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Ich bin wie ihr. Oder auch nicht.

 Im Prinzip bin ich wie ihr. Aber andererseits auch wieder nicht.  Denn ich bin eine Vampirin. Doch trotz all den Dingen, in denen wir uns unterscheiden, bin ich noch wie ihr.

Um euch einen bestimmten Teil meiner Geschichte erzählen zu können sollte ich vielleicht erklären, wie ich so wurde wie ich jetzt bin.

 

 

 

Kapitel 1

 Es war ein warmer Herbsttag. Die Sonne schien zwischen den Baumkronen hindurch und warf viele kleine Lichtpunkte auf den Weg vor uns. Ein leises Lüftchen, streifte durch die Blätter und wiegte die leise knarrenden Äste. Das leise Rauschen erinnerte mich an das Meer, wie die Wellen an den Strand schlagen und sich dann wieder zurückziehen um ihren Freunden Platz zu machen.

Schweigend gingen Jack und ich nebeneinander her. Wir waren Nachbarn und da unser Schulweg der gleiche war, schlenderten wir immer gemeinsam nach Hause. Unser Weg führte uns durch eine kleine Allee und einen Park. Wir kamen an einem Ententeich vorbei, wo uns jeden Tag die Enten mit fröhlichem Geschnatter begrüßten und verabschiedeten. Manchmal machten wir aber auch eine kleine Rast an diesem Teich und gaben den Enten unser Pausenbrot.

Ein Blatt segelte herab und legte sich auf Jacks Kopf. Er blieb stehen und schielte nach oben. Ich lachte und nahm das Blatt von seinen wilden, dunkel braunen Haaren herunter.

„Du hast da was!“, lachte ich und hielt es ihm vor die Nase.

„Gib mal.“, forderte er kichernd.

„Hohl´s dir doch!“, rief ich und rannte ein Stückchen.

„Hey, komm zurück! Na warte!“ Er rannte hinter mir her während ich mit dem Blatt wedelte.

Ein plötzlicher Hustenanfall ließ mich stehen bleiben und mich auf meinen Knie abstützen, während ich eine Hand vor den Mund hielt. Jack holte mich ein und klopfte mir auf den Rücken. „Alles okay?“, fragte er. Seine Stimme klang besorgt und schien aus weiter Ferne zu kommen.

 Ich blinzelte heftig um die vielen bunten Punkte vor meinen Augen zu verscheuchen und plötzlich war alles wieder normal.

„Ja, geht schon.“, antwortete ich und sah zu ihm auf. Seine besorgten Augen musterten mich intensiv und mir wurde unbehaglich zu mute. „Hey, sieh mich nicht so an.“

„Was ist los Rosy? Du bist den ganzen Tag schon so still.“

„Mir geht’s gut.“, versicherte ich ihm. „Ich hab nur nicht so gut geschlafen.“ Ein neuer Hustenanfall schüttelte mich und beendete meine Erklärung.

„Das sieht mir aber nicht nur nach Schlafmangel aus.“, stellte fest. Vielleicht hatte er Recht. Kopfschmerzen bahnten sich an und begannen in meinen Schläfen zu pulsieren. Ich rieb mir die Stirn und spürte kleine Schweißtropfen darauf herunter gleiten.

„Wir sollten dich schnell zu einem Arzt bringen.“, meinet Jack.

Ich hatte das Gefühl in einem Karussell zu sitzen, denn auf einmal begann der Boden sich zu drehen. Innerlich schrie ich die Erde an, stehen zu bleiben, doch es half nichts. Immer schneller kreiselte die Landschaft um mich herum und verschwamm zu einem Mischmasch auf grün und braun.  Ich taumelte zu Seite und spürte wie ich gegen einen Baum stolperte. Seine Rinde lag hart und unregelmäßig an meinem Rücken.

„Rosy! Hey, Rosy!“ Ich erkannte die Stimme. Sie kam von weit her, klang wie ein Traum. Jack packte mich an den Schultern und schüttelte mich sanft. „Rosy! Hallo?“ Diese Stimme war so vertraut, doch die Dunkelheit schien ebenso verlockend zu sein. Sie hätte mich eingeschlossen in ihre freundlichen Arme und hätte mich wohl behütet empfangen. Doch die Stimme war mir wichtiger. Sie war eine Art Anker, an den ich mich klammerte. Ich riss die Augen auf.

Ich saß am Fuße einer großen Eiche. Jack hielt mich im Arm und drückte mich an sich, als wollte er mich beschützen und nie wieder loslassen. „Alles okay?“, flüsterte er.

„Ja.“, gab ich zurück, doch der durchdringende Schmerz in meinem Kopf sagte etwas anderes.

Ich zuckte zusammen, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Jemand hatte uns beobachtet. Als ich jedoch hinsah war die seltsame Gestalt verschwunden. „Du hast das auch gesehen, oder?“, fragte Jack plötzlich.

„Ja.“, antwortete ich.

Ich spürte wie Jack sich anspannte. Wir fuhren zusammen, als neben uns ein Ast brach. Langsam drehte ich den Kopf. Angst stieg in mir auf. Doch auch die Sicherheit, dass Jack mich beschützen würde.

Blaue Augen strahlten mich an. Diese Augen, die Erinnerungen an einen Sommersturm in mir weckten, gehörten einer jungen, unglaublich schönen Frau. Sie trug einen langen, weißen Mantel mit weiten Ärmel und unter der weiten Kapuze lugten rot braune Haare hervor. Ihre roten wohlgeformten Lippen, verzogen sich zu einem unbeschreiblich schönen Lächeln. Eine saphirblaue Mondsichel zierte ihre Stirn, die sich in Form von Stürmen um ihr Gesicht ausbreitete. Ihre Kutte flatterte in dem Wind der plötzlich durch die Bäume fegte.

Doch das ohrenbetäubende Rauschen der Blätter, konnte nicht die klare Stimme der Vampirin übertönen. Sie hob ihren Arm und zeigte mit dem Finger auf mich. „Rosaly Simson! Du wurdest von der Nacht erwählt. Dein Tod wird deine Geburt sein. Die Nacht ruft dich. Höre und gehorche ihrer lieblichen Stimme. Dein Schicksal erwartet dich im House of Night.“

Meine Stirn explodiert vor Schmerz. Ich keuchte auf, doch der Ton blieb mir in der Kehle stecken. Jack rief mir etwas zu, doch ich hörte es kaum. Ich sah ihn an, sah wie seine Lippen sich bewegten, doch ich nahm es nicht wahr. An den Rändern meines Blickfeldes wurde es schwarz und ich spürte wie die Dunkelheit mich endlich in die Arme nahm. Sie empfing mich mit ihrer kühlen, ruhigen Art und hüllte mich in einen Mantel aus Geborgenheit und Schutz.

Kapitel 2

 Seufzend schlug ich die Augen auf. Samstag. Eigentlich sollte man meinen, dass es ein Tag zu ausschlafen war, doch in letzter Zeit viel es mir schwer lange zu schlafen. Immer wieder träumte ich von dem Tag meiner Zeichnung und von Jack. Jeden Tag vermisste ich ihn aufs Neue. Ich hätte gerne gewusst, was es damals zu mir gesagt hatte, kurz bevor ich zusammen brach. Vielleicht hatte er meinen Namen gerufen, oder mir gesagt, dass alles gut werden würde. Doch ich würde es wohl nie erfahren.

Als ich halb verschlafen an die Decke sah, musste ich an die Jahreszeiten denken. An den Frühling, mit all seinen bunten Blumen und den leuchtenden Farben. Der Sommer mit der warmen Sonne die einem ins Gesicht schien. Der Herbst mit den bunten Blättern, dem Regen und den Gewittern. Und schließlich an den Winter. Das viele Weiß, das alles einhüllt, das Eis, das alles überzieht und glitzern lässt und die vielen kleinen Eiskristalle die langsam zu Erde sinken.

Vor kurzem hatte ich im Radio gehört, dass es schneien sollte. Ich dachte nicht lange darüber nach, sondern fasste direkt den Entschluss aufs Dach des House of Night zu gehen und den Schneeflocken beim Fallen zuzusehen. Dieser Gedanke gab mir Kraft. Ich stand auf und schaltete meine Stereoanlage ein. Ich drückte auf „Play“ und schon ertönte „Dear Mr. President“ von Pink von meiner selbst zusammengestellten CD. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es fast sechs Uhr abends war. Kaum ein Jungvampir würde an einem Samstag so früh wach sein. Ich warf noch einen Blick auf das leere Bett gegenüber meinem. Susan fehlte mir. Vor ihrer Wandlung zu vollständigen Vampir, war sie die Einzige mit der ich, seit meiner Zeichnung vor drei Monaten, über alles reden konnte. Doch vor wenigen Wochen hatte sie sich gewandelt und ist nach England gezogen um dort neu anzufangen. Ich nahm es ihr nicht übel, dass sie fort war. Vermutlich hätte ich es nicht anders gemacht, doch sie war die Einzige, die mich kannte so wie ich war.
Seit dem, war ich allein.

Schweren Herzens schlurfte ich ins Bad und stieg unter die Dusche. Ich drehte den Wasserhahn voll auf und genoss die Kälte, die auf mich nieder prasselte wie ein kalter Winterregen. Nachdem ich eine Weile einfach nur da gestanden hatte, nahm ich mein Shampoo und massierte eine kräftige Menge davon in mein schulterlanges, schwarzes Haar ein.
Die CD wechselte zu „Angel of Darkness“.
Schnell schäumte ich noch meinen restlichen Körper ein und ließ das kalte Wasser das Duschgel abwaschen. Dann drehte ich das Wasser ab und wickelte mich in ein großes Frotteehandtuch. Ich wrang meine Haare aus und rubbelte sie ein bisschen mit einem anderen Handtuch trocken um sie gleich darauf zu föhnen. Obwohl ich den Föhn auf die kälteste Stufe gestellt hatte, wurde mein Haar im Nu trocken und ich konnte mir aus meinem Zimmer meine Kleidung holen.
Als ich mich anzog, begann „This is Halloween“ von Marilyn Manson. Ich streifte mir meine Lieblingsjeans und meinen Lieblingspulli über und betrachtete mich im Badezimmerspiegel.

Obwohl ich schon eine ganze Weile kein Mensch mehr war, hatte ich mich immer noch nicht an die blaue Mondsichel auf meiner Stirn gewöhnt. Immer wenn ich in den Spiegel sah, hatte ich das Gefühl, ich würde einer Fremden gegenüber stehen. Ihre großen smaragdgrünen Augen, ihre blasse, perfekte Haut, ihre weichen, glänzenden Haare… Das war einfach nicht ich. Doch ich wusste, dass ich es war, die in den Spiegel sah.

Bevor ich noch weiter Trübsal blasen konnte, schminkte ich mich mit Eyeliner, Wimperntusche und schwarzem Liedschatten und machte damit mein, schwarzes Outfit komplett. Ja, ihr habt richtig gelesen. Schwarz. Es ist nun mal meine Lieblingsfarbe und ich trage sie jeden Tag. Und ich bin stolz drauf. Oft wurde ich als Goth bezeichnet, nur weil ich meine Lieblingsfarbe trug, doch mittlerweile war mir selbst das egal.

Ich verließ das Bad und schnappte mir meine Schuhe, die ich am Vortag einfach so vor meinem Bett hingeworfen hatte. Nachdem ich sie fest zugeschnürt hatte, nahm ich meine Tasche und verließ mein Zimmer.

Mein Magen knurrte und ich machte noch kurz einen Zwischenstopp in der Gemeinschaftsküchen des Mädchentraktes. Drei Mädchen standen in der Küche. Sie waren träge und verschlafen und trugen alle noch ihre Schlafanzüge. Als ich in die Kühlschränke sah und nach etwas vernünftigem zu essen suchte, fiel mir auf, dass ich keinen Appetit hatte. Ich gab die Suche auf und ging den Weg der zum Dach führte.

Ich bog einmal links ab, ging eine Treppe hoch, bog wieder links ab und… rannte voll in jemanden hinein. „Entschuldigung.“, flüsterte ich hastig und wollte weiter gehen, doch eine starke Hand packte mich am Handgelenk. Ich hob den Kopf und meine Augen weiteten sich.
„Jack“, hauchte ich und konnte meinen Augen nicht trauen. Blaue Augen sahen in meine und ein Bad-Boy-Lächeln umspielte seinen Mund.

„Hallo Rosy.“, sagte er und spürte wie mir Tränen in die Augen stiegen. Er war es tatsächlich. Er war der Einzige der mich so nannte. Ich blinzelte die Tränen weg die mir in den Augen brannten, doch den Blick konnte ich nicht abwenden. Er fiel nur auf die rote Mondsichel, die Jack auf der Stirn trug.
Ich wurde zurück gerissen und gegen die kalte Steinmauer gedrückt. Sein Griff verstärkte sich und in meinem Handgelenk zuckten die Schmerzen wie Blitze.

„Hab ich dich endlich gefunden.“, flüsterte Jack ganz dich vor meinem Gesicht. Wieder sah ich ihm in die Augen. Doch ich konnte nichts Blaues mehr erkennen. Nichts davon war noch da. Stattdessen leuchteten sie blutrot.

„Ich habe dich so vermisst, Rosy.“ Seine Stimme war rauer, animalischer geworden, fast wie das Knurren eines wilden Tieres.

„Jack, was ist los mit dir?“, wollte ich wissen.

„Es ist viel passiert seit du weg warst.“, knurrte er.

Ich versuchte mich zu befreien, doch sein Griff wurde nur umso fester.

„Jack, du tust mir weh! Hör au…“, brachte ich hervor doch ein unheilvolles Knacken und grässliche Schmerzen ließen meine Stimme versagen. Endlich ließ er mich los und ich sank auf die Knie. Die Schmerzen waren unerträglich und ich keuchte.

„Rosy, es tut mir…“, begann er doch ich schnitt ihm das Wort ab.

„Nenn mich nicht Rosy. Ich heiße jetzt Cat.“

Besorgnis und Entschuldigung standen in seinen wieder blauen Augen. Jack wollte mir helfen, doch ich wich zurück. Er zog die Hand, die er mir hingehalten hatte wieder weg und wich selbst zurück. Ich sprang auf und stürmte an ihm vorbei die Treppe hinauf und durch die Tür zum Dach. Hinter mir schlug ich die Tür zu und ließ mich dran herunter rutschen.

Der Schmerz brannte noch immer in meinem Handgelenk doch für einen perfekten Moment wich er in den Hintergrund. Ich sah mich auf dem Dach um. Es hatte schon geschneit, doch noch immer rieselten kleine weiße Flocken vom Himmel. Eine weiße Decke deckte das Dach freundlich zu und erst jetzt fiel mir auf das ich im Schnee saß. Viele winzige Eiskristalle fielen hinab und legten ich auf meinen Körper. Vor meinem Mund sah ich meinen schnellen Atem. Und Plötzlich war der perfekte Moment vorbei und ich keuchte, als ich mir erneut meiner Schmerzen bewusst wurde.

Ich eilte zum Rand des Daches und setzte mich an die Kante. Aus meiner Tasche kramte ich mit einer Hand eine weiße Kerze und stellte sie an den Abgrund. Mit zitternden Händen entzündete ich ein langes Streichholz und hielt es an den Docht. In diesem Augenblick hüllte mich eine erfrischende Kälte ein und ich seufzte erleichtert, als mein Element mich umfing.

„Eis, höre meinen Ruf. Ich bitte dich an meine Seite. Komm zu mir in dieser kalten Nacht. Lindere meine Schmerzen und kühle mein Gemüht.“, flüsterte ich und genoss den kalten Wind, der mir die Gegenwart meines Elements bestätigte. Die kühle Brise zog sich zusammen und legte sich um mein Handgelenk. Die Schwellung ging ein bisschen zurück.

Ich sandte noch ein Gebet an meine Göttin: „ Ich danke dir Nyx, für diese Gabe. Bitte lass mich die Wandlung überstehen, damit ich denen helfen kann, die meine Hilfe brauchen. Lass all das bitte nicht um sonst gewesen sein.“

Eine ganze Weile saß ich am Abgrund, die Kerze neben mir, und dachte nach. Zum Teil waren es unwichtige Sachen, wie zum Beispiel meine Hausaufgaben, die ich noch machen musste, oder dass ich am Verhungern war, weil mein Frühstück ja flachgefallen war.
Aber es gab auch wichtige Sachen. Ich dachte an meine Zukunft, ob ich die Wandlung schaffen würde und ich dachte an Jack…
Diese roten Augen, die so voller Gier waren. Sein Verhalten, das vor Brutalität nur so troff. Das war alles nicht mehr er. Er war doch immer so lieb und nett und hilfsbereit. Damals, bevor ich gezeichnet wurde, habe ich ihn geliebt. Ich konnte ihn all die Monate nicht vergessen. Bis heute. Wieso war er überhaupt hier?

Ich seufzte. Es gab so viel zu wenig Antworten für die vielen Fragen. Vielleicht sollte ich mich einfach von diesem verdammten Dach stürzen, dann wären all meine Probleme geklärt. Ich hätte keine Sorgen mehr und könnte einfach in Nyx Hain meinen Frieden finden. Aber wollte ich das überhaupt?
Ich straffte die Schultern. Nein. Nein, das wollte ich nicht. Irgendwie würde ich das schon selbst in den Griff bekommen.

Meine Schmerzen waren vorüber und ich entließ mein Element. „Ich danke dir, Eis, dass du mir geholfen hast und ich mich immer auf dich verlassen kann. Du darfst gehen.“ Und mit diesen Worten löschte ich die Flamme meiner Kerze. Ein Teil der Kälte, die sich wie ein lebendiges Tier um mein Handgelenk wandt, war verschwunden. Doch ein kleiner Teil blieb.

Ich wartete noch, bis das heiße Wachs sich abgekühlt hatte um sie dann einzupacken, doch plötzlich schüttelte mich ein Hustenanfall. Naja so schlimm konnte ein bisschen Husten ja nicht sein, doch auf einmal wurde mir seltsam warm. Schnell packte ich die Kerze in meine Tasche und stand auf. Ich betrachtete noch kurz das Schulgelände. Von hier oben konnte man die Mauer sehen die es umgaben. Alles war von einer weißen Decke freundlich zugedeckt worden und kein Vampir oder Jungvampir stapfte durch das unberührte Weiß. Wieder musste ich husten.  Ich zögerte. Ich hätte mich noch um endscheiden können. Noch hatte ich die Möglichkeit, allen meinen Problemen zu entfliehen.

„Nein. Ich werde das auch irgendwie selbst hinbekommen. Ich muss mich jetzt nicht vom Dach stürzen um meinen Problemen aus dem Weg zu gehen.“, redete ich mir ein.

„Eine sehr weise Endscheidung.“, sagte eine tiefe ruhige Stimme hinter mir.

Ruckartig drehte ich mich um. Ich spürte die Glätte unter meinen Füßen und wie ich den Halt darauf verlor. Nichts war in der Nähe an dem ich mich hätte festhalten können. Also fiel ich.

Es schien alles in Zeitlupe abzulaufen und doch ging es viel zu schnell. Ich verlor gänzlich den Halt und entfernte mich vom Rand des Daches. Der Boden kam immer näher und innerhalb von Sekundenbruchteilen hatte ich meinen Tod akzeptiert. Ich hatte keine Angst. Ich schrie nicht. Ich schloss einfach nur die Augen und hörte den ruhigen Rhythmus meines eigenen Herzen.

Urplötzlich wurde ich wieder in die Höhe gerissen. Starke Arme umfingen mich und drückten mich an einen muskulösen Körper. Über den pfeifenden Wind hinweg, hörte ich das leise Rascheln von Federn. Ich blinzelte als ich wieder auf den Boden gestellt wurde. Als ich mich jedoch umsah, merkte ich, dass ich wieder auf diesem verdammten Dach stand. Doch mein Blick wurde von dem geflügelten Unsterblichen angezogen, der mich weiter mit einem Arm festhielt. Ich glaube hätte er mich in diesem Moment losgelassen, wäre ich gnadenlos umgekippt.

Seine bernsteinfarbenen Augen musterten mich und ich spürte die Kälte seiner Haut. Es war nicht unangenehm. Ganz im Gegenteil. Es war eine wunderbare Kälte, die mir einen Schauer über den Rücken jagte.

„Kalona“, sagte ich, dankbar dafür, dass meine Stimme nicht zitterte. „Es freut mich Euch einmal persönlich gegenüberstehen zu dürfen.“

Ich trat einen Schritt zurück und somit aus seinen Armen. Mit der Rechten Faust über dem Herzen verbeugte ich mich vor unserem Schwertmeister. Innerlich verfluchte ich meinen Puddingbeine, weil sie mich nicht mehr tragen wollten. Bevor ich also umkippen konnte, setzte ich mich in den Schnee und beobachtete Kalona, wie auch er sich setzte und seine Onyx schwarzen Flügel auf dem Rücken faltete.

„Es freut mich deine Bekanntschaft zu machen, obwohl die Umstände nicht angemessener Natur sind.“, gab er zurück und verbarg den Anflug eines Lächelns hinter einer unergründlichen Maske.

„Ich danke Euch für meine Rettung, Schwertmeister.“, sagte ich so höflich ich konnte.

„Aber nicht doch. Es war doch mein ungewollter Verdienst, dass du gefallen bist. Ich entschuldige mich dafür. Doch möchte ich dir eine Frage stellen: Was treibt dich hier her?“

„Ist das denn so wichtig für Euch?“, fragte ich stattdessen, da ich ihm eigentlich keine Antwort darauf geben wollte.

„Ja. Doch sag: kann ich dir auf irgendeine Weise behilflich sein?“

Seine Frage verwirrte mich, da ich keine Ahnung hatte was er meinte. Ich blinzelte und überlegte ganz kurz.

„Ja, Ihr könnt mir helfen.“ Schnell redete ich weiter, weil ich noch nicht so ganz wusste was ich sagen sollte. Dann fiel es mir ein.

 „Sagt mir, wie lange Ihr schon da standet.“

Unter seinem herzhaften Lachen erbebte seine unbedeckte Brust.

„Wenn es dein Wunsch ist kannst du mich mit "Du" ansprechen. Aber ich war lange genug hier um den Ruf an dein Element zu hören. Auch deine Bitte an Nyx habe ich vernommen. Doch warum warst du hier?“

Ich seufzte und versuchte aufzustehen. Ein Hustenanfall ließ mich zurück sinken. Kalona sah mir tief in die Augen. Auf einmal sah ich den Tag meiner Zeichnung vor mir. Jack der mich so besorgt gemustert hatte und ich, wie ich hustend vor ihm stand.

„Ich wollte nachdenken.“, gab ich schließlich zu, nachdem der Husten aufgehört hatte.

„Du bist verletzt.“ Es war eine Feststellung und ich sah in seinen Augen, wie sicher er sich dabei war.

„Nein. Mir geht´s gut.“, meinte ich. Inzwischen hatte ich das gebrochene Handgelenk schon wieder vergessen.

Plötzlich schnellte Kalonas Hand nach vorn und packte mich am Handgelenk. Ich sog scharf die Luft ein und unterdrückte einen Schrei während ich die Zähne zusammen biss. Der Geflügelte Unsterbliche schob den Ärmel meines Pullovers zurück. Zum Vorschein kam ein Gelenk, das sich blau, grün und lila gefärbt hatte.

