Werte Eltern, liebe Kinder. Bitte beachtet die Altersempfehlung bei allen Büchern, denn es werden auch Bücher geschrieben, welche nicht von Kindern oder Jugendlichen verstanden würden oder gelesen werden sollten. Dieses Buch wurde hauptsächlich für Kinder, Jugendliche und jung Gebliebene geschrieben.
Auch im fünften Teil der Reihe »Geschichten von unter der Meeresoberfläche« wird es wieder spannend. Die Handlung spielt grob ein Jahr nach den Büchern »Der Lausedelphin« und »Roberta und der ägyptische Mumiendelphin«. Aber auch die Spezialagentin des Kriegsrates, bekannt aus den Büchern »Spezialagentin Nordstrom« und »Spezialagentin Oma Nordstrom«, hat eine Nebenrolle.
Es gibt einige neue und viele bereits bekannte Charaktere. Es ist nicht erforderlich, die anderen Bücher gelesen zu haben, um dieses Buch genießen zu können. Natürlich macht es aber auch Spaß, etwas mehr über die vergangenen Abenteuer der Protagonisten zu wissen. ;-)
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen.
Ein Jahr ist es schon her, da wurden die Delphinsiedlungen von gleich zwei bösen Haiarmeen überfallen. Mit Hilfe der Meermenschen aus Ankerstadt gelang es den tapferen Atlantikdelphinen sich zu behaupten. Sogar freundliche Haie hatten auf der Seite der Delphine gekämpft und so haben die Haiführer Adolf und Benito nicht nur den Krieg verloren, sie hatten damit sogar das Gegenteil erreicht. Vielerorts haben Haie und Delphine neuen Respekt füreinander gewonnen und sogar Freundschaften geschlossen. Das Leben im Atlantik ist für die verspielten Delphine seitdem friedlicher und schöner als jemals zuvor.
»Noch viel zu lernen du hast, junger Padawan«, säuselte Meister Soda mit sanfter und freundlicher Stimme. Ignazius hechelte so heftig, dass er vorerst gar nichts erwidern konnte. Es war aber auch irgendwie seine eigene Schuld. Meister Soda hatte Herrn Mondschein, den Kommandant des Wächterpostens in Ignazius‘ Heimatsiedlung, besucht und war von einem Boten mit einem dringenden Auftrag in den Nordwesten des Atlantiks geschickt worden. Sofort hatte sich Ignazius freiwillig gemeldet, um den alten Meister zur Sicherheit zu begleiten und das, obwohl der Drittklässler doch nur zu Besuch am Posten gewesen war und noch gar nicht dort arbeitete. Da Delphine nicht so lang lebten wie andere Völker, waren sie nur drei Jahre Kind, schwammen danach drei Jahre lang zur Schule und schon mit sieben Jahren waren sie erwachsen und schwammen zur Arbeit.
Als sich Ignazius, der eigentlich ein ziemlicher Schnellschwimmer war, über die langsame Reisegeschwindigkeit beschwert hatte und er dem alten Delphin auch noch angeboten hatte, dass er sich bei Ignazius‘ Rückenflosse einhaken solle, damit sie schneller vorankommen würden, war etwas Seltsames passiert. Der Meister war plötzlich verschwunden gewesen und zum Erstaunen des Jungdelphins schwamm der alte Recke fast einen halben Kilometer weit entfernt. Natürlich hatte Ignazius gleich wieder aufgeschlossen, aber der sanftmütig lächelnde Meister hatte sofort wieder die Geschwindigkeit erhöht und war dem Jungdelphin davongesaust. Eine regelrechte Verfolgungsjagd hatte begonnen und immer wenn Ignazius geglaubt hatte, er hätte den alten Meister bald eingeholt, legte dieser entweder an Geschwindigkeit zu oder er blieb einfach stehen, sodass Ignazius vorbeischoss. Kaum war Ignazius wieder zurückgeschwommen, raste der alte Delphin schon wieder davon. Doch jetzt war der Meister ganz stehen geblieben und aufgetaucht, denn Ignazius war auch ganz weit zurückgefallen. Endlich konnte der junge Delphin rasten und er sah den immer noch lächelnden Meister erstaunt an.
»Offensichtlich du der ausgeklügelten Technik meiner Schwanzflosse nicht folgen konntest«, erklärte der lächelnde Meister. Ignazius hatte sich sehr schnell wieder erholt und erwiderte verblüfft, »Normalerweise kann ich das recht gut, aber nicht bei so einer hohen Geschwindigkeit. Meine Freundin Roberta und ich passen uns immer gut aneinander an und die schnellen Bewegungen von den flinken Futterfischen, die gerne Haken schlagen, kann ich schon perfekt wahrnehmen. Da werde ich wohl noch etwas üben müssen. Schwimmen wir weiter?« Der Meister war erstaunt, wie schnell der Jungdelphin wieder fit war. Doch er musste ablehnen, »Zur Versammlung der Meereskönige ich dringend geladen wurde. Du mich jetzt leider verlassen musst, junger Padawan.« Ignazius wusste zwar noch immer nicht, was ein Padawan war, aber er hatte verstanden, »Na gut. Dann schwimme ich zurück zu Herrn Mondschein. Viel Spaß, Meister Soda.« Noch bevor der Meister sich verabschieden konnte, war Ignazius auch schon wieder verschwunden. Endlich konnte der Meister sein freundliches Lächeln aufgeben und jetzt war er es, der ungeniert hechelte, »Röchel, hust. Unglaublich die Energie des Jungdelphins ist.« Langsam wendete der alte Meister und schwamm ziemlich erschöpft der Versammlung entgegen. »Schon jetzt er viel schneller schwimmt, als ein ausgebildeter Wächterdelphin es vermag und das auch noch über so lange Distanz. Seeigeln in der Schwanzflosse er hat, der kleine Lausedelphin«, flüsterte der alte Meister, dem erst jetzt gerade aufgefallen war, dass Ignazius in seinem Alter doch eigentlich gar nicht außerhalb der Siedlung spielen durfte.
»Noch viel zu lernen du hast, junges Fräulein«, kicherte Spezialagentin Oma Nordstrom, als ihre Enkeltochter Roberta endlich keuchend eintraf. Die Spezialagentin wartete an der Oberfläche, damit ihr Enkelkind gleich ordentlich durchatmen konnte und schneller regenerierte. »Du bist zu … schnell für mich, … Oma«, keuchte Roberta, wirkte dabei aber glücklich und hocherfreut. »Du hast wohl vor, demnächst schneller als deine alte Oma zu schwimmen, habe ich das Gefühl«, kicherte Oma Nordstrom. Roberta hörte auf zu hecheln, grinste breit und nickte freudig. »Das habe ich mir gedacht. Aber jetzt musst du heimschwimmen. Du hast ja schon den ganzen Tag mit Nadjeschda und mir in der Großen Westsiedlung verbracht und verabschiedet hast du dich auch schon. Wenn du schnell schwimmst, bist du sicher daheim, bevor es dunkel ist«, zwinkerte Oma ihrer Enkeltochter zu. »Du hast recht. Danke für das Wettschwimmen, Oma. Ich werde fleißig weitertrainieren, damit ich so schnell werde wie du und Ignazius. Ich hab dich lieb. Bis bald«, verabschiedete sich Roberta und war schon in Richtung ihrer Heimatsiedlung davongesaust. Kurz schaute Spezialagentin Oma Nordstrom ihrer Enkeltochter nach und fing dann plötzlich an heftig zu hecheln. Schließlich röchelte sie, »Verdammt, jetzt muss ich hart trainieren. Ich kann sie ja jetzt schon kaum mehr abhängen und Ignazius soll so schnell sein wie ich? Ächz.« Seufzend und sehr viel langsamer machte sich Spezialagentin Oma Nordstrom auf den Weg zurück zur Großen Westsiedlung. Nadjeschda würde sich sicher freuen zu hören, wie schnell Roberta schon schwimmen konnte. Mit Roberta und Ignazius waren zwei erstaunliche Schnellschwimmer herangewachsen, die Oma Nordstrom demnächst durchaus alt aussehen lassen könnten.
»Noch viel zu lernen du hast, junge Tochter«, grummelte die Große Hammerhaidame Larissa. Eigentlich war sie gar nicht so groß, denn sie war ja nur viereinhalb Meter lang und verglichen mit anderen Großen Hammerhaien war sie sogar recht klein. Die junge Tochter hingegen war gerade erst erwachsen geworden und mit ihren sechseinhalb Metern Länge einen guten halben Meter länger als es Große Hammerhaie normalerweise werden. Allerdings war sie aber erheblich länger als die eigene Mutter und für ihr Alter war sie heute ungewöhnlich übermütig. Am Rücken ihres schlanken aber muskulösen Körpers röchelte der Delphin, der sich mit einer Seitenflosse an Klaras vorderer Rückenflosse eingehakt hatte. »Entschuldigung, kleine Mama«, kam die freche Antwort und artig grinste das große, erwachsene Mädchen entschuldigend nach Art der Haie, was in ihrem Fall sehr passend war. Bei dieser Art zu grinsen, werden die Lippen hochgezogen und die Zähne zusammengebissen. Dabei versucht man noch recht große und unschuldige Kulleraugen zu machen, als könnte man niemand etwas Böses tun. »Das funktioniert nur bei kleinen Babyhaien«, grummelte Mama Larissa. »Dir wäre Lunge schon fast zweimal heruntergefallen und das ist nicht lustig in seinem Zustand«, setzte sie fort. Klara zog die Mundwinkel nach unten und runzelte die Stirn. »Aber ich dachte, Onkel Lunge geht es besser, wenn er auf Kur bei den warmen Meeresströmungen der Unterwasservulkane im Süden war«, argumentierte Klara, doch sie hatte den schlechten Zustand leider auch schon selbst bemerkt. Larissa nickte und seufzte, »Dieses Mal hat die Kur noch weniger geholfen als letztes Mal. Ich fürchte, wir müssen Lunge gleich zum Arzt bringen, wenn wir zurück in seiner Einsiedlerhöhle sind.«
Roberta und Ignazius hatten sich kurz vor Ankerstadt zufällig auf ihren Heimweg getroffen. Gemeinsam sausten sie der heimatlichen Siedlung, die von allen seit den Haikriegen nur mehr Mondscheinsiedlung genannt wurde, entgegen. »Wo kommst du schon wieder her?«, erkundigte sich Roberta, die ja alleine ihre Freunde in der Großen Westsiedlung besuchen geschwommen war. »Wettschwimmen mit Meister Soda. Hab aber verloren«, freute sich Ignazius und seine Augen funkelten. Roberta musste lachen und dann erwiderte sie, »Oma hat mich auch geschlagen. Ist es nicht toll, dass wir irgendwann so schnell schwimmen werden wie die beiden?« Auch Robertas Augen funkelten. Schnellschwimmen war der Lieblingssport der beiden verliebten Jungdelphine. »Schlafen wir heute in der alten Nordstromhöhle oder in der alten Seesternhöhle?«, erkundigte sich Ignazius, aber er kannte die Antwort bereits. »Wir schlafen lieber bei dir, da ist mehr Platz. Außerdem sind in deiner Seesternhöhle ja die vielen tollen Leuchtsteine der Meermenschen montiert. Ich glaube, ich werde in der Verwaltung Bescheid geben, dass die alte Nordstromhöhle neu vergeben werden soll. Vielleicht könnte ja dein Freund Lunge zu uns in die Siedlung ziehen und die Höhle übernehmen, wenn er wieder von seiner Kur zurück ist?«, sprach Roberta ihre Gedanken laut aus. Ignazius wurde sofort langsamer und er wurde auch etwas verlegen. »Najaaaa. Wenn du die Höhle zurückgibst, dann würden wir ja wie ein echtes Paar zusammen wohnen. Oder täusche ich mich da?«, Roberta hatte ihre Geschwindigkeit gekonnt an sein Bremsmanöver angepasst und nickte ihn grinsend an. Sie hatte dabei auch leicht gerötete Wangen, denn Ignazius hatte es jetzt laut ausgesprochen, dass sie wie Ehedelphine zusammenleben würden. Ignazius nickte auch, »Wenn wir unsere Eltern und Geschwister im Pazifik besuchen, werden sie sich sicher darüber freuen. Ich glaube aber nicht, dass Lunge in die alte Nordstromhöhle umziehen will. Irgendwie kommt er mit allen anderen Meeresbewohnern gut zurecht, nur mit anderen Delphinen möchte er nicht viel zu tun haben. Deswegen lebt er ja auch alleine.« Roberta dachte kurz nach und argumentierte, »Das Krankenhaus in Ankerstadt wäre gleich in der Nähe, weil die Mondscheinsiedlung so nahe an Ankerstadt liegt. Es wäre sicher ein Vorteil, wenn ihn Meermenschenärzte behandeln könnten, wenn seine Gesundheit noch schlechter wird.« Ignazius antwortete, »Lunge wird doch schon von Ärzten versorgt, hat er mir erzählt. Die machen sogar Hausbesuche bei ihm in der Höhle. Allerdings hat er mir noch nicht verraten, aus welcher Meermenschenstadt sie zu ihm kommen.« »Dein Lunge ist wohl genauso dickköpfig wie meine Nadjeschda. Er will nicht bei Delphinen wohnen und sie will noch immer nicht ihren Liebsten suchen schwimmen, von dem sie sich vor langer Zeit getrennt hat. Sie mag zwar als Postenkommandantin in der Großen Westsiedlung der Hammer sein, aber in zwischendelphinischen Beziehungen hat sie noch enormen Aufholbedarf. Die beiden Sturköpfe können sich die Flosse geben.« Ignazius und Roberta nickten einvernehmlich. Bei den Delphinen war es durchaus üblich, ein nettes Angebot, wie eine Einladung in die Siedlung zu machen oder mit einem gut gemeinten Rat einem Freund zu helfen. Überreden oder gar Überzeugen kam bei Delphinen nicht in Frage, denn Delphine respektierten den freien Willen anderer Delphine, auch wenn diese sich nicht allzu klug verhielten. Nur die bösen Lügendelphine versuchten alle anderen zu manipulieren, ohne auf einen freien Willen Rücksicht zu nehmen. Zum Glück waren aber alle Lügendelphine im Kerker unter der Delphinhauptstadt eingesperrt und konnten keinen Schaden mehr anrichten.
