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Es war Donnerstagabend. Ich legte noch ein paar frisch gebügelte Sachen in meinen Koffer. Am Sonntagmorgen sollte es früh mit dem Bus nach Amsterdam und dann mit der Fähre nach Schottland gehen. Natürlich hatte ich mich sehr auf diese Woche Urlaub gefreut. Große Sorgen machten mir nur meine Leibschmerzen, die vor ein paar Tagen angefangen hatten und sich hartnäckig hielten. Schließlich legte ich mich mit einer Wärmflasche ins Bett, was mir jedoch keine Linderung brachte. Ein erholsamer Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen! Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie gerädert.

 

Nein, so konnte es nicht weitergehen und vor allem konnte ich mit diesen Schmerzen nicht in Urlaub fahren! Ich meldete mich bei meinem Arbeitgeber krank und machte mich auf den Weg zu meinem Hausarzt. Wenn es kommt, dann ist alles wie verhext, dachte ich, als ich vor der Tür des Internisten stand und las, dass er verreist war. Also trabte ich weiter zum Vertretungsarzt. Die Praxis war recht leer und ich kam nach einer halben Stunde Wartezeit an die Reihe. Der Arzt war sehr freundlich und versuchte, ganz vorsichtig meinen Bauch zu betasten. Aufgrund meiner heftigen Abwehrspannung diagnostizierte er eine akute Divertikulitis! Meinen Schottlandurlaub sollte ich doch besser stornieren. Es wäre zu gefährlich, diesen anzutreten, da ja etwas „platzen könnte“ und in den schottischen Highlands wäre wahrscheinlich nicht gleich ein Krankenhaus in der Nähe. Jetzt müssten Ultraschall und Röntgenbilder gemacht und Laborwerte ermittelt werden. Er selbst könnte das jetzt nicht mehr machen, da er auf dem Weg in Urlaub sei. Deshalb würde er mir jetzt eine Einweisung ins Krankenhaus mitgeben. 

 

Das durfte ja nicht wahr sein! Vor zwei Wochen war mein Freund im Krankenhaus gewesen und jetzt hatte es mich erwischt! Zunächst schleppte ich mich also nach Hause. Ich schaffte es, telefonisch bei meinem Reiseveranstalter die Buchung zu stornieren und meiner Reiseversicherung Bescheid zu geben. Dann versuchte ich, meinen Sohn Mike zu erreichen. Der war gerade bei seiner Freundin in der Eifel, versprach aber, sich gleich ins Auto zu setzen und mich ins Krankenhaus zu fahren. Nun rief ich Bernd, meinen Freund an, der gerade in der Reha weilte. Ich konnte ihm ausreden, nach Düsseldorf zu kommen und mich zu begleiten, dass hätte mich - und wahrscheinlich auch ihn - nur noch mehr aufgeregt. Mein Sohn ist dagegen immer die Ruhe selbst. Ich raffte also das Nötigste fürs Krankenhaus zusammen und hoffte, dass mein Filius bald kommen würde.

 

Es war dann mittlerweile halb vier am Nachmittag, als Mike mich in der Notfallambulanz absetzte. Nachdem er einem Parkplatz gefunden hatte, leistete er mir Gesellschaft. In der Ambulanz hieß es nämlich warten, warten und nochmals warten. Zwischendurch schaute mal ein Arzt nach mir, um mir auf den Bauch zu drücken, ein anderer legte mir am linken Arm einen „Zugang“ und eine Schwester wies mir freundlich eine Liege zu, als ich kundtat, dass es mir wirklich nicht gutginge. Nach fünf Stunden in der Notaufnahme hatte ich dann endlich um halb neun am Abend ein Bett auf Station. Ich bekam die erste Infusion mit einem Antibiotikum.

 

Am nächsten Tag, Samstagmorgen, war Visite. Das „Wochenend-Team“ – ohne Chefarzt, der  hatte frei – beschloss, mich erstmal auf Flüssignahrung zu setzen, das hieß Süppchen und Tee. Ich war begeistert! Mein Freund Bernd besuchte mich dann am Nachmittag. Völlig aufgelöst und verschwitzt setzte er sich auf meinem Bettrand.

