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Characters:
• Janica
- 15 Jahre alt
- mittelgroß
- sportlich
- lange braune Haare
- grüne Augen


• Lillian
- 15 Jahre alt
- mittelgroß
- weiblich
- lange blonde Haare
- blaue Augen


• Valentino
- 16 Jahre alt
- groß
- stark
- etwas längere braune Haare
- braune Augen


• Leano
- 16 Jahre alt
- groß
- stark
- halblange braune Locken
- grüne Augen


• Paco
- 17 Jahre alt
- groß
- muskulös
- kurze blonde Haare
- grau-blaue Augen


• Soraya
- 16 Jahre alt
- klein
- weiblich
- lange schwarze Locken
- braun-schwarze Augen


• Janicas/Pacos Großmutter: Katharina Langendorn
• Lillians/Sorayas Eltern: Daniel und Rosa Frey
• Valentinos/Leanos Eltern: Edward und Silvana von Hohentrauern


„Janica!? Janica, wo steckst du?!“ Lilians Stimme schallte durch den Wald. Janica hörte sie zwar rufen, antwortete aber nicht. Sie saß mitten in einer Blumenwiese. Neben ihr graste Fjalla.
„Janica! Jetzt komm endlich!! Es wird bald dunkel und deine Großmutter macht sich bestimmt schon Sorgen um dich!“
Janica sah zum Himmel. Die Sonne stand schon ziemlich tief und würde bald untergehen. Ihre letzten warmen Strahlen kamen nur noch mühsam durch die Bäume.
Seufzend stand Janica auf, band Fjalla los und ging in die Richtung, aus der Lillis Stimme kam.
Lilli. Ihre beste Freundin, seit sie denken konnte. Und das, obwohl Lilli ihr ganzes Gegenteil war.
Durch ihre freundliche, offene Art, mochte jeder im Dorf sie. Außerdem hatte sie im Gegensatz zu ihr noch beide Eltern. Ihre Eltern waren bei einem Unfall an ihrem 10. Geburtstag gestorben. Selbst nach 6 Jahren, wusste sie noch jede Kleinigkeit. Die Kutsche war verziert und so groß, dass ihre ganze Familie hinein passte. Ihr Vater auf dem Kutschbock, ihre Mutter, ihre Großmutter, ihr Bruder und sie in der Kutsche drin. Einmal in einer Kutsche fahren, war damals ihr größter Traum. Das wussten ihre Eltern und sie schenkten ihr diesen Wunsch.
Als die Kutsche sich in Bewegung setzte, konnte sie ihr Glück kaum fassen. Es war der schönste Tag ihres Lebens. Dachte sie.
Sie kamen aus dem Wald, auf einen holprigen Feldweg. Eine Krähe flog über die Pferde und krächzte so laut, das die Pferde durchgingen. Sie galoppierten los, und die Kutsche geriet völlig außer Kontrolle. Als sie über einen großen Stein fuhren, brach die Achse der Räder. Sie wurden aus der Kutsche geschleudert. Paco, ihre Großmutter und sie, landeten im Gras. Aber ihre Eltern nicht. Ihr Vater wurde vom Bock mit dem Rücken auf einen spitzen Stein katapultiert. Sie konnte das furchtbare Geräusch krachender und knackender Knochen bis heute in ihren Ohren hören. Ihre Mutter wurde gegen einen Baum geschleudert. Auch das Geräusch der knackenden Knochen ihrer Mutter verfolgte sie bis heute.
Mit einem grauen Gesicht lag ihr Vater im Dreck. 5m weiter lag ihre Mutter seltsam verdreht an einem Baum.
Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie rannte zwischen ihren Eltern hin und her. Rüttelte ihren Vater, wie sie es oft getan hatte, als sie ihn wecken sollte. Immer wieder und immer wieder rüttelte und schüttelte sie ihn. Sie schrie verzweifelt seinen Namen und versuchte ihn wach zu machen. Aber er reagierte nicht. Er gab keine brummigen Laute von sich, wie sonst wenn er weiterschlafen wollte. Sie rannte zu ihrer Mutter und versuchte dasselbe bei ihr. Sie rüttelte sie, schüttelte sie und rief weinend ihren Namen.
Auch ihre Mutter bewegte sich nicht mehr. Sie lag mit einem, vor Schmerzen verzogenem Gesicht auf dem Boden und hatte die Augen zu.
Weinend und schreiend versuchte Janica immer und immer wieder ihre Eltern wach zu machen.
Warum wollten sie nicht aufstehen? Es war doch mitten am Tag. Sie konnten doch nicht einfach weiterschlafen.
Irgendwann, als es bereits dämmerte, sah sie ein, dass ihre Eltern nie wieder wach werden würden.
Sie sah zu ihrem Bruder und ihrer Großmutter.
Nie hatte sie Paco weinen sehen.
Heute, an ihrem Geburtstag weinte er. Still und leise. Auch ihre Großmutter weinte. Sie hatte ihren Arm um die Schultern von Paco gelehnt und tröstete ihn. Immer noch weinend gingen sie still und langsam zum Haus von Katharina.
Seit diesem Tag, feierte Janica nie wieder Geburtstag. Sie wollte keine Glückwünsche, Geschenke oder Feste. Zu tief, hatte sie der Verlust ihrer Eltern getroffen.
Ihr Geburtstag, war der Grund warum ihre Eltern nicht mehr lebten. Hätte sie nicht Geburtstag gehabt, würden ihre Eltern vielleicht nicht tot sein.
Die folgenden Wochen und Monate, waren voller Trauer und Einsamkeit für Janica. Einzig und allein ihr Bruder, ihre Großmutter und ihre beste Freundin Lilli, halfen ihr, mit diesem Erlebnis fertig zu werden.
Nie sah man Janica lachen... ab und zu lächeln aber niemals lachen. Sie verschloss sich und wollte mit kaum jemandem etwas zu tun haben. Mit der Zeit kehrte wieder Leben in sie zurück aber richtig überwunden, hatte sie dieses Erlebnis nie.