Arthur, der Kommandant der Elitegarde von Ankerstadt, tat sich heute schwer beim Schwimmen. Er hatte seine prunkvolle Garderüstung an, die mit zahlreichen unnützen Schnickschnack verziert war. Außerdem hatte er einen übergroßen, verzierten Hüftbeutel an der einen Seite des Gürtels und auf der anderen Seite hatte er ein Breitschwert, das aber für einen ernsten Kampf vollkommen ungeeignet war. Außerdem hingen lange, verzierte Lederbänder von seinem Gürtel herab und verdeckten seine grüne Flosse zur Hälfte. Dadurch konnte er auch nicht so schnell schwimmen, wie er es wollte. Der prunkvoll verzierte Brustpanzer aus edlem Metall machten ihn zusätzlich schwer und unbeweglich. Doch hatte er seit gestern eine schwere Aufgabe übernommen, denn der Meereskönig von Ankerstadt war auf der Versammlung der Meereskönige und Arthur musste ihn vertreten. Da die Königin, die hauptsächlich als Ärzten im Krankenhaus von Ankerstadt arbeitete, auch nicht in der Stadt der Meermenschen war, fiel es ihm zu, nach dem Rechten zu sehen und das beinhaltete auch auf die drei Prinzessinnen von Ankerstadt aufzupassen. Um die älteste Prinzessin musste er sich nicht mehr sorgen, denn diese war schon erwachsen und verheiratet, aber Kamilla und Niki waren ein anderes Thema.
Aus den Augenwinkeln sah Arthur immer wieder einen roten Haarschopf hinter Felsen oder Korallen auftauchen. Der Haarschopf hatte außerdem ein kurzes, freches Zöpfchen, was sehr zum Charakter von Prinzessin Niki passte, die die jüngste der drei Schwestern war. Es wäre unhöflich von Arthur gewesen eine Prinzessin anzusprechen, um ihr mitzuteilen, dass sie sich nicht sehr gut versteckte und er von ihrer Anwesenheit wusste. Niki wurde eben schnell langweilig, wenn ihre Eltern in wichtigen Angelegenheiten unterwegs waren. Normalerweise nahm Frau Doktor Seestern ihre Tochter gerne mit, aber dieses Mal ging es nicht, hatte die Ärztin entschieden.
Doch jetzt war es eher die mittlere Prinzessin, Kamilla, die dem Kommandanten Sorgen bereitete. Seit kurzem war sie als Rekrutin in die Elitegarde eingetreten, aber irgendwie kollidierte ihr Rekrutenstatus immer wieder mit der Tatsache, dass sie auch eine Prinzessin war. Ihr treuer Leibwächter Valentin wurde zu ihrem Ausbilder, damit er auch weiterhin ihr Leibwächter bleiben konnte. Seufzend und langsam mühte sich der Kommandant in Richtung des lauten Gelächters, dass er abermals vernommen hatte. Dabei war der Auftrag für die beiden doch so einfach gewesen.
»Ich kann deinen grün geschuppten Po sehen, Rekrutin«, kicherte Valentin und amüsierte sich köstlich. Die Flüche, die seine Rekrutin daraufhin ausstieß, konnte man natürlich auch hören. Valentin schwamm ganz aufrecht einen halben Meter über dem Meeresboden, damit er besser sehen konnte, was vielleicht ein wenig unfair war. Unter seinem dichten Vollbart konnte man das freche Grinsen erkennen, wenn man genau hinsah. Seine Elitegarderüstung war schon etwas schäbig, denn im Außendienst hatte er natürlich seine Kampfrüstung an. Trotzdem wirkte der muskelbepackte Wächter sehr imposant. Oberhalb der grünen Schwanzflosse wurde er von der Hüfte aufwärts immer breiter und breiter. An seinem gewaltigen Brustkorb hingen auch zwei enorm muskulöse Arme wie dicke Äste. Wenn Valentin seine Muskeln anspannte und posierte, schien es so, als würden sogar seine gewaltigen Muskeln noch Muskeln bekommen. Die Rekrutin, die sich jetzt wütend erhob, war das komplette Gegenteil, denn sie war schlank und sehr zierlich. Sie hatte schon wieder beim Robben am Boden versucht schneller zu sein und hatte zusätzlich zu den Armen noch ihre Flosse benutzt. Dadurch war ihr Hinterteil zu hoch gewesen und die Anschleichübung war deshalb fehlgeschlagen. Ihre Rekrutenrüstung, die lediglich aus abgewetzten Leder bestand und die auch keine Verzierungen aufwies, ließ sie gerade zusätzlich sehr unprinzessinnenhaft aussehen. Lediglich anhand ihrer langen Nase, die ein wenig an einen Delphinschnabel erinnerte, konnte sie in dieser Aufmachung von anderen Meermenschen als Kamilla, Prinzessin von Ankerstadt, identifiziert werden. Die Nase hatten alle drei Prinzessinnen von ihrem Vater geerbt, allerdings hatte Kamilla das wunderschöne, blonde Haar ihrer Mutter und auch ihre feinen Gesichtszüge. Doch jetzt war ihr Gesicht knallrot und sie fluchte, »Bitte um Erlaubnis einen Moment wieder eine Prinzessin sein zu dürfen, Herr Ausbilder.« Valentin griff sich seinen Vollbart und kraulte ihn nachdenklich. Was hatte seine Rekrutin bloß vor? »Erlaubnis erteilt«, antwortete der Hüne.
Arthur war gerade rechtzeitig eingetroffen, um die beiden überfälligen Meermenschen bei einer Anschleichübung zu ertappen. Eigentlich war das gar nicht Inhalt ihres Auftrages gewesen und sie hätten schon zu Mittag wieder zurück sein sollen. Jetzt war es später Nachmittag und Arthur war leicht verärgert darüber, dass er die Prinzessin und ihren Ausbilder hatte suchen müssen. Er beobachtete schweigend das Geschehen, packte seinen dichten, langen Vollbart und kraulte ihn nachdenklich.
»Du blöder ARSCH! Was fällt dir ein, mir auf mein königliches Hinterteil zu starren und das auch noch herauszuposaunen!«, brüllte die Rekrutin. Valentin zuckte zusammen und gleich darauf hechtete er hinter einen Felsen in Deckung und vergrub sich halb im schlammigen Meeresboden, der an dieser Stelle besonders weich war. Im nächsten Moment segelte ein tonnenschwerer Felsblock über Valentins Versteck und krachte gut einhundert Meter entfernt gegen ein paar Korallensträucher, die natürlich geplättet wurden. Noch zehn Meter schrammte der schwere Felsblock über den Meeresboden und kam dann zum Stillstand. Valentin sprang aus der Deckung und brüllte, »Prinzessinnenzeit vorbei, Kamilla! Sag mal, spinnst du? Du sollst doch nicht dauernd mit schweren Felsen nach mir werfen. Du könntest mich ja auch treffen!« Kamilla rümpfte die Nase und griff in ihren Equipmentbeutel. Sofort hatte sie eine dunkelgrüne, extra saure Seegurke in der Hand, aber diese auch zu essen, dazu kam es nicht mehr.
Arthur schwamm ein Stück vor und brüllte, »Stillgeschwommen!«
Kamilla und Valentin schwammen stramm am Stand und hatten die Arme seitlich an ihren Körper gepresst. Beide grinsten möglichst unschuldig nach Art der Haie. So in etwa sahen Haie aus, die erwischt wurden, nachdem sie etwas ausgefressen oder jemand gefressen hatten. Ebenso wenig gut wie bei Haien funktionierte das bei anderen Meeresbewohnern. Lediglich Meermenschenkinder konnten hoffen mit dieser Taktik durchzukommen, denn da wirkte so ein Grinsen sogar süß. Bei Erwachsenen wirkte es eher dämlich.
»Ihr hättet schon zu Mittag zurück sein müssen und jetzt finde ich euch hier beim Rumblödeln«, knurrte Arthur. Kamilla hatte noch die Seegurke in der Hand und Valentin schielte besorgt auf die junge Rekrutin. Sie hatte ihre Meermenschengabe der Enormen Kraft angewendet, als sie den Felsblock aus dem Meeresboden gerissen und dann auch noch geworfen hatte. Würde sie nicht bald eine dieser Seegurken essen, dann würde sie von einer unendlichen Müdigkeit übermannt werden und einfach einschlafen. Diese speziellen Gaben waren sehr selten unter den Meermenschen und sie hatten fast immer einen Preis. Kamillas Augen standen schon auf Halbmast und sie fing bereits an, weniger stramm zu schwimmen und statt dessen ein wenig zu torkeln. »Iss schon deine Seegurke«, befahl Arthur barsch. Sofort war ein lautes und gieriges Knacksen zu hören, als Kamilla die erste Seegurke verspachtelte. Aber, das war nicht genug, denn sie hatte zu lange mit der Seegurke gewartet. Sofort holte sie eine zweite Seegurke und verschlang diese ebenso gierig. Erst dann atmeten Kamilla, aber auch Valentin, erleichtert aus. Arthur erinnerte sich unwillkürlich an früher, als Kamilla den Trick mit der Seegurke noch nicht gekannt hatte. Immer wenn sie etwas Schweres gehoben hatte, hatte Valentin dann auf sie aufgepasst, während die Prinzessin friedlich schlummerte. Er hatte auch immer so getan, als ob er diese schweren Gegenstände gehoben hätte, aber in Wirklichkeit war es immer Kamilla gewesen. Diese Gaben waren ja auch selten und die freundlichen Meermenschen hielten sie eher geheim.
