Ein wenig missmutig stapfte Larissa durch den heißen, feinkörnigen Sand. Nie hätte sie geglaubt, dass Ende September noch so eine Hitze am Mittelmeer herrschen würde! Aber woher sollte sie das wissen, schließlich war dies ihr erster Besuch in Tunesien und in südlichen Gefilden überhaupt. Noch ein paar Meter, dann hatte sie es geschafft! Erleichtert rannte sie ins kühle Nass, bis sie fast bis zu ihrem Po im Wasser stand. Ja, so ließ es sich aushalten! Sie vergrub ihre Zehen im weichen Sand und betrachtete begeistert das leuchtend türkisblaue Meer, das sich vor ihren Augen bis zum Horizont ausbreitete.
Sollte sie wirklich ein Surfbrett ausleihen und ihre ersten Surfversuche wagen? Sie hatte ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich jetzt sportlich bestätigte, während Torsten, ihr Verlobter, mit einem bandagierten Fuß auf der Hotelterrasse saß. Als sie ihm am Morgen von ihren Plänen für den heutigen Tag erzählte, hatte er lachend gesagt: „Geh' nur und mach' dir keine Sorgen um mich! Ich bin hier gut versorgt! Und du weißt, dass ich ein Surf-Ass bin! Du musst hart trainieren, wenn du mit mir konkurrieren willst.“
Larissa hatte sich so auf den ersten gemeinsamen Urlaub gefreut und gleich am ersten Ausflugstag hatte Torsten das Pech ereilt. Zusammen mit anderen Hotelgästen hatten sie einen Kamelritt ins Hinterland gemacht. Als sie eine Rast einlegten, war ihr Verlobter beim Absteigen von seinem Tier mit dem Fuß umgeknickt und ganz unglücklich aufgetreten, und das obwohl er sonst so sportlich war. In Sekundenschnelle war sein Knöchel blau angelaufen. Zurück im Hotel hatten sie gleich den Arzt kommen lassen, der eine Verstauchung diagnostizierte und einige Tage Ruhe verordnete.
Nun stand Larissa allein, ohne ihren Lebenspartner, am Strand und schaute sich nach dem Verleih der Bretter um. Ein junger Einheimischer trat an sie heran und fragte: „Do you need help? Brauchst du Hilfe?“
„Oh, you speak English, du sprichst Englisch! Das ist gut! Mein Französisch ist nämlich sehr schlecht!“
„Woher kommst du? Aus Schweden?“
„Nein“, lachte sie und warf ihre blonden Locken zurück, „ich komme aus Deutschland, aus Hamburg!“
„Ah, ich sprekke auch ein wenig Deutsch. Ich bin Habib, ein armer Schlucker!“ Er lachte und entblößte zwei Reihen perlweißer Zähne.
„Woher kannst du so gut Deutsch?“
„Ich hatte einmal eine Freundin aus der Schweiz, die hat mir etwas Deutsch beigebracht!“
„Ach so! Ich heiße Larissa und möchte ein Surfbrett ausleihen. Allerdings habe ich überhaupt noch keine Erfahrung und weiß auch nicht, welches Brett ich nehmen soll!“
„Hier, ich empfehle dir dieses! Das ist ein wenig kleiner und für Anfänger bestens geeignet. Soll ich dir auch zeigen, wie man das Segel aufrichtet?“
„Ja, gerne!“
Die nächste Stunde verbrachte sie mehr im Wasser als auf ihrem wackeligen Untersatz. Doch jedes Mal, wenn sie wieder herunterplumpste, war Habib schnell zur Stelle und half ihr, das Surfbrett wieder einzufangen und flott zu machen.
