Werte Eltern, liebe Kinder. Bitte beachtet die Altersempfehlung bei allen Büchern, denn es werden auch Bücher geschrieben, welche nicht von Kindern oder Jugendlichen verstanden würden oder gelesen werden sollten. Dieses Buch wurde hauptsächlich für Kinder, Jugendliche und jung Gebliebene geschrieben.
Auch im zweiten Teil der Reihe »Geschichten von unter der Meeresoberfläche« wird wieder einiges an Schulwissen vermittelt. Die Handlung verläuft zeitweise parallel zum ersten Teil »Der Lausedelphin« und beinhaltet sogar zusätzliche Information über Ignazius’ junge Jahre.
Es gibt einige neue und viele bereits bekannte Charaktere. Es ist nicht erforderlich, das erste Buch gelesen zu haben, um dieses Buch genießen zu können.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen.
Auf den vielen Inseln des Ozeans gibt es auch zahlreiche Strände. Wann immer Menschen einen neuen Strand entdecken und für ihr Freizeitvergnügen nutzen wollen, könnte es sein, dass auch bald schon eine Delphinsiedlung gegründet wird, um den Menschen zu helfen die Strände sicher zu halten. Die Siedlungen der Delphine werden mit Hilfe der Meermenschen errichtet, aber leben und dort arbeiten, werden letzten Endes nur die tapferen Delphine, um die Menschen vor Haiangriffen zu schützen oder vor dem Ertrinken zu retten.
Die größten Strände und Ferienanlagen der Menschen gibt es aber am Festland und nicht auf den vielen Inseln. So geschah es, dass wieder einmal eine dieser großen Ferienanlagen gebaut wurde und der hohe Rat der Delphine in der Hauptstadt hatte beschlossen, dass es besser wäre, eine größere Siedlung mit einem eigenen Wächterposten in der Nähe der Strände zu errichten. Also wurden für das Siedlungsbauprojekt bei den Delphinen und auch bei den Meermenschen Freiwillige gesucht. Jedoch war es manchmal schwierig, genügend Personal zu bekommen. Viele Delphine konnten gar nicht mitmachen, auch wenn sie es wollten. Es würde noch Jahre dauern, bis es eine Schule in der neuen Siedlung gab und man dort mit der ganzen Familie hinziehen konnte. Deswegen gab es in solchen Projekten anfangs hauptsächlich Delphine, die schon zu alt für Kinder waren oder junge und unerfahrene Delphine, die noch keine Familie mit Kindern hatten. Es fehlten erwachsene und bereits berufserfahrene Delphine an allen Ecken und Enden. So geschah es, dass ein Hilferuf, für einen erfahrenen Ausbildungsdelphin und einen routinierten Patrouillenführer, den Wächterposten in der Siedlung östlich der Meermenschenstadt namens Ankerstadt erreichte. Und so beginnt die Geschichte:
»Ich will nicht. Lasst mich in Ruhe!« »Ach, komm schon, Berta Schätzchen. Wir meinen es doch nicht böse. Ein Wächterdelphin trägt eben viel Verantwortung und manchmal muss man eben auch in eine saure Seegurke beißen.« »Es ist deine Schuld, dass ich hier weg muss, Oma. Ich bleibe da. Mein letztes Wort.« »Roberta, mein Schatz. Oma meinte es doch nicht böse, als sie Paps und mich für den Auftrag empfohlen hat. Es ist ja auch nur für ein oder zwei Jahre, denn dort gibt es ja noch gar keine Schule. Wenn du also zur Schule schwimmen musst, sind wir ganz sicher wieder zurück. Versprochen«, versuchte Mama Nordstrom den Streit zwischen ihrer Tochter Roberta und ihrer Schwiegermutter, Oma Nordstrom, zu schlichten. Roberta war schon bald ein Jahr alt, aber sie hatte genau denselben Dickkopf und den nörgelnden Tonfall ihrer Oma geerbt. Es war furchtbar, wenn Roberta auf stur schaltete. »Na bestens. Ich wohne einfach hier und wir sehen uns dann in zwei Jahren. Habt Spaß.« »Schatz! Du weißt doch selbst, dass wir dich nicht einfach hier lassen können. Außerdem würdest du uns dann vermissen und es würde auch unser Herz brechen, wenn du nicht bei uns wärst«, mischte sich jetzt Papa Nordstrom ein. »Würdest du uns vermissen?«, fragte Mama Nordstrom mit mitleiderregender Stimme nach. Roberta kam endlich aus ihrem Höhlenabteil heraus und ließ den Kopf so tief hängen, dass sie beinahe mit dem Schnabel am Höhlenboden streifte. »Ich mag ja auch nicht, dass ihr ohne mich wegschwimmt. Alles ist einfach nur verkehrt und unfair«, jammerte Roberta. Oma blickte traurig auf ihre Enkelin. Was sich bei ihrer Ankunft noch als glänzende Idee angefühlt hatte, war jetzt nicht mehr so schön. Oma Nordstrom hatte die Gefühle ihrer Enkelin und ihre Verbundenheit mit ihrem Leben in dieser Siedlung nicht bedacht. Vor allem die Tatsache, wie willensstark und eigenwillig Roberta trotz ihres jungen Alters schon war, versetzte Oma Nordstrom ziemlich in Erstaunen. Wenige Jungdelphine in diesem Alter würden sich so verhalten und auch die Reaktion auf vernünftige Argumente war ungewöhnlich erwachsen. »Es tut mir so leid, meine kleine Berta. Kannst du Oma verzeihen?«, jammerte jetzt Oma Nordstrom und war ehrlich betrübt über diese verzwickte Situation. Roberta schwamm zu Oma und schmiegte ihre Wange an Omas Schnabel, »Ach, Oma. Ich hab dich doch lieb und verstehe es ja. Aber es ist trotzdem nicht fair.« »Oma hat dich auch sehr lieb, mein kleiner Schatz.« Roberta kuschelte mit Oma, aber glücklich war sie nicht, aus ihrem Leben hier in der Siedlung herausgerissen zu werden.
»Ich schwimme einfach mit!« Auch bei Familie Seestern hing der Haussegen schief. Ignazius wollte unbedingt mit Roberta und ihrer Familie in die neue Siedlung mitschwimmen. Ignazius mochte Roberta sehr und kannte sie praktisch schon, seit sie auf der Welt war. Am Spielplatz spielte er am liebsten mit Roberta und wenn sie einmal nicht da war, wirkte er regelrecht traurig. Papa Seestern hatte die Schwanzflosse von Ignazius fest im Schnabel und der kleine Lausedelphin schaffte es nicht freizukommen. »Ach, Ignazius. Mach es uns doch nicht so schwer. Roberta kommt doch ganz sicher wieder. Das geht doch gar nicht anders. Die Siedlung dort wird jetzt gerade erst gebaut und da gibt es ja noch nicht einmal eine Schule«, erklärte Mama Seestern. »Mmmmmph«, bestätigte Papa Seestern, der immer noch die Schwanzflosse seines rebellischen Sohnes festhielt. »Soso«, sagte Herr Mondschein. Da ihm niemand von der Eingangshöhle aus geantwortet hatte, war er einfach in die Wohnhöhle der Familie Seestern weitergeschwommen. Herr Mondschein war ein lieber Nachbar aus der oberen Etage der Ankerstraße und außerdem war er der Chef des Wächterpostens am Rande der Siedlung. Auch Herr Mondschein musste die Familie Nordstrom ziehen lassen. Herr und Frau Nordstrom waren bei den Kollegen am Posten sehr beliebt, aber wirklich betrübt war Herr Mondschein nur, weil Roberta und Ignazius die Sache so schwer nahmen. Seit frühester Babytage hatten Herr und Frau Mondschein den kleinen Nachbardelphin ins Herz geschlossen und verhielten sich eher wie besorgte Großeltern, auch wenn sie nicht einmal verwandt waren. »Möchtest du heute vielleicht bei Frau Mondschein und mir zu Abend Essen, Ignazius? Wir würden uns sehr über einen Besuch von dir freuen und es bringt dich vielleicht auf andere Gedanken.« Ignazius willigte ein und Papa Seestern ließ seinen Sohn vorsichtig los. Anstatt sofort zum Höhleneingang durchzustarten, wartete er artig mit gesenktem Kopf und traurigem Blick. »Ich denke, Frau Mondschein hat auch nichts dagegen, wenn du wieder einmal bei uns übernachtest. Das wird dir sicher gefallen. Ich erzähle dir auch von den Abenteuern am Wächterposten. Versprochen.« Dieses Versprechen hörte Frau Seestern zwar nicht so gerne, denn sie hätte ihren Sohn lieber bei einem sichereren Beruf gesehen, aber heute war sie schon zu geschafft, um Widerstand zu leisten. Ignazius hob leicht den Kopf und nickte zustimmend. Herr Mondschein verabschiedete sich noch und schwamm mit Ignazius zur eigenen Höhle zurück. Eine Antwort erhielt er nicht, denn Herr und Frau Seestern mussten Ignazius schon den ganzen Tag lang bändigen und waren vor Erschöpfung bereits eingeschlafen. Nach dem Abendessen kuschelte sich Ignazius unter die Seitenflosse von Frau Mondschein und lauschte Herrn Mondscheins Geschichten über die tapferen Wächterdelphine, die erst heute wieder einen frechen Hai vom Strand der Menschen vertrieben hatten. Ignazius schaffte es keine fünf Minuten lang wach zu bleiben, denn er war auch sehr erschöpft. Bevor er einschlief flüsterte er noch leise, »Roberta.«
Bei den Nordstroms im Nordviertel war es auch ruhig geworden und Oma beschrieb gerade, wie der derzeitige Stand bei den neuen jungen Wächterdelphinen war, die aus der Hauptstadt geschickt worden waren. Eigentlich waren die zehn jungen Wächterdelphine, die direkt nach der Abschlussprüfung zum Siedlungsbauprojekt gekommen waren, nett, aber sie waren auch ziemlich überheblich. Für Roberta war dieses Thema eher langweilig. Erschöpft war Roberta eingeschlafen und Mama hatte sie im Schnabel in ihr Höhlenabteil gebracht. Roberta lag jetzt in ihrer Schlafmulde und schlug noch einmal die Augen kurz auf. Sie flüsterte, »Ignazius«, und schlief sofort wieder ein. Frau Nordstrom runzelte die Stirn. Hatte Roberta deswegen so heftig reagiert? Sie spielte am Spielplatz hauptsächlich mit dem kleinen Schlingel aus dem Südviertel, aber für einen Babydelphin von noch nicht einmal einem Jahr wäre das schon eine außergewöhnlich feste emotionale Bindung. Frau Nordstrom schüttelte den Kopf, »Ich sehe Gespenster.«
Auch für Delphine gibt es nicht immer nur Sonnenschein im Leben. Nach dem furchtbaren gestrigen Tag, war es heute schon viel erträglicher und leichter für alle Beteiligten. Durch den wolkenlosen Himmel strahlte eine helle Sonne und auch die Delphinsiedlung war in wunderschönes Licht getaucht, auch wenn die Siedlung schon sehr tief unter der Meeresoberfläche lag. Heute waren nur diejenigen Wächterdelphine des Postens auf Patrouille, die benötigt wurden, um den Strand am Meer und das südliche Jagdrevier zu schützen. Der Posten selbst war wie ausgestorben, denn zwei beliebte und verdiente Kollegen wurden heute für lange Zeit verabschiedet und jeder wollte die Kollegen aus der Siedlung geleiten, um ihnen Respekt zu erweisen. Es wären gerne alle gekommen, aber dann wäre ja der Strand und das südliche Jagdrevier ungeschützt gewesen.
»Iss doch noch einen Bissen von diesem leckeren, bodenständigen Futterfisch. Das machst du doch sicher für dein liebes Omchen? Unsere ganze Familie mag diese Fische und ich bin sicher, dass du mit vollem Magen mehr Spaß auf deiner langen Reise haben wirst.« Roberta hatte sich einen möglichst kleinen Bissen von dem grauslichen, bodenständigen Futterfisch abgebissen. Der Fisch, der den Eltern und allen anderen Verwandten so gut schmeckte, war für Roberta ein Horror. Sie mochte von den schnellen Futterfischen eine bestimmte Sorte am liebsten und heute würde sie am Spielplatz leider keinen dieser Leckerbissen von Ignazius heimlich mitgebracht bekommen. Ohne die Hilfe von ihrem besten Freund, wäre Roberta vermutlich schon vor Monaten verhungert. Natürlich durfte Mama das nicht mitbekommen, also trafen sich die zwei eher heimlich am Spielplatz in einem der großen Rohre, die als Spielgeräte dienten. Kurz kaute Roberta den kleinen Bissen des Ekelfisches und würgte ihn, wie ein echter Dramadelphin, der gerade eine Delphintragödie vor Publikum zum Besten gab, unter entsprechenden Nebengeräuschen, leidvoll hinunter. Oma Nordstrom hatte dieses Schauspiel noch nie gesehen und sah vorwurfsvoll Mama und Papa Nordstrom an, die immer tiefer in ihre Liegemulden am Esstisch versanken. »Gegessen habe ich den Ekelfisch. Ich bin satt. Ihr könnt gerne den Rest haben.« Wie zur Bestätigung knurrte jetzt Robertas Magen. Aber dieser knurrte natürlich, weil sie in Wirklichkeit doch ziemlichen Hunger hatte. Schließlich konnte sie gestern auch nicht von Ignazius versorgt werden und schön langsam wurde der leere Magen unangenehm. Während Oma Nordstrom ihren Sohn und ihre Schwiegertochter gekonnt mit dem Bösen Blick immer tiefer in ihre Liegemulden starrte, begann Roberta von der schönen Höhle Abschied zu nehmen.
Zuerst schwamm Roberta in die Eingangshöhle. An der Wand der länglichen Höhle war ein langer, rechteckiger Spiegel von den Meermenschen angebracht worden. Direkt nach dem Eingang waren auch zwei Haken an der Wand, an denen Delphine ihre Delphinbeutel aufhängen konnten. Wächterdelphine hatten solche Beutel nur selten, aber Versorgerdelphine benötigten die Beutel für ihre Arbeit. Die Eltern von Ignazius waren Versorgerdelphine. Sein Vater hatte einen Spezialbeutel, mit dem er Luft von der Oberfläche holte, um die Luftblasen an den Decken der Höhlenabteile der Siedlungshöhlen aufzufüllen. Ein Siedlungsdelphin musste nicht auftauchen, um zu atmen. Es reichte zur Decke zu schwimmen und die kostbare Atemluft von der Luftblase zu genießen. Frau Seestern war bei der Jagdtruppe des Versorgungsstützpunktes. Ihr war es sicher zu verdanken, dass Ignazius so oft einen leckeren, schnellen Futterfisch mitbrachte. Nach der Eingangshöhle kam die Wohnhöhle und dort war nochmal ein Spiegel montiert, damit er das Licht vom Spiegel der Eingangshöhle zumindest ein wenig in die restliche Höhle reflektieren konnte. Lediglich die längliche Eingangshöhle und die Wohnhöhle waren bei fast allen Delphinhöhlen gleich. Vom Durchgang zur Eingangshöhle aus gesehen, war die Wohnhöhle nach links eher ausgebeult und hier war auch der große Spiegel an der Wand montiert. Links war auch der Esstisch, um den die Liegemulden angelegt waren. Der Tisch war eigentlich nur eine Erhöhung mit einer polierten Oberfläche. Oma lag jetzt schon halb auf diesem Tisch und starrte immer intensiver auf Mama und Papa, da diese Roberta offensichtlich nicht ordentlich fütterten. Roberta schwamm in ihr eigenes Höhlenabteil. Es war recht klein, aber durchaus gemütlich. Roberta versuchte beim Schnüffeln an ihrer Schlafmulde Omas Geruch wahrzunehmen, die dort zusammen mit Roberta übernachtet hatte, aber wie immer war ihr Geruchssinn taub. Niemand hatte einen so schlechten Geruchssinn wie Roberta und diese machte dafür die tägliche Misshandlung mit dem grauslichen Ekelfisch verantwortlich. Danach ging es den Gang hinter der Wohnhöhle hinunter und als Nächstes sah sich Roberta das Schlafabteil ihrer Eltern an. Es hatte lange gedauert, bis sich Roberta in ihrem eigenen Abteil wohl gefühlt hatte und oft war sie in ihrem eigenen Abteil eingeschlafen und im Schlafabteil der Eltern glücklich zwischen Mama und Paps am Morgen aufgewacht. Roberta musste bei den vielen schönen Erinnerungen an die Nordstromhöhle schmunzeln. Zuletzt warf Roberta noch einen Blick in die Vorratshöhle am Ende des Ganges. Diese war jetzt leer, denn die letzten Futterfische waren heute morgen gegessen worden. Wenn Mama und Papa beide arbeiten mussten, legte Frau Seestern für Roberta häufig einen ihrer Lieblingsfische ganz unten links in ein Fach, damit Roberta immer etwas Leckeres zu Essen hatte. Für Mama und Papa legte sie die ekligen, bodenständigen Fische gut sichtbar auf die mittleren Fächer. Roberta würde diesen speziellen Service auch sehr vermissen. Aus der Wohnhöhle war jetzt Omas beste nörgelnde Stimme zu hören. Mama und Papa mussten versprechen, auch öfters auf die Essenswünsche von Roberta einzugehen und nicht nur den bevorzugten Fisch der Eltern auf den Tisch zu bringen. Roberta kicherte und verschwand noch einmal in ihr Abteil. Ein letztes Mal kuschelte sie sich in ihre mit Seegras ausgelegte Schlafmulde und erst jetzt bemerkte sie die kleine Öffnung in der Höhlenwand. Diese Öffnung war eigentlich ein kleiner Verbindungstunnel und alle Höhlenteile waren durch solche Tunnel miteinander verbunden. Es gab diese kleinen Tunnel auch durch die Außenwand. Die Meermenschen hatten nicht nur die Spiegel gekonnt montiert, damit es in den Siedlungshöhlen tagsüber hell war, sie hatten auch diese Tunnel so angelegt, dass es in der Höhle immer eine leichte Zirkulation des Wassers gab. Daher war das Wasser in allen Delphinhöhlen immer frisch und nie abgestanden. Diese Meermenschen waren wirklich sehr schlaue Tüftler. Roberta kicherte, als sie sich an die Geschichten erinnerte, die Ignazius ihr einmal erzählt hatte. Er hatte ihr in verschwörerischem Tonfall von seinem Streich berichtet, wie er sich in diesen Tunneln vor den Eltern versteckte und sich suchen ließ, als er noch winzig und erst ein paar Tage alt war. Nachdem er aufgeflogen war, hatte ihn sein Vater aus den Tunnel gepustet, sodass Ignazius nur so durch die Gegend gesaust war. Da er daheim Streiche solcher Art nicht mehr spielen durfte, hatte er danach begonnen, sich auch heimlich bei den Nachbarn zu verstecken, die sich dann auch sehr wegen dem Kichern aus der Wand gewundert hatten. »Ach, Ignazius«, seufzte Roberta. Er hatte das Herz zwar am rechten Fleck, aber ein Schlingel war er schon. Zum Glück wussten ihre Eltern nicht, wie gut die beiden befreundet waren. Papa Nordstrom hielt nicht sehr viel von Streichen und hatte sich schon negativ über den Schlingel aus dem Südviertel geäußert. »Das arme Delphinmädchen, dass den mal abkriegt«, hatte er auf seine unsensible Art gewitzelt.
