Morgens klingelt mein Handy. Am anderen Ende ist Nina, die Mutter von Karlotta, dem dreijährigen Mädchen, das ich nachmittags betreue.
„Könntest du bitte um halb zwei da sein und die neue Putzfrau reinlassen? Sie hat noch keinen Schlüssel. Und wenn sie Hilfe braucht, dann sei doch so gut.“
Kein Problem, werde ich machen.
Ich packe meinen Rucksack – wenn ich mit Karlotta unterwegs bin, muss ich ja für alle Fälle gerüstet sein – und setze mich um eins in die gut besetzte Bahn. Zum Glück stehen alle Fenster auf Durchzug und ab und zu weht tatsächlich ein kleines Lüftchen durch die brütend warmen Waggons. Wieder frage ich mich, weshalb die Rheinbahnen immer noch keine Klimaanlagen haben. Laut Klimaerwärmung soll es doch jetzt öfters solch heiße Sommer geben. Nach einer halben Stunde Fahrtzeit steige ich an der Haltestelle aus, in deren Nähe mein Arbeitsplatz liegt.
Ich erreiche die Treppe, die zur Straße auf dem Rheindamm hinaufführt. Als ich oben auf der letzten Stufe ankomme, erwartet mich schon eine junge Frau. Sie blickt mir freundlich entgegen.
„Sind Sie Conchita?“ Sie nickt.
„Ist die Aussicht nicht herrlich hier oben?“, frage ich.
„Ja, es ist wie im Urlaub.“
Wir gehen gemeinsam die letzten wenigen Schritte zu Karlottas Elternhaus. An dieser exklusiven Adresse wohnt die Familie erst seit kurzem. Von ihrem Wohnzimmerfenster aus kann man direkt auf den Fluss gucken und Schiffe vorbeizieh’n sehen. Und der Vorgarten ist ein Meer von rosafarbenen Rosen.
Ich schließe die Haustür auf und Conchita und ich betreten das kühle Treppenhaus. Welch eine Wohltat nach der Hitze draußen. Nun schließe ich die Wohnungseingangstür auf … und bekomme einen Riesenschreck!
Links neben der Tür macht sich ein mir unbekannter Mann an den geöffneten Dielenschränken zu schaffen.
„Wer sind Sie? Was machen Sie hier?“, frage ich laut und resolut. Schließlich wähne ich mich an diesem Nachmittag in dem Glauben, im alleinigen Besitz eines Schlüssels für diese Wohnung zu sein.
Conchita steht stumm neben mir. Aus ihrem Gesicht ist alle Farbe gewichen.
Der junge leicht fremdländisch aussehende Mann antwortet etwas in einer mir unbekannten Sprache und eilt die Wendeltreppe hinunter, die in die im Souterrain gelegenen Räume führt. Da er auf mich keinen sehr bedrohlichen Eindruck gemacht hat, eile ich ihm hinterher. Unten angekommen, sehe ich, dass die Terrassentür weit offen steht. Aha, also tatsächlich ein Einbrecher! schlussfolgere ich.
Seltsamerweise fällt mir gleichzeitig das Bügeleisen auf, das vor dieser offenen Tür steht. Wahrscheinlich hat Nina gestern Abend noch etwas gebügelt und das Eisen zum Abkühlen nach draußen gestellt, denke ich und bin erstaunt, dass ich angesichts der prekären Situation noch logische Rückschlüsse ziehen kann.
Hinter Schränken und Regalen im Schlafzimmer taucht nun ein weiterer, etwas älterer Mann auf. Irgendwie versucht er mir verständlich zu machen, das sein Dasein in diesen Räumen berechtigt ist, denn beide Männer machen keine Anstalten, die Räumlichkeiten flugs durch die geöffnete Terrassentür zu verlassen.
Ich finde schnell heraus, dass die beiden Eindringlinge weder Deutsch noch Englisch sprechen.
„Was sprechen Sie denn? Türkisch? Polnisch? Kroatisch?“, versuche ich etwas Konversation zu betreiben und die Situation zu klären.
„Russki“, antwortet der ältere der beiden.
Na, super! In dieser Sprache bin ich leider nicht bewandert.
Der Ältere zieht nun sein Handy aus der Tasche, zwinkert mir zu und spricht – wohl auf Russisch – mit jemandem. Dann hält er mir das Handy hin. Ich versuche mit dem angeblichen Chef oder sonst wer zu kommunizieren, kann mir aber aus den wenigen deutschen Worten keinen Reim machen.
