Die Suche
Vorwort
Es fing an, als es endete.
Ihr fragt euch sicher: Was fing an? Was endete?
Ich kann es nicht sagen.Nicht direkt.Ich weiß es nur verschwommen,wie eine Milchglasscheibe.Ich kann es nicht sagen.
Nicht heute.
Nicht morgen.
Nie.
Ich weiß nur, dass es ein und dieselbe Sache war, auch wenn es schier unmöglich ist.
Mein Kummer wird warscheinlich das ganze Leben bleiben. Aber ich kann ihn mildern,indem ich euch meine Geschichte erzähle.
Die Geschichte über Stolz, Neid, Gegensätze, Feinde, Freunde, den Sinn. Liebe.
Obwohl - ich verstehe nicht, wieso die gesamte Menschheit immer so auf Liebe fixiert ist.
Oder doch, ich verstehe es.
Liebe ist...unbezahlbar, es kickt uns hoch, macht uns glücklich. Und gleichzeitig ist Liebe die Zutat für einen höllischen Ritt durchs Leben.
Okay, ich sage jetzt klipp und klar: Diese Geschichte ist nichts für Teenie-Mädchen, die meinen, viel zu lesen, und doch noch nie von Tolstoj oder von dem "Idioten" gehört haben.
Auch, wenn ich selber eines war. (Die Betonung liegt auf war)
Ja, es ist ein Liebesbuch, das gebe ich zu.
Eins muss ich noch sagen: Ich habe diese Geschichte "Die Suche" gennant, weil es meine Suche nach mir selbst, nach dem echten Leben war.
Doch alles hat ein Ende.
Und einen Anfang.
1.
Mein Wecker klingelte. Und klingelte. Rrrring, rrring, rring, ring...
"Agggrhhhh", brüllte ich und hüpfte aus dem Bett.
"Scheiße, scheiße, scheiße, das darf einfach nicht wahr sein!!!", kreischte ich noch lauter, als ich ins Badezimmer kam.
Meine Mutter kam hinaufgepoltert, um zu sehen, was geschehen war. "Was ist denn passiert, Schätzchen? Wurdest du angegriffen?" "Nein, sie findet warscheinlich ihre Wimperntusche nicht", schaltete sich mein großkotziger Bruder Julian ein. Ha-ha.
"Etwas viiiieeel schlimmeres!", sagte ich hysterisch, "Ich habe einen rie - sen Pickel auf meiner Birne! Genau jetzt, wo doch der Schulfotograf kommt!"
Da verdrehte meine koplette Familie, da Papi auch dazugekommen war, nur die Augen, und ging wieder runter zum Frühstück.
Tja, so war ich früher. Kaum zu glauben,oder?
Kommen wir zu meiner Schule und zum eigentlichen Anfang meiner Geschichte.
Ich war eigentlich sehr beliebt, auch wenn mich sehr viele für eine blöde, eingebildete Zicke hielten. Aber der wahre Grund meiner Angesagtheit war, dass mein Papi der Direktor der Schule war.
Als ich an einem Tag in die Klasse kam, merkte ich sofort, dass wir eine Neue hatten. Ich musterte sie zuerst gründlich, dann lächelteich sie nett an. So machte ich das immer, denn sie sollten sich unsicher mir gegenüber fühlen. Sie war ziemlich hübsch und hatte eine schöne Figur, doch wie war ihr Charakter? Ich war mir sicher, dass sie leicht zu unterdrücken war, obwohl sie ziemlich temperamentvoll aussah.
Ich sollte es später noch erfahren.
Bis zu Mittag lief alles hervorragend, dann gingen meine "Freundinnen" (man sollte sie eher als Gefolginnen bezeichnen) und ich runter in die Schulcafeteria zum Mittagessen.
Dort fingen wir an, über die Neue zu lästern, doch dahinter versteckte sich wahrscheinlich bloß blanker Neid. Wir waren so vertieft, dass wir nicht mal merkten, wie sie sich uns näherte und hinter uns stehen blieb, um uns zuzuhören.