Am Abend humpelte Torsten an ihrer Seite zum Speisesaal und nahm dankbar in einem der bequemen Korbsessel Platz. Aufgeregt und ein wenig stolz berichtete Larissa von ihren ersten Surfversuchen. Als sie gerade einen Obstsalat zum Nachtisch löffelten, wurden sie auf einen Hotelbediensteten aufmerksam, der zwischen den Tischen umherging. Er trug ein Schild, das an einer hohen Stange befestigt war, auf dem in großen Lettern stand: „Heute ab 22:00 Uhr Disco im Clubhaus Alkazar!“
„Schade, dass wir nicht hingeh'n können!“, meinte sie.
„Wenn du möchtest, kannst du gerne alleine gehen“, ermunterte sie Torsten, „ich kann ja eh nicht tanzen.“
„Nein, nein, wir können uns doch einen gemütlichen Abend in unserem Zimmer machen!“
„Hm… eigentlich wollte ich noch ein wenig arbeiten. Du weißt ja, meine Firma steht kurz vor dem Geschäftsabschluss mit dem neuen Kunden. Ich habe alle Unterlagen auf meinem Laptop dabei.“
„Hast du wirklich nichts dagegen?“
„Nein, geh' nur!“
Larissa brachte Torsten ins Zimmer zurück und schlenderte dann langsam Richtung Clubhaus Alkazar, das ein wenig abseits vom Hauptgebäude des Hotels Club L‘Alhambra lag. Sie durchquerte den blühenden Hotelgarten und bewunderte die vielen exotischen Blumen und Pflanzen, die sich im Abendwind wiegten. Obwohl sie sich auf die Musik und das Tanzen freute, war sie doch ein wenig traurig. Nun, dass Torsten sich gleich am ersten Tag den Fuß verknackst hatte, war natürlich Pech gewesen, aber musste er deshalb jeden Abend vor seinem Laptop sitzen? Sie verstand nicht, dass er noch nicht einmal im Urlaub abschalten und die Arbeit vergessen konnte.
Zuhause spielte sich das Gleiche ab! Meist, bis spät in die Nacht hinein, war ihr Verlobter mit seiner Firma beschäftigt und am Wochenende, wenn sie etwas mit ihm unternehmen wollte, traf er sich mit seinen Kumpels zum Sport. Larissa fragte sich in letzter Zeit oft, ob er tatsächlich der Richtige für sie war. Sicher, Torsten war ein Bild von einem Mann: groß, breitschultrig, mit einem interessanten Gesicht und hellen, blauen Augen. Obwohl er erst Anfang Dreißig war, besaß er schon eine eigene Firma und war bestens situiert.
Alle ihre Verwandten, Freunde und Bekannten hatten ihr gratuliert, als sie ihre Verlobung bekanntgaben. Trotz seiner vielen Vorzüge und obwohl Larissa glaubte, ihn zu lieben, fühlte sie sich in seiner Gegenwart oft unsicher, wie ein kleines, unreifes Mädchen. Immer zählten nur seine Interessen! Wenn sie ihre Anliegen vorbrachte oder Vorschläge machte, hatte sie oft den Eindruck, als wenn Torsten ihr gar nicht richtig zuhörte. Selten ging er auf sie ein und da war ja auch noch die Sache mit dem Sex, die sie unbedingt mit ihm besprechen musste. Sie hatte so sehr gehofft, dass sie im Urlaub eine Gelegenheit dazu bekäme. Allerdings sah es im Moment noch nicht danach aus.
Ein wenig zögerlich betrat Larissa das Clubhaus. Zunächst setzte sie sich an die Bar, bestellte einen Campari-Bitter und sah den Paaren zu, die sich auf der Tanzfläche bewegten. Die Musikauswahl gefiel ihr gut, denn der D.J. mischte aktuelle Hits mit bekannten Songs aus den achtziger und neunziger Jahren. Als die ersten Takte von Michael Jacksons Ohrwurm „Billie Jean“ erklangen, hielt sie nichts mehr auf ihrem Stuhl und sie mischte sich alleine unter die Tänzer. Plötzlich sah sie Habib, ihren Surflehrer, an der Bar stehen. Er winkte erfreut und tanzte sich munter an ihre Seite. Sie lächelten sich zu. Nach einigen schnellen Titeln legte der D.J. „Babe“, eine Ballade von Take That, auf.
