er sie vergessen. Die Blumen, die Chloe so liebte. Die Lichter stiegen immer höher, bis sie schließlich die Sterne erreichten und selbst zu diesen wurden. Ihm wurde klar, dass auch er einer dieser Sterne werden würde, immer auf dem Weg in den Himmel, jede Nacht. Aber er würde zu keiner Mitternachtsblume werden. Es gab keine weiße Wölfin mehr, die um ihn weinen könnte. Es gab gar keine weiße Wölfin mehr.

Tiefe Trauer durchströmte ihn, tiefer als jedes Meer dieser Welt. Tiefes Schwarz breitete sich in seinem Herzen aus und trug ihn wie eine Marionette in sein Zimmer.

Bis zum Ball kam er nicht wieder heraus.

Our last Dance

 

(Unser letzter Tanz)

 

Der Abend der Entscheidung war gekommen. Jetzt musste Jaden sein Zimmer verlassen. Ein letztes Mal rückte er seine Fliege zurecht und nahm sich zum fünften Mal vor, den Ball zu genießen. Er seufzte und öffnete die Zimmertür. Er war nicht der Einzige, der zum Ballsaal wollte. Drei Jungs gingen an ihm vorbei ohne ihm Beachtung zu schenken. Er ging ihnen einfach hinterher.

Der Saal war wirklich schön. Ballons hingen von der Decke, oder bildeten einen Torbogen um die Eingangstür. Weiße Tischecken hingen über den Tischen und die Stühle waren mit weißen Tüchern bedeckt und mit einer blassblauen Schleife an der Rückseite der Rückenlehnen geschmückt. Musik dran von überall her und einige Paare tanzten auf der großen Tanzfläche. Die Jungs bunte Anzüge und noch buntere Masken. Die Mädchen trugen Kleider in allen Farben, bunte Perücken und Masken, die Jaden sich nicht einmal im Traum hätte vorstellen können.

Jaden zog sich auf den Balkon zurück und sog die kühle Nachtluft tief ein. Er sah in den Himmel hinauf. Durch die Augenlöcher seiner Maske betrachtete er den vollen Mond. Groß und rund verschwand er hinter Wolken um nur manchmal wieder auf die Welt hinabzublicken.

„Möchtest du nicht Tanzen?“ Jaden zuckte zusammen. Sein Herz setzte einen Schlag aus und als er sich umdrehte… war es nur Mia. „Du scheinst ja sehr begeistert zu sein, mich zu sehen.“, stellte sie sarkastisch fest. „Entschuldige. Ich dachte du wärst jemand anderes.“
„Chloe?“ Er zögerte, nickte aber. „Wie findest du mein Kleid?“, fragte sie und drehte sich, damit er es von allen Seiten sehen konnte. Es war ein grünes Kleid, dunkel und atemberaubend. Ihre Maske bedeckte nur die Augen und war mit schlichten silbernen Schnörkeln verziert. Das braune Haar hatte sie aufwendig hochgesteckt.

„Du siehst wunderschön aus.“, bestätigte Jaden.
„Super, dann kannst du ja auch mit mir tanzen.“ Sie nahm seine Hand und zog ihn auf die Tanzfläche.

Eigentlich wollte Jaden nicht, doch als er Mia in die Augen sah, da konnte er nicht anders, als zu lächeln und es geschehen zu lassen. Sie bewegten sich über die Tanzfläche, als hätten sie schon immer zusammen getanzt, fließend und weich in den Schritten und Drehungen. Schon sehr lange hatte Jaden nicht mehr getanzt und er musste zugeben, dass er es vermisste. Wie von selbst bewegten sich seine Beine, seine Füße trugen ihn, als würde er über Wolken laufen. Und viel zu schnell war das Lied vorbei. Er hatte tatsächlich sein Zeitgefühl in der Musik und in den rehbraunen Augen seiner Tanzpartnerin verloren, die ihn aufmerksam musterte.