"Bitte, sie hat bestimmt BH-Einlagen! Und siehst du nicht, dass sie bei jeder Gelegenheit nur rumzickt und zu nichts zu gebrauchen ist?", redete ich auf Sandra ein.
"Schön, dass ihr euch so viele Gedanken über mich macht. Das bedeutet nämlich normalerweise, dass ich euch ziemlich wichtig bin",ertönte plötzlich ihre gottverdammte weiche Stimme hinter mir.Ich wirbelte herum und funkelte sie zornig an,doch sie ignorierte mich und ging einfach weiter,auf den Jungentisch zu. "Jungentisch?", dachte ich irritiert, "Wer gibt ihr das Recht, sich so verzweifelt an die Jungs ranzumachen? Pff ,die hats echt nötig..." Dann wurde ich von Josh, der gerade vorbeiging, abgelenkt: "Hey, Josh, du schuldest mir noch eine Nacht, weißt du noch?", rief ich ihm hinterher, doch er lachte nur spöttisch und ging zu der Neuen, lächelnd. Verdammt.
"Hey, Nelly, was hast du denn da auf deinem Pappteller? Willst du Big Mama nacheifern oder was?", rief ich daher zu unserem Klassenfettchen rüber. Sie drehte sich sofort um und hatte keine Zeit, sich hinter der Maske aus Stolz zu verstecken. Deshalb fing sie an zu weinen.
Ich konnte echt ätzend sein, das musste man mir lassen.
Für diesen Tag war mein Frust abgebaut und ich konnte in Ruhe weiterlästern und über Klamotten reden.
Die nächsten Tage wurden aber schlimmer. Die Neue, welche Michelle hieß, und ich feindeten uns immer öfter an und das schlimmste war, dass sie immer gewann.
Immer.
Dann einmal sah ich ihre Mutter, die krank war und in einem Rollstuhl saß. Und auch wenn es mir jetzt das Herz zerreißt, wenn ich daran denke, rief ich herüber zu Michelle und ihrer Mutter: "Ach, Michelle, das ist also deine Familie. Nett. Aber leider bist du ja genauso behindert und dumm wie deine Mutter. Mein Beileid!"
Und dann begann sie. Die Wendung.
Michelle kam zu mir rübergetrabt und stellte sich unter Tränen vor mir hin. Ich schaute sie von oben herab an doch innerlich kriegte ich es ein wenig mit der Angst zu tun. Was kam jetzt?
"Du hörst mir jetzt zu", zischte sie und ich war unfähig mich zu bewegen vor lauter Angst, erneut und vor allen erniedrigt zu werden. "Sperr deine Lauscher auf, du Nullnummer: Nur, weil du so eine Zicke bist und keinen Jungen abkriegst, musst du deinen Frust nicht an mir auslassen. Ja, meine Mutter ist behindert; wenigstens stehe ich dazu.
Ich werde vielleicht auch mal ein berühmte Psychologin oder Ärztin oder sonstiges werden und vielen Menschen damit helfen. Aber du - du wist es nie zu irgendwas schaffen, wenn du nicht jetzt, und zwar genau jetzt dein Leben änderst. Hängt es dir nicht schon zum Hals heraus, jeden Tag das gleiche zu machen? Teure Klamotten, tonnenweise Make-up, unterbelichtete Jungs und billiger Sex? Das ist nicht cool, das ist armselig. Ich geb dir mal einen guten Rat, nicht als Feindin, sondern als Freundin: Du solltest mal rausfinden, wer du wirklich bist und nicht nur immer jemanden imitieren. Denn ich weiß, dass du tief in dir drin ein kostbarer Mensch bist, denn ich habe deine Augen gesehen, als du Angst hattest. Vor mir. Und Augen sagen alles aus."
Nach dieser Rede ließ sie mich stehen und ging mir ihrer Mutter nach Hause.