Die ganze Sache wird mir jetzt zu bunt! Nun aktiviere ich mein Handy und versuche, Nina telefonisch zu erreichen. Natürlich ist ihre Nummer besetzt. So hinterlasse ich eine Nachricht bei ihrer Sekretärin, dass ich um Rückruf bitte. Jetzt versuche ich es bei Karlottas Vater. Auch besetzt. Ich schicke ihm eine SMS. Nach wenigen Minuten ruft er mich zurück und versichert mir, dass es sich bei den werkelnden Männern um von ihm beauftragte Arbeiter handelt. Ich atme auf, bin aber stinksauer.
„Warum sagt mir denn keiner, dass Arbeiter im Haus sind? Conchita und ich haben einen Riesenschrecken bekommen.“
„Die sollten doch schon längst fertig sein! Die sind doch schon seit heute Morgen da. Wie lange arbeiten die beiden denn noch?“
Diese Frage versuche ich an die beiden Männer weiterzugeben, indem ich auf meine Armbanduhr deute und eine fragende Miene aufsetze. Der ältere Mann holt wieder sein Handy hervor und kommuniziert wohl wieder mit seinem Chef. Da ich eh nichts verstehe, begebe ich mich nach nebenan. Schließlich habe ich zu tun.
Zweimal in der Woche muss ich jeweils eine Stunde bei der Familie bügeln. Das mache ich immer, bevor ich Karlotta von der Kita abhole. Ich mache das gern, denn im Souterrain ist es schön kühl und ich kann dabei laut Musik hören. Nun stelle ich das Bügelbrett auf, hole alles was ich noch brauche … aber halt … wo ist das Bügeleisen? Stand das nicht vorhin vor der Terrassentür? Ich will es hereinholen, aber es steht nicht mehr dort.
Ich wende mich an die „Gastarbeiter“ und versuche ihnen verständlich zu machen, was ich suche. Nach mehreren „Nix versteh’n“ und Achselzucken bedeute ich dem älteren der beiden, mir zu folgen. Ich zeige ihm das Bügelbrett, die Bügelwäsche und mache erklärende Handbewegungen. Der Mann scheint mich endlich zu verstehen und führt mich zu seinem Kollegen. Dieser bügelt gerade mit „meinem Bügeleisen“ weiße Klebebänder auf die Kanten der neu zusammengesetzten Regale bzw. Schränke. Die Frage nach der Zeit, wie lange er noch das Gerät braucht, verkneife ich mir, er hätte mich sowieso nicht verstanden.
Jetzt stehe ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch! Ich schreibe eine SMS an Nina. Da ich kein Bügeleisen zur Verfügung habe, könnte ich heute nicht bügeln. Sie schreibt, dass ich mich entspannen und mir ein Stück Kuchen aus dem Kühlschrank nehmen soll. Bügeln könnte ich auch noch am nächsten Tag. Ich begebe mich in die Küche. Leider wird mir das Stück Kuchen zunächst verwehrt, da Conchita dort gerade mit dem Wischtuch hantiert.
Da kommt auch noch der jüngere der beiden Männer in die Küche. Irgendwie kann er uns verständlich machen, dass er zwei Tassen Kaffee möchte.
„Das geht jetzt nicht“, gebe ich ihm zu verstehen.
Er zieht sein Handy hervor und will uns irgendetwas darauf zeigen. Aber auf solche Spielchen habe ich nun gar keine Lust und mir platzt endgültig der Kragen! Ich drehe Monsieur an den Schultern herum und deute auf die Treppe, die nach unten führt.
„Kaffee bekommt ihr, wenn ihr fertig seid!“
Ich weiß nicht, ob er das verstanden hat, aber er geht eiligst wieder hinunter.
Resigniert setze ich mich im Wohnzimmer auf die Couch, um meine mails auf dem Handy zu checken. Im Moment kann ich ja doch nichts anderes tun. Ich beschließe, Karlotta halt eine halbe Stunde früher als gewohnt abzuholen. Nach fünf Minuten steht jedoch der Jungspund wieder vor mir und deutet auf den Staubsauger, der schon aus dem Dielenschrank herausgeholt und zusammengesetzt auf seinen Einsatz wartet. Schließlich will Conchita gründlich saubermachen. Als die Putzfee versteht, was der Arbeiter von ihr möchte, wehrt sie lautstark ab: „Nein, den brauche ich doch jetzt!“
Schließlich einigen sich die beiden irgendwie und der Handwerker zieht mit dem Staubsauger von dannen.
