Es ist kurz vor zehn am Mittwochmorgen. Ich sitze in der U 75, Richtung Düsseldorf-Oberkassel. Außer mir sitzen nur wenige Fahrgäste in der Bahn. Noch bin ich ganz entspannt, aber das soll sich in wenigen Minuten ändern …
Irgendwann steigt eine junge Frau ein und setzt sich mir gegenüber auf einen der Vierer-Sitze. Ihre Aufmachung weckt mein Interesse: lange, glatte, schwarze Haare, teils blond gefärbt. Der dunkle Haaransatz ist noch genau zu sehen. Sie trägt einen kurzen schwarzen Rock und zwei Tops, lässig übereinander gezogen, Sneakers, kurze Socken. Ihr Gesicht ist im gothic-metal-Stil geschminkt. Auf ihren nackten Armen und Beinen prangen große Tätowierungen. Flüchtig schießt mir der Gedanke durch den Kopf, der mir immer kommt, wenn ich Menschen mit sehr großen oder vielen Tattoos sehe: Was die nur ihrer Haut antun! Im Alter sehen diese Tattoos bestimmt auch nicht mehr so gut aus! Aber nun gut, das muss jeder selbst wissen.
Ich ziehe mein Handy aus meiner Handtasche und studiere noch einmal die beiden Whats-App-Nachrichten, die mir ein guter Bekannter geschickt hat: „Hole mich bitte um 10:30 beim Arzt ab, Praxis Dr. Sowieso, Schadow-Arkaden, 4. Stock, Eingang XY.“
Hm … scheint etwas schwierig zu finden sein! Ich stecke das Smartphone wieder in meine Handtasche, lasse den Reißverschluss aber offen. So kann ich gleich, wenn ich die Schadow-Arkaden betrete, das Handy schnell wieder zur Hand nehmen und die Wegbeschreibung noch einmal nachlesen. Irgendwann zwischen den Haltestellen HBF und Königsallee steht die junge Frau auf, geht an mir vorbei und verlässt die Bahn.
An der nächsten Haltestelle steige ich aus. Mein Waggon ist fast leer. Ich fahre allein die Rolltreppe hoch. Am Eingang der Schadow-Arkaden greife ich in meine offene Handtasche, um mein Smartphone wieder zur Hand zu nehmen. Aber … da ist kein Handy mehr! Ein eisiger Schreck durchfährt mich … wie konnte ich nur … es wird doch immer wieder vor Taschendieben gewarnt!
Völlig aufgelöst finde ich dennoch die Arztpraxis, in der mein Bekannter schon geduldig auf mich wartet. Freudig blickt er auf, als ich zur Rezeption hineinstürme. Anstatt zu fragen, wie es ihm geht, platze ich gleich mit meiner Geschichte heraus. Mein Bekannter versucht mich zu beruhigen und wir überlegen weitere Schritte. Schließlich fahre ich, völlig aufgelöst, nach Haus, kontaktiere von meinem Festnetz-Anschluss meinen Handy-Flatrate-Anbieter und lasse meine Sim-card sperren. Mittlerweile ist es zwölf Uhr mittags! Wer weiß, was der Dieb oder die Diebin mittlerweile alles mit meinem Handy und den darin enthaltenen Daten gemacht und wohin er oder sie überall hin telefoniert hat?
Dann fahre ich zu einer Polizeidienststelle. Anderthalb Stunden Wartezeit im Vorraum. Die Klimaanlage bläst eiskalte Luft auf meine nackten Schultern. Endlich komme ich dran! Ein sehr freundlicher Polizist nimmt ruhig und sachlich meine Anzeige auf. Ja, in Düsseldorf gibt es am HBF eine Sonderkommission, die sich ausschließlich um Taschendiebstähle kümmert. Dorthin würde er meine Anzeige zur Nachverfolgung schicken. Ich gebe noch eine detaillierte Beschreibung der tätowierten jungen Frau an, die mir in der Bahn gegenüber saß. Vielleicht tue ich ihr Unrecht? Aber sie war die Einzige, die sich in der schwach besetzten Bahn in meiner Nähe aufgehalten hat.
Ich fahre zurück nach Hause und versuche, mich weiter zu beruhigen. Gegen Abend rufe ich noch einmal meinen Flatrate-Anbieter an und beantrage eine neue Sim-card. Mein telefonisches Gegenüber hat Mitleid mit mir! Ich hätte ja schon genug Ärger mit dem geklauten Handy, deshalb würde sie mir die neue Sim-card kostenlos zusenden. Das nenne ich Kundenservice!
Der Verlust des Handys schmerzt sehr. Hatte ich es doch erst vor knapp einem Jahr gekauft und für meine Verhältnisse war es recht teuer gewesen. Es hatte 5G, drei Kameras und weiteren Schnickschnack. Mein Freund, bei dem ich übers Wochenende logiere, tröstet mich. Shit happens! Er versorgt mich mit einem seiner ausrangierten Handys, einem älteren Model, mit dem ich allerdings ohne Sim-card nicht so viel anfangen kann. Aus Solidarität blickt er beim morgentlichem Frühstück nun nicht mehr so oft auf sein eigenes voll funktionstüchtiges Handy und wir führen wieder längere Gespräche.
Montagmittag finde ich mich wieder in meiner eigenen Wohnung ein. Vor kurzem hatte ich noch überlegt, ob ich meinen Festnetz-Anschluss nicht doch kündigen soll, um Gebühren zu sparen. Gut, dass ich diese Überlegung nicht in die Tat umgesetzt habe! Und was machen eigentlich Menschen, die nur noch über Handy zu erreichen sind und wie können diese mit anderen Leuten Kontakt aufnehmen? Termine vereinbaren? Reisen buchen? Heute geht ja fast nichts mehr, ohne sich vorher auf den entsprechenden Webseiten einzuloggen.
Nun, ich habe ja zum Glück noch mein Festnetz und einen Laptop! Ich bin also nicht ganz aus der mittlerweile omnipräsenten online Handy-Welt. Aber Nachrichten aus Whatsapp und von meiner Freizeitgruppe kann ich vorläufig nicht empfangen. Spiele laufen auch nicht. Dafür brauche ich halt die neue Sim-card.
Die kommenden Tage verlaufen sehr ruhig. Ich besinne mich auf meine Fähigkeiten auch ohne Smartphone zu leben. Ich wasche mehrere Maschinen Wäsche, überlege einen gründlichen Hausputz zu machen, vielleicht sogar die Abstellkammer zu entrümpeln, Bücher auszusortieren und zum Bücherschrank zu bringen. Letztere Gedanken verwerfe ich jedoch gleich wieder, angesichts der hohen sommerlichen Temperaturen.
Am Mittwochnachmittag kommt endlich die neue Sim-card. Am Abend hilft mir mein Freund, diese in mein Ersatz-Handy einzulegen und zu aktivieren. Dazu brauchen wir allerdings mehrere Stunden und Telefonate mit dem Anbieter, weil ich meine Legi-Pin, Puk und weitere Passwörter nicht parat habe. Es ist dann fast Mitternacht, als ich endlich wieder die Chats bei Whats-App und weitere Nachrichten lesen kann. Ich checke alles, was sich angesammelt hat. Entschuldige mich für mein tagelanges Schweigen. Mein Alltag nimmt wieder Farbe an.
Mein Fazit: Es gibt auch noch ein Leben ohne Smartphone, aber vieles geht mit einem doch schneller und leichter. Aber wehe, wenn …
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Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: pixabay (for common use)
Tag der Veröffentlichung: 14.07.2025
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