Larissa wollte sich setzen, aber Habib hielt sie sanft am Arm fest und fragte: „Wollen wir?“ Sie nickte.
Habib war schätzungsweise Mitte zwanzig, musste also ein wenig jünger als sie sein. Er war auch ein wenig kleiner als Torsten, aber immer noch ein Stückchen größer als sie. Als sie den Arm um ihn legte, konnte sie seine Muskeln durch den Trikotstoff seines T-Shirts fühlen. Sie legte den Kopf an seinen Hals, atmete den frischen, männlichen Duft seiner Haut ein und fühlte sich auf einmal unglaublich erregt. Wann hatte sie eigentlich das letzte Mal mit Torsten getanzt? Es musste eine Ewigkeit her sein!
Sie schloss die Augen und bewegte sich mit Habib im Takte der Musik. Während des ganzen Abends wich er nicht von ihrer Seite, holte ihr frische Getränke und zog sie immer wieder auf die Tanzfläche. Gegen ein Uhr morgens brachte er sie zu ihrem Hotelzimmer zurück. Als er sie im Garten zum Abschied in seine Arme ziehen wollte, wehrte Larissa ab. Es wäre ein Spiel mit dem Feuer gewesen, wenn sie sich darauf eingelassen hätte und das wollte sie auf keinen Fall riskieren. Zum Glück schlief Torsten bereits tief und fest und Larissa schlüpfte schnell unter ihr Bettlaken.
„Na, hast du dich gestern Abend gut amüsiert?“, fragte Torsten am nächsten Morgen.
„Ja, klar! Ich gehe dann gleich wieder surfen! Oder möchtest du, dass ich bei dir bleibe?“
„Nein, nein, geh' nur und hab' Spaß!“
Larissa freute sich, Habib wiederzusehen und da kam er auch schon gut gelaunt auf sie zu.
„Gleiches Surfbrett wie gestern?“
„Ja, bitte!“
Am Mittag, als sie im Strandcafé einen kleinen Imbiss zu sich nahm, setzte sich Habib zu ihr. „Du bist eine Klassefrau“, lachte er sie an. „Weißt du, ich hätte wirklich gerne eine Freundin wie dich! Schade, dass du verlobt bist!“
„Tatsächlich? Bei deinem Aussehen und bei deinem Job müssten dir doch die Frauen in Scharen nachlaufen und du kannst dir doch sicher die netteste und attraktivste aussuchen! Oder etwa nicht?“
„Nee, nee, so viele Interessentinnen sind auch nicht da!“, grinste er. „Außerdem bin ich sehr wählerisch und möchte unbedingt eine Europäerin finden, mit der ich in ihrem Heimatland leben kann. Mit der Schweizerin, von der ich dir erzählt habe, ist es anfangs ganz gut gelaufen. Wir haben uns oft geschrieben und sie war sogar dreimal in Tunesien und hat ihren Urlaub mit mir hier im Club verbracht.“
„Und warum bist du nicht mehr mit ihr zusammen?“
Er zuckte die Schultern: „Keine Ahnung! Irgendwann hat sie aufgehört zu schreiben und dann ist sie nicht mehr nach Tunesien gekommen!“
„Das tut mir leid! Aber wieso hat sie dich eigentlich 'Armer Schlucker' genannt?“
„Ja, weil ich als Surflehrer nicht so üppig verdiene und wohl nie auf einen grünen Zweig kommen werde! Es sei denn, ich heirate mal eine reiche Frau!“, grinste er. „Aber es geht all' meinen Landsleuten, die in der Touristikbranche arbeiten, ähnlich. Das große Geld fließt doch immer noch in dunkle Kanäle.“
„Aber hat eure neue Regierung nicht versprochen, dass sie Tunesien zu mehr Wohlstand verhelfen will?“, fragte sie weiter, denn sie hatte im vergangenen Jahr in den Nachrichten die Unruhen in den arabischen Ländern verfolgt und den Machtwechsel in ihrem derzeitigen Urlaubsland mitbekommen.