Und ich stand immer noch wie angewurzelt da.
Und dachte nach.
Mein eigenes Ich...hallte es in meinem Kopf.
Dann fiel es wie Schuppen von meinen Augen: Ich musste mein eigenes Ich finden. Das war's. So einfach und doch...so schwer.
2.
Die nächsten Tage geisterte ich rum, nahm niemanden wahr und ging allen aus dem Weg, was vor allem in der Schule für Aufsehen sorgte.
"Was ist denn los?", fragte Sandra vorsichtig, nachdem Michelle mich wissend angelächelt hatte und ich - wiede mal - zu weinen begann. "Ach, ich glaub, ich hau ab", schluchzte ich und wollte getröstet werden. Doch die kapierten das natürlich nicht. Normalerweise, wenn sie das veruschten, fauchte ich sie immer an.
Am Abend saß ich im Zimmer und grübelte - wieder mal - darüber nach, wie ich mein eigenes Ich finden sollte.
Ich blätterte gerade gelangweilt in einem Kleiderkatalog, als ich's plötzlich hatte. Ich hatte mich daran errinert, was mein Bruder vorgestern gesagt hatte, als er uns erzählt hatte, dass seine Freundin wegziehen sollte: " Manchmal, auch wenn es unmöglich scheint, findet man das, was man will, auf Reisen. Nichts hilft so sehr, andere Kulturen zu beobachten, um die innere Ruhe zu finden. Is'n Zitat von irgend'nem toten Dichter."
"Das ist es", flüsterte ich und grinste. Mit einem Mal war ich total aufgeregt, zerrte meinen Reiserucksack aus dem Schrank und schmiss rein, was mir so in die Finger kam. Dann nahm ich noch Briefpapier und schrieb hastig einen Abschiedsbrief an Michelle:
"Liebe Michelle,
Ich danke dir. Danke.
Danke, dass du mir die Augen geöffnet hast und mich rechtzeitig vor mir selbst gerettet hast.
Ich haue ab, weil ich mich selbst finden will. Ich glaube, "ein wenig " Abstand von meinem bisherigen Leben wird mir gut tun.
Hoffentlich bleibst/wirst du meine Freundin und Verbündete. Bis irgendwann.
Monica"
Dann schwang ich mich, in Schlabber-T-shirt und ausgewaschenen Jeans (mal was neues), aus dem Fenster und rannte los. Zuerst machte ich Halt bei Michelles Haus und warf den Brief ein. Dann ging ich langsam zum Bahnhof.
Ich wusste nicht, wohin die Reise gehen sollte, aber wichtig war,dass es weit weg war. Ganz weit weg.
Irgendwann kam ein Zug, der nach Paris fuhr, also beschloss ich, mal wieder Paris zu besuchen. Geld hatte ich ja genug auf meiner Kreditkarte.
Ich machte es mir bequem so gut es eben ging und legte mich auf den Zweiersitz. Dann dachte traurig an meine Familie, und währenddessen schlief ich erschöpft ein.
Jetzt ging's richtig los.
Am nächsten Morgen wurde ich von zwei unhygienisch aussehenden Typen geweckt, die sich genau neben mich setzten wollten, obwohl der ganze Waggon leer war.
Aber als sie sich beide schmutzig angrinsten, dämmerte mir, was sie vorhatten und flüsterte mehr zu mir selbst als zu denen: "Scheiße, verdammte." Dann stürzten sie sich auch schon auf mich wie zwei hungrige Wölfe. Ich dachte schon, ich wäre verloren, als plötzlich eine Männerstimme scharf sagte: "Lasst sie los." Die beiden drehten sich um, um zu schauen, wer sie da unterbrochen hatte.
Der Mann sah ziemlich gut aus, er hatte einen Drei-Tage-Bart, brauen Haare und kristallblaue Augen. Nett.
