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Lieber Johnny,

heute hast du Geburtstag und ich sende dir hiermit meine herzlichsten Glückwünsche. Du gehst mittlerweile stramm auf die Fünfzig zu und da wird es Zeit, einmal innezuhalten und ein Resümee zu ziehen.

In den Anfangsjahren deiner Karriere warst du als schwieriger Typ verschrien, der Hotelzimmer demolierte, kiffte und dem Alkohol zusprach. In deinen ersten Filmen hast du immer skurrile Typen gespielt, die sozusagen ein Abbild deiner selbst waren.

Oh, wie habe ich dich damals jahrelang verteidigt, dich gegen alle Ignoranten und Verleumder in Schutz genommen, immer wieder betont, dass du ein großartiger Mime und Künstler bist! Für dich habe ich mich sogar von Robert Redford, der mich in den achtziger Jahren begleitet hat, losgesagt. Ganz so schwer ist mir dies allerdings nicht gefallen, schließlich wurde auch Robert trotz vieler Botox-Aufspritzungen älter. Und wenn ältere Männer den ewig jugendlichen Liebhaber spielen, finde ich das peinlich und wende mich ab.

Dabei, oh Johnny, habe ich dich Anfang der Neunziger nicht als knackigen Liebhaber, sondern als Monster kennen gelernt, als eine von Menschenhand geschaffene Kreatur, die durch einen Zufall zum Leben erweckt wurde. Wie habe ich dich bewundert, als du mit deinen Scherenhänden filigrane Kunstwerke gezaubert und Seitenhiebe auf die amerikanische Kleinbürgergesellschaft ausgeteilt hast!

Ganz in mein Herz hast du dich dann als Gilbert Grape gespielt! Wie rührend hast du dich um deinen behinderten Bruder, deine heranwachsenden Schwestern und die kranke Mutter gekümmert! Selbst den trostlosen Weiten Iowas konntest du durch deine schauspielerische Leistung Glanz verleihen.

Und was warst du für ein erotischer Zigeuner in Chocolat! Wie gerne hätte ich mit dir getanzt und mich zu später Stunde von dir auf deinem Hausboot verführen lassen!

Du konntest jedoch auch mysteriös und skrupellos sein. Als du auf der Suche nach den Neun Pforten warst, hast du dich nicht gescheut, mit dem Teufel einen Pakt zu schließen, um deine Ziele zu erreichen. Auch dies habe ich dir verziehen, schließlich zehrte ich noch von der süßen Chocolat, die meinen Gaumen umhüllte.

Auch dass du mit Vanessa eine Beziehung angefangen hast, habe ich dir verziehen. Wie hätte ich auch mit einer Dame, die aus dem Paradiese kommt, konkurrieren können?

Du sagtest einmal in einem Interview: „Zuerst sah ich Vanessa nur von hinten. Dieser lange schlanke Hals! Ich musste diese Frau unbedingt kennenlernen!“

Für diesen Satz liebte ich dich umso mehr, denn in dir fand ich endlich einen Mann, der bei Frauen nicht nur auf Busen und Po schaut.

Gut, du hast zwei Kinder mit Vanessa gezeugt, bist aus den USA nach Frankreich gezogen, hattest dir an der Cóte d’Azur ein Nest gebaut, einige Zeit lebtest du sogar in meiner Nähe! Du warst greifbar nahe! Mittlerweile sollst du mit Vanessa entzweit und wieder in die USA gezogen sein, so liest frau jedenfalls in der Boulevard-Presse. Die ehemalige Bond-Gespielin Eva Green soll dich beim letzten gemeinsamen Dreh verführt haben? Ich kann verstehen, dass du dich von Eva, diesem Sahneschnittchen, angezogen fühlst, aber sie ist doch immerhin 17 Jahre jünger als du! Ist dein Verhalten jetzt Ausdruck deiner Midlife-Crisis?

Wie habe ich dich dann in deiner Rolle als Captain Jack Sparrow in deinem ersten Fluch-der-Karibik-Film bewundert! Du warst der erste, der den Mythos des ewig Säbel schwingenden Macho-Freibeuters gebrochen hat, denn du spieltest diesen Jack so menschlich, so liebenswert vertrottelt und… so versoffen! Leider gefiel mir der zweite Teil schon weniger, weil dieser das meist jüngere Publikum durch viele Action- und Ekelszenen ansprach. Den dritten Teil habe ich schließlich nur noch meinem Sohn zuliebe mit angesehen.

Trotzdem habe ich dir die Treue gehalten! Du kannst ja auch anders, das weiß ich genau, denn zwischendurch hast du ja auch wieder anspruchsvolle Filme gedreht. Für Wenn Träume fliegen lernen hast du, genau wie für den ersten Fluch-der-Karibik-Film, sogar eine Oscar-Nominierung als bester Darsteller erhalten.

Eines jedoch kann ich dir nun nicht mehr verzeihen! Du hast doch tatsächlich noch einen vierten Teil der Fluch-der-Karibik-Geschichten gedreht! Nein, diesen habe ich mir nicht mehr angesehen, wahrscheinlich hast du in diesen Film noch schnellere und noch unappetitlichere Szenen gepackt! Spielst du weiter Pirat, weil das große Geld lockt? Du sollst ja 24 Millionen Dollar für diesen letzten Dreh bekommen haben. Dabei sagtest du doch einmal, du seist kein Freund von Hollywood-Produktionen? Ach so, du wolltest nur deinem Freund, dem armen Schauspielkollegen Nicholas Cage mit fünf Millionen aus der Patsche helfen, weil er so hoch verschuldet ist? Das ist natürlich ein Grund.

Nach diesem 4. Teil der Fluch-der-Karibik-Filme muss aber endgültig Schluss mit dem Piratenspiel sein, sonst suche ich mir einen neuen Lover!

Deine dich liebende Rebekka

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Impressum

Texte: Rebekka Weber
Bildmaterialien: Johnny Depp - Wikipedia - gemeinnützig.
Tag der Veröffentlichung: 09.06.2012

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