Cover

1. Kapitel.
Fynns Liebling.



Unbeholfen tapste sie ins Wohnzimmer, wo ihr Vater schon saß. Sie hatte Hunger, und so schreckliche Langeweile. Das Zweitere wollte sie ihrem Vater aber nie erzählen, weil er es nicht mochte wenn sie das sagte. Wenn, dann murmelte er irgendein unverständliches Zeug und schloss die Augen. So gesehen hatte sie eigentlich nie verstanden was er meinte, sie verstand ihn sowieso nicht oft.
Zögernd öffnete sie ihren Mund, doch schloss ihn sofort wieder. Oh, was für ein schrecklichen Hunger sie bloß hatte.
“Papa, gibt’s Essen?”
Ihre lieblich, naive Stimme hallte in seinen Ohren, und auch wenn er es nicht wollte, er mochte ihre Stimme so sehr. Doch das würde er niemals zu geben. Niemals. Denn das erinnerte ihn zu sehr an sie.
“Nein, und jetzt verwinde in dein Zimmer.”
Mit eiskaltem Blick wandte er sich von seiner Tochter weg, was er auch machte es war falsch, trotz alle dem war es richtig, wie verwirrend.
Traurig sah sie zu Boden und wischte sich mit ihren kurzen gelben Kleid, die Tränen von der Wange und immer wieder schniefte sie laut auf, denn die Worte verletzten sie, sie verletzten ihr kleines, kindliches, naives Herz. Das schöne Kleid.
“Hör auf zu weinen, das macht-.. Ach, verdammt, komm her.”
Er wollte sie nicht so sehen, auch wenn es richtig war. Das wusste er. Oder war das falsch?
Eine Marionette sollte nicht darüber nachdenken, sie sollte machen, doch wie sollte eine Marionette (natürlich eiskalt, emotionslos, und ohne irgendwelchen Hintergrund) bitte wissen was sie machen sollte, wenn sie es nicht verstand.
Für einen kurzen Moment zögert Tessa merklich, doch dann nahm sie die Hand ihres Vaters und zog sich auf seinen Schoß.
Jeder würde wohl merken wie sich Fynn anspannte, und wie sichtlich überfordert er in dieser Situation war. Wie immer in ihrer Nähe, doch das würde er einem kleinen 6-jährigen Kind doch nicht sagen, oder? Was sollte sie den von ihm halten? Es würde ihr das Herz brechen.
Ein wissendes Grinsen schlich sich in sein Gesicht. Oh doch, er wusste was sie von ihm hielt, oder halten wird. Nämlich nichts, denn was hält man bitte von einem Vater, der sich wie eine Maschine verhielt, ohne jeglichen Gefühle.
Das dachte er jedenfalls, denn er dachte Tessa würde auch so werden wie ihre Gesellschaft, zynisch und herablassend. Irgendwann wird ihr kleines, kindliches, naives Herz von der großen bösen Gesellschaft gefressen.
Oder durch Liebe-. Doch das würde er zu verhindert wissen, das sollte ihr nicht passieren, niemals. Da wäre es ihm lieber, die Gesellschaft, die Menschheit, würde ihr durch ihre Meinung (die sie natürlich für absolut richtig hielt) ihr Herz fressen, es durchbohren, aussaugen und dann in die Ecke werfen. Denn das wäre ihm immer wirklich so viel lieber, als durch Liebe.
Denn das hatte ihn zerbrochen und sie sollte nicht zerbrechen. Wollte er dass sie nicht zerbricht, dass ihr kleines Herz heil blieb?
Nun, so genau wusste er das nicht.
Unbewusst strich er mit seiner Hand über ihre Wangen und dadurch die Tränen weg, die sich nun in seiner Hand verfangen hatten; sichtlich entspannt schloss Tessa die Augen. Sie mochte es wenn ihr Vater mal zu ihr nett war, Gefühle zeigte, auch wenn es nur durch eine kleine Geste in einer kleinen Sekunde ausgedrückt wurde.
Und so plötzlich wie er ihr durch die Wangen gestrichen hat, so plötzlich nahm er seine Hand von ihrem Gesicht, er sollte es doch nicht tun.
Verdammt.
In diesen Augenblick bemerkte Tessa aber die Unsicherheit ihrer Vaters, und dieser Moment kam nicht oft, denn zu oft konnte er seine Unsicherheit verspielen und sich kurzerhand wieder die Maske der Undurchdringlichkeit aufsetzten.
Aber in diesen Momenten mochte ihn Tessa übernatürlich gern, weil er ja in diesen Momenten so übernatürlich menschlich war, ohne es zu bemerken.
(Tessa las viele Bücher, deshalb kannte sie solche Worte. Fynn meinte, sie hätte zu viel Langeweile, und hätte nichts zu tun. Aber das machte Tessa nichts, denn sie wusste es besser. Ein Hoch auf ihre schlauen Bücher.)
“Also holen wir uns was vom Chinesen?”
Fynn kramte in seiner Hosentasche herum, zog aus seiner Hosentasche ein paar zerknitterte Geldscheine heraus und drückte sie Tessa in die Hand.
“Wie immer.”
Seufzend nahm ihm Tessa das Geld aus der Hand und sprang von seinem Schoß.
“Ja, ja, Papa. Wie immer.”
9 Jahre später.
Gleiches Schema. Nur komischer.


“Taro? Bist du da?”
Leicht biss sie sich auf ihre Lippe. Durfte sie den einfach in die Küche hineinspazieren und den Chef rufen? Aber wenn sie so darüber nachdachte, natürlich durfte sie das. Sie aß fast jeden Abend hier zu Essen, der Chef kannte sie und ihren Vater. Nichts mehr Besonderes.
“Wie immer?”
Gehetzt stand nun Taro vor und ihr und wischte sich die nassen Hände an einem Lappen ab.
“Ja, wie immer.”
Nickend schaute er sie an und verschwand dann wieder.
Wie immer. Zwei mal Chinabox, mit extra Scharf und Fleisch zum Mitnehmen. Halt wie immer.
Mit diesem Gedanken setzte sich Tessa an einen nahe gelegenen, freien Tisch. Das konnte noch etwas lange dauern.
Und sie fing an zu schmunzeln. Wie immer.
Und wie immer war ihr Leben extrem Langweilig, nichts passierte. Jeden Tag aufwachen, in diese dumme Schule gehen, nach Hause kommen, herumsitzen, Essen holen, schlafen. Und immer wieder das gleiche, aber das komische daran war das ihr das erst jetzt auffiel. Und warum? Wenn sie das bloß wusste.
Unbewusst wickelte sie sich langsam eine Strähne ihres schwarzen Haares um den Finger und sie fing wieder an auf ihrem Kaugummi zu kaufen, wie sie es auf dem Weg hier hin gemacht hatte.
Er hatte gar keinen Geschmack mehr, aber Tessa kaute trotzdem gerne darauf herum, irgendwie fand sie sich gerade ziemlich cool.