Als die beiden aber auf ihn losgehen wollten, trat er ihnen - sorry - in die Eier, und die beiden sanken in sich zusammen. Dann packte er meine Sachen und lief schnell hinaus, ich ihm hinterher. Als wir draußen am Bahnsteig standen, stellte er meinen Rucksack hin und wollte ohne ein Wort gehen. Doch ich war schneller.
"Was - wieso haben sie das getan?", fragte ich, während ich ihn am Ärmel festhielt. "Sie hätten das doch auch bei einem kleinen Kind gemach, oder?", sagte er scharf. "Ja, schon, aber - haben Sie mich gerade kleines Kind genannt?" "Nein, es war nur ein Beispiel." "Dann ist ja gut."
Eine Weile war es still, dann sagte er irritiert: "Könnten Sie mich vielleicht loslassen? Ich möchte weitergehen." "Oh, ja, natürlich."
So stand ich wieder alleine da. Na toll.
Und wo war ich?
Ich schaute auf das Schild. Nichts. Ahhhhrg, typisch Frankreich!!!
"Warten Sie! Hey! Warten Sie doch!", rief ich dem Mann hinterher. Er drehte sich um und schaute mich an, als ob ich übergeschnappt wäre. Vielleicht hatte er ja Recht?
"Was?", fragte er ziemlich unwirsch. "Bitte, wo sind wir? Typisch Frankreich, die haben überhaupt keine Schilder." "Erstens: Wir sind in Spanien, da wir Frankreich schon verpasst haben. Und zweitens: Ich weiß nicht, wo wir sind." Ich schaute ihn entgeistert an. "Sp-spanien?" "Ja. Spanien. S-p-a-n-i-e-n." "Okay,ich habs ja verstanden", fauchte ich zurück. "Gut. Dann leben Sie wohl." "Tschüss."
Nach ca. 6 Sekunden war ich wieder neben ihm.
"WAS WOLLEN SIE?!", zuckte der Typ aus. "Ach mann, ich weiß nicht, was ich will. Nur nicht alleine sein."
Eine Weile sah er mich komisch an, dann sagte er bloß: "Dann komm halt" und ging weiter. Grrr! Der würde mich noch wahnsinnig machen! Aber er war besser als nichts.
So gingen wir nebeneinander her, ohne einen gewissen Schimmer, wer der andere war und wohin er wollte.
"Wieso wolltest du eigentlich nach Frankreich?", fragte der Mann auf einmal. Und dann, ich weiß auch nicht warum, brach die ganze Geschicht aus mir heraus. Nur Michelle ließ ich weg und log etwas zusammen, da es mir peinlich war, dass mir zuerst jemand auf die Sprünge helfen gemusst hatte.
3.
"Du willst also dein eigenes Ich finden und weißt nicht, wo du anfangen musst", fasste Adam zusammen. "Ja", hauchte ich außer Puste. Mittlerweile waren wir bei einer Bank angekommen und setzten uns nieder. Eine Weile war es wieder still, dann fragte ich: "Und du?" Er schaute mich schon wieder mit diesem merkwürdigen Blick an. "Du willst es nicht wissen." "Oh doch!" "Nein. Glaub mir." "Okay."
Plötzlich grinste er.
"Was?", wollte ich sofort wissen. "Ach, mir ist gerade nur etwas eingefallen." "Was denn?" "Weißt du, da gabs mal so eine Michelle, meine beste Freundin. Und die hat irgendwann mal gesagt, dass jeder Mensch gut und einzigartig ist, man muss es ihm nur sagen. Aber bei dir ist es anders - als ich dich gesehen habe, hätte ich schwören können, du wärst ne durchgebrannte Tusse. Aber dann ist mir aufgefallen, dass du ganz von selbst einzigartig bist. Und das ist jetzt kein Annäherungsversuch sondern einfach ein Fakt, okay?", versuchte er zu scherzen. Ich schluckte. Wie tief würde ich noch sinken? "Ist diese - diese Michelle nicht zufällig nach Belgien gezogen?", fragte ich kleinlaut. Adam starrte mich ungläubig an, dann fing er an zu lachen und konnte sich gar nicht mehr einkriegen. "Du bist auch eines ihrer Opfer! Hahaha! Das ist ein wahrhaftig komischer Zufall, dass gerade wir uns treffen! Hahahahaha...!" Ich schaute finster vor mich hin und dachte so meine Gedanken, die nicht gerade...freundlich ausfielen.
