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Eiskalt erwischt…

Der Mann schlug den Kragen seiner Jacke hoch, wickelte den Schal noch fester um seinen Hals und versuchte so wenig wie möglich von der Winterluft einzuatmen, die ihn wie ein eisiger Mantel umfing. Verdammt kalt heute!, dachte er und rieb seine fröstelnden Hände, ich kann keine Erkältung gebrauchen. Seine Stimme war sein Instrument und sie musste das ihr eigene, weiche Timbre unbedingt behalten. Am Abend stand ein wichtiger Auftritt an.

 

Es war um die Mittagszeit an einem 10. Dezember, die Wintersonne mit ihren blassen Strahlen hatte sich gerade wieder verkrochen und ein  paar Schneeflocken tänzelten zu Boden. Der Sänger schritt forsch aus, drehte sich einmal kurz um und winkte lachend seinen Musikern zu, die ihm auf das Rollfeld des Flughafens von Cleveland folgten. Dort wartete schon die kleine zweimotorige Beechcraft, sein eigenes Flugzeug, das ihn und seine Jungs von Konzert zu Konzert flog.

 

Otis dachte an den gestrigen Auftritt in Leo’s Casino, bei dem er und seine Musiker alles gegeben hatten und der ein riesiger Erfolg gewesen war. Nun freute er sich wie ein Schneekönig auf den heutigen Abend in der Factory in Madison, der sicherlich eine Riesensause würde, denn die Konzerttickets waren wie warme Semmeln weggegangen. Endlich schien es mit seiner Karriere steil nach oben zu gehen! Und es gab noch etwas, auf das er sich freute, denn in ein paar Tagen würde er wieder bei seiner Frau und seinen Kindern sein, sie würden zusammen Weihnachtseinkäufe tätigen und die Wohnung schmücken. Und zum 1. Weihnachtstag hatten sich seine Eltern aus Georgia zu Besuch angesagt. Schade, dass er kaum noch Zeit für seine Familie und seine Verwandten hatte und sie nur noch selten sah! Er seufzte kurz auf. Das war halt der Nachteil seiner Popularität.

 

Mittlerweile hatten Otis und seine Musiker, die Bar-Kays, das kleine Flugzeug erreicht. Sie kletterten hinein, nahmen auf ihren Sitzen Platz und schnallten sich an. Als der Flieger abhob, schaute Otis durch das kleine Kabinenfenster nach draußen. Ein paar Schneeflocken klebten an der Scheibe, doch das war für ihn kein Grund, sich wegen des Wetters zu sorgen. Bis jetzt hatte die kleine Maschine sie bei jeder Witterung sicher zum Ziel gebracht.

„Mach‘ doch mal einer die Heizung an, es ist arschkalt hier im Flieger!“, rief eine murrende Stimme.

„Shit! Geht leider noch nicht. Die Batterie ist fast leer“, meldete sich der Pilot, „wir müssen erst in der Luft sein, dann dreh‘ ich die Heizung voll auf.“

„Und hoffentlich bekommen wir bald etwas zwischen die Kiemen“, flachste Ben Cauley, der Trompeter der Band, „ich hab‘ einen Bärenhunger.“

„Hey Mann, sobald wir in Madison gelandet sind, gibt’s Futter im Hotel“, beschwichtigte Otis seine Leute, „und bitte jetzt keine Störung! Ich hol' mal 'ne Mütze Schlaf nach.“

 

Er machte es sich in seinem Sitz bequem und schloss die Augen. Bilder aus seiner Kindheit und Jugend tauchten vor ihm auf. Er erinnerte sich immer gerne daran, wie in seinem Elternhaus und in der Gemeinde gesungen und musiziert wurde und dass es für ihn, den Sohn eines Baptistenpredigers, einfach eine Selbstverständlichkeit war, dass auch er eines Tages im Gospelchor mitsang. Und wie er dann als Teenager am Radio hing, als die Sender die mitreißenden Songs von Little Richard spielten, von diesem kleinen drahtigen Mann, der so vehement die Tasten seines Klaviers bearbeitete, dass man einfach aufspringen und mittanzen musste. Und er hörte sich auch gerne die gefühlvollen Balladen von Sam Cooke an, dem Mann mit dieser Samtstimme, der später sogar sein guter Freund werden sollte. Ja, so ein  Sänger wie seine Vorbilder wollte er auch werden! Das war immer noch sein großer Traum.