Eine Ansage tönte aus den Lautsprecher: „So meine Freunde, es ist Zeit euren Ballkönig und seine Königin zu wählen.“ Lautes Klatschen erhob sich. „In meiner Hand halte ich die Nominierten.“  Das Mädchen auf der Bühne- es trug ein dunkelrotes Kleid und eine weiße Maske, die ihr ganzes Gesicht
bedeckte- hielt einen Umschlag in die Höhe. „Ich lese die Namen vor, die Leute kommen auf die Bühne und ihr Entscheidet dann mit eurem Applaus, wer König und Königin wird. Ihnen gehört der nächste Tanz!“ Sie nahm einen Zettel aus dem Umschlag und las laut die Namen vor: „Yu, komm hoch zu mir.“
Chloe´s Freundin betrat die Bühne. Noch nie hatte Jaden sie so stolz und von sich überzeugt gesehen. In ihrem pinken Kleid sah sie aus wie eine Barbiepuppe.
Und ihr Ken kam gleich hinterher: „Du auch Brad!“ Brad ging auf die Bühne und stellte sich neben Yu.
„Wen haben wir als Nächstes? Alan.“
Jaden hatte gar nicht gemerkt, dass Alan auch auf diesem Ball war. Jetzt wusste er es. „Dann kommt Jaden!“ Es dauerte einen Moment, bis Jaden verstand, dass das sein Name war, doch da hatte Mia ihm schon einen Schupps Richtung Bühne gegeben. Von da oben erkannte Jaden, was für eine Masse an Schülerinnen und Schülern da war. Sie waren alle bunte Farbkleckse auf einem dunkeln Holzboden.
„Als Nächstes Shelly!“
Es gelang ihm gerade noch sich nicht zu übergeben oder in lautes Gelächter auszubrechen. Das hatte er wirklich nicht erwartet. Aber als er sie sah, verstand er, dass sie nominiert wurde. Sie sah wirklich gut aus in ihrem blassgrauen Kleid. Wo der Stoff am Dekolletee begann waren unzählige Blumen in schwarz und weiß, die sich bis zu den Hüften ausbreiteten. Von da an zerfiel die Masse, als würden sie an dem langen, weiten Kleid herabfallen.
Geformt wie ein Schmetterling, lag die Maske über ihren Augen. Ein Gestell aus geschwungenen Drähten, elegant und doch genug um ihr Gesicht zur Hälfte zu verdecken. Die blonden Haare, die über die rechte Schulter flossen, waren zum Ende hin gelockt. Wunderschön und doch ein Nichts zum dem Mädchen, das in dem Moment den Saal betrat, als Shelly die Stufen der Bühne erklomm.


Stille legte sich über die Versammelten und auch Shelly blieb abrupt stehen. Radlosigkeit spiegelte sich in den Gesichtern der Anderen wieder und Jaden verstand es. Er verstand es voll und ganz.


Glänzendes Schwarz vom Herzausschnitt bis zu den Hüften. Wie zertrümmert und zerfallen lagen ab da nur noch kleine Splitter Schwarz auf dem reinsten Weiß, das Jaden je gesehen hatte, das wie Milch auf den Boden floss. Eine Schwarze Maske verdeckte das Gesicht um die Augen herum. An der rechten Seite war sie mit einer schwarzen Seidenschleife, einer schwarzen Rose und Rabenfedern verziert. Schwarze Spitze war um die Maske gesetzt und umrahmte sie zusätzlich. Um die Augen lag der gleiche schwarze Glanz wie auf dem Kleid und ein grobes Netz aus dünnen Fäden lag über der Kinnpartie. Die Schneeweißen Haare waren von rechts nach links geflochten und flossen dort über die Schulter des Mädchens. Eine schwarze Halskette umschlang den schlanken Hals und hielt ein weißes Herz.

Die Moderatorin fand als Erste ihre Sprache wieder: „Ich denke, da kam unsere dritte Kandidatin. Komm her und lass die anderen Entscheiden, ob du Ballkönigin wirst.“
Das Mädchen stieg die Stufen der Bühne hinauf und ging an Shelly vorbei ohne sie eines Blickes zu würdigen. Die Unbekannte stellte sich neben Yu. Weit weg von Jaden. Shelly schaffte es endlich sich daneben zustellen, als die Moderatorin schon weitersprach: „So jetzt seid ihr dran. Denkt dran. Wer den meisten Applaus bekommt, der wird König. Also soll Brad der König dieses Balls werden?“

Sonderlich begeistert schienen die anderen nicht von ihm zu sein- was Jaden nachvollziehen konnte-, denn sie klatschten nur vereinzelt.
„Und wie steht´s mit Alan?“  Applaus brach los. Jaden hatte gar nicht gewusst, dass Alan so beliebt in der Schule war.
„Und Jaden?“ Pfiffe ertönten, Applaus erhob sich. Ein buntes Meer aus klatschenden Schülern lag vor Jaden, ohrenbetäubend und doch irgendwie friedlich.