»Berta, Schätzchen. Oma hat ihr, ähm, Gespräch mit deinen Eltern jetzt beendet und es wird Zeit aufzubrechen. Kommst du, mein kleiner Schatz?« »Okay, Oma. Ich bin bereit.« Langsam schwamm Roberta durch die Wohnhöhle. Mama und Papa nickten Roberta zu und ihre Köpfe waren immer noch ganz rot von Omas Strafpredigt. Langsam schwamm sie weiter durch die Eingangshöhle. Noch nie war der Weg so lang gewesen, denn wenn Roberta erst einmal aus der Höhle war, war ihr altes Leben vorbei und das wusste sie auch. Sie schwamm durch den Eingang in das sanfte Licht des Morgens und die Siedlung war heute so schön, wie noch nie zuvor. Der klare Tag über der Meeresoberfläche bescherte Roberta ein einmaliges Abschiedsgeschenk. Es waren auch fast alle Kollegen vom Posten da und sogar Herr Mondschein erwartete sie mit einem freundlichen Lächeln. Margit und Izadora vom Spielplatz waren mit Herrn Schotbruch, Margits Vater und auch Stellvertreter von Herrn Mondschein, gekommen. Auch viele Nachbarn aus dem Nordviertel waren da. Nur Ignazius fehlte. Dann entdeckte Roberta seine Mutter, Frau Seestern. Als Roberta den Schnabel öffnete, um sie zu grüßen, knurrte lediglich Robertas Magen. Roberta war das peinlich und sie bekam sofort einen roten Kopf. »Hast du einen verstimmten Magen? Ist das heute zu viel Aufregung für dich?«, fragte Herr Mondschein besorgt mit sanfter Stimme. Frau Seestern kicherte und schwamm sofort an Herrn Mondschein vorbei zu Roberta. »Das Knurren erkenne ich sofort«, zwinkerte Frau Seestern Roberta zu. Schnell holte sie einen ziemlich großen, schnellen und äußerst leckeren Futterfisch aus dem Beutel und legte ihn vor Roberta. Roberta stürzte sich auf den leckeren Futterfisch wie ein Hai und es dauerte nicht lange, da war nichts mehr von dem Fisch übrig. Roberta war so vertieft ins Gemetzel gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie ihre Eltern und Oma aus der Höhle gekommen waren. Nachdem sie geendet hatte, beschloss sie die leckere Mahlzeit mit einem lauten, »RÜLPS!« »Oh, ’tschuldigung«, flüsterte sie verlegen, als sie bemerkte, dass sie von allen angestarrt wurde. Aber alle Delphine kicherten nur und freuten sich, weil es ihr so gut geschmeckt hatte. Nur Papa und Mama Nordstrom zogen die roter werdenden Köpfe ein. »Jeder, außer euch beiden, weiß offensichtlich, was meiner süßen kleinen Berta schmeckt«, stauchte Oma Nordstrom beide, so wie kleine und äußerst unartige Kinder, zusammen. Herr Nordstrom flüsterte zu Herrn Mondschein, »Ich fühle mich gerade nicht erwachsen genug, um die Mission durchzuführen. Darf ich bitte auf mein Zimmer?« Jetzt mussten alle Delphine herzhaft lachen. »Ach, Herr Nordstrom. Mütter sehen ihre Kinder bis ins hohe Alter noch als kleine Jungen und kleine Mädchen. Ihre Mutter wird immer ihre Mutter sein und sie werden immer ihr Kind bleiben«, entschärfte Herr Mondschein die Situation. Herr Nordstrom fühlte sich gleich wieder ein wenig besser. Frau Seestern zauberte einen zweiten Delphinbeutel hervor und gab ihn Frau Nordstrom, »Ein Abschiedsgeschenk vom Versorgungsstützpunkt. Es sind auch einige Fische für Roberta im Beutel. Damit sollten sie zwei Tage auskommen, ohne unterwegs jagen zu müssen.« Wegen Robertas enttäuschten Blick, dass Ignazius nicht gekommen war, sprach Frau Seestern noch kurz mit Roberta. Ignazius hatte es so schwer getroffen, seine beste Freundin zu verlieren, dass er unter Aufsicht von Frau Mondschein daheim bleiben musste. Roberta hatte so etwas schon vermutet, denn sie fühlte sich auch zerrissen und würde am liebsten hier bleiben. »Es wird sicher ein paar Tage dauern, bis es ihm wieder gut geht. Wir werden uns gut um Ignazius kümmern. Du musst dir keine Sorgen machen. Und wenn du wieder da bist, dann dürft ihr beiden bei meiner Frau in die erste Klasse schwimmen. Darauf solltet ihr euch schon freuen«, fügte Herr Mondschein leise hinzu. Frau Mondschein war Lehrerin und sie war sehr beliebt bei allen Jungdelphinen. Roberta nickte und fühlte sich ein wenig besser. Es war nett, dass Frau Seestern gekommen war und Herr Mondschein auf Ignazius aufpassen würde. Oma hatte ein wenig mitgehört, aber Robertas Eltern waren damit beschäftigt gewesen, sich von vielen der Anwesenden persönlich zu verabschieden. Dann geleiteten die Wächterdelphine die gesamte Familie Nordstrom Richtung Westen bis zum Siedlungsrand und ließen ihre lieben Kollegen dann alleine weiterschwimmen.
Die Wächterdelphine hielten am Siedlungsrand an und dutzende Augenpaare sahen den Nordstroms nach. Viele riefen Abschiedsworte und wünschten eine gute Reise. Zügig schwamm Familie Nordstrom Richtung Ankerstadt, der Stadt der Meermenschen, davon. Herr Mondschein und Herr Schotbruch waren mit den Jungdelphinen am längsten geblieben und sahen ihnen immer noch nach, obwohl sie schon lange nicht mehr zu sehen waren. Dann machten auch sie kehrt und schwammen zurück in die Siedlung. »Wisst ihr zwei eigentlich, dass ihr beiden dann auch bei Frau Mondschein unterrichtet werdet, wenn ihr in die Schule kommt?«, fragte Herr Schotbruch seine Tochter Margit und ihre beste Freundin Izadora. Beide sahen Herrn Schotbruch und dann Herrn Mondschein groß an. »Dein Vater hat recht, Margit. Ihr seid doch im selben Alter wie Roberta. Das bedeutet, wenn sie wieder da ist, schwimmt ihr alle gemeinsam in die Schule«, bestätigte Herr Mondschein. »Oh. Das müssen wir gleich unserem Dickerchen erzählen«, strahlte Margit. »Wer ist denn euer Dickerchen?«, fragte Herr Schotbruch nach. »Hihi. Das ist der Kurt. Dem geben wir immer unsere Seegurken, wenn wir am Spielplatz sind. Er war früher immer zu schüchtern und kommt erst seit ein paar Tagen auf den Spielplatz. Er heißt Seepferdchen«, klärte Izadora ganz stolz auf. »Nööööö. Der heißt Seeigel mit Familiennamen«, berichtigte Margit. »Das ist ja sehr interessant. Vor allem, dass mit den Seegurken!«, rügte Herr Schotbruch jetzt die beiden Mädchen. Entsetzt schauten beide auf Papa Schotbruch, schmissen sich auf den Meeresboden und drückten mit ihren kleinen Seitenflossen ihren Schnabel in den Sand, um sich nicht nochmal verplaudern zu können. Herr Schotbruch sah seine Tochter vorwurfsvoll an, »Hast du mir nicht erzählt, die Seegurken waren total lecker und waren immer gleich verputzt?« Erbost schoss Margit in die Höhe, »Das stimmt ja auch! Kurt fand sie ja total lecker und er hat sie ja immer gleich verputzt.« Jetzt lief Margit rot an und Herr Mondschein bog sich vor Lachen. Die Logik der Kleinen war köstlich. »Du kannst dich nicht nur von Futterfischen ernähren. Gesundes Gemüse muss auch ab und zu sein, sonst fehlt dir etwas für dein Wachstum. Ab morgen musst du wieder brav deine Seegurke essen. Versprochen?« »Aber dann hab ich ja keine Gurke für Kurt«, beschwerte sich Margit sofort mit ihrer fiepsenden Stimme. »Ach, dann nehme ich dir zwei Seegurken vom Versorgungsstützpunkt mit. Eine für dich und eine für deinen Kurt.« »Danke, Papa. Du bist der Beste«, kuschelte sich Margit gleich zu ihrem geliebten Vater. Dann schwammen die vier gemütlich weiter und Herr Mondschein dachte, ‚Ach, mein lieber Ignazius. Wenn wir dich doch auch nur so einfach zufriedenstellen könnten. Auf uns wartet vermutlich ein hartes Stück Arbeit.‘
Roberta war still, als sie Ankerstadt passierten. An einem anderen Tag hätte Roberta die Stadt der Meermenschen sicher bestaunt, aber heute war eben ein spezieller Tag. Selbst Oma konnte Roberta kein Lächeln mehr abringen. Kurz nach Ankerstadt wurde die erste Rast gemacht. Sechs Tage würde die Reise bei dieser Geschwindigkeit dauern, hatte Herr Nordstrom geschätzt und im Moment hatte er wohl recht. Oma Nordstrom würde von hier aus nach Norden zur Delpinhauptstadt schwimmen, um Bericht über ihren eigenen Spezialauftrag zu erstatten. Sie durfte nicht darüber reden, aber es musste wichtig sein, wenn Oma damit betraut worden war.
»Ich weiß, dass dir dieser schnelle Futterfisch gut schmeckt, mein Schatz. An den Anblick, dich diesen Fisch essen zu sehen, kann ich mich irgendwie trotzdem nicht gewöhnen«, seufzte Oma Nordstrom. Auch Robertas Eltern hatten den Blick abgewandt und konnten sich nicht so recht dafür begeistern, wenn Roberta so gierig einen so furchtbaren Fisch verschlang. Robertas Laune war aber sichtlich besser geworden und sie schmatzte auch noch genüsslich. »Das war ja soooo lecker. Oma? Hast du den tollen Fisch überhaupt schon mal gegessen? Ich gebe dir gerne einen ab«, erkundigte sich Roberta. »Ich hatte schon einen von den leckeren, langsamen und sehr bodenständigen Futterfischen. Ich bin satt. Aber ich danke dir trotzdem, mein Schatz«, lächelte Oma ihre Enkelin an. Roberta ließ sich aber nicht abwimmeln und holte gleich einen kleineren der schnellen Futterfische aus dem Beutel, »Ach, der ist eh klein. Der passt schon noch rein. Vergiss nicht, Mama und Paps zwingen mich auch immer dazu, ihren schrecklichen Fisch zu essen. Also schön den Schnabel aufmachen, Oma und erst einmal probieren«, grinste Roberta ihre Großmutter an.
War das die Rache dafür, weil Oma das Leben der Familie Nordstrom so auf den Kopf gestellt hatte? Roberta legte den Fisch genau vor Oma auf einen flachen Stein am sandigen Meeresboden und ihre Eltern konnten sich ein Kichern nicht mehr verkneifen, so wie Oma das ganze Gesicht verzog. Schließlich pustete Oma Nordstrom heftig aus und gab sich geschlagen. Unter den wachsamen Augen ihrer Enkelin näherte sich Omas Schnabel sehr langsam dem schnellen Futterfisch. Ein Auge hatte sie ganz geschlossen und das andere war auch halb zugekniffen, als könnte sie damit verhindern, was unausweichlich passieren würde. Langsam öffnete sie jetzt den Schnabel und knabberte ein winzig kleines Stück von dem furchtbaren Fisch, den Roberta so sehr mochte. Das war natürlich ein Fehler, denn das winzige Stück rutschte gleich zwischen Zunge und Zähne und so konnte Oma den Bissen nicht auf einmal unzerkaut herunterschlucken. Entsetzt riss Oma die Augen auf und versuchte den Bissen, der sich schon im Schnabel zersetzte, wieder auf die Zunge zum Herunterschlucken zu platzieren. Doch dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte. Omas Blick veränderte sich und sie brummte ohne Vorwarnung ein warmes, »Hmmmm.« Dann hatte sie das Stück endlich zwischen den Zähnen und zerkaute den winzigen Bissen auch noch genüsslich, bevor sie ihn voller Freude herunterschluckte. Aber Robertas Eltern wirkten jetzt entsetzt und konnten kaum glauben, was sie da sahen. »Berta, Schatz. Darf Oma wirklich den ganzen Fisch essen?«, säuselte Oma. Roberta nickte ganz heftig mit dem Kopf, denn das ihr Lieblingsfisch auch Oma schmeckte, war für Roberta im Moment das Größte. Wie ein Hai stürzte sich Oma auf den schnellen Futterfisch und im Nu war er verspachtelt. »Boa, der ist ja echt lecker. Danke, mein kleiner Schatz, dass du mir einen deiner leckeren Fische gegeben hast.« Roberta war außer sich vor Freude und schmiegte liebevoll ihre Wange an Omas Schnabel. Dann huschte sie unter Omas Seitenflosse und grinste ihre Oma glücklich von unten an. ‚Roberta wollte sich nicht rächen, sie hatte wirklich meine Meinung zu dem Fisch wissen wollen. Und jetzt ist sie glücklich, weil es mir so gut geschmeckt hat. Sie hat einfach ein goldiges Herz‘, dachte sich Oma. Oma sah zu ihrer Schwiegertochter und diese schüttelte grinsend den Kopf. Frau Nordstrom war ja eingeheiratet und daher auch mit vielen anderen Sorten von Futterfischen vertraut, die sie als Kind gegessen hatte. Den Fisch von Roberta hatte sie aber schon einmal heimlich probiert und fand ihn allerdings nicht sonderlich gut.
Herr Nordstrom hatte den Anblick seiner eigenen Mutter, die einen so ekligen Futterfisch mit einer solchen Begeisterung verspachtelte, nicht ertragen und war in Ohnmacht gefallen. Er war leidvoll röchelnd auf die Seite gerollt. Sein Schnabel stand offen und seine Zunge war herausgefallen. Jetzt lag er leidend da und röchelte immer noch. »Paps ist ein solcher Dramadelphin«, kicherte Roberta unter der Flosse hervor. Oma musste lachen, »Genauso, wie du heute morgen, mein Schatz. Jetzt weiß ich wenigstens, von wo du diese dramatischen Auftritte her hast.« »Gar nicht wahr«, nörgelte Papa Nordstrom, wie ein schmollender Lausedelphin, sofort und rollte wieder zurück in eine gerade Lage. Nach diesem krönenden Abschluss der Vorstellung, mussten auch Mama Nordstrom und Roberta herzhaft lachen.