Wie sie hier so saß, mit einer alten Jeans und einem altem Hemd ihres Vaters, ihre Haare zusammengebunden zu einem Dutt, und fröhlich auf ihrem Kaugummi kauend.
In einem China - Resterant, so wie diese ganzen Stars. Verrückt, Tessa war nicht einmal annähernd ein Star. Nicht viele kannten sie hier, und sie kannte die anderen nicht. Auch wenn sie schon 15 Jahre lang hier wohnte.
“Einen wunderschönen Guten Tag, junges Fräulein. Was machen sie den hier so ganz alleine? Sollten sie nicht zu Haus’ sein?”
Nicht wissend woher er kam, schreckte Tessa aus ihrer Sitzlage.
“Erschrecken sie mich nächstes Mal nicht so, Idiot.”
Und warum sitzen sie an meinen Tisch, wollte Tessa noch hinzufügen, behielt es aber dennoch für sich, so unhöflich sollte sie wirklich nicht sein. Ihr Vater meinte das Gehöre sich nicht. Sie sollte es nicht übertreiben, aber was ihr Vater nicht weiß, so wie soll man es erklären, macht ihn nicht heiß, oder so.
Der ältere, schön gekleidete Mann schaute empört auf und plusterte die Wangen. Wie sah er denn bitte aus? Wie aus dem Mittelalter, hatte wohl noch nicht die neuste Cosmopoleten gelesen.
“Dieses Hanfhemd mit Rüschen ist mal jetzt echt out.” Jane würde ihn sicher auslachen, wenn sie da wäre. Sie kennt die neusten Trends, sie war halt einfach nur obermegasupercool, wie sie es tag täglich befürwortete. Auch wenn sie in klein wenig (wenig?) eitel war.
Nach der Schule hatte Tessa aber nichts mehr von ihr gehört, obwohl Jane ja eigentlich immer sofort nach der Schule anrief, zuerst auf dem Weg nach Hause, denn wenn Jane ehrlich war (was sie eigentlich nie war) hatte sie schreckliche Angst den Weg allein nach Hause zu gehen. Legenden besagen, auf ihrer Straße liefen nur Perverse, Pädophilie Kinder Schänder und dumme, prollige Idioten - Gangs herum.
Dann legten sie auf, wenn Jane erst einmal zu Hause war.
Kurz darauf rief sie wieder an, weil sie zu Hause sitzt, und das vor den Hausaufgaben und meint sie hätte so schreckliche Langeweile, weil sie die Mathe Hausaufgaben ja sowieso nie rechnen könnte und ihre Mutter ihr wieder einmal Computer Verbot erließ.
Und dann telefonierten sie bis spät in die Nacht hinein, bis Tessa nicht mehr konnte und einfach nur noch schlafen wollte.
Kurzerhand beschloss sie Jane, wenn sie wieder zu Hause war anzurufen. Irgendetwas stimmte da nicht.
“Mon dieu, cette femme stupide, la jeunesse d'aujourd'hui quotidienne.”
Er war Franzose, oh ja das konnte man hören.
Nur Franzosen hatten so einen scheußlichen Akzent, und nur Franzosen konnte sprechen als ob sie eine Gabel verschluckt hätten.
Nach ihren nichtvorhandenen Französisch - Kenntnissen (die hauptsächlich aus dem Google - Übersetzer kamen), konnte sie nichts verstehen.
Wer brauchte den bitte neben Englisch und Latein noch Französisch? Und wenn Tessa ehrlich war, was sie eigentlich immer war (denn sie konnte nicht gut lügen, sie wurde immer so schnell rot und kicherte wie ein kleines Mädchen, das ließ sie eigentlich immer auffliegen, und am wenigsten konnte sie vor ihrem Vater lügen, denn der erkennt die Lüge schon bevor sie den Mund aufmachte), sie würde sowieso nie nach Frankreich fahren. Schnecken konnte sie hier auch essen.
Was sie aber verstand war, dass der schnöselige Franzose fluchte, das konnte man hören. Und Tessa müsste sich ja am besten damit auskennen, sie fluchte nämlich sehr gerne, obwohl sie sich schon mal gedacht hatte, dieses Fluchen zu lassen, was ihr aber nach ca. zehn Minuten immer wieder misslang. Jane konnte echt nerven, da musste man fluchen.
“Oui, oui, votre mère. Und jetzt mach dich Mal vom Odövre und ‘mon dieu’ wo anders herum.”
Übersetzt: “Ja, ja, deine Mutter, und jetzt mach dich mal vom Acker und ‘mon dieu’ wo anders herum.
Das Einzige was sie eigentlich auf Französisch aussprechen konnte, war ‘Ja, ja, deine Mutter’ und Odövre.
Das erstere hatte sie von Jane erlernt, Jane mochte diese Franzosen, deshalb hat sie Französisch auch als Fremdsprache genommen und bei Zweiteren wusste sie wirklich nicht genau , ob es überhaupt ein Französischen Wort war, aber Hauptsache es hörte sich so an. Oder?
Immer noch empört strich er sich das gold, glänzende Haar zu Seite und stand auf.
“Das muss ich mir nicht gefallen lassen, jeune femme.”
“Viel Spaß noch hier.”
Lächelnd sprang sie nun auch auf und winkte ihm vergnügt zu, irgendwie amüsierte sie dieser Franzose auf eine total dümmliche Weise. Es war lustig zu sehen, wie sich alte, verrückte Irren verhielten.
“Wem winkst du den da zu?”
Tessa schreckte zurück und schaute in das verwirrt aussehende Gesicht von Taro.
Hat er ihn etwa nicht gesehen?
“Na dem Franzosen, hast du ihn den nicht gesehen?”
Der alte Chinese verzog sein Gesicht. “Mach dich nicht lächerlich, es war die ganze Zeit niemand neben dir. Redest du etwa mit dir selbst?”
Bitte? Wovon sprach Taro da? Sie wusste er war alt und seine Augen waren noch nie wirklich die besten gewesen, aber er müsste doch diesen Franzosen gesehen haben.
“Hältst du mich etwa für verrückt?”
Er drückte ihr die Nudeln in die Hand und kurz darauf sprach schnallte er mit der Zunge.
“Pah, komm zurück wenn alles wieder bei dir okay ist.”
Er hielt sie wirklich für verrückt, vollkommen. Wütend stampfte Tessa aus dem Resteraunt, ohne die anderen Gäste zu bemerken.
Was erlaubte er sich den? Sie für verrückt zu halten, nur weil er den Franzosen nicht gesehen hat.
Aber wenn sie so darüber nachdachte, vielleicht war wirklich niemand neben ihr gewesen. Vielleicht hatte sie sich das wirklich nur eingebildet, vielleicht wurde sie gerade wirklich verrückt.
Verärgert zog sie ihren Mund zu einer schmalen Linie. Wer würde den nicht verrückt werden, bei den vielen Arbeiten, die sie in der Schule schreiben mussten.