„Ich kann dir versichern, dass das nicht von deinem Sturz kam. Wer also war das?“, seine ernste Stimme machte mir ein bisschen Angst und mein Herzschlag beschleunigte sich etwas. Ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass Kalona das spürte, schließlich hielt er ja mein Handgelenk fest.

„Das… Das ist nicht schlimm.“, wiedersprach ich zitternd.

„Das Eis kann deine Schmerzen nur lindern. Deine Knochen müssen von selbst heilen.“

Er ließ mich los und stand, elegant wie es nur ein Unsterblicher kann, auf. Bei jeder Bewegung raschelten seine wunderschönen Flügel.

„Komm, ich helfe dir.“, bot er an und reichte mir die Hand.

Ich ergriff sie mit der Linken und er zog mich schwungvoll auf die Füße. Ich musste wieder husten und machte einen weiteren Schritt nach vorn. Unsere Körper waren jetzt nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Wieder schüttelte mich ein Hustenanfall. Kalona packte mich bei den Schultern.

„Wie lange musst du schon husten?“

Er klang aufgeregt und ein bisschen nervös, was bei einem Unsterblichen ziemlich seltsam ist. Er legte eine Hand an meine Stirn und ließ sie gleich wieder sinken.

„Wie lange musst du schon husten?“ Diesmal klang die Frage weit aus energischer.

Ich überlegte, doch plötzlich fiel es mir irre schwer zu denken.

„Etwa seit ich hier oben bin glaube ich.“, antwortete ich.

Auf einmal fühlte ich mich unglaublich schwach und müde. Mein Atem beschleunigte sich und Schweiß rann über mein Gesicht. Ich sank auf die Knie und krümmte mich vor plötzlichen Schmerzen. Wieder begann ich zu husten und spürte wie etwas aus meinem Mund lief. Ich sah auf meine Hand die ich mir vor den Mund gehalten hatte und brauchte einen Augenblick, bis ich realisiert hatte, was das für eine rote Flüssigkeit war. Kalona kniete sich mir gegenüber und legte mir eine Hand auf den Rücken, während immer mehr Blut aus meinem Mund lief und ich immer wieder von neuem hustete. Mit der einen Hand stützte ich mich in den Schnee und beobachtete wie er sich rot färbte.

Was dann geschah kann ich mir bis heute nicht erklären.

Kalona zog mich in seine Arme, beugte sich vor und streifte mit seiner Lippe meinen Eckzahn. Sofort rann aus dem frischen Schnitt sein unsterbliches Blut. Dann presste er die Lippen auf meine. Es war ein atemberaubender Kuss. Kein normaler Mensch und kein gewöhnlicher Vampir wären auch nur ansatzweise so gut gewesen, obwohl es nur ein fragender Kuss war. Dazu kam noch das Aroma seines Blutes. Es schmeckte einfach unvergleichlich. Nichts schmeckte auch nur im Geringsten so gut wie das. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich dem nicht widerstehen konnte. Ein Rauschen ertönte und ich wusste, auch ohne hinzusehen, dass wir von seinen Onyx Flügeln eingeschlossen waren, denn auch sie gaben diese wunderbare Kälte ab. Ich erwiderte den Kuss und fuhr mit der Zunge über die kleine Wunde. Diese schloss sich sofort. Mein Herz schlug Purzelbäume, doch viel zu schnell musste ich den Kuss unterbrechen. Wieder kündigte sich ein Hustenanfall an.

Kalona schien das witzig zu finden, denn er fing an in sich hinein zu lachen: „Schön, stark und mächtig. Eine Interessante Mischung.“

Plötzlich roch die kalte Winterluft nach einer ganzen Menge seines herrlichen Blutes. Ich öffnete die bleischweren Lieder ohne mich dran zu erinnern, sie geschlossen zu haben. Ich sah, wie frisches Blut aus seinem Unterarm quoll und in den schon roten Schnee tropfte.

„Trink das, dann wird es dir besser gehen.“, sagte er.

Ich schüttelte den Kopf, konnte aber nicht aufhören auf das viele Blut zu starren. Ohne meinen Widerstand zu beachten, drückte er die Wunde auf meinen Mund. Jetzt konnte ich mich nicht dagegen wehren. Es schmeckte einfach zu gut um auf zu hören. Doch auch der gefallene Engel konnte nicht verhindern, dass ich die Augen schloss und in die angenehme Frische des Schnees fiel. Ich spürte noch, wie er mich hochhob und davonging.

Kapitel 3

 Ich erwachte wegen eines Gefühls. Es war eindeutig nicht mein Eigenes, denn ich hatte keinen Grund besorgt zu sein. Stöhnend rieb ich mir die Augen, die ich dann langsam öffnete. Aus Gewohnheit sah ich zu Susanns Bett rüber und war nicht überrascht Kalona dort zu sehen. Er saß da, stützte die Ellenbogen auf die Knie, hatte die Hände gefaltet, wie zum Gebet und musterte mich. Ich spürte wie sich ein Teil seiner Besorgnis löste und in einen kleinen Funken der Hoffnung verwandelte. Prägung, dachte ich uns seufzte.

„Verzweiflung bringt dich nicht weiter. Wie geht es dir?“

Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu und hoffte, dass ich dadurch seine Gefühle nicht mehr spüren konnte. Natürlich war das nicht der Fall.

„Ganz gut denke ich. Wie lange habe ich geschlafen?“ Ich konnte mir diese Frage einfach nicht verkneifen. Ich musste einfach wissen wie lange ich weggetreten war.

„Zwei Tage.“, kam Kalonas schlichte Antwort.

„Zwei Tage?“, hakte ich entsetzt nach.

Jetzt war ich hell wach. Sofort setzte ich mich auf… und bereute es. Ich hatte das Gefühl ich wäre mit dem Kopf voran durch eine Wand geflogen.

„Dein Körper hat mein Blut ziemlich schnell verarbeitet, wenn man die Menge bedenkt, war das eine erstaunliche Leistung.“

Irgendwie war ich davon überzeugt, dass er eher mit sich selbst, als mit mir sprach. Ich schwang die Beine über die Bettkannte und saß ihm genau gegenüber.

„Ich danke dir, dass du mir geholfen hast, aber was, in der Göttin Namen, tust du hier!?“

Vielleicht klang ich frustriert oder genervt, doch der gefallene Krieger lachte leise.

„Ich habe auf dich aufgepasst. Wenigstens so lange bist es dir besser geht. Ich wollte einfach verhindern, dass dir der Jungvampir zu nahe kommt und dich wieder verletzt.“, antwortete er dann und sah mir direkt in die Augen.

„Okay. Wenn du meinst. Aber mir geht es wieder gut. Wenn´s dir nichts ausmacht, würde ich dich jetzt bitten zu gehen.“, sagte ich und wies auf die Tür.

„Es würde mir sehr wohl etwas ausmachen jetzt zu gehen, aber ich lasse dir deine Privatsphäre.“

„Wie nett von dir.“, sagte ich sarkastisch.

„Bis zum Nächsten Mal, Cat.“, verabschiedete er sich und war dann verschwunden.

Er verließ mein Zimmer, doch schon als er die Tür hinter sich zu gezogen hatte, bereute ich es. Schließlich musste er unweigerlich durch das Gemeinschaftszimmer und da würden um diese Uhrzeit einige Schülerinnen sitzen. Aber jetzt war es eh zu spät. Ich würde mich dem was sie zu sagen hätten einfach stellen. Wie schlimm könnte es schon werden?

Seufzend stand ich auf und ging zum Kleiderschrank. Ich trug immer noch die gleichen Sachen wie vor zwei Tagen und das war nicht sehr angenehm. Aus den Tiefen des Schranks kramte ich Unterwäsche, eine dunkle Jeans und ein schwarzes Top hervor. Mit den ganzen Sachen ging ich ins Bad. Ich entledigte mich der dreckigen Sachen und stieg unter die Dusche.

Das kalte Wasser schien fast all meine Sorgen einfach weg zu waschen. Ich fühlte mich plötzlich frei und überlegte, ob Kalona meine Freiheit gerade spüren konnte. Und schon wanderten meine Gedanken wieder zu dem unsterblichen Krieger. Ich dachte an seine herrliche Kälte, die wunderschönen Flügel, seinen muskulösen Körper und seine bodenlosen Bernsteinaugen. Ein Schauer durchfuhr mich und ich schüttelte den Kopf um diese absurden Gedanken loszuwerden.

Plötzlich war mir die Lust nach kaltem Wasser vergangen. Schnell schäumte ich mich ein, wusch meine Haare und ließ alles vom Wasser wegspülen. Dann drehte ich das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Nachdem ich mich abgetrocknet, angezogen und geschminkt hatte, föhnte ich mir die Haare und verließ das Bad. Ratlos setzte ich mich aufs Bett und überlegte, was ich als nächstes tun sollte.

„Vielleicht sollte ich zu Thanatos gehen und mich für mein Fehlen entschuldigen.“, sagte ich laut und entschied, dass das eine gute Idee war. Vorher allerdings, machte ich wieder einen Abstecher in die Küche. Es war Dienstag, das hieß, die meisten würden hier rum sitzen, lernen, oder Hausaufgaben machen. Ich schnappte mir aus einem Kühlschrank eine Dose Cola und war verwundert, als mir auffiel, dass ich immer noch keinen Hunger hatte, obwohl ich seit etwa drei Tagen nichts zu essen hatte. Seufzend knallte ich die Kühlschranktür zu und verließ den Mädchentrakt. Niemand fragte mich nach dem geflügelten Unsterblichen, der geradewegs aus meinem Zimmer spaziert war.

 

Ich ging die vielen Gänge entlang zu Thanatos ´Büro, in der Hoffnung, dass sie jetzt in keiner Besprechung war. Schließlich erreichet ich die Tür zu ihrem Büro und atmete tief durch. Ohne groß über irgendetwas nach zu denken, was mir vermutlich nur Angst gemacht hätte, klopfte ich.

„Herein.“, erklang die machtvolle Stimme der Hohepriesterin von der anderen Seite der Tür.

Ich öffnete die Tür und trat ein. Mit der Faust über dem Herzen verbeugte ich mich vor ihr.

„Frohes Treffen, Cat.“, sagte sie „schließ bitte die Tür.“
Ich tat wie mir geheißen, zog dir Tür hinter mir zu und trat näher.  

„Frohes Treffen Thanatos.“, gab ich so höflich ich konnte zurück.

„Was führt dich zu mir, Cat?“, fragte sie und sah mir tief in die Augen.

„Ich möchte mich für mein Fehlen am heutigen Unterricht entschuldigen.“

Plötzlich öffnete sich die Tür und Kalona trat ein. Wie immer war sein Oberkörper unbedeckt und er hatte seine Flügel auf dem Rücken gefaltet. Bei jeder Bewegung spielten die Muskeln unter seiner gebräunten Haut.

„Ihr habt gerufen?“, fragte er schloss die Tür hinter sich.

„Das habe ich. Ich möchte, dass du mir das Fehlen dieser Schülerin vom heutigen Unterricht erklärst.“, sagte sie mit fester Stimme.

Kalona sah mich an. „Ich traf Cat am Samstag auf dem Dach dieses Gebäudes. Im Laufe der Zeit, die wir dort waren, sträubte sich ihr Körper gegen die Wandlung.“ Er machte eine kurze Pause und sah zu Thanatos, die ruhig an ihrem Schreibtisch saß.

Sie nutzte die Pause und fragte: „Und wie kommt es dann, dass ich diese Schülerin, jetzt in diesem Moment vor mir sehe?“

„Ich gab ihr mein Blut.“, antwortete Kalona ohne zu zögern und Thanatos Augenbrauen hoben sich.

„Dieses Mädchen hat wirklich überragende Fähigkeiten. Neben ihrer ausgeprägten Affinität zum Eis, ist sie eine starke Persönlichkeit. Ich habe ihr Leben gerettet und bereue es keinen Augenblick.“, sagte er, warf mir wieder einen kurzen Blick zu und sah dann wieder zu Thanatos.

„Das war unverantwortlich von dir Krieger. Nicht nur, dass du ihr Blut zu trinken gegeben hast, obwohl sie keinerlei Erfahrung damit hat, du hast die Entscheidung unserer Göttin missachtet. Wenn Nyx dieses Mädchen zu sich holen wollte, war es nicht dein Recht, diese Entscheidung in Frage zu stellen.“ Sie hatte nicht die Stimme erhoben doch in ihr schwang so viel Macht mit, dass der ganze Raum davon erfüllt war. Plötzlich fühlte ich mich völlig fehl am Platz.

„Nyx hätte ihr nicht die Gabe des Eises verliehen, wenn sie nicht einmal die Wandlung überstehen sollte.“, gab Kalona so gelassen zurück, dass ich mich fragte, ob er jemals anders sein könnte.

Thanatos wirkte nachdenklich. „Also schön. Jetzt kann man ohnehin nichts mehr rückgängig machen. Cat, du bist diese Woche vom Unterricht befreit. Ruh dich aus. Kalona, bleib in ihrer Nähe und gib auf sie acht. Frohes Treffen, frohes Scheiden, frohes Widersehen, Cat.“ Und damit war die Audienz bei der Königin unserer Schule beendet.

Ich verneigte mich und verließ das Büro, dicht gefolgt von Kalona. Der gefallene Krieger schloss zu mir auf und eine Weile gingen wir schweigend nebeneinander her.

„Danke“, sagte ich irgendwann. „Ich schulde dir etwas.“

„Nein. Du schuldest mir nichts.“, gab er zurück.

„Doch klar. Du hast mir das Leben gerettet. Zwei mal. Irgendwie muss ich das doch wieder gut machen können. Sag mir wie.“, forderte ich.

„Du bist mir nichts schuldig. Es ist meine Aufgabe dir zu helfen.“, beharrte er.

„Aber beim zweiten Mal hattest du kein Recht dazu. Warum hast du es trotzdem gemacht?“ Ich wollte nicht nachgeben.

„Hast du eben nicht zu gehört? Es wäre einfach falsch gewesen dich, die du so außergewöhnliche Fähigkeiten hast, einfach sterben zu lassen. Verstehst du?“

„Ja ich weiß was du meinst.“, flüsterte ich. Tut mir Leid. Ich muss ein bisschen allein sein.“

Kalona hatte schon den Mund aufgemacht und wollte etwas sagen, doch ich stürmte einfach weiter in Richtung Ausgang. Ich lief durch den Schnee, auf dem Weg zu der großen, zerstörten Eiche an der östlichen Mauer. Dort angekommen fiel ich auf die Knie und legte die rechte Hand auf das dunkle Holz des alten Baumes. Ich legte die Stirn dagegen und begann zu weinen.

Kapitel 4

 Tränen rannen über meine Wange, doch bevor sie in den Schnee fielen, wurden sie zu kleinen Eiskristallen, um dann als normale Tränen auf der weißen Decke aufzukommen. Nach und nach wurden es immer mehr Tränen. Seit Monaten konnte ich nicht mehr weinen, doch an dem Tag war es einfach zu viel gewesen. Alle Trauer der letzten Monate regnete plötzlich auf mich ein.

Ich weinte weil ich meinen besten Freund verloren hatte.
Ich weinte weil meine beste Freundin weg war.
Ich weinte weil ich eine Prägung mit einem gefallenen Engel hatte.
Ich weinte weil ich nicht mehr weiter wusste.

Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ruckartig drehte ich mich um.
„Nyx.“, hauchte ich, weil ich mehr nicht zustande brachte. Schnell wischte ich mir die Tränen ab und ließ mich gegen die alte Eiche sinken. Ihr Nachtschwarzes Kleid mit zahlreichen Sternen darauf, schmiegte sich an ihren wohlgeformten Körper und bewegte sich elegant in der leichten Brise, die auf einmal einfach da war.

„Weine nicht, meine Tochter.“, sagte sie sanft, setzte sich neben mich und lehnte sich an den alten Baum.

Wir schwiegen eine Weile und ich sah hinauf in den Himmel. Viele Wolken verdeckten die Mondsichel, doch manchmal schaffte sie es, durch den dichten Schleier hindurch zu sehen.

„Nyx? Darf ich dich etwas fragen?“

„Aber natürlich mein Kind. Was liegt dir auf dem Herzen?“

„Du weißt, dass Kalona mir das Leben gerettet hat, oder?“, wollte ich wissen obwohl sich die Frage von selbst geklärt hätte.

„Selbstverständlich. Aber du möchtest wissen, wie es weiter gehen soll.“

Es war keine Frage, doch ich sagte: „Ja, genau.“

Ihr Lachen war hell und klar.

„Mein Kind, wie kann ich dir sagen, was du tun und lassen sollst? Wäre ich dann nicht eine schlechte Göttin? Nein, meine Tochter. Diesen Weg musst du alleine beschreiten, doch sei dir sicher, dass ich immer da bin um dir zu helfen, wenn du mich brauchst. Allerdings gebe ich dir einen Rat mit auf den Weg: Genieße die Zeit die dir noch bleibt. Die Prägung sollte dir kein Hindernis sein.“

Scheinbar hatte ich unbewusst ein fragendes Gesicht gemacht, denn sie fügte hinzu: „Kalonas Blut hat sich mit deinem vermischt, doch du trägst auch einen Teil von ihm in deinem Herzen.“

„Warum kannst du ihm nicht vergeben? Er hat doch so viel Gutes getan. Gleicht das nicht seine bösen Taten aus?“, fragte ich ziemlich direkt.

„Mein Kind, Kalona ist noch nicht bereit wieder an meine Seite zurück zu kehren. Aber ich habe eine Aufgabe für dich.“ Sie machte eine kurze Pause. „Ich möchte, dass du ihm seinen wahren Namen nennst. Tief in dir drinnen weißt du ihn. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, wirst du ihn wissen.“

„Was ist der wahre Name?“, fragte ich.

„Es gibt den Namen, den du von deinen Eltern bekommen hast. Er wird dir von anderen gegeben und du kannst ihn ändern. Der eigene Name ist der, den du gewählt hast, als du in das House of Night gekommen bist. Er steht für einen Neubeginn. Am stärksten jedoch, ist der wahre Name. Der wahre Name wurde dir nicht von deinen Eltern gegeben, doch du trägst ihn seid deiner Geburt. Er birgt sehr viel Macht und wurde dir vom Schicksal gegeben. Wenn du ihn kennst, weißt du, was und wer du bist.“, erklärte sie und sah hinauf in den Himmel.

Langsam zogen sich die Wolken zurück und der Mond kam zum Vorschein. Sein helles Licht ließ den Schnee unter uns leuchten.

„Sagst du mir meinen wahren Namen?“

„Nein, mein Kind, das kann ich nicht. Ich habe nicht die Macht, dir deinen Namen zu sagen, doch du solltest tief in dich hinein sehen. Dort schlummert nicht nur ein Name. Tief in dir trägst du viele Namen, die nur ausgesprochen werden müssen.“, antwortete sie und sah mich wieder an.

Ihre Konturen verblassten langsam, bis sie schließlich gänzlich verschwunden war.  Dunkle Wolken schoben sich wieder vor den hellen Mond und von weitem hörte ich Schritte durch den Schnee näher kommen.

Jack kam auf mich zu. Ein paar Meter vor mir blieb er stehen und sah mich mit festem Blick an.

„Rosy, ich muss mit dir reden.“, sagte er und kam einen Schritt näher.

Ich stand auf um schneller fliehen zu können, falls er mich angreifen sollte. Ärger wallte in mir auf, doch ich wusste, dass es nicht mein eigener war. Kalona war in der Nähe.

„Hör zu, es tut mir Leid, dass ich dir wehgetan habe. Das war nie meine Absicht. Ich habe dich so lange gesucht, bis mich dann auch ein Späher gezeichnet hat. Ich wusste, dass ich dich endlich wieder sehen konnte. Es tut mir so leid.“ Wirkliches Bedauern lag in seinem Blick.

„Du hast mir das Handgelenk gebrochen!“, rief ich und konnte kaum fassen, dass er das getan hatte.

„Ich weiß. Und es tut mir auch unendlich leid!“, beteuerte er und kam noch zwei Schritte auf mich zu. Ich wich soweit zurück wie ich konnte, bis ich gegen den Baum stieß.

Jacks Augen flackerten rot und seine Stimme klang wieder wie ein Knurren, als er sagte: „Ich habe mich doch entschuldigt. Was willst du denn noch?“

Eine neue Träne rann mir übers Gesicht. „Ich will, dass du wieder der alte Jack bist.“

Schlagartig wurden seine Augen wieder blau. „Aber ich habe mich doch nicht verändert.“

„Oh doch Jack! Du bist aggressiv, gewalttätig und ohne Kontrolle über dich selbst!“, schrie ich ihn an.

Seine Augen wurden wieder rot und er brüllte: „Halt den Mund! Du hast keine Ahnung! Glaubst du ich will so sein?“

„Nein, das glaube ich nicht. Du bist nur zu schwach um dagegen anzukämpfen!“, keifte ich zurück.

Jack knurrte und bleckte die Zähne wie ein bissiger Hund. Wie ein Raubtier sprang er auf mich zu. „Halt den Mund!“

Plötzlich wurde ich zur Seite gerissen und fiel in den Schnee. Ein Fauchen ertönte und ich sah auf. Kalona hatte Jack am Hals gepackt und schleuderte ihn gerade gegen einen Baum. Ich richtete mich auf. Der geflügelte Unsterbliche wollte wieder auf Jack zu stürzen, der ihm fachend und knurrend gegenüberstand, doch ich stellte mich dazwischen und breitete die Arme aus.

„Stopp!“, rief ich. „Und zwar alle beide!“

Keiner der beiden bewegte sich. Jack fauchte plötzlich, was Kalona als Angriff sah und los stürzen wollte. Jack bewegte sich nicht von der Stelle.

„Warte!“, sagte ich voller Wut, was meine Stimme schroff wirken ließ.

Ich ging zu Jack und blieb nur wenige Zentimeter vor ihm stehen. Ich sah ihm in die roten Augen. Nichts Normales war darin zu sehen. Langsam, um ihn nicht zu verschrecken, legte ich die Arme um ihn und den Kopf an seine Brust.

„Was ist nur mit dir passiert, Jack?“, flüsterte ich und war mir nicht mal sicher, ob er es gehört hatte.

Jack entspannte sich, erwiderte die Umarmung jedoch nicht. Ich löste mich von ihm und sah ihm wieder in die Augen. Endlich leuchtete kein Rot mehr darin, sondern sein normales Meeresblau. Als ich ihn so sah, so normal, stiegen mir wieder Tränen in die Augen. Ich drehte mich auf dem Absatz um und sah kurz zu Kalona, dessen Bernsteinfarbene Augen mich musterten. Ein Hauch von Besorgnis und Mitleid schwang durch mein Unterbewusstsein. Eine Träne rann mir über die Wange und ich ging davon.

Hinter mir rief Jack noch: „Rosy, Es tut mir Leid!“, doch ich drehte mich nicht um, sondern ging schnurstracks zu der Staue der Nyx, die vor ihrem Schrein stand. Im Schneidersitz setzte ich mich ihr gegenüber und sandte ein Gebet zu ihr.