Arthur war auch erleichtert, daher fuhr er mit weniger Schärfe in der Stimme fort, »Wie ist der Zustand der südlichen Luftpipeline?« Da Kamilla und Valentin rot wurden und zum Meeresboden blickten, hatten die beiden wohl lieber gespielt, anstatt ihren Job zu erledigen. Arthur schluckte seinen Ärger hinunter und befahl, »Rekrutin Kamilla. Erkläre mir doch noch einmal, warum die Luftpipeline für uns Meermenschen so wichtig ist.« Kamilla seufzte verlegen, »Die Luft ist so wichtig, damit wir den Wasserstand in den Gebäuden unserer Stadt verändern können. An der Luft lassen sich viele Arbeiten besser und schneller erledigen. Wir können an der Luft auch ein Feuer machen, um zu kochen oder um Dinge wie Glas herzustellen. Wir können an der Luft auch besser am Schulunterricht teilnehmen und auch kranke Meeresbewohner können an der Luft besser im Krankenhaus verarztet werden.« Arthur nickte, »Du hast nur vergessen zu erwähnen, dass viele Meermenschen auch gerne an der frischen Luft schlafen, weswegen alle Schlafzimmer in ganz Ankerstadt auch den Wasserstand absenken können. Das solltest du wissen, denn du gehörst auch zu den Anwendern dieser Vorzüge. Du schläfst ja selbst gerne an der frischen Luft, soweit ich weiß.« Valentin kicherte, während Kamillas Kopf immer roter wurde. »Das ist doch eine Sache für Rekruten. Ich bin zu viel Höherem bestimmt«, schmollte Kamilla, aber der Denkfehler, dass eigentlich sie selbst jetzt die Rekrutin war, kam ihr nicht in den Sinn. Valentins Kichern wurde lauter, aber es kam keine neue Schelte vom Chef der Elitegarde. »Und was schlägst du vor, was du tun solltest?«, erkundigte sich Arthur mit sanfter Stimme. Bei Kamilla war seine Toleranzgrenze immer schon sehr hoch gewesen, da er die alle drei Prinzessinen sehr mochte. Kamilla überlegte, »Wir haben doch im Unterricht gelernt, dass die einzigen natürlichen Feinde der Meermenschen Haie und Seehexen sind. Nur hat schon seit hunderten von Jahren niemand mehr eine dieser bösen Seehexen gesehen. Ich schlage vor, ich schwimme lieber auf die Jagd nach Seehexen, als mich um eine banale Luftpipeline zu kümmern.« Valentin brach in schallendes Gelächter aus, dann prustete er, »Seehexen gibt’s doch nur im Märchen. Da kannst du lange suchen, muahahaha.« Arthur kraulte seinen Bart und runzelte die Stirn. Natürlich waren Seehexen nur ein Märchen, aber das Verhalten von Valentin störte ihn gerade doch sehr, da sich Kamilla zu kränken schien. »Und wie willst du eine Seehexe erkennen?«, erkundigte sich Arthur nachdenklich. Kamilla blühte auf und strahlte, »Aber die haben doch BLAUE Flossen. Wir Meermenschen haben grüne Flossen und die Seehexen haben blaue. Das weiß doch jedes Kind. Außerdem können die Seehexen andere Meeresbewohner mit ihrem Blick versteinern. Wir müssen also nur nach größeren Ansammlungen versteinerter Meeresbewohner Ausschau halten und so finden wir dann die verruchten Seehexen.« Valentin wälzte lachend über den Meeresboden und hielt sich schon den Bauch. Kamilla jedoch vibrierte vor Aufregung. Aus den Augenwinkeln bemerkte Arthur, dass der rote Schopf, der ihm gefolgt war, auch vibrierte. »Also gut, du hast zwei Wochen Zeit, um mir eine Seehexe zu bringen. Valentin begleitet dich, um dich aus Schwierigkeiten herauszuhalten«, befahl Arthur. So hatte Kamilla ein kleines Abenteuer, denn sie konnte ja nicht finden, was gar nicht existierte und Valentin würde sich vielleicht nicht mehr so auffällig über Kamillas Ideen lustig machen. Valentin gefror das Lächeln im Gesicht. Er rappelte sich auf und grinste verlegen. Dann stammelte er, »Chef … Chef … Aber es … gibt doch gar keine Seehexen.« Kamilla jubelte, sauste hinter den Felsen, hinter dem sie ihre Anschleichübung in den Sand gesetzt hatte und kam mit ihrem Rekrutenspeer wieder hervor. Schließlich waren Wächter der Elitegarde allzeit bereit. Valentin hob seinen Dreizack vom Meeresboden auf und stützte sich schwer auf ihn. Die Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Schon wieder musste er eine der Prinzessinnen bei ihren Abenteuern begleiten. »Wo soll ich nur anfangen? Wo soll ich nur anfangen?«, kreischte Kamilla beinahe hysterisch vor lauter Aufregung. »Ein Stück südlich der Delphinsiedlung namens Große Westsiedlung ist doch ein weitgehend unerforschtes Gebiet, weil es dort keine Meermenschenstädte gibt. Vielleicht gibt es dort ja Seehexen im Überfluss?«, überlegte Arthur laut. Kamilla zitterte und vibrierte. Dann rief sie, »Bis baaaald!«, und sauste los Richtung Westen. Der rote Haarschopf zitterte und vibrierte, dann sauste der Haarschopf auch los. Allerdings sauste er im Zickzack von Deckung zu Deckung Kamilla hinterher. Arthur schielte auf den roten Haarschopf und befahl, »Und pass mir gut auf die Prinzessin auf, Valentin.« Valentin hatte den roten Haarschopf auch bemerkt, daher seufzte er, nickte und schwamm den beiden Prinzessinnen hinterher. Aus der Ferne rief Kamilla, »Ich bin jetzt Rekrutin. Auf mich muss keiner mehr aufpassen.« Entweder war Kamilla die Anwesenheit ihrer Schwester tatsächlich nicht aufgefallen oder sie spielte einfach nur perfekt mit, denn Niki spielte schon ihr ganzes, junges Leben lang gerne Verstecken und sie mochte es ja gar nicht, wenn man sie darauf aufmerksam machte, dass man sie entdeckt hatte.
»Da vorne ist die Delphinhöhle von Lunge«, informierte Larissa, aber das wusste ihre Tochter natürlich. Eigentlich hatte sie das nur gesagt, damit auch Lunge mitbekam, dass die lange Reise aus dem Süden gleich zu Ende war. Unendlich langsam schlug er die Augen auf und nickte. So schlapp hatte Larissa ihn noch nie erlebt. Es war fast so, als hätte er alle Energie verloren.
»Hallo? Ist jemand zu Hause?«, erkundigte sich Klara vom Höhleneingang aus. Sofort stürmte eine Ärztin in langem, weißen Kittel aus dem Höhleneingang. »Hallo, Andrea. Gut, dass du da bist«, seufzte Larissa erleichtert. Es war gut, dass die beiden Großen Hammerhaidamen Bescheid gegeben hatten, wann sie in etwa zurück sein würden. Lunge wurde sofort in den unteren Höhlenbereich gebracht und wie ein Futterfisch auf den länglichen Esstisch gelegt. Die Ärztin Andrea begann gleich mit der Untersuchung und schon nach ein paar Minuten schüttelte sie traurig den Kopf. »Lunge hat eine Lungenentzündung. Ich vermute, er hat bei einer unruhigen See eine eiskalte Strömung abbekommen und da sein Immunsystem nicht besonders gut ist, hat es ihn so schlimm erwischt«, erklärte die Ärztin und streichelte den armen Delphin. »Was können wir nur tun?«, erkundigte sich Klara besorgt, aber auch ihre Mutter war unruhig geworden. Die beiden Haie mochten den freundlichen, kranken Delphin sehr und kannten ihn schon viele Jahre. Vor allem Klara war betroffen, denn sie hatte Schuldgefühle. Als sie noch ein Babyhai gewesen war, wurde sie von einem schurkischen Lügendelphin in einen Ölteppich gejagt und Lunge hatte sie aus dem Ölteppich gerettet. Bei der Rettungsaktion war seine eigene Lunge mit Öl verklebt worden. Klara hatte nur einige Jahre einen Husten gehabt, der aber vollkommen verschwand, je älter sie wurde. Bei Lunge war es umgekehrt gewesen. Andrea hatte gemeinsam mit anderen Ärzten sehr viel Öl aus Lunges Lunge abgesaugt, aber es war unmöglich gewesen alles Öl zu entfernen. Das verbliebene Öl hatte sich im Lauf der Jahre immer mehr in der Lunge verbreitet und die Bronchien verstopft, weswegen Lunge immer schlechter atmen konnte. »Ich habe alles mit dabei, um eine entzündungshemmende Salbe zu machen. Wir legen Lunge auf das Podest dort drüben, dann kann er direkt mit dem Kopf in der Deckenblase schlafen und die heilende Salbe einatmen. Viel mehr können wir leider nicht tun«, erklärte die Ärztin. Larissa und Klara ließen den Kopf hängen.
»Bitte schwimmt doch noch bei mir in der Siedlung vorbei und gebt meinem Mann und meiner Tochter Bescheid, dass ich hier bleiben werde. Mein Mann soll mir die große Medizintasche vorbeibringen. Macht ihr das bitte für mich?«, fragte die Ärztin freundlich, nachdem Lunge auf das Podest gelegt worden war und er mit Hilfe der Salbe friedlich schlummerte, denn die Ärzte gaben oft ein Schlafmittel in ihre genialen Heilsalben. Die Heilsalbe wurde auf die Höhlendecke gestrichen, damit sie dort langsam verdampfen und ihre Wirkung entfalten konnte. Klara und Larissa waren einverstanden und boten an, dass sich die Haie aus der nahe gelegenen Haisiedlung um die Versorgung mit Futterfischen und Seegurken kümmern könnten. Andrea musste trotz der schlimmen Lage schmunzeln, denn vermutlich wollten die Haie nur jeden Tag Lunge besuchen, um nach seinem Zustand zu fragen, ob es ihm schon besser ging. »Aber natürlich nehme ich eure Hilfe gerne an. Wir werden das gemeinsam durchstehen«, freute sich die Ärztin. Nachdem Klara und Larissa sich verabschiedet hatten und verschwunden waren, setzte sich die Ärztin müde auf die Steinbank hinter dem langen Esstisch. Die Liegemulden für Delphine, damit diese auch bequem am Esstisch essen konnten, befanden sich gegenüber der Steinbank und waren sogar mit frischem Seegras von Nadja, der Tochter der Ärztin, ausgelegt worden. Leider würde dort jetzt länger kein netter Delphin liegen und der Ärztin Gesellschaft leisten. Erschöpft legte sich Andrea flach auf die Sitzfläche der Bank, legte ihre blaue Flosse auf den Esstisch und schlief ein.
»Guten Morgen, meine Lieben. Ich hoffe, ihr seid zu Hause«, erklang Frau Mondscheins Stimme aus der Wohnhöhle der Familie Seestern/Nordstrom. Roberta hatte noch behütet unter der Seitenflosse ihres geliebten Lausedelphins geschlummert und schmatzte genüsslich, als sie erwachte. »Wir sind gleich bei ihnen, Frau Mondschein. Guten Morgen!«, rief Roberta und lächelte in das Gesicht eines glücklichen Ignazius, der wohl schon vor ihr aufgewacht war und sie beim Schlafen beobachtet hatte.
Wusch
Ein, »Guten Morgen, Frau Mondschein«, war von dem schnellen Schatten über der alten Lehrerin gekommen, welcher die Stimme von Ignazius zu haben schien.
Wusch
Ein, »Ich bring ihnen Frühstück«, war von einem Schatten unter ihr gekommen. Gemütlich schwamm die alte Lehrerin zum Esstisch und senkte sich langsam in eine mit Segeltuch ausgelegte Liegemulde.
Klatsch, Klatsch, Klatsch
Noch bevor Frau Mondschein ordentlich bei Tisch lag, lagen auch schon drei leckere Futterfische auf drei Plätzen. Als Frau Mondschein sich gemütlich auf das Segeltuch kuschelte, materialisierte sich ein frecher Lausedelphin ihr gegenüber und drei Seegurken schwebten hinunter und landeten neben den Futterfischen. Roberta materialisierte im nächsten Moment neben Ignazius und grinste schelmisch. Zum Glück war die alte Delphindame es schon gewöhnt, dass die beiden nicht einmal auf engstem Raum langsam schwimmen konnten. Sie bedankte sich recht herzlich und begann herzhaft zu essen.
»Da hinten ist ein, ähm, Katzenhai, den du füttern könntest. Ich habe ja genug Futterfische für drei gejagt«, schlug Kamilla vor. Valentin starrte auf den roten Schopf des, ähm, Katzenhais und verschwand kurz mit einem Futterfisch und einer gelben, süßlich schmeckenden Seegurke in die Richtung des kleinen Schelms.
Kaum war Valentin zurück und setzte sich zu seinem eigenen Futterfisch, machte es PATSCH und die gelbe Seegurke war zurück und auch noch mitten auf Valentins Kopf gelandet. »Was sie bloß gegen die gelben Seegurken hat. Sie mümmelt doch den ganzen Tag ohnehin die dunkelgrünen Seegurken«, grummelte Valentin leise. Aus Richtung des, ähm, Katzenhais waren zuerst ein Kichern und dann laute Schmatzgeräusche zu hören. Kamilla wurde rot, nahm sich die gelbe Seegurke und warf sie gekonnt in Richtung der Schmatzgeräusche. Dann rief sie, »Ich bin sicher, die Mutter des, ähm, Katzenhaies hört es gar nicht gern, dass das kleine Katzenhaimädchen sich einseitig nur von Futterfischen ernährt und seine Seegurke nicht essen will.« Die Seegurke kam nicht mehr zurückgeflogen, statt dessen gab es mit einem KNACKS und ein paar Würgegeräuschen einige Änderungen in der Geräuschkulisse. »Bewundernswert, wie gut du mit, ähm, Katzenhaien umgehen kannst«, lobte Valentin und wandte sich wieder seinem Futterfisch zu. »Ach, übrigens, die gelben Seegurken haben die wichtigen Vitamine. Die dunkelgrünen Seegurken spenden nur kurzfristig viel Energie«, erklärte Kamilla, damit auch Valentin verstand, warum das richtige Gemüse für die Ernährung so wichtig war.
Andrea wischte sich die blaue Schwanzflosse aus dem Gesicht. Ihre Tochter Nadja hatte offensichtlich sehr unruhig geschlafen, weil es ihrem Freund Lunge so schlecht ging. Der obere Teil von Lunges Höhle war einfach prächtig. Eigentlich war dieser ja direkt im Freien über der Meeresoberfläche und die im Kreis angelegten Liegeflächen waren von einem hohen Steinkranz umgeben. Durch die Felsen konnte man von vorbei fahrenden Schiffen nicht gesehen werden und so war es auch möglich unter einem wunderbaren Sternenhimmel direkt an der frischen Luft zu schlafen. Normalerweise würde hier Lunge friedlich schlummern, da ihm das Schlafen unter Wasser wegen seiner geringen Lungenkapazität schon nahezu unmöglich war. Andrea ließ ihre Tochter schlafen und tauchte durch den langen Gang schräg abwärts in die untere Höhle ab, die derzeit zusätzlich von zwei besorgten Großen Hammerhaidamen belegt wurde, die ebenfalls noch schliefen. Sofort kontrollierte die Ärztin den Zustand des Delphins und dann atmete sie erleichtert aus. Sein Zustand hatte sich zumindest nicht verschlechtert, doch jetzt brauchte sie für die nächsten Schritte der Behandlung ein paar Futterfische. Lunge würde ab jetzt mit Futterfischen gefüttert werden, welche mit der besten Medizin gefüllt waren, die Andrea aufbieten konnte.