„Okay. Sorry, Alan, aber wie es aussieht hat Jaden gewonnen.“ Brad und Alan gingen von der Bühne. Am liebsten wäre Jaden mitgegangen, aber leider konnte er es nicht.

„Super, dann kommen wir jetzt zu den Damen. Wie findet ihr diese Dame?“ Sie zeigte auf Yu.
Applaus kam nur mäßig auf. Yu brach in Tränen aus und stürmte von der Bühne. „Wow, das war hart. Na dann eben diese Schönheit!“  Sie ging zu Shelly und ließ sie einen Schritt vortreten. "Jetzt lasst mal was hören!“

Jaden war erstaunt. Nie hätte er gedacht, dass knapp hundert Menschen so viel Lärm machen konnten.

„Okay, okay!“, versuchte das Mädchen mit dem Mikro die Zuschauer zu beruhigen. „Eine fehlt doch noch.“ Shelly trat einen Schritt zurück und das andere Mädchen trat vor.

Der Lärm dröhnte Jaden in den Ohren und die Pfiffe schrillten durch seinen Kopf. Die Zustimmung des Publikums übertraf sogar noch den Lärm, den sie bei Shelly veranstaltet hatten und er hörte nicht auf.

„Hey! Leute! Wir haben es verstanden!“, schrie die Moderatorin ins Mikrofon. Langsam wurde es ruhiger. „Wir haben eine Königin zu unserem König.“ Sie ging zu einem Tisch auf der Bühne und kam mit einem Kissen zurück auf dem zwei Kronen lagen. Das Mädchen nahm die größere von beiden und Jaden die kleinere. Er kniete sich vor das Mädchen. Die Krone war schwer, doch sie passte wie angegossen.  Er erhob sich und das Mädchen machte eine Art Knicks. Jaden setzte ihr die Krone auf das Haupt. Als er ihre Haare berührte, erinnerte er sich daran, wie Chloe als Wolf tot in seinen Armen lag, das reinweiße Fell mit Blut verschmiert. Schnell wich er einen Schritt zurück.

„Dieses Lied gehört ganz euch.“, sagte das Mädchen ins Mikro bevor sie es weglegte.

Jaden ging vor und nahm das Mädchen in schwarz und weiß am Ende der kleinen Treppe in Empfang. Hand in Hand betraten sie die Tanzfläche.

„Und? Kannst du tanzen?“, fragte das Mädchen plötzlich.
Ein Schock fuhr Jaden in die Glieder und schnürte sein Herz zusammen. Eisblaue Augen sahen in seine. Diese Stimme. Diese Augen. Dieses Haar. Dieses Lächeln.
„Chloe.“, hauchte Jaden atemlos.
Das Mädchen lächelte noch ein bisschen mehr.
„Lange nicht gesehen, was?“
Jaden wollte einen Schritt auf sie zumachen und sie in die Arme schließen, ihr sagen, wie sehr er sie vermisst hat und wie froh er war, dass sie noch lebte, doch in dem Moment setzte die Musik ein und das Mädchen machte einen Schritt zurück.
„Aber du warst doch tot! Ich war dabei.“, sagte Jaden, während sie sich im Takt der Musik drehten. Der langsame Walzer war eine gute Wahl für diesen Tanz.
„Ja. Und jetzt lebe ich. Mach dir keine Gedanken darüber.“
„Ich… Ich bin einfach nur so froh…Ich...“
„Ist ja schon gut. Jetzt bin ich ja da. Und jetzt hör auf zu reden und tanz mit mir.“

Und das tat er auch. Sie tanzten zusammen, als gäbe es niemanden um sie herum, der sie beobachtete. Sie tanzten, als gäbe es keinen Krieg, der nur auf sie wartete. Sie tanzten, als gäbe es ein Morgen.