„Nyx, warum hast du nur zugelassen, dass er so wird. Er hat es nicht verdient. Er war doch immer so lieb und gütig. Bitte schick mir ein kleines Licht in dieser Dunklen Zeit.“

Aus den Tiefen meiner Hosentaschen kramte ich ein Taschentuch hervor und wischte mir die Tränen ab. Plötzlich stupste mich etwas am Bein an. Erschrocken fuhr ich zusammen. Als ich zu der Stelle sah, an der ich die Berührung gespürt hatte, bemerkte ich ein kleines Kätzchen. Eine kleine schneeweiße Katze betrachtete mich aus großen grünen Augen.

„Na, meine kleine, was machst du hier?“, fragte ich das Kätzchen.

Prompt bekam ich ein kleines Mauzen zur Antwort und musste lachen. Mit den Vorderpfoten stellte sie sich auf mein Bein und begann zu schnurren. Ich kraulte sie hinter den Ohren und genoss das weiche Fell an meiner Haut, während sie sich gegen meine Hand schmiegte. Dann kletterte sie in meinen Schoß und rollte sich dort zusammen. Ich kraulte sie weiter und lauschte ihrem Schnurren.

„Tja, ich hatte Nyx um ein kleines Licht gebeten. Das wirst dann wohl du sein. Ich glaube ich nenne dich Hikari.“, überlegte ich laut und das Kätzchen hob zufrieden den Kopf, als es seinen neuen Namen hörte.

Es ließ ein zufriedenes Mauzen hören und legt dann den Kopf auf ihre Pfoten. Eine ganze Weile saßen wir so da und ich fragte mich, ob ich mich nicht langsam um Futter für Hikari kümmern sollte, doch ein leises Rauschen von Flügel ließ mich auf sehen. Der geflügelte Krieger landete neben mir im Schnee und setzte sich neben mich vor die Statue. Schweigend saßen wir einige Momente da, doch dann brach Hikari das Schweigen, indem sie aufsah, von meinem Schoß sprang und zu dem geflügelten Unsterblichen stapfte. Der nahm die kleine Katze auf den Arm und kraulte sie hinter den Ohren.

„Du bist doch bestimmt müde. Willst du nicht schlafen gehen?“, fragte der geflügelte Unsterbliche plötzlich und ich sah ihn an.

Tatsächlich spürte ich plötzlich eine seltsame Müdigkeit. Meine Knochen taten weh und jeder Muskel meines erschöpften Körpers schmerzte.

„Ja vielleicht hast du Recht. Ich glaube ich sollte mich wirklich noch ein bisschen ausruhen.“, gab ich zurück und stand auf. Ich schwankte und machte einen Schritt zurück, weil plötzlich nur noch Sternchen um mich herum tanzten. Kalona ließ Hikari los und sprang auf.

„Nein, nein. Schon gut. Geht wieder.“, winkte ich ab. „Kommst du mit Hikari?“

Die kleine Katze sah mich erst fragend an, doch dann tapste sie hinter mir her durch den weißen Schnee und der geflügelte Unsterbliche blieb allein zurück.

Kapitel 5

 Als ich im Zimmer ankam, standen hinter der Tür ein Katzenklo, das dazugehörige Katzenstreu, Futter und Spielzeug. Ich lachte. Tja den Vampiren blieb tatsächlich nichts verborgen. Ich setzte Hikari, die ich auf dem Weg auf den Arm genommen hatte, auf mein Bett, das sie gleich zu beschnuppern begann. Schnell füllte ich das Katzenklo mit Streu und den Napf mit Futter, dann ließ ich mich auf mein Bett fallen und wartete bis Hikari sich neben mich legte. Ihr gleichmäßiges Schnurren beruhigte mich ein bisschen und ich schlief ein.

In meinem Traum saß ich auf einem hölzernen Steg am Ufer eines kleinen Baches. Ich ließ die Beine über dem klaren Wasser baumeln und hörte seinem friedlichen Geplätscher zu, während ich mein Spiegelbild betrachtete. Der Steg war von saftigen grünen Wiesen umgeben und die warme Sonne schien mir ins Gesicht. Plötzlich tauchte ein weiteres Spiegelbild auf der Wasseroberfläche auf. Ich drehte mich jedoch nicht um. Der geflügelte Unsterbliche trat an meine Seite und setzte sich mit raschelnden Federn.

„Ich gebe zu, dieser Traum ist beindruckend. So viel Wärme schlummert also in der Prinzessin von Eis und Schnee.“, stellte er fest.

„Ja, das ist der einzige Ort an dem ich nachdenken kann. Ein Ort zu dem eigentlich kein anderer Zutritt hat. Also was zum Teufel willst du hier?“, fragte ich.

„Du hast mich erträumt. Was glaubst du wohl was ich hier will?“, gab er lächelnd zurück.

„Du lügst. Ich habe dich nicht her geträumt. Meine Träume reichen nie bis hier her. Das ist mehr als nur ein Traum. Das ist mein Innerstes. Du hast eigentlich keinen Zutritt zu diesem Ort.“

„Und wie kommt es dann, dass ich her kommen konnte?“, fragte er etwas verdutzt und sah auf den kleinen Bach.

„Was weiß ich. Du musst das doch wissen.“

Er lachte. „Das ist doch ganz leicht. Du hast mich ins Herz geschlossen. Sowohl im Übertragenen Sinne, als auch mehr oder weniger im wörtlichen.“

„Ich glaube es ist wegen etwas anderem.“, flüsterte ich.

„Und was wäre es deiner Meinung nach?“, wollte er wissen.

„Das bleibt vorerst mein Geheimnis.“, sagte ich und lächelte ihn an.

„Wie du meinst.“, erwiderte er und zuckte mit den Schultern.

„Gut. Dann kannst du jetzt ja gehen.“

„Wenn das dein Wunsch ist.“, sagte er und sein herrlicher Körper löste sich langsam auf.

Ich seufzte und lehnte mich zurück. Kalona, ich glaube ich liebe dich, schickte ich ihm gedanklich hinterher. Eine ganze Weile dachte ich nur an ihn. Scheinbar machte er sich wirklich Sorgen um mich. Über den klaren blauen Himmel zogen kleine Flauschwolken ihre Bahnen bis zum Horizont. Ich schloss die Augen… und schon lag ich wieder in meinem Bett im House of Night.

Leise schnarchend lag Hikari neben meinem Kopf. Um sie nicht zu wecken stand ich vorsichtig auf und ging leise zum Fenster. Der Campus war friedlich und ruhig. Auf einmal wurde mein Blick von einem kleinen Päckchen angezogen, das ich auf der äußeren Fensterbank fand. Es war in schwarzes Papier eingewickelt und mit einer dunkelroten Schleife verziert. Bei dem Schwarz des Papiers musste ich an Kalonas herrliche Flügel denken und mein Herz machte einen Sprung.

Ich nahm es und setzte mich damit aufs Bett. Hikari hob verschlafen den Kopf, doch als sie sah, was ich in der Hand hatte kam sie näher und betrachtete das Packet. Vorsichtig zog ich die Schleife auf und löste das Papier. Zum Vorschein kam schwarzer Stoff. Ich entfaltete ihn und betrachtete das Kleid, das ich in Händen hielt.

Da erinnerte ich mich wieder. Zoey und ihre Truppe hatten ja den Vorschlag für einen Schulball gemacht. Scheinbar wollte Kalona unbedingt, dass ich morgen hinging. Ich wäre zwar nicht hingegangen, aber jetzt musste ich ja, sonst wäre dieses atemberaubende Kleid ganz unnötig gewesen. Aus meinem Kleiderschrank nahm ich mir einen Kleiderbügel und hing es an die Schranktür. Dann ging ich zurück ins Bett und schlief noch einmal ein.

Ich erwachte ohne jede Erinnerung an meinen Traum, doch ich hatte das Gefühl, er wäre wichtig gewesen. Mit müden Augen sah ich auf die Uhr. Ich hatte eigentlich viel zu lange geschlafen. In etwa einer Stunde würde der Ball beginnen. Natürlich hatten alle Vampire und Jungvampire in dieser Nacht keinen Unterricht.

Ich rollte mich im Bett herum und… landete mit voller Wucht auf dem Boden.

„Na immerhin bin ich jetzt wach.“, murrte ich und Hikari sah mich über die Bettkante an, als müsste sie sich das Lachen verkneifen, was bei einer Katze wirklich seltsam aussah.

Ich schlich ins Bad und stellte mich unter die Dusche. Mein Rücken kribbelte, als das kalte Wasser daran herunter rann. Nach einer Weile der Entspannung drehte ich den Wasserhahn zu und verließ die Duschkabine. Schnell wickelte ich mich in ein Handtuch und föhnte mir die Haare. Ich schminkte mich entsprechend und ging zurück in mein Zimmer um in meinem Kleiderschrank zu wühlen. Zum Glück fand ich einen trägerlosen BH. Ich zog mir die Unterwäsche an und stand dann vor dem Kleid.

Mit einer Hand fuhr ich über den glatten, weichen Stoff. Achtlos ließ ich das Handtuch, das ich mir wieder umgebunden hatte, fallen. Ich streifte mir das Kleid über, das sich fast schwerelos an meinen Körper schmiegte und zog den Reißverschluss hinten zu. Im Spiegel betrachtete ich es genauer.

Meine Schultern lagen frei, doch meine Arme wurden vom schwarzen Stoff bedeckt, der mir bis zu den Fingerspitzen reichte. Er lag eng an meinem Oberkörper an und wurde um meine Beine langsam weiter bis es meine Füße bedeckte. Der Ausschnitt war weit und ab da klebten Strass Steine in der Farbe von Smaragden, welche nach unten immer weniger wurden. Ich drehte mich vor dem Spiegel und beobachtete wie sie funkelten. Ich erstarrte. In der Drehung hatten sich meine Haare angehoben.

Im Spiegel betrachtete ich meinen Rücken, indem ich den Reißverschluss des Kleides wieder öffnete. Viele kleine Schneeflocken Tattoos hatten sich über meinen gesamten Rücken verteilt. Nur von meinen Schulterblättern aus zierten gefaltete Flügel meine Haut. Ich keuchte und sah mir wieder mein Gesicht an. Um meine blaue Mondsichel, hatten sich Schneeflocken ausgebreitet. Ich rannte ins Bad und überschminkte schnell die Flocken in meinem Gesicht. Nie wieder wollte ich als Freak da stehen. Es war schon schlimm genug, dass ich ausgelacht wurde, weil ich Geschichten schrieb, zeichnete und Gedichte verfasste. Dann zog ich mir meine schwarzen Absatzschuhe an und gab Hikari einen letzten Kuss auf die Stirn.

„Ich muss jetzt gehen, Süße. Kommst du alleine klar?“

Sie sah mich an und blinzelte einmal, was ich als ja verstand.

„Wenn du willst, kannst du später nachkommen.“, sagte ich, während ich mein Zimmer verließ. Ich hatte die Tür einen Spalt breit offen gelassen, damit sie rauskonnte

 

Kapitel 6

 Die Turnhalle war mit hunderten von Ballons geschmückt und eine Discokugel warf viele helle Lichtpunkte an die Wand und die Gäste. Die meisten der versammelten Jungvampire tanzten zu den schnellen Rhythmen eines mir unbekannten Liedes. Die anderen hatten sich an der Snacktheke postiert oder drängelten bei den Getränken.

Zoey Club war nicht zu übersehen. Gemeinsam standen sie in der Nähe der Musikanlage und unterhielten sich. Eigentlich hatte ich nichts gegen sie, sie waren schließlich die Retter der Welt, doch andererseits kamen sie auch eingebildet rüber.

Plötzlich drehte Zoeys Begleiter sich um. Sein Blick flog über die Umstehenden, doch als er mich sah weiteten sich seine Augen, um dann zu schmalen Schlitzen zu werden. Ruckartig drehte ich mich um, denn sein Blick schien sich mir direkt in die Seele zu bohren. Ich schlängelte mich durch die Versammelten zu den Getränken. Ich wollte mich umdrehen, um zu sehen, ob er mir gefolgt war, doch auf einmal stand Jack so dicht hinter mich, dass unsere Körper nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Ich verkniff mir krampfhaft einen Schrei. Seine Augen glänzten mich in dem schwachen Licht rot an. Geschockt weiteten sich meine Augen, als er beinahe Gefühlvoll die Wange streichelte, so wie… früher.

Er packte mein Handgelenk und flüsterte: „Tanz mit mir.“

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Stark Zoey etwas zu flüsterte und auf uns zukam.

„Lass mich los!“, fauchte ich, doch das brachte seine Augen nur noch mehr zum Leuchten.

„Lass sie los, Jack.“, sagte Stark, der plötzlich neben uns stand. Ich fuhr zusammen, doch Jack ließ mich nicht los. Er packte fester zu. Wie ein Schraubstock schlossen sich seine Finger immer weiter. Dann… knackte es.
Stöhnend sank ich auf die Knie und schlagartig wurde ich losgelassen.

„Schon wieder. Du verdammter Mistkerl!“, brachte ich hervor, obwohl ich das eigentlich nur hatte denken wollen.

Ich hörte lautes Gepolter und brechendes Glas. Stark hatte sich auf Jack gestürzt und ihn auf die Snacktheke geworfen. Ein Kreis aus Beobachtern hatte sich gebildet. Ich sah auf und beobachtete wie Stark und Jack gegeneinander kämpften. Stark verpasste Jack einen Kinnhaken, kassierte jedoch einen langen tiefen Kratzer auf dem rechten Unterarm und der Brust. Da kam Darius dazu und packte Jack. Dieser konnte sich nicht wehren.

Ich sprang auf und sah ihn an. Er fauchte und knurrte wie ein wildes Tier und versuchte sich aus Darius Griff zu befreien, doch es hatte keinen Sinn. Er konnte nicht mehr fliehen. Stark ließ den rechten Arm hängen und hatte sich das Jackett zugeknöpft, damit man das Blut nicht sah, das aus der Wunde trat. Ich packte seinen gesunden Arm und zog ihn mit mir.

„Hey was soll das? Lass mich los!“, protestierte er, doch ich ignorierte ihn.

Als wir weit genug von der Turnhalle weg waren ließ ich mich auf eine Bank sinken und atmete tief ein und aus. Mein wild schlagendes Herz hämmerte in meinen Ohren.

„Kannst du mir mal bitte erklären, was das sollte?“, meldete sich Stark.

„Setzt dich.“, befahl ich und deutete auf den Platz neben mir.

„Nein, ich will erst wis…“, begann er doch ich unterbrach ihn.

„Hinsetzten!“, sagte ich und ließ meine Stimme drohend und bestimmt klingen.

Ohne ein weiteres Wort nahm er Platz, wobei er darauf achtete seinen rechten Arm nicht zu belasten.

„Zieh dein Jackett aus“, befahl ich und sah in Starks fragendes Gesicht.

„Los!“, drängte ich und sah zu wie er mit der linken Hand sein Jackett öffnete und es abstreifte.

Darunter sah man sein zerfetztes Hemd und das Blut, das aus der Wunde floss. Plötzlich war mein Mund trocken und ich verspürte den dringenden Wunsch, jeden einzelnen Tropfen der roten Flüssigkeit aufzulecken, um nichts zu verschwenden. Ich schüttelte den Kopf. Das war ein wirklich dummer Gedanke.

„Das Hemd auch.“ Als er zögerte fügte ich hinzu: „Du Dummkopf, ich will dir helfen. Los zieh das Hemd aus!“

Da verstand er und knöpfte sich auch das Hemd auf. Er zuckte zusammen, als er versuchte es sich abzustreifen. Ich sah seinen Atem in der kalten Winterluft und erinnerte mich daran, dass es eigentlich bitterkalt sein sollte. Ich stand auf und trat um ihn herum. So gut ich konnte half ich ihm aus dem Hemd und versuchte nicht allzu viel mit der rechten Hand zu machen. Der Schmerz fuhr mir durch den ganzen Körper, doch Starks Wunden waren wichtiger, also setzte ich mich wieder hin und drehte mich so, dass ich ihm gegenüber saß.

„Mach die Augen zu und beiß die Zähne zusammen. Das kann ein bisschen unangenehm werden.“, sagte ich und sah ihm in die Augen, bis er sie geschlossen hatte. Immer wieder wanderte mein Blick zu seinem muskulösen Oberkörper.

Ich legte die meine Rechte Hand auf die Wunde. Unter ihr spürte ich sein Blut, sein rasendes Herz und die Bewegung jedes Muskels, als er unter Schmerzen zuckte.

„Halt still.“, flüsterte ich. 

In Gedanken rief ich mein Element zu mir. Eine wunderbare Kälte erfüllte mich und ich erschauderte vor Glück. Ich lächelte und schloss die Augen. Nur Starks Herzschlag war noch von Bedeutung. Sein Herzschlag und das Blut, das weiter als der Wunde tropfte.  Irgendwann hatte sich mein Herz seinem angepasst und ich spürte wie mein Element sich um meinen Arm wandt. Es glitt in auf Starks Körper zu, verweilte jedoch kurz an meinem Handgelenk.

Ein Seufzen entfuhr mir, als der Schmerz nachließ. Das Eis kroch weiter und errichte Starks Haut. Er keuchte, als die Kälte ihn traf und biss sich auf die Unterlippe. Ich lächelte und strich vorsichtig mit der flachen Hand über den Schnitt auf seiner Brust. Der Krieger erzitterte als ich am Ende der Wunde ankam. Feine Eiskristalle hatten sie geschlossen und glitzerten auf seiner Haut.

„Gib mir deine Hand“, flüsterte ich.

Ich nahm sie in die linke und legte die rechte Hand auf den Schnitt auf seinem Arm. Wieder erzitterte er doch seine Augen blieben die ganze Zeit geschlossen. Erneut bildeten sich Eiskristalle drum herum, die im Licht des Mondes freundlich glitzerten.

„Schaffst du es, die nächsten zehn Minuten nicht zu kämpfen?“, fragte ich und Stark öffnete die Augen.

„Ich denke schon.“, gab er zurück und schenkte mir ein durchtriebenes Grinsen.

Er nahm sein Hemd und zog es sich gequält langsam wieder an. Ein paar der Eiskristalle bröckelten ab, doch schon bildeten sich neue und schlossen die Lücke, die entstanden war. Mit einem prüfenden Blick sah er an sich herunter.

„Eis? Du kontrollierst das Eis?“, fragte er schließlich.

„Ja genau. Ich hoffe du denkst jetzt nicht ich wäre ein Freak.“, gab ich zu.

„Wieso sollte ich? Es gibt viele Vampire und Jungvampire mit Affinitäten. Ich bin mit so jemandem zusammen.“

Ich atmete erleichtert auf.

„ähm… weißt du…das war noch nicht alles.“, versuchte ich es und erntete einen fragenden Blick.

„Wie, da kommt noch mehr?“

„ähm…ja. Es sei denn du hast kein Interesse daran.“ Ich hoffte jetzt noch einen Rückzieher, machen zu können, doch scheinbar hatte ich ihn neugierig gemacht.

„Cat, wir gehen schon seit Monaten in die gleiche Klasse und mir so etwas noch nie bei dir aufgefallen. Glaubst du wirklich, dass mich das nicht interessiert?“ Sein Lächeln wurde breiter. „Na los, zeig her.“

Ich seufzte und drehte mich mit dem Rücken zu ihm. Ich strich mein Haar zu Seite, damit er freie Sicht auf meine Schultern hatte.

„Krass!“, kam es von ihm.

Ich spürte wie sich eine Hand an den Reißverschluss meines Kleides legte. Er zögerte und gab mir die Gelegenheit Einspruch zu erheben, doch ich sagte nichts. Der Reißverschluss öffnete sich und ich spürte Starks bohrenden Blick im Rücken.

„Alter… wie cool!“, hörte ich.

„Stark!“

Stark und ich zuckten zusammen. Ich drehte mich um. Zoey kam mit Aphrodite und Darius auf uns zu. Ruckartig blieb Zoey stehen und sah uns mit offenem Mund an. Mein Kleid wurde so abrupt geschlossen, dass die plötzliche Enge mir die Luft abschnürte. Ich keuchte kurz, wurde aber nicht beachtet. Mir war klar wie die Situation aussah. Zoeys Krieger saß mit offenem Hemd hinter mir und öffnete mein Kleid. Klar, dass das falsch rüber kam.

Langsam drehte ich mich um und sah wir Stark auf Zoey zuging. Sie wich einen Schritt zurück und blinzelte ihre Tränen weg. In ihrem schwarzen Kleid sah sie wirklich gut aus.

Ich stand auf und sah wie Aphrodite mir einen vielsagenden Blick zuwarf.  Ihr schwarzes Minikleid ließ sie irgendwie nuttig aussehen. Plötzlich sah Darius mich an. Sein Blick wanderte zwischen Stark und mir hin und her. Dann machte er einen Schritt auf Stark zu und riss ihn am Handgelenk zu sich herum. Am rechten. Stark keuchte und sank auf die Knie, als sich die feine Eisschicht in die frische Wunde bohrte. Er krümmte sich, was zu Folge hatte, dass auch das Eis an seiner Brust splitterte.

„Stopp! Lass ihn los!“, rief ich und Darius fuhr zu mir herum.

Blut begann in den Schnee zu tropfen. Ich rannte auf Stark zu doch Darius ließ ihn los und trat mir in den Weg.

„Keinen Schritt weiter.“, sagte er drohend.

„Lass mich durch. Ich kann ihm helfen.“, gab ich zurück und ging einen Schritt weiter. Darius wich keinen Millimeter.

„Darius,… lass sie.“, brachte Stark hervor.

Aphrodites Krieger warf ihm einen Blick über die Schulter zu und trat dann bei Seite. Doch seine Wachsamkeit ließ kein bisschen nach. Ich beschleunigte mein Tempo und ließ mich vor Stark in den Schnee fallen.

„Stark, sieh mich an.“, sagte ich und beobachtete wie Stark versuchte aus seiner gekrümmten Position zu kommen. Er sah mir in die Augen und ich erkannte seinen Schmerz darin.

„Gut so. Und jetzt schließ die Augen.“,

Er hatte sich jetzt fast ganz aufgerichtet, doch er hielt inne. Ich legte meine Hand auf seine Brust und hoffte, dass sich mein Element durch die plötzliche Unterbrechung nicht verabschiedet hatte. Noch einmal atmete ich tief ein und wieder aus. Unter meiner Hand, regenerierte sich die Eisschicht und das Blut hörte auf heraus zu tropfen. Das gleiche machte ich wieder bei seinem Arm. Auch hier stoppte der Blutfluss. Stark gab ein Stöhnen von sich.

„Danke“, flüsterte er.

„Was hast du gemacht?“, schaltete Zoey sich sofort ein. Sie klang entsetzt und hysterisch.

„Ich habe ihm geholfen.“, erwiderte ich. „Kannst du aufstehen, Stark?“, wandte ich mich an ihren Krieger.

„Ja, geht schon.“, antwortete er. Ich stand auf, nahm seinen gesunden Arm und half ihm auf die Füße zu wiederholte er.