Leise schwamm sie vor die Höhle und wich erschrocken zurück. Ein dutzend unschuldig grinsender Katzenhaie und drei normale unschuldig grinsende Hammerhaie warteten bereits und sie hatten auch schon einen kleinen Berg Futterfische angehäuft. Es hatten sich sogar ein paar Seegurken zu den Futterfischen verirrt, obwohl diese normalerweise eher nicht auf der Speisekarte von Haien standen. Andrea bedankte sich im Flüsterton und dann erklärte sie den besorgten Meeresbewohnern ebenso leise, wie es um Lunge bestellt war, damit diese auch Bescheid wussten.
Der morgendliche Ausflug von Spezialagentin Roberta Nordstrom dauerte länger als gewöhnlich. Bei ihrer Patrouille hatte sie Haie entdeckt, die in der Nähe der Einsiedlerdelphinhöhle jagten und ihre Beute genau vor den Höhleneingang ablegten. Offiziell wusste die Spezialagentin gar nicht, wer da wohnte, das hatte sie dem Delphin Lunge versprochen. Die seltsame Blauflossenmeerjungfrau, die gerade aus dem Höhleneingang gekommen war und mit den Haien flüsterte, kannte sie offiziell natürlich auch nicht, da Blauflossenmeerjungfrauen ja nicht existierten. Vor vielen Jahren war sie sogar mit einigen dieser Wesen befreundet gewesen, aber da sich die Spezialagentin so viel Sorgen gemacht hatte, irgendwann dem Kriegsrat der Delphine berichten zu müssen, hatte eine freundliches Blauflossenmeerjungfraukind einen Gedächtniszauber an der Spezialagentin angewandt. Für ein paar Wochen hatte die Spezialagentin tatsächlich alles vergessen, was sie mit ihrer kleinen Blauflossenmeerjungfraufreundin Tolles erlebt hatte, doch wenn Kinder zaubern, dann lässt die Wirkung nach ein paar Wochen oder Monaten nach. Bei den schönen Erinnerungen musste die Spezialagentin sofort schmunzeln, aber das Schmunzeln verging ihr, als sie die besorgten Blicke mancher Haie sah. Einige schienen beruhigter zu sein, andere schienen nervöser zu sein. Roberta Nordstrom wusste, hier war etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Sie beschloss, später noch einmal vorbeizusehen und sich dezent zu erkundigen, was hier eigentlich los war. »Ich hoffe, Andrea ist später noch hier«, flüsterte sie leise und sauste zurück zur Großen Westsiedlung.
»Was? Ich hab doch gestern erst Bescheid gegeben, dass die Nordstromhöhle wieder verfügbar ist und schon hat sich jemand gemeldet? Dann sollten wir heute noch die Höhle gründlich durchputzen, wenn bald erste Interessenten kommen!«, schrie Roberta entsetzt auf. Frau Mondschein runzelte die Stirn, »Ich hab mir deine alte Höhle doch gerade erst angesehen, Roberta. Sie ist doch tadellos in Ordnung. Bist du dir sicher?« Ignazius kicherte, »Roberta will nur sicherstellen, dass die neuen Bewohner die Höhle auch zu würdigen wissen und damit zufrieden sind. Wir putzen einfach kurz durch und das passt dann schon« Robertas Kopf wurde etwas rot und sie nörgelte, »Putz gefälligst gründlich und nicht einfach nur einfach kurz durch.« Frau Mondschein rollte die Augen nach oben. Das Nörgeln lag Roberta immer noch im Blut. Das hatte sie eindeutig von ihrer Großmutter, der Spezialagentin.
Nadja war endlich erwacht und natürlich war sie sofort zu Lunge gesaust. Sie kam gerade rechtzeitig, damit sie ihn aufwecken und mit einem Futterfisch füttern durfte, den ihre Mutter schon vorbereitet hatte. Larissa, Klara und Andrea sahen bei der Fütterung des kranken Delphins natürlich gespannt zu. Als Lunge geendet hatte und sich leise röchelnd bedankt hatte, nickte er seinen Freunden noch kurz zu. Dann legte er sich wieder hin und schlief sofort wieder ein, doch dieses Mal hatte er ein kleines Lächeln im Gesicht. »Oh, wie er schnarcht. Ich glaube, es geht ihm besser«, säuselte Nadja leise. Aber ihre Mutter schüttelte traurig den Kopf, »Das sind nur seine rasselnden Bronchien in der Lunge, kleiner Schatz. Lunge hat noch einen langen Weg vor sich. Ich glaube, im Moment ist er stabil.« Nadja ließ sofort die Schultern wieder hängen und sie war schlagartig auch sehr deprimiert, denn Lunge war ihr bester Freund. Larissa bemerkte, wie die Stimmung kippte, daher flüsterte sie, »Das Wochenende ist vorbei und ich gebe heute wieder Unterricht in meiner Haischule. Nadja, du kommst mit und hilfst mir bitte. Das bringt dich auf andere Gedanken.« Klara zumindest lächelte gleich wieder, denn das war eine gute Idee. Hier herumzuliegen und Lunge beim Leiden zuzusehen, wäre zermürbend für jedes Gemüt. Ein Arzt oder eine Krankenschwester kann mit kranken Patienten ja vielleicht umgehen, aber die Familie und die wirklich guten Freunde konnten das oft nicht sehr gut. Es war besser, den Delphin in der Obhut von Andrea zu lassen und sich abzulenken. Nadja willigte ein und damit sie schneller in der Haisiedlung waren, durfte sie auch auf Klara reiten. Doch irgendwie waren trotzdem alle ein wenig schwermütig, denn für sie alle gehört Lunge praktisch zur Familie, obwohl er eigentlich ein Delphin war.
»Tralla-lalla-laaaa«, trällerte Ignazius und nahm wieder den Schwamm auf. Sorgfältig wischte er den wenigen Staub vom Höhlenboden. Keine Supergeschwindigkeit. Kein schnell-schnell. Ignazius war gründlich und er hatte auch die Idee gehabt, die Verbindungstunnel der gesamten Höhle durchzupusten, damit sie auch staubfrei waren. Durch diese kleinen Verbindungstunnel gab es immer eine Zirkulation des Wassers in jeder Delphinhöhle und so gab es immer in allen Teilen der Höhle frisches Wasser. Es war eine der zahlreichen Erfindungen der Meermenschen, die das Leben der Siedlungsdelphine angenehmer machten.
Roberta starrte ihren braven Lausedelphin verdutzt an, denn sie hatte schon von Delphinen gehört, die eher schlampig und faul bei der Hausarbeit waren. Vor allem die selten vorkommenden Lügendelphine waren bekannt dafür, dass sie keine Flosse im Haushalt rührten.
»Ich hab noch nie ein Delphinmännchen gesehen, dass so viel Spaß bei der Hausarbeit hatte«, ertönte eine weibliche Stimme hinter Roberta, die sich erschrocken umdrehte, während Ignazius brav weiterputzte. Sie erschrak sogar so sehr, dass ihr eigener Putzschwamm aus dem Schnabel fiel. Eine ältere und eine junge Delphindame sahen Roberta belustigt an. »Du hattest deinen Putzschwamm aber auch ordentlich im Einsatz«, lobte die ältere Dame. Roberta grinste und erklärte, »Ich habe hier früher gewohnt und wir wollen die Höhle so schön putzen, dass sich die neuen Bewohner auch wohl fühlen.« Ignazius hatte den restlichen Sand vom Boden geschrubbt und legte seinen Schwamm neben den von Roberta. »Hallo, meine Damen. Roberta? Wieso machst du nicht ein Führung und ich bringe die Schwämme zurück zum Versorgungsstützpunkt. Ich kann auch gleich etwas zum Essen mitnehmen, wenn ich zurückkomme«, schlug Ignazius vor. Die beiden Damen waren aus irgend einem Grund sprachlos, wie höflich und zuvorkommend Ignazius war. Den halben Tag lang hatten die beiden Jungdelphine geputzt und jetzt war ohnehin Zeit für eine Pause. Die Idee gefiel Roberta, also wurde alles so gemacht, wie ihr Liebster es vorgeschlagen hatte.
»Chef. Die Ratsfrau Gitte ist in der Siedlung«, informierte ein Wächterdelphin Herrn Mondschein. »Soso«, sagte Herr Mondschein. Ihm war gar nicht gemeldet worden, dass der Hohe Rat der Delphine der Siedlung einen Besuch abstatten wollte. Der Hohe Rat war der zivile Verwaltungsrat in der Delphinhauptstadt und der beschäftigte sich jedoch hauptsächlich mit Planung und Umsetzung von Siedlungsbauprojekten oder Siedlungsausbauten. Herr Mondschein hakte die Sache geistig ab, denn wenn der Besuch ihm gegolten hätte, wäre einer der Meister vom Kriegsrat gekommen, die ja für die Sicherheit und für alle Wächterposten zuständig waren. Der Besuch war daher sicherlich privater Natur und der alte Delphin war natürlich so höflich, nicht seinen Schnabel in alles hineinzustecken, was ihn vermutlich gar nichts anging. Andere Delphine waren natürlich neugieriger und manche sogar regelrechte Delphinplauderbeutel. Herr Mondschein vermutete daher, dass er bald ohnehin erfahren würde, was die Ratsfrau hierher gebracht hatte, ob er wollte oder nicht.
Nur noch die Blauflossenmeerjungfrauärztin und der Einsiedlerdelphin waren in der Höhle. Die Spezialagentin war schon seit dem späten Vormittag auf der Lauer gelegen, aber es hatte sich offensichtlich ausgezahlt. Flink sauste sie in Bodennähe auf den Eingang zu und war auch gleich in der Delphinhöhle verschwunden.
»Psssst. Andrea. Was ist denn hier los?«, erkundigte sich die Spezialagentin besorgt, als sie den röchelnden, schlafenden Delphin sah. Andrea schwamm mit ihrer Delphinfreundin nach draußen und erklärte ihr den schlechten Zustand von Lunge.
»Das ist schlimm. Wie nimmt es denn unsere kleine Nadja auf?«, fragte die Spezialagentin besorgt. Andrea seufzte, »Nicht gut. Und auch die Haie sind sehr niedergeschlagen.« Traurig senkte Roberta Nordstrom den Kopf, »Es ist zwar gut, dass wir damals befreundet geblieben sind, nachdem ich mein Gedächtnis wiedererlangt hatte, aber jetzt geht es mir umso mehr zu Herzen. Ihr seid mir in den Jahren so lieb geworden wie eine eigene Familie.« »Ich bin froh, dass du gekommen bist, dann kann ich endlich offen reden. Wenn es Lunge nicht bald merklich besser geht, fürchte ich das Schlimmste«, seufzte Andrea. Roberta Nordstrom war fassungslos, denn sie wusste, was gemeint war. Im schlimmsten Fall könnte Lunge an dieser furchtbaren Lungenentzündung sogar sterben und das machte sie sehr traurig. Schließlich kannte sie Lunge schon ewig, da er als Kind in ihrer alten Wohnsiedlung aufgewachsen war und sogar mit ihrem Sohn gemeinsam gespielt hatte. Sie mochte den armen Delphin schon seit damals, aber nicht einmal ihr Sohn oder ihre Schwiegertochter, die auch in Kindertagen dabei gewesen war, wussten über ihren gelegentlichen Kontakt mit dem exzentrischen Einsiedlerdelphin Bescheid. »Dann kümmere dich gut um deinen Patienten und sag ihm einen schönen Gruß von mir. Ich komme ab jetzt regelmäßig vorbei und wenn du etwas brauchst, dann sag es einfach. Ich bin für euch da«, versprach die Spezialagentin. Andrea war erleichtert, eine so gute Freundin unter den Delphinen zu haben wie Roberta.
