Warum essen Söhne aus dem Reiche der aufgehenden Sonne eigentlich so gerne deutsche Würstchen? Ja, das wüsste ich auch gerne, denn eine plausible Erklärung habe ich bis jetzt nicht gefunden.
Als ich bei einer japanischen Handelsfirma arbeitete, musste ich sehr oft Japaner, die in Süddeutschland Geschäftsfreunde besuchen wollten, begleiten. Meist traf ich sie am Flughafen oder im Hotel, tauschte mit ihnen zunächst die „meishi“, die Visitenkarte, aus, dann bestiegen wir unseren Mietwagen, fuhren los und waren oft mehrere Tage unterwegs. Auf diesen Geschäftsreisen, die ich immer als willkommene Abwechslung vom Büroalltag empfunden habe, lernte ich die Japaner als sehr umgänglich und pflegeleicht kennen. Ich saß meist gemütlich vorne im Wagen, als Fahrer oder Beifahrer, und auf der Rückbank saßen zwischen Aktenkoffern und Unterlagen eng zusammengedrückt meine japanischen Kollegen und Geschäftsfreunde. Wenn diesen die Fahrt zu lang wurde, hielten sie ein Nickerchen, aber Klagen über lange Fahrtzeiten und Unbequemlichkeiten habe ich nie von ihnen vernommen.
Ich erinnere mich an einen Abend – wir hatten uns zuvor im Hotel Bayrischer Hof in München getroffen - als ich die Herren in ein französisches Restaurant begleitete. Da sich diesmal unter den Besuchern ein hohes Tier aus Tokio befand, der Senior Chef einer unser Lieferanten, hatte mir mein Düsseldorfer Chef geraten, ein besonders gutes Restaurant zu buchen.
Dort nahmen wir also Platz, die Herren studierten die Speisekarte und als ich sie nach ihren Wünschen fragte, hieß es: „Sausages, please, Webersan! Bitte, Frau Weber, bestellen Sie Würstchen!“
Ich gab den Herren dezent zu verstehen, dass es hier in diesem piekfeinen Restaurant mit Sicherheit keine Schweinswürstl mit Kraut geben würde, versprach ihnen aber, diesen Wunsch am nächsten Tage irgendwo unterwegs zu erfüllen.
Am nächsten Morgen fuhren wir Richtung Nürnberg und anschließend nach Stuttgart und so lernten meine aufgeschlossenen japanischen Gäste bestens Nürnberger Rostbratwürstchen und Schwäbische Maultaschen kennen.
„Oishi desu!“ oder „Oishikatta desu!“, nickten sie anerkennend, „das schmeckt gut“ oder „das war lecker!“
Zum Abschluss unserer Geschäftsreise - wir waren mittlerweile in Düsseldorf angekommen - wollte ich meinen Gästen noch etwas ganz besonders bieten. Während sich die Japaner im Hotel frisch machten, fuhr ich ebenfalls schnell nach Hause, um mich umzuziehen. Ich machte mich besonders chic, denn nach dem Dinner wollten wir noch eine Diskothek besuchen. Frisch gestylt ging ich mit meinen Japanern ins „Schiffchen“, in das renommierte Lokal in der Altstadt, in der schon Napoleon gespeist hatte. Meine Gäste bestellten Grünkohl mit Mettwurst, unsere rheinische Spezialität. Und wenn man mit diesem Gericht vertraut ist, weiß man, welche Tücken solch eine Mettwurst haben kann.
Herr Tanaka, mein Kollege vom Mutterhaus in Tokio, saß mir genau gegenüber. Er nahm das Besteck in die Hand, taxierte die Mettwurst, hob das Messer – ich wollte noch „Vorsicht“ rufen – da stach er schon zu. Ich war jedoch wie gelähmt und anstatt rechtzeitig in Deckung zu gehen, blickte ich fasziniert auf den Schwall der hochaufspritzenden Brühflüssigkeit, die in hohem Bogen über den Tisch direkt auf mich zugeflogen kam. Es war jedoch zu spät, um auszuweichen und so ergoss sich der ganze Segen vorne auf meine neue pinkfarbene Satinbluse, die ich extra zur Feier des Tages angezogen hatte.
Meinem Kollegen war die Sache furchtbar peinlich! Er sprang sogleich auf und rief einen Kellner herbei, der mich behände mit einer Stoffserviette betupfte, um die Flecken aufzufangen. Schließlich kapitulierte er und ich musste den Waschraum der Toilette aufsuchen. Dort wusch und schrubbte ich, so gut das in dieser Lokalität möglich war. Zum Glück hatte ich über der Bluse eine ärmellose Weste an, die ich vorher offen getragen hatte. Nun knöpfte ich sie zu und sah wieder einigermaßen ordentlich aus.
Nach diesem erinnerungswürdigen Abendessen fuhren wir ins Hilton Hotel - damals gab es in den Kellerräumen noch die „Tausendundeine-Nacht-Diskothek“ - und dort haben wir den Abend beschwingt ausklingen lassen. Meine pinkfarbene Satinbluse brachte ich ein paar Tage später in die Reinigung, aber die konnte die Flecken auch nicht vollständig entfernen. Gelacht haben wir über die "Mettwurst-Geschichte" jedoch noch oft.
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Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: pixelio, FG Maren Beßler
Tag der Veröffentlichung: 21.09.2013
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