„Nicht der Rede wert.“, winkte ich ab.

„Doch, ist es. Ich schulde dir was.“, beharrte er.

„Du willst mir nichts schulden.“, flüsterte ich und hoffte er habe es nicht gehört. Das hatte er anscheinend auch nicht, denn er ging nicht weiter darauf ein.

Zoey ging auf Stark zu und betrachtete seinen Körper. Vorsichtig strich sie über das Eis auf seiner Haut. Ich sah, dass Stark die Zähne zusammen biss, doch er gab keinen Ton von sich und bewegte keinen Muskel.

„Eis?“, fragte Zoey ganz leise ohne mich anzusehen. Stattdessen starrte sie weiter die Eisschicht an.

„Ja, das ist meine Affinität.“, sagte ich und dachte kurz sie hätte mir nicht zugehört.

„Wow das ist ja cool.“, staunte sie.

„Dann zeig mal noch was, Frosti.“, warf Aphrodite ein, die ich schon fast vergessen hatte.

„Was soll ich denn machen?“

„Was weiß ich. Lass dir was einfallen.“, gab sie schnippisch zurück und lehnte sich an ihren Krieger.

Ich musste kurz überlegen. Doch dann kam mir eine Idee.

„Hat jemand von euch ein Taschentusch für mich?“, fragte ich in die Runde.

Stark kramte in seiner Hosentasche und förderte ein zerknülltes aber sauberes Taschentuch zu tage. Er reichte es mir.

„Willst du dir jetzt die Nase putzen, oder was?“, giftete Aphrodite.

Mit dem Taschentuch wischte ich mir über die Stirn. Immer mehr Makeup entfernte ich auf diese Weise, bis ich mir sicher war, dass meine Tätowierung frei lag. Schweigen breitete sich aus.

Kapitel 7

 „Und auf dem Rücken hat sie noch mehr davon.“, warf Stark mitten in die unbehagliche Stille hinein.

„Cat! Cat!“, rief jemand und ich zuckte zusammen.

Kramisha kam auf uns zu. Sie wedelte mit einem weißen Blatt Papier. In ihrem roten Kleid und die schwarzen Plateau-Schuhe konnte sie erstaunlich gut laufen. Sie kam vor mir zum Stehen.

„Cat, ist für dich.“, sagte sie, total aus der Puste und reichte mir den Zettel.

„Was ist das?“, fragte ich und nahm das Blatt entgegen.

Ich las das was auf dem Zettel geschrieben stand und spürte, wie meine Hände zu zittern begannen.

„Was ist los, Cat?“, fragte Stark und stellte sich so, dass er mir über die Schulter sehen konnte.

„Oh Mann!“, flüsterte er.

„Ließ vor, Frosti.“, meine Aphrodite.

Ich räusperte mich und begann:

Erlöst von Eis
Schwarz wird weiß
Böse wird gut
Nimm ihre Wut

Die Göttin vergab
Verschüttet das Grab
Sag seinen Namen
Pflanz guten Samen

Doch selbst das Rot
Ist nicht mehr tot
Gib Leben zurück
Und sei sein Glück

Erlösung in Licht
Siehst es nicht?
Der Name ist gut
Der in dir ruht

Beruhige dein Herz
Vergiss deinen Schmerz
Vergiss deine Tränen
Um den Namen zu erwähnen!“

Schon als ich das Gedicht las, wusste ich was es bedeutete. Eine Träne rann mir über die Wange und fiel in den Schnee. Schweigen legte sich wieder über die versammelte Mannschaft. Ich zuckte zusammen, noch bevor das Schlagen von Flügeln die Stille durchbrach. 

Der gefallene Engel landete neben mir und faltete seine großen Schwingen auf dem Rücken. Ich sah wie Stark sich ein bisschen anspannte.

„Stark, reg dich ab. Er ist meinetwegen hier.“, sagte ich und faltete das Papier.

„Es freut mich auch dich wieder zusehen, Cat.“, begrüßte er mich. „Frohes Treffen euch allen.“

„Moment, hab ich das richtig verstanden? Ihr kennt euch näher?“, fragte Aphrodite sofort. Kalona und ich sahen uns an und ich konnte mir ein schwaches Lächeln nicht verkneifen.

„Ja, so könnte man es ausdrücken.“, antwortete ich.

„Läuft da was zwischen euch?“

„Nein, nicht wirklich. Sagen wir´s mal so: Kalona hat mir mehrmals geholfen.“, versuchte ich es zu erklären. „Er… Er hat mir zweimal das Leben gerettet. Obwohl, eigentlich waren es dreimal.“ Die Augen der anderen wurden größer und wandelten sich von Interesse zu Staunen.

„Wobei man dazu sagen muss, dass du am ersten Mal die Hauptschuld trägst.“, sagte ich zu Kalona.

„Es war nie meine Absicht, dass du vom Dach fällst.“ Wir lachten, als wir sahen, wie die Augen der Anderen noch größer wurden.

„Ach, wo wir schon mal dabei sind: Wenn ich das nächste Mal so lange schlafen sollte, musst du nicht die ganze Zeit in meinem Zimmer sitzen und warten, dass ich aufwache.“

Das hatte ich nicht laut sagen wollen doch jetzt war es eh zu spät.

„Ach. Er war also ne ganze Weile in deinem Zimmer, ja?“, warf Aphrodite ein.

„Ähm… ja, das ist so eine Sache.“, stotterte ich und fuhr mir durch die Haare. „Er wusste von meiner Affinität und dann kam die Sache mit der Wandlung die ich nicht schaffen sollte und…“

„Halt, du solltest die Wandlung nicht schaffen? Wie so stehst du dann hier?“, unterbrach Zoey mich, sichtlich verwirrt.

„Ihr habt eine Prägung.“, stellte Darius fest.

Ich antwortete nicht. Kalona musterte meine Stirn.

„Nyx hat dich also mit einem besonderen Mal gezeichnet.“

Ich schwieg.

„Davon hat sie auf dem Rücken noch mehr.“, meldete sich Stark erneut.

„Zeig es uns.“, sagte Aphrodite.

Ich seufzte und öffnete zum dritten Mal in dieser Nacht mein Kleid.

„Das ist cool! Nur erinnert mich an Gedicht.“, warf Kramisha ein. Sie hatte sich so lange nicht eingebracht, da hatte ich sie schon vergessen.

„Ja, finde ich auch. Wir sollten es mal in Ruhe durchgehen.“

„Cat, zeig mir dein Handgelenk.“, verlangte Kalona.

Auch das hatte ich schon vergessen. Ich schloss das Kleid und reichte ihm die Hand. Erstaunlich sanft strich er den Stoff zurück und betrachtete die grünblaue Färbung.

„Ich habe dir doch gesagt, dass dein Element, Knochen nicht heilen kann. Es kann eine Wunde versiegeln bis das Blut geronnen ist doch Knochen brauchen Zeit.“

„Ach, gut, dass du mich daran erinnerst.“

Ich entzog mich seinem Griff und stellte mich vor Stark.

„Du solltest dich vielleicht setzten.“, sagte ich.

„Nein, ich kann das auch im Stehen.“, gab er zurück.

Ich packte ihn am Hemdkragen und trat ihm die Beine unterm Körper weg. Da ich ihn am Kragen gepackt hatte verhinderte ich, dass er zu hart auf dem Boden aufschlug. Hinter mir erklangen Schritte im Schnee. Ohne mich umzusehen, wusste ich wer es war.

„Bleib stehen, Darius. Das wird verdammt schmerzhaft für ihn. Wenn du mich jetzt anfasst, kann ich nicht für deine Gesundheit garantieren.“

Noch während ich das sagte, begann ich mich zu konzentrieren. Die rechte Hand legte ich auf die Wunde auf seiner Brust. Die Linke auf seinen Arm. Unter meinen Händen bäumte sich sein Körper, doch ich konnte nicht aufhören. Mit jedem Einatmen schmolz das Eis unter seiner Haut. Mit jedem Ausatmen gefror es wieder.

Innerlich flüsterte ich: „Eis komm zu mir.“

Dann atmete ich ganz tief ein und hob die Hände. Wasser quoll aus jeder seiner Poren und gefror in meiner Hand. Starks Körper erschlaffte. Ich formte das Eis zu einer Art Wurfmesser und warf es an den nächstbesten Baum. Sie blieben in der Rinde stecken und schmolzen langsam, um dann in den Schnee zu tropfen.

„Komm Stark. Steh auf.“, sagte ich. Zoeys Krieger sah mich träge an, nahm aber die Hand die ich ihm hinhielt.

Mit aller Kraft zog ich ihn auf die Füße. Er schwankte und fiel nach vorn. Ich trat an seine Seite und stützte ihn. Darius kam mir zu Hilfe und nahm ihn mir ab.

„Entschuldige, dass es so weh tat.“, wendete ich mich an Stark.

„Ach das war halb so wild. Geht schon.“, erwiderte er und wand sich aus Darius´ Griff.

„Kalona, ist es richtig, dass es nicht das erste Mal war, dass dieser rote Jungvampir ihr das Handgelenk gebrochen hat?“

„Das ist richtig, Krieger. Es ist…“

„Okay.“, unterbrach ich den Geflügelten genervt und warf die Hände in die Luft.
„Vielleicht sollten wir uns mehr Sorgen um das Gedicht machen. Ich hab da auch schon eine Idee. Oder ist es eine Lösung? Naja, auf jeden Fall weiß ich was dazu. Ich muss nur noch kurz ein paar Sachen holen. Ich komme gleich wieder.“

Ohne den anderen Zeit zum wiedersprechen zu geben, drehte ich mich um. Über die Schulter hinweg rief ich noch: „Ach und Kramisha, das ist wirklich ein gutes Gedicht.“

Ich lief in mein Zimmer und streifte mir die Schuhe von den Füßen. Nachdem ich sie in eine Ecke geworfen hatte, zog ich mein Kleid aus und hängte es wieder an den Schrank. Stattdessen zog ich mir eine Jeans und ein schwarzes Top an. Ich streifte mir meine schwarzen Sneakers an und schnappte mir meine Tasche und packte schnell noch ein paar Sachen ein.

„Hey Hikari, komm mit. Wir machen einen kleinen Ausflug.“, sagte ich zu Hikari.

Sie hob verschlafen den Kopf und lauschte meinen Worten. Als sie hörte, dass ich „Ausflug“ sagte, sprang sie munter vom Bett, tapste auf mich zu und hüpfte auf meinen Arm. Mit dem weißen Fellknäul auf dem Arm ging ich die Flure entlang. Doch mein Ziel war nicht der Bus. Zumindest noch nicht. Vor einer Holztür machte ich Halt und klopfte.

„Herein.“, kam die Antwort.

„Frohes Treffen, Thanatos.“, erwiderte ich, trat ein und schloss die Tür hinter mir.

„Frohes Treffen, Cat. Was führt dich zu mir. Solltest du nicht auf dem Ball sein?“

„Ja, ich war auch dort. Doch es gab ein paar… unvorhergesehene Ereignisse. Doch der Grund meines Erscheinens, ist eine Bitte.“, gab ich zurück.

„Setzt dich erst mal.“ Sie deutete auf den Platz vor ihrem Schreibtisch.

„Danke.“ Ich nahm in dem gemütlichen Sessel platz und setzte Hikari auf meinen Schoß.

„Was ist das für eine Bitte?“

„Eben hat Kramisha mir ein Gedicht gegeben. Ich weiß, warum es geht und ich kenne mehr oder weniger die Lösung.“

Ich reichte ihr das Blatt Papier. Sie faltete es auseinander und las das Gedicht aufmerksam durch. Als sie aufsah fuhr ich fort.

„Ich bin das Eis. Sehen sie meine Stirn? Ich habe eine Affinität zum Eis. Auf dem Rücken habe ich als Tattoo Flügel. Ich habe mit Nyx gesprochen. Sie hat mir gesagt, dass sie Kalona vergibt wenn ich ihm seinen wahren Namen sage.“

„Ich verstehe“, sagte Thanatos, die mir aufmerksam zugehört hatte.

„Ich bitte sie, Kalona seiner Pflichten als Schwertmeister zu entbinden.“ Jetzt schossen ihre Augenbrauen in die Höhe.

„Du willst, dass ich meinen Krieger und den Schwertmeister einer ganzen Schule entbinde?“

„Genau.“, sagte ich fest entschlossen, doch jetzt wo ich das so hörte, kam es mir doch übertrieben vor, so etwas zu verlangen.

„Sag mir warum ich das tun sollte. Schließlich kann er uns auch im Kampf gegen Neferet helfen. Außerdem braucht unsere Schule einen Schwertmeister. Wer kommt deines Erachtens nach in Frage?“

„Meiner Meinung nach, kann Kalona uns mehr helfen, wenn er an Nyx Seite gegen das Böse kämpft. Ich empfehle eine Art Ausscheidungskampf unter den Söhnen des Erebos, um den neuen Schwertmeister zu bestimmen. Ansonsten würde ich Stark oder Darius vorschlagen, da beide ausgezeichnete Kämpfer sind.“, gab ich zurück und hoffte, dass nicht noch mehr Fragen auftreten würden. Ich wusste nämlich nicht mehr viele Antworten.

„Gut. Ich werde darüber nachdenken. Ich nehme an, dass du jetzt erst mal zum Bahnhof fährst und dich dort mit Zoey und den anderen berätst. Sobald ich eine Antwort für dich habe werde ich nach dir schicken lassen. Kalona soll dich zum Bahnhof begleiten, da es ja auch um ihn geht. Ihr werdet wohl nicht lange weg sein, sodass Kalona ruhig mitgehen kann.“, beschloss sie.

„Vielen Dank.“

„Frohes Treffen, frohes Scheiden und frohes Wiedersehen, Cat. Und pass gut auf dich auf.“

 Ich stand auf und setzte Hikari auf den Boden. Mit der Faust über dem Herzen verbeugte ich mich vor ihr und verließ, gefolgt von meiner Katze, das Büro.

Kapitel 8

 „Wo warst du denn solange?“, fragte Zoey als ich den Bus erreichte. Hikari war auf halbem Weg in meine Tasche gesprungen und hatte es sich in dem großen Ding bequem gemacht.

„Ich musste erst noch was erledigen.“

„Und was, wenn ich fragen darf?“, warf Aphrodite abfällig ein.

„Das sage ich euch wenn wir am Bahnhof angekommen sind.“, gab ich zurück.

Ich sah mich um, konnte Kalona jedoch nirgends sehen. Doch mir war klar, dass er in der Nähe war.

„Kalona!“, rief ich.

„Verdammt, das Geflügel ist nicht da. Schrei nicht so.“, fauchte Aphrodite mich an.

„Doch er ist hier.“ Das Schlagen von Flügeln bestätigte meine Aussage und ich schenkte Aphrodite ein überlegendes Lächeln.

„Was ist los?“, wollte der geflügelte Unsterbliche wissen.

„Du kommst mit uns.“, antwortete ich.

„Das geht nicht. Ich muss hier bleiben und Thanatos…“

„Ich habe mit ihr gesprochen. Sie hat gesagt, dass du mit mir kommen sollst.“, unterbrach ich ihn. „Und jetzt komm.“

Die Busfahrt verlief sehr ruhig. Ich starrte die ganze Zeit auf den Zettel, auf dem das Gedicht stand und überlegte mir noch eine genauere Lösung. Immer wieder driftete ich mit den Gedanken ab. Kalona hatte darauf bestanden zu fliegen, doch ich spürte ganz genau, dass er nicht weit entfernt war.

Der Bus hielt und ich sah auf. Ich nahm meine Tasche und verließ nach den anderen das Fahrzeug. Stark blieb stehen und wartete auf Darius. Hinter mir hörte ich, wie sie flüsterten. Kalona landete neben mir.

„Ich gehe nur ungerne mit nach unten.“, sagte er gedämpft.

„Ich weiß. Es tut mir Leid, dass du das auf dich nehmen musst.“, erwiderte ich.

Plötzlich wurde ich von hinten gepackt und herumgerissen. Ich konnte gerade noch die Arme heben, bevor mich eine Faust direkt auf Kopfhöhe traf. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Kalona auf Stark zustürmte. Im letzten Moment gelang es mir, mich zwischen die beiden zu stellen.

„Nein, hör auf, Kalona. Lass mich das machen.“, sagte ich zu dem gefallenen Krieger, ließ Stark jedoch nicht aus den Augen. Vorsichtig stellte ich meine Tasche ab, um Hikari nicht zu wecken.

Kalona murmelte irgendetwas, doch ich verstand es nicht. Weiterhin konzentrierte ich mich nur auf Stark.

„Was soll das, Stark?“, fragte ich.

„Ich will auch mal meinen Spaß haben. Eigentlich wollte ich nur wissen ob du dich verteidigen kannst.“, antwortete er.

„Na gut. Lass es uns rausfinden.“ Ich lächelte. „Ich wollte schon immer mal große Jungs verhauen.“, fügte ich hinzu und wirbelte herum.

Aus dem Schwung heraus, setzte ich einen Tritt auf Kopfhöhe an, doch Darius wehrte ihn ab und wich ein Stück zurück. Von beiden Seiten stürmten die beiden Krieger auf mich zu.

„Stopp mal.“, sagte ich und hob die Arme. Die beiden kamen nur wenige Zentimeter vor mir zum Stehen. „Könnten wir nicht erst mal etwas leichter anfangen? Irgendwas zum Aufwärmen wäre schon nett.“

„Okay, dann schlag was vor.“ Stark wirkte überrascht.

„hm… Okay.. Wie wär´s damit: Ich darf jede Waffe benutzen die ich will, genau wie ihr, doch zuerst kämpfe ich nur gegen Stark.“, überlegte ich und schenkte ihm mein unschuldigstes Lächeln.

„Wenn du meinst.“

Darius warf Stark sein Schwert zu.

„Willst du deine Waffe nicht nehmen?“, fragte er verwundert, als ich mich nicht auf die Suche nach einer machte.

„Ich trage sie immer bei mir.“, gab ich zurück.

„Gut, dann mach dich bereit.“, sagte Stark.

„Ich bin bereit. Fang an.“, bot ich an.

„Willst du keine Kampfhaltung annehmen?“, wollte er wissen.

„Nein. So ist es für mich leichter. Also los. Fang endlich an.“

Im Geiste rief ich schon mein Element zu mir, als Stark auf mich zu stürmte. Die Klinge seines Schwertes surrte durch die Luft und sauste auf meine Hüfte zu. Mein Arm begann zu kribbeln und schnell schob ich ihn zwischen das Schwert und meinen Körper. Das Schwert prallte an einer dicken Eisschicht ab und fiel klirrend zu Boden.

„Wow. Cool.“, kam es von Stark.

Er rollte sich über den Boden und schnappte sich sein Schwert wieder. Mit Schwung kam er auf die Füße und wehrte gekonnt meinen Faustschlag ab. Immer wieder schlug ich auf ihn ein. Immer schneller wurden meine Schläge und immer mehr Probleme bekam der Krieger. Doch plötzlich sprang er zurück um sich gleich darauf wieder auf mich zu stürzen. Die Klinge glänzte im schwachen Licht der aufgehenden Sonne.

„Hey Stark!“, rief ich, nachdem ich einen Satz zurück gemacht hatte. „Wirst du nicht langsam müde?“

„Nein. Kein Bisschen.“

„Dafür bist du aber ganz schön langsam.“

„Das war aber nicht nett.“, gab er zurück und ich setzte mein Unschuldigstes Lächeln auf.

„Aber wenn du meinst, dass dir das zu leicht ist, dann können wir das Ganze ja etwas schwieriger machen.“, fügte er hinzu.

„Klar gerne. Darius, kommst du?“, winkte ich den zweiten Krieger zu mir.

Stark und Darius bezogen wieder Angriffsstellung und zückten ihre Waffen. Die beiden sahen mich mit durchtriebenem Lächeln an. Ich betrachtete die beiden Krieger einen Moment und versuchte einzuschätzen wie gut sie waren. In Anbetracht der Informationen, die ich über die beiden hatte, waren sie viel zu stark für mich. Doch das hieß nicht, dass ich sie nicht auch austricksen konnte.

Ich überlegte kurz was das für Fakten waren. Stark war ein Roter. Er wurde von einem anderen House of Night hierhergeschickt, weil er seinen Mentor erschossen hatte. Nachdem er als roter Jungvampir wiedergeboren wurde, wurde er einige Zeit später der Krieger der mächtigsten Jungvampirin in unserer Geschichte.

Darius hingegen, war schon einige Zeit ein Sohn des Erebos, bevor er der Krieger von Aphrodite, der Prophetin der Nyx, wurde. Über ihn ist mir nicht sehr viel bekannt, doch da er schon länger ein Krieger war als Stark, musste ich mich vor ihm mehr in Acht nehmen. Es sei denn Stark würde Pfeile einsetzten, doch das Risiko war viel zu groß, dass ich dabei sterben würde.

Ein leises Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Jetzt stand Stark da alleine und Darius war verschwunden. Ich entsandte mein Element und spürte wie es sich im Raum ausbreitete. Mit geschlossenen Augen fühlte ich, wie sich die Kälte bewegte und wo sie gegen Gegenstände stieß. In meinem Kopf bildete sich der komplette Raum nach. Ich sah in alle Ecken und Winkel, drehte mich gedanklich um und fand Darius schließlich wenige Meter hinter mir. Er kam ganz leise auf mich zu geschlichen, machte kein einziges Geräusch, nur die Kälte waberte um ihn herum und zeigte mir jedes Detail seiner Bewegungen.

Eine Regung vor mir zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Stark kam ebenfalls auf mich zu geschlichen und hob sein Schwert. Darius näherte sich und tat es ihm gleich. Stark nickte kurz und beide stürmten auf mich zu. Ich riss die Augen auf und wirbelte herum. Aus der Drehung heraus verpasste ich Darius einen Tritt in die Magengrube noch bevor sein Schwert auf mich herab sauste. Ich wich der Klinge aus. Blitzschnell drehte ich mich zu Stark der sein Schwert durch die Luft schwang. Gerade noch rechtzeitig gelang es mir mich zu ducken.  Ich packte die Klinge und ließ so viel Kälte einfließen wie ich konnte. Fluchend ließ er seine Waffe fallen, die scheppernd zu Boden fiel.

Bedauerlicher Weise hielt ihn das nicht lange auf. Mit der Linken schlug er mir in den Magen und ich taumelte zurück. Übelkeit stieg in mir auf und ich rang nach Luft. Darius nutzte die Zeit. Mit nach vorn gerichteter Schwertspitze stürmte er auf mich zu. Mit einem Tritt gegen die flache Seite des Schwerts wehrte ich den Angriff ab. Doch Darius hinderte das nicht. Er hatte schon zum Sprung angesetzt um mich umzureißen, da konnte ich im letzten Moment eine massive Eiswand erschaffen gegen die er gegenprallte. Er strauchelte. Bevor er sich gesammelt hatte erschuf ich einen Eis-käfig. Immer wieder warf er sich dagegen um daraus zu entfliehen, doch das Eis war zu dick. Plötzlich wurde ich von den Füßen gerissen. Mit voller Wucht schlug ich mit dem Hinterkopf auf dem Betonboden auf. Kurz wurde mir schwarz vor Augen.