Nachdem sie gegessen hatten, fingen die Besucherinnen ein nettes Gespräch an. »Also, dass wir beide aus der Hauptstadt sind, wisst ihr schon. Aber ich bin nicht einfach nur Gitte, ich bin Ratsfrau Gitte und arbeite für den Hohen Rat der Delphine. Ich bin aber privat hier und helfe meiner Lieblingsnichte eine passende Höhle zu finden«, begann die ältere Delphindame. »Dann kennen sie sicher auch meine Oma, Spezialagentin Nordstrom«, freute sich Roberta. Ignazius lächelte und da das Gespräch wohl für Roberta interessanter werden würde als für ihn, packte er die Überreste des Mittagsmahles von allen in einen kleinen Beutel, um sie zur Recyclinghöhle zu bringen. Dabei wurde er wieder fasziniert von den Hauptstadtdelphinen heimlich beobachtet. Nina erklärte, »Die Spezialagentin Oma Nordstrom kennen wir beide und wir finden sie auch beide toll.« Ignazius verschwand mit dem Beutel und ausnahmsweise schwamm er sogar langsam. »Ganz schön flott unterwegs, dein Freund«, kicherte die Ratsfrau leise. Roberta grinste, »Eigentlich schwimmen wir immer viel schneller. Wir wollen nur niemand verschrecken.« »Ich finde es wunderschön, dass es auch Männchen gibt, die im Haushalt helfen. Ich hoffe, dass ich auch einmal einen so tollen und anständigen Delphin finde«, seufzte Nina verträumt. Roberta wusste natürlich von ihrer Großmutter, dass die Männchen aus der Familie der Besucher Lügendelphine waren und gerade ihre Haftstrafen im Knast abbrummten, aber es wunderte sie dennoch, »Ist das in der Hauptstadt anders?« »Oh, ich fürchte das betrifft hauptsächlich unsere Familie. Mein Papa Engelbert hat mit dem Blödsinn angefangen. Eigentlich sind die Männchen in der Hauptstadt auch brav, obwohl einige von ihnen sehr verspielt, um nicht zu sagen kindisch sind«, klärte die Ratsfrau auf. Roberta dachte gleich an ihren eigenen Vater und den Vater von Ignazius. Daher kicherte sie, »Mein Paps und der Vater von Ignazius waren auch schon immer sehr verspielt und kindisch. Trotzdem sind es ganz tolle Delphine. Unsere Eltern sind aber in den Pazifik umgezogen. Paps ist jetzt Postenkommandant seines eigenen Wächterpostens und beschützt dort nicht nur die Delphinsiedlung, er hat auch zwei riesige Strände mit seinen tapferen Wächterdelphinen zu bewachen. Die Haie sind eher brav und kommen nur selten zum Strand, aber die Menschen schwimmen im Pazifik ebenso tolpatschig wie im Atlantik. Beinahe täglich müssen sie einen Badegast unauffällig vorm Ertrinken retten«, erklärte Roberta voller Stolz. Nina murrte ganz leise, »Mein Paps ist da leider ganz anders. Der wollte mich sogar mit so einem schrecklichen Lügendelphin verheiraten.« Nina wurde rot, denn so viel wollte sie eigentlich gar nicht verraten. »Hmmm. Davon habe ich schon gehört. Zum Glück ist ja alles gut ausgegangen und du hast auf jeden Fall das Recht, auch deine eigenen Entscheidungen zu treffen. Ich bin fest davon überzeugt, du wirst deinen richtigen Partner schon finden, wenn du aufmerksam durchs Leben schwimmst«, ermutigte die kleine Drittklässlerin die junge Delphindame, die wohl ein paar Jahre älter als sie selbst war. Nina freute sich und auch die Ratsfrau schien es zu gefallen, wie gut sich die beiden verstanden. »Glaubst du wirklich?«, fragte Nina hoffnungsvoll. Roberta nickte, »Aber klar doch. Wenn man sich etwas fest vorgenommen hat, kann man es auch erreichen.«
»Sag einmal, Roberta. Weißt du zufällig, ob Meister Soda gerade in der Siedlung ist?«, erkundigte sich die Ratsfrau höflich. Roberta schüttelte den Kopf, »Der ist gestern leider abgereist. Ein Bote hat ihm eine Einladung zur Versammlung der Meereskönige gebracht und Ignazius hat ihn sogar ein Stück begleitet.« »Ojemine. Ich fürchte, es gibt Ärger. Einige Meereskönige haben sich darüber beschwert, dass der Meereskönig von Ankerstadt vor einem Jahr den Delphinen geholfen hat. Ich hoffe, Meister Soda kann dem Meereskönig von Ankerstadt bei der Versammlung helfen«, seufzte die Ratsfrau und hatte eine Sorgenfalte auf der Stirn.
»Es unglaublich ist, wie dumm manche Meereskönige können sein«, murmelte Meister Soda und der Meereskönig von Ankerstadt stimmte ihm zu. Schon den halben Tag lang meckerte der Meereskönig von Isenstadt auf Ankerstadt herum. Den Bericht von Meister Soda über die Vorkommnisse vor einem Jahr belächelte der Meereskönig von Isenstadt nur. Darüber hinaus hatte er mit Zwischenrufen versucht alles ins Lächerliche zu ziehen. Jetzt gerade hielt er erneut eine Ansprache.
»Wenn wir unsere Nasen aus Schwierigkeiten heraushalten, dann kommen auch keine Schwierigkeiten zu uns. Aber der Herr Meereskönig von Ankerstadt weiß es wohl besser als alle anderen. Unverantwortlich und ohne die Versammlung der Meereskönig um Erlaubnis zu bitten, hat der den Delphinen beim Krieg gegen nicht nur eine, sondern sogar gegen zwei Haiarmeen geholfen. Das hätten die Delphine aber auch ganz sicher alleine hinbekommen. Jetzt müssen wir uns überall vor einfallenden Haihorden fürchten. Ich darf die Versammlung daran erinnern, dass es nur zwei natürliche Feinde für uns Meermenschen in allen Ozeanen gibt. Das eine sind die Haie und das andere sind die Seehexen. Zum Glück gibt es keine Seehexen, daher bleiben ja wohl nur noch die Haie und ... dieser Meereskönig...«, der Meereskönig von Isenstadt hielt inne um anklagend auf den Meereskönig von Ankerstadt zu zeigen, »...hat uns alle zum Ziel für Haiangriffe gemacht. Unser Leben wäre sehr viel sicherer, wenn sich Delphine und Haie gegenseitig verprügeln, so wie sie es immer schon getan haben. Ich fordere, dass es Konsequenzen geben...« Meereskönig Angus Seestern kochte innerlich ebenso wie Meister Soda. Für beide war klar, dass der feindselige Meereskönig schon ein ganzes Jahr lang hinterhältig intrigiert haben musste, um so viel Zuspruch durch die anderen Meereskönige zu haben. Im Kämpfen waren Burschen wie dieser feige, aber im Reden waren sie groß. Meister Soda fühlte sich sehr an einen Lügendelphin erinnert, wenn er dem schurkischen Meereskönig so zuhörte. »Ich noch nie einen so furchtbaren Meermenschen erlebt habe«, fluchte der alte Meister leise. Meereskönig Angus kraulte seinen Bart, »Ach, sein Bruder nennt sich Lord Saurion und ist seit Kurzem der Herrscher von Mordorstadt im Mittelmeer, seit die Königin von Mordorstadt spurlos verschwunden ist. Der ist noch viel schlimmer. Wenn der auch hier wäre, hätten wir wohl ganz andere Probleme.«
Roberta und Ignazius warteten am Wächterposten auf die Besucher, denn die Hauptstadtdelphindamen hatten eingewilligt, eine Führung durch die Siedlung zu erhalten. Während die beiden Jungdelphine diskutierten, welches Stadtviertel sie zuerst anpreisen sollten oder ob sie im nördlichen Korallenwald beginnen sollten, unterhielten sich die Besucherinnen noch ein wenig in der alten Nordstromhöhle.
»Das ist ganz sicher mein Lieblingszimmer, Tante Gitte«, jubelte Nina verzückt. Ratsfrau Gitte kicherte, »Robertas altes Kinderzimmer? Das Zimmer ist aber recht klein, ebenso wie die Vorbesitzerin. Roberta war tatsächlich zwanzig Zentimeter kürzer als der Schwarz-Weiße Durchschnittsdelphin, aber das traf auch auf ihre Großmutter, die Spezialagentin, und sogar Meister Soda zu. Ich denke, du bist mehr vernarrt in deine neuen Freunde als in die Höhle. Was ist denn das da an der Wand?« Nina sauste hin und staunte, »Da hat sich Roberta immer mit dem Schnabel gegen die Wand gestemmt, wenn sie daheim trainiert hat. Diese Mulde passt genau zu ihrem Schnabel. Ich denke, ich werde es auch gleich einmal ausprobieren.« Nina legte ihren Schnabel in die Mulde und begann gegen die Wand zu schwimmen. Eine geniale Methode, die Schwanzflosse zu stärken, wenn man daheim war. Nina erhöhte die Schlagfrequenz und trainierte immer wilder.
Ratsfrau Gitte befand sich leider beim Durchgang zu Robertas alter Kinderzimmerhöhle, als Nina anfing zu trainieren. Durch den Wasserdruck der von Ninas Training verursacht wurde, wurde sie zuerst in die Wohnzimmerhöhle geschwemmt. Verzweifelt versuchte die Ratsfrau gegen die Strömung anzuschwimmen, aber Nina trainierte immer heftiger. Schließlich verlor die alte Delphindame den Kampf gegen die Strömung. Gleich würde sie von der eigenen Nichte versehentlich rücklings gegen eine Wand geklatscht werden, daher schloss sie schon einmal die Augen. Aber nichts dergleichen geschah, denn die Strömung ging durch die Wohnzimmerhöhle hindurch und dann durch die Eingangshöhle geradewegs nach draußen auf die Straße. Wie ein Korken aus einer Sektflasche schoss die Ratsfrau auf die Straße, schrammte über den sandigen Meeresboden und blieb am Rücken laut lachend liegen.
»Guten Tag, Frau Nordstrom. Trainiert ihre Tochter schon wieder so brav?«, erkundigte sich eine ältere Delphindame die gekonnt ausgewichen war. Sie hatte zwei Medizinbeutel umgehängt und kannte das alles offensichtlich schon. Ratsfrau Gitte rappelte sich auf und grüßte die Sanitätsdelphindame recht freundlich.
»Ach, da habe ich sie wohl verwechselt«, kicherte der Sanitätsdelphin und verschwand. »Ich frage mich, wie oft Roberta ihre eigenen Eltern versehentlich aus der Wohnhöhle gepustet hat«, kicherte die Ratsfrau und wartete. Kurze Zeit später kam Nina auf die Straße geschossen und hatte ein sehr verdächtiges Glitzern in den Augen. Nina wollte diese Siedlungshöhle unbedingt, das stand jetzt wohl fest.
»Wieso bist du schon auf die Straße geschwommen?«, wunderte sich Nina. Ratsfrau Gitte beschloss, die Sache mit der Strömung lieber nicht zu erwähnen. Die einheimischen Delphine konnten mit den ungewöhnlichen Strömungen aus dem Höhleneingang offensichtlich gekonnt umgehen und schienen sich auch überhaupt nicht daran zu stören. Außerdem wollte die Ratsfrau ihrer Nichte die Freude mit der neuen Höhle nicht verderben. »Ich warte auf dich, damit wir gleich in die Verwaltungshöhle schwimmen können. Wir wollen doch nicht, dass ein anderer Delphin dir diese tolle Siedlungshöhle wegschnappt«, erklärte die weise Ratsfrau. Nina nickte so wild, dass einem vom Zuschauen schon schwindlig werden konnte. Dann schmiegte sie sich kurz an die Wange ihrer geliebten Tante und sauste sofort los, um sich die Siedlungshöhle zu sichern. Einen Moment später sauste ein Versorgerdelphin an der Ratsfrau vorbei. Er hatte einen großen, aufgeblähten Delphinbeutel umgehängt und verschwand mit rasend schneller Geschwindigkeit in der alten Nordstromhöhle. Diese Delphine holten Luft von der Meeresoberfläche, um die Deckenblasen in den Siedlungshöhlen mit Luft aufzufüllen. So mussten Siedlungsdelphine nicht zum Atmen an die Meeresoberfläche schwimmen und konnten die ganze Zeit über unter Wasser leben. Kurze Zeit später kam der fremde Delphin mit einem schlaffen Beutel zurück aus der Höhle und grüßte freundlich. Die Ratsfrau grüßte zurück und lächelte. Es war einfach toll, wie nett hier alle Delphine in der Siedlung waren. Das Leben in einer ländlichen Gegend schien viel persönlicher und weniger distanziert als das Leben in der Hauptstadt.
Spezialagentin Roberta Nordstrom war heute sehr schweigsam beim Mittagessen im Büro der Postenkommandantin gewesen. Nadjeschda hatte sich gerade darüber beschwert, dass sie am Versorgungsposten schon wieder gedrängt worden war, dass sie doch endlich nach ihrer lange verlorenen Großen Liebe suchen solle.
