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Erinnerungen

Im Herbst 2004 besuchte mein Sohn die dritte Grundschulklasse, und im Sachkundeunterricht besprachen die Kinder Wirbelstürme und Naturkatastrophen. Ganz aufgeregt kam mein Sohn nach Hause und berichtete mir von Hurrikans, Tornados und Tsunamis, die er ganz besonders spannend und faszinierend fand.

 

Am 1. Weihnachtstag des Jahres 2004 waren mein Sohn und ich bei meinem Bruder eingeladen. Spät abends, so gegen 22:00, kamen wir von der Feier zurück nach Hause. Während Mike sich im Bad die Zähne putzte, ging ich ins Kinderzimmer, um sein Bett aufzudecken. Zu jener Zeit schlief mein Sohn in einem Hochbett. Und was sah ich da? Alle Kuscheltiere, die sonst immer auf dem Boden oder auf dem kleinen Sofa saßen, hatten einen neuen Platz bekommen.

 

„Nanu“, fragte ich meinem Filius, „warum hast du denn alle deine Kuscheltiere oben auf dein Bett gesetzt?“

„Wegen des Tsunamis natürlich“, antwortete er, „da sind sie sicher.“

Seltsam, dachte ich, der Sachkundeunterricht und die Naturkatastrophen schienen ihn ja sehr zu beschäftigen, selbst jetzt noch in den Schulferien. Oder hatte mein Sohn eine Vorahnung gehabt und an seine zweite Heimat gedacht, der furchtbare Gefahr drohte? Ich habe allerdings auch schon oft von Ereignissen, die später tatsächlich eingetroffen sind, geträumt oder sie herannahen gespürt.

 

Am nächsten Morgen, es war der 2. Weihnachtsfeiertag, hörte ich gegen Mittag in den Radionachrichten von dem schweren Seebeben und dass die Ausläufer eines Tsunamis auch Sri Lanka, das Heimatland meines Exmannes und Vater meines Sohnes, erreicht hatten. Mich durchfuhr ein eisiger Schreck! Um Gottes Willen, dachte ich, hoffentlich ist unseren Verwandten nichts zugestoßen! Ich versuchte meinen Exmann, von dem ich zu jener Zeit schon getrennt lebte, telefonisch zu erreichen und berichtete ihm, was ich im Radio gehört hatte. Er versprach, gleich seine Eltern, anzurufen und sich sofort bei mir zu melden, sobald er etwas erfahren hatte. Stunde um Stunde verging, ohne dass er zurückrief! Und ich saß den ganzen Tag vor dem Fernseher, verfolgte die aktuellen Meldungen und kam fast um vor Sorge.

 

Durch die Medien erfuhren wir, dass der Tsunami den Süden der Insel und auch Galle, wo unsere Verwandten wohnen und wo ich geheiratet hatte, hart getroffen hätte. Man rechnete mit vielen Toten.

Endlich, gegen Abend, rief mein Exmann an, er hatte seinen Vater am Telefon erreicht. Dieser hätte unter Schock gestanden und nur gestammelt: „Galle is flat! Galle ist platt!“

Die Familie hatte zum Glück an diesem fatalen Sonntagmorgen zu Hause beim Frühstück gesessen. Da das Haus der Familie einige Kilometer landeinwärts liegt, waren die Wassermassen nicht bis zu ihrer Siedlung durchgedrungen. Die dortigen Bewohner hatten sich nur gewundert, weil die Reisfelder auf einmal meterhoch unter Wasser standen. Wäre der Tsunami an einem Wochentag passiert, wären die Familienmitglieder mit Sicherheit unterwegs oder in der Stadt gewesen. Nicht auszudenken, was dann hätte passieren können!

 

Ich sah die schrecklichen Bilder im Fernsehen, und ein Bild ist mir für immer im Gedächtnis geblieben: Verzweifelte, in Bussen eingeschlossene Menschen, die versuchten, sich auf die Dächer der Busse zu retten und in den Fluten um ihr Leben kämpften. Das war doch der Busbahnhof von Galle, am Fuße des Forts, wo ich so oft gewesen war! Ich konnte kaum hinsehen. Fast dreitausend Menschen kamen in Galle durch die Wassermassen um.

 

Später erfuhren wir, dass mehrere Klassenkameraden meines Exmannes ihr Leben verloren hatten und dass eine Tante von uns, die mit ihrem Kind im „Samudra Devi“ (Königin des Meeres),  gesessen hatte, umgekommen war. Das war der Zug, der auf der Fahrt von Galle, im Süden,  nach Colombo, der Hauptstadt der Insel, von der Killerwelle aus den Gleisen gehoben und überspült worden war. In diesem Zug sollen 1.500 Passagiere gesessen haben, darunter auch Touristen aus England, Schweden und Israel. Nur ca. 100 überlebten. Viele, die vom Wasser ins Meer gerissen wurden, sind niemals gefunden worden. An der Stelle dieses Unglücks steht jetzt ein Tsunami-Museum.

 

In Sri Lanka starben bei dieser Naturkatastrophe ca. 35.000 Menschen. Die Insel war das Land, das nach Indonesien am zweitschwersten vom Tsunami betroffen war. Damals herrschte noch Bürgerkrieg und zunächst arbeiteten die verfeindeten Tamilen und Singhalesen gemeinsam, um den Opfern zu helfen. Nachdem die schlimmsten Zerstörungen beseitigt worden waren, kamen jedoch die alten Streitigkeiten zwischen den verfeindeten Parteien wieder hoch.

 

Nach dem Tsunami wollte ich zunächst nicht mehr nach Sri Lanka fliegen! Eine zerstörte Insel passte nicht in das Bild, das ich von Sri Lanka im Herzen bewahre. Ich wollte dieses „Schöne, strahlende Land“ so unversehrt in Erinnerung behalten, wie ich es bei meinen Besuchen immer angetroffen hatte.

 

Im Juni 2006 flogen mein Sohn und sein Vater nach dreijähriger Pause das erste Mal wieder nach Sri Lanka. Als sie zurückkamen, berichteten sie, dass die Schäden des Tsunamis nun zum größten Teil beseitig waren.

 

2018 bin ich dann das erste Mal nach 17 Jahren wieder nach Sri Lanka geflogen und hab mich dort gleich wieder sehr wohl gefühlt.

 

                                               *          *          *

 

An dieser Stelle gedenke ich der vielen Opfer des Tsunamis 2004 und des Bürgerkriegs, der bis 2009 in Sri Lanka gewütet hat, und wünsche der Tropeninsel Ruhe und Frieden!

Möge Glück und Wohlstand auf diesem schönen Fleckchen Erde einkehren!

 

                                                

 

 

 

 

Bilder aus Sri Lanka 

 

 

 

 

 

 

 Die zerstörte „Samudra Devi“ (Königin des Meeres

 

  

 

 

 

 

 


 Eine Tsunamiwelle

 

 

 

 

 

Das Seebeben von 2004 und seine Auswirkungen 

Impressum

Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: pixabay und wikipedia, zur freien Verfügung
Cover: pixabay
Tag der Veröffentlichung: 07.12.2018

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