Nur mit großer Mühe blinzelte ich die Dunkelheit weg. Stark saß über mich gebeugt und hielt mir ein Messer an die Kehle. Seine Mundwinkel zuckten und bildeten ein schelmisches Bad-Boy-Lächeln. 

„Ich habe gewonnen.“, flüsterte er selbstzufrieden. Ich hatte immer noch Mühe klar sehen zu können.

„Das… das glaube ich eher nicht.“, brachte ich hervor und sah an ihm vorbei.

Er sah nach oben. Etwa zwei Meter über seinem Rücken schwebte ein Eisspeer, wie ein Damoklesschwert. Für einen kurzen Moment sank er bedrohlich nahe ab, weil mir wieder fast schwarz vor Augen wurde. Ich spürte wie mir die Kontrolle über das Ding entglitt. Mit aller Kraft versuchte ich es oben zu halten und packte Stark an den Armen. Ich riss ihn zur Seite, sodass ich so viel Schwung hatte, dass ich mit weg rollen konnte. Ich kam auf ihm zum Liegen, hörte, das Geräusch von brechendem Glas und spürte wie einzelne Splitter auf mich herab regneten. Dann driftete ich mit den Gedanken in die angenehme Schwärze ab, dich mich einhüllte.

Die Dunkelheit war angenehm. Ich spürte keinen Schmerz, keine Trauer, rein gar nichts. Doch viel zu schnell wurde ich wieder aus meiner Schwärze gerissen. Jemand strich mir durchs Haar und rief meinen Namen. Diese vertraute Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen und doch zum Greifen nah zu sein. Aber sie kam immer näher. Endlich ließ ich die Dunkelheit los. Ich riss die Augen auf und setzte mich kerzengerade hin.

Keuchend und nach Luft schnappend umklammerte ich mit dem einen Arm meinem Bauch und eine Hand legte ich auf den Mund um den Husten zu unterdrücken, der in meiner Kehle brannte. Nach einer Weile hatte ich mich wieder unter Kontrolle, atmete aber noch etwas schwer.

„Alles okay?“, fragte eine tiefe Stimme neben mir. Ich nickte und sah dem gefallenen Krieger in die besorgt blickenden Bernsteinaugen.

„Geht´s wieder?“, kam es von Stark. Wieder nickte ich nur und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Unter meinen Finger spürte ich Schweißtropfen.

„Warum ist es hier so warm?“, brachte ich mit krächzender Stimme hervor.

„Du hast dem Raum seine Kälte entzogen.“, erklärte Kalona.

„Cool.“ Ich konnte nicht lange bewusstlos gewesen sein, denn die Sonne schien immer noch nur schwach durch die Fenster im Bahnhofsgebäude. Ich blinzelte gegen das Licht an. Stark richtete sich träge auf und lächelte schwach.

„Tut mir Leid, Cat. Das war nicht meine Absicht.“

„Ist nicht schlimm. Alles okay.“, gab ich zurück und ließ mich von ihm auf die Füße ziehen. „Danke.“

Einen kurzen Moment hielt er meine Hand noch fest und dafür war ich sehr dankbar, denn ich kämpfte wieder mit einem leichten Schwindel, bei dem sich der Raum um mich drehte.

„Ich werde schlafen gehen. ´tschuldige nochmal.“ Damit ließ er meine Hand los.

„Schon gut. War ja nicht deine Schuld. Schlaf gut.“

Stark warf mir noch einen letzten entschuldigenden Blick zu und wand sich dann zum Gehen. Er verschwand in den Tunnel.

„Cat!“ rief Zoey die auf mich zukam. Kalona trat an meine Seite. „Cat, alles klar?“

„Ja mir geht’s gut.“, gab ich zurück.

„Ähm… Wir haben da ein kleines Problem…“, begann sie. „Wir haben derzeit nur ein eingerichtetes Schlafzimmer. Das heißt ihr beide müsstet zusammen in ein Zimmer.“ Sie sah zwischen dem Geflügelten und mir hin und her.

„Das ist kein Problem, denke ich.“, erwiderte ich und fuhr mir wieder mit der Hand durchs Haar.

„Das denke ich auch. Wir sollten uns dorthin zurückziehen, damit du dich ausruhen kannst. Dieser Kampf war sehr kräftezehrend für dich.“, meinte Kalona.

„Okay ich zeige euch den Weg.“ Zoey schritt voran.

Bevor wir ihr folgten nahm ich noch meine Tasche auf. Wir stiegen eine Leiter hinab und sofort umfing mich eine seltsame Enge, die mich zu erdrücken schien. Ich spürte Kalonas Unbehagen und sah zu ihm auf. Sein Gesicht zeigte nicht die kleinste Regung, doch ich wusste was er fühlte.

Nachdem wir zweimal abgebogen waren, zog Zoey einen Vorhang zur Seite und wies uns an, das Zimmer zu betreten. Es war ein gemütlicher Raum, indem ein großes Bett, ein Schreibtisch und ein Kleiderschrank standen. Gegenüber vom Bett befand sich eine Kommode mit einem Fernseher darauf.

„Das ist euer Zimmer.“, erklärte sie. „Schlaft gut. Bis morgen.“

„Danke. Schlaf du auch gut.“, gab ich zurück und sah wie sie den Raum verlies.

Seufzend ließ ich mich aufs Bett sinken und legte mein Gesicht in meine Hände. Diese Enge um mich herum machte mich nervös und ich hatte das Gefühl nicht atmen zu können. Ich war müde und erschöpft. Alles tat mir weh und meine Augen wurden schwer. Doch ich konnte nicht schlafen. Die beklemmende Enge schien mich zu erdrücken.

Hikari kroch aus meiner Tasche und machte es sich auf dem Kopfkissen bequem.Der geflügelte Unsterbliche setzte sich neben mich und ich spürte wie er mich musterte. Ich fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare und sah ihn dann an.

„Du bist müde. Du solltest schlafen.“, stellte er fest. Vermutlich musste er nicht mal meine Gefühle lesen sondern sah es mir direkt an.

„Ich kann nicht schlafen. Ich bin zwar müde und erledigt, aber ich kann einfach nicht schlafen. In letzter Zeit ist einfach zu viel passiert.“, erwiderte ich ein klein bisschen verzweifelt.

„Komm her.“ Er lehnte sich gegen das Kopfende des Bettes, schwang die Beine auf die weiche Matratze und zog mich in seine Arme.

„Stören dich deine Flügel bei so was nicht?“

Er lachte. „Nein, sie sind sehr bequem.“

Mein Kopf lag auf seiner muskulösen Brust. Unter seiner gebräunten Haut schlug sein Herz etwas schneller und als ich die Augen schloss, lauschte ich auf seinen gleichmäßigen Atem. Eine Hand legte ich auf seinen harten Bauch und spürte ein winziges Beben, das durch seinen Körper ging.

„Schlaf.“, flüsterte er. Seine Stimme klang rau, doch das nahm ich kaum wahr.  Die Dunkelheit schloss mich ein und umfing mich mit ihrem liebevollen Mantel der Zärtlichkeit. Eine wohlige Kälte breitete sich von meinem Herzen durch meinen ganzen Körper aus.

Kapitel 9

 Als ich die Augen öffnete, lag ich auf einer großen Treppe. Unter meinen Händen spürte ich das Eis, aus dem sie bestand und sah auf. Die wenigen Stufen führten zu einer unglaublich großen Flügeltür. Sie erinnerte mich an Geschichten die ich gelesen hatte. Normalerweise gab es dort, in der großen Tür eine kleinere und die große war nur Dekoration. Allerdings konnte ich keine kleinere Tür entdecken. Das Massive Eis aus dem die Tür bestand, war milchig, fast vollständig undurchsichtig. Mit einem leisen Knacken öffnete sie sich. Dahinter lag Dunkelheit.

Ich warf einen Blick zurück. Der große Hof war mit Statuen vollgestellt, die den Weg zierten. Alle schienen aus Eis zu sein und nur weil sie an manchen Stellen nicht vollständig durchsichtig waren, konnte man von weitem erkennen wen sie darstellten. Die eine Figur stellte eine junge Frau dar, die in einem aufwendigen Gewand eine Mondsichel über ihren Kopf hob. Eine andere zeigte eben diese Frau in einem Streitwagen, hinter dem Sterne aus Eis standen.

Ich erkannte die Frau sofort. In verschiedenen Posen standen Bildnisse meiner Göttin in diesem kalten Garten und schienen mit den Sternen und Monden die sie hielt, zu spielen. Das schwache Licht des Mondes ließ die Statuen schimmern und funkeln, was ihnen etwas Mystisches verlieh. Abgesehen davon war es ein normaler Garten. Aus Eis geformte Bäume ragten aus dem Schnee und Eisblumen in allen möglichen Formen wuchsen in kleinen und großen Beeten. Der Garten schien keinen Ausgang zu haben. Also war es nur möglich durch die große Tür zu schreiten, die mich einzuladen schien ein zutreten.  Mit Mühe richtete ich mich auf.

Es war schließlich nur ein Traum, was konnte da schon passieren? Ich hatte seine Handlung in der Hand. Doch vorerst würde ich ihn geschehen lassen. Erst später wurde mir klar, dass ich auf diesen Traum nicht den geringsten Einfluss hatte.

„Herzlich willkommen, Cat.“ Ich fuhr zusammen.

Wie aus dem Nichts war eine Frau in der Tür erschienen. Ihre Eisblauen Augen sahen mich freundlich an und ihre schneeweiße Haut schien in dieser dunklen Nacht fast zu leuchten. Das dunkel blaue Kleid, das sie trug, ließ ihren Körper so zerbrechlich wirken, dass man Angst haben könnte, er könnte zerspringen wenn man sie berührte. In einer leichten Brise wogten das lange Kleid und ihre schokobraunen Haare.

 Mit der Faust über dem Herzen, verneigte ich mich vor der Königin des Eises. Anmutig wie nur eine Göttin es konnte, schwebte sie die wenigen Stufen zu mir herunter und reichte mir die Hand. Ich zögerte kurz, unsicher, was sie nun erwartete. Doch sie nahm mir diese Entscheidung ab.

„Komm, mein Kind. Lass uns ein Stück zusammen gehen.“ Ich nahm ihre Hand und sie führte mich zum Fuß der Treppe, wo sie mich los ließ.

„Ist der Garten nicht bezaubernd? Es war wirklich nicht leicht, meiner Mutter in diesen Formen gerecht zu werden.“, begann sie und deutete auf die Eisfiguren.

„Nyx ist eure Mutter?“, fragte ich ungläubig.

„Ja, mein Kind. Sie ist eine wunderbare Person.“ Ihr Lächeln steckte voller Ehrlichkeit und Zuneigung und ich konnte einfach nicht anders als ihr es zu erwidern.

„Habt ihr auch Geschwister?“, wollte ich wissen und hoffte, dass diese Frage nicht zu privat war.

Sie lachte ein freudiges Lachen. „Du kannst mich ruhig Duzen, meine Liebe. Aber ja ich habe noch mehr Schwestern. Aber auch Brüder kann ich zu meiner Familie zählen.“ Nach einer kurzen Pause sagte sie: „Doch ich bin nicht hier, um von mir zu reden. Ich möchte mit dir über dich reden. Oder viel mehr über das, was in dir steckt.“

„Ich verstehe nicht ganz.“

„Setzt dich.“ Sie schien plötzlich so ernst zu sein, als sie auf eine Bank wies. Ich setzte mich und bewunderte sie für ihre Eleganz, als sie sich neben mich gleiten ließ. „Weißt du was der wahre Name ist?“

„Ja. Er beinhaltet die ganze Macht der entsprechenden Person.“, antwortete ich, überrascht, dass sie das Thema ansprach.

„Das ist gut. Hör mir gut zu. Du hast die Macht, Namen zu nennen. Tief in deinem Herzen sind die Namen verborgen, von denen, die ihn brauchen. Wenn der richtige Zeitpunkt da ist, dann wirst du diesen Namen wissen. Ich kenne nur zwei Namen. Einer ist mein eigener. Der andere jedoch, ist deiner, mein Kind. In dir schlummert große Macht und du wirst sie brauchen, wenn du schaffen willst, was vor dir liegt. Es war nicht Nyx Aufgabe ihn dir zu sagen. Von je her war ich diejenige, die ihn dir überbringen sollte. Glaubst du, du bist bereit?“

Darauf war ich nicht gefasst gewesen, doch nickte und sagte: „Ja, ich glaube ich bin soweit. Aber warum gerade jetzt?“

„Weil es einfach an der Zeit ist, dass du dich weiterentwickelst. Führe ihn in den Himmel, mein Kind.“ Sie nahm meine Hand noch bevor ich fragen konnte was sie meinte. Ganz tief in meinem Herzen wusste ich es allerdings schon längst. „Du solltest ihn so sehr lieben, dass du ihn gehen lassen kannst, wenn es so weit ist. Es ist nun mal besser, wenn er dahin zurückkehrt, wo er herkommt.“

Sie straffte die Schultern und richtete sich auf. Innerlich machte ich mich auf alles gefasst. „ Rosaly ist der Name der dir gegeben wurde. Cat ist der Name den du gewählt hast. Doch lausche deinem wahren Namen. Dem Namen, der dein Schicksal ist. Denn dein Name ist die Erlösung, Ririsu.“

Die Macht in der Stimme der Göttin, ließ die Eisfiguren vibrieren. Ich sah die Göttin an. Sie legte ihre Hand an meine Wange und Kälte breitete sich darunter aus. Feine winzige Risse bildeten sich plötzlich auf ihrer Haut.

„Mein Kind, ich habe getan was meine Aufgabe war. Erlöse ihn und tritt an meine Stelle. Du bist jetzt ich.“ Sie klang auf einmal so schwach und alt.

Die Risse breiteten sich weiter aus und sie ließ die Hand sinken. Mit einem lauten Knall zersprang die Göttin. Unendlich viele Eissplitter rieselten zu Boden. Um mich herum explodierten die Bäume. Blüten zerfielen und die Abbilder der Nyx zersprangen. Unter mir stürzte der Boden ein und ich viel in unendliche Dunkelheit.

Kapitel 10

 Ich riss die Augen auf und setzte mich kerzengerade im Bett auf. Mein Atem ging stoßweise und das Geräusch von zerspringendem Glas dröhnte in meinen Ohren. Erst als ich von hinten in den Arm genommen wurde, realisierte ich, dass ich nicht alleine war.

„Cat, alles ist gut.“ Die Stimme des Unsterblichen Kriegers drang durch den Lärm in meinen Ohren und ich klammerte mich daran als wäre sie eine Leine, die mich aus dem Chaos ziehen könnte.

„Cat, sieh mich an.“ Wie in Trance drehte ich den Kopf und blickte in bernsteinfarbenen Augen. Ich schüttelte den Kopf um diesen Lärm abzuschütteln, der unentwegt in meinem Innern dröhnte. Langsam wurde er leiser. Schließlich war er verklungen.

„ Hey, alles ist gut.“ Der Geflügelte setzte sich so, dass er mich in den Arm schließen konnte.

Ich legte den Kopf gegen seine Brust und hörte wie sein Herz raste. Seine Sorge schnürte mir die Luft ab, doch mit großer Mühe brachte ich zumindest meinen Atem unter Kontrolle. Ich spürte die reine Kraft in meinem Inneren, wie sie durch jede meiner Adern rann und sich in mir ausbreitete. Eine ganze Weile saßen wir so da. Der gefallene Krieger hielt mich im Arm und ich schmiegte mich an ihn.

Du solltest ihn so sehr lieben, dass du ihn gehen lassen kannst, wenn es so weit ist.  Die Stimme der Eisgöttin schwebte vor meinem inneren Auge. Es ist nun mal besser, wenn er dahin zurückkehrt, wo er herkommt.

Ich wand mich in Kalonas Griff. „Lass mich bitte los.“ Verwundert sah er mich an, ließ mich aber los. „Ich muss kurz alleine sein.“

Ohne eine Antwort abzuwarten stand ich auf, verließ das Zimmer und ging die Gänge entlang. Ich stieg die Leiter hinauf die aus den Tunneln führte und ließ mich draußen an einer Wand runter sinken. Der Schnee unter mir, gab mir etwas tröstliches, etwas ruhiges. Scheinbar hatte ich den ganzen Tag geschlafen denn der Mond stand hoch am Himmel. Mit einem Seufzen gab ich meine inneren Blockanden auf und ließ meine Gedanken kreisen.

… Ririsu ist also mein Name…
… Liebe ich Kalona wirklich so sehr?...
… Könnte ich ihn gehen lassen?...
…Ich soll Göttin des Eises werden?...
… Wie soll ich denn bitte eine Göttin ersetzten?...
… wann kann ich Kalona seinen Namen sagen?...
… Wessen Namen weiß ich noch?...
… Ich muss es den anderen sagen…
… Ich muss noch mit Thanatos reden…

Das Knirschen von Schnee riss mich ziehmilch unsanft aus meinem Gedankenwirrwarr. Stark bog um die Ecke. Abrupt blieb er stehen, als er sah, dass ich da saß. Er schenkte mich ein schiefes Grinsen und ein „Hi“ als Begrüßung.

„Hi.“, grüßte ich zurück. Er wollte schon weiter gehen, doch ich sagte: „Willst du dich nicht setzten? Deshalb bist du doch hier oder?“

Der Krieger ließ sich neben mich sinken. „Ja, eigentlich wollte ich kurz nachdenken. Aber ich will dich auch nicht stören.“

Ich winkte ab. „Nein, du störst nicht. Über was wolltest du denn nachdenken?“

„Ähm… versteh das jetzt bitte nicht falsch, aber ich wollte über dich nachdenken.“, gab er verlegen zu.

„Wie… hab ich das denn zu verstehen?“ Jetzt hatte er meine volle Aufmerksamkeit.

„Es ist jetzt nicht das was du denkst.“, warf er hastig ein. „Ich… ich habe einfach das Gefühl dich zu kennen.“

„Klar kennen wir uns. Wir sind in der gleichen Klasse.“, sagte ich gereizt.

„Nein, das meine ich doch gar nicht. Als ich dich das erste Mal gesehen habe, gerade als du gezeichnet wurdest und wir uns gar nicht kennen konnten, hatte ich das Gefühl dich schon ewig zu kennen.“, versuchte er zu erklären.

Das alles klang seltsam. Ich schickte ein stilles Gebet zum Mond hinauf, in dem ich Nyx um Antworten bat. Ich hoffte auf Ruhe und eine Zuflucht, vor diesem ganzen Chaos. Mit einem Mal spürte ich eine extrem große Macht. Noch bevor ich ihre Silhouette sah, spürte ich ihre Anwesenheit. Schnell sprang ich auf und verneigte mich mit der Faust über  dem Herzen.

„Cat, meine Tochter. Stark, mein Sohn.“ Ihre übernatürlich zarte Stimme klang wie Musik in meinen Ohren. „Meine Kinder, wie kann ich euch helfen?“

Auch Stark war mittlerweile aufgestanden und hatte sich verneigt. Wir richteten uns auf und sahen zu unserer Göttin empor.

„Nyx, wir hätten ein paar Fragen, auf die wir eine Antwort suchen. Wir hofften, dass du uns diese Antworten geben kannst.“

Die Göttin der Nacht, schenkte mir ein verständnisvolles Lächeln.
„Natürlich. Doch einige der Fragen musst du selbst beantworten, meine Liebe. Selbstverständlich kannst du sie nicht ersetzten, doch jetzt bist du die mächtigste Trägerin deiner Fähigkeiten. Benutze ihn weise, meine Tochter. Behüte ihn.“ Mich beschlich das leise Gefühl, dass sie mit dem letzten Satz nicht meinen Namen meinte sondern den geflügelten Unsterblichen, der unter unseren Füßen unruhig herum tigerte. Ich spürte seine Unruhe und Nervosität tief in mir drin.

„Und nun zu deiner Frage, mein Sohn.“, wandte sich die Göttin an den Krieger. „Es ist der Kreislauf des Lebens. Wir sterben und wenn wir bereit sind, werden wir wiedergeboren. Setzt euch und lasst mich euch eine Geschichte erzählen.“ Wir taten worum sie uns bat.

Ihre bleiche Gestalt schwebte näher und sie begann zu erzählen: „Vor vielen, vielen Jahrhunderten, lebte eine sehr mächtige Hohepriesterin und Herrscherin über Eis und Schnee, zusammen mit ihrem unbeugsamen Krieger, der sein Ziel mit Pfeil und Bogen niemals verfehlte. Zusammen kämpften die beiden gegen das Böse. Nach und nach ermüdeten ihre Gegner und die beiden wurden immer stärker.

Ihre Liebe zueinander überstand die schwere Zeit, doch eines Tages wurden die beiden geschlagen. Eines Tages fanden die beiden ihr Ende. Im Kampf gegen einen weißen Stier, wurde die Priesterin schwer verwundet und ihre Kräfte gingen zur Neige. Der Krieger wurde von dem Horn des Untiers durchbohrt, ohne, dass sie etwas dagegen tun konnte. Mit einem Lächeln auf den Lippen, aus Freude bei seiner Geliebten zu sein, starb der Krieger in den Armen seiner Königin.

Die Trauer über seinen Tod vernebelte ihren Geist und unter Tränen sammelte sie ihre gesamte Kraft. Die einsame Priesterin war fest entschlossen, Rache zu nehmen, oder ihrem Geliebten zu folgen. Ein Erbitterter Kampf folgte, bei dem der Stier ihre Wut aufnahm und gegen sie einsetzte. Ihre Trauer und ihre Wut waren so übermächtig, dass der Stier nur gewinnen konnte. Er quälte sie und saugte ihren Hass in sich auf. Letztendlich starb sie unter großen Schmerzen.

Im Hain meines Reiches trafen sie sich wieder. Der Krieger schwor ihr einen Eid. Er gelobte, sie immer wieder zu finden, egal wo sie war. Die beiden beschlossen, dass sie wiedergeboren werden sollten, in dem festen Vertrauen, dass sie sich eines Tages wieder sehen würden.“, beendete sie ihre Erzählung.

Schweigen legte sich auf uns und ich sah Stark in die Augen. Tränen brannten in meinen Augen und ich hatte Mühe den Kloss in meiner Kehle runter zu schlucken. Wir kannten uns schon seit Jahrhunderten und waren einst Krieger und Priesterin, Geliebter und Geliebte. Eine seltsame Vorstellung durch die ich Stark plötzlich mit ganz anderen Augen sah.

Dann schaute ich hinauf zu meiner Göttin, die uns musterte, mit einem Blick, der Weisheit und Klarheit zeigte. Doch ihre wunderschöne Gestalt begann zu verblassen. „Meine Lieben, das was ich euch heute erzählt habe, war vor vielen Jahren. Es sollte nichts an dem Jetzt ändern, in dem ihr lebt.“ Und mit diesen Worten war sie verschwunden. Stark und ich blieben allein zurück. Schweigend saßen wir da und starrten in den Schnee.

„Wow.“, durchbrach Stark schließlich das Schweigen, als er das Gehörte halbwegs verarbeitet hatte.