»Und dann hat Elke noch behauptet, ich würde wohl so lange warten, bis ich alles ins Reine bringe mit meinem Liebsten, dass er da schon an Altersschwäche gestorben ist.« »Oder an einer Lungenentzündung«, grummelte die Spezialagentin leise. »Wenn ich im besten Alter bin, dann ist er es doch sicher auch noch. Außerdem ist er doch angeblich von bösen Haien gefressen worden«, beschwerte sich Nadjeschda weiter. »Was dir der eine Lügendelphin erzählt hat«, murrte Roberta leise. »Außerdem sollte ich mich doch vorher scheiden lassen, was ich demnächst auch tun werde«, klang es aus Nadjeschdas Schnabel, als würde eine kaputte Schallplatte abgespielt werden, die immer an der selben Stelle springt. »Ach, der andere Lügendelphin, den du geheiratet hast? Das hast du schon hundert Mal gesagt, dass du dich scheiden lassen wirst«, grummelte die Spezialagentin schon etwas ärgerlich. »Sobald ich geschieden bin, mache ich mich sofort auf die Suche. Dass Stefan wegen den Haien gelogen hat, muss ja nicht unbedingt der Fall sein, nur weil er als Lügendelphin eingesperrt worden ist«, argumentierte Nadjeschda. »Was du auch schon hunderte Male versprochen hast«, knurrte die Spezialagentin. »Sagst du denn gar nichts dazu?«, erkundigte sich die Postenkommandantin. Spezialagentin Roberta Nordstrom runzelte die Stirn und antwortete barsch, »Rede nicht immer nur davon, tue es endlich.« Mehr wollte sie eigentlich nicht dazu sagen, denn diese Diskussion wurde mehrmals wöchentlich geführt. Doch heute fügte sie hinzu, »Ich kenne dich und den Kleinen, deinen Liebsten, noch aus euren Kindertagen. Dass du auf zwei Lügendelphine reingefallen bist, ist tragisch. Es ist aber an dir endlich einmal auch etwas zu tun, um die Sache zu bereinigen. Mache es lieber bald, bevor alles zu spät ist.« Nadjeschda wunderte sich doch sehr über diese seltsamen Worte. Wenn sie selbst in ihrem besten Alter war oder nur geringfügig darüber, dann war doch ihr alter Liebster auch in bester Verfassung. Oder hatte sie eher gemeint, dass ihr Liebster vielleicht doch noch lebte und er sogar mit einer anderen als Nadjeschda in der Zwischenzeit zusammen gekommen und glücklich geworden ist? »ER könnte ja auch zu MIR kommen, wenn ihm noch etwas an mir liegt«, platzte es aus Nadjeschda heraus. »Mal sehen. Du hast den Kleinen in das Tote Meer oder in die Wüste, wie die Menschen es sagen würden, geschickt. Dann hast du ihm auch noch ein absolutes Kontaktverbot mit dir erteilt, ohne irgend etwas wirklich zu begründen. Der Ball ist in deiner Hälfte, Schätzchen«, erklärte die Spezialagentin im ernsten Tonfall. Nadjeschda runzelte die Stirn, »Ihr habt ja alle recht. Ich sollte endlich etwas tun. Ich werde einfach einmal darüber schlafen und morgen überlege ich mir etwas. Jetzt ist erst einmal die Arbeit wichtiger. Schließlich bin ich hier Postenkommandantin und ich kann meine Aufgaben ja auch nicht vernachlässigen.«
Alles war mit kleinen Abweichungen so verlaufen, wie es immer geschehen war. Immer wurde alles auf Morgen verschoben und erledigt wurde diese leidige Angelegenheit wohl nie.
Herr Mondschein speiste gemeinsam mit seiner Frau im Büro seines Wächterpostens. Nach einem Rauschen und einer Vollbremsung mitten im Büro, obwohl Schnellschwimmen eigentlich in der Siedlung verboten war, sagten beide, »Mahlzeit, Roberta und Ignazius.« Zum Erstaunen der Mondscheins waren aber vier Delphine aufgetaucht. Roberta und Ignazius hatten sich mit ihrer Rückenflosse bei zwei Delphinweibchen aus der Hauptstadt eingehakt und hatten diese wohl im Lausedelphinexpresstempo hierher gebracht. Die rollenden Augen und die vor lauter Benommenheit heraushängenden Zungen der beiden Damen war ein guter Hinweis darauf, dass diese beiden solche hohen Geschwindigkeiten nicht gewöhnt waren. »Scho schnell kann man schwimmen?«, lallte das junge Weibchen. Die ältere Delphindame hatte sich schneller wieder im Griff und erklärte stolz, »Verzeihung, Herr Mondschein. Wir wollten sie nicht so überfallen. Darf ich ihnen ihre neueste Einwohnerin in der Mondscheinsiedlung vorstellen? Mein Nichte, Nina Dollflosse.« »Ich denke, ich weiß, wer jetzt in der alten Nordstromhöhle wohnt«, kicherte Frau Mondschein.
Meereskönig Angus von Ankerstadt war überstimmt worden, daher war er jetzt ziemlich sauer. Die anderen Meereskönige hatten ein Verbot ausgesprochen, dass er den Delphinen in Zukunft bei Konflikten nicht mehr helfen durfte, obwohl doch eigentlich jeder Meereskönig in seinem eigenen Wirkungsbereich eigenständige Entscheidungen treffen durfte. Zumindest stand das so in den Satzungen der Versammlung, was aber irgendwie von fast allen anderen ignoriert worden war. Isenstadt hatte also erfolgreich Zwietracht gesät und sogar durchgesetzt, dass Wächter aus Isenstadt kontrollieren durften, ob sich Ankerstadt auch an das Verbot hielt.
»Kontrolleure wollen die schicken? Das ich nicht lache. Wenn man bewaffnete Soldaten in großer Anzahl schickt, dann nennt man das eine Besatzungstruppe«, fluchte Angus. Meister Soda nickte und fügte hinzu, »Teile und herrsche, eine alte Eroberungsstrategie der Menschen eigentlich ist. Die Forderungen von Isenstadt vielleicht nur der erste Schritt in eine üble Richtung sein könnten, ich fürchte.« »Nur Bermudastadt hat für Ankerstadt gestimmt und ich würde fast wetten, dass diese Stadt bald von einer Armee aus Isenstadt belagert wird«, ärgerte sich der Meereskönig weiter.
Nina war mit ihrer Tante den ganzen Tag in der Mondscheinsiedlung geblieben und sie hatte die Nacht über hervorragend in ihrer neuen Höhle geschlafen. In der Hauptstadt hatte sie ein Zimmer gehabt, welches halb so groß wie das Zimmer von Roberta gewesen war. Bis jetzt hatte sie nämlich in der Luxuswohnhöhle der Familie Dollflosse gewohnt, aber den Luxus hatte es nur für die Männchen der Familie gegeben. Sogar das Kinderzimmer ihres Bruders Basti war doppelt so groß wie Ninas neue Siedlungshöhle mit allen Höhlenabteilen zusammengerechnet. Aus Angst, ihr Vater und ihr Bruder könnten aus dem Kerker ausbrechen, hatte sie es nicht gewagt von ihrem Zimmer in ein größeres Höhlenabteil umzuziehen. Eine eigene Siedlungshöhle hatte sie ja eigentlich schon in der Hauptstadt probiert, aber dann war der schurkische Lügendelphin Stefan einfach vorbeigekommen. Sie konnte sich damals zwar mit einem Trick herausreden, aber die Siedlungshöhle war ihr zu gefährlich geworden. Deswegen hatte sie die eigene Wohnung auch gleich wieder aufgegeben und war in die Sicherheit ihres kleinen Zimmers geflüchtet, da der Wohnsitz der Familie Dollflosse dem Lügendelphin nicht bekannt war.
Dann war Nina als Kind auch noch sehr einseitig zur Unterwürfigkeit erzogen worden und sie hatte erst später mit der Hilfe ihrer Tante an Selbstvertrauen gewonnen. Wenn man jemand oft genug eintrichtert, dass er oder sie weniger Wert ist, dann wird man es irgendwann vielleicht sogar selbst glauben. Diesen Irrglauben loszuwerden war eine lange Reise und ein eigenes Leben in einer neuen Siedlung war genau das Richtige, was Nina brauchte. Tante Gitte war natürlich über Nacht geblieben, denn die Schlafzimmerhöhle war ja frei und konnte gleich als Gästehöhle verwendet werden.
Ignazius und Roberta schwammen langsam und sehr leise in die alte Nordstromhöhle. Die glücklich grinsenden Bewohnerinnen wollten sie nicht aufwecken, daher schwammen sie jagen und füllten die kleine Vorratshöhle mit ausreichend frisch gefangenen Futterfischen und ein paar Seegurken. Gerade als Roberta die letzte Seegurke ablegte, wurde sie angestupst.
»Das wäre doch nicht nötig gewesen, meine Lieben«, flüsterte Ratsfrau Gitte. Roberta hatte nicht bemerkt, dass die Ratsfrau sich angeschlichen hatte, aber Ignazius schon. »Immer die Umgebung im Auge behalten«, wurde sie von Ignazius geneckt. Er konnte mit seinem Sonar die ganze Umgebung nebenbei im Auge behalten, während Roberta sich immer noch dazu konzentrieren musste. Dann wurde Ignazius angestupst, woraufhin er erschrocken einen Satz nach vorne machte. »Immer die Umgebung im Auge behalten«, erwiderte Roberta kichernd. Ignazius war verblüfft, »Du kannst dich ja anschleichen wie Meister Soda.« Nina lachte ein glockenhelles, wunderbares Lachen, bevor sie verriet, »Mit dem habe ich ja auch manchmal trainiert. Tante Gitte und ich sind gut mit den Delphinen vom Kriegsrat befreundet. Meister Soda bringt mir gerne Tricks wie das Anschleichen bei, mit Meister Windows spiele ich manchmal Mutprobe und mit Meisterin Lin Ux kann man über alles reden. Sie ist unglaublich gebildet und sie gehört zu den Chinesischen Weißen Delphinen.« »Boa. Verglichen mit den vielen Schwarz-Weißen Siedlungsdelphinen hier, ist sie ja ein wahrer Riese«, staunte Roberta. Da jetzt alle wach waren, konnte auch gleich gefrühstückt werden.
»Hast du den, ähm, Katzenhai gefüttert?«, erkundigte sich Kamilla besorgt. Valentin nickte und hielt ihr seine ausgestreckte Hand entgegen. Seine Finger waren ein wenig gerötet und er hatte kleine Zahnabdrücke vorzuweisen. »Ich denke, unsere Suche nach den Seehexen ist für den, ähm, Katzenhai sehr anstrengend. Wir sollten heute vielleicht eine Rast in einer Delphinsiedlung machen«, schlug Valentin vor. Kamilla überlegte. Sie waren gestern schon sehr weit gekommen, daher machte der Vorschlag durchaus Sinn. Allerdings war es auch lästig, dass man wegen dem, ähm, Katzenhai schon am zweiten Tag eine ausgiebige Rast machen musste. Kamilla seufzte, »Na, gut. Da vorne habe ich eine Siedlung entdeckt. Am Eingang stehen ein paar Statuen von Meermenschen und Haien. Einige Säulen habe ich auch gesehen. Ich bin sicher, dort sind wir gut aufgehoben. Die Seehexen schwimmen uns ja nicht davon.«
Nach dem Frühstück waren alle vier Delphine gut gelaunt. »Schwimmen wir zurück in die Hauptstadt, damit du deine Sachen holen kannst?«, erkundigte sich Ratsfrau Gitte bei ihrer Nichte. Nina druckste herum und schließlich sagte sie schüchtern, »Ich würde vorher noch gerne lernen, wie man einen Futterfisch jagt. In der Hauptstadt ist alles so einfach, weil die Versorgerdelphine das erledigen. Ich habe aber nur einige Jahre in der Kanalisation beim Tunnelbau gearbeitet und von so etwas wie der Jagd habe ich leider keine Ahnung.« »Ignazius hat mir das Jagen beigebracht. Er ist ein guter Lehrer und wir können es dir sicher in Rekordzeit beibringen«, schlug Roberta vor. Doch die Ratsfrau wurde ganz schweigsam und schließlich sagte sie schüchtern, »Ich habe auch immer in der Hauptstadt gelebt und auch noch nie einen Fisch selbst gefangen. Könntet ihr mir vielleicht auch beibringen, wie man jagt?« Natürlich waren Roberta und Ignazius einverstanden. Es gab hier zwar auch einen Versorgungsstützpunkt, aber die Siedlungsdelphine beanspruchten den nur, wenn sie selbst keine Zeit für die Jagd hatten. Nur schwangere Delphindamen und sehr alte Delphine, die nicht mehr jagen konnten, wurden täglich versorgt, wobei in so einem Fall die Futterfische immer nach Hause geliefert wurden.
Im Forschungsaußenposten von Ankerstadt war die Stimmung getrübt. Meereskönig Angus Seestern war mit Meister Soda zuerst hierher gereist, um die Ankerstädter Bürger vor den zukünftigen Schwierigkeiten zu warnen. Der Außenposten war weit südlich von Bermudastadt und dem Versammlungsort der Meereskönige, aber sehr nahe nördlich der Großen Westsiedlung. Es war geplant, zuerst den Außenposten und dann die Delphine der Großen Westsiedlung zu warnen, da nur ein relativ kurzer Umweg von der Versammlung auf den Weg nach Ankerstadt gemacht werden musste.
»Ach, Schatz«, seufzte Frau Doktor Seestern. Sie hatte extra ihre jüngste Tochter daheim gelassen, damit sie hier ungestört mit ihrem Mann offen über alles sprechen konnte. Geistesabwesend streichelte sie Meister Soda, den sie sich auf den Schoß gelegt hatte, als wäre er ein Haustier. Der alte Delphin trug es mit Fassung. Genauer gesagt, hat es ihm natürlich sehr gefallen, aber offiziell war so eine Behandlung für einen Meister des Kriegsrates selbstverständlich unpassend. Beinahe fing er an zu schnurren wie ein Katzenhai.