Verwirrend. Wenn es mal blöd lief musste die Schule dafür herhalten.
Tja, ja. Deren Pech.
Wie gewöhnlich zog Tessa ihren Schlüssel aus ihrer Hosentasche und schloss die Tür auf.
Ihr Vater schlief, das wusste sie. Er schlief seit neustem meistens viel und lange, und seit ein paar Monaten noch mehr als sonst. Er war nur manchmal zu Hause, und wenn er mal da war schlief er.
Seufzend stellte sie die Nudeln auf den Tisch und nahm sich kurzerhand das Telefon.
Das würde einen langen Tag bedeuten.


2. Kapitel.
Der Tod und das Blut.



Schnell schrieb Tessa den letzten Satz ihrer Hausaufgaben auf und schaute sich sorgvoll über die Schulter. Niemand sollte sehen wie sie die Hausaufgaben abschrieb und besonders nicht ihr Lehrer, denn der machte sie einen Kopf kürzer. Na ja, nicht wirklich. Er gab ihr eine sechs, aber dann schnitt ihr sicher ihr Vater ihren Kopf ab. Na ja, das war auch nicht richtig. Fynn interessierte es nicht wirklich. Hauptsache sie bestand die Klasse, dann war alles okay.
So gesehen interessierten ihn also die fünfen in den Tests nicht, am Ende zählte für ihn nur was auf dem Zeugnis stand. Schon ein schöner Vorteil.
Besorgt schaute sie zu Jane, die ihren Kopf auf dem Tisch gebettet hat und ihre Augen geschlossen hatte. Gestern hatte sie Jane noch erreicht, sie redeten auch noch eine kurze Zeit, aber dann wurde Jane müde und sie legte auf, und nicht nur das machte Tessa zu schaffen. Als erstes war Jane nie, nie, nie die erste die auflag, weil es ihre Mutter sowieso nicht interessierte wie lange sie am Telefon hing und Jane konnte nie und das wirklich nie müde werden, sie war einfach der geborene Nachtmensch.
Zweitens hatte sie im Gespräch nicht einmal sinnlos aufgeschrieen oder lange über Larissa gelästert. Jane war so eifersüchtig auf ihr gold, glänzendes Haar (Janes rotes Haar glänzte nie so schön wie Larissas, nicht einmal wenn sie unter der Sonne stand). Larissas Haar glänzte fast so schön wie vom Franzosen im Resterant, das wollte sie Jane aber nicht sagen, zum Einen, dass sie nicht noch deprimierter werden sollte als jetzt und irgendwie wollte es ihr Tessa nicht sagen, irgendwie beunruhigte es Tessa mehr als sonst. Dass Taro den Mann nicht gesehen haben sollte, das war komisch. Und Jane mochte komisches, Tessa glaubte Jane würde sich aufmachen um das Geheimnis zu suchen, so wie Dr. House, oder so. Tessa konnte nie gut Sachen gleichsetzen.
Kurz darauf blickte sie auf die Zahlen in ihrem Heft. Mathe, gestern hatte sie keine Kraft mehr die Hausaufgaben zu machen. Schon beim Anblick dieser Zahlen wurde sie schon fast ohnmächtig, wie konnte so etwas nur Sinn haben?
Zum Glück hatte Peer eigentlich immer die Mathehausaufgaben dabei, zum Glück hatte er überhaupt immer alle Hausaufgaben dabei, darüber waren Tessa und Jane wirklich glücklich, weil beide nie wirklich die Hausaufgaben machten. Einer der wenigen Sachen, die beide gemeinsam hatten.
Sie strich durch das schwarze Haar und ihre braunen Augen wanderten im Klassenzimmer herum. Sie konnte sehen wie Peer am Ende des Raumes saß und Larissa Französisch erklärt. Peer war groß und dunkelblond, und wie er da stand sah er ziemlich unbeholfen aus. Tessa fand so sah er immer aus, wie ein hilfloses Fohlen, ohne Mutter, ein kleiner Muttersohn, so konnte sie es interpretieren.
Obwohl er ein ziemlich kleines, unbeholfenes Fohlen war, standen die meisten Mädchen auf ihn. Und Tessa musste zugeben, sie hatte schon einmal für ihn geschwärmt (was sie jetzt natürlich sofort abstreiten würde.), aber sie musste zugeben bei dem Aussehen war das kein Wunder.
Und immer wieder strich sich Larissa ihre blondes Haar lasziv zur Seite und kaufte auf ihrem Kaugummi herum um überhaupt von Peer bemerkt zu werden, aber Peer bemerkte es nicht; er kümmerte sich viel mehr um die Matheaufgaben vor ihm.
Obwohl er eine Brille trug, konnte er Larissas Flirtversuche nicht sehen und obwohl er überaus intelligent war, verstand er rein gar nichts von Mädchen.
(Die einzigen Erfahrungen, die er hatte kamen aus der Beziehung von Jane und ihm, als sie Jane sechs und Peer fünf Jahre alt waren. Er hat ihr einen Heiratsantrag gemacht, sie hat abgelehnt. Sie meinte, sie stände mehr auf ältere Jungen. Peer war überaus unglücklich darüber, kurz darauf bekam er eine neues Spongbob - Plüschtier und vergas den Korb von Jane.)
Tessa nahm sich vor Peer über Larissa aufzuklären, denn so konnte es einfach nicht weiter gehen. Vielleicht würde es ohne Tessa so weit gehen, dass sich Larissa schon fast ganz auszog um überhaupt von ihm wahrgenommen zu werden. Das wollte sie auf jeden Fall verhindern, denn obwohl Tessa, aus unergründlichen Gründen Larissa hasste, wollte sie nicht dass Larissa so sank.
Auch wenn die Vorstellung von einer halbnackten Larissa und von einem Peer, der nur verblödet herum schaute ziemlich amüsant war, aber das war gegen Tessas Gewissen, das sie immer wieder rettete.
Leicht verzog Tessa ihr Gesicht. Heute kam ihr Lehrer aber wirklich spät. Natürlich wusste sie, dass er eigentlich immer zu spät kam, aber heute wurde es wirklich spät. Sollte Luca das doch erledigen, große Lust hatte sie nicht.
“He, Luca, geh mal runter ins Lehrerzimmer, frag mal wo der Typ ist.”
Luca, der die ganze Zeit cool an die Wand gelehnt war, strich sich durch sein braunes Haar und lief aus dem Raum.
Er war neben Tessa Klassensprecher, obwohl ihn die meisten Mädchen nur wegen seines Aussehens gewählt hatten. Manchmal fragte sich Tessa warum sie überhaupt gewählt wurde. Sie integrierte sich kaum in die Klasse, man könnte sagen, die Klasse “würde ihr am Arsch vorbeigehen.” - wie sie es zu gerne sagen würde, es sich aber nie wirklich traut, und weil sie keinen Streit brauchte.