„Ach, das sind doch nur leere Phrasen! Bis jetzt hat sich nichts geändert und die Jugendarbeitslosigkeit ist unverändert hoch.“
Sie schwiegen für eine Weile und nippten an ihren Fruchtcocktails.
„Treffen wir uns heute Abend?“, fragte er sie und blickte sie gewinnend an.
„Besser nicht! Hinterher verführst du mich noch!“
„Das würde ich nur zu gerne!“
„Ich bleibe lieber bei Torsten, aber wir sehen uns ja morgen wieder am Strand!“
„Oki, doki! Dann wünsche ich dir einen schönen Abend mit deinem Verlobten!“
Als sie nach dem Dinner mit Torsten in ihr Hotelzimmer zurückkehrte, hoffte sie, dass er endlich einmal seine Geschäftsakten vergessen und sich um sie kümmern würde. Sie hatte sich so sehr auf einen zärtlichen Abend gefreut und konnte sich kaum noch daran erinnern, wann sie das letzte Mal mit ihm geschlafen hatte. Gleich zog er jedoch wieder seinen Laptop hervor und ihr blieb nichts anderes übrig, als sich mit einem Buch aufs Bett zu legen. Irgendwann schlief sie ein.
Am nächsten Tag war wieder Surfen angesagt und am Abend sollte doch tatsächlich wieder ein Disco-Abend im Alkazar stattfinden. Wie schon vor zwei Tagen hatte ihr Verlobter nichts dagegen, dass sie alleine dorthin ging und am Eingang der Disco traf sie gleich – wie sollte es auch anders sein – Habib! Den ganzen Abend blieben sie zusammen und ließen kaum einen Tanz aus. Gegen ein Uhr am Morgen gingen sie hinaus, um frische Luft zu schnappen und schlenderten durch den Hotelgarten. Es war traumhaft schön! An den Wegen und in den Zweigen waren viele Lämpchen angebracht, die die Pflanzen und Blumen in farbiges Licht tauchten und eine Atmosphäre wie in „Tausendundeiner Nacht“ verbreiteten.
„Wo wohnst du eigentlich?“, fragte Larissa ihren Begleiter.
„Ich hab' einen Bungalow, ganz hier in der Nähe. Er ist vielleicht nicht ganz so komfortabel eingerichtet wie euer Hotelzimmer, aber auch ganz nett! Möchtest du ihn sehen?“
„Ach nein, aber lass uns noch ein wenig miteinander reden. Ich bin noch so aufgekratzt und gar nicht müde!“
„Wir können uns auf der Bank vor meinen Bungalow unterhalten, wenn du möchtest!“
Sie war einverstanden.
Mittlerweile waren sie an Habibs Behausung angekommen und sie setzten sich auf die Bank im Vorgärtchen. Irgendwie, dachte Larissa, war an diesem Abend alles anders, irgendwie schien alles wie verzaubert und und sie fühlte sich von der weichen Nachtluft, die sie umhüllte und von dem betörenden Duft des Jasmins wie berauscht. Und plötzlich lag sie in seinen Armen! Habib streichelte und küsste sie und sie wehrte sich nicht mehr.
„Du bist so eine schöne Frau! Komm', wir gehen rein, ich mach' dich glücklich!“
Larissa warf flüchtig einen Blick auf die Einrichtung des Raumes, die schlicht aber sauber war: Einige Bücher, ein Schreibtisch, ein Stuhl und Zeichnungen, die tunesische Szenerien zeigten. Sie sanken auf das große französische Bett, das fast den ganzen Raum einnahm und fingen an, sich auszuziehen. Habib hatte es nicht eilig, er streichelte und küsste sie überall, genau an den Stellen, an denen sie es besonders liebte. Er kam ganz zu ihr, sie verschmolzen ineinander und bewegten sich immer schneller im gleichmäßigen Rhythmus. Beide erreichten den Höhepunkt und Larissa schien es, dass sie ihn noch nie zuvor so intensiv erlebt und genossen hatte.