»Was passiert denn nun mit unserem Forschungsaußenposten?«, erkundigte sich die Ärztin. Angus kraulte seinen langen Vollbart und antwortete sorgfältig, »Ich habe das mit Meister Soda bereits besprochen. Es werden sicher Kontrolleure aus Isenstadt hierhergeschickt, aber wenn sich die Delphine der Großen Westsiedlung fernhalten und du auf Besuche in der Delphinsiedlung verzichtest, könnten wir das vielleicht aussitzen. Wenn es allerdings einen medizinischen Notfall bei den Delphinen gibt, werden die Besatzungstruppen aus Isenstadt mit Sicherheit versuchen unseren Außenposten zu annektieren.« »Das würden sie nicht wagen. Immerhin bin ich ja eigentlich auch die Königen von Ankerstadt, selbst wenn ich den Titel kaum verwende«, ärgerte sich Frau Doktor Seestern. Angus zuckte mit den Schultern und antwortete schlicht, »Das ist denen aber egal. Vielleicht provozieren sie euch hier im Außenposten auch laufend, damit sie einen Vorwand zum Annektieren haben. Das du eine Königin bist, macht dich für den hinterhältigen Herrscher von Isenstadt nur zu einer wertvollen Geisel. Ich denke, du bist hier in Gefahr und du solltest mitkommen, wenn ich zurück nach Ankerstadt schwimme.« Jetzt kratzte sich die Königin am Kinn und überlegte. »Über einhundert Bürger aus Ankerstadt leben hier. Ich bleibe. Vielleicht solltest du in der Großen Westsiedlung schon Bescheid geben, dass wir kämpfen werden, wenn es sein muss«, herrschte sie ihren Mann an. »Es tatsächlich so gekommen ist, wie ihr befürchtet hattet, eure Hoheit«, kicherte der alte Meister. Der Meereskönig wurde leicht rot im Gesicht. »Ich werde dir nicht dreinreden. Spezialagentin Nordstrom sollte ein Auge auf die Situation haben und uns warnen, damit wir euch Verstärkung schicken können. Kamilla und Valentin könnte ich dir schicken, dann hättet ihr einen Vorteil. Niki muss während der Krise aber in Ankerstadt bleiben«, schlug Angus seiner Frau vor. Kamilla hatte schon als Fünfzehnjährige in den Haikriegen auf der Seite der Delphine mitgekämpft und sie hatte sich trotz ihres jungen Alters auch noch als Meisterstrategin erwiesen, während andere Meermenschen ideenlos geblieben waren. Ohne ihren Einfallsreichtum wäre es für Delphine und Meermenschen damals bitter ausgegangen, denn dann hätte es viele Verluste gegeben.
Ein formschöner, aber gewaltiger Hammerkopf versperrte Kamilla und Valentin den Weg. Sie hatten gerade erst die Statuen bewundert, vor allem die Statuen der drei Katzenhaie, die wohl gerade Mutprobe spielten, da waren sie auch schon angehalten worden, bevor sie in die Siedlung schwimmen konnten. Die Große Hammerhaidame war größer als der Durchschnitt und trotz ihrer furchteinflößenden Erscheinung war sie wunderschön. Reihen um Reihen rasiermesserscharfer Haifischzähne waren fest zusammengebissen und blitzten förmlich aus ihrem freudlos und gefährlich grinsenden, riesigen Maul. Plötzlich sagte der gefährliche Hai, »Oh. Bist du nicht Kamilla?« Kamilla blickte verdutzt in das Gesicht des gigantischen Haies, der jetzt ebenfalls sehr verblüfft schien. Valentin hielt sich zitternd an seinem Dreizack fest, den er in Anschlag gebracht hat. »Stell dir vor, ich wäre einen Meter kürzer«, schlug die Haidame vor und dann wusste Kamilla, wer das war. »Du bist Klarabella, die Tochter der Lehrerin Larissa. Ihr habt uns gegen die böse Haiarmee geholfen, welche die Große Westsiedlung vor einem Jahr angegriffen hat«, schloss Kamilla messerscharf. Valentin war da nicht mit dabei gewesen, deshalb zitterte er lieber weiter und war vorsichtig.
Ein drei Meter und dreißig Zentimeter langer Drescherhai kam aus der Siedlung geschwommen und blieb wie angewurzelt stehen, als er Klarabella mit den beiden Meermenschen sah. Seine drei Meter lange Schwanzflosse schoss nach vorne und mit der Spitze kratze er sich am Kopf. »Wo hab ich die kleine Meerjungfrau schon mal gesehen?«, fragte er sich und dann kam die Erinnerung. Der Drescherhai Hermann hatte auf der Seite der bösen Haiarmee gekämpft und war damals ziemlich übel verdroschen worden. Sofort wich er ein Stück zurück und grinste unschuldig nach Art der Haie. Er war aber nicht der einzige Hai aus der Siedlung, welcher damals auf die falschen Versprechungen des Haiführers hereingefallen war. Da die männlichen Haie sich gerne prügelten, um ihre Männlichkeit zu beweisen, hätte er natürlich genauso gut auf der anderen Seite mitkämpfen können. Viele Haimännchen waren da nicht wählerisch, Hauptsache, es wurde geprügelt. Doch vor dieser kleinen Meerjungfrau hatte er Angst. Wie versteinert blieb er einfach stehen und wartete ab.
Klara stellte die alles entscheidende Frage, »Sag doch, Kamilla, was machst du hier?« Kamilla stellte den Jagdspeer kerzengerade auf den Meeresboden, streckte stolz die Brust heraus und sagte voller Freude, »Ich bin auf der Jagd nach den bösen Seehexen. Ich bin mir fast schon sicher, dass einige der Statuen in Wirklichkeit versteinerte Meeresbewohner sind und es hier in der Gegend nur so vor lauter Seehexen wimmelt. Ich werde sie an ihren blauen Flossen zurück nach Ankerstadt schleifen.« Kamilla strahlte, Valentin bibberte und Hermann stieß erleichtert das Wasser aus. Er war also nicht in Gefahr. »Gib in der Siedlung Bescheid, dass wir Gäste haben«, befahl Klarabella barsch und rollte die Augen nach oben. Eigentlich hätte Hermann von selbst drauf kommen können. Den roten Haarschopf, der schon in die Siedlung gesaust war, hatten weder die Haie noch die Meermenschen bemerkt.
Während Klarabella noch kurz mit den Besuchern tratschte und absichtlich den Weg versperrte, hastete Hermann von Haifischhöhle zu Haifischhöhle und warnte alle vor den neuen Besuchern. Überall huschten Meermenschengestalten in Deckung. Die meisten der Künstler ließen in Panik sogar ihre Hämmer und Meißel fallen, mit denen sie die vielen Statuen und andere Verbesserungen in der Siedlung geschaffen hatten. Zuletzt platzte Hermann in den Unterricht und informierte auch Klaras Mutter. Nadja war auch gerade da und hielt einen Vortrag vor den Haifischkinder. Sofort sauste sie aus der Schule heraus und versteckte sich hinter einem Felsen. Erst als sie flach am Boden lag und versuchte einen Blick auf die neuen Besucher zu erhaschen, bemerkte sie, dass sie gar nicht alleine war. Schnell legte sie einen Finger vor die Lippen und dann sah sie es. Das kleine, maximal fünf Jahre alte Mädchen hatte nicht nur eine dunkelgrüne, extra saure Seegurke im Mund, es hatte auch eine GRÜNE Flosse. Mit großen Glupschaugen wurde Nadja angestarrt, aber das Mädchen sagte kein Wort und mümmelte einfach weiter an der Seegurke. Nadja wendete ihren Blick wieder nach vorne und beobachtete. Eine blonde, zierliche Meerjungfrau in Lederrüstung kam mit Klara in die Siedlung geschwommen. Hinterher trottete ein sichtlich nervöser, mit Muskelbergen bepackter Meermann, der seinen Dreizack umklammert hielt, als würde sein Leben davon abhängen. Die blonde Meerjungfrau war recht hübsch und hatte eine süße, lange Nase, die irgendwie an einen Delphinschnabel erinnerte. Wo hatte Nadja bloß diese Nase schon einmal gesehen?
Zwick
»Autsch. Lass meinen Po in Ruhe«, fluchte Nadja leise, denn sie war gerade genau dorthin gezwickt worden. Dem kleinen Mädchen mit den roten kurzen Haaren war offensichtlich die blaue Flosse aufgefallen und sie überprüfte wohl gerade, ob die Flosse auch echt war. Seitlich an den roten kurzen Haaren waren ein paar längere Strähnen zu einem frechen, kurzen Zöpfchen geflochten worden, was im Moment auch sehr zum Charakter des Kindes zu passen schien. Und da war sie auch wieder, diese Nase. Waren diese beiden Meerjungfrauen etwa Schwestern?
»Und hier waren die freundlichen Bildhauer so nett, den Eingang in Form eines riesigen Haifischmauls zu gestalten. Beachtet bitte, dass es auch mehrere Reihen Haifischzähne gibt«, erklärte Klara ausführlich und versuchte allen mehr Zeit zum Verstecken zu geben, indem sie die aufgezwungene Führung durch die Siedlung in die Länge zog.
Zwick
»Autschi. Lass das«, grummelte Nadja und sah wieder zur kleinen, frechen Meerjungfrau. Diese nahm die dunkelgrüne Seegurke aus dem Mund und sagte, »Du bist ja eine Seehexe.« Nadja wurde es ganz warm in der Magengrube. Sie lächelte unschuldig nach Art der Haie und fragte, »Wirst du jetzt anfangen, um Hilfe zu rufen?« Die kleine Meerjungfrau schüttelte den Kopf und kicherte leise, »Lieber nicht. Bei mir daheim weiß noch niemand, dass ich schon sprechen kann.« Irgendwie war der kleine Schelm ja süß. »Ich verpetze dich nicht, du verpetzt mich nicht. Abgemacht?«, fragte Nadja verunsichert und streckte die Hand aus. »So geht das nicht«, erklärte die kleine Meerjungfrau und streckte die Faust mit abgespreizten kleinen Finger aus. Nadja hakte sich mit ihrem kleinen Finger ein und beide schüttelten ihre verhakten Finger. Anschließend konnte Nadja nicht mehr widerstehen. Sie zog das Kind zu sich hinunter und nahm es sanft in die Arme. »Ich heiße Nadja und bin schon Dreizehn Jahre alt«, flüsterte sie der kleinen Meerjungfrau ins Ohr. »Niki. Ich bin erst Fünf. Aber Kamilla da draußen ist gerade Siebzehn geworden. Sie hält sich schon für erwachsen und spielt gerade Seehexen jagen«, offenbarte Niki.
»Wo steckt eigentlich Niki? Ich kann ihren Rotschopf nirgendwo sehen«, wunderte sich Valentin aus der Ferne. Nadja griff Niki unter die Arme und hielt sie hoch genug, damit man ihre Haare sehen konnte. »Da drüben ist sie ja. Das wird mir zu bunt. Es ist besser, wenn wir Niki herholen«, fluchte Kamilla, die sich gerade besonders darüber ärgerte, dass ihre Schwester bei ihrem neuen Abenteuer störte. Nadja setzte Niki ab und rollte auf die Seite. Vorsichtig lugte sie hinter ihrer Deckung hervor, aber die Meermenschen kamen schon näher, um Niki zu holen. Kurz blitzte es blau aus Nadjas Augen auf und die Meermenschen waren zu Stein geworden, aber auch Klarabella rührte sich nicht mehr und war jetzt ganz grau. Sofort sauste die kleine Seehexe aus der Deckung und entsteinerte Klarabella, die sich kichernd und erleichtert bedankte. Dann sauste die kleine Seehexe weiter in einen Höhleneingang, in dem sie von zwei Drescherhaien kurz begrüßt wurde. Sie legte eine Hand auf den Meeresboden und konzentrierte sich. Kamilla und Valentin wurden aus der Ferne entsteinert und wankten kurz. »Haut euch um, unsere tolle Siedlung. Nicht wahr?«, kicherte Klarabella. Eigentlich kicherte es aus allen Haifischhöhlen, denn jeder Hai hatte gerade seine neugierige Schnauze aus dem Höhleneingang gesteckt und Nadjas Aktion mitbekommen. Als die Meermenschen beim Felsen ankamen, fluchte Kamilla, »Verdammt! Sie ist schon wieder entwischt.« Nadja kratzte sich am Kopf und dachte nach. Sie hatte doch Niki auf den Meeresboden gesetzt und dort zurückgelassen?
»Hinter dir«, flüsterte einer der Drescherhaie. Nadja drehte sich um und sah in das verzückte Gesicht eines Meermenschenkindes, dessen Augen gerade Funken sprühten. »Du bist toll. Du bist jetzt meine beste Freundin«, säuselte Niki und fiel Nadja um den Hals. Die Drescherhaie kicherten.