Heute, 5 Jahre später, hatte sie ihre Trauer fast überwunden. Sie lebte, lachte und versuchte fröhlich zu sein. Der wichtigste Mensch in ihrem Leben, war ihr großer Bruder Paco. Mit ihm konnte sie reden und lachen, weinen und schreien. Sie halfen sich gegenseitig, alles zu verarbeiten.
Aber niemals, konnte sie vergessen, was an ihrem 10. Geburtstag passierte.

„Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du hast dich verlaufen.“ Lilli lächelte Janica an.
„Wo warst du denn??“
„Auf der Wiese dahinten. Ich wollte alleine sein...“
„Ach Janica. Warum willst du immer allein sein? Ich versteh dich einfach nicht. Wenn du nicht mich, Fjalla oder Paco hättest, was wärst du dann für ein Mensch? Ich habe noch nie verstanden wie du statt tanzen zu gehen lieber alleine mit Fjalla ausreitest. Warum kommst du nicht mit tanzen? Ich weiß, dass es dir viel Spaß machen wird.“
„Lillian du weißt, dass ich mir nichts aus Tanzen, Festen und vor allem Geburtstagen mache. Und du weißt, dass ich meine Fjalla über alles liebe. Genauso wie die Natur und den Wald. Ich bin sehr gerne allein und das weißt du auch. Ich hasse es auf Feste zu gehen. Ich meide die meisten Menschen aus unserem Dorf und du weißt warum. Ich habe keine Lust, mich mit den Fragen unserer Dorfbewohner aus einander setzen zu müssen. Also bitte. Hör auf mich auf Feste mitnehmen zu wollen.“
„Ach Janica. Ich kann dich einfach nicht verstehen. Ich bin seit über 10 Jahren deine beste Freundin und trotzdem werde ich nicht schlau aus dir.“
Janica sagte nichts darauf und lächelte nur vor sich hin. Lilli war einfach unverbesserlich. Sie würde nie lockerlassen wenn es darum ging, sie zu überreden mit auf Dorffeste zu kommen. Aber sie hatte ihre eigenen Gründe, weshalb sie es vorzog allein zu sein. Allein wurde man nicht gestört, man konnte seinen Gedanken nachhängen und man konnte machen was man wollte. Träumen, oder sich Geschichten ausdenken.
Janica liebte Geschichten. Als sie noch klein war, hatte ihre Mutter ihr immer aus einem großen dicken Buch vorgelesen. Lächelnd dachte sie an diese Zeit zurück. Der Schmerz, den sie beim Gedanken an ihre toten Eltern noch immer verspürte, war am erträglichsten wenn sie allein mit Fjalla im Wald war. Ihre Stute Fjalla. Sie war das wertvollste, was sie besaß. Es war, als wäre sie mit Fjalla durch ein unsichtbares Band verbunden. Wenn es ihr schlecht – sehr schlecht – ging, ging es auch Fjalla nicht gut. Anders herum, wenn sie gute Laune hatte, schien es, als ob das auf Fjalla abfärben würde. Es war merkwürdig.
Lilli redete dann ja immer sofort von Magie und Zauberei.
Und obwohl Lilli ihre beste Freundin war, war Janica an manchen Tagen wirklich genervt von Lillis guten Laune und ihrem übermütigem Wesen. Es war nicht zum aushalten. Egal ob tanzen, singen, Blumen pflücken...ihr fielen immer solche Dinge ein. Aber vielleicht lag es auch einfach daran, dass Janica es einfach nicht gewohnt war, in ihrer Ruhe und Nachdenklichkeit gestört zu werden.