Die Stimmung war zwar bestens, aber leider war es an der Zeit aufzubrechen. »Ich bin ja so froh, dass ihr bis jetzt in einer so tollen Siedlung mit so vielen anständigen Delphinen gelebt habt. Ich bin wirklich stolz auf euch drei«, lobte Oma Nordstrom. »Unsere alte Siedlung, in der wir selbst aufgewachsen sind, ist doch auch sehr toll. Wir sollten dich einmal dort besuchen, wenn wir Zeit haben«, schlug Papa Nordstrom vor. Schließlich waren Robertas Eltern dort zur Schule geschwommen und sie hatten sich dort auch ineinander verliebt. Oma schüttelte traurig den Kopf, »Ich fürchte, es leben kaum mehr Delphine in der Siedlung und sogar die Schule wurde vor zwei Jahren geschlossen.« Mama und Papa Nordstrom blickten überrascht zu Oma. Diese erklärte lediglich, »Viele Delphine sind in die Hauptstadt gezogen oder haben sich den Siedlungsbau-Delphinen angeschlossen. Es gab da einige Vorfälle und irgendwie war das Leben dort dann nicht mehr dasselbe. Aber ihr werdet im neuen Siedlungsbau-Projekt Nadjeschda aus eurer alten Siedlung wiedersehen.« Robertas Eltern sahen sich gegenseitig fragend an und dann platzte es aus ihnen gleichzeitig heraus, »Aber, Mama! Da gab es doch gar keine Nadjeschda!« Oma kicherte, »Stimmt. Ihr kennt sie ja nur als Nadja. Heute will sie nur noch Nadjeschda genannt werden und sie wird übrigens eure Chefin am Wächterposten sein. So, wir müssen los. Kriegt Oma noch ein Küsschen von ihrer lieben Berta?« Oma war die Einzige, die noch so in Babydelphinsprache mit Roberta sprechen durfte und Roberta bereitete es großes Vergnügen, ihrer geliebten Oma Folge zu leisten. Unterdessen flüsterte Herr Nordstrom, »Zuerst futtert sie diesen abscheulichen Fisch und dann erzählt sie uns wieder mal nur die Hälfte.« Frau Nordstrom kicherte leise und antwortete im Flüsterton, »Das macht sie sicher nicht mit Absicht. Das sind ihre ganzen Geheimaufträge und Spezialaufträge. Ist sie jetzt Geheimagentin oder Spezialagentin?« »Weiß nicht, aber unser Auftrag wird sicher nicht so einfach, wie wir gedacht hatten.« »Was tuschelt ihr da?«, wollte Oma wissen. Sie hatte sich von Roberta verabschiedet und schwebte jetzt direkt vor ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter. Beide bissen die Zähne zusammen und zogen unschuldig grinsend die Lippen hoch. Dazu versuchten sie noch große, unschuldige Glupschaugen zu machen und sagten durch die geschlossenen Zähne hindurch ganz unschuldig im Chor, »Nichts!« »Soso«, sagte Oma Nordstrom. Diese dümmliche Art zu grinsen war eigentlich die Art der Haie, die nach ihren Schandtaten so grinsten, wenn sie erwischt worden waren. Bei Haien sah das ähnlich doof aus, wie bei erwachsenen Delphinen. Lediglich Babydelphine und Jungdelphine konnten jemand mit so einem Grinsen um die Flosse wickeln. »Naja. Dann richtet Nadjeschda, Elke und Stefan einen schönen Gruß von mir aus. Ich habe Roberta schon gesagt, dass ich euch vielleicht bald besuchen komme. Also, bis dann und passt mir auf meine Berta gut auf.« So schnell Oma geendet hatte, war sie auch schon Richtung Norden verschwunden.
Mama und Papa Nordstrom machten sich bereit für den Aufbruch, während Roberta wartete. Mama schlüpfte durch den Riemen des Delphinbeutels mit den übrigen Futterfischen und Papa half ihr dabei. Als sie losschwimmen wollten, erklärte Roberta, »Ich will diese olle Nadjeschda kennenlernen, die mir das eingebrockt hat. Wir schwimmen schneller.« Herr Nordstrom ignorierte seine Frau, die entsetzt den Kopf schüttelte und antwortete, »Klar machen wir das. Keine Sorge, wir warten auf dich, wenn wir für dich zu schnell schwimmen.« »Super«, freute sich Roberta und war schon weg. Frau Nordstrom hetzte ihrer pfeilschnellen Tochter sofort hinterher. Herr Nordstrom sah ihnen noch kurz nach, wie beide sehr schnell kleiner wurden, und nahm dann in Höchstgeschwindigkeit die Verfolgung auf. Nach einer halben Stunde hatte er zumindest seine Frau eingeholt, die ihn wütend anstarrte. »Was geht denn hier ab?«, keuchte Papa Nordstrom. »Roberta ist eine der beiden schnellsten Schwimmer am Spielplatz. Sie hat schon Drittklässler beim Schnellschwimmen geschlagen«, meckerte Frau Nordstrom. »Ach so. Aber sie ist noch nicht mal ein Jahr alt. Woher sollte ich das denn wissen?«, keuchte ihr Mann. »Hab’s dir erzählt. Hab dich gebeten auch mal mit Roberta zum Spielplatz zu schwimmen, aber du hattest ja nie Zeit«, erwiderte Frau Nordstrom grimmig. »Sie ist ja noch ein Babydelphin und kann unmöglich das Tempo lange halten«, versuchte Herr Nordstrom keuchend seine Frau zu beruhigen. »Halt einfach den Schnabel und schwimm schneller«, fauchte diese zurück. Einige Stunden später war klar, Herr Nordstrom hatte sich geirrt und diese Reise würde auch ganz sicher keine sechs Tage dauern.
Gegen Abend war Roberta schon ziemlich geschafft, aber ihre Eltern waren noch immer nicht in der Lage gewesen, sie einzuholen. An der Meeresoberfläche atmete sie gut durch und bewunderte den Sonnenuntergang. Direkt unter ihr war eine kleine Delphinsiedlung. Es wäre eine ideale Gelegenheit, um einen sicheren Unterschlupf für die Nacht zu finden. Roberta hatte aufgehört zu hecheln und die Zunge hing ihr nicht mehr raus, als auch ihre Eltern endlich eintrafen. »Nicht so schnell, Schatz«, keuchte Papa Nordstrom. Ihm hing die Zunge raus und er hechelte auch so heftig, wie Roberta es vorhin noch getan hatte. Mama ging es nicht viel besser. Roberta kicherte frech, »Na? Schon müde? Zum Glück ist unter uns eine kleine Siedlung. Soll ich nachfragen, ob wir dort übernachten können, während ihr beiden verschnauft?« Robertas breites Grinsen ließ ihre Eltern vor Neid erblassen. Wie konnte dieses kleine Kind nur solche Energie haben und die eigenen Eltern abhängen. Papa Nordstrom nickte und beide konnten endlich ungeniert sehr viel heftiger hecheln, als Roberta verschwunden war. Roberta hätte es nie zugegeben, dass sie auch kaum mehr weiterschwimmen konnte. Zügig, aber sehr viel langsamer als zuvor, schwamm sie zur kleinen Siedlung. Bei der dritten Familie, einem älteren Ehepaar, hatte Roberta Glück. Gleich machte sie sich auf, ihre Eltern zu holen.
»Gute Nachricht. Eine nette Familie kann uns unterbringen. Wir sind auch zum Abendessen eingeladen. Damit sparen wir auch Proviant«, grinste Roberta. Seit ihrer ersten kleinen Rast, waren sie nicht mehr zum Essen gekommen. Papas Magen grummelte wie auf Befehl gleich los. Mamas Magen stimmte gleich darauf ein. Dann war Robertas Magen dran und alle drei mussten kichern. »Vielleicht hätten wir doch nicht so schnell und so lange schwimmen sollen. Zeig uns den Weg, kleiner Schatz. Eine Mahlzeit können wir alle drei gut vertragen«, schlug Mama Nordstrom vor. Roberta nickte begeistert und schwamm in einer vernünftigen Geschwindigkeit voraus. Das Tageslicht war jetzt schon fast vergangen und Nachts war Roberta blind wie ein Maulwurf, denn sie konnte ihr natürliches Sonar noch nicht einsetzen. Diese Fähigkeit entwickelte sich bei den meisten Jungdelphinen erst in der Pubertät.
»Kommt herein, kommt herein«, erklang die Stimme von Frau Magergräte aus der Dunkelheit. Der Esstisch war kaum mehr zu erkennen. »Schnell, meine Kleine. Im Finsteren wirst du es schwer haben zu essen. Beeil dich.« Frau Magergräte hatte natürlich recht. Roberta eilte sofort zum Tisch und dort wartete schon ein recht dicker Futterfisch auf sie. Kurz bedankte sie sich und fing sofort an zu essen, noch bevor ihre Eltern ganz in die Wohnhöhle geschwommen waren. Herr Magergräte kicherte, weil Roberta so einen guten Appetit hatte und so freudig aß. Roberta war es auch egal, welcher Fisch ihr vorgesetzt wurde, denn ihr Hunger war schon gewaltig. Während Roberta mit Essen beschäftigt war, stellten sich alle kurz vor und alle vier Erwachsenen nahmen ebenfalls Platz. Herr Nordstrom und Frau Nordstrom hatten ebenfalls solchen Hunger, dass ihnen dieses Mal die Art des Futterfisches auch vollkommen egal war. Während die Eltern gerade anfingen gierig zu essen, war Roberta schon fertig und keuchte im Dunkeln. Jetzt waren nicht einmal mehr Umrisse zu erkennen. »Das war lecker. Danke.« Herr und Frau Magergräte kicherten. »Reisende Delphine haben wir immer gerne zu Gast. Es ist immer schön neue Delphine kennenzulernen. Aber für dich wird es Zeit, schlafen zu schwimmen. Meine Frau lotst dich gleich in das alte Höhlenabteil unseres Sohnes. Es wird dir gefallen.« Aus einer ganz anderen Richtung, als Roberta Frau Magergräte vermutete, kam plötzlich ihre Stimme, »Du musst nur einen Meter in die Höhe steigen und dann meiner Stimme folgen. Wenn du die Augen schließt, geht es vielleicht leichter.« Roberta gehorchte und folgte der Stimme ins Unbekannte. Beim Durchgang in das andere Abteil fühlte es sich an, als würde der Raum sich ändern und die Stimme klang auch anders, weil sie ja auch anders von den Wänden im kleinen Abteil reflektiert wurde. Über der Schlafmulde hieß Frau Magergräte Roberta still zu halten und brachte sie in die richtige Ausrichtung. Nachdem Roberta in die Mulde abgesunken war, stellte diese überrascht fest, dass sie mit frischem Seegras ausgelegt war, wie es manche Delphine gerne mochten. »Oh, ist das schön. Hier werde ich gut schlafen. Danke, Frau Magergräte«, gähnte Roberta und schloss gleich die Augen. »Schlaf gut und träum was Schönes«, verabschiedete sich die Dame der Delphinhöhle und kümmerte sich wieder um ihre anderen Gäste.
»Östlich von Ankerstadt sagen Sie? Das war ja ein ganz schön weiter Weg bis hierher. Aber zum Glück haben sie die Hälfte des Weges schon geschafft, denn zum neuen Siedlungsbauprojekt müssen sie nur drei weitere Tage genau in westliche Richtung reisen«, klärte Herr Magergräte auf. »Vielleicht sollten sie eher vier oder fünf Tage einplanen. Ihre Tochter war ja schon ganz geschafft. Die arme Kleine«, rügte Frau Magergräte. Herr Nordstrom wollte gar nicht erwähnen, dass sie eigentlich nur einen Tag hierher gebraucht hatten und Roberta die Geschwindigkeit vorgegeben hatte. Es wäre ihm peinlich gewesen zuzugeben, dass seine einjährige Tochter schon schneller schwamm als so manch erwachsene Delphin und sogar schneller als ein durchtrainierter Wächterdelphin, wie er selbst einer war. »Roberta kommt zum Glück ganz nach ihrer Großmutter, die auch eine exzellente Schwimmerin ist. Wir werden ihren Rat aber gerne beherzigen«, versicherte Frau Nordstrom. »Wissen sie was, Frau Nordstrom? Morgen soll doch einfach Roberta das Tempo bestimmen. Sie werden sehen, das wird ein Spaß für die ganze Familie«, schlug Herr Magergräte vor. Es wäre natürlich unhöflich gewesen, dem Vorschlag von diesem netten alten Ehepaar nicht zuzustimmen. Daher willigten Herr Nordstrom und Frau Nordstrom ein. »Dann wünschen wir ihnen eine gute Nacht. Das Gästeabteil ist ganz hinten am Ende des Ganges«, verabschiedeten sich Herr und Frau Magergräte und schwammen in ihr Schlafabteil. »Schwimmen wir lieber auch schnell schlafen. Ich habe das Gefühl, morgen werden wir wieder leiden«, seufzte Frau Nordstrom.
»Guten Morgen, Frau Magergräte. Habe ich vorhin nicht ihren Mann gehört?« Erstaunt über den gut gedeckten Frühstückstisch quälten sich Herr und Frau Nordstrom in die Wohnhöhle. Frau Magergräte kicherte, »Mein Mann ist draußen und zeigt ihrer Tochter gerade ein paar Dehnungsübungen gegen Muskelkater. Diese Übungen sollten sie beide wohl auch machen, bevor sie weiterschwimmen. Und jetzt essen sie erst einmal tüchtig. Das wird ihnen auch helfen.« Herr Nordstrom ließ sich das nicht zweimal sagen und war sofort zu Tisch. Frau Nordstrom wandte sich unentschieden zwischen dem Tisch und dem Durchgang zur Eingangshöhle hin und her, entschied sich dann aber doch für das Frühstück. Roberta war ja in Begleitung von Herrn Magergräte. Es gab keinen Grund sich Sorgen zu machen. Kaum, dass beide fertig gegessen hatten, kam Roberta mit Herrn Magergräte zurück. »Guten Morgen, Mama. Guten Morgen, Papa. Können wir los?« Beneidenswert quietschvergnügt neckte Roberta ihre Eltern und war offensichtlich wieder topfit. Herr Magergräte lächelte sichtlich zufrieden, dass Roberta wieder so wohlauf war. Vor den Dehnungsübungen war auch Roberta wegen ihrem Muskelkater ein sehr bemitleidenswerter Anblick gewesen. »Wir müssen auch noch Dehnungsübungen machen, aber danach schwimmen wir los. Einverstanden, kleiner Schatz?«, fragte Mama Nordstrom. »Okay. In der Zwischenzeit wärme ich mich auf. Ich darf heute wieder die Geschwindigkeit bestimmen, hat mir Herr Magergräte schon verraten«, grinste Roberta keck und verschwand nach draußen. »Heute wieder?«, fragte Frau Magergräte neugierig. »Die Kleine hat ja Seeigel in der Schwanzflosse. Da haben sie ja einen anstrengenden Tag vor sich. Lassen sie den Kopf nicht so hängen wegen dem Muskelkater. Die Dehnungsübungen dauern nur zehn Minuten und dann geht es ihnen wieder besser. Versprochen.« Nachdem die Eltern aufgegessen hatten, erfüllte Herr Magergräte sein Versprechen und zehn Minuten später war die gesamte Familie Nordstrom wieder topfit. Frau Magergräte hatte noch kurz die Reste vom Frühstückstisch beseitigt und war gerade zu den anderen nach draußen gekommen, »Es freut mich, dass alle wieder so wohlauf sind.« »Ja. Wir sind selber ziemlich erstaunt. Das waren ja Expertentipps gegen Muskelkater«, freute sich Frau Nordstrom. Frau Magergräte hatte den Delphinbeutel von Frau Nordstrom mitgebracht und sogar ein wenig ergänzt, denn er war wieder besser gefüllt. Nachdem der Beutel übergeben war verabschiedeten sich alle.
»Nochmals herzlichen Dank und auf Wiedersehen. Sie sind wirklich unsere Lebensretter gewesen«, bedankte und verabschiedete sich Herr Nordstrom. Frau Magergräte kicherte, »Wissen sie, ihre Roberta erinnert uns an eine liebe Freundin, die ebenfalls Roberta Nordstrom heißt. Sie ist etwas kleiner als der Durchschnitt und sogar noch viel schneller als ihre Tochter. Allerdings ist sie in etwa in unserem Alter und der Name Nordstrom kommt ja sehr häufig vor.« Roberta hatte sich zuvor auch schon ganz lieb und artig bedankt und schrie jetzt, »Auf Wiedersehen.« Dann startete sie in Rekordgeschwindigkeit los und Mama Nordstrom folgte ihr so wie gestern sofort, um nicht den Anschluss zu verlieren. Gehetzt sah Herr Nordstrom zwischen seiner verschwindenden Familie und Frau Magergräte hin und her. Schnell stammelte er noch, »Ist wahrscheinlich meine Mama. Roberta trägt auch ihren Namen. Wiedersehen!« Dann schoss auch er davon. Es würde wieder lange dauern seine Frau einzuholen und dann noch viel länger,um auf Roberta aufzuschließen, falls sie es überhaupt schafften. »Da soll mich doch der Seeteufel holen«, fluchte Herr Magergräte, »Das war gerade wirklich die Familie von unserer rasenden Roberta?« Frau Magergräte hatte ganz glasige Augen, »Ja. Und sie sind so liebenswerte Delphine. Schade, dass sie nicht länger bleiben konnten. Roberta wird sich freuen, dass ihre Familie bei uns zu Gast war, als sie auf der Durchreise waren.« Herr Magergräte nickte bestätigend, »Komm. Die Gäste sind weg. Jetzt frühstücken wir selbst und dann besuchen wir unsere eigene Enkeltochter und erzählen ihr von unserem netten Besuch.«
Während in dieser winzig kleinen Delphinsiedlung das Alltagsleben weiterging, raste die Familie Nordstrom Richtung Westen, ihrem neuen Zuhause und ihren neuen Aufgaben entgegen.