Ich packe noch eine Wasserflasche in meinen Rucksack, will gerade die Wohnung verlassen, als ich in der Diele wieder mit dem jungen Mann zusammenstoße. Er hat sein Handy auf volle Lautstärke gestellt. Nun höre ich eine Stimme – wahrscheinlich eine russisch-deutsche Übersetzungshilfe – sagen: „Ich möchte Staub wischen.“ Ich deute auf die frischen Putzlappen, die Conchita griffbereit hingelegt hat, und … ringe mir ein Lächeln ab. Der junge Mann zwinkert wohlgelaunt zurück. Na, geht doch!
Aber wer weiß, was all diese Leute heute noch von mir wollen? Dieses Irrenhaus muss ich jetzt sofort verlassen, wenn ich den Abend noch erleben will. Ich zeige Conchita noch, wo sie die Abfälle entsorgen kann. Und letztendlich bitte ich sie, die Wohnungstür einfach zuzuziehen, wenn sie fertig ist und gehe nach draußen … in die brütende Hitze.
***
Karlotta und ich haben uns wegen des langen Wochenendes vor vier Tagen das letzte Mal gesehen. Sie wirft sich nun freudig in meine Arme, als sie mich an der Eingangstür zur Schmetterlingsgruppe stehen sieht. Angesichts der hohen Temperatur habe ich vor, mit der Kleinen auf einen Wasserspielplatz zu gehen. Ich frage sie, ob sie schon Pippi gemacht hat, mit dem Hinweis, dass es auf dem Spielplatz ja keine Toiletten gibt. Sie bejaht freudestrahlend und nachdem ich sie von Kopf bis Fuß mit Sonnenmilch eingerieben habe, ziehen wir los.
Zum Glück finde ich auf dem Spielplatz auf einer schattigen Bank auch noch ein freies Plätzchen. Die sehr bewegliche und muntere Karlotta ist gleich in den Kletterseilen verschwunden. Neben mir sitzt nun ein älteres Ehepaar, das wohl mit seinem Enkel unterwegs ist. Dieser, vielleicht vier-, fünfjährige Junge, geht vor unserer Bank auf und ab. Vor seinem Bauch baumelt eine kleine Trommel, ungefähr in Tamburin-Größe, die er mit einem Trommelstock vehement bearbeitet. Es ist laut! Sehr laut sogar! Die Großeltern bitten den Musikanten mehrmals, mit seinem Spielzeug etwas von uns wegzugehen und in einer anderen Ecke zu trommeln, der Spielplatz sei ja weitläufig genug. Der Junge lässt sich von seiner lauten Betätigung nicht abbringen. Er schaltet auf stur. Die älteren Herrschaften werfen sich hilflose Blicke zu.
Da taucht Karlotta weinend bei mir auf. Sie hat in ihr Höschen gepinkelt. Ich tröste sie, gehe mit ihr hinter einen Baum, halte sie zur Sicherheit noch einmal ab, ziehe ihr frische Sachen an. Trocken und ohne weiteren Pippidruck begibt sich Karlotta zur Schaukel.
Da setzt sich der Junge mit der Trommel direkt neben mich und trommelt kräftigt weiter.
„Lass das bitte!“, sage ich. „Deine Großeltern haben dir das auch schon gesagt.“
„Sie können ihm gar nichts verbieten“, herrscht mich da seine Mutter an, die wohl gerade zu dem Trio gestoßen ist. „Ich erlaube ihm das. Kinder dürfen doch wohl draußen Lärm machen.“
„Er darf draußen lärmen, aber bitte nicht genau neben mir auf der Bank.“
Zwischen der Mutter und mir entspannt sich eine heftige Diskussion darüber, was Kinder dürfen und was nicht.
Irgendwie ist heute nicht mein Tag. Kann ich denn heute Nachmittag nirgendwo ein bisschen entspannen? Mit Karlotta allein klappt das meistens recht gut.
Schließlich stehen Mutter, Großeltern und Trommler auf. „Komm, wir gehen jetzt zum Rhein, da darfst du so laut Krach machen wie du willst.“
Erleichtert atme ich auf.