...obwohl...nach über 10 Jahren Freundschaft müsste selbst der eigenbrötlerischste Mensch an so etwas gewöhnt sein.
Eigenbrötlerisch...war sie wirklich eigenbrötlerisch? Sie ging nicht gern unter Menschen und hatte ihre eigene kleine Welt...aber war sie deswegen eigenbrötlerisch? Sagten die Menschen in ihrem Dorf hinter ihrem Rücken sowas über sie? Zuzutrauen wäre es den ganzen Tratschtaschen und Waschweibern. Ein Mädchen, das am liebsten allein war und mit den meisten Leuten nichts zu tun haben wollte, war wahrscheinlich Grund genug, um sich wochenlang das Maul zu zerreißen.
Oh wie sie diese alten Klatschweiber verabscheute.
„Janica? Warum guckst du so böse? Ist etwas passiert?“
„Hm? Nein, nein. Es ist alles in Ordnung...ich dachte nur gerade an die alten Tratschweiber aus dem Dorf und wie sie sich beim Wäsche waschen das Maul über mich zerreißen.“
„Oh Janica. Du erstaunst mich wirklich immer wieder. Ich dachte es ist dir egal, was andere Leute über dich denken.“
„Ist es doch auch. Es ist mir gleich ob man mich für übergeschnappt oder unnormal hält. Nur frage ich mich, ob ich eigenbrötlerisch bin?“
„Eigenbrötlerisch? Warum solltest du? Du hast mich, deine Fjalla, Paco, deine Großmutter, Soraya... warum in aller Welt denkst du, dass du Eigenbrötlerisch bist?“
„Lilli ich weiß es nicht. Ich dachte nur an die Waschfrauen...immer wenn ich an ihnen vorbei gehe, fangen sie wie wild an zu tuscheln. Das verunsichert mich einfach. Verstehst du mich nicht?“
„Ach Janica. Ich werde einfach nicht schlau aus dir. An manchen Tagen bist du für mich wie ein Buch mit sieben Siegeln, die ich nicht zu öffnen vermag. Du bist wirklich der sonderbarste Mensch den ich je getroffen habe.“
Wie oft hatte Janica diesen Satz schon zu hören bekommen. Alle sagten ihr das. Ihre Großmutter, Soraya, Lilli...selbst Paco sagte dann und wann zu ihr, sie sei sonderbar. War es so falsch anders zu sein, als die Mädchen in ihrem Alter?
Ihre Gedanken wurden unterbrochen, als ein aus Lederfetzen zusammengeflicktes Etwas sie am Kopf traf.
„Au! Was war das denn?“
„Das sieht aus wie ein...“
„Na los jetzt sag. Was ist das?“
„Es sieht aus wie eine kleine Tasche oder ein kleiner Beutel.“
Verwirrt sahen beide in den Himmel. Nichts war zu sehen.
„Janica ich habe Angst. Was war das? Was hat uns diesen Beutel heruntergeworfen? Lass und schnell nach Hause gehen. Ich fürchte mich. Was, wenn das ein Geist war?“
„Lilli, jetzt hab keine Angst. Vielleicht hatte ein Vogel den Beutel ums Bein gebunden und er hat ihn verloren. Aber du hast recht. Wir sollten uns wirklich beeilen. Es ist schon fast dunkel und Großmutter wird sich schon Sorgen um uns machen.“
Schnell rannten sie nach Hause.
„Sehen wir uns Morgen?“
„Ja sicher. Ich wollte mit Fjalla ausreiten. Hast du Lust mit zu kommen?“
„Oh ja! Das haben wir wirklich schon lange nicht mehr gemacht. Ich komme auf jedem Fall mit. Also dann. Schlaf gut und träum schön.“
„Ja, ich wünsche dir auch eine Gute Nacht. Bis morgen dann.“