Die Menschen um sie herum wurden bunte, verschwommene Flecke, die weit, sehr weit in den Hintergrund rückten. Die Musik wurde lauter, durchströmte und leitete sie. Bis Jaden stehenblieb, das Netz von ihrer Maske beiseite schob und sie küsste.

Ein sanfter Kuss, zärtlich und unsicher. Chloe wusste, dass er sich noch immer nicht sicher war, ob das alles wirklich passierte, oder nicht. Um ihm zu zeigen wie real das war erwiderte sie den Kuss und für einen Moment war alles perfekt. Und plötzlich war dieser Moment vorbei. Die Welt um sie herum war wieder da und schlug über ihnen zusammen. Die anderen Schülerinnen und Schüler klatschten, das Lied hatte gewechselt und Chloe und Jaden lösten sich voneinander. Andere Paare drängten sich auf die Tanzfläche und Chloe und Jaden zogen sich zurück.

Auf einmal zuckte Chloe zusammen.
„Was ist?“, wollte Jaden wissen.
„Hast du das nicht gehört?“ 
„Was meinst du?“
„Ein Schuss.“
„Ein Schuss? Verdammt! Wo ist Alan?“ Sie stürmten aus dem Saal und hinaus auf den Balkon. Ganz weit hinten im Wald, kaum zu sehen für menschliche Augen, konnte Jaden den Schein von Feuer erkennen.
„Da liegt das Lager.“
„Dann hat es schon angefangen.“
„Aber es ist doch noch gar nicht Mitternacht.“ Chloe zog ihr Handy aus ihrem Ausschnitt-Jaden beschloss, nicht zu fragen, warum sie es dabei hatte- und zeigte ihm das Display. 00:15 Uhr!

„Das kann nicht sein. Das heißt wir hätten erst um 23:00 Uhr mit dem Ball angefangen. Irgendwer muss die Urhen verstellt haben.“
„Vielleicht hat das jemand.“
„Egal. Wir müssen zu den anderen.“
„Ja.“ Sie rannten durch den Saal und die Eingangshalle, über die Wiese und in den Wald hinein. Noch Während sie ins Unterholz sprangen verwandelten sie sich. Und gemeinsam liefen Schwarz und Weiß in einen Krieg hinein, ohne zu wissen, was auf sie warten würde.

War and Paradise

(Krieg und Paradies)

 

 

Es war fast, als würden die Bäume ihnen Platz machen, so rannten Chloe und Jaden durch den dichten Wald. Ihre Pfoten federten jeden Schritt, ihre Nasen erfassten jeden Geruch und ihre Ohren lauschten jedem Geräusch. Bis sie vor dem Schlachtfeld standen.

Wölfe fletschten die Zähne, knurrten und schnappten, versenkten die Zähne in Fleisch, rissen mit ihren Pranken Wunden in Körper. Menschen riefen Befehle, schossen auf die Tiere, schlugen ihnen die Schädel ein und schlitzen Haut auf. Blut sickerte in die Erde und erfüllte die kalte Nachtluft mit einem schweren, kupfrigen Geruch nach Tod und Verderben.

Chloe erinnerte sich an ihren Traum. Das Schlachtfeld mit Leichen übersäht. Feuer brannten auf der Lichtung wo einst das Lager gestanden hatte und um sie herum nur Blut.

„Wir müssen Beck finden.“, hörte Chloe Jadens Stimme in ihrem Kopf.
„Ist gut.“
Also machten sie sich auf die Suche nach Beck. Sie fanden den grauen Wolf im Kampf mit einem der Menschen. Jaden griff ein und biss dem Mann die Halsschlagader durch.
„Beck“, hörte Chloe wieder Jaden.
„Wo ward ihr?“, wollte Beck wissen.
„Unwichtig. Wir müssen uns zurückziehen. Sie haben uns viel zu sehr überrascht. Außerdem sind ihre Waffen noch völlig in Takt. Alan hat´s versaut.“
„Okay, dann ziehen wir uns zu den Mitternachtsblumen zurück.“
„Ja.“
„Habt ihr das alle gehört?“, rief Beck in Gedanken. „Wir ziehen uns zurück.“
„Jawohl.“, kam es gedanklich einstimmig von den anderen Wölfen.
„Also los.“
Duzende Wölfe preschten an Chloe vorbei, viel weniger, als sie gedacht hatte.
„Komm.“, forderte Jaden sie auf.