Es war noch dunkel, als Larissa aufwachte. Zuerst wusste sie nicht, wo sie war, dann sah sie ihren Surflehrer neben sich liegen. Erschrocken schaute sie auf ihre Armbanduhr. „Halb vier! Ach, du liebe Güte!“, entfuhr es ihr. Schlagartig war sie nüchtern! Schnell zog sie sich an und ging leise durch den Garten zu ihrem Zimmer zurück. Es lag ebenerdig und ihr Verlobter hatte die Tür zur Terrasse wieder nur angelehnt. Auch diesmal hatte sie Glück, dass Torsten nicht aufwachte, als sie zurückkam. Meist schlief er tief und fest.
„Wann bist du eigentlich letzte Nacht zurückgekommen? Als ich um halb zwei das Licht ausgemacht habe, warst du noch nicht da“, meinte er beim Frühstück ein wenig vorwurfsvoll.
„So gegen zwei. Sorry, die Disco ging nur bis halb, aber dann habe ich mich noch mit einem netten Pärchen unterhalten.“
„So, so!“
„Gehst du heute mit zum Strand? Dein Fuß ist doch schon wieder ganz in Ordnung, oder nicht?“
„Nein, ich bleibe hier auf unserer Terrasse. Du weißt doch, dass ich zu tun habe!“
Am Strand traf Larissa wieder auf Habib, der ihr wie immer galant das Surfbrett brachte. Sie wusste eigentlich gar nicht, wie sie ihm begegnen sollte. Sicher, die letzte Nacht war irre gewesen, aber wie sollte es nun weitergehen? Ihre Gefühle, von denen sie sich so hatte mitreißen lassen, hatten sie in einen schlimmen Zwiespalt gestürzt!
Zu Mittag setzte sie sich wieder ins Strandcafé. Habib zog einen Stuhl dicht an sie heran, legte seinen Arm um sie und sagte einschmeichelnd: „Die letzte Nacht war wirklich toll! Wollen wir das noch einmal wiederholen?“
Sie schüttelte den Kopf, sah ihn aber nicht an. Wie sollte sie dem betörenden Blick seiner Augen standhalten? „Heute Abend muss ich packen, wir reisen ja schon morgen ab. Wir werden ganz früh abgeholt!“
„Schade! Aber schau mal, was ich für dich habe!“ Habib zog einen kleinen, prall gefüllten Lederbeutel aus seiner Sporttasche. Er öffnete ihn und Larissa blickte verzückt auf fein gearbeiteten Silberschmuck, der mit Halbedelsteinen verziert war und den Habib nun auf dem Bistrotischchen vor ihr ausbreitete.
„Oh, ist der hübsch!“, rief sie spontan aus, als ihr Blick auf einen ziselierten Ring mit Türkisen fiel. „Darf ich ihn anprobieren?“ Sie steckte ihn auf den Mittelfinger ihrer linken Hand – am Ringfinger saß ja ihr Verlobungsring – und der Silberring passte wie angegossen.