Voller Vorfreude auf den nächsten Tag ging Janica schlafen.

In der Nacht wurde sie wie so oft von schrecklichen Albträumen geplagt. Immer und immer wieder derselbe Traum. Sie erlebte ihren 10. Geburtstag und sah mit an, wie ihre Eltern starben.
Dann war sie auf einmal komplett woanders. Auf einer kleinen sonnigen Wiese mit vielen Blumen graste Fjalla neben ihr. Der seichte Wind strich ihr durch die Haare und über ihr Gesicht und sie roch den Frühling.
Plötzlich flog ein großer Vogel über ihnen. Ein lederner Beutel fiel vor ihr ins Gras. Schreiend zog der Vogel Kreise über ihr und Fjalla. Janica hob den Beutel auf und wollte ihn gerade öffnen, als Fjalla unruhig wurde.
„Fjalla? Was hast du? Ist hier irgendwo ein Tier?“
Ihr Pferd scharrte nervös mit dem Huf. Janica sah zum Himmel und sah nun, dass sich dicke schwarze Wolken gebildet hatten. Schnell sprang sie auf und stieg auf Fjallas Rücken und trieb sie an. Den kleinen Lederbeutel hatte sie in ihrer Eile im Gras liegen lassen. Aber sie wollte auch eigentlich nicht genauer wissen, was sich darin befand. Es machte ihr Angst. Ein Vogel der Lederbeutel vom Himmel warf...was konnte das bedeuten?
Sie ritt immer weiter und immer weiter. Aber wohin eigentlich? Sie hatte überhaupt keine Orientierung mehr. Wo hatte Fjalla sie hingebracht?
Regen prasselte ihr ins Gesicht und ihre langen nassen Haare klebten an ihrem Rücken, als sie vom Pferd stieg. Sie sah sich um und bekam Angst. Sie war mitten in einer großen Schlucht. Rings um sie ragten spitze graue Felsbrocken aus den schroffen Wänden.
„Fjalla? Wo hast du mich hingebracht? Wo sind wir denn hier bloß? Ach Fjalla...ich hab solche Angst...wie sollen wir denn nur wieder nach Hause finden? Ich bin so froh, dass ich dich bei mir habe.
Oh Fjalla, sieh mal dahinten ist ein Felsvorsprung...komm schnell wir stellen uns dort unter. Dann haben wir zumindest ein bisschen Schutz vor dem Gewitter.“
Wie zur Antwort, wieherte Fjalla zustimmend. Auch Fjalla war die Situation nicht ganz geheuer. Sie hatte Angst, dass spürte Janica ganz deutlich.
Die Kälte des Regens und des Windes machte sich in der Schlucht breit. Janica zitterte am ganzen Körper. Es war so schrecklich kalt und nass und sie hatte nur ihr weißes Leinenkleid an.
Das Gewitter wurde immer schlimmer. Es donnerte ohrenbetäubend laut und der Regen prasselte vom Himmel herab, als ob ein Wasserdamm gebrochen wäre.
Plötzlich schlug direkt vor ihnen ein Blitz in den Boden ein. Fjalla wieherte und drehte vollkommen durch. Sie bäumte sich auf und galoppierte davon.
„Fjalla! Fjalla bitte bleib hier, wie soll ich denn ohne dich je wieder nach Hause finden? Bitte, bitte Fjalla komm wieder zurück. Du kannst mich doch hier nicht allein lassen.
FJAAAAALLAAAAAAAAAA!!!!“

