Nein, so hatte ich mir die Silvesterparty in unserem Hotel – dem „Horizon“ – nicht vorgestellt. Bloß schnell weg von hier! Ich fragte Oliver, einen jungen Mann von 18 Jahren, mit dem ich mich angefreundet hatte, ob er Lust hätte, mich zum Nachbarhotel zu begleiten und nachzuschauen, ob dort ein reibungsloseres und besseres Programm als in unserem Hotel stattfand.
Erwartungsvoll betraten wir das Foyer vom „Koggala Beach Hotel“ und stiegen die breite Treppe zur Empore hoch, von wo aus uns Musikklänge entgegenkamen. Die Band, die dort aufspielte, war für uns jedoch ebenfalls eine Enttäuschung. Sie hatte zwar keine Kurzschlüsse wie „The Breeze“, die Band, die im „Horizon“ spielte, aber ihr Repertoire war nun so gar nicht nach unserem Geschmack. Ein Pärchen drehte einsam seine Runden auf der Tanzfläche und die anderen Gäste nippten lustlos an ihren Gläsern. Also Stimmung, gleich Null!
„Was machen wir jetzt?“, fragte ich Oliver.
„Wir könnten ja über den Strand zum Horizon zurückgehen. Vielleicht ist die Party dort inzwischen besser geworden oder hat sich vielleicht schon aufgelöst, bis wir kommen!“
„O. k., geh’n wir!“
Wir durchquerten den Hotelgarten, zogen unsere Schuhe aus und betraten den Strand. Am Horizont blinkten die Lichter vorbeifahrender Schiffe. Wir sahen ihnen eine Weile zu, dann begannen wir unseren Marsch Richtung Heimathotel. Ein paar Flutlichtmasten erhellten zunächst unseren Weg. Dann wurde es dunkler und dann leuchteten nur noch der Mond und die Sterne. Es war das erste Mal, dass ich nachts am Strand spazierenging. So blieb ich stehen, legte meinen Kopf in den Nacken, blickte hoch und war ganz fasziniert von dem Anblick, der sich mir bot.
„Schau nur Oliver! Der Himmel ist hier ganz klar und viel schöner als bei uns zu Hause. Guck’ mal, die vielen Sterne! Und die Milchstraße ist auch ganz deutlich zu erkennen!“
Oliver blieb nur kurz stehen und brummte: „Ja, es sieht sehr schön aus …“
„Und sieh nur Olli, der Mond, wie lustig, er liegt auf dem Rücken! Das sieht aus wie ein Körbchen. Ob das der zunehmende Mond ist?“
Ich erhielt keine Antwort, denn Oliver war schon weitergegangen und hatte eine andere Beschäftigung gefunden. Er lief hierhin und dorthin, guckte unter jeden größeren Stein und scheuchte mit großer Begeisterung Krebse auf, die sich dort versteckt hatten. Dann jagte er sie ins Wasser zurück. Wie ein kleiner Junge! dachte ich, aber so ist die heutige Jugend, kein Sinn für Romantik.
„He, sieh mal, neben dem Stein! Da sitzt schon wieder einer! Und da noch einer! Ab mit euch ins Wasser!“ Oliver stieß die Krebse mit seinem Fuß an und entsetzt flüchteten die Tiere Richtung Meer.
Ich blieb ein paar Meter hinter Oliver zurück und genoss die Stille. Weit und breit war niemand außer uns zu sehen oder zu hören. War das schön hier! Ich hätte stundenlang hier am Strand spazierengehen können und am liebsten hätte ich sogar die ganze Nacht hier draußen verbracht und mich später zum Schlafen mit einer Decke in den Sand gekuschelt.
Und wann bekam man schon einmal an Silvester solch eine Kulisse geboten? Sicher, die Düsseldorfer Rheinpromenade hatte da ja einiges zu bieten, aber ein Silvesterhimmel in Sri Lanka war doch etwas ganz besonderes.
Es war einfach traumhaft: ein sternenklarer Himmel, funkelnde Lichter, eine samtweiche Brise, warmer Sand unter den Füßen und dazu das Rauschen der Brandung! Ich vergaß Raum und Zeit und genoss …
Plötzlich sah Oliver jedoch auf seine Armbanduhr und riss mich aus meiner Verzückung.