„Damit hätte ich nicht gerechnet.“, flüsterte ich und begegnete seinem Blick. „Okay, das wird mir zu viel. Ich muss nachdenken.“, fügte ich lauter hinzu und sprang auf.

Ich warf keinen einzigen Blick zurück, sondern stapfte direkt nach unten. In meinem Zimmer angekommen versuchte ich den Blicken des Geflügelten auszuweichen. Ich schnappte mir meine große Tasche und ging zum Vorhang, der das Zimmer verschloss. Davor blieb ich stehen, die Hand schon am Stoff.

„Bleib bitte hier, Kalona.“, bat ich den gefallenen Krieger und verschwand dann in den Gängen des Tunnelsystems.

Leise schlich ich mich wieder nach oben und verließ das Bahnhofsgelände. Mir war klar, dass ich mein Tattoo nicht verdeckt hatte, doch in dieser Nacht war es mir egal. Es gab so viele Dinge, die so viel wichtiger waren, als das. Im Schutz der Dunkelheit, ging ich die Straße entlang, ohne ein einziges Geräusch zu machen. Nicht einmal meine Schritte knarrten im Schnee, was ich vermutlich meiner neuen Kraft zu verdanken hatte.

Ich wusste wo mein Ziel war. Es lag ganz in der Nähe und ich spürte wie dieser Ort mich anzog. Vor einem kleinen eisernen Tor blieb ich stehen. Es quietschte als ich es öffnete und hinter mir wieder schloss. Alte Bäume säumten den Kiesweg, bis ich ihn verließ und durch die schmalen Reihen beschrifteter Steine wanderte.

Der Friedhof war in ein dunkles Schweigen gehüllt, eine seltsame Stille, die sowohl bedrückend als auch beruhigend war. Ich betrachtete ein paar der Grabsteine. Auf den meisten standen Sprüche, die zeigten, wie sehr die Toten vermisst wurden, dass sie an Gottes Seite sein würden, oder einfach nur der Name und die Daten. Auf fast allen Gräbern, standen Engel und Blumen, die ihre Blüten zur Nacht geschlossen hatten, zierten die letzten Ruhestätten, als wären sie kleine Gärten.

Am Ende der langen Reihe, aus Grabsteinen, befand sich ein ungewöhnliches Grab. Eine Trauerweide stand friedlich und unerschütterlich hinter dem kleinen Grabstein, auf dem ein besonderer Name stand. Ein wunderbarer Spruch war auf den glänzenden Stein gelasert worden und eine blühende Rose wurde an der Kannte herausgearbeitet. Auf dem Grab stand eine kleine steinerne Bank, die jeden der vorbeikam einlud sich zu setzten und sich einen Moment der Ruhe zu gönnen.

Ich folgte der stummen Einladung und setzte mich. Dieser kleine Ort, der Ruhe, war der einzige auf dem ganzen Friedhof, der nicht mit einer dicken weißen Schneeschicht bedeckt war. Die langen Zweige, der Weide hingen träge herunter und wogten sich im aufkommenden Wind.

Aus meiner Tasche, die ich auf den Boden gestellt hatte, brachte ich meine Geige hervor. Ich war glücklich, dass sie in die Tasche gepasst hatte, denn jetzt brauchte ich sie. Vorsichtig legte ich sie mir auf die Schulter und den Bogen an die Saiten. Kurz überlegte ich, welches Lied ich spielen sollte, doch dann fand ich das richtige.

Der Bogen glitt langsam über die Saiten und ließ eine langsame Melodie durch die stille Nacht schweben. Ton für Ton schwebte in den Himmel und erfüllte mich mit innerer Zufriedenheit. Mit geschlossenen Augen, ließ ich die traurige Melodie in mich ein strömen und genoss ihren süßen Klang. Von der Musik getragen, sah ich in mich hinein. Fragen über Fragen schwirrten durch meinen Geist. Unbeantwortete Fragen, auf die ich keine Antwort wusste.

Ich war also mal Starks Geliebte gewesen. Wie sollte ich damit umgehen? Wie wird Zoey damit umgehen, wenn sie das erfährt? Vermutlich werde ich mich wappnen müssen und auf alles gefasst sein. Ich würde in die Höhle des Löwen gehen müssen, doch was blieb mir anderes übrig? Mehr als mich umbringen konnte sie ja eh nicht. Und wegen Kalona, würde mir schon etwas einfallen. Vielleicht nahm ich das aber auch alles zu leicht und es war viel ernster, als ich dachte.

Innerlich seufzte ich, als mein Gedankenwirrwarr vom Rauschen gewaltiger Flügel unterbrochen wurde, mein Spiel jedoch, ging weiter. Das Stück neigte sich dem Ende und meine Bewegungen wurden langsamer. Die einzelnen Töne wurden leiser, bis sie schließlich verklangen, nachdem der letzte Takt gespielt war.

Ich öffnete die Augen und ließ die Geige sinken. „Setzt dich doch.“, bot ich dem Geflügelten an, der hinter mir an einem Baum gelehnt hatte.

Er setzte sich und betrachtete den Grabstein. „Was macht diesen Ort so besonders für dich?“, fragte er schließlich, sah aber nicht von dem Grabstein auf.

„Hier, genau an diesem Ort, liegt der Mensch, der mir am wichtigsten war. Oma Cathy war die einzige Person, die mir zur Seite stand, außer Jack. Sie war immer für mich da und als meine Eltern starben, wurde sie meine Familie. Sie starb, kurz nachdem ich ins House of Night kam. Ich war nicht da um ihr zu helfen, konnte ihr nicht zur Seite stehen, in ihren letzten Stunden. Ich konnte sie nur zu Grabe tragen.“

Der unsterbliche Krieger legte den Arm um mich. Es war eine einfache Geste, doch es reichte, um mir ein bisschen Trost zu spenden.

„Kalona?“

„Ja?“

„Gibt es jemanden, den du so sehr liebst, dass du ihn aufgeben würdest um… ihn noch glücklicher zu machen?“

„Warum fragst du mich das?“ Er klang ein bisschen verwirrt, doch sein Blick zeigte Besorgnis.

„Ich wollte es nur wissen.“, gab ich zurück und legte den Kopf an seine Schulter.

Kurzes Schweigen legte sich wieder über den Frieden dieses Ortes, doch es gab Dinge die ich einfach wissen wollte.

„Spürst du es? Die Magie dieses Ortes?“, fragte ich schließlich.

„Ja, es ist einfach unglaublich. Nie hätte ich gedacht, dass es solche Orte auf dieser Welt gibt. Doch jetzt hätte ich eine Frage an dich, wenn es für dich in Ordnung ist.“, erwiderte der Gefallene.

„Klar, frag was du willst.“

„Was hat Nyx zu dir gesagt?“ Ich fuhr zusammen und mein Herz setzte einen Schlag aus.

„Woher… Sie..“ Ich seufzte und kämpfte um meine Fassung. Ich musste ihm sagen, dass ich ihn erlösen musste. „Lass uns zurück zum Bahnhof gehen. Dort werden wir alles klären, zusammen mit Zoey und ihrer Truppe.“

Kurz spannte er sich an, doch ich wand mich aus seinen Armen. Vorsichtig verstaute ich meine Geige wieder in der Tasche und hängte sie mir um die Schulter. „Na komm.“, sagte ich und stand auf. Eine kleine Träne rann mir über die Wange, als ich einen flüchtigen Blick zurück auf den Grabstein warf. Doch in Wirklichkeit war es nicht das Grab, dem meine Träne galt. Ich würde Kalona vielleicht nie wieder sehen. Ich müsste ihn gehen lassen, obwohl ich mir meiner Gefühle ihm gegenüber nicht sicher war. Schnell drehte ich mich um, damit er nicht sah, dass ich weinte. Ohne, dass ich es verhindern konnte folgte eine zweite Träne.

Kapitel 11

 In den Tunneln unter dem Bahnhof war es still. Als ich die Küche betrat, war keiner dort. Gemütlich setzte ich mich auf einen Stuhl und holte wieder meine Geige aus der Tasche. Erneut legte ich den Bogen auf die Saiten und ließ ihn langsam darüber gleiten. Wieder ertönten die langsamen Klänge, die von den Wanden wiederhallten.

Für einen kurzen Moment vergaß ich, dass ich Kalona nie wieder sehen würde, wenn es soweit war. Ich vergaß, dass ich den anderen gleich alles erklären musste, sowohl das Gedicht, als auch meine Kraft.

„Wow…“, ertönte es hinter mir. Ich zuckte zusammen und ein schiefer Ton erklang von den Saiten. Ruckartig fuhr ich herum. Shaylin stand in der Tür und starrte mich an.
„Wow.“, wiederholte sie. Eine ganze Weile blieb sie einfach nur stehen und starrte mich an. Aber sie sah mir nicht ins Gesicht, nein. Sie fixierte meinen Rücken.

Nach einer Weile trat Zoey hinter sie. „ Hallo ihr zwei.“, begrüßte sie uns und quetschte sich an Shaylin vorbei. Als sie sah, wie diese mich ansah, zog sie die Augenbrauen hoch. „Shaylin, was ist los?“

„Oh man, wenn du das sehen könntest.“, gab sie zurück, scheinbar total fasziniert.

Stark trat in die Küche und setzte sich neben mich. Ich steckte meine Geige weg und fing seinen Blick kurz auf, bis er weg sah.

„Was stehst du hier so blöd im Weg rum?“, beschwerte sich Aphrodite und trat, dicht gefolgt von ihrem Krieger, in den großen Raum. Shaylin gab keine Antwort. Sie stand immer noch da wie angewurzelt. Wenige Sekunden später kamen Stevie Rea und Rephaim, gefolgt von Kalona.

„Wow! Die starrt dich ja an, wie´n verrücktes Reh im Scheinwerferlicht eines Trucks!“, sagte sie und fuchtelte mit der Hand vor Saylins Gesicht herum.

Doch ich nahm es kaum wahr. Ich sah zu dem geflügelten Unsterblichen, der in der Ecke des Raumes in der Nähe der Tür stand und das Geschehen beobachtete. Plötzlich richteten sich seine Bernsteinaugen auf mich und schnell wandte ich den Blick ab. Stattdessen sah ich zu Stark. Auch er bedacht mich mit einem Blick, doch in ihm sah ich Unsicherheit. Ich konnte ihn verstehen.

Ich räusperte mich. „Leute, könnt ihr euch bitte hinsetzen. Wir haben einiges zu besprechen.“, sagte ich und alle Anwesenden sahen mich an. Es folgte kurzes Schweigen, doch schließlich setzten sich alle. Selbst Shaylin.

„Also Leute, ich muss euch was sagen.“, begann sie und nun richteten sich die fragenden Blicke auf sie. „Ihr werdet´s nicht glauben. Sie hat Flügel!“ Alle starrten sie fassungslos an.

„Was hat sie?“, kam es ungläubig von Zoey.

„Sie hat Flügel. Ihre Aura schwebt nicht um sie herum. Sie hat sich zu Flügeln auf ihrem Rücken geformt.“, antwortete Shaylin aufgeregt. „Genau wie seine Flügel. Sie haben genau die gleiche Farbe, nur dass ihre mit silbernen und weißen Fäden durchzogen sind.“ Sie zeigte auf Kalona. Alle Augen richteten sich auf ihn und er schaute mich unschuldig an.

„Okay das ist seltsam, aber jetzt muss ich euch mehrere Dinge sagen.“, begann ich. Aus den Tiefen meiner Hosentasche kramte ich den Zettel, den Kramisha mir gegeben hatte. „Ich weiß was das Gedicht bedeutet. Ich kann euch die ganze Bedeutung sagen! Hört es euch an:

Erlöst von Eis
Schwarz wird weiß
Böse wird gut
nimm ihre Wut

Die Göttin vergab
Verschüttet das Grab
Sag seinen Namen
Pflanz guten Samen

Doch selbst das Rot
Ist nicht mehr tot
Gib Leben zurück
Und sei sein Glück

Erlösung in Licht
Siehst es nicht?
Der Name ist gut
Der in dir ruht

Beruhige dein Herz
Vergiss deinen Schmerz
Vergiss deine Tränen
Um den Namen zu erwähnen!

Nyx hat gesagt…“

„Moment, du hast mit Nyx gesprochen?!“, warf Aphrodite ein und unterbrach mich mit einer Frage, die sich eigentlich selbst geklärt hätte, hätte sie mich ausreden lassen. Mit Mühe und Not schaffte ich es, ihr keinen bösen Blick zuzuwerfen, sondern schenkte ihr ein Lächeln, nachdem ich kurz zu Stark gesehen hatte.

„Ja, das habe ich. Und das nicht nur einmal. Aber dazu später.“, antwortete ich ruhig. „Nyx hat gesagt, dass…“, ich brach kurz ab um Kalonas Blick einzufangen. Als ich weitersprach sah ich ihn unverwandt an. „Sie hat gesagt, dass ich Kalona erlösen soll.“

Die Augen, des Unsterblichen weiteten sich und unbehagliches Schweigen legte sich über die versammelten. Doch es war dieses Schweigen, das mich fertig machte. Kalona sah mich einfach nur an, seine Gesichtszüge waren von Unverständnis getränkt, bis sie zu einer undurchdringlichen Maske wurden. Selbst seine Gefühle schirmte er vor mir ab, nachdem er das Gesagte in sich aufgenommen hatte. Ich konnte diese Stille zwischen uns einfach nicht ertragen.

„Kennst du deinen Namen?“, fragte ich ihn unvermittelt und sah, wie er zusammen zuckte.

„Was ist das denn bitte für eine dämliche Frage?“, schaltete sich Aphrodite ein. „Natürlich kennt er seinen Namen.“

„Nein verdammt!“, fauchte ich.

Ich hatte so die Nase voll von ihr. Immer musste sie ihren Senf dazu geben, obwohl sie nicht das Geringste verstand. Wut stieg in mir auf. Schlagartig wurde es im Raum kälter. Der Atem der anderen bildete kleine Wolken in der Luft. Ganz langsam stand ich auf und beugte mich über den Tisch zu ihr herunter. Dort wo meine Hände die Tischplatte berührten, bildete sich eine feine Eisschichte, die sich immer weiter ausbreitete.

„Du solltest dich, um deiner Gesundheit willen, nicht in Dinge einmischen von denen du keine Ahnung hast. Keiner von euch kennt seinen Namen. Und ich meine nicht eure wertlosen Name, die ihr euch ausgesucht habt.“ Die Temperatur fiel immer weiter und mein Geduldsfanden wurde immer schmaler.

„Verdammt, ich rede von euren wahren Namen! Aber wenn man so beschränkt ist wie du, dann kann man wohl nicht anders, als einfach seinen Senf dazu zu geben, obwohl man keine Ahnung hat wovon überhaupt die Rede ist!“ Ich hatte nicht die Stimme erhoben, doch plötzlich lag solche Macht und Gewalt darin, dass es mich selbst wunderte. Scheinbar waren es Auswirkungen meiner neuen Kräfte.

Darius spannte sich an, scheinbar war er darauf gefasst, dass ich seine Freundin über den Tisch hinweg erwürgen würde. Ich sah schon wie er zu seiner Waffe griff. „Bleib locker. Ich werde sie schon nicht umbringen.“, sagte ich zu ihm.

Man konnte schon fast beobachten wie die Anspannung wich, doch seine Wachsamkeit ließ keine Sekunde nach. Aphrodite saß einfach nur mit weit aufgerissenen Augen mir gegenüber, ihr Gesicht noch blasser als normal. Scheinbar war ich wirklich furchteinflößend gewesen. Innerlich lachte ich mich kaputt, doch äußerlich war ich immer noch wütend.

Ich schloss die Augen. Mehrmals musste ich tief ein und ausatmen um mich zu beruhigen, oder wenigstens ein bisschen der Wut zurückzudrängen. Ein letztes Mal atmete ich ganz tief ein. Ich spürte, wie die Kälte zurück in meinen Körper kam. Sie kroch meine Arme hinauf und legte sich auf mein Herz.

„Ach was rede ich überhaupt mit euch. Ich weiß ja was ich machen muss.“, murmelte ich, eher zu mir selbst, als zu den anderen. Ich nahm meine Tasche vom Boden auf und wandte mich in Richtung Ausgang.

 Keiner sagte etwas. Keiner hielt mich auf. Keiner lief mir nach. Und so verließ ich die Tunnel, das Schweigen der anderen im Rücken. Meine Schritte hallten von den glatten Wänden wieder und waren das einzige Geräusch, das einzige, das mir zeigte dass es hier noch Geräusche gab.

Ich stieg die Leiter hinauf und verließ das Gelände. Der Mond stand hoch am Himmel und spendete mir ein bisschen Trost, während ich mich an eine Wand lehnte und ruhig da stand. Ich hätte nicht sagen könne, wie lange ich dort stand. Mein Zeitgefühl hatte ich irgendwo in meinem Gedanken- und Gefühlswirrwarr verloren. Es war mir auch nicht sonderlich wichtig, denn die Zeit hätte nichts geändert.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, spürte ich seine Präsenz. Der geflügelte Unsterbliche stand vor mir, die Arme vor der Brust verschränkt und sah zu mir herunter. Ich sah nicht auf, denn ich wusste, was ich zu sehen bekäme.

„Nein. Ich werde es dir nicht erklären. Später, aber nicht jetzt. Ich bin zu müde. Gib mir etwas Zeit.“

„Komm her. Ich bringe dich zurück zum House of Night.“, sagte er zu meiner Überraschung. Nun blickte ich hoch. Verständnis zeichnete sich in seinem Gesicht ab. „Komm her.“, wiederholte er und schloss mich in die Arme.

Ich seufzte. Es war schön einfach nur von ihm berührt zu werden. Es fühlte sich richtig an. Hikari kam auf uns zu und sprang wortlos in meine Tasche. Als der gefallene Krieger mich hochhob, legte ich den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Ein leichter Ruck durchfuhr seinen muskulösen Körper, als die Schwingen ausbreitete und sich in den Himmel schwang. Erst jetzt öffnete ich die Augen.

Unter uns glitt die Stadt vorüber, so klein wie Spielzeug. Doch sie war dunkel. Keine Lichter brannten in den Fenstern, nur die Straßenlaternen spendeten ein bisschen Licht, oder die wenigen Autos schoben kleine Lichtkegel von sich her. Selbst die Stadt lag im Schweigen. Die Nacht war wohl die Zeit der Stille.

Nach einer Weile tauchte das House of Night unter uns auf. Eigentlich wollte ich gar nicht, dass der Flug endet. Es war so ein schönes Gefühl, in den Armen eines unsterblichen Kriegers durch die Nacht zu schweben, als wären wir ein Teil des Himmels.

Kalona landete sanft auf dem Dach der Schule. Das Dach, von dem ich gefallen war. Das Dach, auf dem wir uns das erste Mal gesehen hatten. Vorsichtig setzte er mich ab und schaute mir tief in die Augen.

Seine Bernsteinaugen schienen mir direkt in die Seele zu sehen. Ich war der festen Überzeugung, er würde mich auf das Chaos ansprechen, das er dort fand, doch er tat es nicht. Stattdessen zog er mich an sich und hauchte mir einen sanften Kuss auf die Lippen, mit der versteckten Frage nach mehr.

Und dieses mehr gab ich ihm. Ich schlang die Arme um seinen Hals und zog ihn noch dichter an mich. Sein Körper erbete unter der Berührung meiner Lippen. Er vergrub eine Hand in meinem Haar. Die andere lag auf meinem Rücken. Doch das reichte mir nicht. Pures Verlange strömte durch jede meiner Adern, vermischte sich mit seinem, bis ich sie nicht mehr unterscheiden konnte. Der Kuss vertiefte sich, wurde intensiver.

Plötzlich kippte meine Welt und ich spürte den kühlen Schnee in meinem Rücken. Es interessierte mich nicht. Meine Hand glitt über seine Festen Bauchmuskeln, die bei jeder Bewegung unter seiner Haut spielten. Der gefallene Engel haucht mir ein leises Stöhnen auf die Lippen, doch es erstarb, als ich ihm wieder einen Kuss auf den Mund legte. Jetzt war es seine Hand, die über meinen Bauch fuhr. Sie glitt unter mein Top und strich über meinen Rücken. Sein Mund erstickte mein leises Stöhnen im Keim.

Auf einmal sah ich Jack vor mir, wie er mich anlächelte. Ich sah Kalona, wie ich ihm seinen Name zu flüsterte… und mit einem Schlag wurde mir bewusst, was ich hier tat. Mein Zögern, so kurz es auch war, ließ den gefallenen Krieger innehalten. Er wich vor mir zurück, nur ein bisschen, aber es reichte. Seine Gefühle verbarg er hinter einer undurchdringlichen Mauer.

„Ist schon okay.“, flüsterte er. Seine Stimme klang rau, was so gar nicht zu ihm passte. „Lass dir Zeit. Ich habe genug davon, um auf dich zu warten.“

Mit diesen Worten erhob er sich und flog davon. Ich blieb zurück. Alleine.

Kapitel 12

 „Cat, hier bist du! Ich hab dich gesucht.“, rief jemand hinter mir. Ich war die Gänge entlang geschlichen und auf dem Weg in mein Zimmer, doch Jessica hielt mich auf.

„Cat, Thanatos möchte dich sehen.“, brachte sie keuchend hervor. Anscheinend war sie auf ihrer Suche nach mir gerannt. Thanatos hatte also ihre Endscheidung getroffen.

„Danke, Jessica. Wir sehen uns.“, sagte ich über die Schulter hinweg, schon dabei zu gehen.

„Herein.“, kam es von der anderen Seite der Tür, als ich klopfte. Thanatos saß hinter ihrem Schreibtisch und musterte mich durchdringend. Ich verbeugte mich mit der Geste des Respekts.

„Sie haben nach mir geschickt. Ich nehme an, sie haben sich entschieden.“, sagte ich schließlich.

„Setzt dich, meine Liebe.“ Sie zeigte auf den Stuhl ihr gegenüber. „Du hast Recht. Ich habe meine Wahl getroffen. Trotzdem möchte ich deine Geschichte nochmal von Anfang an hören.“

Ich gab ein unterdrücktes Seufzen von mir. „Selbstverständlich.“, gab ich zurück. Ein leises Mauzen ertönte aus meiner Tasche und Hikari sprang mir auf den Schoß. Dann begann ich zu erzählen.

Ich erzählte ihr von Jack, wie er sich verändert und mir das Handgelenk gebrochen hatte. Ich erzählt ihr von dem Ball, von meinem Tattoo, meiner Aura, nochmal von dem Gedicht, den Begegnungen mit meiner Göttin, von dem Traum und meiner nun fast unendlichen Kraft. Ich erzählte ihr von den wahren Namen, von Kalonas Erlösung. Ich erzählte ihr alles… bis auf die Stellen mit Kalona, an denen wir uns näher gekommen waren. Die Herrin des Todes hörte sich meine Geschichte an, unterbrach mich nicht und stellte keine unnötigen Fragen. Als ich am Ende meiner Geschichte angekommen war, schwieg sie.