Es donnerte wieder laut und Janica wachte schweißgebadet auf.
‚Gott sei Dank. Es war nur ein schlechter Traum’ sagte sie zu sich selbst. Trotzdem stand sie auf und vergewisserte sich, dass Fjalla im Stall stand.
Draußen tobte ein furchtbares Gewitter. ‚Vielleicht hat es meine Träume beeinflusst’, dachte sie nach. Sowas sollte möglich sein. Ihre Großmutter hatte ihr das einmal erzählt und Janica vertraute ihrer Großmutter in allen Dingen.
Nachdem sie sich wieder in ihr Bett gekuschelt hatte, schloss sie die Augen und dachte über ihren sonderbaren Traum nach. Es war wirklich komisch, dass sie genau das träumte, was ihr am Tag zuvor passiert war.
Ein Vogel der kleine Lederbeutel vom Himmel warf. Und jedes mal hatte sie den Beutel an der Stelle liegen lassen, an der er ihr vor die Füße gefallen war. Die Neugier brannte in ihr. Sie würde wirklich zu gern wissen, was sich in diesem Beutel befand. Aber auf der anderen Seite stand die Angst. Was, wenn etwas Schreckliches in diesem kleinen Beutel wäre? Wie auf einer Waage, wog sie ab, ob sie dem Geheimnis des kleinen Beutels nachgehen sollte, oder ob sie es einfach sein ließ.
Am Ende war die Neugier größer.
Sie stand auf um aus dem Fenster zu sehen. Es regnete immer noch und auch der Wind hatte nicht nachgelassen. So beschloss Janica morgen Lillian zu überreden, mit ihr nach dem Beutel zu suchen und herauszufinden, was sich darin befand.
Nachdem sie sich noch ein paar mal im Bett herum gewälzt hatte, fiel sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Am nächsten Morgen wurde Janica vom dem zwitschern der Vögel geweckt. Sie sah aus ihrem kleinen Fenster. Die Sonne durchflutete die Wiese mit ihren ersten sanften Strahlen und der Tau – oder war es der Regen aus der vergangenen Nacht? – glitzerte auf den Grashalmen und die Vögel sangen aus vollem Halse. Kein einziger Hinweis auf den furchtbaren Sturm der letzten Nacht.
Tief atmete sie die klare Luft ein und blinzelte in die Sonne. Sie wusste nicht genau warum, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass heute ein wirklich schöner Tag werden würde. Sie musste Lilli nur noch davon überzeugen den Lederbeutel mit ihr zu suchen um endlich zu erfahren, was sich darin befand. Vor lauter Neugier hatte Janica das Gefühl zu platzen. Schnell zog sie sich an, lief die Treppe hinab um ihre Großmutter zu begrüßen und um zu frühstücken. Ihr Magen grummelte bereits lautstark.

Nach dem Frühstück lief sie gut gelaunt zu dem Haus, in dem Lillian mit ihrer Familie wohnte. Sie klopfte an die Tür und stand einer etwas zerknitterten Lilli gegenüber.
„Guten Morgen Lilli!“
„Himmel, Janica. Was machst du denn schon so zeitig hier? Ich bin gerade erst aufgestanden. Und wie kommt es, dass du so außerordentlich gut gelaunt bist? Ist etwas passiert?“
„Ja ich glaube es ist etwas passiert...aber jetzt beeil dich. Ich will endlich los reiten. Ich werde dir dann alles erzählen, wenn wir auf den Pferden sitzen.“

