Jeden Tag sterben hunderte, wenn nicht sogar tausende Menschen. Ob durch einen natürlichen Tod oder durch die Hand anderer ihrer Art. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er sich weiterentwickelt, doch man sollte sich jeden Tag in seinem kurzen Leben fragen, wieso wir uns in eine Richtung entwickeln, die uns eines Tages unseres Lebens beraubt.
Es gibt kaum ein Land, wenn überhaupt, in dem noch nie ein Krieg geführt wurde. Waffen zerstören Städte, ganze Länder. Sie vernichten Familien und löschen Kulturen aus. Mit ihnen führen wir unsere Welt dem Untergang entgegen, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, was wir tun. Nicht einmal die Wichtigsten aller Menschen, können uns sagen, warum wir unsere Welt untergehen lassen.
„Wir müssen uns verteidigen“ „Wir haben nicht angefangen.“ Das sind alles nur Ausreden. Kaum einer betrachtet das große Ganze. Es ist eigentlich ganz einfach. Anstatt zu versuchen aufeinander loszugehen, sollte man da nicht einfach die Waffen niederlegen, zeigen, dass man einen Fehler gemacht hat?
Natürlich nicht. Obwohl es immer heißt, irren sei menschlich, sollte man sich über die Tragweite seines Irrtums klar werden. Wenn der Irrtum eines Menschen, andere Menschen in den Untergang geführt hat, ohne dass sie bereitwillig das Risiko eingingen, reicht es nicht aus, sich zu entschuldigen. Man sollte so viel Ehrgefühl in sich tragen, um es wieder gut zu machen.
Doch wer tut das schon?
Die wenigsten.
Ich möchte euch einen Teil meiner Geschichte erzählen. Ein großer Verlust, den ich erleiden musste. Es war der größte meines Lebens.
Eigentlich begann der schlimmste Tag meines Lebens ganz Normal. Mitten im Kriegsgebiet zu stehen ist für die wenigsten Menschen etwas normales, doch für mich gehörte es fast zur Tagesordnung. Mit der rechten Hand hielt ich ein Sturmgewehr, mit der Linken die Leine. Mein Hund Bonnie saß brav neben mir, suchte die Umgebung ab und gab keinen Ton von sich. Rechts neben mir stand mein Mann. Alex war fast einen Kopf größer als ich, sein Hund so groß wie meiner. Clyde hatte die gleiche Haltung wie Bonnie, genauso angespannt und doch beruhigend.
Als Diensthundeführer hatte man es nicht leicht, auch wenn viele das dachten. Es war nie leicht ein Tier in den Krieg zu schicken, wo es jederzeit sterben könnte. Doch genauso war es bei Menschen. Jeden Morgen beim Aufstehen, fragte ich mich, wieso es einen Krieg gab, den man genauso gut mit Worten austragen könnte. In meiner ganzen Zeit bei der Armee, hatte ich viele meiner Kameraden sterben sehen, viel zu viele.
„Es geht los.“ Alex´ Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Fast hatte ich in den Sinn und Zweck vergessen aus dem ich hier war. Doch dann fiel es mir wieder ein. Ein kleiner Junge war aus der Stadt gelaufen, mitten auf eine offene Fläche, die voller Sprengfallen sein könnte. Jetzt war es an uns und unseren Hunden, den einheimischen Jungen wieder sicher in die Stadt zu bringen.
Normalerweise wäre ich bei dem Gedanken daran in ein Mienenfeld zu laufen verrückt geworden, doch mit Alex und den Hunden an meiner Seite, umgab mich die Illusion von Sicherheit. Er sah mir tief in die Augen. Sein blauer Blick schien in meinen Kopf einzudringen und ein leises Lächeln huschte über sein Gesicht. Mir war klar, was jetzt kommen würde. Zu oft haben wir Seite an Seite solche Situationen gemeistert.
„Na komm, Clyde. Such´.“, befahl Alex und ließ mir keine Möglichkeit zum Rückzug mehr. Ein letztes Mal sah er mich an, dann zog Clyde ihn vorwärts.
„Los, Bonnie. Such´.“, sagte ich zu meinem Hund. Sofort war sie auf den Beinen und schnüffelte den Boden ab.