Die Klasse war sowieso eine Ansammlung kleiner Kinder und inkompetenter Idioten. Und sie gehörte nun einmal dazu, wenn sie es wollte oder nicht.
Kurz nachdem Luca aus Raum gegangen ist (natürlich völlig in seinen achsocoolen Gang vertieft) kam der Schulleiter ins Zimmer.
“Wohin ist den Luca?”
“Wollte Herrn Mento suchen gehen, er hat sie bestimmt nicht gesehen.”
Ihr strenger Schulleiter, Magnum (Nur Jane und Tessa nannten ihn so, Tessa aß einen Magnum und ihr Schulleiter lief an ihnen vorbei, Jane hatte ihren asozialen Tag und rief ihm “Hey, Magnum!” hinterher, er hörte es und drehte sich um, aber Jane und sie konnten sich sehr gut zwischen den Menschenmassen verstecken, ab diesem Moment nannten sie ihn Magnum.)
Magnum verzog den Mund.
“Tessa, geh ihn holen.”
Genervt stand sie auf, der Typ konnte ihr alles befehlen uns sie musste es tun. Das war so armselig.
Neben mir nahm Jane ihren roten Schopf hoch und hob die Hand.
“Herr Zoru, kann ich auch mitgehen? Muss sowieso aufs Klo.”
Nickend legte Herr Zoru seine Tasche auf den Lehrertisch und seufzte laut auf:” Kommt aber schnell, ich habe etwas mit euch zu besprechen.”
Und als Tessa aus dem Zimmer ging bemerkte sie nur noch den besorgten Blick Peers’, der sie irgendwie auf eine total dämliche Art und Weise beunruhigte. Es war zu eigenartig.

“Boah, weißt du wohin der Typ ist, wie vom Erdboden verschluckt, echt jetzt.”
Jane lief schon die ganze Zeit vor Tessa und sie versprühte die ganze Zeit schlechte Laune, für einen kurzen Moment dachte Tessa sie könnte ihr ein Schlag ins Gesicht geben, damit sie aufhört zu reden und sadistische Sachen von sich zu geben. Sie hatte sie es auch vor, aber dann fiel ihr schmerzlicher Weise auf, dass sie doch nicht einfach ihrer Freundin ins Gesicht schlagen kann. In diesem Moment verspürte Tessa einen großen Drang - und den hatte sie noch nie - diese kleinen Stoffagressionplüschtiere zu kaufen, ihre Wut auf Jane an ihm heraus zu lassen und wenn Jane dann immer noch nervt, da dachte sie, würde dieses Ding auch helfen, damit könnte Tessa ihr einfach das Ding ins Gesicht kicken, dass sie blutend ins Krankenhaus fährt. Wofür hat den der Fußballunterricht sonst genutzt?
Und für diesen Gedanken wollte sich Tessa gerne umbringen, weil sie wirklich Mordgedanken gegen ihre beste Freundin hegte, die die sie immer aufhielt, davor die kleinen Kinder in ihrem Wohnhaus zu verprügeln, weil diese kleinen Kinder eigentlich immer, immer, immer schrieen und nichts zu tun hatten oder davor dumme Gedanken zu denken, die man nicht denken sollte. Wie der Gedanke daran, dass ältere Männer viel attraktiver waren als die in ihrem Alter. Schnell schüttelte sie den Kopf um diesen absurden Gedanken zu vertreiben. Wie konnte sie den bitte so etwas denken?
Bestimmt zog der Rotschopf Tessa an ihrem Handgelenk in Richtung Toiletten.
“Mach mal hinne, Tess. Meine Blase hält nicht alles aus.”
Und wieder konnte ihr Tessa mental ihre Faust ins Gesicht rammen, weil Jane wirklich nicht den Mund halten konnte, egal bei welcher Sache.

Wütend strich sich Tessa die nervige Strähne aus dem Gesicht, sie und Jane sollten schon längst wieder im Klassenzimmer sein, aber sie fanden Luca nicht, wohin sie auch schauten, er war nicht da.
Wie vom Erdboden verschluckt.
Innerlich verfluchte Tessa den gut aussehenden Luca, nur wegen ihm liefen sie hier ratlos im Schulgebäude herum. Bestimmt hatte saß er irgendwo im ersten Stock an einer Wand gelehnt und aß Schokolade, die er sich aus dem Automaten geholt hatte.
Luca war es egal ob er unterrichtet wurde oder nicht. Er meinte immer, irgendwann würde er sowieso einen Riesen Gig schreiben und mit seiner Band genauso erfolgreich werden wie die Beatels. Was ihm nicht viele abkauften, nicht mal seine Band ‘Die stinkenden Socken.’ glaubte ihm das (innerlich hofften sie es aber.) Aber irgendwie wussten sie, eine Band mit dem Namen ‘Die stinkenden Socken.’ schafft es sowieso nicht sehr weit. Nicht einmal in die Charts.
Aber hey, wie schafften es dann die ‘Yeah, yeah, yeahs’?
So genau wusste das niemand.
Und dann könnte sich Tessa wieder ihren Kopf gegen die Wand rammen, weil sie doch wirklich zu Jane gesagt hatte, sie solle doch in den ersten Stock gehen und dort nachschauen. Sie hätte doch wissen müssen dass Jane für Schokolade töten würde. Bestimmt saßen die beiden nebeneinander und aßen genüsslich ihre Schokolade.
Leicht schloss sie die Augen, weil die Sonnenstrahlen sie blendeten.
Es war ein kalter Frühlingstag, aber trotzdem strahlte die Sonne hell auf sie hinab, durch die dünnen Fenster ihrer Schule und mitten in ihr Gesicht.
Aber auch wenn die Sonnenstrahlen unerbittlich auf sie herunter strahlten, wärmten sie Tessa nicht, denn obwohl die Sonne strahlte, strahlte sie keine Wärme aus. Sie war nur Hell.

Frühlingswetter ist schon immer für ‘nen Arsch gewesen, hatte mal ihr Vater gemeint. Sie war noch klein und sie saßen beide auf einer roten Parkbank im Stadtpark.
Es war ein Frühlingstag gewesen. Die Sonne strahlte genauso hell auf sie herab und Tessas Gesicht erhellte sich mit. Immer wieder wippte sie mit ihren Füßen auf und ab und irgendwie nervte es ihren Vater, aber er wollte nichts sagen, er wollte ihr den Spaß lassen.
Tessa hatte die Augenbrauen zusammengezogen und wischte sich die Krümel ihres aufgegessenen Keks’ von ihrem gelb, strahlendem Kleid.
Aber Papa, so was sagt man doch nicht, behauptete Tessa besserwisserisch. Als sie letztens im Kindergarten war hatte sie Jason einen Arsch genannt, weil er ihre Lieblingspuppe angemalt hatte. Es war eine kleine Arielle, obwohl diese Arielle nicht rothaarig war, sondern brünett. Trotzdem mochte Tessa besonders, denn sie war nicht so gewöhnlich wie diese Barbies, mit ihren blonden Haaren und ihren schnieken Autos.