Es war sicher schon später Nachmittag, da schwammen Herr und Frau Nordstrom an einem unerwarteten Hindernis vorbei. Verdutzt wurden beide langsamer und hielten an. »Sagt mal, spinnt ihr? Ihr könnt mich doch nicht über den Haufen schwimmen«, schimpfte Roberta mit ihren Eltern und schloss zu ihnen auf. Beide wirkten schon sehr geschafft und hatten außerdem jetzt zusätzlich noch einen roten Kopf. »Ich wollte euch nur eine Pause anbieten. Wir können aber gerne noch bis heute Abend weiterschwimmen.« »Ach, nein. Wir machen Pause, Schatz. Du musst doch auch schon Hunger haben.« »Hunger hab ich schon. Und wisst ihr was? Ich bin gar nicht so aus der Puste wie gestern.« Papa sah seine Frau verblüfft an, »Wir sind etwas geschafft, aber gestern war alles viel schlimmer. Du hast recht, Roberta.« »Tja, wenn man trainiert, wird man besser und durch die Dehnungsübungen konnten wir heute ja gleich weiterschwimmen. Ohne die Übungen hätten wir wohl einen Tag pausieren müssen«, gab Mama zu bedenken. »Super. Wenn das so weitergeht, bin ich irgendwann die schnellste Schwimmerin daheim am Spielplatz«, freute sich Roberta und meinte natürlich, dass sie schneller als ihr Freund Ignazius schwimmen würde. Mama kicherte, »Tja, der kleine Ignazius war doch auch so schnell wie du. Da wirst du noch trainieren müssen.« Papa Nordstrom murmelte, »Glaub ich nicht, dass so ein frecher Lausedelphin schneller schwimmen soll als Roberta oder als ein so toller Wächterdelphin wie ich. Ihr müsst euch irren.« Roberta ließ sich nicht anmerken, dass es sie störte, wenn ihr Paps so einen Unsinn redete. »Na, dann muss ich eben noch fleißig weitertrainieren. Am besten machen wir nach dem Essen für das letzte Stück ein richtiges Wettschwimmen«, forderte Roberta ihre Eltern heraus. Bei so einer frechen Herausforderung gab es nur eine Antwort für Papa Nordstrom, »Abgemacht. Wir müssten schon ziemlich nahe an der Siedlung sein, also ist es vermutlich nicht allzu weit. Aber wir machen noch Dehnungsübungen, bevor das Wettschwimmen startet. Dann sind wir sicher noch besser drauf.« Mama Nordstrom schüttelte den Kopf. Sie war offensichtlich mit zwei kleinen Kindern unterwegs.
Die kleine Reisegesellschaft war von der Anstrengung so ausgehungert, dass jeder mindestens drei Futterfische verdrückte. Nach den Dehnungsübungen wurden die Wettkampfrichtlinien besprochen. Papa Nordstrom durfte sie als Herausgeforderter sogar festlegen. »Also, ganz einfach. Wenn ich losschwimme, startet ihr auch. Das Ziel ist der Wächterposten von der Siedlung und die Siedlung selbst befindet sich ziemlich sicher genau links von mir. Der Posten befindet sich vermutlich auf halber Höhe zum Strand und liegt genau zwischen Strand und Siedlung, damit die Wächterdelphine immer schnell überall hinschwimmen können. Der Posten selbst ist ein großes Gebäude oder er ist in einen großen Felsen gegraben. Er sollte auch ein großes Portal als Eingang haben, damit mehrere Wächterdelphine gleichzeitig durchschwimmen können, wenn es einen Alarmfall gibt. Wer zuerst dort ist, hat gewonnen. Noch Fragen?« Roberta schüttelte begeistert den Kopf und Mama Nordstrom stieß schnaubend ein paar Blubberblasen aus. Sie wollte also nicht wirklich bei dem Wettschwimmen mitmachen, dachte Herr Nordstrom und freute sich, dass er eine Konkurrenz weniger hatte. Doch dann drehte er sich nicht zur Siedlung, um zu starten, sondern in die Gegenrichtung, »Oh, Herr Mondschein. Was machen sie denn hier?« Roberta drehte sich auch sofort um, »Herr Mondschein? Wo? Wo? Wo?« Während Roberta noch Herrn Mondschein suchte, drehte sich Papa Nordstrom schnell wieder um und raste kichernd davon. Roberta drehte sich auch um und fing an zu nörgeln, »Hey! Papa ist ein alter Schummler. Der hat mich reingelegt. Das finde ich….« Tock. Frau Nordstrom hatte Roberta mit dem Schnabel eine leichte Kopfnuss verpasst und Roberta hatte sofort aufgehört zu nörgeln. Jetzt starrte sie ihre Mutter verdutzt an. »Hör auf zu meckern, du verlierst. Schwimm los!« Roberta sagte nur kurz, »Oh«, und dann schaute Frau Nordstrom nur noch auf die leere Stelle, wo gerade noch ihre Tochter gewesen war. Frau Nordstrom setzte sich in Bewegung und schwamm den beiden zügig, aber nicht zu schnell, hinterher.
Papa Nordstrom war voll in Fahrt. Durch das harte Training gestern und heute, war er super in Form. Er kicherte nur noch innerlich, denn mit offenem Schnabel hatte er mehr Wasserwiderstand beim Schwimmen. Und er schwamm schnell, sehr schnell. »Sag mal, du spinnst wohl. Mich so reinzulegen«, nörgelte Roberta plötzlich von seiner rechten Seite. »Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt«, gab Papa Nordstrom zurück und legte noch an Geschwindigkeit zu. Gleich darauf war wieder Robertas Stimme von rechts zu hören, »Du bist trotzdem ein alter Schummler und nützen tut es dir auch nichts.« »Das werden wir noch sehen. Ich schwimme einfach schneller«, presste er angestrengt zwischen den Zähnen hervor und schwamm nochmal schneller. Gleich darauf tönte von rechts die ebenfalls angestrengt klingende Stimme von Roberta, »Wenn du schneller schwimmst, schwimme ich eben viel schneller.« Herr Nordstrom konnte vor Anstrengung aber gar nichts mehr sagen. Und dann überholte ihn Roberta. Zuerst langsam und dann immer schneller und schneller.
»Ich weiß nicht. Da hinten kommt doch etwas, oder?«, fragte der eine Wächterdelphin. »Viel zu schnell für einen Delphin. Ein neues Unterwasserfahrzeug der Menschen vielleicht? Sind unsere Siedlungen aufgeflogen?«, fragte der andere Wächterdelphin. »Sind Delphine. Nur eben megaschnell. Halten auf den Posten zu, denke ich. Und der hintere wird jetzt langsamer.«, stellte ein dritter Wächterdelphin fest. »Der vordere, kleine Delphin aber nicht. Schwimmen wir lieber in Deckung«, überlegte der vierte. Die vier Wächterdelphine waren gerade erst vom Dienst zum Posten zurückgekommen und wollten ursprünglich nur Bericht erstatten. In zwei Gruppen hatten sie die zwei entfernteren Jagdgebiete im Norden und im Süden gesichert und die Versorgerdelphine von der Jagdtruppe waren bereits am Versorgungsstützpunkt in der Mitte der neuen Siedlung eingetroffen, um ihre Jagdbeute abzuliefern. Während sich die fremden Delphine näherten und der kleinere noch immer keine Anstalten machte zu bremsen, zogen sich die vier Wächterdelphine rasch hinter den noch nicht fertig gebauten Posten zurück und beobachteten neugierig die Neuankömmlinge. Aus dem Posten hörten sie bereits eine laute und bekannt klingende Stimme. Offensichtlich hatte Rüdiger Mist gebaut und erhielt gerade, sehr zur Belustigung seiner Kollegen, vor versammelter Mannschaft eine Strafpredigt.
»Wie oft soll ich es noch sagen!?! Die Patrouille trennt sich nicht und schwimmt immer gemeinsam. Falls mehrere Haie gleichzeitig ….«
BOING
An der Stelle, an der Rüdiger gerade seinen Anpfiff erhalten hatte, weil er alleine die Umgebung erkundet hatte und seine zwei Kollegen eine Zeit lang alleine die Patrouille machen ließ, schwebte plötzlich ein Jungdelphin von nicht einmal einem halben Meter Länge. Verdutzt wurde der Minidelphin von allen angestarrt. Dann ertönte auch noch ein Platsch von der Höhlenwand am Ende des langen Ganges in der unteren Ebene des Postens. Rüdiger war unsanft gegen die Wand geklatscht, löste sich von der Wand, platschte auf den Höhlenboden und beendete mit einem, »Aua«, seine unerwartete Reise. »Autschi, Autschi«, meckerte der Minidelphin und versuchte sich mit allen Flossen zu stabilisieren. Die Augen rollten und der Minidelphin schüttelte mehrmals den Kopf, um wieder klar zu werden. »Verdammt. Bin ich jetzt wo gegen geschwommen? Muss wohl noch Bremsmanöver bei höherer Geschwindigkeit üben. Autschi.« Die Augen hörten auf zu rollen und der Minidelphin kam endlich zur Ruhe. Erstaunt glupschte er die etwas ältere und ziemlich finster wirkende Delphindame vor sich an. »Oh. Hallo. Hab ich dich eh nicht verletzt?« »Tja, junges Fräulein. Erstens, ist Schnellschwimmen in der Siedlung grundsätzlich verboten und zweitens, hast du nicht mich erwischt, sondern Rüdiger«, erwiderte die strenge Delphindame und deutete den Gang hinunter. »Rüdiger, bist du in Ordnung?!«, rief sie laut und erhielt auch gleich eine Antwort. »Nichts passiert. Ich ruhe mich nur kurz aus.« Rüdiger blieb liegen und meckerte leise vor sich hin. »Waltraud, kümmere dich bitte um deinen Mann«, befahl die streng wirkende Delphindame, die hier offensichtlich das Sagen hatte. Vom Fenster aus kam ein Kichern, denn die heimkehrende Patrouille hatte sich an den Fenstern der unteren Ebene aufgereiht und beobachtete verzückt von draußen das Geschehen. Waltraud nickte kurz und eilte zu Rüdiger. Waltraud und Rüdiger waren die einzigen beiden anwesenden Blau-Weißen Delphine und daher etwas größer, als ihre Kollegen, welche alle zu den Schwarz-Weißen gehörten. Das war nicht verwunderlich, denn die Blau-Weißen waren auch seltener auf der südlichen Hemisphäre in den Ozeanen zu finden. Da ein Blau-Weißer bis zweieinhalb Meter lang werden konnte und die meisten anderen Arten auf der Südhalbkugel nur zwei Meter oder knapp darüber maßen, war die angeborene höhere Kampfkraft und die außergewöhnliche Gutmütigkeit Blau-Weißer Delphine eine willkommene Bereicherung für jede Delphinsiedlung und jeden Wächterposten. »Ich schau lieber selbst nach«, sagte das junge Delphinmädchen und folgte der anmutig dahingleitenden Waltraud. Die strenge Delphindame schaute ihnen nach und folgte zähneknirschend. Die Disziplin und Ordnung war jetzt gefährdet und es war ihre Aufgabe, alles wiederherzustellen.
»Hallo, Rüdiger. Ich bin Roberta. ’tschuldigung, dass ich nicht rechtzeitig bremsen konnte«, erklärte Roberta schuldbewusst. Die strenge Delphindame zuckte zusammen. Das konnten doch noch nicht die Nordstroms sein. Die würden erst frühestens in vier Tagen eintreffen, hatte sie berechnet. »Ist nichts passiert. Ich bin ja ein großer Delphin. Da halte ich so einen kleinen Stups doch ganz leicht aus«, beruhigte Rüdiger die besorgte Roberta. Waltraud kicherte und streichelte sofort liebevoll seinen Schnabel. Roberta sah sich die Rötung auf seiner Flanke an. Dann drückte sie mehrmals mit dem Schnabel dagegen, »Tut das eh nicht weh? Oder das? Oder das? Ist wirklich alles in Ordnung?« Roberta hatte zum Glück Rüdigers schmerzverzerrtes Gesicht nicht bemerkt, dass er bei jedem Schnabeldrücken gemacht hatte. »Ist alles in Ordnung«, presste er heraus und als Roberta ihm misstrauisch ins Gesicht sah, setzte er sein bestes unschuldiges Lächeln auf. »Ufff, bin ich erleichtert. Ich hatte schon Angst um dich«, seufzte Roberta und schmiegte sich gleich mit ihrer Wange liebevoll an Rüdigers Schnabel, der daraufhin ganz erstaunt und sichtlich gerührt lächelte. Waltraud hatte den Gesichtsausdruck vorhin aber bemerkt und schlug vor, »Wir werden zur Sicherheit sogar bei unserem Sanitätsdelphin in der Siedlung vorbeischwimmen, damit du dir keine Sorgen zu machen brauchst, Roberta. Ist das nicht eine tolle Idee?« Roberta nickte freudig. ‚Lieber auf Nummer sicher gehen‘, dachte sich Roberta. »Er kann ja gleich heute die Nachtpatrouille übernehmen, wenn es ihm so phantastisch geht«, ätzte jetzt die strenge Delphindame. Waltraud funkelte sie gleich an, aber Roberta war schneller. Sofort hing sie Schnabel an Schnabel mit der strengen Delphindame und begann loszunörgeln, »Was fällt dir ein? Lass doch den armen Rüdiger in Ruhe. Der hat ja noch einen Schock von vorhin. Grrrrrrr.« Beide funkelten sich kurz an, da ertönte der rettende Ruf von den Wächterdelphinen am Eingang. »Wir kriegen noch zwei Delphine zu Besuch!« Die strenge Dame machte kehrt und schwamm zum Eingang zurück. »Ich regle das mit dieser alten Schachtel und ihr beide schwimmt zum Sanitätsdelphin«, erklärte Roberta dem verblüfften Ehepaar und sauste ebenfalls Richtung Eingang los.
»Die beiden schwimmen zum Sanitätsdelphin und lassen Rüdiger überprüfen. Ist das klar?«, forderte Roberta die strenge Delphindame auf. »Von mir aus. Und das mit der alten Schachtel habe ich gehört, du freche Kaulquappe. Grrrrrr«, keifte die strenge Dame zurück. »Grrrrr«, war Robertas Antwort. Beide schwammen Seite an Seite den Gang hinunter und pressten bedrohlich ihre Flanken aneinander. Die klügere Hälfte der Wächterdelphine war bereits nach draußen in Sicherheit geflüchtet und jetzt reihte sich an den Fenstern der unteren Etage ein Delphinkopf nach dem anderen. Das war heute ein äußerst spannender Abend. Vor allem, da noch nie jemand gewagt hatte, mit der Chefin so frech umzugehen.
»Du kannst doch deinen armen alten Vater nicht so blamieren«, röchelte Herr Nordstrom, als er sich durch den Eingang schleppte. Eine kichernde und sehr amüsierte Frau Nordstrom folgte ihm und stupste ihn immer wieder an. Papa Nordstrom hatte sich total verausgabt und konnte das letzte Stück nur noch im Kriechtempo zurücklegen. Gleich nachdem er den Eingang passiert hatte, platschte er auf den Boden und röchelte mit heraushängender Zunge, »Ich kann nicht mehr.« Die strenge Delphindame hörte auf sich mit Roberta anzugrrrrn und kam ihnen entgegen, »Tag, Manfred. Tag, Silke. Eigentlich hab ich euch hergebeten, um ein wenig mehr Disziplin und Ordnung hier hereinzubringen und nicht, um mit eurer frechen Tochter Unfug anzustellen.« Herr Nordstrom nickte nur zur Begrüßung, aber Frau Nordstrom erwiderte kichernd, »Tja, Nadjeschda. Zu arbeiten beginnen wir erst morgen, daher können wir heute doch sicher noch ein wenig Spaß haben. So ein kleines Wettschwimmen ist doch ein Spaß für die ganze Familie.« »Schöner Spaß«, maulte Papa Nordstrom vom Boden aus. »Ach, du bist also die alte Schachtel Nadjeschda, die mein Leben zerstört hat?«, fragte Roberta gleich provokant. Die Wächterdelphine im Eingangsbereich zuckten zusammen und machten sich klein. Die Wächterdelphine draußen duckten sich und nur mehr ihre Augen glupschten fasziniert auf die spannende Szene. Es knisterte immer mehr. Frau Nordstrom sah ihre Tochter verwundert an. Was war nur in der kurzen Zeitspanne passiert, als Roberta vor ihnen eingetroffen war. Und warum sah Nadja, oder besser gesagt Nadjeschda, auf einmal so aus, wie ein alter Omadelphin? Sie war eigentlich sogar ein Jahr jünger als Frau Nordstrom selbst. »Und wie habe ich alte Schachtel denn das Leben der frechen Kaulquappe zerstört?«, ätzte jetzt Nadjeschda. »Ich habe alle meine Freunde zurücklassen müssen. Und außerdem bin ich keine Kaulquappe. Hab ja Paps im Wettschwimmen besiegt, also bin ich erwachsen!« Roberta und Nadjeschda pressten ihre Schnäbel aneinander und die Spannung stieg. »Du Babydelphin willst erwachsen sein?« »Ja, ich bin erwachsen.« Unglaublich schnell war Nadjeschda unter Roberta abgetaucht und schob sie jetzt mit ihrem Schnabel Richtung Deckenblase. Die Blase war ziemlich groß an der breiten, hohen Decke und schneller als sie blinzeln konnte, war Roberta auch schon mitten in der Luftblase. Nadjeschda schubste Roberta in die Höhe und diese fing sofort vor lauter Vergnügen zu quieken an. Nadjeschda schubste Roberta immer wieder in die Höhe und fing sie geschickt wieder mit der Schnabelspitze auf. Nach ein paar Minuten ließ Nadjeschda sie wieder zurück ins Wasser. »Und du bist dir wirklich ganz sicher, dass du kein kleiner Babydelphin mehr bist?«, fragte Nadjeschda das kichernde Delphinkind. Jetzt bekam Roberta einen knallroten Kopf und stellte ihre Stimme so tief wie möglich, »Notürlüch bün öch erwochsen. Dos üst moin voller Örnst.« Das Resultat war, dass Robertas Kopf nur noch roter wurde und Mama Nordstrom sich vor Lachen auf dem Boden wälzte. Nadjeschda hatte Roberta gekonnt überlistet und deshalb lächelte sie Roberta jetzt vergnügt an. Und etwas hatte sich an Nadjeschda verändert. Roberta staunte. Statt dieser alten, überaus strengen und eher unfreundlichen Delphindame, war jetzt eine wunderschöne, eher junge Delphindame mit einem sanftmütigen Lächeln vor ihr. »Na gut. Ein bisschen fehlt mir noch, bis ich erwachsen bin«, gab Roberta zu. »Du siehst viel freundlicher aus, wenn du lächelst. Du solltest öfters lächeln. Es steht dir«, ergänzte die verblüffte Roberta. Und dann war der Moment verschwunden und Nadjeschda sah wieder streng und vielleicht sogar etwas traurig aus. »Vielleicht werde ich das ja, weil du jetzt da bist«, antwortete sie und beide schwammen zurück.