Langsam gingen wir auf das verängstigte Kind zu. Schritt für Schritt näherten wir uns. Plötzlich schlug Bonnie an. Ich schlich um die Stelle herum, die sie anzeigte. Ein kurzer Blick zu Alex zeigte mir, dass er schon weiter war als ich. Hinter mir erklangen die Rufe der Mutter des Jungen. Ich verstand nicht viel von dem, was sie sagte, da es nicht meine Sprache war, doch ich verstand genug um zu wissen, dass sie ihr Kind beruhigte. Sie versuchte es zumindest.
Alex hatte das Kind jetzt erreicht. Mit beruhigenden Worten redete er auf den Jungen ein. Mein Herz begann zu rasen. Jetzt war ich bei ihnen. Bonnie setzte sich neben Clyde und bewegten sich so wenig wie möglich, während sie auf neue Befehle warteten.
„Na komm, Kleiner. Ich bringe dich zu deiner Mutter zurück.“, sagte Alex auf Englisch und der Junge schien es zu verstehen. Mit dem ihm an der Hand wandte Alex sich zum Gehen. Clyde setzte sich in Bewegung, als Alex es ihm sagte und begann wieder den Boden abzusuchen.
Plötzlich ertönte ein lauter Knall. Reflexartig warf ich mich auf den Boden. „Runter.“, befahl ich Bonnie. Sie gehorchte aufs Wort und legte sich flach in den Wüstensand.
Jemand stöhnte und ich sah auf. Mein Herz setzte einige Schläge aus. Alex lag flach auf dem Boden. Sein Kampfanzug färbte sich im Bereich des Bauches tief rot. Clyde hockte neben ihm. Ein kurzer Blick auf den kleinen Jungen genügte, um zu wissen, dass er tot war. Die Kugel war ein glatter Durchschuss gewesen. Sie hatte Alex´ Körper durchdrungen und das Kind umgebracht. Ein sicherer Schuss direkt zwischen die Augen.
„Bleib“, sagte ich zu Bonnie und lief zu Alex.
Es war nicht schwer, die Rufe meiner Kameraden zu ignorieren. Sie riefen mir zu ich solle bleiben wo ich war, sie suchten nach dem Schützen und forderten einen Sanitäter an. Als ich meinen Mann erreicht hatte, dachte ich nicht weiter nach. Sofort presste ich die Hände auf die Wunde. Immer mehr Blut rann aus seinem Körper, durchweichte seine Jacke und verfärbte meine Haut.
Meine Augen brannten. Unter keinen Umständen wollte ich ihn hier verlieren. Niemals. Wir hatten noch so viel vor. Tränen rannen über meine Wange und fielen auf den Sterbenden vor mir. Er hustete. Langsam hob er die Hand und berührte mein tränennasses Gesicht, sein Augen glanzlos, sein Wille gebrochen.
„Pass gut auf Clyde auf, bis wir uns wiedersehen.“, hauchte er. Tränen verschleierten meinen Blick. Ich nickte nur. „Versprich´ es mir.“
„Ich verspreche es!“, schrie ich, seine Hand fiel in den Sand und ich legte weinend die Stirn auf seine Brust.
„Ich liebe…dich“, flüsterte er so leise, dass ich es kaum hören konnte. Unter meinem Gesicht spürte ich das letzte gequälte Einatmen meines Geliebten. Dann wich langsam alle Luft aus seiner Lunge. Er hatte seinen letzten Atemzug getan. Seine Seele war jetzt frei.
Clyde setzte ich dichter zu seinem Herren und hob den Kopf. Bonnie gesellte sich gegen meinen Befehl hin zu uns. Ich war froh, dass sie da war. Auch sie ließ sich neben den Toten nieder. Die beiden Hunde stießen ein wehklagendes Heulen aus. Jeder Laut ein Beweis der Trauer. Jeder Ton ein Beweis des Respekts. Jedes Wimmern ein Schrei nach Gerechtigkeit…
Natürlich wurde der Mörder nie gefasst. Seit dem Tod meines Geliebten, hatte ich mich zurückgezogen, weg von der Gesellschaft und noch weiter weg von der Armee. Selbst Bonnie und Clyde hatten seit diesem Tag keinen einzigen Ton von sich gegeben. In ihrem tiefen Schweigen steckte die Trauer von uns allen.