Die wütende Erzieherin (diese war wahrscheinlich eine Praktikantin, denn sie wurde immer so schnell wütend, weil sie noch nicht an die vielen kleine, kreischenden Kinder gewöhnt war), packte sie am Arm und erklärte ihre, man dürfte dieses Wort nicht sagen, und wenn es Tessa noch einmal sagen würde, sagte sie, gäbe es kein Nachtisch, aber Tessa liebte den Nachtisch, besonders wenn es Torte gab, deshalb ließ sie es lieber.
Komischer weise schaute Fynn in den blauen Frühlingshimmel statt in ihr Gesicht und verzog sein Mund . Wer erzählt dir den so ein Mist?
In der Zwischenzeit bröckelte Tessa die überschüssige rote Farbe von der Bank. Beide mochten es nicht wirklich sich ins Gesicht zu schauen, nicht genau wissend warum, es aber tuend.
Von meiner Erzieherin.
Seufzend wandte Fynn seine Augen vom Himmel weg und betrachtete dafür seine abgenutzten blauen Schuhe, er sollt sich langsam neue holen.
Weißt du Tess, hör nicht auf andere, hör auf dich selbst, die wissen rein gar nichts.
Erschrocken hörte sie auf die Farbe abzukratzen und schaute zu ihrem Vater auf. Erschrocken, weil er sie fast nie Tess nannte, weil es für sie so ungewohnt war. Es war so anders so komisch, und irgendwie vertraut, obwohl sie wusste dass er sie nie so nannte.
Und für einen Moment hatte Fynn wieder so einen undefinierbaren Ausdruck in den Augen. Undefinierbar? Nein, nicht wirklich. Eher traurig, nostalgisch.
Fast wollte Tessa fragen, was denn mit ihm los sei, doch dann schloss sie den Mund. Das würde nur die Stimmung zerstören.
Und sie ließen sich weiter von der Sonne erhellen, bis sie das Abendrot sahen, bis sie unterging.


Tessa wusste nicht warum ihr genau diese Szene ins Gedächtnis kam, denn sie hatte immer gedacht so was hätte sie schnell wieder vergessen.
Sie nahm sich den Satz zu Herzen, denn er war wichtig für sie, für sie beide. So sollte es bleiben.
“Hey, Tess!”
Wieder strich sie sich die Strähne aus dem Gesicht. Es war nur Peer.
“Wo sind die anderen hin?”
“Im ersten Stock. Suchen weiter nach Herrn Mento.”
“Achso, lass gehen.”
Peer fuhr sich durch das kurze Haar, steckte seine Hände dann kurzer Hand wieder in die Hosentasche um lässig laufen zu können.
Unsicher betrachtete Tessa ihre Hände, folgte Peer aber trotzdem. Es war so komisch.
Das Sonnenlicht verschwand allmählich und der Gang wurde dunkeler. Unbewusst strich sich Tessa mit der rechten Hand über den linken Arm. Sie liefen weiter den Gang entlang. Sie fühlte die Gänsehaut, es wurde immer kälter.
Mit brüchiger Stimme wandte sie sich an Peer und blieb nervös stehen.
“Peer?” Ein Grummeln seinerseits.
“Können wir zurück, ich will nicht weiter.”
Der Genannte drehte sich zu ihr um und zog eine Augenbraue in die Höhe, manchmal verfluchte sie ihn dafür, dass er es konnte und sie nicht.
Nachdem er ihr Grinsend ins Gesicht geschaut hatte, fragte er sie ob sie Angst hätte, das aber nicht grinsend, eher spottend.
Tapfer schüttelte sie den Kopf, obwohl es eigentlich wahr war. Sie hatte Angst, auf eine gewisse Weise schon. Wovor wusste sie nicht, aber sie hatte da so eine Vorahnung.
Es war doch perfekt, zwei 15-jährige Schüler, ein Junge und ein Mädchen , ungeschützt, Hilfe wäre schwer zu finden, ein dunkeler Gang, es war kalt, fehlte nur noch das scheußliche grüne Monster, dass sie auffressen würde. (Tessa hatte ziemlich Angst vor großen, bösen, grünen, gurkig - aussenden Super - Monstern, weil sie früher immer gedacht hatte unter ihrem Bett lebte eines.)
Und irgendwie machte es ihr auf eine andere Weise noch mehr Angst, dass niemand sie retten konnte, nicht Superman, auch kein Spiderman, nicht einmal Batman würde sich erbarmen und sie von diesem schrecklichen Ungeheuer schützen.
Unauffällig betrachtete sie Peer.
Und dieses kleine Fohlen sollte ihr helfen, wenn große, böse Gruselmonster sie aufessen? Unwahrscheinlich. Und große Monster nehmen sich immer zuerst das Mädchen, oder war das bei großen, bösen Pädophilien? Oder bei King Kong?
Tessa war verwirrt.
“Ach komm, passiert doch nichts. Ich bin doch da.”
Er lächelte sie an, als ob nichts wäre. Er lächelte nicht oft so, so wissend. Aber in diesem Moment kam ihr das Lächeln so hilfreich vor. Wie früher als sie noch kleiner waren, als er sie beschützt hatte. Aber das war vorbei, Tessa konnte sich selbst gut schützen, deshalb vermisst sie diesen Lächeln so, denn dieses Lächeln zeigte ihr, er würde sie beschützen. Zumindest hoffte sie das.
Tessa ballte ihr Hände zu Fäusten um die Angst, die in ihr schlummerte, zu mindern; sie bohrte ihre Finger in die Hand um nicht zu zeigen wie viel Angst sie plötzlich hatte, um nicht schwach zu wirken.
“Hey, da ist doch Herr Mento!”
Und da stand er an der Wand gelehnt, den Koffer in der Hand und in der rechten Hand hielt er etwas, etwas was sie nicht identifizieren konnte.
Und plötzlich lief er aus der Dunkelheit ins Licht, und es verschlug ihr den Atem.
Blut, überall. Es tropfte auf den kalten Boden. Überall war Blut, in seinen Haaren auf seinem Hemd, das schöne weiße Hemd. Entsetzt riss Tessa die Augen auf, sie wollte es doch nicht sehen.
Und sein Gesicht verzerrt, die Augen pechschwarz, es war nichts zu sehen. Sein Blut es tropfte.
Immer noch umklammerte er sein Koffer. Und in der Andere Hand das Messer, blutdurchtränkt, es lief ihm den Arm hinab.
Nicht möglich nur einen Ton von sich zu geben, machte sie trotzdem den Mund aus, doch es kam nichts.
Langsam führte er das Messer in die Richtung von Tessas Herz, aber Tessa konnte nichts sehen, sie sah nur noch das Blut, das Blut was an ihm herab floss, wie ein Wasserfall.