»Pssst. Sie schwimmen zur Schule«, flüsterte der eine Drescherhai. »Da haben sich ein paar Blauflossenmeermenschen versteckt, nachdem du nach draußen verschwunden bist«, flüsterte der andere Drescherhai. Nadja schoss sofort aus der Haifischhöhle, noch immer ihre neue, beste Meerjungfraufreundin um den Hals. Sie raste auf die kleine Gruppe zu und noch bevor sich jemand umdrehen konnte, blitzten ihre Augen wieder blau auf und verwandelten die Meermenschen in Stein. Klarabella hatte sich ein wenig zurückfallen lassen, daher war sie dieses Mal nicht versteinert worden. Sie sah Nadja fragend an, aber da sausten schon eine Handvoll Seehexen aus der Schule ins Freie, bedankten sich kurz bei Nadja und versteckten sich in verschiedenen Haifischhöhlen. Es wurde schön langsam echt stressig mit den Besuchern. Nadja sauste um das Schulgebäude herum und löste die Versteinerung aus der Deckung heraus. Wieder wankten beide und Klara kicherte leise. »Etwas ist komisch hier«, murrte Kamilla und schwamm in die Schule. Valentin folgte ihr verunsichert, denn langsam bekam er es mit noch mehr Angst zu tun, als er ohnehin schon hatte. Nur Kamillas Furchtlosigkeit ließ ihn nicht schreiend davonschwimmen.
Endlich hatte die Ratsfrau ihren ersten Futterfisch gefangen und sie schnaufte, »Oje, bin ich hungrig. Wenn ich den Schlingel nicht gleich esse, verhungere ich noch.« Nina kicherte und schnappte sich einen Futterfisch, den sie gerade selbst in den Futterfischbeutel eines Versorgerdelphins der Jagdtruppe gegeben hatte. Ignazius und Roberta hatten den Unterricht schon lange beendet und waren nicht mehr da. Zwei Tümmler waren vorbei gekommen und hatten die beiden Drittklässler eingeladen, bei einer Patrouille um die Insel mitzuschwimmen. Nina legte sich zu ihrer Tante und sagte, »Mahlzeit«, bevor sie selbst mit dem Essen anfing. Tante Gitte langte ordentlich zu und der Fisch war gleich verputzt. »Bis ich einmal einen Fisch gefangen habe, bin ich so hungrig, dass ich ihn gleich selbst verspachteln muss. Ich wäre kein sehr guter Versorgerdelphin, wenn ich dann alles selbst esse«, kicherte die alte Dame. »Ach, was. Beim ersten Fisch habe ich auch länger gebraucht und jetzt geht es schon ganz gut. Mit etwas mehr Übung wärst du sicher auch ein toller Versorgerdelphin«, widersprach Nina. Ihre Tante runzelte die Stirn, »Eigentlich ist eine Jagd anstrengend. Ich kann gar nicht glauben, dass mein Bruder jemals selbst einen Futterfisch gefangen hat, wenn er bei seinem Freund außerhalb der Hauptstadt zur Jagd gewesen ist. Die haben sich vermutlich nur Fische vom Versorgungsstützpunkt geholt und Weibchen angebaggert.« Nina war erstaunt, »Paps ist sogar zur Jagd geschwommen und hat sich nicht nur von vorne und hinten bedienen lassen?« »Nein, dein Paps war das nicht. Es war dein Onkel, der mit seinem besten Freund jetzt im Knast im Mittelmeer schmachtet. Ich frage mich, ob er schon vernünftiger geworden ist? Das war der schlechte Einfluss von unserem Vater und vom ältesten Bruder, also deinem Paps, dass aus ihm nichts geworden ist.«
Den Atlantiklügendelphinen im Mittelmeerknast ging es gar nicht gut. Als Außenseiter waren sie von den eingesperrten einheimischen Lügendelphinen schon vor Jahren mit der Schwanzflosse dazu gezwungen, das Stille Örtchen zu putzen. Meckernd, nörgelnd und verbeult kamen die zwei schurkischen Delphine seitdem der Aufforderung nach und bereuten es seit Jahren furchtbar, dass sie die Macht im Mittelmeer hatten ergreifen wollen. Doch gab es, selten aber doch, auch einmal eine kleine Abwechslung, die immer durch ein Platsch angekündigt wurde.
Platsch-Platsch
Dieses Geräusch konnte nur eines bedeuten. Es waren gleich zwei neue Gäste eingetroffen. Der eine Delphin spuckte das kleine Schäufelchen aus dem Schnabel und grinste. Der andere Delphin spuckte den großen Schwamm aus den Schnabel und grinste.
Die Atlantiklügendelphine hasteten ebenso wie die einheimischen zur Einwegrutsche und waren verzückt. Die neuen Lügendelphine waren sogar zwei Weibchen!
»Olga und Stella. Hätte nicht gedacht, dass es so lange dauert. Willkommen im Knast«, freute sich einer der Mittelmeerlügendelphine. »Hallo, Jungs. Wir sind nur auf der Durchreise«, informierte Stella und grinste. »Das haben wir alle behauptet, als wir hier angekommen sind«, ätzte ein anderer Mittelmeerlügendelphin und alle bis auf die Neuankömmlinge lachten. »Wo sind die zwei Pfeifen aus dem Atlantik?«, erkundigte sich Olga. Im nächsten Moment landeten Schäufelchen und Schwamm vor den beiden Weibchen und sie wurden heftig von zwei unbekannten Lügendelphinen angegrinst. »Ladies, euer neues Reich wartet. Das Stille Örtchen gehört euch jetzt ganz alleine, so, wie es für Weibchen vorgesehen ist.
Klatsch-Klatsch
»Zwei zu Null für Olga und Stella«, johlten die Mittelmeerlügendelphine und rollten lachend über den Kerkerboden. Die Atlantiklügendelphine lagen jammernd am Boden und jeder hatte eine neue, sehr große Beule. »Wer ist eigentlich der schlaueste Lügendelphin im Atlantik? Ihr beide wurdet ja praktisch am selben Tag erwischt, wie ihr angekommen seid«, forderte Stella die beiden frechen Burschen heraus. Die beiden verbeulten Atlantiklügendelphine hatten sich schnell von den heftigen Schwanzflossenschlägen erholt und einer murrte, »Schon gut... Schon gut… Mein Bruder Wolfgang ist ziemlich schlau. Er hat es bis in den Hohen Rat der Delphine geschafft und unsere Schwester im Bauamt untergebracht. Allerdings war sein Sohn nicht so schlau und als der aufgeflogen ist, hat er seinen Vater mit ins Verderben gerissen.« »Unsere eigenen Söhne sind aber auch nicht schlecht. Es hat lange gedauert, bis sie aufgeflogen waren und mein Sohn konnte sich dann auch noch über Jahre der Verhaftung entziehen«, knurrte der andere. Olga überlegte. Dann drehte sie sich um und rief die Rutsche hinauf, »Wir haben die Information, die wir wollten. Die beiden Trotteldelphine können wir hier lassen. Die sind zu doof.« Den eingekerkerten Lügendelphinen war gar nicht aufgefallen, dass die beiden Weibchen ein Seil an der Schwanzflosse befestigt hatten, aber als Olga mit einem breiten Grinsen rückwärts die Rutsche wieder hinauf verschwand, wussten sie es. »Tut mir ja leid, Jungs. Wir haben euch doch gesagt, dass man Allianzen schmieden muss«, kicherte Stella und im nächsten Moment wurde auch sie wieder hochgezogen. Fassungslos starrten die Lügendelphine auf die leere Stelle, an der Stella gerade noch gewesen war. Dann schrien sie alle im Chor, »Nehmt uns mit! Wir sind erstklassige Lügendelphine!« Doch von Oben hörten sie nur mehr das gackernde Gelächter zweier Lügendelphinweibchen, die sich herrlich amüsierten.
»Herzlich willkommen in Haitropolis, Kamilla«, grüßte die Lehrerin Larissa. Kamilla war erleichtert, dass sie noch ein vertrautes Gesicht in der Haisiedlung sah. Von dutzenden Haifischkindern wurden die beiden Meermenschen neugierig angeglupscht. Valentin fand es hier eindeutig weniger gefährlich als draußen. »Ist jetzt Zeit zum Mittagessen?«, erkundigte sich ein freches Drescherhaikind und leckte sich schon die Lippen. Kamilla kicherte, aber Valentin wurde es wieder mulmig. »Da höre ich deinen Vater sprechen. Du solltest lieber auf deine Mutter hören«, belehrte Larissa den frechen Schüler. »Er macht doch nur Spaß«, beschwichtigte Kamilla, machte sich aber schön langsam doch Sorgen um ihre kleine Schwester. Wenn Niki, wild wie sie war, aus purer Neugier in das Maul des Vaters des frechen Burschen schwimmen würde, um die Zähne zu bewundern, könnte vielleicht doch ein Unfall passieren.
Nadja sah durchs Fenster der Schule zu und wollte Niki hochheben, damit sie auch etwas sehen konnte, aber die war schon wieder verschwunden. Dann entdeckte sie das freche Mädchen mitten im Klassenzimmer. Es saß bei einem Großen Hammerhaikind und streichelte seinen Kopf.
»Vielleicht sollten wir Niki suchen schwimmen«, schlug Valentin vor, doch ein sanftes Schnurren brachte ihn dazu, sich umzudrehen. Kamilla sauste zu den Haifischkindern und entdeckte ihre Schwester, die versteckt hinter einem Drescherhaikind gerade zwei Katzenhaikinder gleichzeitig am Bauch kraulte. Dann sauste die freche Niki zum nächsten Haifischkind und streichelte das auch. Kamilla bekam einen roten Kopf und knurrte, »Das ist doch kein Streichelzoo.« Larissa lachte, »Aber lass doch die Kinder miteinander spielen. Ich glaube, Haitropolis ist eine der wenigen Haisiedlungen, in denen so etwas überhaupt möglich ist. Du weißt doch, dass es auch sehr viel aggressivere Haiarten gibt, bei denen ihr von Männchen und von Weibchen gejagt und gefressen werden würdet. Konrad, vor welchen Haiarten müssen wir uns in acht nehmen?« Ein Hammerhaikind sauste von seinem Rastplatz hoch und sagte, »Weiße Haie, Tigerhaie und manchmal auch Bullenhaie. Die Tigerhaie sind die garstigsten und bei denen sind fast schon mit Sicherheit alle Männchen und Weibchen böse. Bei den Weißen Haien sind es meistens nur die Männchen und bei den Bullenhaien sind es hauptsächlich die Einzelgänger, die sich nicht einmal mit Haien ihrer eigenen Art vertragen.« Larissa nickte und lobte das brave Haifischkind. Jetzt war es aber Valentin, der den kleinen Konrad auch lobte und streichelte. Da sich das Kind sehr darüber freute, fühlte sich Valentin auch gleich etwas wohler hier. »Deine Schwester ist jetzt da drüben bei dem kleinen Bullenhaikind«, sagte Larissa freundlich und Kamilla drehte sich verblüfft um und fragte, »Woher wusstest du, dass wir Schwestern sind?« »Ihr habt die selbe Nase«, sagte die Lehrerin mit einem freundlichen Grinsen. Valentin kicherte ebenso, aber die beiden Schwestern fassten sich sofort an die Nase. »Ja, die haben wir wohl alle von unserem Paps geerbt«, grummelte Kamilla.
Nadja sah zu, wie jetzt schon alle drei Meermenschen die Haifischkinder streichelten und mit ihnen spielten. Es war schade, dass sie ihnen nicht Gesellschaft leisten konnte, denn es war wichtiger, die Existenz der Seehexen vor den Meermenschen geheimzuhalten.
Postenkommandantin Nadjeschda hatte nur selten einen Meereskönig in der Großen Westsiedlung zu Gast gehabt. Eigentlich war es der erste Besuch, wenn man das gelegentliche Erscheinen von Prinzessin Kamilla oder ihrer Mutter nicht mitzählte. Meister Soda war auch gekommen und die Besprechung über die neuen Probleme hatte sogar lange gedauert. Nur die Mondscheinsiedlung und die Große Westsiedlung lagen so nahe an einer Meermenschenstadt oder einem Außenposten, dass regelmäßiger Kontakt zwischen den beiden Meeresvölkern bestand. Dass es wegen dieser fabelhaften Freundschaft jetzt Probleme gab, war einfach nur traurig.
»Ich noch mit der Spezialagentin alleine sprechen muss«, informierte Meister Soda. Dann sausten er und die Spezialagentin raus und suchten sich ein ruhiges Plätzchen. »Es vermutlich besser wäre, wenn in die Hauptstadt du schwimmst und beim Kriegsrat du bleibst. Vorher noch Herrn Mondschein du informieren musst«, begann der Meister und zum erstem Mal seit er sie kannte, zuckte die Spezialagentin zurück. Neugierig starrte der alte Delphin seine beste und einzige Agentin an. »Ich kann nicht. Es gibt einen schwer kranken Delphin in der Gegend und
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: E.Dence
Cover: Natsu
Tag der Veröffentlichung: 06.12.2020
ISBN: 978-3-7487-6727-5
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Johanna von Koczian für ihre herausragende musikalische Leistung im Jahr 1977 mit dem Lied »Das bißchen Haushalt ... sagt mein Mann«