„Es wäre besser, wenn du in der Reha bleibst, anstatt mich hier zu besuchen“, schimpfte ich mit ihm. „Du bist wirklich noch nicht wieder fit. Stell dir vor, du kippst in der S-Bahn um.“

Bernd hatte ja vor kurzem erst einen Schlaganfall erlitten! So regte mich sein Besuch an meinem Krankenbett nur noch mehr auf und meine Leibschmerzen verstärkten sich.

 

Am Sonntagmorgen war wieder Visite, diesmal mit Chefarzt.

„Nun, Frau Weber, wenn sich dann ihre Entzündungswerte wieder normalisiert haben, können wir ja operieren.“

 „Was dann für eine Operation?“

„Wir schneiden das Gewebe, das entzündet war, aus Ihrem Darm und beugen somit einer erneuten Divertikulitis vor.“

„Ich möchte aber nicht operiert werden.“

„Sie könnten demnächst wieder einen Schub bekommen. Der wievielte ist es überhaupt?“

„Das war mein erster Schub! Ich habe noch nie einen gehabt. Und wenn ich mal Verdauungsprobleme hatte, dann hat mir mein Hausarzt einen Saft verschrieben, damit es wieder flutschte. Eine Operation ist wirklich nicht nötig. Ich denke, dass meine Beschwerden ganz einfach durch zu viel Stress herrühren. Vor zwei Wochen hatte mein Freund einen Schlaganfall.“

„Das sehe ich anders, Frau Weber, eine OP ist unumgänglich und Sie sind ja nun einmal hier.“ Mit wehendem Kittel verließ der Chefarzt samt Gefolge mein Krankenzimmer.

„Oh, ihr Blutdruck ist aber leicht erhöht“, meinte die Lernschwester, als sie eine halbe Stunde später bei der morgendlichen Messung die Manschette wieder abnahm.

„Das ist ja kein Wunder“, meinte ich nur.

 

Bei der nächsten Visite am Montagmorgen konnte der Chefarzt nicht antreten. Er hatte mit seiner Harley Davidson eine morgendliche Spritztour am Rhein unternommen und war unterwegs liegengeblieben. Nun ließ er sich durch einen jungen Assistenzarzt, der gerade aus München „zugereist“ war, vertreten. Und mit diesem Herrn – ich nenne ihn mal „Doktor Hitzig“ (sein richtiger Name, den ich ja hier nicht nennen darf, hatte etwas mit Feuer zu tun) – prallte ich auch gleich heftig zusammen.

„Ja, Frau Weber, da ihre Beschwerden noch nicht zurückgegangen sind und ihre Entzündungswerte laut Labor erhöht sind, möchte ich bei Ihnen einen ZVK anlegen“.

„Einen ZVK? Was ist das denn?“

„Das ist ein zentraler Versorgungkatheder. Der wird in eine Hohlvene – sehr gut geht das am Hals – eingeführt und Sie erhalten dann ihre Nahrung darüber.“

In meinem Kopfkino malten sich schreckliche Bilder ab.

„Ich möchte das aber nicht. Das ist ja nicht ungefährlich.“

„Es ist völlig ungefährlich und bei ihrem Krankheitsbild die einzige Möglichkeit.“

„Ich möchte es trotzdem nicht.“

„Frau Weber, das gleiche Spielchen, dass Sie nicht mit unseren Behandlungsmethoden einverstanden sind, haben Sie mit unserem Chefarzt auch schon gespielt. Mit mir geht das aber nicht.“

„Ich darf doch wohl meine Meinung sagen.“

„Es gilt hier nur eine Meinung und zwar meine. Ich bin Ihr behandelnder Arzt und ich kann Sie auch zwangsernähren.“

Zwangsernähren?? Ich glaubte mich verhört zu haben. Wo war ich denn hier gelandet?