Sie liefen noch tiefer in den Wald. Die Menschen waren hinter ihnen. Sie konnten sie hören. Plötzlich schloss eine Wölfin zu ihnen auf.
„Jaden.“
„Mia. Du hast aber auch lange gebraucht.“
„Sorry. War keine Absicht. Aber jetzt kann ich mein Versprechen halten.“
„Das ist gut. Wir brauchen jeden, den wir finden können.“
„Bist du Chloe?“, wandte sich die Wölfin, die anscheinend Mia hieß an Chloe.
„Ja. Und du?“
„Ich bin Mia. Jaden hat mich… ähm… angeheuert mit euch zu kämpfen.“
„Super.“
„Dein Fell ist wirklich sehr schön. Noch schöner, als ich es mir vorgestellt habe.“
„Danke. Deins ist auch sehr schön.“
„Schluss jetzt! Wir sind im Krieg, da habt ihr keine Zeit für ein Kaffeekränzchen.“
„Hallo, Paul.“
„Freut mich, dass es dir wieder besser geht Chloe, aber bitte konzentrier dich. Wir sind da.“
Die vier Wölfe hielten an. Die Mitternachtsblumen hatten sich schon längst wieder geschlossen, als wollten sie sich vor den Kämpfen verstecken.
„Paul, wo ist Alan?“, fragte Jaden.
„Ich weiß es nicht.“
„Ich bin hier.“
„Was hast du gemacht?“ Jaden knurrte. „Die Waffen sollten doch manipuliert sein! Und wieso hast du uns nicht bescheid gesagt?“
„Es tut mir leid.“, flüsterte Alan und ging einige Schritte zurück. Die Menschen hatten jetzt auch die Lichtung erreicht.

Jaden erkannte den Mann neben Alan sofort. Mr. Hell hielt ein Schwert in der Hand und richtete es auf Jaden. „Angriff!“, schrie er und die Menschen stürmten los.

In der Mitte der Lichtung trafen beide Seiten aufeinander Jaden versuchte zu Hell durchzudringen. Als er ihn erreichte, klebte schon Blut an der Klinge seines Schwertes.
„Du hast meine Tochter zu einem Monster gemacht! Das wirst du büßen!“
Während Jaden mit dem Mann kämpfte, schlug Chloe sich zusammen mit Paul zu Beck durch. Dieser hatte sich in einen Menschen verwandelt und kämpfte mit einem Schwert gegen einen anderen Menschen. Paul biss dem Mann in die Schulter und schleuderte ihn gegen einen Baum.