Nach einer Weile beruhigte er sich wieder und sagte vollkommen ernst: "Also, wenn das so ist, dann kann ich dir trauen. Hm...weißt du was?" "Was?" "Ich schlage vor, das Sprichwort von deinem Bruder ernst zu nehmen." "Das heißt...?" "Wir machen eine kleine Weltreise!" Ich drehte mich verwundert zu ihm. "Eine W-w-weltreise? Wir kennen uns doch gar nicht...!" "Richtig! Das macgt es so leicht!"
Und plötzlich hatte ich wieder dieses Gefühl aus meiner Kindheit, wenn der Übermut mich überkam und mich ganze Tage festhielt. "Dann los!", rief ich und nahm seine Hand.
Doch es war komisch. Seine Hand zuckte so komisch in meiner und er kriegte einen schrecklich leidenden Gesichtsausdruck. Darum ließ ich sie wieder los und dachte mir nichts schlimmes dabei. Vielleicht hatte er ja einen Bluterguss oder sowas.
Wir kamen in der Stadt Salamanca an und suchten zuallererst ein Hotel. Doch da war nur ein Doppelzimmer frei.
"Egal", sagte Adam locker, "das bedeutet ja nichts, Monica." Ich stimmte ihm eifrig zu, weil ich hundemüde und es mir ehrlich egal ziemlich egal war,neben wem ich schlief. Wir nahmen das Zimmer.
Das Doppebett war wirklich eng, kein Platz zum Wegrücken, und es gab auch nur eine Bettdecke. Okay, man konnte eine zweite besorgen, aber als wir bei der Rezeption nachfragten, gab es keine mehr. Mein einziger Gedanke war: Wie toll. Aber ich brauchte wirklich dringend eine Mütze Schlaf, deshalb ließ ich es gar nicht erst zu, dass ich zimperlich wurde, sondern haute mich einfach neben Adam und schlief sofort ein.
Als ich am Abend aufwachte, sah ich, dass Adam sich ein Lager auf dem Boden gemacht hatte und dort - wohlgemerkt mit der Bettdecke - schlief. Aber vielleicht war es ja besser so, sonst wäre da warscheinlich ein Risiko, dass....ja, was eigentlich? Ich wollte mir nichts vormachen. Dieser Mann wollte nur Kameradschaft, da war kein einziger Gedanke von Liebe. Das hatte er mir gründlich klargemacht.
Oder? Nein, nein, beruhigte ich mich selber, das konnte nicht sein, einfach unmöglich, vollkommen undenkbar.
"Hallo", sagte Adam mit verschlafener Stimme und sah unglaublich aus mit zerwuschelten Haaren.
O-oh. Ich war schwach.
Naja, so schwach auch wieder nicht...
Um mich selber aufzulockern, ging zu ihm herüber und wollte ihm mit den Worten: "Hey, hast du schon mal was von Nächstenliebe gehört?" die Bettdecke entreißen.
Doch ich stolperte und fiel geradewegs in seine Arme. Oder er fing mich bewusst auf. Ich weiß es nicht mehr.
Ich weiß nur, dass, als ich die vor Schreck zugekniffenen Augen öffnete, sein Gesicht eindeutig zu nah an meinem war. Und einige Momente hörte die Welt buchstäblich auf sich zu drehen. Wow.
Er ließ mich zu früh wieder frei, indem er sagte: "Hoppla, wer hat sich denn da verlaufen?", und mich von sich drückte. Ich hingegen war noch nicht aus der Trance ganz heraus und setzte mich auf das Bett, um das zu verdauen.