Papa Nordstrom hatte sich ein wenig erholt, da maulte schon der erste der jüngeren Wächterdelphine im Eingangsbereich im Flüsterton, »Dieser alte Schlaffi soll uns etwas beibringen? Der verliert ja gegen einen Babydelphin beim Wettschwimmen.« »Genau. Und seine Frau scheint auch nicht sehr ernsthaft zu sein. Die soll uns nachschulen?«, maulte ein zweiter. Die jungen Wächterdelphine waren also wirklich ein wenig überheblich. Zum Glück waren die klügeren und älteren Wächterdelphine nach draußen verschwunden und schauten durch die Fenster zu. Die Arroganz mancher Jungwächter war leider in den letzten Wochen ein Problem geworden, da einige der Jungwächter Auseinandersetzungen mit unerfahrenen Haien gewonnen hatten und wohl an zu viel Selbstvertrauen litten. Nadjeschda unterband alles Herumgemaule sofort mit ihrem besten Bösen Blick. Aber Frau Nordstrom ergriff das Wort, denn schließlich wurden ja sie und ihr Mann hier vorab verurteilt und zwar bevor man sie überhaupt zuerst kennengelernt hatte. »Also, dann habt ihr ja nichts dagegen, wenn wir ohne eine Vorwarnung den Haialarm üben? Ihr seid doch so fit und einige von euch haben sogar schon bei Haikämpfen gewonnen, hat mir meine Schwiegermutter erzählt.« »Die alte Übung aus der Ausbildung? Bei der ein Ausbilder ‚Haiangriff!‘ schreit und man muss schnell ausweichen oder sich kampfbereit machen?«, fragte ein sehr gelangweilt wirkender Jungwächter. Der Streit zwischen Nadjeschda und Roberta, der in einer unspektakulären Blödelei geendet hatte, war ja noch viel aufregender gewesen, als solche überalterten Ausbildungsmethoden. Frau Nordstrom nickte begeistert mit einem breiten Grinsen. »Na, wenn es ihnen Spaß macht, Frau Ausbilderin. So etwas ist ein alter Hut für uns und wir wurden nie geklatscht. Wir Jungwächter sind eben die Elite.« »Klasse. Ich freue mich schon«, grinste Frau Nordstrom. »Und was können wir tun, um ihren Mann glücklich zu machen? Der scheint ja kaum mehr Power zu haben«, ätzte eine freche Jungwächterin. Der Tonfall trieb Nadjeschda die Zornesröte ins Gesicht, aber sie schwieg. Ihre Freunde mussten sich wohl erst beweisen, um den Respekt der anderen Delphine am Posten zu verdienen. Unnötig frech fand sie ihre Jungwächter aber trotzdem. Herr Nordstrom war zwar schon wieder recht gut erholt, aber trotzdem röchelte er, »Also wisst ihr, ich bin recht gut im Zusammenstellen von Patrouillen. Da muss man zum Glück ja selbst nicht der Schnellste oder Stärkste sein.« Demonstrativ hustete Herr Nordstrom noch für sein Publikum, dann setzte er fort, »Daher machen wir morgen bei Sonnenaufgang einfach ein kleines Wettschwimmen als Leistungstest und eine kleine Runde am Übungsplatz. Wenn ich euch besser einschätzen kann, dann kann ich sicher einige super Patrouillen zusammenstellen und mit etwas Glück, seid ihr uns in einer Woche wieder los. Ach ja. Ich hab meiner kleinen Tochter versprochen, dass sie auch mal gegen einen vitalen und superschnellen Jungwächter antreten darf, um zu sehen, wie schnell so ein junger und dynamischer Wächterdelphin ist. Seid bitte nicht zu hart mit ihr.« Ein genauer Beobachter hätte beobachten können, wie die Bäuche von Herrn und Frau Nordstrom glucksten, als sie ihre harmlosen Bitten äußerten. Herr Nordstrom wandte sich seiner Tochter zu, »Komm, Schatz. Wir brauchen ein Quartier für die Nacht. Schwimm mit deinem alten, gebrechlichen Paps.« Dann verschwanden beide nach draußen. Frau Nordstrom verabschiedete sich noch von Nadjeschda und wandte sich dem Ausgang zu, da ätzte einer der Jungwächter noch, »Sind wir hier in der ersten Klasse? Was soll das werden, mit den zwei Schlaffis und der frechen Kaulquappe?« »Haiangriff!« »Wa...« PATSCH. Frau Nordstrom fand, es war genug. Ihr Angriff kam so schnell, dass sie den Jungwächter voll erwischte. Obwohl der Schlag angekündigt war, konnten alle frechen Jungwächter nur doof glotzen und der frechste von ihnen klatschte unsanft gegen die Seitenwand des Eingangsbereichs. »Oh, Elend. Wo kam das denn her?«, jammerte er, als er die Wand herunterrutschte. Entsetzen machte sich in den Gesichtern der anderen Jungwächter breit. Nur Frau Nordstrom strahlte und schwamm verzückt ihrer Familie nach.
»Ähm. Dieser seitwärts ausgeführte Schlag war übrigens ein Nordstrom Spezialschlag. Falls es euch nicht aufgefallen sein sollte, Frau Nordstrom kann sehr schnell und hart zuschlagen. Vielleicht nehmt ihr das Ganze jetzt doch ein wenig ernster, denn ich hab sie extra herbestellt, damit wir eure Reflexe auf Vordermann bringen und eure Leistung verbessern. Also, bis morgen und gebt euch Mühe.« Alle Wächterdelphine nickten und schluckten, auch die vor den Fenstern. Morgen würde ein interessanter Tag werden.
Nadjeschda folgte den Nordstroms, die ja noch gar nicht wussten, dass ihre Wohnhöhle nicht fertig war. Morgen kam der nächste Bautrupp der Meermenschen und würde erst dann beginnen, die nächsten zehn bis zwanzig Wohnhöhlen mit Zirkulationssystemen und Spiegeln auszustatten. Nur die groben Arbeiten konnten von den Delphinen selbst erledigt werden, da Delphine ja keine Hände hatten. Nadjeschda bemerkte sofort, dass ihr vier von den Wächterdelphinen, die von draußen alles beobachtet hatten, folgten. Nadjeschda und ihre Wächterdelphine hatten gleichzeitig die Nordstroms erreicht, aber die Wächterdelphine schwiegen, bis sie ihre strenge Chefin auffordern würde, sich mitzuteilen. Nadjeschda führte ein strenges Regime.
»Manfred, Silke. Stopp. Kaulquappe, du auch.« Die Nordstroms drehten sich um und Roberta legte gleich los, »Ich hab auch einen Namen. Ärger mich nicht dauernd!« »Du hast dich nur meinem Stellvertreter Rüdiger vorgestellt. Also hast du keinen Namen, bis du dich ordentlich vorgestellt hast. Nachdem du heute sehr frech warst, erwarte ich ein bisschen Disziplin von dir, Kaulquappe.« »Na gut. Also, ich heiße Roberta Nordstrom und bin schon bald ein Jahr alt. Und natürlich bin ich keine Kaulquappe, denn ich bin ja schon fast erwachsen. War das gut so oder soll ich noch ein Gedicht aufsagen, alte Schachtel? Du hast dich bei mir ja auch noch nicht ordentlich vorgestellt, hihi.« Roberta grinste frech und Nadjeschda lief rot an. Aber dann dachte sie kurz nach und ihr fiel auf, Roberta hatte recht. Sofort war ihre Gesichtsfarbe wieder normal und statt dem strengen Gesichtsausdruck war sie plötzlich wieder freundlich. Höflich erwiderte sie, »Gut pariert, Roberta. Mein Name ist Nadjeschda und ich bin die Kommandantin des Wächterpostens dieser neuen Siedlung. Und ich freue mich sehr, dass ihr heute schon angekommen seid.« Roberta war hin und hergerissen, ob sie Nadjeschda jetzt mögen oder hassen sollte. Schließlich lächelte sie und sagte noch, »Es freut mich dich kennenzulernen, Nadjeschda.« Nadjeschda nickte freundlich und dann wurde sie wieder streng und drehte sich zu den vier Wächterdelphinen um, »Euren Bericht, bitte.« Zuerst glotzten die vier ihre Chefin nur an, denn diese Stimmungswechsel waren in den letzten Monaten, seitdem das Projekt begonnen hatte, auch noch nie vorgekommen. Dann stotterte der erste los, »Also, ähm, im nördlichen Jagdrevier gab es keine Zwischenfälle. Hmmm. Alle Versorgerdelphine der Jagdtruppe sind sicher und wohlbehalten zum Versorgungsstützpunkt zurückgekommen.« Nadjeschda nickte kurz und dann berichtete der zweite, »Auch im südlichen Jagdrevier war alles ruhig. Versorgerdelphine sind bis auf Stefan okay. Der hat sich wieder etwas verrenkt und ist zum Sanitätsdelphin geschwommen. Seinen Futterfischbeutel haben wir für ihn am Versorgungsstützpunkt abgegeben. Seine Frau Elke am Stützpunkt hat zuerst gekichert und ihn dann wie immer einen Blödfisch genannt.« »Zu viele Details. ‚Ein Versorgerdelphin musste zum Sanitätsdelphin wegen Überanstrengung‘, hätte gereicht.« »Jawohl.« »Wegtreten. Ihr habt Feierabend.« »Jawohl.«
Die Wächterdelphine schwammen zwar weg, aber sie waren verdächtig langsam. Offensichtlich waren die vier ganz neugierige Schnäbel und hofften, noch etwas Interessantes zu erfahren. Nadjeschda drehte sich zufrieden um und lächelte jetzt wieder. »Wir haben erst in ein paar Tagen mit euch gerechnet und eure Höhle ist noch nicht fertig. Ihr seid heute Abend meine Gäste, wenn ihr möchtet. Ihr könnt gerne bleiben, bis eure Höhle fertig ist.« Nadjeschda blickte auf den fast leeren Delphinbeutel von Frau Nordstrom und zog daraus den falschen Schluss, »Vielleicht hättet ihr normal schwimmen sollen, anstatt Roberta in den Beutel zu stopfen und so zu rasen. Und dann noch dieses doofe Wettschwimmen gegen deine ausgeruhte Tochter. Das hättest du doch besser wissen müssen, Manfred.« Mama und Papa Nordstrom blickten verwundert auf Nadjeschda. Da gab es jetzt ein Missverständnis. Bevor sie es aufklären konnten, schlug Roberta vor, »Machen wir beide doch ein kleines Wettschwimmen, wenn du glaubst, dass du mich besiegen kannst.« Roberta beobachtete erwartungsvoll die Kommandantin. »Schnellschwimmen in der Siedlung ist verboten. Das gefährdet die Bauarbeiter. Außerdem wäre es ja unfair, weil ich im Gegensatz zu dir schon wirklich erwachsen bin.« »Tja, ich sehe nur niemand mehr arbeiten. Es wird ja auch schon dunkel. Ich glaube, du bist einfach nur zu alt, um mit mir mithalten zu können«, kicherte Roberta und setzte ihre unschuldigste Miene dabei auf. ‚Nadjeschda necken‘ schien Robertas neues Hobby zu sein. Ein wenig verärgert parierte Nadjeschda, »Na gut, freche Kaulquappe. Und für die Zukunft, also nachdem ich dich locker besiegt habe, ist es unhöflich über das Alter einer Delphindame zu lästern.« »Wenn ICH dich locker besiegt habe, darf ich aber weiterlästern«, gab eine grinsende Roberta zurück. Verblüfft sah sich Nadjeschda dieses freche Lausedelphinmädchen an und nickte, »Abgemacht, kleines Lästermaul. Siehst du den Mast von dem Schiffswrack dort vorne? Ist ein bisschen weit für einen Zwerg wie dich, aber du wolltest es so. Beim Mast wenden und dann hierher zu deinen Eltern zurückschwimmen. Keine Sorge, ich packe dich bei der Schwanzflosse und bring dich im Schnabel wieder zurück, falls du schlappmachst. Du darfst zuerst starten.« Darauf hatte Roberta gewartet. Sie nickte nur kurz, drehte sich um und schoss in atemberaubender Geschwindigkeit davon. »Verdammt!«, war das Einzige, was Nadjeschda noch sagen konnte, bevor sie in Höchstgeschwindigkeit die Verfolgung aufnahm. Frau Nordstrom blickte den beiden nach, »Wer wird gewinnen?« »Nadjeschda wurde von Mama trainiert und Roberta hat offensichtlich die Gene von Mama geerbt. Da bin ich überfragt«, erwiderte Herr Nordstrom.
Nicht einmal beim Wettschwimmen mit ihren schnellsten Wächterdelphinen hatte sich Nadjeschda jemals so anstrengen müssen. Der Mast des Wracks kam rasend schnell näher und Nadjeschda hatte gerade mal aufgeholt. Kaum hatte Roberta sie aus dem Augenwinkel wahrgenommen, war ihr Gesichtsausdruck verbissener geworden und sie hatte nochmal kräftig zugelegt. Kaum war Nadjeschda wieder gleich auf, musste sie auch schon für die Wende abbremsen. Roberta bremste nicht oder viel mehr bremste sie zu spät. ‚Aha. Wendemanöver sind wohl deine Schwachstelle. Woher solltest du die in deinem Alter schon können?‘, dachte sich Nadjeschda und wurde sogar extrem langsam. Gemütlich schwamm sie eine Wende, damit Roberta Zeit hatte zu bremsen und irgendwie zu wenden. Diesen Vorteil auszunutzen, wäre gegen Nadjeschdas Wächterdelphinehre gewesen. Roberta bremste mit einer Umkehrrolle und schaffte die Wende. Allerdings hatte sie die ganze Geschwindigkeit eingebüßt und musste wieder von vorne Geschwindigkeit aufbauen. Nadjeschda schwamm bereits langsam wieder zurück und wollte auf aber Roberta warten, damit diese wieder aufschließen konnte. Und diese schoss auch gleich an Nadjeschda vorbei. Dem roten Kopf zufolge, strengte sich Roberta jetzt sehr an. ‚Blöd, blöd, blöd. Ich hätte sie lieber mit einem Blick nach hinten beobachten sollen‘, ärgerte sich Nadjeschda und nahm die Verfolgung eiligst auf. Roberta einzuholen und dann auch noch zu überholen, dauerte länger, als Nadjeschda je gedacht hätte. Aber sie schaffte es kurz vor Robertas Eltern und die beiden wurden in Nadjeschdas und Robertas Sog wild umhergewirbelt. Beim Bremsmanöver nahm Nadjeschda wieder Rücksicht auf Roberta. Dann schwebten beide über dem Wächterposten. Selbst der Bremsweg war ganz schön lang gewesen. »Na gut, du hast gewonnen«, maulte Roberta. Dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck und sie wirkte plötzlich irgendwie glücklich, »Du schwimmst ja so schnell wie mein bester Freund. Das ist eigentlich ziemlich cool. Wo hast du so Schwimmen gelernt?« »Du wirst vielleicht überrascht sein, aber das Schnellschwimmen habe ich von deiner Oma gelernt. Wir beide sind gute Freunde.« »Meine Oma?«, jubelte Roberta. Im nächsten Moment klebte Roberta schon auf Nadjeschdas Kopf. Ihre Schwanzflosse versuchte sie um Nadjeschdas Schnabel zu wickeln und Nadjeschdas Backen wurden von Robertas Seitenflossen eingeklemmt. Nadjeschda spürte wie Robertas ganzer Körper leicht vibrierte und das kleine Herz raste. »Ich mag dich. Du bist ab jetzt meine beste Freundin hier in der neuen Siedlung«, beschloss Roberta einfach. »Hmpf«, erwiderte Nadjeschda erstaunt. Nadjeschda strahlte jetzt ebenfalls über das ganze Gesicht. Auch wenn Roberta anscheinend ein kleines Lausedelphinmädchen war, so hatte sie Nadjeschdas Herz doch im Sturm erobert.