Als sie losgeritten waren, fing Janica an zu erzählen.
„Du erinnerst dich doch sicher noch an den kleinen Lederbeutel, den der große Vogel gestern über unseren Köpfen abgeworfen hat oder?“
„Ja natürlich. Warum sollte ich das vergessen?“
„Also ich habe vergangene Nacht geträumt, das ich mit Fjalla auf einer Wiese saß und plötzlich flog ein großer Vogel über uns. Er hat ein paar Kreise gezogen und dann fiel mir der Beutel in den Schoß. Gerade als ich ihn öffnen wollte, wurde Fjalla unruhig und fing an, mit den Hufen zu scharren. Als ich dann nach oben in den Himmel sah, bemerkte ich, dass dicke Gewitterwolken aufgezogen waren. Schnell band ich Fjalla los und ritt weg. Ich ließ sie einfach laufen und dann sind wir anscheinend vom Weg abgekommen. Auf einmal befanden wir uns in einer großen steinigen Schlucht und ich hatte vollkommen die Orientierung verloren. Es war so schrecklich. Alles war so dunkel und grau. Die Steine, der Himmel...ich hatte so große Angst.
Dann habe ich, als ein Blitz den Himmel erhellte, einen kleinen Felsvorsprung gesehen und mich mit Fjalla dort untergestellt. Fjalla hatte scheinbar genauso große Angst wie ich denn sie zitterte auch am ganzen Leib. Sie zuckte die ganze Zeit nervös mit den Ohren und scharrte mit den Hufen. Als dann ein riesengroßer greller Blitz nur ein paar Meter vor uns einschlug, konnte ich sie nicht mehr halten und sie galoppierte davon. Ohne meine geliebte Fjalla war es noch gruseliger, als es ohnehin schon war. Dann kam wieder ein ohrenbetäubender Donnerschlag ich wurde wach.“
Nachdem Janica fertig erzählt hatte, sah sie zu Lillian, die sie mit halb geöffnetem Mund erschrocken ansah.
„Himmel, Janica. Was träumst du denn nur für Dinge? Das muss sicherlich furchtbar gewesen sein.“, sagte sie, nachdem sie ihre Sprache wieder gefunden hatte.
„Weißt du, mich macht der Traum eher neugierig als alles andere. Deswegen wollte ich auch heute unbedingt mit dir ausreiten. Ich hatte vor, den kleinen Lederbeutel von gestern mit dir zu suchen und heraus zu finden, was sich darin befinden mag. Hilfst du mir ihn zu suchen?“
„Janica...bist du dir wirklich sicher das du ihn suchen und öffnen willst? Mir war er schon etwas unheimlich. Wer weiß, was darin sein mag...“
„Keiner weiß das. Deswegen will ich ihn ja mit dir suchen. Ich möchte unbedingt wissen, was sich in diesem kleinen Beutel befindet. Vielleicht wissen wir dann, woher er stammt. Es könnte ja sein, dass der Vogel ihn gestohlen hat. Oh Lilli. Bitte hilf mir, den Beutel zu suchen. Bitte, bitte, bitte, bitte.“
Mit großen Augen und etwas vorgeschobener Lippe sah Janica Lilli an.
Sie war wirklich erstaunlich. Das war die Janica, die Lillian vor sehr langer Zeit einmal kennen gelernt hatte. Unternehmungslustig, aufgeweckt, offenherzig und immer auf der Suche nach einem Abenteuer. Abenteuer...wie das schon klang...es klang wie in den Kinderbüchern, die ihre Eltern ihr immer vorgelesen hatten, als sie noch klein war.
In Augenblicken wie diesen, bemerkte Lillian wieder, wie sehr Janica sich in den Jahren nach dem tragischen Tod ihrer Eltern verändert hatte. Seit langer Zeit, erlebte sie ihre beste Freundin mal wieder aufgeweckt, neugierig und so abenteuerlustig. Auch wenn ihr das ganze etwas albern vorkam, so freute sie sich über Janicas neue Lebenslust.
Auf der anderen Seite war ihre Neugier aber auch von allein schon lange erwacht. Die ganze Nacht hatte sie nachgedacht, was sich in dem Beutel befinden möge. Aber sie konnte sich keinen Reim darauf machen, was in einem Beutel aus Leder steckt, der von einem großen Vogel vom Himmel geworfen wurde. Also würde sie Janica und ihrer eigenen Neugierde einen Gefallen tun, und dem Geheimnis auf den Grund gehen.
„In Ordnung. Ich helfen dir den Beutel zu suchen. Ich bin selber sehr gespannt auf den Inhalt dieses Dinges. Hast du eine Idee, wo wir anfangen könnten, ihn zu suchen?“
Janica strahlte wie ein kleines Kind.
„Oh Lilli, du bist die beste Freundin, die man sich wünschen kann. Ich bin dir so dankbar, dass du mich nicht für verrückt erklärst, weil ich so neugierig auf den Inhalt eines kleinen Lederbeutels bin. Oh danke, danke, danke!“
Lächelnd und voller Zuversicht, machten die beiden Mädchen sich auf den Weg, die Stelle zu finden, an der ihnen der Vogel den Beutel herab geworfen hatte.