Einige Herzschläge lang, sagte sie nichts. Doch dann durchbrach sie die Stille: „Also gut. Ich gebe Kalona frei. Ich lege es in deine Hand, wann es an der Zeit ist, ihn gehen zu lassen. Er ist nun von seinem Schwur als mein Krieger entbunden.“

„Wie? einfach so? Keine Bedenken, keine Rückfragen? Sie geben einfach so ihren Krieger frei?“ Ungläubig sah ich sie an und war ganz erstaunt, dass sie ihn einfach so ziehen ließ.

„Ja, mein Kind. Es gibt für mich keinen Grund, Kalona hier zu behalten. Ich habe schon mit den anderen Lehrern gesprochen und sie halten die Idee von dem Ausscheidungskampf für einen sehr guten Einfall.“

Ihre ruhigen Augen musterten mich und warteten auf eine Reaktion von mir, doch ich konnte nicht anders als einfach nur ungläubig auf dem Stuhl zu sitzen. Hikari stupste mich kurz an, womit sie mich aus der Erstarrung riss.

„Okay. Danke.“ Begann ich ziemlich unangebracht und fügte dann vernünftiger hinzu: „Ich danke ihnen für ihr Vertrauen. Ich werde sie nicht enttäuschen.“

„Dessen bin ich mir sicher. Nun solltest du gehen. Schlaf ein bisschen. Du siehst ziemlich müde aus. Frohes Treffen, frohes Scheiden, frohes Wiedersehen.“

Mit einer tiefen Verbeugung verabschiedete ich mich und verließ zusammen mit Hikari das Büro.

Seufzend ging ich die Gänge entlang. Gelegentlich ging ein Lehrer an mir vorbei, den ich mit einem Nicken begrüßte und ihm ein gezwungenes Lächeln schenkte. Die Jungvampire, an denen ich vorbei kam, ignorierte ich soweit es ging. Im Mädchentrakt schaffte ich es, niemanden zu beachten und schlich hinauf in mein Zimmer.

Dort angekommen, setzte ich Hikari auf mein Bett und ließ meine Tasche fallen. Ohne groß zu überlegen ließ ich mich ebenfalls aufs Bett fallen und schloss meine müden Augen. Langsam driftete ich in mein Traumland ab. Hikari gab einen Seufzer von sich, nachdem sie sich neben mir zusammengerollt hatte. Den Tag m Bahnhof wollte ich nicht als Schlaf zählen, da ich ja eigentlich nicht wirklich geschlafen hatte. Es war mehr eine Vision. Oder vielleicht eine Art… Treffen um meine Macht zu vergrößern? Es ist schwierig s zu beschreiben, aber schlafen war es definitiv nicht.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Ich riss die Augen auf. Das war´s dann wohl mit dem Schlaf, dachte ich und stand gequält langsam auf. Ich schlurfte zur Tür und öffnete sie. James Stark stand mir gegenüber und musterte mich mit undurchdringlichem Blick. Zuerst war ich überrascht, doch das legte sich schnell, als ich mich an das Gespräch mit Nyx erinnerte.

„Was willst du Stark.“, sagte ich gereizt. Ich war müde und erschöpft.

„Wir müssen mit dir reden.“, gab er zurück.

„Wer ist wir?“ Ich rieb mir die Augen.

„Zoey, Aphrodite, Darius und ich.“ Er war seltsam kurz angebunden.

„Ich will nicht mit euch reden.“, erwiderte ich als ich Aphrodites Namen hörte. Ich wollte die Tür zuschlagen, doch bevor sie ins Schloss fallen konnte drückte Stark mit der Hand dagegen.

„Hör dir doch wenigstens an was wir zu sagen haben.“, forderte er und öffnete die Tür wieder ganz.

„Ich hab aber keine Lust.“ So langsam ging es mir echt auf den Keks, dass er da war.

„Ich will dich aber nicht dazu zwingen müssen, mit mir zukommen. Tu mir doch einfach den Gefallen und komm mit.“, bat er mit einer gewissen Herausforderung in der Stimme.

Ich seufzte und gab mich geschlagen. Ich hatte einfach keine Kraft um mich gegen ihn zu Wehr zu setzten. „Na schön. Ich komme. Warte kurz.“

Ich ging noch kurz zurück zum Bett und gab der schlafenden Hikari einen Kuss. „Ich muss kurz weg. Schlaf weiter, du brauchst mich nicht suchen.“ Dann drehte ich mich wieder zu Stark um. „Also los.“

Kapitel 13

 Zoey und Co. warteten in der Halle, wo die Söhne des Erebos normalerweise trainierten. Doch von denen war keiner zu sehen. Tja jetzt war es wohl soweit. Ich musste mich ihnen Stellen, obwohl ich so ausgerastet war.

„Cat, da bist du ja.“, sagte Zoey sichtlich erleichtert, dass Stark mich überreden konnte her zu kommen.

„Dank deinem Krieger. Wärst du gekommen wäre ich nicht mitgegangen.“, gab ich genervt zurück, woraufhin Zoey zwischen mir und Stark fragend hin und her sah.

„Was biste so angepisst, Frosti? Sei doch froh, dass wir dir ne zweite Chance geben. Wenn nach mir ginge, wären wir gar nicht hier.“, mischte Aphrodite sich schnippisch ein.

Ich warf einen schnellen Blick zu Darius, der hinter ihr stand. Er musterte mich eindringlich. Ohne mit der Wimper zu zucken sammelte ich meine Kraft. Ich schickte ein kleines Eismesser in Aphrodites Richtung. Es war so schnell, dass nicht mal ihr Krieger es sehen konnte. Kurz bevor es ihren Hals erreichen und durchtrennen konnte ließ ich es anhalten.

Ich schleuderte ihr ein überlegendes Lächeln entgegen. „An deiner Stelle, würde ich nochmal überlegen, wer von uns beiden die Überlegende ist. Schließlich wärst du jetzt tot, wenn ich Lust dazu gehabt hätte. Und glaub mir, du hättest es verdient.“

Mit großen Augen schielte sie auf das Messer an ihrer Kehle. Darius rührte sich nicht. Er war sich scheinbar ziemlich sicher, dass ich seiner Freundin nicht wehtun würde. Er starrte mich nur an.

Ich lachte. Ohne mich zu bewegen ließ ich das Messer zu mir zurückkommen und nahm es in die Hand. Kühl und leicht lag es auf meiner Haut. Langsam ließ ich es in meiner Hand verschwinden. Aphrodites Augen waren immer noch so groß wie Suppenteller und Darius musterte mich weiter.

„Du bist stärker geworden, als das letzte Mal.“, stellte er ruhig fest.

Ich grinste ihn an. „Ja, stimmt.“ Plötzlich war ich nicht mehr müde.

„Wie kam es dazu?“, wollte er wissen.

„Ich weiß meinen Namen.“, antwortete ich und warf Aphrodite einen bösen Blick zu. „Und zwar meinen wahren Namen.“

„Was ist denn der wahre Name?“, schaltete sich Zoey ein.

Mein Blick richtete sich auf sie. „Es gibt einmal den Namen, den eure Eltern euch gegeben haben, als ihr geboren wurdet. Es gibt den Namen, den ihr euch ausgesucht habt, als ihr ins House of Night kamt und den wahren Namen. Den wahren Namen tragt ihr von Geburt an in euch. Er beinhaltet große Macht. Keiner von euch weiß ihn, aber ich. Ich kenne meinen und bin dadurch noch stärker geworden, als ich es jemals für möglich gehalten hätte.“, schloss ich ab. Ich sah die anderen an.

„Aber was wolltet ihr eigentlich von mir? Warum sollte ich herkommen?“, wollte ich schließlich wissen, denn keiner hatte es für nötig gehalten, mich aufzuklären.

„Es geht nochmal um das Gedicht.“, antwortete Stark, da Zoey scheinbar erst die Nachricht verarbeiten musste. „Du hast gesagt, dass du wüsstest was es heißt. Wir würden es gerne wissen.“

„In dem Gedicht steht, dass ich Kalona erlösen muss. Das heißt ich muss ihn an Nyx Seite schicken indem ich ihm seinen wahren Namen sage.“

Alle sahen mich fragend an, doch Stark hatte noch mehr Fragen: „Und was ist mit Jack? Willst du dich nicht gegen ihn wehren? Du bist doch so stark, warum machst du denn nichts gegen ihn?“

„In dem Gedicht steht, dass er wieder gut wird. Ich habe versucht zwischen den Zeilen zu lesen und glaube, dass Kalonas Name nicht der einzige ist, den ich an seinen Träger weitergeben muss. Ich glaube, wenn ich Jack seinen Namen sage, wir er wieder gut und auch stärker als je zuvor.“

„Und was wenn er nur stärker aber nicht besser wird?“

„Der Versuch ist es mir wert.“

„Warum setzt du dich so für ihn ein? Er hat dich so verletzt. Warum tust du das alles?“, fragte Zoey plötzlich.

„A secret makes a woman a woman.”, gab schlicht zurück. Darauf wussten sie keine Antwort. Weil ich ihn liebe, dachte ich still für mich. Weil Kalona bald nicht mehr da sein wird und ich Jack schon immer geliebt habe.

Plötzlich machte mein Herz einen Sprung. Ich spürte ihn. Ganz in der Nähe. „Kalona! Komm her! Du brauchst da nicht die ganze Zeit sitzen.“, rief ich.

Ein dunkler Schatten ließ sich auf uns herunter fallen und landete fast lautlos neben mir. „Hier bin ich. Was wünschst du?“, fragte der gefallene Engel.

„Ich wünschte nur nicht, dass du uns die ganze Zeit belauschst, wenn du doch hier unten sein könntest.“, antwortete ich.

Die anderen sahen uns verdutzt an und ich musste lachen. Sie hatte es wirklich nicht bemerkt, dass sie belauscht wurden. Und das obwohl hier zwei Krieger standen, die es hätten wissen müssen. Auch Kalona grinste.

„Ihr habt noch viel zu lernen Krieger.“, lachte ich.

„Das ist wirklich seltsam.“, murmelte Darius. „Sie hätte ihn nicht mal durch die Prägung spüren können. Eine Prägung beinhaltet meinem Wissen nach, nicht, dass du ihn aufspüren kannst.“

„Und trotzdem ist es so.“, sagte ich.

„Oder es liegt an deiner neuen Macht. Ich wüsste gerne wie stark du nun wirklich bist.“

„Meinet wegen können wir gerne nochmal kämpfen. Wenn du Lust hast.“

„Sehr gerne.“

„Gut, dann mache ich aber auch wieder mit.“, wandt Stark ein.

„Kalona, machst du auch mit?“, fragte ich den Gefallenen. Er nickte nur.

Zoey und Aphrodite setzten sich auf Strohballen, die in der Halle lagen. Die drei Krieger bezogen Stellung vor mir und ich wappnete mich innerlich, beschwor mein Element und machte mich bereit. Stark und Darius hatten zu ihren Schwertern gegriffen, die sie immer dabei hatten. Kalona blieb waffenlos.

Ich holte tief Luft und erschuf in meiner Hand mein eigenes Schwert. Mein Element waberte um mich herum, voller Gier nach einem Kampf und bereit mich zu verteidigen, wenn es notwendig sein sollte.

Stark und Darius stürmten auf mich zu. Mit erhobenen Schwertern griffen sie an. Ich wich dem Schlag von Stark mit einer Drehung nach rechts aus und kreuzte mit Darius die Klinge. Er war mir an Kraft eindeutig überlegen und die Klingen kreischten, als sie aneinander rieben. Mit einem Sprung nach hinten wich ich zurück und duckte mich unter Kalonas Schlag hindurch. So viel Schwung wie ich aufbringen konnte, nutzte ich dazu um mich umzudrehen. Unterdessen ließ ich eine dicke Eisschicht auf meinem Fuß wachsen und trat dem gefallenen Krieger so fest in die Hüfte, dass das Eis splitterte.

Der Krieger taumelte zu Seite, doch schon sprang Stark über ihn hinweg. In meiner Hand manifestierte sich ein Eisschild, das ich schützend uns schob. Keine Sekunde zu früh. Die Klinge prallte daran ab. Schnell machte ich einen Schritt zu Seite um Darius Angriff zu entgehen. Ich duckte mich unter Kalonas Hieb hinweg und rammte ihm das Schild gegen die Brust. Darius stürmte von hinten wieder auf mich zu. Ihm schlug ich das Schild in Gesicht und machte einen riesen Sprung zurück um Abstand zwischen mich und die Krieger zu bringen.

Schwer atmend kam ich zum Stehen. Plötzlich war ich wieder so furchtbar müde. Meine Augen wurden augenblicklich schwer und die Umgebung verschwamm um mich herum. Stark nutzte diesen Moment der Schwäche und mir mit der Faust in den Magen.

Meine gesamte Luft wurde mir aus den Lungen gepresst und ich hustete. Übelkeit überkam mich und ich ließ mich auf die Knie sinken. Die Müdigkeit zusammen mit der Übelkeit, war eine grausame Mischung. Mein Atem ging stoßweise, als ich mich dazu durchringen konnte, wieder auf die Füße zu kommen.

Die drei Krieger hatten abgewartet, bis ich wieder stand, bis sie näher rückten. Das Eis um mich herum vibrierte vor Kampfgeist. Ich grinste boshaft, als ich dem Wunsch nachkam. Mit aller Kraft rammte ich die Spitze meines Schwertes in den Sandboden.

Ich spürte wie mein Element aus mir heraus glitt und in mein Schwert wanderte. Es schlich durch den Boden und ließ ihn gefrieren. Eis bildete sich über dem Sand und machte das kämpfen schwerer. Ich riss das Schwert aus dem Eis und richtete es wieder auf meine Gegner. Kurz verschwamm wieder die Umgebung, doch ich schüttelte die Dunkelheit ab. Das war meine Chance. Wenigstens Stark und Darius konnten so nicht so gut kämpfen. Kalona hatte sich schon in die Luft geschwungen.

Der Kampfgeist war in ihnen erwacht, angesichts der neuen Herausforderung. Kalona schoss auf mich herab und trat nach mir. Ich blockte den Angriff mit einem Gegentritt. Er wich zurück. Stark stürmte auf mich zu, langsamer als zuvor. Ich duckte mich unter der surrenden Klinge hinweg und stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. Darius griff an, doch ich sprang darüber hinweg und stieß ihn von mir.

Im letzten Moment konnte ich noch die Arme heben, denn Kalona schlug mir verdammt heftig ins Gesicht. Ich taumelte ein paar Schritte zurück und hatte gerade mal Zeit um mich zu ducken, da Darius ebenfalls auf mich einschlug. Ein harter Schlag traf mich an der Schulter. Für einen Moment konnte ich den rechten Arm nicht bewegen. Mit der linken Hand warf ich mit Eissplittern nach den drei Kriegern. Kalona schütze sich mit seinen Flügel, doch Stark und Darius mussten einiges einstecken und ließen vorerst von mir ab.

Ganz außer Atem stand ich für einen Moment da, ohne einen Muskel zu bewegen. Ich ließ das Eis kurz um mich herum wabern, bevor ich es durch den Raum schickte. Ich ließ es zu einem Windwerden, der sich in einen Sturm verwandelte und kleine Eisstückchen mit sich wirbelte. Kalona hatte Mühe sich in der Luft zu halten und die anderen beiden versuchten die Eissplitter abzuwehren.

Als der Sturm nachgelassen hatte, sank ich auf die Knie. Es war kräftezehrend gegen die drei zu Kämpfen. Stark kam auf mich zu gestürmt und schlug mit dem Schwert nach mir. Ich wich nicht aus, oder zuckte zusammen. Ich ergriff die Klinge und spürte wie eine kalte Flüssigkeit mein Handgelenk herunter rann. Ich musste nicht hinsehen um zu wissen, dass es mein Blut war. Es war kalt und roch nach frischem Schnee. Langsam stand ich auf, immer noch die Klinge in der Hand.

Stark starrte auf meine Hand und das Blut, das daran herunter tropfte. Ich packte ihn am Kragen, ließ die Klinge los und schleuderte den Krieger über das Eis. Mit einem weiten Sprung wich ich Darius aus. Im Rücken spürte ich plötzlich eine Wand.

 Ich sah mich um. Darius und Kalona standen etwas von mir entfernt. Ein Schrei ließ mich zusammenzucken. Schnell sah ich zu Stark. Etwas Rotes flackerte in seinem Blick. Er schloss kurz die Augen und sog die, nach Blut duftende Luft ein. Als er dann die Augen wieder öffnete, hob er den Bogen. Auf der Sehne lag ein Pfeil. Ein Pfeil, der sein Ziel nicht verfehlen würde.

Und da schoss der Pfeil auch schon von der Sehne. Er kam mir immer näher. Ohne darüber nachzudenken, ließ ich das Geschoss einfrieren. Mit einer knappen Handbewegung zersprang der Pfeil, nur wenige Zentimeter vor meiner Brust. Die Wucht drückte mich gegen die Wand.

Die Zeit plötzlich unglaublich langsam zu vergehen. Einen Herzschlag lang passierte nichts. Doch  Kalona war plötzlich an meiner Seite. Darius kam auf mich zu gerannt. Stark starrte mich geschockt an. Zoey schrie meinen Namen. Aphrodite glotze mich mit weit aufgerissenen Augen an.

„Cat.“, flüsterte Kalona atemlos.

„Alles gut.“, flüsterte ich zurück, den Schmerz in der Brust ignorieret. Doch langsam breitete sich eine unangenehme Kälte in mir aus.

Ich sah an mir herunter. Eine, in Eis eingefrorene Pfeilspitze steckte in meinem Brustkorb, genau dort wo mein Herz sich befand. Jetzt begriff ich, warum es so unglaublich schmerzte zu atmen.

 Ich sank auf die Knie und stützte mich auf die schmelzende Eisschicht. Ich keuchte und spürte wie mir Blut aus dem Mundwinkel lief. Plötzlich übermannte mich die Müdigkeit. Sie riss an mir, versuchte mich auf ihre Seite zu ziehen, doch das wollte ich nicht. Mit aller Kraft, die ich noch aufbringen konnte, zog ich ein Element zu mir heran.

Ich sammelte es um mich herum, ließ die Eisschicht auf dem Boden schmelzen und sog die Kälte in mich auf. Mit einer Hand riss ich mir die Pfeilspitze aus dem Fleisch. Blut klebte dran und floss aus der Wunde auf den Boden, doch das nahm ich kaum war. Mit der Hand zermalmte ich die Spitze und ließ die Splitter zu Boden fallen. Sein Pfeil hatte sein Ziel wirklich nicht verfehlt.

Unter den Geruch meines Blutes, mischte sich ein anderer. Auf einmal war der ganze Raum erfüllt von dem Geruch nach unsterblichem Blut. Doch ich konnte den Kopf nicht heben. Ich konnte nicht sehen woher das betörende Aroma kam. Ich konnte mich nur auf den Boden fallen lassen, wo ich dann reglos liegen blieb.

Aus weiter Ferne rief Darius meinen Namen, immer und immer wieder. Aber ich hörte es fast gar nicht. Ich spürte kaum, wie ich auf den Rücken gedreht und an einen muskulösen Körper gedrückt wurde. Doch ich konnte das Blut spüren, das mir die Kehle herunter rann, als mir etwas auf den Mund gedrückt wurde.

Der Geschmack vom Blut des gefallenen Kriegers, breitete sich in meinem Mund aus. Seine Kraft strömte in mich ein. Die Wunde brannte, doch ich konnte fühlen wie sie sich schloss, langsam aber stetig. Meine Kleidung klebte an mir, von Blut getränkt.

Kalona hatte Angst um mich. Ich spürte es, wie das Gefühl in mir aufstieg. Er hatte es wohl vor mir verborgen, doch die Prägung hatte sich verstärkt. Allerdings war die Angst nicht das Einzige, das sich in mir ausbreitete.

Dunkelheit zerrte an mir und wollte mich in die Arme schließen. Es wäre vermutlich besser gewesen, hätte ich mich ihr hingegeben, doch das unsterbliche Blut gab mir neue Kraft. Mit der Zunge fuhr ich über den Schnitt am Arm des Unsterblichen, woraufhin sich die Wunde sofort schloss. Ich öffnete die Augen, ohne zu wissen wann ich sie geschlossen hatte und wollte mich aufrichten, doch der Unsterbliche hielt mich zurück.

„Nein, bleib noch kurz liegen. Gönn dir doch etwas Zeit.“

„Liegen kann ich wenn ich tot bin. Zeit hab ich dann auch genug.“, gab ich zurück. Wiederwillig ließ Kalona mich aufstehen. Schmerz zuckte durch meine Brust. Der Raum drehte sich um mich herum, als würde ich in einem Karussell sitzen. Ich viel nach vorne, wurde jedoch von dem geflügelten Krieger aufgefangen. Er hielt mich so lange fest, bis ich alleine stehen konnte.

„Ich hab doch gesagt, du sollst dir Zeit lassen. Du Dummkopf, warum hörst du nur nicht auf mich.“ Ich sah ihm zwar nicht in Gesicht, doch ich konnte ihm anhören, dass er lächelte.

Plötzlich fiel mir Stark wieder ein und ich sah mich nach ihm um. Er war weg. „Wo ist Stark?“, fragte ich schwach.

„Er … er ist davongestürmt. Ich weiß nicht wo er hin ist.“, antwortete Zoey zittrig. Scheinbar war sie total überfordert.

„Ich muss zu ihm.“, flüsterte ich. Kalona war der Einzige der es gehört hatte.

„Du solltest nichts übereilen, Cat. Lass dir doch Zeit.“, bat er.

„Nein.“, hauchte ich. „Ich muss zu ihm.“

Und mit diesen Worten, löste ich mich aus Kalonas Armen. Langsam ging ich an ihm vorbei und ließ ihn und die anderen einfach zurück. Ich verließ die Halle und ging schwankend davon.

Kapitel 14

 Immer wieder musste ich mich an der Wand abstützen um nicht um zu kippen. Als ich das Gebäude hinter mir gelassen hatte, mussten Bäume dafür herhalten. Schließlich fand ich Stark an der östlichen Mauer, am Stamm der zertrümmerten Eiche.

„Stark.“, flüsterte ich. Mehr brachte ich einfach nicht zustande. Für mehr reichten meine Kräfte einfach nicht. Ich ließ mich neben ihn sinken und atmete schwer, als ich mich neben die Rinde des alten Baumes lehnte.

Er sah mich verwundert und geschockt an. „Wie… Was machst du hier?“

„Ich möchte… dir sagen, dass alles okay ist. Dass du dir keine Sorgen machen musst. Mir ist klar, dass… du das nicht extra gemacht hast.“, brachte ich keuchend hervor.

„Doch, Cat. Natürlich war es meine Schuld. Ich habe geschossen. Ich habe dich verletzt. Ich habe dich fast umgebracht. Es ist meine Schuld.“

Ich atmete tief durch und sprach dann mit fester Stimme: „Mag sein, dass du geschossen hast. Aber guck doch, Stark. Es geht mir gut. Ich lebe noch. Mach dir darum keine Sorgen. Wunden heilen wieder. Es ist nicht schlimm.“

„Für mich schon.“, murmelte er. Er sah traurig auf den Schnee hinunter, in dem wir saßen.