 

Im Laufe des Tages versuchte ich, mich zu beruhigen und zog bei Freunden und Verwandten telefonisch Erkundigungen ein. Nein, ein „Zwangskatheder“ und eine Operation dürften nur mit meiner Zustimmung gelegt, bzw. gemacht werden. Als jedoch am Spätnachmittag immer noch keine merkliche Verbesserung meines Zustandes eingetreten war, ergab ich mich in mein Schicksal, schließlich wollte ich dieses Haus des Schreckens auch einmal wieder verlassen. Unter einer Lokalanästhesie wurde im OP dieses Ding an meinem Hals eingeführt. Anschließend wurde ich geröntgt, um den korrekten Sitz des ZVKs zu überprüfen.

 

Außer der „Zwangsnahrung“, die ich nun dreimal am Tag erhielt, musste durch einen separaten Schlauch ständig eine Wasser-Infusion laufen, damit der Katheder in der Vene nicht austrocknete. Wenn die Wasserflasche dann nicht gleich ausgewechselt wurde, geriet ich immer leicht in Panik. Das Personal war ja nicht immer gleich zur Stelle. Und dieser ZVK hatte zur Folge, dass ich Tag und Nacht an ihn „angekettet“ war. Für mich – als freiheitsliebenden Menschen, der im Alltag immer viel unterwegs ist – war das der blanke Horror. Immerhin konnte ich mit diesem Infusionsständer im Krankenhaus herumlaufen. Wäsche wechseln, Waschen und Duschen war allerdings wegen den Schläuchen ziemlich umständlich.

 

Neben meinen Diskussionen mit den Ärzten und Pflegepersonal habe ich auch viele Kontakte mit anderen Patienten gehabt. In meinem Zimmer lag einmal eine junge Frau, die einen künstlichen Darmausgang hatte. Sie erzählte mir, dass sie sich nie als Frau gefühlt hätte. Immer hätte etwas bei ihr unten wehgetan. Ich fand das ganz traurig. Und dann die russisch-stämmige Rumänin, die mit entzündetem Fuß im Nachbarbett lag. Ihr Arbeitgeber, für den sie als Reinigungskraft tätig war, hatte ihre Diabetes ignoriert und ihr keine Arztbesuche gestattet. Das Ergebnis war, dass im Krankenhaus um ihren Fuß, dem eine Amputation drohte, gekämpft wurde. Ich weiß nicht, was aus der Frau geworden ist. Und die junge afrikanische Familie mit drei Kindern. Der Ehemann bekam keinen Urlaub, obwohl sein Arbeitgeber wusste, dass die Mutter im Krankenhaus lag. Die drei Kleinen turnten dann im Bett der frisch operierten Frau herum, während der Mann zur Arbeit eilte, um seinen Job nicht zu verlieren.

 

Aber es gab auch lustige Momente. Wir hatten draußen auf dem Gang eine Besucher- und Quasselecke, dort traf man sich, wenn man dem „Zimmerkoller“ entrinnen wollte. Ein älterer Herr – laut Angabe 85 Jahre jung – lud mich einmal auf sein Zimmer ein. Sein Zimmerkollege wurde gerade operiert und das könnte ja dauern und ob wir die Zeit nicht zu einem Schäferstündchen nutzen sollten?

 

Nach einer Woche und einer weiteren Blutuntersuchung, teilte man mir mit, dass sich meine Entzündungswerte normalisiert hatten. Bei der morgendlichen Visite sprach Doktor Hitzig jedoch gleich wieder das Thema Operation an.

„Ich hatte Ihnen doch schon gesagt, dass ich nicht operiert werden möchte. Außerdem fühle ich mich wieder fit. Ich möchte entlassen werden.“

„Vielleicht überlegen Sie sich ja einen späteren OP-Termin.“

„Darüber würde ich gerne eine Zweitmeinung einholen. Und außerdem möchte ich mit meinem Arbeitgeber sprechen und ihn informieren, dass ich eventuell wieder ausfalle.“

„Ihr Arbeitgeber hat damit gar nichts zu tun. Ihre Gesundheit ist vorrangig und eine OP ist unumgänglich.“

„Das sehe ich anders. Und ich möchte nun umgehend entlassen werden.“

„Nun gut, aber dann verlassen Sie uns auf eigene Verantwortung“.