Sie konnte das Blut riechen, ihr wurde schwindelig. Sie konnte nichts mehr nicht laufen, nicht reden, sogar nicht mehr atmen für diesen Moment.
Und dann wurde Tessa schwarz vor Augen, komisch.


3.Kapitel
Janes Kapitel.



[i]Blut, überall. Es tropfte auf den kalten Boden.[/i]
Tessas Sicht wurde schwarz, ihr Hände umklammert von unsichtbaren Fesseln, die sie fest hielten, für immer. Und sie versuchte sich zu entwinden, aber sie konnte nicht. Sie schrie, doch sie schrie nicht. Sie weinte, doch sie weinte nicht. Sie war da, oder auch nicht? Die Dunkelheit umhüllte sie völlig,
[i] ..sie wollte es doch nicht sehen. [/i]
Verkrampft schloss sie ihre Augen und es wurde schwarz, und dunkel, noch dunkeler als es hier in der Dunkelheit schon war. Sie schrie, doch niemand hörte sie. Sie spürte das Blut, das auf sie herabrieselte, aber wenn sie die Augen aufmachte sah sie nur schwarz.
Und dann schloss sie wieder ihre Augen, wollte sich eine neue Welt vorstellen, voller bunter Gesichter und Farben, doch sie schrie weiter. Sie wollte nicht mehr sehen, die Gesichter schrieen, die Farben wurden schwarz, und sie konnte spüren, wie warm ihr wurde. Sie verbrannte.
Wieder spürte sie das metallische Messer an ihrer Brust, auf ihrem Herz und schrie wieder und weinte und sie wollte nicht sehen, sie wollte sich die Augen ausreißen, um nicht mehr sehen zu können, doch sie konnte es nicht, denn ihre Hände waren gefangen, gefangen im Nichts und wieder Nichts.
Ihr Atem stockte ihr Herz setzte aus, und wenn auch nur für diesen Moment. Und dann auf eine komische Art und Weise, fühlte sie sich frei, frei von den Fesseln und von der Qual. Irgendwie schwerelos.

Peers warme Hand strich immer wieder über das Haar der ahnungslosen Tessa, auch wenn er es nicht mehr wollte, es war wie automatisch. Er glaubte nicht daran, dass sie es merkte, aber das war ja auch nicht der Sinn der Sache, es sollte Peer nur für eine Weile beruhigen, nur ein bisschen.
Ihre Augen waren geschlossen und ihr Atem flach. Peer nahm sich den Hut vom Kopf und strich nun durch seine Haare.
Sie lag schon lange hier, seit etwa drei bis vier Tagen, die Ärzte meinten sie hätten nur einen Schock erlitten, eine Halluzination, bei Stress, meinten sie, kam das oft genug vor. Erschöpft versuchte er seine Augen zu schließen, denn heute hatte er nur wenig, sagen wir gar nicht geschlafen. Diese Idee wurde ihn aber mit einem Mal aus dem Kopf geschossen, denn das nächste was er hörte, war das nervende Klopfen von Janes High Heels, der Aufprall mit ihren Schuhen auf dem harten Beton Boden. Wie nervig.
Immer wieder machten sie diese komischen Geräusche, die er hasste, wenn sie auf und ab lief, wie ein Tiger der auf seine Beute wartete.
Aber was sollte er den gegen Janes Monster High Heels anrichten? Peer schaute auf ihre Schuhe. Er konnte sie ihr ausziehen und aus dem Fenster werfen. Aber wenn er so in das Gesicht des Mädchen schaute, wurde ihm übel und er verwarf seine Idee, denn so wütend hatte er das Mädchen noch nie gesehen. Oder doch - da war dieses eine Mal, an dem sie dem Jungen am Kaffee Automaten fast den Kopf abgerissen hatte, als er sie nicht vorließ, weil sie ja heute keinen Kaffee bekommen hatte, und sozusagen auf Entzug unterwegs war. Peer wusste, man durfte einer Jane nie zu Nahe kommen, wenn sie mal auf Entzug von irgendwelchen Sachen war.
Sei es Essen, oder Kaffee, oder Essen, oder..? - Egal, das war jetzt sowieso nicht von Geschichte.
Um ihre gelangweiltes Äußeres zu überspielen, wie es sich Peer denken konnte, strich sie sich über das schwarze Band T-Shirt, einer unbekannten Band, verhackte ihr Hände miteinander und setzte sich hin. Der gelangweilte Ausdruck verweilte, und Peer glaubte, heute würde sie die ganze Zeit so vor ihm sitzen.
Seufzend betrachtete sie Tessa einen Moment und dann blieb es still. Aber das nur für einen kurzen Moment, denn schon im Nächsten, sprang Jane wieder auf, wie auf Ecstasy, wie völlig elektrisiert, und strich sich wieder durch das Haar, so sehr, dass es aussah als hätte sie sich gerade mit der Krankenschwester um das Essen geprügelt. Vielleicht würde sie es wirklich tun.
"Argh~.. Peer, wann glaubst du wacht sie auf. Ich mach mir Sorgen."
Peer zog eine Braue in die Höhe. Das war doch nicht ihr Ernst. Auch wenn Peer nicht lange mit Tessa und damit auch mit Jane befreundet war, eines wusste er, Jane machte nie etwas ohne Hintergedanken.
Einer der wenigen Sachen, die er von Jane wusste, neben der Sache mit dem Essen.
Oh, verdammt, das Mädchen konnte so viel Essen, es war so als ob ihr Magen ein schwarzes Loch wäre. Wie ihre Figur normal blieb, wusste er nicht. Er glaubte wissen zu können, dass sie sich selbst zu Hause mit Fitness Training strafte. Diesen Gedanken vergaß er dann aber auch wieder schnell, denn nun viel ihm noch etwas ein, Jane war doch einfach viel zu faul.
Lächelnd (ihr Lächeln war wie aus Zucker, süß, aber wenn man(n) zu viel davon bekam, wurde einem schlecht) verdrehte sie eine Strähne ihres matt wirkendes, rotes Haar um einen Finger, lehnte sich etwas vor und sprach mit solch’ einer lieben Stimme, dass sich seine kleine Schwester etwas davon abschneiden könnte.
".. U- uuund mir ist langweilig."
Irgendwie wusste Peer das dieser Satz käme und er würde ihr gerne in die Fresse treten, für ihre Taktlosigkeit, beließ es aber dann lieber. Zu schlimm wären die Folgen - für ihn.
Und dann schämte er sich für die Gedanken, und für sein Verhalten und dafür, dass er als Junge schwächer war als dieses Mädchen. Aber mit einer Sache konnte er sich verteidigen. Sie war nicht normal. Entnervt verschränkte er seine Arme vor seiner Brust, lehnte sich gegen Stuhl und genoss für einen Sekunde, den Moment indem Jane mal nicht redete. Peer genoss ihn, denn er wusste, so lange konnte er nicht andauern.