Bisher hatte ich nur Football-Kapitäne oder sonstige dumme Muskelprotze als Freunde gehabt. Aber was noch niemand wusste war - und das war mir immer auf einen hirnlosen Grund hin peinlich gewesen - dass ich noch Jungfrau war.Und noch nie richtig verliebt gewesen...
Aber ich wollte mir nichts reinreden,denn es war eigentlich -wie schon gesagt - offensichtlich,dass Adam nichts von mir wollte.Eigentlich.
Er fing an, so vor sich hin zu plappern, redete und redete und bemerkte nicht, dass ich total geistesabwesend auf dem Bett saß, die Beine angezogen, und ihn verträumt anstarrte. Doch als er nichts mehr zu erzählen hatte,schaute er auf und unsere Blicke blieben ineinander verhakt.
"Adam,ich...", fing ich an,aber bei seiner Reaktion verstummte ich sofort: Er schaute weg und verzog die Miene. Autsch.
Ich ließ es bleiben, denn theoretisch war es noch zu früh,um verliebt zu sein;ich kannte ihn nicht mehr als einen Tag.
Also verschloss ich mein Herz wieder gründlich und ging ins Badezimmer.
Als wir ausgiebig und unter ungewöhnlicher Stille gefrühstückt hatten, machten wir uns wieder auf den Weg. Wohin - das wussten wir selber nicht. Doch dann beschlossen wir, nachdem wir den holprigen Weg nach Frankreich gsehen hatten, noch einen Tag zu bleiben und uns die Stadt anzuschauen. Also legten wir unsere Sachen im Hotel ab und düsten voller Tatendrang los. Wir besichtigten den Bischofspalast,die Kathedrale,das Haus der Muscheln,die Plaza Mayor, aßen in einem süßen Restaurant in einer kleinen aber belebten Seitenstraße ohne Namen zu Mittag und kauften sogar eine Karte, die ich zu meiner Familie und zu Michelle schickte. Kurz gesagt: Ich hatte noch nie so viel Spaß gehabt und gelacht wie heute. Und ich hatte gemerkt, dass man auch prima mit Adam befreundet sein konnte, ohne sich sofort verknallt zu fühlen. Ich hatte zwar immer noch Schmetterlinge im Bauch,wenn ich an den Morgen dachte, aber nur vereinzelte, die immer weniger wurden.
Am Abend waren wir fix und fertig und gingen zurück zum Hotel,als ich tangoähnliche Musik hörte. Ich ließ Adam weiterlaufen und ging selber der Musik nach. Und da stieß ich auf etwas wirklich tolles: Ich stand vor dem Rìo Tormes und auf dem Wasser war eine große Plattform aufgebaut,auf dem sich wahrscheinlich ein Familienfest abspielte.Aber das war nicht das Faszinierende; ich bewunderte die ganzen Lichter,die auf der Plattform aufgehängt waren und die sich wunderschön im Wasser spiegelten und die ausgelassene Fröhlichkeit in den Gesichtern der Menschen, die dort tanzten.
Ich wurde von dem Arm,der um mich gelegt wurde aufgeschreckt und schaute Adam ärgerlich an. Der beachtete das nicht, sondern starrte auch die Plattform an. So standen wir da und wagten es nicht, den Zauber durch eine winzige Bewegung zu brechen.
"Aaaaah,hijos,por qué...",rief auf einmal eine alte aber energisch wirkende Frau rüber,aber ein Blick auf uns ließ sie verstummen,denn man sah,dass wir kein Spanisch verstanden. Dann fragte sie vorsichtig: "Sie sprechen deutsch?" "Nein", antwortete ich schnell, "wir kommen aus Belgien." Die Frau nickte langsam, dann hellte sich ihr Blick auf und sie rief: "Aah,Belgica!Francesa?" Wir nickten. "Gut", begann sie nun fließend französisch zu sprechen, "dann kommt rauf,Kinder,ihr seht ja halb verhungert aus!Mama Manon kümmert sich um euch.Kommt!" Wir folgten ihr willig auf die wunderschöne Plattform.