„He, es ist zehn vor zwölf! Wenn wir ein bisschen schneller geh‘n, schaffen wir es bis Mitternacht noch zurück. Ich möchte unbedingt das Feuerwerk sehen!“
Gerade als die ersten Silvesterraketen hochgingen, waren wir am „Horizon“ zurück. Wir blieben jedoch am Hotelstrand stehen und sahen von dort aus dem Schauspiel zu. Na, das klappte wenigstens ohne Pannen! Ungefähr zehn Minuten lang flogen die Raketen in den Himmel und gesellten sich zu den funkelnden Sternen.
Als das Feuerwerk vorüber war, trauten wir uns wieder in den Speisesaal. Die Band „The Breeze“ hatte mittlerweile ihre Technikprobleme im Griff und nun war die Tanzfläche rappelvoll. Unsere Bekannten, Roland, Gerhard und ihre Begleiterinnen, tanzten ausgelassen und ich winkte ihnen zu. Fast alle anderen Gäste tanzten auch, sogar das Personal, allerdings wieder nur das männliche. Die einheimischen Männer flippten dabei völlig aus! Ihre phantasievollen Tanzstile erinnerten mich sehr an die von Afrikanern, die ja bekanntlich auch gut tanzen können. Schnell mischte ich mich unter die Tanzenden. Als die Band einen Reggaesong intonierte, kam sogar der schüchterne Oliver auf die Piste.
Als Oliver und ich eine Tanzpause machten, entdeckten uns Upali und Tissa, der Hotelgeschäftsführer und sein Assistent. Sie kamen an unseren Tisch, umarmten uns und küssten uns auf die Wangen.
„Happy New Year! Ein gutes neues Jahr!”
„Happy New Year! Sind Sie nicht sauer, weil der Abend so schlecht gelaufen ist und ich geflüchtet bin?“, fragte ich.
„Nein, nein“, antwortete Upali. „So schlecht lief es doch gar nicht. Bitte kommen Sie doch rüber an unseren Tisch! Ich möchte einen ausgeben und Ihnen meine Frau vorstellen.“
Am Managertisch saß eine große und sehr hübsche Frau, flankiert von fünf Kindern und sah den Tanzenden zu.
Ich legte meine Handflächen aufeinander und grüßte sie auf Singhalesisch: „Ayubowan! And Happy New Year!“
Upalis Frau lächelte freundlich, aber sie sagte nichts. Und ihr Mann tanzte kein einziges Mal mit ihr, kippte aber ein Glas Alkohol nach dem anderen hinunter.
War das Arrak, der einheimische Reiswein, den die Manager da tranken? Ich blickte auf die Flasche, mit der Upali fleißig die Gläser füllte. Es war jedoch Whiskey, und zwar ein recht starker mit 45 % Alkohol. Da Upali sofort nachgoss, sobald mein Glas leer war, musste ich höllisch aufpassen, nicht betrunken zu werden. Oliver dagegen nippte nur an seinem Glas, er hatte ja letzte Nacht Magenprobleme gehabt. Mich wunderte, dass er überhaupt so lange durchhielt.
Aufmerksam beobachtete ich die Manager, die ein Glas Alkohol nach dem anderen tranken. Welche Wirkung würde der Alkohol wohl auf sie haben? Ich hatte in dieser Richtung mit Männern schon einiges gesehen und erlebt, aber die Horizon-Manager schienen sich trotz Alkohol unter Kontrolle zu haben. Ihr Benehmen mir gegenüber blieb weiterhin einwandfrei.
Todmüde und ziemlich angesäuselt fiel ich gegen halb drei ins Bett. Aber am schönsten waren doch der Strandspaziergang und die Milchstraße gewesen, dachte ich noch, bevor mir die Augen zufielen. Traumlos schlief ich bis zum Neujahrsmorgen durch.
* * *
Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: Coverfoto von Karin Stefanie Kaserer (zur freien Verfügung gestellt)
Tag der Veröffentlichung: 04.10.2016
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
(gekürzter und überarbeiteter Auszug aus meinem Roman „Curries, Kokospalmen & Orchideen“)