"Was weiß' ich wie lange Tess’ braucht um aufzuwachen, vielleicht ein Monat, vielleicht 'ne Woche, vielleicht nie. Seh' ich denn aus wie Harry Potter?" Um noch einen drauf zu setzten, stubbste er seine alte Brille in die Höhe, um den Anspielungen gerecht zu werden.
Schnaubend wandte sie sich zum Fenster, zog das rosa aussehende Band aus dem hohen Zopf, den sie sich vor ein paar Minuten gebunden hat, und sprach leiser als gewollte diese Worte. Vielleicht wollte sie in einem Krankenhaus nicht zu laut unhöflich sein, so wie in der Kirche.
Natürlich ließ sie sich den Mund nicht verbieten, aber Rückrat musste man haben.
"Fick dich, Peer."
"Halt's Maul."
Und dabei ließ sie es. Wirkliche Lust in weiter zu beleidigen hatte sie nicht, denn Peer rastete nie aus, und dann war es für Jane immer so verdammt langweilig und dann ließ sie es.
Und sie wusste, sie war viel zu schlau, um weiter darauf rumzuhacken. So, natürlich, lief es in ihrem Kopf ab.
Wieder setzet sich Jane auf ihren Platz, öffnete ihre Mörder Schuhe, setzte sich mitsamt den Schuhen auf Tessas Bett (bestimmt wusste sie nicht wohin mit sich selbst, immer wechselte sie den Platz) und wedelte barfuss mit ihren Füßen auf und ab. Wie ein kleines Kind, welche die neue Schaukel ausprobieren würde, mit ihren Füßen aber nicht am Boden aufkam und nur lässig vor sich hin wedelte. Fast sah es auch so aus, nur das Tessas Bett keine Schaukel war, aber dass Jane klein war, oh ja, das war richtig und so verdammt genug tuend für Peer, der sich schon die ganze Zeit in seinem Stolz verletzt fühlte. In seiner Männlichkeit missachtet.
Und dann wurde es wieder Still im Raum. Peer wusste so viel Stille war er nicht gewohnt, war sie nicht gewohnt, das klang gar nicht gut. Obwohl es ja Still war. Was für ein Wortspiel, Peer hielt sich mal wieder für äußerst witzig.
Die warme Frühlingssonne stahl sich durch die Wände, in das kleine Zimmer und erleuchtete einen kleinen Winkel von Tessas Bett, blendete Peer und wärmte Jane. Und dann fing Jane an zu sprechen, ohne Vorwarnung, und zu schnell um überhaupt hören zu können.
Jane erzählte der bewusstlosen Tessa von allem was passiert war, bis jetzt, was sie in der Schule gemacht haben, wie sie vorgestern bei ihr versucht hat anzurufen, ihr Vater an das Telefon gegangen ist, sie gefragt hatte, wo Tessa sei. Und dann hatte sie sich die Hand gegen die Stirn geschlagen und laut aufgeflucht. Tessa war ja hier, im Krankenhaus, sie konnte dich gar nicht zu Hause sein, bei ihrem Vater sein. Und dann rief sie Jane noch an, um nach den Hausaufgaben zu fragen, obwohl sie ja an diesem Tag noch nicht einmal in der Schule war. Jane verfluchte sich in jeder kleinsten Sekunden für ihr kleines Gehirn mit Erinnerungen, davon was sie als letztes gegessen hatte.
Sie erzählte ihr von der peinlichen Stille zwischen ihr und Tessas Vater und wie sie schüchtern aufgelegt hatte, obwohl das eigentlich nie so war. Denn Jane war nicht schüchtern, nie. Auch nicht bei dem Vater ihres besten Freundin, besonders da nicht, denn eigentlich mochten sich Fynn und Jane, sie kamen ziemlich gut zurrecht.
Aber dieses Mal war es anders, denn dieses Mal bemerkte sie ihre Taktlosigkeit gegenüber dem Vater. Er müsste doch schon kaputt genug sein, warum ihn auch noch mit dieser behinderten Frage nerven?
Dieses eine Mal bemerkte sie, dass sie nicht wissend einfach viel zu weit gegangen war, viel zu weit, und wenn es Jane merkte, war es schon ein Wunder.
Sie erzählte von letzter Nacht, in der Jane und Peer im Krankenhaus geschlafen hatten, heimlich und leise, ohne bemerkt zu werden, denn eigentlich durften sie ja nicht hier sein, aber sie mussten.
Für Tessa, denn es war ein stummes Einverständnis zwischen den Dreien. Auch wenn es Tessa nicht wollte, es war egal, denn Jane und Peer ließen sie nicht im Stich. Sie wollten ihr helfen und die ersten sein, die ihr halfen, die ersten sein, die mit ansehen konnte, wie sie aufwacht.
Denn Jane und Peer glaubten Tessa würde das auch für sie tun, ganz bestimmt.
Sie erzählte ihr davon wie sie mit Peer geredet hatte, die ganze Nacht durch. Sie konnten nicht schlafen, denn Jane konnte eigentlich nie schlafen, und Peer schlief aus Solidarität auch nicht. Peer hatte ihr die ganze Nacht zu gehört, jeder Wort, jeden Laut, um nicht einschlafen zu müssen.
Wie jetzt. Er mochte es wenn sie so sprach, er mochte ihre Stimme, wenn sie mal nicht so rau, nervend und böse klang, sonder melodisch und ruhig.
Und obwohl Peer wusste, dass es Tessa nicht hörte, was sie sagte, hoffte er es innerlich sehr, denn diese Momente sollte man nicht verpassen, denn diese kamen nicht oft vor. Dass Jane leise und melancholisch war, und alles erzählte was ihr gerade auf dem Herzen lag, mit einer reinen Seele und nicht wissend was sie eigentlich tat. Von Tessa habe er gehört, dass diese Momente, schöne Momente waren, auch nach langen Zeiten der Tränen und Verletzbarkeit Janes. Er wusste, dass Jane das nicht zu Tessa sagte, oder zu Peer, sondern eher zu sich selbst, weil sie einen klaren Kopf bekommen wollte, sie machte sich immer kleine Zusammenfassungen in ihrem Kopf, um nicht völlig auszurasten. Und um nicht alle Sachen zu vergessen, die man ihr sagte, welche sie aber dann doch vergaß.
Sanft sprach sie weiter über die Nacht mit Peer, darüber wie sie geweint hatte, mitten in der Nacht, im Zimmer der schlafenden Tessa.
Darüber wie Peer hilflos daneben gestanden hatte, ohne zu wissen was er tun könnte, und ihr nur unbeholfen über den Rücken gestrichen, als wäre nichts. Er konnte nie gut damit umgehen, wenn jemand weinte, besonders nicht, wenn es ein Mädchen war. Denn dann verlor er wirklich den Verstand. Und auch besonders, wenn es Jane war, denn er sah Jane nie oft weinen, oder verletzlich, für ihn war sie nur das Killerweib, die zufällig in seine Klasse ging, und gezwungener Maßen, zu einen seiner Freunde gehörte, denn eigentlich mochten sich Peer und Jane nie wirklich leiden. Tessa mochte ihn, Tessa mochte Jane, sie war das Band zwischen den Beiden.
