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Mein letztes Realschuljahr, in dem die Mode eine goße Rolle spielte

Ich stand an der Reling der Fähre und ließ meinen Blick über die grauen Fluten des Ärmelkanals schweifen. Aufgeregt hoffte ich, dass bald die Küstenlinie des englischen Königreiches und die Klippen von Dover auftauchen würden.

 

Im Spätsommer 1970 hatte ich mein letztes Jahr auf der Realschule angetreten und jetzt, im September, durfte ich am alljährlichen Schüleraustausch teilnehmen. Die Plätze für dieses begehrte „Highlight“ waren stets begrenzt und wurden deshalb immer ausgelost. Leider hatte ich bei der Verlosung keinen Platz ergattert und war somit verständlicherweise sehr traurig gewesen.

 

Dann blieb jedoch meine Klassenkameradin Monika sitzen und ich durfte ihre Engländerin – Valerie mit Namen – „übernehmen“. Vor meiner Abreise gingen einige Briefe zwischen dem Mädchen – sie wohnte in Harlow, einer Vorstadt im Norden Londons - und mir hin und her. Ich war gespannt darauf, sie und ihre Familie kennenzulernen.

 

Leider hat es dann zwischen Valerie, ihren Eltern, Geschwistern und mir doch nicht so richtig gefunkt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie sich eigentlich auf Monika – Valerie hatte sich immerhin über ein Jahr lang mit ihr geschrieben – gefreut hatten und nun enttäuscht waren, dass so kurzfristig ein anderes deutsches Mädchen zu Besuch kam.

 

Den meisten deutschen Austauschschülern und mir schmeckte das englische Essen nicht und so deckten wir uns mit Süßigkeiten ein, wenn wir uns in den Nahverkehrszug setzten und uns aufmachten, „Swinging London“ zu erkunden. Stundenlang konnten wir dann in den Plattenläden der Metropole stöbern, die Beatles und Stones waren ja zu jener Zeit noch hoch angesagt. Wenn ich mir jedoch so die Fotos meines ersten Besuchs auf der grünen Insel angucke, muss ich sehr darüber schmunzeln, wie ich damals ausgesehen habe: hochaufgeschossen und lange Beine, aber mit superkurzem Minirock! Der war damals ein Muss!

 

Valerie besuchte mich einen Monat später in Deutschland, der Kontakt mit ihr ist danach allerdings abgebrochen. Stattdessen hatten sich meine Freundschaften zu den anderen Austauschschülern vertieft. Wir haben auch später, als wir wieder zuhause waren, viel gemeinsam unternommen und zu einigen von ihnen habe ich heute noch Kontakt.

 

In meinem letzten Realschuljahr war ich weiterhin fleißig und hatte auch immer noch viel Spaß am Lernen. An die Zeugnisausgabe und die Feier in der Schulaula kann ich mich nicht mehr erinnern, aber noch daran, dass alle Abschlussschüler bei hochsommerlichen Temperaturen auf den Mühlenplatz in meiner Heimatstadt gezogen sind. Dort haben wir uns an die Springbrunnen gesetzt, gelacht und Musik aus unseren Kofferradios gehört, hauptsächlich Beat und Flower Power.

 

Der krönende Abschluss dieses letzten Schuljahres und Erhalt der „Mittleren Reife“ sollte dann ein Fest mit Eltern, Geschwistern, Verwandten und Freunden sein. Dieses fand im großen Saal der Solinger Stadthalle statt. Ein Bruder von mir, seine Frau, meine Mutter und mein platonischer Tanzstundenpartner begleiteten mich.

 

Jede der vier Abschlussklassen sollte einen Beitrag zur Feier besteuern. Meine reine Mädchenklasse hatte sich einen Sketch ausgedacht, bei dem die aktuelle Mode „auf die Schippe“ genommen werden sollte. Requisiten sollten Röcke in Mini, Midi und Maxi sein… und natürlich Hot Pants. Nun war ich das einzige mitspielende Mädchen, das ein Maxikleid besaß. Dabei handelte es sich um mein Kleid, das ich ein halbes Jahr zuvor auf dem Abschlussball meiner Tanzschule getragen hatte. Es war blaugrundig, mit Blumen bedruckt, hatte Puffärmelchen, Schößchen an der Taille und war knöchellang. Ich mochte es eigentlich sehr gern und fühlte mich auch wohl darin.