Als wir von der schmutzigen,gepflasterten Straßen hinüberstiegen,spürten wir sofort,wie die Stimmung umschlug zum Feierlichen und Romantischen. Aber zweiteres war uns eher unangenehm.
Mama Manon nahm uns mit zu einem riesigen Buffet,wo sie uns kurz erklärte,was was war und uns dann alleine ließ.
Wir aßen so viel wir konnten,wurden immer lockerer und schließlich war es,als hätte es den Morgen nie gegeben. Wir lachten die ganze Zeit,unterhielten uns prächtig und ich sang sogar ein Lied mit,von dem ich die Melodie kannte. Als ich da so singend stand und ein bisschen mit den Hüften mitwackelte, wurde das Licht plötzlich gedämpft und die Musik ging aus. Alle lachten, aber Adam und ich verstanden nicht, was los war,bis rote Beleuchtung anging und ein Tango ertönte - die Musik der Liebenden.
Ich ging ein paar Schritte zurück,bis ich an die Reling stieß und schaute erstmal zu. Dann fragte Adam aus heiterem Himmel: "Kannst du Tango tanzen?" "Ja." "Ich auch." "Aha?" "Mhm."
Nach einiger Zeit (der Tango schien endlos zu sein) kam auf einmal ein junger gut aussehender Mann zu mir und bat mich um den Tanz. Ich warf einen Blick zu Adam,aber der schien keine Interesse zu haben,und so ging ich mit auf die Tanzfläche. Es war ganz nett,bis er mich zu nah an sich presste und begann,leidenschaftlicher zu tanzen. Es war sehr unangenehm,aber ich schaute zu Adam und merkte,dass es mich ganz schön verletzte,dass es ihn total kalt ließ. Also hängte ich mich noch mehr in die Arme des Mannes und tat so, als ob es mir riesigen Spaß machen würde. Aber erst,als mir dieser Spanier tief in die Augen schaute,wurde ich ernst. Dann sagte er leise auf französich: "Mon amour,solche Augen habe ich noch nie gesehen...sie strahlen wie die Lichter über uns." Ich lächelte ihn an und mit einem Mal war es wunderschön - so schön,dass ich Adam sogar ganz vergaß.
Mein Spanier hieß Carlo und war Rosenverkäufer. Er hatte unheimlich romantische Sätze auf Lager,zum Dahinschmelzen und -
"Darf ich ablösen?", fragte eine Stimme verärgert. Ich schaute auf.
Adam.
Es hatte ihn also doch nicht kalt gelassen.
Carlo sah mich fragend an, und als ich nickte,gab er mich frei und mit einem letzten Lächeln für mich verschwand er in der Menge.
Adam hielt mir seine Hand hin,ich nahm sie, und als der Tango erneut begann, zog er sich näher an sich heran,als ich zu hoffen gewagt hätte, und dann war es um mich geschehen. Wir tanzten eng umschlungen und einen perfekten Tango, aber ich traute mich nicht, ihm in die Augen zu schauen - deshalb schaute ich immer nur auf andere Gesichter,aufs Wasser oder auf den Boden.
Dich dann kam der letzte Teil und zum Schluss musste er mich an der Taille nehmen und mich hintenüber beugen. Und da ließ sich Blickkontakt nicht vermeiden.
Er hatte Tränen in den Augen.
Genauso wie ich.
Als ich mich wieder aufrichtete,ließ er mich nicht los und hob die Hand um mir über die Wange zu streichen -
Ein großes Seufzen ließ ihn innehalten. Wir schauten zur Seite und bemerkten erst jetzt,dass während wir getanzt hatten, die Menge zurückgewichen war und uns zugeschaut hatte.
Ich musste kichern,als Adam ein verdutztes Gesicht machte. Dann löste ich selber seinen Griff und ging wieder zur Reling. Er kam mir nach.
