Ich kann stundenlang durch Kaufhäuser und Geschäfte bummeln und Unmengen an Klamotten anprobieren, bis ich endlich das optimale Kleidungsstück oder das Paar Schuhe gefunden habe, das mir gefällt und passt. Mein Sohn – wahrscheinlich ganz typisch Mann – ist da ganz anders gestrickt. Im Kindes- und Teeniealter – als er noch bei mir wohnte – hegte er eine deutliche Abneigung gegen solch „unnütze“ und „zeitraubende“ Aktivitäten. Deshalb überließ er die Aktualisierung seiner Garderobe nur allzu gerne mir allein, anstatt zusammen mit Mama ins Geschäft zu gehen. Wir haben uns dann meistens darauf geeinigt, dass ich ihm Sachen mitbringen oder er sich etwas im Katalog aussuchen durfte.
Und welch’ wehmütige Erinnerungen überkommen mich, wenn ich an die Zeiten denke, als mein Sohn noch Kleinkind war! Wie gerne habe ich ihm Kleidung mit niedlichen Bärchen-, Pokémon- und Dinosaurieraufdrucken gekauft! Diese Zeiten änderten sich, als mein Sohn in den Kindergarten kam. Auf einmal waren coole Shirts mit „geilen“ Aufdrucken angesagt. Fleece-Jacken und Kapuzenpullover, sogenannte Hoodys, lösten die braven Strickjäckchen ab und Jeans im Cargo-Style ersetzten die Latzhöschen. Ich war mir durchaus bewusst, dass mein Sohn seinen eigenen Geschmack entwickeln sollte, und habe mich, als aufgeschlossene und verständnisvolle Mutter, diesem Trend nicht widersetzt.
Im zarten Teenie-Alter, als Mike immer noch wie ein Weltmeister wuchs, waren meine Dienste immer noch jede Saison gefragt. Zum Glück war der eigentliche Kleidungskauf für meinen Sohn nicht so schwer: Er trug T-Shirts im Sommer, Sweatshirts im Winter, Jeans und Turnschuhe – oder „Sneakers“ wie man heute sagt – das ganze Jahr über. Ich kannte seine Größe und seinen Geschmack.
Waren eigentlich „Captain Jack Sparrow und die Piraten der Karibik“ schuld daran, als sich vor einigen Jahren Totenkopfdrucke großer Beliebtheit erfreuten und bei Jugendlichen „in“ und „voll geil“ waren? Ich erinnere mich mit Grausen an ein Weihnachtsfest. Mein Sohn hatte seinen Vater, von dem wir getrennt lebten, besucht. Zur Familienfeier bei meinem Bruder erschien mein Sohn dann mit einem neuen schwarzen Sweatshirt, auf dem nicht nur ein, sondern gleich drei große Totenköpfe mit blutigen Zähnen und Fledermausflügeln prangten. Dieses Sweatshirt war ein Geschenk seines Vaters, und mein Sohn hatte es gleich stolz angezogen. Und das zu Weihnachten! Ich trank ein paar Likörchen, und war dankbar für die heitere Gelassenheit, die mich dann befiel und meinen kritischen Blick trübte.
Jedes Jahr im Herbst musste ich mich jedoch mit einer Extra-Ration Baldrian für die Nervenprobe stärken, die da auf mich zukam. Da die ganzjährig getragenen Turnschuhe meines Sohnes bei eventuell einsetzendem Schneefall und Glatteisbildung kaum ihren Dienst als adäquates Schuhwerk erfüllen würden, mussten wir rechtzeitig gemeinsam den Besuch eines Schuhgeschäfts in Angriff nehmen. Die Betonung liegt hierbei auf nur „einem“ Schuhladen, aber Schuhe müssen nun einmal anprobiert werden. McDonalds-Besuche, die ich ganz früher als Belohnung für einen erfolgreich durchgeführten Schuhkauf in Aussicht stellte, waren ab einem gewissen Alter leider völlig „out“ und ich konnte dann nur noch an Mikes Vernunft appellieren.
Ich erinnere mich nun an einen Herbsttag, als mein Sohn 14 Jahre alt war und mich in der Körpergröße schon eingeholt hatte. Der Schuhkauf stand wieder einmal bevor und tagelang hatte ich mit Engelszungen auf meinen Sprössling eingeredet: „Wollen wir denn heute mal endlich zu D…mann gehen?“
Wie erwartet, hatte mein Sohn dann auch „Null Bock“. Er ging übelgelaunt mit, saß völlig unmotiviert zwischen den Winterstiefeln, die ich anschleppte, und rührte weder Finger noch Fuß. Die Gefühle, die dann in mir hochkochten, konnte man sicherlich nicht mit mütterlich bezeichnen. Und so mündete die Anprobe mal wieder in einen Nervenkrieg! Wieder zuhause angekommen, betete ich, dass seine Füße bald ausgewachsen sein würden. Immerhin hatten die neuen Winterboots Größe 43.
Im darauffolgenden Jahr hatte ich es dann endlich aufgegeben, ihn in der kommenden kalten Jahreszeit auf neues und passendes Schuhwerk hinzuweisen und der gemeinsame Schuhkauf war von da an Geschichte. Ich hoffte immer nur, dass er auf seinen Gummisohlen bei Eis und Schnee nicht ausrutschte und sich die Knochen brach.
Inzwischen ist mein Sohn 23 Jahre alt und lebt mit seiner Freundin in einer gemeinsamen Wohnung. Selbstverständlich darf ich ihm keine Klamotten mehr schenken. Als Rock- und Metalmusiker steht er natürlich auf schwarze Kleidung, ab und zu darf es schon mal dunkelblau oder ein Tupfer grau oder rot sein. Turn- bzw. Stoffschuhe mit dünnen Gummisohlen trägt er immer noch das ganze Jahr über, halt bis sie von den Füßen abfallen oder sich komplett auflösen.
An seinem letzten Besuch bei mir machte ich ihn auf den schlechten Zustand seiner Treter aufmerksam.
„Ich hab dir doch Geld zum Geburtstag geschenkt. Da könntest du dir doch mal ein paar neue Schuhe kaufen.
Er winkte ab: „Mama, nerv mich nicht. Schuhe sind doch völlig unwichtig. Und von dem Geburtstagsgeld hab ich mir schon Konzertkarten gekauft.“
Er trägt übrigens jetzt – mit ausgewachsenen Füßen – Schuhgröße 46.
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Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: pixelio, FG Pascale Tippelt, common use
Lektorat: Rebekka Weber
Tag der Veröffentlichung: 06.06.2019
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