 

Die Stimmung im Saal war bestens: Reden, Tanzeinlagen, Vorträge und Sketche wechselten sich munter ab, und auch der Auftritt der Solinger Band „Brave New World“, die Klassik gekonnt verpoppte – so im Stil der niederländischen Band „Ekseption“, die damals gerade sehr populär war – bekam viel Applaus.

 

Endlich wurde der Auftritt meiner Mädchenklasse angesagt!

Eine meiner Mitschülerinnen spielte nun einen vielbeschäftigten Schneider, der auf seinem Tisch in seiner Werkstatt saß und darüber klagte, dass er so viel Arbeit hatte. Es klopfte und ein Mädchen in einem Minirock trat ein.

„Bitte können Sie meinen Rock verlängern?“, fragte es. „Ich fühle mich ein wenig unwohl darin.“

Der Schneider war einverstanden und bat es, Platz zu nehmen und ein Weilchen zu warten.

Da klopfte es wieder und meine Mitschülerin im Midirock trat ein. Diese wollte, dass der Schneider ihren Rock kürzte.

Dann stolperte ich in meinem langen Maxikleid herein und bat den Schneider ebenfalls, den Saum zu kürzen.

Nach meinem Auftritt erschien unter großem Gelächter die letzte Kundin: ein Mädchen in Hot Pants, dessen Höschen hinten geplatzt war. Verschämt versuchte es, mit beiden auf den Po gelegten Händen das Malheur zu überdecken.  

Der Schneider seufzte und versprach, einen Flicken auf die Stelle zu setzen.

 

Nun wurden vier Lehrer, die unsere Klasse unterrichtet hatten, aufgefordert, dem Mädchen, dessen Kleidung ihnen am besten gefiel, eine Rose zu überreichen und es dann zum Tanzen aufzufordern. Mini und Midi bekamen je eine Blume, Hot Pants zwei und ich keine. Mir standen die Tränen in den Augen…

 

Ich bin dann schnell hinter die Bühne gerannt und habe ein kürzeres Kleid angezogen, das ich – wahrscheinlich in weiser Voraussicht - mitgenommen hatte. Die Lehrer tanzten inzwischen mit Mini, Midi und Hot Pants, außer dem Lehrer, der Hot Pants die zweite Rose gegeben hatten. Schnell forderte ich ihn auf, obwohl ich eigentlich sehr enttäuscht von ihm war. Ich wollte mir jedoch nichts anmerken lassen, kann mich aber noch sehr genau daran erinnern, dass ich an diesem Erlebnis noch einige Zeit zu knabbern hatte.

 

Zwei Wochen später, an einem Samstagmorgen im Juni 1971, saß ich im nagelneuen Alfa Romeo meines ältesten Bruders und düste mit ihm gen München. Meine Mutter hatte mir nämlich eine zweiwöchige Urlaubsreise mit meinem Bruderherz spendiert, weil ich ein so gutes Abschlusszeugnis hatte.

„Dieser Alfa fährt unheimlich schnell“, strunzte Dietmar. „Auf der Autobahn werden wir sicher kaum von anderen Autos überholt werden.“

„Tschummm…..“ sauste der erste Porsche an uns vorbei und ich musste schmunzeln.

 

Leider hatten wir kurz vor Nürnberg eine Autopanne und das bei einem nagelneuen Auto! Mein Bruder war fassungslos, als der Wagen in eine Werkstatt abgeschleppt werden musste. Er gab mir Geld für ein Taxi, das mich zum Nürnberger Hauptbahnhof brachte. Dort setzte ich mich in den Zug nach München, wo mich bei meiner Ankunft mein jüngster Bruder schon auf dem Bahnsteig erwartete.