 

Unwillkürlich musste er grinsen, als er an daran dachte, wie er als Road Manager lokal bekannte Bands begleitet und diese als Background-Sänger bei ihren Plattenaufnahmen  unterstützt hatte. Bei einer unverhofft freien Zeit im Studio hatte er die Chance ergriffen, um seinen eigenen Song, an dem er schon lange herumbastelte, auszufeilen. These arms of mine wurde dann tatsächlich veröffentlicht und war sogar recht erfolgreich. Ja, das war so ein richtiger Schmusesong! Und wenn er ihn bei seinen jetzigen Auftritten inbrünstig und mit seinem ganzen Körpereinsatz performte, flogen auch schon mal Liebesbriefe und Dessous der weiblichen Konzertbesucher zu ihm auf die Bühne.

 

Seit seiner Europa-Tournee im vergangenen Sommer wusste der Sänger, dass er auch bei hellhäutigen Musikfans ankam. Ja, Soul-Music war seit Mitte der sechziger Jahre dabei, die Welt zu erobern! Er war stolz darauf, dass er zu ihren Interpreten gehörte und seit er sich vor kurzem die Polypen hatte entfernen lassen, war seine Stimme noch besser und ausdrucksvoller geworden. Und seine neue Single, die er gerade erst vor drei Tagen im Studio fertiggestellt hatte, Sittin‘ on the dock oft the bay, war ein richtiger Ohrwurm und hatte doch das Zeugs zu einem Welthit.

 

Otis überschlug noch einmal in Gedanken seine Termine: Erst kam das Konzert heute Abend in Madison, dann morgen noch ein Auftritt in einer Fernsehshow und dann… endlich Pause bis Weihnachten...

 

Als er gerade eingeschlafen war, wurde er unsanft aus seinen Träumen gerissen. Ein heftiges Unwetter schien die Maschine gepackt zu haben und rüttelte und schüttelte sie hin und her. Otis erfasste auf einmal panische Angst! Krampfhaft versuchte er jedoch, Ruhe zu bewahren und drehte sich besorgt nach den anderen Bandmitgliedern um. Auf allen Gesichtern, in die er blickte, malte sich das blanke Entsetzen ab! Ein Mann fing laut an zu beten und ein anderer schrie gellend auf: “My God, what happend to us! Oh, no! No!“

Dann wurde es dunkel und eiskalt… um Otis… und um die Musiker…

 

* * *

 

Die Maschine stürzte in den zugefrorenen Lake Monona in der Nähe der Stadt Madison im US-Staat Wisconsin, bohrte sich tief in den verschlammten Seeboden und brach auseinander.

 

Ben Cauley, der Trompeter, hatte noch kurz vor dem Aufprall seinen Gurt geöffnet. Er wachte im eiskalten Wasser auf und schaffte es, sich an einen Sitz, der neben ihm schwamm, festzuhalten. Als er von den ersten Helfern, die zur Unglückstelle eilten, aus dem Wasser gefischt wurde, war er völlig unterkühlt und stand unter Schock. Da es den Rettungstauchern nicht möglich war, bei den herrschenden Wassertemperaturen bis zur Unglücksmaschine hinunterzutauchen, konnten die anderen Passagiere erst am nächsten Tag geborgen werden. Otis Redding, sein Sekretär, vier Musiker und der Pilot hatten den Absturz nicht überlebt. Der tote Otis saß noch festangeschnallt in seinem Sitz, als er in den eisigen Wasserfluten gefunden wurde.

 

 Ben Cauley erholte sich nur langsam von dem Unglück, das er als Einziger überlebt hatte. Nach seiner Genesung übte er seinen Beruf als Musiker wieder aus.

 

 Die Unglücksursache des Flugzeugabsturzes konnte jedoch nie ganz geklärt werden. Zunächst munkelte man, dass die schwarze Mafia dahinter gesteckt hätte und dass an der Maschine manipuliert worden wäre. Später vermutete man, dass wahrscheinlich die Bordinstrumente im Anflug auf Madison versagt hatten, was aufgrund der Batterieprobleme beim Start viel plausibler klang.

 

 Otis Redding, dieser großartige Sänger, Musiker und Songschreiber, der auch „King of the Soul Singers“ genannt wurde, starb am 10. Dezember 1967. Er wurde nur 26 Jahre alt und hinterließ eine Frau und vier Kinder und Millionen trauernder Fans in aller Welt. Seine Songs sind heute, 46 Jahre nach seinem Tode, immer noch unvergessen und werden noch oft und gerne gespielt.

 

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Hier ist eine Auswahl der besten Songs von Otis Redding und natürlich meine Favourites:

 

Der Klassiker:

Link zu: My Girl

http://www.youtube.com/watch?v=LjpluTCICO4

 

Der Welthit:

Link zu: Sittin’ on the Dock of the Bay

http://www.youtube.com/watch?v=UCmUhYSr-e4&NR=1

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Quellen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Otis_Redding

 

 

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Impressum

Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: pixelio und wikipedia.commons
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
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