Jaden hatte es geschafft Hell von seinem Schwert zu trennen, doch da zog er plötzlich eine Pistole. Jaden hatte sich schon mit seinem Ende abgefunden, doch da stand plötzlich Mia. Sie ging zu Boden und wurde wieder ein Mensch. Die Kugel hatte nur ihre Schulter getroffen, doch noch ein Stückchen weiter links und ihre Lunge wäre zerfetzt gewesen. Eine weiße Wölfin sprang Hell an und biss ihm die Kehle durch, bevor er noch einen Schuss abgeben konnte.  
„Damit sind wir quitt.“, sagte Shelly und ging sich einen neuen Gegner suchen.
Jaden verwandelte sich in einen Menschen du wollte Mia helfen, doch die wies ihn zurück: „Es geht mir gut. Kümmere du dich um deine Freundin.“
„Aber deine Schulter…“
„Der geht es prima. Na los. Hau schon ab!“
Nach einem Moment des Überlegens ging Jaden. Er sah gerade noch, wie Alan sich auf Chloe stürzte und Shelly sich dazwischenwarf. Alan biss Shelly die Kehle durch. Paul griff Alan an und Alan schaffte es, Paul in den Nacken zu beißen, doch Paul war eine Sekunde schneller. Er zerfetzte Alans Hals. Chloe stand wie angewurzelt da. Jaden wurde wieder ein Wolf und eilte zu ihr.
„Geht es dir gut?“
„Es reicht.“ Sie dachte so leise, dass Jaden sie nicht verstand. Sie starrte einfach auf die leblosen Körper von Alan und Shelly.
„Es reicht!“ Schrie sie plötzlich. Sie schrie aus vollem Herzen.
Stille legte sich über das Schlachtfeld.  „Es reicht!“, wiederholte sie genauso laut. Sie hatte sogar die Menschen, die die Gedanken der Wölfe nicht hören konnten, erreicht. „Hört auf zu kämpfen!“ Vor ihr lag eine Mitternachtsblume. Ihr Stiel war geknickt und ihre Blüte zertrampelt und voller Blut. Sie wurde ein Mensch und hob die Blume auf. Auch Jaden wurde ein Mensch.
„Wie könnt ihr nur andere töten? Warum macht ihr das? Weil es euch jemand gesagt hat?“ Tränen rannen ihr die Wangen hinab und fielen zu Boden. Mitternachtsblumen erhoben unter ihren Tränen die Blüten und öffneten sich. Die ganze Wiese bewegte sich. Jede einzelne Blume reckte den Kopf gen Himmel. Plötzlich kamen duzende Lichtkugeln aus dem Wald und verteilten sich auf die Blumen. Einige Menschen flüchteten. Mia kam zu ihnen gewankt.
„Was ist das?“, wollte sie wissen.
„Das sind die Seelen der gestorbenen Wölfe und Menschen.“, erklärte Jaden.
Die Lichtkugeln erhoben sich, doch sie schwebten nicht wie sonst dem Himmel entgegen, sondern sie drangen in den alten Baum ein. Sein Stamm begann zu leuchten und eine Tür erschien.
„Und was ist das jetzt?“
„Laut der Legende, dürfte das die Tür ins Paradies sein.“ 

Chloe wurde wieder ein Wolf, aber das hielt ihre Tränen nicht auf. Sie sah hinauf zum vollen Mond, der die Wolken vertrieben hatte und begann zu heulen. Paul fiel mit ein. Genauso Beck. Mia und Jaden wurden Wölfe und heulten ebenso wehklagend. Alle Wölfe heulten. Jeder noch lebende Wolf. Sie saßen auf dem Schlachtfeld, die Köpfe zum Mond erhoben und heulten ihn an. Bis Chloe sich erhob.

„Wir sollten gehen.“ Jaden stellte sich neben sie.
„Ja.“
„Was liegt dahinter?“, fragte Mia.
„Es gibt nur eine Möglichkeit das herauszufinden.“, meldete sich Beck. Chloe ging zu der Tür.
„Wir werden immer mit dir gehen.“, versprach Paul und verneigte sich. Die anderen Wölfe taten es ihm gleich. „Dann kommt mit mir. Lasst uns sehen, was hinter der Tür ist, die unsere gefallenen Brüder und Schwestern für uns geöffnet haben.“
„Ja.“, kam es gleichzeitig von allen zurück.

Chloe ließ die Anderen vorgehen.
„Wir sehen uns auf der anderen Seite.“, sagte Beck.
„Mit Sicherheit.“
„Komm bald nach.“, sagte Paul.
„Natürlich.“
„Siehst du, du konntest doch über sie wachen.“, sagte Mia.
Einer nach dem Anderen trat in das Licht hinter der Tür. Man konnte keinen von ihnen mehr sehen.
„Bist du bereit?“, fragte Jaden. „
Aber klar. Und du?“
„Wie eh und je.“
„Dann lass uns gehen.“ Und ohne nochmal zurückzusehen gingen auch Jaden und Chloe durch die Tür. Dem Unbekannten entgegen.  

Impressum

Bildmaterialien: 2008 by Wolf Ademeit
Lektorat: ein besonderer Dank gilt meiner Freundin Selina (Nekochan), weil sie sich durch meine vielen Fehler gekämpft hat. Du bist die Beste!!
Tag der Veröffentlichung: 20.03.2014

Alle Rechte vorbehalten

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