»Ach so. Dein Paps war nie am Spielplatz mit und du wolltest ihm zeigen, wie toll du schon schwimmen kannst.« Nadjeschdas strafender Blick ließ Papa Nordstrom in der Liegemulde am Esstisch zusammenschrumpfen. »Aber nicht doch. Dein Paps war ja auch immer sehr beschäftigt. Erzähl doch mal von unseren Aufgaben, Roberta.« Frau Nordstrom fand es besser, ihre Tochter reden zu lassen. Der Gesichtsausdruck von Nadjeschda war immer freundlich und warmherzig, wenn sie sich Roberta zuwandte. Sie wirkte schlagartig zehn Jahre jünger. Es war faszinierend. Nur ein wenig eifersüchtig wurde Mama Nordstrom schon, denn Roberta hatte sich gleich unter Nadjeschdas Seitenflosse gekuschelt, nachdem sie gegessen hatte. Roberta hatte den vorletzten der schnellen Futterfische aus dem Beutel in Rekordzeit verdrückt und die anderen waren jetzt noch nicht einmal zur Hälfte mit dem Essen fertig. Den letzten schnellen Futterfisch wollte Roberta morgen zum Frühstück essen. Papa Nordstrom nahm es eher gelassen und kaute vergnügt seinen langsamen, bodenständigen und äußerst leckeren Futterfisch nach alter Nordstrommanier. Roberta erklärte die Aufgaben, die Mama in der Ausbildung und Fortbildung hatte. Eigentlich waren Robertas Eltern ja noch sehr jung, aber wegen ihrer Leistungen hatte man ihnen schon sehr früh mehr Verantwortung übertragen. Über ihren Paps wusste sie auch alles, denn er war nicht nur einer der beiden Stellvertreter von Herrn Mondschein, er war auch der Ausbilder für die Nachtpatrouille. Dass er einer der routiniertesten Patrouillenführer war und sehr viel Erfahrung im Umgang mit Haien hatte, erzählte Roberta mit besonders viel Stolz.
Nadjeschda war fasziniert, wie detailreich Roberta alles beschrieb und wie gut ihr Umgang mit der Delphinsprache schon war. Was sie erzählte klang vernünftiger als das Geplapper mancher Jungdelphine, die schon die erste Schulklasse besuchten. Ein Erstklässler war gute drei Jahre älter als Roberta und sie klang wirklich beinahe wie eine Erwachsene. Artig bedankte sich Nadjeschda für den tollen Bericht, was diese mit einem Lächeln und einem anschließenden Gähnen quittierte. »Dann bringe ich dich wohl gleich ins Gästequartier. Kommst du mit?« Roberta nickte und folgte brav.
Als Nadjeschda wieder zurück bei Tisch war, hatten Manfred und Silke den Esstisch gesäubert und der vormals leere Delphinbeutel war jetzt mit Speiseresten gefüllt. Robertas Lieblingsfisch lag dafür einsam und allein auf dem Platz, an dem Roberta vorhin gegessen hatte. »Tagchen«, ertönte eine sanfte, tiefe Stimme aus der Eingangshöhle. Auch ein helles Kichern war zu hören. Im nächsten Moment kamen zwei ältere Delphine direkt in die Wohnhöhle geschwommen. Beide sahen Nadjeschda an und sagten, »’tschuldigung, falsche Höhle.« Sie machten kehrt und wollten verschwinden, da rief Nadjeschda schnell, »Stefan, Elke! Das sind die Nordstroms, meine Gäste. Ihr seid schon richtig hier. Und warum habt ihr mich so angeglotzt?« Zaghaft wendeten beide wieder und Stefan stammelte, »Äh, es wird schon finster draußen. Wir haben dich wohl nicht gleich erkannt.« »Das ist nicht Nadjeschda. Unsere Nadjeschda ist viel älter und schaut auch immer ganz finster drein«, flüsterte Elke ihrem Mann ins Ohr. Natürlich hatte es jeder gehört und plötzlich war die alte Nadjeschda wieder da und blickte säuerlich auf die Neuankömmlinge. »Boa, was für ein toller Trick. Kannst du mir den beibringen? Ich will auch wieder jung und wunderschön aussehen.« Elke hatte zwar das Taktgefühl eines Pottwals im Korallenwald, aber sie war immer von Grund auf ehrlich. Die Nordstroms kicherten, aber Stefan war die Direktheit seiner Frau etwas peinlich. »Bin ich nicht immer jung und wunderschön?«, wollte Nadjeschda gleich wissen. Stefan stotterte, »Ähhhh, du bist immer etwas ernster. Wegen der Verantwortung und so. Glaub ich.« »Gut gerettet«, kicherte Manfred.
Dann stellte Nadjeschda kurz alle offiziell vor. Stefan war der Chef der Jagddelphine vom Versorgungsstützpunkt und seine Frau Elke leitete sogar den Versorgungsstützpunkt. Beide waren sehr nett und Elke kicherte ziemlich häufig. Sie war eine echte Frohnatur. Nach der Vorstellungsrunde nahmen Elke und Stefan Platz. Erst jetzt bemerkte Stefan den Futterfisch auf dem Esstisch und zuckte entsetzt zusammen, »Das ist er! Das ist er! Dieses kleine Mistvieh ist mein Erzfeind. Diese Sorte ist ganz schwer zu fangen.« Elke kicherte und Frau Nordstrom fragte besorgt, »Tja, das ist schade. Unsere Tochter liebt diesen Fisch und wir wollten euch fragen, ob wir ab und zu genau einen von dieser Sorte für sie bekommen können?« Elke wälzte sich vor Lachen in ihrer Liegemulde hin und her. Stefan wurde jedoch weiß wie eine Wand. »Wenn es nicht geht, dann geht es eben nicht«, seufzte Frau Nordstrom. Nadjeschda beobachtete anfangs nur. Aber das Grinsen in Manfreds Gesicht störte sie irgendwie, »Spuck es aus, Manfred.« Dieser kicherte, »Nicht so schlimm. Dann hat sich Roberta wenigstens schneller an unseren bodenständigen und megaleckeren Lieblingsfisch gewöhnt. Sie kann ja nicht ewig ein Baby bleiben.« Frau Nordstrom unterband weitere dümmliche Bemerkungen, indem sie ihren Mann mit einer heftigen Kopfnuss mit ihrem Schnabel belohnte. Nach diesem kurzen, lauten und schmerzvoll klingenden TOCK, war es augenblicklich still in der Wohnhöhle und alle blickten auf Frau Nordstrom. »Was schaut ihr alle? Seine Mama hat es mir erlaubt, für den Fall, dass er sich ungebührlich benimmt. Außerdem will Schwiegermutter ebenfalls, dass Roberta zur Abwechslung diesen Fisch ab und zu bekommt. Dann jage ich ihn eben selber.« Herr Nordstrom schmollte, während eine hübsche Beule auf seiner Stirn wuchs. Stefan ergriff das Wort, »Ich sagte nur, dass es schwierig ist. Nicht, dass es unmöglich ist. Diesen hier hat ja schließlich auch jemand gefangen. Ich denke, einen oder zwei pro Woche sollten wir hinkriegen. Da steht ja auch meine Ehre als Chef der Jagdtruppe auf dem Spiel.« »Da wirst du dir wieder etwas verrenken«, kicherte Elke. Stefan wusste, was das bedeutete. Bei jeder Verrenkung nannte ihn Elke einen Blödfisch, weil er gerne schwierige Fische jagte und nicht mehr der Jüngste war. War er aber häufiger verletzt, nannte sie ihn auch einen Trottelfisch, der nichts dazulernte. »Wir sind zu wenige Versorgerdelphine und die schwierigen Futterfische jage ich eben lieber persönlich. Ich kann doch die Enkeltochter von unserer rasenden Roberta nicht enttäuschen.« Elke sah ihren Mann fragend an. Nadjeschda seufzte, »Stefan meint eure Freundin Enterhaken. Ihr müsst Elke entschuldigen, aber manche Namen bleiben bei ihr nicht hängen. Dann vergibt sie einfach einen neuen Namen. Keine Sorge, ihr gewöhnt euch schon daran.« Die Nordstroms kicherten. Oma Nordstrom hatte ja viele Details verschwiegen, aber das hier hätten die Nordstroms sowieso niemals geglaubt. »Hat das etwas mit deinem Alter zu tun, Elke? Ich meine das mit den Namen«, wollte Mama Nordstrom wissen. »Ach, nein. Ich konnte mir noch nie Namen merken. Bei Familiennamen habe ich ein besseres Gedächtnis. Herr und Frau Nordstrom«, lächelte Elke und Stefan nickte ganz stolz. »Du könntest vielleicht Oma Nordstrom statt Enterhaken sagen. Ginge das nicht auch?«, schlug Manfred Nordstrom vor. »Oma Nordstrom? Super Idee! Danke Mammut. Ich meine Markus. Makrele. Mafrett. Was soll’s. Ich sag einfach Herr Nordstrom und Frau Nordstrom. Silke merke ich mir ja vielleicht auch nicht. Gute Nacht und bis morgen beim Wettschwimmen. Ich will unbedingt dabei sein«, kicherte Elke und war schon weg, ohne auf eine Antwort zu warten. »Tja, dann schwimmen wir wohl heim. Gute Nacht.« Schnell schwamm Stefan hinterher und er war froh, seinen Erzfeind auf dem Tisch nicht mehr sehen zu müssen.
»Elke und Stefan. Eigentlich finde ich, sie sind schwer in Ordnung«, erklärte eine etwas verblüffte Mama Nordstrom. »Ich finde sie etwas schrullig. Und das ist unfair. Deinen Namen hat sich Elke gemerkt. Ich habe es genau gehört. Nur meinen schönen Namen nicht«, schmollte Manfred. Nadjeschda kicherte, »Schwimm jetzt schlafen, Silke und nimm bitte deinen Babydelphin mit. Ich kann seine Nörgelei nicht mehr hören.« Silke kicherte und deutete ihrem Mann, vorauszuschwimmen. Schmollend machte sich Manfred auf den Weg zum Gästeabteil hinter der Wohnhöhle. Silke folgte. Beide schwammen aber gleich wieder aus dem Gästeabteil heraus, denn da fehlte jemand. Sie wollten schon Nadjeschda fragen, wo diese Roberta eigentlich untergebracht hatte, da sahen sie ihre Freundin mit einem Lächeln vor ihrem Schlafabteil schweben. »Wir vermissen unsere Tochter. Wenn ich dich so lächeln sehe, dann kann ich mir denken, wo sie steckt.« »Sie hat sich in mein Schlafabteil geschlichen, um mit mir zu kuscheln. Das ist so lieb von ihr. Du hast eine tolle Tochter. Na dann, gute Nacht.« Nadjeschda schwamm verzückt und sehr leise in ihr Schlafabteil, kuschelte sich zu Roberta und legte sanft eine Seitenflosse um den süßen Minidelphin. Mama Nordstrom schwamm verärgert ins Gästeabteil zurück und maulte leise, »Hey! Das ist meine Tochter. Ich will auch kuscheln.« Jetzt kicherte Manfred, »Schmoll hier nicht rum. Und zum Kuscheln hast du ja noch mich.« »In der Not frisst der Teufelsrochen wohl auch Fliegenfische«, erwiderte seine Frau trocken. Herr Nordstrom legte sich neben seine Frau und überlegte, ob er jetzt sauer sein sollte oder nicht. Liebevoll streichelte Silke mit ihrem Schnabel über seinen Schnabel und da war die Entscheidung nicht mehr schwer. Kuscheln war angesagt.
Roberta kam in die Wohnhöhle geschwommen und gähnte noch ein letztes Mal genüsslich. Der Muskelkater machte es schwer, sich zu bewegen. Alles spannte, alles schmerzte. Nadjeschda kicherte, »Guten Morgen. Muskelkater? Da wirst du heute beim Wettschwimmen wohl nicht mitmachen können. Und deine Eltern wahrscheinlich auch nicht.« Roberta kicherte nur und fing an, die Dehnungsübungen zu machen, die Herr Magergräte der ganzen Familie gestern erst beigebracht hatte. Mitten in der Wohnhöhle bog sie sich komplett durch, während sie ganz langsam schwamm. Das war natürlich erst die erste Übung. Fasziniert beobachtete Nadjeschda das Schauspiel. Nach zehn Minuten hörte sie auf und bewegte sich wieder ganz normal, als wäre nie etwas gewesen. Dabei grinste sie so breit sie konnte. »Verstehe. Das waren ja sehr seltsame Übungen und offensichtlich haben sie dir auch sofort geholfen.« Roberta nickte heftig und dann kamen ihre Eltern plötzlich aus der Eingangshöhle. »Ihr ward draußen? Ich dachte, ihr schlaft noch und jammert über euren Muskelkater, den ihr nach der rasanten Reise hierher haben müsstet.« Herr und Frau Nordstrom grinsten jetzt genauso, wie Roberta es vorhin getan hatte. »Soso. Also habt ihr die gleichen Übungen wie Roberta gemacht. Da ihr mehr Platz braucht, ward ihr draußen.« Alle drei Nordstroms kicherten. »Du hast dir wohl schon Sorgen gemacht, wir hätten gestern den Schnabel zu voll genommen?«, erkundigte sich Mama Nordstrom. »So schlapp wie Manfred gestern war, hätte ich heute keine Wetten auf ihn abgeschlossen. Ich denke, heute gibt es für einige sehr junge und sehr freche Wächterdelphine eine sehr böse Überraschung. Und jetzt wird erst einmal gefrühstückt.«
Während des Frühstücks erzählte Nadjeschda von dem Besuch von Elke und Stefan gestern Abend. Beide würden ein wenig auf Roberta aufpassen, wenn ihre Eltern arbeiten mussten. Robertas Freude hielt sich natürlich in Grenzen, da sie von Mama Nordstrom auch verboten bekommen hatte, den Wächterposten zu besuchen, um den Betrieb nicht zu stören. Roberta und Nadjeschda fanden das beide sehr schade, aber vermutlich war es besser so. Nadjeschda mochte es aber gar nicht, von Mama Nordstrom nicht einmal gefragt zu werden. Schließlich war ja Nadjeschda die Kommandantin und nicht Mama Nordstrom. Außerdem hätte die Kommandantin für Roberta sicher eine Ausnahme gemacht.
Nach dem Essen schwammen die vier gemütlich zum Startbereich für das Wettschwimmen. So wie bei Leistungstests, die schon früher stattgefunden hatten, war der Startbereich am Posten selbst und das Ziel war der Mast des Schiffswracks, welches direkt hinter der Siedlung lag. Einige Delphine der Bautrupps und auch einige des Versorgungsstützpunktes wollten sich das Wettschwimmen nicht entgehen lassen. Stefan und Elke waren aber noch nirgends zu sehen.
Im Startbereich warteten schon Waltraud und Rüdiger. Beide nickten der kleinen Gruppe freundlich zu und Rüdiger erstattete sofort Bericht, »Morgen, Chefin. Morgen, Kollegen. Und ein herzliches guten Morgen für meine kleine Freundin, Roberta.« Rüdiger zwinkerte Roberta zu und diese kicherte sofort und wurde leicht rot. Waltraud stupste ihren Mann mit der Seitenflosse an die Flanke, damit er fortfuhr. »Die Wachposten sind an den Stränden auf zwei routinierte Wächterdelphine reduziert und der Rest ist hier zur Einstufung versammelt. Die Jagdtrupps vom Versorgungsstützpunkt möchten sich noch die ersten Wettschwimmen ansehen, bevor sie aufbrechen. Ältere Wächterdelphine schwimmen später und die jungen sind schon in einer Reihe angetreten, um den Anfang zu machen.« Nadjeschda war wieder zur strengen Delphindame geworden, als sie sich genähert hatten. Ohne eine Regung im Gesicht erteilte sie ihre Befehle, »Danke, Rüdiger. Waltraud, Punkterichter. Rüdiger, teil mit Manfred die Paarungen ein. Ich sehe mir unsere Jungwächter jetzt persönlich an.« Waltraud nickte nur kurz und machte sich gleich auf den Weg.
Aus den Reihen der Jungwächter war wieder Gemecker zu hören, »Habt ihr die albernen Übungen heute morgen gesehen?« »Vor der Höhle der Chefin?« »Die macht man wohl in Schlaffihausen.« »Kicher.«
Frau Nordstrom schwamm vor Nadjeschda und begrüßte die frechen Jungwächter mit einem breiten Grinsen. Sofort verstummten alle meckernden Delphine in der vorderen Reihe, dafür drang aus den hinteren Reihen jetzt leises Gekicher. Die Überheblichkeit der Jugend war für die älteren Wächterdelphine zeitweise mühsam und nur schwer zu ertragen. Frau Nordstrom machte Platz und Nadjeschda baute sich vor den Jungwächtern auf. Ihr viel sofort auf, dass Arthur noch eine dicke Backe von gestern hatte. Er schien auch heute noch sehr rebellisch zu sein. Als schnellster Delphin der Jungwächter war er wie ein Rädelsführer in den letzten Wochen geworden und die selbsternannte Elite hörte immer weniger auf die Stimme der Vernunft. Streng schaute Nadjeschda in die Runde, da ertönte von rechts ein Schrei, »Haiangriff!«
Stefan und Elke waren herangeschwommen, blieben aber lieber auf Distanz, um die Einweisung nicht zu stören. Frau Nordstrom trainierte wohl gerade die Jungwächter, denn sie hatte, »Haiangriff!«, gerufen, aber etwas war seltsam. Sie hatte nicht einen der Jungwächter angegriffen, sondern die Chefin persönlich. Alles sehr seltsam.