Und sie redete weiter und weiter, und irgendwann redete sie über den Pudding, den sie gestern in der Cafeteria geklaut hatte, weil sie angeblich kein Geld mitgenommen hatte, und irgendwie musste Peer fast anfangen zu lachen, weil es mit ihrem ernsten Gesicht und mit der lächerlichen Geschichte einfach nur urkomisch war ihr zuzuhören.
Schließlich schloss sie beruhigt ihre Augen atmete wieder leise vor sich hin. Als ob es nur der Anfang wäre.
Und dann weinte sie, einfach so, ohne auch nur einen Grund zu nennen, ohne auch nur einen Grund zu haben.
Die Tränen flossen über ihr Gesicht und ließen ihre Schminke, die sie vor ein paar Stunden wieder neu aufgetragen hatte, verschmieren.
Geschockt stand Peer vor ihr, strich sich unbeholfen über das blonde, störrische Haar und ließ ihn dadurch noch unbeholfener wirken als er schon war, noch hilfloser als ein Fohlen sein konnte.
Und dann fühlte er sich von dem Schicksal verarscht, warum er? Warum wieder sie? Warum wieder das gleiche Szenario?
Noch einmal schnappte sie laut die warme Luft auf, welche die Drei die ganze Zeit einatmeten, und sprach dann einfach unbeirrt weiter.
Sie redete davon wie gerne sie doch ihren Bruder anrufen würde, ihn fragen würde wie es ihm ginge, wie es wohl in London sei, ihm sagen, dass sie ihn lieb hatte.
(Denn ihr Bruder lebte schon seit Monaten im Ausland, weil er es hier gehasst hatte, er die Freiheit genießen wollte und unseren Vater nie wieder sehen. Das letzte Mal, als sich Jane und Adam sahen, stritten sie, sie weinte, er ging. Niemals konnte sie wieder mit ihm sprechen, dachte sie, niemals.)
Sie redete davon wie sehr sie Larissa hasste, und wie sehr sie alles auf dieser Welt hasste. Wie sehr sie die Farbe gelb hasste, weil sie ja so grell war, und viel zu aufdringlich und sie viel zu oft an Larissa erinnerte. Sie redet davon, wie sie ihren Ruf, in der Schule, als Killerbraut doch hasste und verabscheute und wie sehr sie doch einfach nur nett sein wollte. Denn sie wusste, sie konnte das.
Und dann redete sie davon, wie sehr sie ihre Mutter doch liebte und vermisste, obwohl sie so ein dummes Miststück war, denn ihre Mutter hatte sie schon lange verlassen, denn sie wollte nicht mehr, sie wollte mit ihrer Affäre durchbrennen, ihre Kinder zurück lassen und nie wieder kommen. Eine Frau ohne Rückrat, aber wenn Jane ehrlich war, im Geheimen konnte sie ihre Mutter verstehen, auch wenn ihr Verstand das nicht wollte, ihr Herz konnte es. Freiheit stand bei ihrer Familie groß auf der Tür stehen. Vielleicht war sie auch nur deswegen so zerrissen.
Und sie redete weiter und weiter, meistens über Sachen von den er nicht ansatzweise wusste, manchmal aber auch von Sachen, von denen er genau wusste, wie sehr Jane sie doch verabscheute. Und es kam ihm so vor, als ob sie nie aufhören wollte - konnte.
Wütend drückte sie ihre Augen zusammen und fing an noch weiter zu reden, jetzt nur noch viel schneller, und mit jeder Sekunde mehr wusste Peer immer weniger was er machen sollte.
Sie redete davon wie sehr sie doch Tessa vermisste, wie sehr sie alles an ihr vermisste, wie traurig es ohne sie war. Sie entschuldigte sich bei Peer für ihre Taktlosigkeiten und ihren Hass gegen ihn, der gar kein Hass war, sondern nur Dummheit.
Und das nächste was er spürte war ihr Gewicht auf Seinem, ihn umarmend.
“Es tut mir so Leid, Peer. So sehr.” Vorsichtig strich er ihr durch das rote Haar, strich ihr über den Rücken und sagte nichts, denn er wusste nicht zu sagen. Denn zum einen wusste er nicht was er darauf antworten sollte, und zum Anderen, er konnte es nicht. Sein Hals war wie ausgetrocknet, seine Stimme versagte beim jedem Atemzug, und er spürte wie sehr sich seine Lunge zusammen zog, bei jedem einzelnen Schluchzer ihrerseits. Er hatte schon so viel von ihren legendären und irgendwie traurigen Zusammenbrüchen von Tessa gehört.
Er wusste, das alles was sie hier sagte und machte, durfte nicht an die Außenwelt gelangen, denn sie wollte für niemanden offen sein.
Er hatte schon so viel davon gehört, wie sie einmal im Klassenzimmer zusammengebrochen ist, und genau soviel geredet hat, und geweint hat.
Er hatte davon gehört, wie sie in Tessa Zimmer geweint hatte und so viel geredet, wie noch nie.
Er hatte davon gehört, wie sie in Gegenwart ihrer Mutter ausgerastet ist, weil sie einfach nicht mehr konnte.
Er hatte schon so viel davon gehört, aber er hätte niemals, nie gedacht, dass es so schlimm werden könnte.
Dass Jane so sehr weinen konnte, dass Jane so schnell reden konnte, dass Jane so verletzt sein konnte.
Zitternd zog sie an seinen Haaren, hing leicht an ihnen und fragte ihn wieder so melancholisch und sanft wie nie.
“Es tut so sehr weh, Peer, so sehr. Aber ich kann nichts dagegen tun. Es tut mir immer weh, auch wenn ich es nicht will, es fesselt mich und bringt mich um, Peer. Glaubst du es verschwindet?”
Und dann sah er ihre rot angelaufenen Augen und ihre von schwarzen Mascara beschmierten Wangen, ihre roten warmen Wangen. Sie so zu sehen tat ihm weh, es zerfraß ihn schier.
“Natürlich Jane, glaub’ mir.” Er wusste selbst nicht, ob es stimmte. Vielleicht log er, vielleicht auch nicht, aber das einzige was er jetzt machen konnte, war bei ihr sein.
Und dann sackte sie in seinen Armen zusammen und schlief auf dem Bett ihrer Freundin ein, dicht neben ihnen ihre Schuhe. Irgendwann war er auch todmüde, nur noch einschlafen und nie wieder aufwachen, lehnte sich gegen eine Wand und schlief ein. Tessa, Peer und Jane, ihre Herzen in einem Klang, ihre Herzen in einem Rhythmus, ihre Herzen in einer Melodie.
Ihre Seelen - Nein, eine Seele.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 28.07.2010

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /