Der Wettergott hatte unsere musikalischen Pläne durchkreuzt und unser Treffen, das am Sonntag vor Weihnachten stattfinden sollte, mit glatten Straßen und heftigem Schneefall zugeweht. Somit fiel es im alten Jahr im sonst nicht gerade schneeverwöhnten Düsseldorf aus.
Nun freuten wir uns umso mehr auf den neuen Termin am ersten Samstag im Januar, zu dem Mike in seine „Junggesellenbude“ im Düsseldorfer Süden eingeladen hatte. Diesem fröhlichen Beisammensein war eine umfangreiche Korrespondenz per e-mail und etlichen Telefonaten vorausgegangen.
Mein netter Nachbar Alex, der sich als jedoch einziger unserer Sechser-Runde hartnäckig weigerte, sich einen PC, geschweige denn Internet-Anschluss zuzulegen, wurde von mir mehrmals persönlich und telefonisch an Uhrzeit und an mitzunehmende Utensilien erinnert.
Samstagmittag hatte ich plötzlich eine Eingebung und rief ihn nochmals an: „Du weißt, dass Gonzo uns beide um halb vier abholen kommt und wir dann zusammen zu Mike fahren?“
„Um halb vier? Ich denke um halb fünf?“
„Nein, um halb vier. Das habe ich dir doch mehr als einmal gesagt!“
„Mein Gott, wie soll ich das schaffen? Der Salat fürs Buffet ist noch nicht fertig und ich muss noch das Geschenk fürs Schrottwichteln aus dem Keller holen!“
Ich bat ihn, sich zu beeilen und legte auf.
Zwanzig nach drei stand Alex, mein netter Nachbar, mit zahlreichen Tüten im Gepäck in meiner Diele und fragte nach Geschenkpapier. Während wir noch emsig bemüht waren, die beiden 1000-Teile-Puzzle-Kartons, die sicherlich das Highlight des Schrottwichtelns werden würden, einzupacken, klingelte Gonzo. Er wunderte sich, dass wir noch nicht abfahrtbereit waren.
„Mir fehlte ja eine Stunde“, verteidigte sich Alex auf dem Weg zu Gonzos Auto.
„Sollen wir nicht besser auch einen Würfel für das Schottwichteln einstecken?“, fragte ich in weiser Voraussicht.
„Das ist doch nicht nötig“, meinte Gonzo, mein Freund und derzeitiger Lebensabschnittsgefährte, „jeder Haushalt hat doch einen Würfel.“
Pünktlich um vier Uhr trafen wir drei Musikanten bei Mike ein. Während der Planungen im Vorfeld hatten unsere Mitsängerin Kate und ich dem Gastgeber dezent zu verstehen gegeben, dass es ratsam wäre, die Wohnung ein wenig aufzuräumen und in der Küche Platz für ein Buffet zu schaffen. Nun ließ ich meinen Hausfrauenblick kritisch durch Mikes ewig unaufgeräumte Junggesellenräume schweifen und… sagte erstmal nix. Mikes Behausung sah so aus wie immer …
Einige Minuten später trafen Jochen, Gundi und Kate ein und komplettierten unsere Runde. Großes Hallo, Drückerchen und Küsschen, Freude über Freude, schließlich hatten wir uns zwei Monate nicht gesehen. Obwohl es nun schon Januar war, sangen wir zur Einstimmung doch noch zwei Weihnachtslieder. Dann wurde das Buffet gestürmt, zu dem Gonzo seine berühmt-berüchtigte Mousse au Chocolat, Alex seinen pikanten Hirtensalat und die anderen Fladen- und Nussbrot, vegetarische Aufstriche, Käsespezialitäten, Wein und Sekt beisteuerten.
Bestens gestärkt wollten wir nun mit den eigentlichen musikalischen Darbietungen anfangen. Anders als bei Chören oder Musikgruppen singen wir bei unseren Treffen immer unisono, d. h. wir sind stets froh, wenn wir einigermaßen die Melodie und den Rhythmus treffen.
Mike fing an, seine Notenblätter zu durchwühlen, die er schon seit zwei Jahren ordnen und abheften wollte. Während Gonzo und Jochen noch ihre Gitarren stimmten, ich die Bongo-Rassel aus meinem Rucksack kramte, sang Alex die erste Zeile vom Cat-Stevens-Klassiker ‚Morning has broken’ an. Nicht ganz glockenhell fielen Kate, Gundi und ich ein. Bei ‚Venus’ von Shocking Blue hatten alle ihre Noten und Texte gefunden und bei ‚Those were the days’ von Mary Hopkin waren wir alle voll konzentriert bei der Sache. Nach einigen weiteren Songs aus grauer Vorzeit beschlossen wir, den musikalischen Part zu unterbrechen und das Schrotttwichteln in Angriff zu nehmen. Dessen Beginn verzögerte sich jedoch, da Mike vergeblich nach einem Würfel, der ja lt. Gonzo in jedem Haushalt zu finden ist, suchte. Schließlich musste er bei seinen aus Ghana stammenden Nachbarn klingeln, die ihm wohlwollend ein Exemplar dieses Utensils überreichten.
Im Schrottwichteln-Angebot hatten wir dann die zwei 1000er-Puzzles, ein großes, buntbemaltes Holzei, in dessen Innern sich eine Dose Tee verbarg, einen ausrangierten und angefledderten Liebesroman, zwei ungeliebte CDs (einmal mit evangelischer Kirchenmusik, einmal mit Musical-Hits), zwei besonders kitschige Bücherregalstützen, eine Teekanne mit Stövchen und – das war der heiß begehrte Renner – eine große Kaffeetasse mit dem Aufdruck ‚Wild und heiß’, um die dann auch vehement gewürfelt wurde. Bis zum Abbruch unserer munteren Würfelrunde tauschte dieses exquisite Stück mehrmals seinen jeweiligen Besitzer.
Wir befeuchteten unsere Stimmbänder und Gitarrensaiten wieder und fuhren mit weiteren Klassikern unseres Repertoires fort. ‚Heart of Gold’ von Neil Young, ‚Scarborough Fair’ von Simon & Garfunkel, ‚Sailing’ von Rod Stewart und ‚Star of the County Down’ – letzterer ein irischer Folksong – wurden inbrünstig interpretiert.
Um zehn Uhr meinte Mike dann, dass wir doch mal mit Rücksichtnahme auf seine Nachbarn, die schon seit mehreren Stunden unsere schrägen musikalischen Darbietungen ertragen mussten, langsam zum Schluss kommen sollten. Wir packten Instrumente und Notenblätter wieder ein und köpften zum krönenden Abschluss noch eine Flasche Sekt.
Es war dann halb zwölf, als wir uns endlich voneinander verabschiedeten. Und – wir trauten unseren Augen nicht – auf den Autos und auf der Straße lag tatsächlich wieder eine dünne Schneedecke.
„Gut, dass wir uns heute getroffen hatten“, sagte ich. „Wer weiß, wie viel Schnee diese Nacht noch runter kommt.“
Und tatsächlich, am Sonntagmorgen, den 3.1.2010 war Düsseldorf wieder komplett weiß!
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Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: Rebekka Weber
Lektorat: Rebekka Weber
Tag der Veröffentlichung: 01.01.2021
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