Nadjeschda sah den Angriff aus dem Augenwinkel und rollte einfach nach unten ab. Dabei behielt sie die Jungwächter aber trotzdem immer im Blickfeld, um deren Reaktion zu studieren. Der Nordstrom Spezialschlag ging ins Leere und eine kichernde Frau Nordstrom schwamm einfach weiter, als ob es den Schlag nie gegeben hätte. Dann schwamm sie wieder gemütlich zurück und fixierte ebenfalls die Jungwächter. »Ich spiele eigentlich nicht bei deinem Reflextraining mit, Silke«, informierte Nadjeschda trocken. »Wollte nur wissen, ob du’s noch drauf hast«, kicherte Frau Nordstrom. In den hinteren Reihen war man entsetzt und schluckte heftig. Wenn die garstige Frau Nordstrom sogar die Chefin mit einem Überraschungsangriff beglückte, konnte sie das auch bei jedem ihrer Kollegen jederzeit tun. Nach dem ersten Schrecken änderte sich aber etwas. Wächterdelphine mussten ja ohnehin immer und überall bereit sein, um auf Unvorhergesehenes reagieren zu können. Für einen echten Wächterdelphin war die Reflexübung keine Strafe oder Plage, es war eine Herausforderung. Die älteren Wächterdelphine grinsten und freuten sich schon darauf, irgendwann vielleicht auch einmal getestet zu werden. Es war gut, dass Frau Nordstrom da war und alle auf Trab hielt. Die Jungwächter waren aber irgendwie nicht in so guter Stimmung.
Nadjeschda hielt ihre Strafpredigt und diese war sehr unvorteilhaft für die jungen Wächterdelphine. Nur einer war korrekt in Abwehrposition gegangen und die anderen hatten sich entweder hinter ihren Kollegen versteckt oder glotzten nur ungläubig in der Gegend herum. Dass die Chefin auch noch mühelos einem seitlichen Angriff, den sie kaum gesehen haben konnte, ausgewichen war, beunruhigte und beeindruckte die jungen Wächterdelphine noch zusätzlich. Herr Nordstrom und Roberta vertrieben sich derweil die Zeit, um hinter der nörgelnden Nadjeschda noch ein paar der Dehnungsübungen zu machen, über welche sich die Jungwächter so verächtlich lustig gemacht hatten.
»Mir ist das zu gefährlich dort«, bemerkte Stefan trocken. »Was machen Herr Nordstrom und der Minidelphin da für komische Verrenkungen? Seltsam. Das muss so eine Delphinsache sein«, vermutete Elke. »Komm, Liebes. Warten wir lieber im Zielgebiet. Der Minidelphin müsste die Tochter sein, auf die wir aufpassen sollen. Und wir sind übrigens auch Delphine, also sollten wir da nicht wissen, was diese Verrenkungen bedeuten?« Elke und Stefan machten kehrt und unterhielten sich weiter, »Naja, so eine Delphinsache aus einer anderen Siedlung eben. Ein lokaler Brauch. Sah irgendwie auch lustig aus. Ich werde einfach Tochter Nordstrom fragen, was es damit auf sich hat.« Stefan nickte zustimmend.
Die Familie Nordstrom war während der Strafpredigt sichtlich amüsiert gewesen. Aber die jungen Wächterdelphine waren es nicht. Sogar Gallahad war betrübt durch die Schelte, obwohl er als Einziger nicht gepatzt hatte. Nadjeschda und Frau Nordstrom schwammen danach Richtung Versorgungsstützpunkt. Dieser lag in etwa auf halber Strecke und von dort aus konnte man das Wettschwimmen besser beurteilen, sowie mit Start und Ziel auch noch Kontakt halten. Kaum war Nadjeschda weg, fingen die Jungwächter wieder an herumzumeckern. Gegen die Argumente über ihre schlechten Reflexe konnten sie jetzt nichts mehr sagen, denn die Chefin persönlich hatte mit ihrem flinken Ausweichmanöver alle deklassiert und das musste man jetzt neidlos anerkennen. Nur dieser Schlaffi, Herr Nordstrom, und diese freche Kaulquappe sollten nicht so schadenfroh sein. Das tat weh.
»Röchel, Hust. Na, wer von dieser Jungwächter-Elite ist denn nun der Schnellste? Solange ich noch ausgeruht bin, würde ich mich sehr freuen, gegen den Stärksten von euch anzutreten.« Rüdiger hatte zwar andere Paarungen im Sinn gehabt, aber das konnte jetzt interessant werden. Der freche Arthur schwamm vor, »Das wäre dann wohl ich. Machen wir das Ganze aber reizvoller, damit ich auch motiviert bin, gegen einen Schlaffi mein Bestes zu geben. Eine Wette.« Entsetzt riss Herr Nordstrom die Augen auf und dann hüstelte er, »Na gut. Wer verliert, darf einen Tag lang das Stille Örtchen am Wächterposten reinigen.« Die jungen Wächterdelphine kicherten. »Das ist mir zu mickrig. Ich schätze, eine Woche wäre genau das richtige Maß«, erwiderte Arthur. Herr Nordstrom nickte und seinen glucksenden Bauch bemerkten die Jungwächter gar nicht. Nur Roberta achtete auf solche Details und bat darum, den Startbefehl geben zu dürfen.
»Aaaaaachtung. Los!« Arthur startete sofort, aber Herr Nordstrom nahm sich noch die Zeit, seiner kichernden Tochter zuzuzwinkern. Kurze Zeit später schwamm er neben Arthur und kam auch gleich an seiner Frau und Nadjeschda vorbei. Arthur hatte verzweifelt die Zähne zusammengebissen, denn er hatte Herrn Nordstrom schon neben sich bemerkt. Daher versuchte er schneller zu schwimmen und sein Kopf wurde schon ganz rot vor Anstrengung. »Ich danke dir, dass du dich freiwillig gemeldet hast, das Stille Örtchen zu reinigen«, kicherte Herr Nordstrom. Dann bis auch er die Zähne zusammen und strengte sich jetzt erst so richtig an. Herr Nordstrom raste so schnell durch das Ziel, dass Elke sogar im ersten Moment vergaß den Verlierer auszulachen. Elke vertrat die Ansicht, dass die Verlierer beim nächsten Wettschwimmen schneller schwimmen würden, um nicht mehr von ihr ausgelacht zu werden. Nur wenige Delphine konnten der Logik von Elke wirklich folgen. Erst als Arthur keuchend im Ziel im Wasser hing und säuerlich Herrn Nordstrom anstarrte, der schon wieder diese komischen Übungen von vorhin machte, platzte es aus Elke heraus, »Hobelbank hat verloren, Ätschibätsch!« Arthur, dessen Namen sich Elke auch nicht merken konnte, bekam einen knallroten Kopf und ließ die Flossen hängen. Herr Nordstrom blieb ruhig vor ihm schweben und munterte Arthur auf, »Ach, komm schon. Du bist doch super geschwommen, Hobelbank.« »Tja. Und jetzt hat Elke mich zum ersten mal ausgelacht, seit ich hier bin. Ihr habt nur zwei Tage hierher gebraucht. Ich hätte wohl mein Hirn einschalten sollen. Das war eine echt tolle Leistung, so weit und dann auch noch so schnell zu schwimmen.« Gemütlich schwammen beide zurück zum Startbereich. Arthur war aber nicht gleich auf. Aus Respekt vor Herrn Nordstrom schwamm er jetzt leicht versetzt hinter ihm. Das hatte er auch noch nie gemacht, seit er hier am Posten seinen Dienst versah. Auf halber Strecke gratulierten Frau Nordstrom und Nadjeschda wegen der tollen Leistung.
»Da hat unser kleiner Arthur in Rekordzeit ein wenig Demut gelernt und wir müssen den Versorgerdelphin für eine Woche abbestellen, der ansonsten immer das Stille Örtchen in Schuss hält«, flüsterte Nadjeschda, sobald die beiden außer Hörweite waren. »Ach, die sind nur etwas übermütig. Das kriegen wir schon hin und dann hast du zehn erstklassige Wächterdelphine, die jede Aufgabe mit Sicherheit meistern können.« Nadjeschda nickte zufrieden und wirkte auch ohne die Anwesenheit von Roberta etwas fröhlicher.
»Wer will jetzt gegen meine Tochter antreten?«, erkundigte sich Herr Nordstrom. Die Gruppe Jungwächter lästerte nicht mehr. Die verlorene Wette erwähnte niemand und beiden wurde wegen dem tollen Wettschwimmen gratuliert. »Ihre Leistung war super, Herr Nordstrom. Ich nehme an, Roberta ist im Delphinbeutel transportiert worden und konnte deswegen einen so tollen Schwimmer wie sie schlagen. Weil sie ausgeruht war und sie schon erschöpft waren. Ich bin die Zweitschnellste Schwimmerin der Jungwächter und würde gerne sehen, was ihre Tochter so drauf hat«, meldete sich Gwen. »Gwen schwimmt gegen Isolde und Roberta darf mitschwimmen, bis ihr die Puste ausgeht. Wir können leider keine Rücksicht auf Jungdelphine nehmen, denn wir machen hier ja eine Leistungsbeurteilung«, befahl Rüdiger. Roberta wirkte enttäuscht, also fügte Rüdiger noch hinzu, »Falls Roberta gewinnt, bekommt sie von mir zur Belohnung ihren Lieblingsfisch und den fange ich sogar persönlich. Also streng dich an, junge Dame.« Rüdiger zwinkerte Roberta zu und diese war sofort wieder guter Laune. »Danke, Rüdiger. Ich beschreibe dir den Fisch später, wenn ich zurück bin.« Bis auf Herrn Nordstrom, Arthur und Isolde kicherten alle, denn niemand hätte nach Gwens Ansprache erwartet, dass Roberta tatsächlich schneller sein könnte als ein Erwachsener. Arthur hatte Herrn Nordstrom aber beobachtet und dieser hatte nur gelächelt, als Rüdiger seine Belohnung versprach. War Roberta etwa selbst geschwommen? Isolde hatte ein anderes Problem, denn sie war eine sehr schlechte Starterin. Gegen Gwen anzutreten bedeutete, dass sie bald von Elke ausgelacht werden würde. Gwen fragte, »Was ist los, Isolde. Wetten wir doch auch um etwas. Die Siegerin wird eine Woche als ‚Herrin der Meere‘ angesprochen. Oder bist du feige?« Isolde lächelte matt. Geknickt stimmte sie zu, denn wenn sie es nicht tat, würde Gwen sie auch so eine Woche lang hänseln. »Was ist los?«, flüsterte Roberta zu Isolde. »Ich bin eine schlechte Starterin. Ich komme am Anfang kaum vom Fleck und später kann ich nicht mehr aufholen«, flüsterte diese zurück. »Ich schwimme einfach vor dir her und du versuchst im gleichen Rhythmus zu schlagen. Und dann werde ich natürlich schneller, bis du deine volle Geschwindigkeit hast. Packst du das?« »So hat mir mein Papa das Schwimmen beigebracht. Ob das auch etwas bringt?«, fragte sich Isolde laut. Roberta zwinkerte nur und schwamm zum Start. Isolde folgte ihr und blieb leicht versetzt hinter ihr, um sie zu beobachten und den Rhythmus anpassen zu können. »Tja, meine Prinzessinnen. Habt ihr euch schon überlegt, wie ihr eurer Herrin huldigen wollt oder was habt ihr da getuschelt?«, fragte Gwen unschuldig und grinste. »Ruhe!«, brüllte Rüdiger. Die Wettbewerberinnen konzentrierten sich und dann brüllte Rüdiger, »Los!«
Gwen startete sehr gekonnt, aber Roberta startete langsamer. Isolde tat es ihr gleich und kam sehr viel schneller als sonst vom Fleck. Aber natürlich wusste Roberta, dass es ein Wettschwimmen war und erhöhte rasch und gleichmäßig die Schlagfrequenz ihrer Schwanzflosse. Bereits kurz nach dem Start überholte Isolde Roberta und holte auch schon auf Gwen auf. »Jetzt nicht mehr auf meinen Rhythmus achten. Ich bin ja kleiner und muss schneller schlagen, um die Geschwindigkeit zu halten«, kicherte Roberta von rechts. ‚Gerade noch überholt und schon wieder aufgeschlossen?‘, wunderte sich Isolde. Isolde war das eigentlich egal und sie strengte sich einfach nur an, Gwen einzuholen. Grinsend presste sie dennoch ein, »Danke«, zwischen den Zähnen hervor, denn dankbar war Isolde sehr. Endlich hatte sie einmal eine Chance und wollte diese auch nutzen. Roberta schwamm eine Schnabellänge vor ihr, dann war sie wieder weg und dann wieder da. »Gleichmäßiger und ein bisschen die Schlagfrequenz erhöhen«, riet Roberta. Isolde konzentrierte sich und strengte sich an. Kurz vor Ziel war sie gleich auf mit ihrer Rivalin, da fluchte Gwen von links zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch, »Nein, nein, nein, nein.« Aber Isolde war schneller. Zum ersten Mal hatte Isolde gegen ihre Kollegin gewonnen, wenn auch nur knapp. Da alle eng beisammen waren brüllte Waltraud, die ja Punkterichterin war, »Roberta, Platz eins! Isolde, Platz zwei!« Der dritte Platz wurde natürlich von Elke verkündet, »Gwen hat verloren! Gwen hat verloren!« Erschöpft gratulierte Gwen den anderen und nannte Isolde bereits ‚Herrin der Meere‘.
Beim Zurückschwimmen meckerte Roberta, »Wisst ihr, eigentlich sollte doch ich jetzt die Herrin der Meere sein, oder? Ich habe doch gewonnen.« »Ihr habt zwar nicht mitgespielt, eure Majestät, aber ihr habt natürlich recht.« »Eure Untertanen bitten huldigst um Verzeihung«, blödelten Gwen und Isolde mit Roberta. Das ging so lange gut, bis sie an Frau Nordstrom vorbei kamen. »STOPP«, befahl Frau Nordstrom. »Gute Leistung, meine Damen. Roberta, du machst eine Leistungsbeurteilung sehr schwer. Die Startprobleme von Isolde hätte ich doch auch bemerkt. Mach also bitte nicht meinen Job. Du bleibst jetzt hier bei mir.« Roberta blickte enttäuscht und drehte sich zu den Jungwächterinnen, »Sagt den anderen, viel Glück. Ich muss bei meiner Mutter bleiben.« Auch Gwen und Isolde wirkten ein wenig enttäuscht, denn Roberta hatte beide zwar deklassiert, aber irgendwie war es viel lustiger, wenn Roberta dabei war. »Wir richten es aus, eure Hoheit.« Damit verneigten sich beide und schwammen rasch zurück.
»Schau nicht so traurig. Komm zu mir und vielleicht haben wir auch an der Seitenlinie ein wenig Spaß«, versuchte Nadjeschda ihre neue beste Freundin aufzuheitern. »Na gut«, erwiderte Roberta und schwamm an ihrer Mutter vorbei, schwebte über Nadjeschda und ließ sich dann direkt auf deren Kopf absinken. Robertas Schnabel ragte genau zwischen Nadjeschdas Augen nach vorn, »Stört dich das eh nicht?« »Etwas ungewöhnlich, jemand auf meinem Kopf und Rücken liegen zu haben, aber eigentlich stört es mich nicht. Vor allem, weil du das bist«, kicherte Nadjeschda. Frau Nordstrom runzelte die Stirn. Zum einen war Roberta ja ihre Tochter und sollte doch wohl lieber bei der Mama sein, zum anderen befürchtete sie, bald wieder mit neuen Störungen konfrontiert zu sein.
»Ich finde Roberta super. Weißt du, was das Beste ist, Gwen?« »Nö.« »Wir haben nicht gewettet, dass einer von uns das Stille Örtchen säubern muss«, kicherte Isolde. »Stimmt. Da habe ich ja nochmal Glück gehabt«, lachte Gwen. Im Startbereich angekommen gratulierte Rüdiger, »Super gemacht. Und jetzt wird es auch schneller gehen. Ich hatte schon befürchtet, das Wettschwimmen würde bis zum Abend dauern.« »Danke, Rüdiger. Das wäre furchtbar, denn wann hättest du dann Zeit, Robertas Lieblingsfisch zu jagen«, kicherte Isolde. Rüdiger glotzte jetzt sehr belämmert. Die versprochene Belohnung hätte er ja beinahe vergessen. Isolde ergänzte, »Keine Sorge. Gwen und ich helfen dir gerne bei der Jagd.« Gwen nickte zustimmend. Dann konnte der Wettbewerb fortgesetzt werden. Lancelot trat gegen Tristan an. Beide warteten bereits auf das Startsignal und durften auch gleich los.