Langsam stand ich auf, versuchte den leichten Schmerz zu ignorieren, der noch immer durch meine Brust zuckte. Als ich endlich stand, baute ich mich vor Stark auf. Meine Hand sauste auf ihn herab und ich schlug ihn so fest ich konnte ins Gesicht. Der Krieger kippte in den Schnee und hielt sich mit geweiteten Augen die rote Wange.

Ich ließ mich über ihn sinken, so, dass ich über ihm hockte. Mit festem Griff zog ich ihn am Kragen etwas höher damit er mir in die Augen sehen konnte. „Verdammt, Stark!“, fachte ich ihn an. „Du bist ein Krieger. Es ist deine Aufgabe zu kämpfen. Wenn jemand Zoey angreift, darfst du auch nicht darauf achten, dass du deinen Gegner nicht verletzt. Ich dachte du wüsstest was es bedeutet ein Krieger zu sein. Es heißt, dass man kämpft!“

„Das weiß ich doch. Aber ich war dein Krieger! Ich hätte dir nie wehtun dürfen!“, rief er.

Ich zuckte zusammen. Er hatte Recht. Er war einst mein Krieger. Vor vielen Jahren. Ich ließ ihn los. „Das ist vorbei, Stark. Das ist Vergangenheit. Jetzt bist du Zoeys Krieger. Jetzt musst du sie beschützen. Du musst an ihrer Seite stehen.“

Er sah plötzlich müde und traurig aus. „Ich weiß. Aber trotzdem hätte ich dich nie verletzten dürfen. Es tut mir so leid, Cat.“

„Hey, es ist okay. Ich kann damit leben. Und jetzt hör auf dich selbst zu quälen und sieh ein, dass du ein Krieger bist.“

Stark sah mich mit festem Blick an als er antwortete: „Ich bin ein Krieger. Ich werde nicht dran zweifeln. Weder an mir, noch an meiner Kraft oder meiner Aufgabe.“ Es klang wie ein Versprechen, wie ein Schwur. „Danke, Cat.“, fügte er hinzu.

Ich lächelte schwach. „Kein Problem, S…“ Meine Stimme brach. Plötzlich war ich wieder unglaublich müde. Ich sah wie meine Welt kippte und plötzlich lag ich im Schnee. Nun war es Stark der über mir hockte.

„Cat, was ist los? Cat!“

Ich sah ihm tief in die Augen. Irgendetwas leuchtete da in seinen Augen. Es war nicht mein Gesicht, nicht die Umgebung. Es schien ein Wort zu sein. Erst war es blass und total verschwommen, doch langsam wurde es deutlicher. Ich stützte mich auf die Ellenbogen um das Wort besser sehen können.

„ähm… Cat, was ist los?“, fragte Stark verunsichert, doch ich ignorierte es.

Ich legte eine Hand an seine Wange, damit er nicht zurück wich. Langsam konnte ich einzelne Buchstaben erkennen.

„Wow.“, hauchte ich, als ich spürte wie Worte sich auf meine Lippen legten. „Stark ich kann es sehen.“

„Cat, was meinst du?“

„James Stark,“ Ich wollte das nicht sagen, doch die Worte huschten einfach so über meine Lippen. „Die Zeit ist gekommen. Du hast dein Sein akzeptiert und nun bist du bereit, deinen wahren Namen zu erfahren.“ Stark wich vor mir zurück. „ Dein Name ist Senshi, Krieger.“ Einige Herzschläge lang sagte er nichts, bewegte keinen Muskel. Dann machte er große Augen und begann zu lachen.

„Diese Macht. Wow. Das ist unglaublich!“, rief er dem Mond entgegen. „Das ist unglaublich!“

Auf einmal war mir furchtbar schlecht. Alles begann sich zu drehen, verschwamm vor meinen Augen. Ich ließ mich zurück in den Schnee sinken und verlor mein Zeitgefühl. Es schien nicht einmal eine Sekunde zu dauern, bis Stark mich hochhob. Ich spürte seine starken Arme um mich und die Macht die er ausstrahlte. Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnete ich die Augen und sah, das wir fast an der Halle waren, wo ich die anderen das letzte Mal gesehen hatte.

„Lass mich runter.“, forderte ich ganz leise. Er seufzte und setzte mich schließlich in den Schnee, so, dass ich mich an die Mauer lehnen konnte. „Kann es sein, dass sie dein Tattoo verändert hat?“

Er schien nicht verwundert. Eher gelassen und ruhig. „Das kann sein.“

„Zeig mir deinen Rücken.“ Ich wusste nicht warum ich mir plötzlich so sicher war, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich das richtige tat. Er knöpfte sein Hemd auf. Zum Vorschein kam ein ausgeprägtes Sixpack. Er streifte den Stoff ab und drehte sich um.

„Wow. Wie cool.“

Eine große Schneeflocke, die von einem Pfeil durchbohrt wurde, zierte seine makellose Haut. Das aufwendig verzierte Tattoo war unbeschreiblich schön und es zeigte nur die Wahrheit. Sein Pfeil hatte mich getroffen. Es war einfach atemberaubend. Stark streifte sich das Hemd wieder über, machte es jedoch nicht zu.

„Komm her. Ich bringe dich zu den anderen.“, sagte er und beugte sich zu mir herunter.

Unter seiner blassen Haut spielten seine Muskeln, als er mich hoch hob. Ich legte den Kopf gegen seine Schulter und schloss kurz die Augen. Da er so vorsichtig war, spürte ich nicht wie er ging. Ich genoss lediglich seine Arme um meinen müden Körper und den gleichmäßigen Rhythmus seines Herzens.

„Wie geht es ihr?“, fragte schließlich eine tiefe, vertraute Stimme.

„Mir geht es gut.“, sagte ich müde und öffnete die Augen. Stark ließ mich runter und ich brauchte einen kurzen Moment um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ich spürte Kalonas Besorgnis. „Mir geht es wirklich gut. Könnt ihr endlich mal aufhören euch die ganze Zeit Sorgen zu machen?“

Schweigen.

„Okay. Naja, wenn ihr meint. Aber ich werde jetzt in mein Zimmer gehen. Vielleicht kann ich ja ein bisschen Schlaf nachholen. Die Sonne geht in wenigen Minuten auf.“

„Ähm… Cat, kurz bevor Stark dich geholt hat ist der Mond gerade erst aufgegangen. Die Sonne wird noch einige Stunden nicht scheinen.“, sagte Zoey.

Ich schlug mir mit der flachen Hand vor die Stirn. „Na klasse. Dann gehe ich eben aufs Dach.“, beschloss ich. Anscheinend hatte ich doch geschlafen.  Aber warum war ich dann so müde? Wenn ich es mir recht überlegte war ich es nicht mehr. Die ganze Müdigkeit war verflogen. Vielleicht, weil mir Starks Name eine Last war. Vielleicht aber auch nicht.

„Ich werde dich begleiten.“, schlug Kalona vor.

„Nein, danke. Ich muss ein bisschen überlegen. Lass mir ein bisschen Zeit für mich. Aber du kannst nachkommen wenn du willst.“ Entschuldigend sah ich ihn an. „Tja Leute ich wird dann mal. Bis dann!“ Ich drehte mich auf dem Absatz um und verließ die Halle.

Kapitel 15

 Auf dem Dach angekommen, setzte ich mich an die Kante. Ich sah über das Schulgelände. Viele Bäume säumten die Gehwege und alte Straßenlampen gaben ein schummriges Licht ab, das den Schnee leuchten ließ. Es war wunderschön. Irgendwo aus den Tiefen meiner Hosentasche, kramte ich mein Handy. Ich suchte in meiner Playlist ein Lied aus und stellte es auf Dauerschleife. Kaum hatte ich auf Play gedrückte, da erklang auch schon die klare Stimme der Sängerin aus den Lautsprechern und sang das Lied „One last cry“.

Tja ich hatte Stark also seinen wahren Namen gesagt. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Ich dachte Kalonas Name würde der erste sein, den ich weitergebe. Aber das war scheinbar nicht der Fall. Naja, da kann man wohl nichts machen. Beinahe eine Ewigkeit saß ich auf der Kante und starrte einfach nur über das Schulgelände. Das Rauschen von Flügeln durchbrach die Stille.

„Schenk mir diesen Tanz.“, bat der gefallene Krieger.

Das Lied begann von vorn. Ich nahm die Hand des Engels und ließ mir aufhelfen. „Ich kann aber nicht tanzen.“, sagte ich zögernd.

Er lachte leise. „Natürlich kannst du das. Komm her ich zeige es dir.“ Der gefallene Engel legte meine Hand auf seine breite Schulter, wobei seine sich auf meine Hüfte legte. Schritt für Schritt glitten wir über das Dach. „Konzentrier dich nicht auf die Schritte. Lass dich von der Musik tragen. Lass sie dich durchströmen.“

Ich schloss die Augen und ließ mich einfach treiben. Plötzlich fiel es mir so unglaublich leicht mit dem Geflügelten Schritt zu halten, dass es sich anfühlte, als hätte ich das schon tausendmal gemacht. Schritt für Schritt. Ganz sachte. Wir schwebten fast über den Schnee, seine Flügel raschelten bei jeder Bewegung.  

Eine letzte Drehung und das Lied war vorbei. Der Unsterbliche zog mich noch ein Stückchen näher zu sich heran und legte seine Lippen auf meine. Wieder spürte ich seine Gefühle. Liebe, Sehnsucht, Verlangen. All das machte den Kuss noch intensiver, noch leidenschaftlicher.

Als wir uns voneinander lösten sah ich ihm fest in die Augen. „Kalona ich muss mit dir…“, begann ich, doch die Tür wurde aufgestoßen. Jack trat auf das Dach. Kalona spannte sich an. Langsam trat er zwischen Jack und mich.

„Cat, hier bist du. Ich habe die ganze Schule nach dir abgesucht. Ich muss mit dir reden.“ Er klang erleichtert.

Beschwichtigend legte ich dem gefallenen Krieger eine Hand auf den Arm. „Ist schon okay. Ich glaube er will wirklich nur reden.“ Dann wandte ich mich an Jack. „Über was willst du mit mir reden? Ich dachte ich hätte dir schon alles gesagt.“

Traurig sah Jack mich an. „Cat, es tut mir so unendlich leid, dass ich dir wehgetan habe und, dass ich dir all diese Probleme eingebrockt habe. Es tut mir so leid, dass ich dich alleingelassen habe, dass ich nicht da war um dir zu helfen und für dich da zu sein.“

Seine Entschuldigung klang aufrichtig und ehrlich. Ein Stein legte sich auf mein Herz. Ich vermisste ihn so sehr. Seine warmherzige Art, seine Fürsorge, alles. Er fehlte mir fürchterlich.

„Jack, es ist…“

„Nein warte. Bevor du etwas sagst, möchte ich dich noch etwas fragen.“, unterbrach er mich. Plötzlich kniete er sich vor mich, als wollte er mir einen Heiratsantrag machen, legte die Hand aufs Herz und sagte: „ Ich liebe dich Rosaly Simson. Ich möchte für immer an deiner Seite sein. Ich möchte für dich kämpfen und mein Leben für deines geben. Nimm meinen Eid als dein Krieger an und ich werde dich vor allem beschützen und dir immer beistehen. Nimmst du meinen Eid an?“

Ich war wie erstarrt. Er hatte mir seine Liebe gestanden. Er hatte mir den Kriegereid geschworen. Er hatte…sich an mich gebunden. Ich musste nur zustimmen. Als ich schon den Mund aufgemacht hatte um zu antworten, donnerte Kalona: „Weißt du überhaupt was es heißt ein Krieger zu sein? Du musst ihr mit Körper Herz und Seele zur Seite stehen. Glaubst du wirklich, dass du das kannst?“

„Ja, ich bin mir aller Risiken bewusst. Schon vor ihrer Wandlung wollte ich ihr sagen, dass ich sie liebe, doch dazu bin ich nicht mehr gekommen. Ich möchte mit ihr da weitermachen wo wir vor unserer Zeichnung aufgehört haben.“ Plötzlich fiel der Stein von meinem Herzen und löste sich auf.

Er sah mich an und wartete geduldig auf eine Antwort. Kalonas Trauer überflutete mein Herz. So viel hätte ich von ihm nicht erwartet.

„Erhebe dich Krieger.“ Meine Stimme klang erstaunlich fest, dafür, dass in mir ein verdammt großes Gefühlswirrwarr tobte. „Ich nehme deinen Schwur an. Von nun an bist du mein Krieger. Du bist mir verpflichtet, mit Körper, Herz und Seele. Und höre deinen wahren Namen. Er möge dich von dem Bösen in dir befreien. Höre deinen Namen Roter, denn er lautet Aka.“

Ich hatte keine Ahnung warum ich es sagte, doch es kam mir einfach so über die Lippen. Die Luft um uns herum knisterte und Jack schien in der Dunkelheit fast zu leuchten. Und plötzlich wusste ich wieder warum ich ihn geliebt habe. Seine wild abstehenden dunkelbraunen Haare glänzten und seine meeresblauen Augen sahen mich freudestrahlend an. Pure Energie waberte aus seinem muskulösen Körper wie Wellen. Plötzlich war er in gleißendes Licht getaucht und ich musste die Augen abwenden.

Als das Licht wieder weg war, hatte sich seine Mondsichel ausgefüllt und sein Tattoo hatte sich in Form von Wellen ausgebreitet. „Lass mich raten. Du hast eine Affinität zum Wasser?“, fragte ich, konnte mein breites Grinsen aber nicht verbergen.

„Jub. So sieht´s aus.“, gab er zurück.“

Ich rannte auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Ich war einfach so überglücklich ihn endlich wieder zu haben, doch Kalonas Gefühle mischten sich unter meine. „Nun da du ein Krieger bist, müssen wir ein spezielles Ritual abhalten. Komm Krieger.“ Seine Stimme war eisig und seine Miene verriet nicht ein einziges seiner tosenden Gefühle, doch was sollte ich sagen? Hey Kalona, entspann dich? Auf keinen Fall.

Ich ließ von Jack ab und beobachtete wie er dem gefallenen Engel durch die Tür folgte. Auf dem Weg zu einem geheimen Kriegerritual.

Kapitel 16

 Wiedermal wurden die Stille und meine wirbelnden Gedanken, vom Rauschen von Flügeln unterbrochen. Ich hatte mich inzwischen wieder an den Rand des Daches gesetzt und wartete auf die Rückkehr des gefallenen Engels und meines Kriegers. Ich würde mich wohl erst noch an den Gedanken gewöhnen müssen, jetzt einen Krieger zu haben. Vermutlich würde es eine ganze Weile dauern.

Nun setzte dich der Geflügelte neben mich. Kurzes Schweigen legte sich über uns. Doch die Frage brannte in meinem Inneren. „Wie soll es jetzt weiter gehen?“ fragte ich ihn.

„Was meinst du?“

 „Was wohl? Na unsere Prägung. Was ist damit?“

Er lachte leise ein freudloses Lachen.

„Das musst du ganz allein wissen. Du kannst mich vergessen und die Prägung brechen indem du mit ihm eine stärkere eingehst. Du kannst ihn seiner Pflichten entbinden. Oder du benutz ihn als Krieger und mich als Liebhaber. Das ist allein deine Entscheidung.“

„Ich könnte dich nie vergessen.“, murmelte ich. „Doch ich kann auch nicht zwei an meiner Seite haben, das kann ich einfach nicht, so sehr ich das auch will. Aber ich möchte ihn auch nicht seiner Pflichten entbinden, jetzt wo er gerade erst mein Krieger geworden ist.“

„Dann solltest du dich entscheiden, auf was du am ehesten verzichten kannst.“, sagte er so ruhig und gefühllos, als wäre es ihm egal. Doch ich spürte seine Gefühle ganz genau. Trauer. Verzweiflung. Und ein bisschen Angst.

„Ich habe eine bessere Idee.“, sagte ich und schwieg. Meine Augen füllten sich mit Tränen.

„Sagst du sie mir auch?“ Eine Träne rollte über meine Wange.

„Ich entbinde dich deiner Pflichten. Sowohl von denen als Schwertmeister des House of Night, als auch, als Krieger des Todes. Du bist frei Kalona.“

Ein schallendes Lachen hallte durch die stille Nacht. „Du hast das nicht zu entscheiden. Du kannst mich nicht einfach…“

„Und ob ich das kann Kalona.“, unterbrach ich ihn und erntete einen überraschten Blick. „Ich habe mit Thanatos gesprochen. Sie entlässt dich aus deinen Pflichten.“ Mein Blick wanderte zum Horizont und eine weitere Träne rollte über mein Gesicht. „Sie hat mir die Entscheidung überlassen, wann ich dich von deinen Aufgaben lossage. Ich habe mich entschieden.“

„Und was ist, wenn ich nicht möchte? Das House of Night braucht einen Schwertmeister. Neferet ist noch immer da draußen. Ich dachte diese Welt braucht mich. Ich dachte du brauchst mich.“

„Nein Kalona. Mit Neferet werden wir fertig. Doch wenn du uns helfen willst, dann tu es von Nyx Seite aus. Habe ein Auge auf jeden von uns, wache über uns alle. Ich habe jetzt einen Krieger den ich liebe. Ich habe Zoey und ihre Truppe an meine Seite, mit denen ich kämpfen werde. Trete wieder an Nyx Seite und kämpfe in ihrem Namen für Frieden auf dieser Welt.“ Immer mehr Tränen rannen über meine Haut und fielen in den Schnee, als ich aufstand.

„Natürlich brauche ich dich. Doch ich liebe dich so sehr, dass ich es nicht ertragen könnte wenn du hier bist, obwohl du an der Seite der Göttin stehen könntest. Du kannst etwas Besseres haben. Dem werde ich dir nicht im Weg stehen.“

Mit aller Kraft zog ich Kalona auf die Füße. Ich legte eine Hand in seinen Nacken und die andere über sein Herz. Langsam zog ich ihn zu mir herunter und legte sanft die Lippen auf seine. Nach einem kurzen Zögern erwiderte er den Kuss.

„Ich werde dich nie vergessen, Krieger. Tritt an die Seite unserer Göttin, Shokan.“, hauchte ich ihm ins Ohr.

Bei der Nennung seines wahren Namens trat ich einen Schritt zurück. Die Augen, des Engels weiteten sich. Er sank auf die Knie, starrte mich aber weiter an. Hinter ihm wurde die Tür zum Dach aufgestoßen und Stark, Zoey, Darius, Aphrodite und Jack stürmten raus. Ich bemerkte, dass Jack ein Schwert in der Hand hielt.

Als ich wieder zu Kalona sah, hatte er sich vorn über gebeugt, die Flügel vom Körper weggestreckt, als wollten sie sich von seinem Körper lösen und einfach weg fliegen. Ruckartig richtete er den Blick gen Himmel und schrie dem Mond entgegen.

All seine Macht, seine ganzen Gefühle, lagen darin. Es war ein atemberaubendes Spektakel. Nachdem der gewaltige Ruf in der Nacht verklungen war, ging ich auf ihn zu. Ich legte ihm die Hand auf die Wange und sah ihm fest in die strahlenden Augen.

„Kalona, gefallener Krieger der Nyx, dir wurde vergeben.“, flüsterte ich und neue Tränen rollten über mein Gesicht.

Eine riesige Lichtsäule erschien um uns herum und hüllte uns ein. Man konnte sehen, wie das weiche Licht vom Mond auf uns herunter fiel. Ich kniete mich hin und wurde von dem Krieger in die Arme gezogen. Eine kleine Träne fiel mir auf die Wange. Als ich hochsah, bemerkte ich Kalonas Gesichtsausdruck. Es lag so unbeschreiblich viel Sehnsucht darin. Trauer mischte sich dazwischen und Dankbarkeit überlagerte alles.

„Danke.“, flüsterte er so leise, dass ich es über mein dröhnendes Herz hinweg fast nicht gehört hätte.

Der Kreis aus Licht wurde kleiner, als Kalona mich mit sich auf die Füße zog. Bis das Licht weg war, hielt er mich weiter fest. Sofort wurde mein Blick von seinen Flügeln angezogen. Schnee. Seine Flügel hatten die Farbe von unberührtem Schnee. So herrlich weiß und unbefleckt. Das war Nyx Krieger mit all seiner Macht.

Der geflügelte Krieger richtete sich dem vollen Mond entgegen, breitete Arme und Flügel aus und lachte das freudigste Lachen, das ich je gehört hatte. Mir viel gar nicht groß auf, dass seine Hose plötzlich auch weiß war, denn das war mir fast egal. Aber Kalona so zu sehen, berührte mein Herz.

„Danke, Cat. Danke für alles.“

Ich schloss die Arme um ihn. „Ich habe nichts gemacht. Ich liebe dich nur so sehr, dass ich dich gehen lassen kann, um dir ein besseres Leben zu ermöglichen.“

„Und genau das hebe ich gebraucht.“, flüsterte er dicht an meinem Mund.

Er küsste mich so intensiv, dass mir die Luft weg blieb, doch ich genoss es. Das würde das letzte Mal sein, dass ich das tun konnte. Ich genoss den Geschmack seiner Lippen, das Gefühl, wenn sie meine berührten.

„Danke.“, wiederholte er und trat einen Schritt zur Seite. „Zoey, Aphrodite, ihr werdet einmal sehr mächtig sein. Vergesst nicht, vorsichtig zu sein, auch wenn ihr sehr gute Krieger an eurer Seite habt. Stark, Darius, passt gut auf eure Königinnen auf.

Jack, ich verlasse mich drauf, dass ihr kein Leid geschieht. Ich bitte dich meinen Platz einzunehmen und Schwertmeister dieser Schule zu werden. Du wirst es sehr gut machen, das weiß ich. Ich werde immer über euch wachen. Seig gesegnet.“

Langsam wurde seine Gestalt blasser. Ich stellte mich neben meinen Krieger. Er, Stark und Darius hatten ihre Schwerter gezogen, die Spitze auf den Boden gestellt und dich in respektvollem Gruß, mit der Faust auf dem Herzen, dahinter gekniet. Auch Zoey und Aphrodite hatten sich auf die Knie sinken lassen und verbeugten sich mit der Faust über dem Herzen. Ich tat es ihnen gleich.

Der Krieger der Nyx wurde immer blasser, doch bevor er gänzlich verschwand legte auch er die Faust aufs Herz und verneigte sich. Ich sah wie eine letzte Träne seine Wange hinunter rann und in den Schnee fiel.

Die Zeit verging...

 

Die Tage zogen ins Land. Jack wurde der neue Schwertmeister des House of Night und wir führten eine wunderbare Beziehung. Neferet wurde weiterhin von Zoey und ihrer Truppe bekämpft. Und ich? Tja ich schrieb unser Abenteuer auf. Ich veröffentlichte es und hatte einen kleinen Erfolg damit. Oder was meinst du?

Einmal in der Woche, ging ich hinauf auf das Dach. Dem Ort wo alles begonnen und schließlich sein Ende gefunden hatte. An jedem dieser Tage, legte ich eine weiße Rose an den Abgrund. Jedes Mal hatte ich das Gefühl, Nyx Krieger würde mit meiner Göttin im Arm hinter mir stehen, doch wenn ich mich umdrehte waren sie weg. Und mit ihnen die Rose.


 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.05.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An alle Fans von House of Night. Das ist für euch Leute!

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