Gutgelaunt kam ich am Montag nach Hause. Hatte ich doch meinen freien Nachmittag zu einem Einkaufsbummel genutzt und zwei Übergangsjacken gekauft, die mir geschmacklich und preislich gut gefielen. Ich schloss meinen Briefkasten auf und fand unter den üblichen Reklameeinwürfen eine Karte von einem Versandzusteller mit folgender Nachricht:
Angekreuzt: Wir konnten Ihre Sendung zustellen.
Angekreuzt: bei Ihrem Nachbarn
dahinter handschriftlich: 1 EtAGE – RIGHT BALLKONY
Na ja, schlussfolgerte ich, der Zusteller spricht bestimmt nicht so gut Deutsch, den Namen meiner Nachbarin konnte er sich wahrscheinlich auch nicht merken und „Balkon“ auf Englisch hatte er falsch geschrieben. Aber mit 1. Etage, rechter Balkon, konnte er ja nur meine Nachbarin gemeint haben, die genau unter mir wohnt. Frau J. ist Rentnerin, eine ganz liebe Person und meist zuhause. Sie geht schon auf die Neunzig zu und freut sich immer, wenn ich bei ihr klingle und ein wenig mit ihr plaudere.
„Prima“, sagte ich zu mir. „Das sind sicher die Sachen vom Hamburger Modehaus, die ich vergangene Woche bestellt hatte.“
Erwartungsvoll klingelte ich bei der Nachbarin.
„Guten Tag, Frau J. Ich möchte das Paket abholen.“
„Was für ein Paket? Ich habe kein Paket entgegengenommen“, sagte Frau J. verwundert. „Es hat auch niemand bei mir geklingelt.“
„Das ist aber seltsam. Auf der Benachrichtigungskarte steht doch 1. Etage, rechter Balkon. Damit können Sie doch nur gemeint sein.“
„Ich hab‘ aber wirklich nichts entgegengenommen.“
„Das glaube ich Ihnen natürlich. Aber wo hat der Bote das Paket denn abgeliefert?“
„Bei mir nicht.“
„Dann muss ich wohl mal im Haus durchfragen. Schönen Abend noch.“
So klingelte ich bei den anderen vier Mietsparteien im Haus, hatte jedoch keinen Erfolg. Niemand machte auf. Wahrscheinlich waren alle noch bei der Arbeit oder Frau Z., wie so oft, in ihrem Garten. Also konnten diese Hausmitbewohner das Paket nicht entgegengenommen haben. Nun, vielleicht hatte der Bote die Sendung ja im Nachbarhaus abgegeben? Dort klingelte ich ebenfalls und fragte mich durch, leider wieder ohne Erfolg. Auf dem Rückweg in unser Haus schimpfte ich laut vor mich hin. Warum konnte der Paketbote nicht, wie es sich eigentlich gehörte, den Namen des Nachbarn, bei dem er das Paket abgegeben hatte, auf den Benachrichtigungszettel schreiben? Wäre das denn so umständlich gewesen?
Da fiel mir ein, dass der Bote mit 1. Etage vielleicht meine Nachbarin, Frau P., gemeint haben könnte, die Hochparterre unter Frau J. wohnt. Sie hat nämlich auch einen Balkon an der rechten Hausseite. Da sie auf mein zweites Klingeln auch nicht öffnete, klebte ich eine kurze Nachricht an ihre Tür.
In meiner Wohnung angekommen, telefonierte ich gleich mit dem Zustelldienst. Nach zehn Minuten in der Warteschleife hatte ich dort endlich einen Ansprechpartner.
„Bitte geben Sie mir die Sendungsnummer … Ah ja, das Paket ist heute zugestellt worden.“
„Nein, ist es nicht“, konterte ich. „Das Paket ist verschwunden.“
„Laut meinem Computer ist es aber heute zugestellt worden.“
„Das steht in Ihrem Computer, aber aktuell ist es verschwunden und nicht auffindbar.“
„Rufen Sie doch morgen noch einmal an. Aber vielleicht ist es bis dahin ja noch aufgetaucht.“
„Morgen habe ich keine Zeit anzurufen. Ich bin berufstätig und den ganzen Tag außer Haus. Ich möchte, dass Sie jetzt nachforschen, wo das Paket geblieben ist.“
„Das kann ich nicht. Das geht erst morgen.“
„Morgen kann ich nicht anrufen.“
„Sie haben die Möglichkeit, eine e-mail-Nachricht zu senden. Das können Sie heute schon machen.“
„Okay, das mache ich dann.“
Gerade, als ich dabei war, den Text für die e-mail aufzusetzen, klingelte Frau P., meine Nachbarin von der Hochparterre.