»Schau mal, Roberta. Der Start von Tristan war etwas besser, aber Lancelot hat ja auch mehr Masse«, erklärte Nadjeschda. Roberta war verdächtig still. »Gleich kommen sie vorbei, dann sehen wir ihren Schwimmstil aus der Nähe.« Nadjeschda und Frau Nordstrom änderten ihre Ausrichtung und waren immer genau auf die Wettbewerber ausgerichtet. »Tristan ist gleich im Ziel. Im Zielbereich sehen wir dann, wie gut die Bremsmanöver der Wettbewerber sind. Aber Lancelot ist viel zu langsam und warum guckt der uns so doof an? Der Depp wird noch gegen den Mast schwimmen, wenn er nicht aufpasst! Das war knapp.« Etwas Seltsames war gerade passiert und Lancelot hatte eindeutig verloren, daher musste Waltraud nicht den Sieger bekanntgeben. Dafür johlte Elke, »Liselotte hat verloren! Liselotte hat verloren!« »Elke kann sich viele Namen nicht merken, daher vergibt sie gerne einfach einen neuen Namen, den sie sich merken kann. Du wirst Elke ohnehin bald kennenlernen. Aber das mit Lancelot gerade eben war merkwürdig«, stellte Nadjeschda fest. »Roberta, Schatz. Möchtest du uns etwas mitteilen?«, fragte Mama Nordstrom. Roberta grinste möglichst unschuldig nach Art der Haie. Nadjeschda kicherte, »Du hast wohl da oben Grimassen geschnitten.« Roberta kicherte nur. Mama Nordstrom war schon etwas sauer, »Roberta, du schneidest keine Grimassen mehr.« »Mama ist heute wieder eine Spaßbremse«, nörgelte Roberta und blieb schlapp auf Nadjeschdas Kopf liegen.
»Soll ich nochmal, Chefin?«, fragte Lancelot beim Zurückschwimmen. Nadjeschda und Frau Nordstrom nickten nur. Lancelot ging gleich nochmals an den Start. Sein neuer Gegner im Wettschwimmen war Gallahad. Lancelot hatte dieses Mal den Start viel besser hinbekommen und Gallahad konnte trotz aller Anstrengung nicht einmal aufschließen. Zumindest solange nicht, bis die zwei an Nadjeschda und Frau Nordstrom vorbei schwammen. Lancelot konnte die Augen nicht von Nadjeschda lassen und knallte dieses Mal wirklich gegen den Mast. Elke zerkugelte sich vor Lachen und Frau Nordstrom war jetzt echt sauer, »ROBERTA!« »Hey, ich war das nicht!« Nadjeschda hörte auf mit den Augen zu rollen und holte die seitlich heraushängende Zunge wieder zurück in den weit aufgeklappten Schnabel, »Was ist? Ich bin die Kommandantin des Wächterpostens. Ich darf das.« Roberta kicherte. Frau Nordstrom hatte einen sehr roten Kopf und sie hatte auch die Stirn in Falten gelegt. Plötzlich änderte sich ihr zorniger Gesichtsausdruck, sie schwamm ganz nahe heran und lag Flanke an Flanke mit Nadjeschda. Sie grinste frech und säuselte, »Ich werde dich bei meiner Schwiegermutter verpetzen, dass du dich hier aufführst wie ein Babydelphin.« Zur Unterstützung ihrer Worte klimperte Frau Nordstrom noch mit ihren Wimpern. »Mist«, fluchte Nadjeschda. »Ich bringe Roberta rüber zu Elke, Frau Spaßbremse.« »Dankeschön«, säuselte Mama Nordstrom. Enttäuscht machte sich Nadjeschda mit ihrem hübschen Roberta-Hut auf den Weg. Beide ließen die Seitenflossen tief hängen.
Stefan und Elke kicherten, als Nadjeschda eintraf. »Ihr beiden ward echt spitze«, gratulierte Elke sofort. Dann fügte sie enttäuscht hinzu, »Das nächste Mal will ich aber mitspielen.« Roberta löste sich von Nadjeschda und blickte ihre beste Freundin traurig an. Nadjeschda stellte noch alle kurz vor, bevor sie etwas geknickt zu Mama Nordstrom zurückschwamm. »Bleib einfach bei deiner lieben Elke und dem lieben Stefan. Wir passen schon auf dich auf, Tabata. Tuberkulose. Trapez. Ach was, du bist jetzt mein kleines Gürkchen. Okay?« Roberta überlegte, »Ich weiß nicht, ob ich ein Gürkchen sein will.« Elkes Blick wirkte schlagartig besorgt und traurig. Sogar ihre Lippen waberten, als würde sie gleich anfangen zu heulen. Deshalb fügte Roberta schnell hinzu, »Also gut. Gürkchen klingt auch irgendwie nett. Dann bin ich eben Gürkchen.« Sofort ging die Sonne in Elkes Gesicht wieder auf. Sie machte aus dem Stand heraus einen Looping und schrie, »Juhu. Willkommen in unserer schönen Siedlung, Gürkchen!« Sie schrie natürlich so laut, dass jetzt jeder wusste, welchen neuen Namen Roberta gerade bekommen hatte. Die meisten Delphine lächelten, denn Elke verbreitete, trotz oder vielleicht sogar wegen ihrer Eigenheiten, viel gute Laune.
Das Wettschwimmen verlief gleich unglaublich viel schneller und effektiver. Sogar Lancelot durfte noch ein drittes mal starten, nachdem er vom Sanitätsdelphin zurückgekommen war. Der nächste Abschnitt der Einstufung fand am Trainingsplatz des Postens statt und dorthin brachen die Wächterdelphine alleine auf. Roberta durfte nicht mit und blieb bei Elke und Stefan. Zu Mittag kamen dann die Meermenschen mit ihren Kutschen. Eigentlich waren die meisten Kutschen Beiboote gesunkener Menschenschiffe, die von Großen Seepferdchen gezogen wurden. Auf den Kutschen waren Werkzeuge und Material für die Fertigstellung der neuen Siedlungshöhlen geladen. Roberta fand das alles eher langweilig. Die Versorgerdelphine brachen mit Stefan zur Jagd auf, sobald ein paar Wächterdelphine vom Einstufungstest am Trainingsplatz zurück waren und damit war Roberta mit Elke alleine. Die beiden entfernteren Jagdgebiete lagen zu nahe an Haigebieten und mussten von Wächterdelphinen geschützt werden. Dort gab es zwar nur schnelle Futterfische, welche die Haie ohnehin nicht erwischten, aber mancher freche Hai könnte auf die Idee kommen, einen Delphin zu jagen. Der Tag hatte so gut begonnen und für Roberta wurde er immer langweiliger und langweiliger, weil alle erwachsenen Delphine schwer beschäftigt waren. Abends brachte Elke das kleine Gürkchen wieder zu Nadjeschdas Höhle, wo sie auch schon sehnlichst erwartet wurde.
»Hallo, Schatz. Wie war dein Tag?«, wurde Roberta gleich von Mama verhört. Nadjeschda war schweigsam, aber ihre Miene hellte sich auf, als sie Roberta sah. Papa Nordstrom aß bereits seinen leckeren und überaus bodenständigen Futterfisch und so ein Ekelfisch lag auch auf Robertas Essplatz. Sie sah den Fisch und meckerte, »Der Tag fing gut an und wurde sehr schnell immer schlimmer und schlimmer. Kriege ich denn nicht einmal etwas Vernünftiges zu essen?« Papa Nordstrom verschluckte sich fast, denn Roberta hatte über seinen heiligen Futterfisch gelästert. Mama wirkte bedrückt, »Aber, Schatz. Es gibt diese schwer zu fangenden Futterfische nicht immer. Daran wirst du dich früher oder später gewöhnen müssen. Daheim in der alten Siedlung hast du doch auch schon oft unseren bodenständigen Fisch gegessen.« »Nur wenn ich keine andere Wahl hatte.« Paps zuckte erneut zusammen und Nadjeschda musste jedes mal bei dieser Reaktion unterdrücken, laut aufzulachen. Auch früher in der Schule durfte niemand ein böses Wort über Manfreds Lieblingsfisch verlieren.
Roberta nahm Platz und starrte den Ekelfisch so durchdringend an, als hätte sie Laseraugen und könnte mit ihnen den Futterfisch in ein Häufchen Asche verwandeln. Der Magen knurrte schon ziemlich laut. Roberta ließ die Flossen hängen und näherte sich langsam ihrem schrecklichen Nachtmahl. »Bin ich froh, dass ich nichts riechen kann. Ansonsten müsste ich mich ja schon vor dem Essen übergeben«, meckerte sie und Papa Nordstrom fiel fast in Ohnmacht. Nadjeschda beobachtete fasziniert die beiden Dramadelphine. Doch dann kam die Rettung für Roberta. Mit einem Rauschen waren vier Delphine direkt in die Wohnhöhle geschwommen. Rüdiger und Waltraud keuchten heftig und Rüdiger hatte einen von Robertas Lieblingsfischen im Schnabel, »Sieh mal, Gürkchen. Deine Belohnung, weil du heute gewonnen hast. Waltraud hat mir geholfen, weil die so schwer zu fangen sind.« Roberta machte Platz für den leckeren Fisch und fegte den Ekelfisch mit dem Schnabel einfach beiseite. Herr Nordstrom fing ihn gekonnt auf und musterte seine Tochter mit vorwurfsvollem Blick. Doch diese bekam nichts mehr mit. Sobald der Futterfisch den Esstisch berührte stürzte sich Roberta auf ihn, wie ein ausgehungerter Hai. Rüdiger war bei der Attacke zurückgeschreckt und versteckte sich hinter seiner kichernden Frau. Roberta war im Nu fertig und rülpste herzhaft. Dann lächelte sie und entschuldigte sich auch gleich brav. Schließlich schoss sie hoch und kuschelte kurz mit Rüdiger und Waltraud, »Ach, ihr seid so lieb. Danke. Ich war ja schon fast verhungert.« Erst jetzt bemerkte sie, dass die anderen beiden Delphine Gwen und Isolde waren. Isolde zauberte auch einen schnellen Futterfisch hervor und legte ihn am Esstisch ab, »Ich denke, den solltest du dir fürs Frühstück aufheben.« Roberta war total aus dem Häuschen und bedankte sich so wild, dass die drei lachend und blödelnd wie ein Knäuel über den Höhlenboden rollten. »Aber, wieso?«, wollte Roberta wissen. »Du hast uns heute viel beigebracht und uns unterstützt. Das ist unser kleines Dankeschön an unsere kleine Hoheit«, zwinkerte Gwen. ‚Ach ja, diese Wette hatte es ja auch gegeben‘, dachte Roberta. »Wir schwimmen jetzt wieder zum Posten, denn die anderen Jungwächter sind ein wenig deprimiert, kommt mir vor«, gestand Rüdiger. »Und wir beide schwimmen mit und helfen Rüdiger und Waltraud. Schließlich haben sie uns gezeigt, wie man diese furchtbar flinken Futterfische zu zweit jagt. Ohne ihre Hilfe wären wir sicher leer ausgegangen«, zwinkerte Isolde Roberta zu und dann waren die vier schon wieder verschwunden. Papa Nordstrom hatte sich wieder im Griff, »Tja. Verschieben wir die Futterfischdiskussion auf ein anderes Mal. Ich sehe besser auch einmal nach den Jungwächtern. Vielleicht kann ich Rüdiger ja helfen.«
Nachdem Papa Nordstrom weg war, waren die Damen alleine. Nadjeschda wirkte unruhig. »Komm ja nicht auf den Gedanken, Rüdiger und Manfred reinzupfuschen. Du willst wohl alles alleine schaffen. Aber du musst auch delegieren lernen, damit du mehr ordentliches Personal am Posten hast.« Nadjeschda seufzte, »Ja, du hast mich erwischt. Ich habe eben gerne die Kontrolle. Dann weiß ich, dass alles auch korrekt erledigt ist.« »Paps kriegt das hin«, versicherte Roberta und lächelte. Und auch Mama Nordstrom nickte zuversichtlich. »Also gut. Ich schleiche mich nicht aus meiner eigenen Wohnhöhle, um nachzusehen. Zufrieden?« Mama Nordstrom war zufrieden und Roberta war es auch.
Im Anschluss an die kurze Diskussion zeigte Nadjeschda, wie Roberta auch alleine in der Höhle trainieren konnte, damit ihr nicht so oft langweilig werden würde. Während Nadjeschda und Roberta gemeinsam trainierten, indem sie ihren Schnabel gegen die Höhlenwand stemmten und gegen die Höhlenwand schwammen, beseitigte Mama Nordstrom die Futterreste. Als Frau Nordstrom von der Recyclinghöhle zurück war, konnte sie wegen der heftigen Strömung, die aus dem Höhleneingang kam, vorerst nicht mehr in die Höhle zurück. Sie musste wohl warten, bis das Training von Nadjeschda und Roberta zu Ende war.
»Ach, kommt schon. Lasst euch nicht so hängen. Seht euch doch Gwen und Isolde an. Die sind doch auch gut drauf, obwohl sie jetzt wissen, dass sie noch an sich arbeiten müssen«, versuchte Rüdiger die deprimierten Jungwächter ein wenig aufzubauen. Gwen, Waltraud und Isolde nickten zustimmend, aber niemand hatte so wirklich das Problem begriffen. Die Jungwächter waren zu unerfahren und die Blau-Weißen kamen von den freien Delphinen. »Guten Abend, Kollegen«, grüßte Herr Nordstrom. Alle blickten auf und Arthur schien sogar erfreut und schlagartig weniger deprimiert zu sein. »Hat euch wohl nicht gefallen, wie wir euch heute bewiesen haben, dass ihr noch einiges lernen müsst«, begann Herr Nordstrom seine Ansprache. Alle jungen Wächter blickten säuerlich und schüttelten den Kopf. »Eigentlich ist euer Problem ganz simpel. Ihr seid Siedlungsdelphine.« Nicht nur Rüdiger und Waltraud waren erstaunt. Alle warteten gespannt auf eine Erklärung. »Siedlungsdelphine wachsen geschützt auf und müssen sich bis zur Berufswahl keine große Gedanken über ihre Sicherheit machen. Das läuft bei den freien Delphinen ganz anders, denn freie Delphine wachsen nicht geschützt auf. Sie sind sich von klein auf immer ihrer Umgebung bewusst und auf jede Gefahr vorbereitet. Ein Siedlungsdelphin ist das nicht. Kaum ist ein Siedlungsdelphin vom Alter her erwachsen und hat die Wächterprüfung bestanden, denkt er, er ist der Größte. Kommt dann noch ein kleiner Erfolg, wie zum Beispiel vom Verkloppen eines unerfahrenen Haies dazu, dann ist der Schlamassel komplett. Überheblichkeit.« Alle staunten. Diese Erklärung war wirklich simpel und erklärte so einiges. Herr Nordstrom fuhr fort, »Dieses Phänomen betrifft nicht nur euch, sondern so ziemlich jeden Wächterdelphin, der kurz nach der Abschlussprüfung schon den ersten leichten Erfolg hatte. Ein freier Delphin würde einen Hai kloppen, weiterschwimmen und trotzdem sofort wieder wachsam sein, falls noch eine andere Gefahr auftaucht. Genau das müsst ihr lernen. Stets bereit sein und sich bewusst werden, dass man trotz eines Erfolges nicht aufhören darf, an sich zu arbeiten. Und in seiner Wachsamkeit nachzulassen, ist natürlich auch nicht klug.« »Haben uns deswegen die älteren Wächterdelphine heute nur angelächelt und uns zugenickt, anstatt uns auszulachen oder uns zu hänseln? Weil sie genau wissen, was wir gerade durchmachen?«, fragte Isolde. »Sehr schlau bemerkt. Übrigens bin ich in dasselbe Fettnäpfchen geschwommen und wurde von meiner Mama dafür sogar verdroschen.« »Aber, Manfred. Wieso denn von deiner Mama?«, wollte Waltraud gleich wissen. »Tja, die war eben auch meine Ausbilderin. Als ich meinen ersten Hai besiegt hatte und überheblich damit angegeben hatte, hat sie mich einfach ordentlich verdroschen und mich dann ausgelacht. Sie hat mich nachher gefragt, wie so ein Schwächling wie ich einen Hai besiegen konnte. Tja, sie hat mir nie etwas durchgehen lassen und ich lasse euch auch nichts durchgehen. Es steht zu viel auf dem Spiel.« Die Depression war verflogen. Man konnte förmlich den Tatendrang spüren, dass von jetzt an alle an sich arbeiten wollten und sich den Herausforderungen stellen wollten. Gwen gab bekannt, gleich ein paar Runden um die Siedlung schwimmen zu wollen und forderte alle Jungwächter auf mitzumachen. Begeistert verließen die Jungwächter den Posten und begannen mit ihrem Training. Herr Nordstrom verabschiedete sich von Waltraud und Rüdiger und schwamm schlafen. Für morgen nahm er sich vor, heimlich zu trainieren. Die Jungwächter sollten ja nicht zu schnell zu ihm aufschließen und außerdem musste er selbst ja noch auf Roberta aufholen, falls das überhaupt möglich war.
Bereits am nächsten Tag nach dem Frühstück war Roberta mit einigen traurigen Tatsachen konfrontiert. Es gab tatsächlich keine anderen Jungdelphine in der neuen Siedlung und es hatte sich herausgestellt, dass Elke und Stefan supernett waren, aber vom Umgang mit Jungdelphinen hatten beide leider keinerlei Ahnung. Nach dem Frühstück war Roberta auch klar, dass ein gewaltiges Ernährungsproblem auf sie zukam. Wie es wohl Stefan bei der Jagd erging? Frau Seestern hätte das sicher hinbekommen, aber
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: E.Dence
Cover: Natsu
Tag der Veröffentlichung: 26.09.2017
ISBN: 978-3-7438-3409-5
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Dieses eBook ist Nanu, der Sängerin, gewidmet, als kleines Dankeschön für die vielen Jahre mit ihrer herrlichen Musik