 

Kurt war Ende zwanzig und erst vor kurzem aus der bergischen Klingenstadt nach München gezogen. Meine Brüder sind alle sehr groß – um die zwei Meter – und Dietmar und Kurt hatten beide im „Club der langen Menschen“ zwei Salzburgerinnen kennengelernt. Mein jüngster Bruder, der schwer in seine neue „Flamme“ verliebt war, hatte liebestrunken eine Arbeitsstelle in ihrer Nähe gesucht und war dann, weil er als Ingenieur in Österreich nichts Passendes fand, bei Siemens in München fündig und eingestellt worden. An den Wochenenden fuhr er dann meist die wenigen Kilometer über die Grenze nach Salzburg, um seine Freundin zu besuchen.

 

Nun sollte Dietmars und mein Besuch das erste Wiedersehen mit unserem Bruder nach seinem Umzug sein. Zunächst traf ich jedoch allein in München ein, denn Dietmar musste ja noch bis Montag - wenn nicht sogar noch länger - in der Nürnberger Werkstatt bleiben, bis sein Auto wieder flott war.

 

An jenem Samstagabend bummelte ich nun mit Kurt durch München und bewunderte die breiten Straßen und die imposanten Bauwerke. In einem lauschigen Biergarten ließen wir den Abend ausklingen. Das Schlafen in Kurts winzigem Apartment – seiner ersten Wohnung in der bayrischen Landeshauptstadt – war dann etwas unbequem, da ich auf einer Luftmatratze nächtigen musste und ich wegen Kurts Schnarcherei kaum ein Auge zumachte. Ich wagte gar nicht mir vorzustellen, dass es noch enger geworden wäre, wenn Dietmar auch noch bei uns geschlafen hätte.

 

Sonntagnachmittag nahm mich Kurt zu einem Tanztee mit und so hatte ich Gelegenheit, noch einmal mein Maxikleid, das in Solingen auf dem Abschlussfest meiner Schule so geschmäht worden war, anzuziehen. Mein Bruder drehte einige Runden Foxtrott mit mir und als er dann einmal mit einer anderen Frau tanzte und ich allein am Tisch saß, wurde ich doch tatsächlich von einem sehr netten und charmanten jungen Mann – schätzungsweise um die Dreißig – aufgefordert. Er führte sehr gut und plauderte locker mit mir. Als er dann aber mein Alter erfuhr – weil ich so groß war, wurde ich ja immer einige Jahre älter geschätzt – meinte er, ich wäre doch noch sehr jung, aber ein sehr hübsches Mädchen in einem entzückenden Kleid! Als er mich zu meinem Tisch zurückbrachte, schenkte er mir noch eine Rose.  

 

Dienstag traf dann Dietmar mit dem reparierten Alfa Romeo in München ein und nun fuhren wir zu zweit weiter nach Salzburg. Dort traf Dietmar seine aktuelle Freundin, mit der ich mich gleich sehr gut verstand. Wir blieben einige Tage in der Mozartstadt und ich lernte ihre Schönheiten kennen. Anschließend fuhren wir zu dritt noch über Innsbruck nach Sterzing in Italien, dem ersten Ort nach dem Brenner-Pass. Dietmar wollte dort einen Abarth-Auspuff, der in Italien günstiger als in Deutschland zu kaufen sein sollte, für seinen heißgeliebten Alfa besorgen.

 

Die zweiwöchige Ferienreise verging viel zu schnell und bald fand ich mich in der heimatlichen Klingenstadt wieder. Dort machte ich mir Gedanken über meinen weiteren schulischen und beruflichen Werdegang. Eigentlich hatte ich vorgehabt, Kindergärtnerin zu werden. Dies war auch der Grund gewesen, weshalb ich nach der Volksschule auf die Realschule gewechselt war. Für meinen angestrebten Berufswunsch hätte ich nämlich „nur“ die mittlere Reife gebraucht.

 

Da ich aber immer recht gute Noten gehabt hatte und nun noch weiterlernen wollte, wechselte ich nach den Sommerferien auf die Höhere Handelsschule. Dort traf ich erneut einige meiner Realschulkameraden und es gab auch – wie wunderbar – wieder gemischte Klassen. Ich habe die Schulzeit in der HöHa sehr genossen und – wie schon gesagt – wir haben immer noch Kontakt und treffen uns regelmäßig an einem Sonntag im Januar zum Brunch.

 

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Impressum

Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: pixelio, FG Günther Gumhold
Tag der Veröffentlichung: 07.07.2015

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