„Darf ich mich zu Ihnen auf die Bank setzen?“, spricht mich Sekunden später eine andere junge Frau an. „Ich habe ihre Auseinandersetzung gerade mitbekommen.“
„Aber selbstverständlich dürfen Sie.“
Sie entpuppt sich als sympathische junge Frau, die mit einem kleinen Jungen unterwegs ist, der glücklicherweise keine lärmenden Musikinstrumente mit sich führt. Ich unterhalte mich angeregt mit meiner neuen „Banknachbarin“. Erfreulicherweise hat sie ähnliche Vorstellungen von Kinderbetreuung und –erziehung wie ich. Ihr Junge und Karlotta sind währenddessen auf dem Spielplatz unterwegs. Meine Anspannung legt sich etwas.
Gegen viertel nach fünf gebe ich Karlotta ein Zeichen, dass wir bald nach Hause gehen wollen. Ich gehe zum Wasserbecken und tauche nacheinander meine Füße ins kühle Nass. Karlotta hält nur kurz ihre Händchen hinein. Ich drehe mich herum, um zur Bank zurückzugehen, auf der wir unsere Rücksäcke deponiert haben. Karlotta müsste mir nun eigentlich folgen. Aber da ertönt hinter mir ein Schrei! Die Kleine liegt der Länge nach bäuchlings im nassen Sand! Ich eile zu ihr zurück, ziehe sie hoch, tröste sie, klopfe sie ab.
„Wie hast du das denn gemacht?“
„Ich bin auf das Wasserbecken geklettert. Und dann runtergesprungen und mit dem Fuß hängengeblieben.“
Nun, passiert ist passiert. Zum Glück nichts gebrochen, keine Schürfwunden. Nur ein kleiner Schock und Tränen. Ich ziehe Karlotta wieder um. Das Kleidchen ist nach ihrem Pippi-Unfall wieder getrocknet. Wir verabschieden uns von der angenehmen jungen Frau und ihrem Kleinen.
***
Als wir auf Karlottas Heim zustreben, bete ich, dass wir die Räumlichkeiten leer vorfinden werden. Aber nein, Conchita schwingt immer noch den Putzlappen. Den Staubsauger habe sie zwischenzeitlich von den Arbeitern zurückbekommen, aber er würde nicht saugen. Jaja, den Staubsaugerbeutel hätte sie auch kontrolliert, der wäre aber noch nicht voll. Die Männer wären wohl fort, sie hätten die Wohnung aber anscheinend durch den unteren Eingang verlassen. Sie hätte sie nicht fortgehen gehört oder gesehen.
Conchita verabschiedet sich. Gleich gehe ich in den Souterrain hinunter, scanne die Räume und atme auf. Alles sieht ordentlich aus und das Bügeleisen steht auf dem Bügelbrett, wo es auch hingehört. Ich hebe es auf, betrachte es eingehend und kann weder Schäden, noch Unebenheiten oder Schmutz an seiner Sohle erkennen. Ob es seine Dienste noch voll erfüllen wird, wird sich beim nächsten Gebrauch zeigen.
Ziemlich erschöpft und verschwitzt schreibe ich eine SMS an die noch immer im Büro weilende Nina und berichte kurz über die letzten Ereignisse.
„Die Arbeiter haben mich auch fertig gemacht“, simst sie.
„Und mich erst! Ich stand kurz vor einem Herzinfarkt“, simse ich zurück. „Das dürft ihr nicht noch mal mit mir machen.“
Karlotta und ich setzen uns in die Küche. Endlich kann ich mir das bereits vor Stunden in Aussicht gestellte Stück Kuchen genehmigen und die Kleine knabbert an gut gekühlten Melonenstückchen. Ich picke die Beeren auf, mit der der Kuchen verziert ist und lasse Obst und Kuchencreme auf der Zunge zergehen. Für einen Moment schließe ich genießerisch die Augen. Langsam fange ich an, mich wieder zu entspannen.
Vom Küchenfenster aus blicke ich hinaus in den Garten. Mittlerweile ist es sechs Uhr und die Sonne scheint immer noch mit voller Kraft. Was für ein heißer Nachmittag!
***
Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: Facebook, We love Düsseldorf, for common use
Lektorat: Rebekka Weber
Tag der Veröffentlichung: 01.07.2019
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