Nach wenigen Stunden, hatten sie den Beutel endlich gefunden. Gespannt blickten sie sich an und lächelten glücklich.
„Wer soll den Beutel eigentlich öffnen?“
„Ich weiß es nicht. Willst du das machen oder soll ich?“
„Hm. Ich denke, du solltest ihn aufmachen. Du hast mich ja schließlich dazu überredet ihn mit dir zu suchen. Also los jetzt mach ihn endlich auf! Ich platze gleich vor lauter Neugierde!!!“
„Also gut.“
Janica öffnete den Beutel und Lilli sah ihr dabei gespannt über die Schulter. Als der Beutel endlich offen war, zog Janica ein kleines Stück Papier heraus.
„Oh.“, sagte Lillian enttäuscht.
„Lilli, jetzt urteile nicht voreilig, wir wissen doch gar nicht, was sich darauf befindet.“
Vorsichtig faltete sie das Papier auseinander und guckte es kritisch an.
„Ich glaube das ist so etwas wie eine Karte. Ich bin mir nicht sicher, aber es sieht danach aus.“
„Eine Karte? Was für eine Karte denn? Eine Schatzkarte?“
„Lilli, Schatzkarten gibt es doch gar nicht! Jetzt sei doch auch mal ernst. Ich glaube eher, die Karte zeigt eine Wiese oder so etwas...ich kann es nicht genau erkennen. Ich glaube wir sollten sie Paco zeigen. Er kennt sich aus mit Karten und diesen Dingen. Vater hatte es ihm beigebracht...“
Große Trauer war in ihrer Stimme zu hören. Aber Lillian wollte nicht zulassen, dass Janica jetzt, wo sie so glücklich war, an ihre Eltern dachte.
„Na dann nichts wie los! Lass uns nach Hause reiten. Wir müssen sowieso los, sieh mal die Sonne. Sie steht schon wieder sehr tief.“
„Du hast wahrscheinlich Recht. Lass uns los reiten und die Karte so schnell wie möglich Paco zeigen.“
Auf dem Heimweg redeten die beiden nicht sehr viel. Sie hingen beide ihren Gedanken nach. Janica dachte voller Wehmut wieder an ihre Eltern und Lillian zerbrach sich den Kopf über den Inhalt der Karte. Eine Wiese hatte Janica gesagt...was sollte das für eine Wiese sein? Ob es vielleicht doch eine Schatzkarte war? Und auf der Wiese lag ein geheimer Schatz? Nein, das war wirklich kindisch. So etwas spielten die Kinder im Dorf aber doch nicht zwei fast erwachsene Mädchen. Wahrscheinlich hatte der Vogel den Beutel mit der Karte an einem Krempelstand gestohlen. Das war die einfachste Erklärung für die Karte. Sie wurde vielleicht gezeichnet, um sie dummen und leichtgläubigen Menschen als echte Schatzkarte zu verkaufen. Etwas anderes war vollkommen ausgeschlossen.