„Der Schmuck ist von meiner Schwester. Sie ist Silber- schmiedin. Wenn du möchtest, schenke ich dir den Ring als Andenken, an mich und an Tunesien.“
„Hm… und was sage ich meinem Verlobten, woher ich diesen Ring habe?“
„Du kannst ja sagen, dass du ihn in einem Souvenirshop gekauft hast. Meine Schwester hat am Yachthafen von Port El Kantaoui tatsächlich ein kleines Geschäft!“
„Ach, genau! Ich erinnere mich. Vor ein paar Tagen, als ich Fotos von den hübschen weißen Häusern gemacht habe, bin ich dort stehengeblieben und habe die Auslagen bewundert. Ich danke dir sehr für den Ring! Ach, du bist ein unheimlich netter Kerl! Schade, dass ich dich nicht kennengelernt habe, als ich noch ungebunden war!“
„Ja, wirklich sehr schade! Wirst du eigentlich deinen Verlobten heiraten?“
„Sicher! Tut mir ja leid für dich, dass ich schon vergeben bin.“
Aber nach dieser Nacht mit Habib war sie sich auf einmal gar nicht mehr so sicher, dass sie Torsten heiraten würde, aber das behielt sie für sich. Eigentlich wollte sie sich jetzt von ihrem Surflehrer verabschieden, aber sie zögerte diesen Augenblick weiter hinaus und schaute auf das türkisblaue Meer, das in der Nachmittagssonne einladend glitzerte.
Endlich riss sie sich zusammen und sagte: „Ich muss dir jetzt leider 'Auf Wiedersehen' sagen! Also, mach's gut!“
„Du auch! Und behalt' Port El Kantaoui in guter Erinnerung!“
„Mach' ich!“
Sie standen beide auf, umarmten sich und küssten sich auf die Wangen. Langsam ging Larissa zurück, Richtung Hotel.
Ihren Koffer hatte sie am Abend schnell gepackt. Als sie nach Torsten schaute, sah sie, dass er wieder vor seinem Laptop auf ihrer Terrasse saß. Ein wenig traurig ging sie früh ins Bett, denn am nächsten Morgen wollte sie für die Abreise frisch und ausgeruht sein. Irgendwann in der Nacht wurde sie wach. Torsten schlief neben ihr und sie vernahm ein leises Schnarchen. Plötzlich überfiel sie eine unglaubliche Sehnsucht nach Habib, nach seinen Umarmungen und seiner Zärtlichkeit! Ob Torsten jemals so ein zärtlicher Liebhaber sein würde? Ob sie es ihm jemals verständlich machen konnte, dass sie es sich so sehr wünschte?
Sie stand auf, zog Jeans und T-Shirt über ihr Nachthemdchen und ging hinüber zu Habibs Bungalow. Mittlerweile war es zwei Uhr morgens und sie hoffte, dass er in seinem Raum war und nicht abgeschlossen hatte. Vorsichtig drehte sie den Türknauf und trat ein.
„Habib, bist du da?“, rief sie leise.
„Wer ist denn da?“, murmelte er verschlafen und fuhr von seinem Bett hoch.
„Ich bin’s, Larissa!“
„Qu’est-ce qui se passe? Was ist denn los?“, murmelte plötzlich eine Frauenstimme auf Französisch. Ein heller Haarschopf tauchte neben Habib auf.
Larissa wäre am liebsten im Boden versunken, drehte sich um und wollte nur noch hinaus.
„Halt, warte doch! Es ist nicht das, wonach es aussieht!“, rief Habib ihr nach.
„Nein, was ist es denn?“, fragte sie.
Maßlos enttäuscht und wütend rannte sie hinaus in die Nacht.
Zurück in ihrem Hotelzimmer ging sie schnurstracks ins Bad und wollte den Silberring, den Habib ihr geschenkt hatte, abstreifen. Er saß jedoch bombenfest! Okay, dann werde ich es später mit Seife versuchen, dachte sie und schlüpfte, immer noch völlig aufgebracht, wieder in ihr Bett. Torsten hatte sich auf die Seite gedreht und schlief ganz ruhig.
Hoffentlich hat er nicht mitbekommen, dass ich kurz weggegangen war! dachte sie. Liebevoll betrachtete sie sein Gesicht, das im Schlaf so entspannt und gelöst aussah.
Tränen traten in ihre Augen und sie fing an zu schluchzen! Was hatte sie nur getan?
* * *
Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: pixabay, zur freien Verfügung
Lektorat: Rebekka Weber
Tag der Veröffentlichung: 10.08.2012
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
***Mein Beitrag zum Newbie-Wettbewerb August 2012***