Der Priester sprach ein letztes Gebet das ich mit einem geflüsterten „Amen“ beendete. Die ganze Zeit, in der der Geistliche sprach, dachte ich an die Zeit zurück die ich mit Alex verbracht hatte. Meine Seele war voll von wunderschönen Erinnerungen an ihn.
Ein Soldat salutierte vor mir und reichte mir die Flagge, die den Sarg bedeckt hatte, der nun in die Erde gelassen wird. Bonnie und Clyde saßen neben mir, beobachteten das Geschehen mit Ehrfurcht. Die beiden schwarzen Hunde waren schon irgendwie anders als andere ihrer Art, aber das war etwas Nebensächliches, schließlich hatte ich beide genau desshalb liebgewonnen.
Die Soldaten rückten ab. Schweigend brachte ich die Beileidsbekundungen der Gäste hinter mich, nickte nur und presste die Lippen aufeinander um nicht zu weinen. Eine gefühlte Ewigkeit später, waren die Gäste gegangen und ich war mit den Hunden und meinem Mann allein.
Es war schwer zu akzeptieren, dass er einfach nicht mehr da war, dass das Leben weitergehen musste. Doch so war es. Wie konnte es auch anders sein? Niemand gab mir Zeit, niemand konnte sie mir schenken.
Ich zog vier Rosen aus meiner Tasche. Vier weiße Rosen, ganz ohne Dornen. Zwei weißen Rosen hielt ich Bonnie und Clyde hin. Jeder nahm eine vorsichtig ins Maul. Sie standen für die Treue der Tiere, für unsere schönen Erinnerungen und unsere Liebe gegenüber dem Toten. Eine andere, stand für den Verlust, die Trauer und den Schmerz, der niemals vergehen würde. Doch die letzte Rose war für das Blut, für jeden einzelnen Tropfen, der im Krieg geflossen war und noch folgen wird.
Ich meine Rose in das offene Grab fallen. Sachte landeten sie auf dem Holz. Bonnie und Clyde richteten sich gleichzeitig auf und ließen ihre Rosen in das Grab sinken. Ich ging auf die Knie und drückte meine treuen Gefährten an mich. Tränen nahmen mir die Sicht, rannen meine Wange hinab und benetzten meine Haut.
Die Tiere richteten sich auf und stimmten das gleiche wehklagende Heulen an, wie an dem Tag an dem sie ihren Herren verloren hatten.
Jeder Laut ein Beweis der Trauer. Jeder Ton für den Respekt. Jedes Wimmern ein Schrei nach Gerechtigkeit…
Viele Menschen verlieren in den Kriegen ihr Leben. Sie alle kämpfen für eine bessere Welt, doch wäre die Welt nicht besser dran ohne Waffen? Natürlich ist das Ansichtssache. Viele wollen einfach kämpfen, wollen sterben, für das, an das sie glauben. Aber warum? Selbstverständlich hat jeder seine eigene Vorstellung von Richtig und Falsch, doch der größte Fehler den wir machen können, ist es, einfach zuzusehen, dem Leid zu begegnen und nichts zu tun. Auch ich kämpfe, für das, was mir am Herzen liegt, doch ich weiß, wo meine Grenzen liegen, wie weit ich gehen darf, bevor Unschuldige zu Schaden kommen.
Unserer Uhr steht auf fünf Minuten vor zwölf. Sobald beide Zeiger sich bei Zwölf treffen und der letzte Schlag verklungen ist, haben wir eine Welt, die nicht uns gehört, zerstört.
Tag der Veröffentlichung: 17.09.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Ich frage mich oft, für wen ich meine Geschichten schreibe, da ich es meist tue um nicht vor lauter Gedanken über zu quillen.
Doch bei diesem Buch musste ich nicht lange nachdenken.
Ich widme dieses Buch denen, die im Krieg gefallen sind. Es ist für jene, die ihr Leben ließen, um andere zu beschützen.
Was würde die Welt ohne solche Leute tun?