 

Nun kochte ich wirklich! Dass diese Halbgötter in Weiß auch immer meinten, dass sie an Menschen herumschnibbeln müssten! Als ich mich wieder beruhigt hatte, begab ich mich ins Stationszimmer und fragte nach Kopien von den letzten Laborwerten und dem Ergebnis der Darmspiegelung.

„Wozu brauchen Sie die denn, Frau Weber?“, meinte die Lernschwester schnippisch, „das ist medizinischer Fachjargon und das verstehen Sie sowieso nicht.“

„Das kann ich wohl besser als Sie beurteilen, ob ich das verstehe oder nicht.“

Nach dem Studium der vorgenannten Berichte – die Divertikulitis war eindeutig abgeklungen,  das verstand ich ja – bestand ich auf meiner sofortigen Entlassung.

 

Mit dem Pflegedienstleiter führte ich noch ein Abschlussgespräch.  Ich gab ihm zu verstehen, dass ich mich nicht gut versorgt gefühlt hätte. Obwohl das Krankenhaus einen hervorragenden Ruf genießt, was die fachliche und medizinische Seite anbetrifft, hatte ich jedoch immer eine Heidenangst, vielleicht sogar Panik, dass irgendetwas falsch gemacht werden konnte. Das Pflegepersonal wäre zwar sehr nett und sehr bemüht gewesen, war aber in meinen Augen unterbesetzt. Trotzdem leistete es einen Knochenjob! Aber ich hatte immer befürchtet, dass jemand im Stress bei mir mal einen Schlauch falsch anschließen oder mir ein falsches Medikament als Infusion anhängen würde. Und auf die hygienischen Um- und Missstände habe ich auch hingewiesen, die ich hier aber nicht näher erläutern möchte. Der Pflegedienstleiter bedankte sich für meine Offenheit und Hinweise. Schließlich soll sich ja ein Patient gut behütet und versorgt fühlen. Das wäre seine Mission!

Abschließend meinte er noch: „Frau Weber, nun, da sie hier überlebt haben, sind Sie fit fürs Leben“.

 

Ich war überglücklich, als ich dann am nächsten Tag nach nunmehr zweiwöchigem Krankenhausaufenthalt wieder zu meinem Sohn ins Auto steigen durfte. Zuhause sollte ich jedoch noch weiter Medikamente einnehmen. Und zur Erholung war ich für weitere zwei Wochen krankgeschrieben. Mein Hausarzt kam eine Woche später aus seinem Urlaub zurück.  „Ich hätte Sie übrigens nicht ins Krankenhaus eingewiesen“, schüttelte er den Kopf, „sondern krankgeschrieben. Die Antibiotika hätten Sie ja auch zuhause einnehmen können.“

Na, seine Abwesenheit war ja super für mich gelaufen!

 

Mir ging es von Tag zu Tag besser, vor allem seit ich der Krankenhausatmosphäre entronnen war. Allerdings hatte ich dann doch noch einen kleinen Rückfall. Durch die Medikamente war mir immer leicht schwindelig gewesen. Und durch die Krankheit meines Freundes sensibilisiert, geriet ich Ende der vierten Woche einmal in Panik, als ich einen plötzlichen stechenden Schmerz bekam, der in der Leistengegend begann und sich dann über das Herz in der linken Schulter ausbreitete. Ich geriet in Panik! Mein Sohn fuhr mich dann gleich zum Hausarzt. Der befürchtete nun eine Lungenembolie und ließ mich mit dem Krankenwagen wieder in die Notaufnahme der Schreckensklinik bringen, etwas, was ich eigentlich unbedingt vermeiden wollte. Nach vierstündiger Beobachtung stellten sich meine Beschwerden zum Glück als falscher Alarm, sozusagen als „Nachwehen“ heraus.

 

In der ersten Septemberwoche war ich endlich von Ärzten, Infusionen und Medikamenten befreit und konnte wieder meinem Job nachgehen. Mein Arbeitgeber, das heißt die Familie und die Kinder, die ich betreue,  freuten sich sehr, dass ich wieder gesund war.

 

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Impressum

Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: pixabay, freie kommerzielle Nutzung
Tag der Veröffentlichung: 02.08.2018

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