In ihrem Dorf angekommen, ritten sie erst zu Lillians Eltern, um ihnen bescheid zu sagen, das Lilli die Nacht bei Janica verbringen würde und um Hafeti im Stall unterzubringen. Dann gingen sie schnell zu Janica, wo sie von ihrer Großmutter Katharina schon erwartet wurden. Schnell aßen sie mit Katharina und Paco das Abendessen und dann zeigten sie Paco die Karte und den Lederbeutel, den Janica auch mit genommen hatte.
Nachdem Paco die Karte eingehend studiert hatte, hörte er sich die Theorien seiner Schwester und Lilli an.
„Ich vermute, es ist ein Weg, der zu einer Wiese führt...es scheint nichts Besonderes zu sein. Vielleicht hat dort jemand eine alte Hütte oder dergleichen geerbt. Aber wie schon gesagt. Bildet euch nicht zu viel auf diese Karte ein. Vielleicht hat ein Kind sie gemalt um mit seinem Freund dann Schatzsuche zu spielen. Sie könnte also auch ausgedacht sein.“
„Aber Paco, könnte es nicht sein, dass sich auf der Wiese etwas Wichtiges befindet? Warum sollte die Karte sonst in einem Lederbeutel sein. Ich denke kaum, dass ein Kind Karten in einem derartigem Lederbeutel versteckt.“
„Janica, du solltest inzwischen alt genug sein, um zu wissen, dass sich hinter so einer Karte kein Wunder verstecken wird. Zerbrecht euch nicht weiter die Köpfe darüber. Ihr werden doch nur enttäuscht.“
„Nein, Paco! Lilli und ich sind fest davon überzeugt, dass diese Karte etwas zu bedeuten hat. Und wir werden der Sache auf den Grund gehen.“
„Macht was ihr wollt. Aber auf meine Hilfe braucht ihr nicht zu hoffen. Ich muss Großmutter helfen und habe auch Aleandro versprochen, ihm bei der Ernte zu helfen. Also tut mir einen Gefallen und verschont mich mit euren Kindergeschichten.
Gute Nacht.“

„Was war denn mit deinem Bruder los? Warum hatte er denn so schlechte Laune? Ist etwas passiert?“
„Nein, ich weiß es nicht. So hab ich ihn noch nie erlebt. Aber ich werde ihn nicht weiter fragen. Wenn Paco nicht gut aufgelegt ist, dann sollte man ihn am besten in Ruhe lassen. Vielleicht hat er sich ja mit Soraya gestritten. Hast du bemerkt, wie er sie immer anguckt? Er ist total verliebt in sie.“
„Janica, du erstaunst mich wirklich jeden Tag wieder. Selbst nach 10 Jahren, habe ich noch immer das Gefühl, dich nicht richtig zu kennen. Dich einzuschätzen, vermag wirklich kein Mensch. Du bist immer wieder eine Überraschung. Den einen Tag bist du wortkarg, freudlos und traurig und heute, heute erkenne ich dich nicht mehr wieder. So glücklich wie heute habe ich dich schon seit Jahren nicht mehr erlebt. Hat das etwas mit der Karte und deinem Traum zu tun? Oder wirst du mir gleich eröffnen, dass du dich verliebt hast und deswegen so glücklich bist?“
„Ach Lilli, jetzt hör aber auf. Du weißt ganz genau, dass ich die Jungen im Dorf auf den Tod nicht ausstehen kann! Ich hasse Jungs. Der einzige Junge den ich wirklich sehr gerne mag, ist Paco. Das solltest du inzwischen wirklich wissen. Meine Meinung gegenüber den Jungen hier im Dorf wird sich niemals verändern.
So und jetzt lass uns schlafen. Morgen werden wir die Wiese suchen, die auf der Karte eingezeichnet ist. Ich werde mir von Paco erklären lassen, wie man eine Karte liest und dann werden wir doch mal sehen was sich auf der Wiese befindet. Gute Nacht Lilli. Schlaf gut.“
„Schlaf auch gut Janica. Ich bin schon auf morgen gespannt. Hoffentlich geht alles gut. Träum etwas Schönes.“

Gleich nachdem sie am nächsten Morgen aufgestanden waren, lief Janica eilig zu Paco und fragte ihn sogleich, ob er ihr beibringen würden, die Karte zu lesen und sich mit ihr zurecht zu finden. Er guckte sehr erstaunt, erklärte er ihr schnell und verständlich wie sie sich orientieren musste. Obwohl Janica eigentlich klug war, dauerte es doch eine ganze Weile bis Paco sich sicher war, dass sie wieder zurück finden würde.
Schwerer wurde es dann, als sie Janicas Großmutter und Lillians Eltern überzeugen mussten. Aber nach dem Versprechen auf sich aufzupassen, vorsichtig und bald wieder zu Hause zu sein, durften sie losziehen.

Stunden später, fing Lillian an, wie ein kleines Kind zu zetern.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.10.2009

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