Wir umarmten uns und er flüsterte in mein Haar: "Das war wunderschön." Ich konnte nur nicken.
Dann fragte er leise: "Gehen wir?" Ich nickte wieder. Er nahm meine Hand und zog mich mit,aber wir liefen nicht zum Hotel. Er zog mich in eine winzige,schmale Seitengasse und ich blieb mit dem Rücken zur Wand stehen,während er vor mir stand und schwer atmete.
Plötzlich drückte er mich an die Wand und küsste mich mit aller Wucht. Er roch stark nach Alkohol,wahrscheinlich hatte er getrunken während ich mit Carlo getant hatte.
Seine Küsse wurden immer heftiger und drängender und es wurde unangenehm. "Adam,hör auf", presste ich zwischen zwei Küssen hervor, aber er hörte mich nicht.
"Adam!",rief ich. Nichts. "ADAM!",brüllte ich und da hörte er auf und schaute mich unverwandt an. "Bitte,hör auf",sagte ich mit fester Stimme. Und dann tat er etwas schreckliches: er gab mir eine Ohrfeige und riss mir mein dünnes T-shirt entzwei. Dann packte er mich an den Hüften und berührte irgendeinen Punkt an meinem Rücken,sodass ich meinen Kopf zurückwarf. Sofort nützte er die Cahnce und küsste(besser gesagt schlabberte) meinen Hals ab. Ich zog den Kopf wieder zurück,aber er drückte ihn wieder weg und begann meinen BH aufzunesteln.
"AAADAAAAAM!",schrie ich in panischer Angst und er hielt inne. "Hör - auf.Mach uns nicht unglücklich",flüsterte ich und strich ihm über die Wange.
Dann gab ich ihm eine schallende Ohrfeige.
Er hockte sich nieder,schüttelte den Kopf,dann stand er wieder auf und sagte: "Danke." Ich nickte. Dann - ganz plötzlich - schrie er: "Nein.Das war doch nicht ich!" Er sah mich hilfesuchend an. Ich schüttelte entschlossen den Kopf und sagte: "Das war der Alkohol..." "EBEN!",schrie er außer sich und warf sich auf die schmutzige Straße.
"Adam,komm schon...komm,steh auf",versuchte ich halbherzig,ihn zum Aufstehen zu bewegen. Er bewegte sich keinen Zentimeter. Na gut, dachte ich, er wird schon selber das Hotel wiederfinden.
Ich ging die Straße runter,in meine Gedanken versunken,als ich jemanden rufen hörte: "Monica!" Ich schnellte herum und sah Carlo mit einem strahlenden Lächeln auf mich zurennen. "Carlo,hi",drehte ich mich ehrlich erfreut um.
"Hast du vielleicht Lust mit uns in einen Club zu gehen?"
" 'Uns'?"
"Meine Cousins und Cousinen."
"Hm...ich bin müde."
"Ach,komm schon,hm?
"Ach.....na gut."
Er strahlte mich erneut an und zog mich mit,durch enge Gassen,über eine trockene Wiese und plötzlich standen wir vor einem Club,der wörtlich pulsierte. Es waren unglaublich Menschen da;die Musik dröhnte über unsere Köpfe weg,die Menschenmassen bewegten sich,als gäbe es kein morgen mehr. Und es gab Unmengen von Alkohol.
Genau das,was ich momentan brauchte.
"Komm schon!",rief ich voller Vorfreude Carlo zu und lief hinein. Die Musik traf mich wie ein Schlag,aber kurze Zeit später trieb ich wie die anderen dahin,ausreichend mit Alkohol versorgt,und tanzte selbstvergessen.
Nach einiger Zeit brachte Carlo mir einen Drink,den er als "tödlich" bezeichnete. Ich nahm ihn einfach und kippte ihn in einem Zug herunter.
An das,was danach passierte,kann ich mich nicht mehr erinnern.
Tag der Veröffentlichung: 14.03.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für die Musik