„Guten Abend, Frau Weber“, vernahm ich durch die Gegensprechanlage. „Ich habe Ihre Nachricht gefunden. Aber ich hab kein Paket für Sie angenommen.“
„Vielen Dank, Frau P. Das dachte ich mir schon. Aber dann ist es tatsächlich verschwunden. Ich hab‘ nämlich hier im Haus und auch nebenan nachgefragt. Trotzdem vielen Dank, dass Sie geklingelt haben.“
Ich ging in die Küche, aß eine Kleinigkeit und setzte mich ziemlich entnervt wieder an den PC, um die e-mail endgültig abzusenden. Da klingelte es an meiner Wohnungseingangstür. Als ich die Tür öffnete, hielt mir Frau P. „mein“ Paket entgegen.
„Frau Weber, stellen Sie sich das einmal vor! Finde ich dieses Paket doch auf meinem Balkon. Der Bote hat es wohl einfach dort hinauf geworfen. Es war ein Zufall, dass ich es überhaupt gefunden habe.“
„Das gibt’s doch nicht! Frau J. hatte mir gesagt, dass bei ihr niemand geklingelt hätte. Nun frage ich mich, ob der Bote sich überhaupt die Mühe gemacht hat, einmal im Haus zu klingeln oder ob er das Paket gleich auf Ihren Balkon geworfen hat?“
„Ja, es ist unglaublich. Wenn ich jetzt verreist gewesen wäre, hätte ich das Paket erst nach meiner Rückkehr gefunden oder wenn es geregnet hätte, wäre es auch verdorben gewesen …“
„Nun ja, da hab‘ ich ja noch mal Glück gehabt und vielen Dank, dass Sie es mir raufgebracht haben.“
„War doch selbstverständlich. Schönen Abend noch.“
Ich setzte mich wieder an den PC und löschte die Nachricht an den Paketdienst, die ich angefangen, jedoch noch nicht abgeschickt hatte. Es war ja noch einmal gut ausgegangen …
Endlich konnte ich das Paket auspacken! Alle bestellten Teile – Shirts und Wäsche – waren einwandfrei und schön anzusehen… aber was lag denn da noch ganz unten in der Sendung? Verwundert packte ich das Packstück aus und traute meinen Augen nicht: Es war ein petrolblauer Übergangsparka, den ich aber gar nicht bestellt hatte. Und auf dem beiliegenden Lieferschein und der Rechnung war er auch nicht vermerkt. War das etwa eine Gratisgabe des Versandhauses, weil ich so eine gute Kundin bin? Und, es war doch irrwitzig … hatte ich mir nicht gerade zwei Übergangsjacken gekauft? Was sollte ich denn jetzt noch mit einer dritten Jacke anfangen? Aber ich konnte den Parka ja spaßeshalber einmal anprobieren. Gesagt, getan. So ganz 100-prozentig gefiel mir die Jacke nicht und wenn ich nicht gerade zwei gekauft hätte …
Ich wollte Aufklärung und schrieb nun eine e-mail an das Versandhaus. Das bedankte sich am nächsten Tag für meine Mitteilung und teilte mir wiederum mit, dass es sich um einen Packfehler handelte. Ich möchte den Parka doch bitte zurücksenden.
Nun musste ich erst einmal einen Shop oder ähnlich in meiner Nähe finden, der Retour-Pakete des Versanddienstes entgegennimmt. Am Samstagmorgen machte ich mich dann mit dem Parka, den ich in den ursprünglichen Karton gepackt und mit Zeitungspapier ausgefüllt hatte, bei strömenden Regen auf den Weg zu einem Kiosk und gab das Paket dort gegen Quittung ab. Ich ließ es mir nicht nehmen, dem Kioskbetreiber lang und breit meine Story zu erzählen.
Wieder zuhause angekommen, bereitete ich das Mittagessen vor. Es klingelte!
„Hermes Paketdienst!“, tönte es mir durch die Gegensprechanlage entgegen.
Nanü, dachte ich, außer in Hamburg hatte ich doch keine weiteren Sachen bestellt?
Der Bote kam die Treppe hinauf. Klein, schmächtig, südländisches Aussehen, mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht.
„Für wen ist denn das Paket?“, fragte ich.
„Für Frau Seiger.“ Dieser Name sagte mir nichts. „Lassen Sie mich doch mal auf die Anschrift gucken.“
Nach einem kurzen Blick auf den Aufkleber sagte ich: „Aha, Sie meinen Frau Z... Ja, das nehme ich natürlich an.“
Ich quittierte den Empfang des Paketes.
„Aber bitte auch Frau Z. eine Benachrichtigung in den Briefkasten legen, dass Sie das Paket bei mir abgegeben haben.“
„Ja, mache ich.“
„Sagen Sie mal, hatten Sie nicht letzten Montag ein Paket für mich, für Frau Weber?“
„Ja, ja“, der Bote nickte beflissen.
„Aber Sie können doch nicht einfach ein Paket auf den Balkon einer Nachbarin werfen, wenn niemand auf Ihr Klingeln aufmacht. So geht das doch nicht!“
„Ich nix versteh’n Deutsch!“
Er drehte sich um und war auch schon wieder verschwunden.
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Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: pixabay, for common use
Cover: Rebekka Weber
Tag der Veröffentlichung: 07.11.2019
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