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LICHTERTANZ - Die Magie der Glanzlichter

 

LICHTERTANZ

Die Magie der Glanzlichter

 

XXL-Leseprobe

 

Isabella Mey

 

Inhalt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wenn das Herz nicht will, wie es soll

und der Verstand von Gefühlen überrollt wird,

dann ist es Zeit, in sich zu gehen,

um das zu sehen, was wahr ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog


Es gibt Menschen, zu denen fühlen wir vom ersten Augenblick an eine tiefe Verbindung. Wir glauben, beinahe verrückt zu werden, weil es unserem Verstand nicht gelingt zu erklären, woher die intensiven Gefühle stammen, weshalb dieser besondere Mensch uns so vertraut erscheint, als würden wir ihn schon immer kennen und weshalb wir nicht aufhören können, an ihn zu denken.

Vielleicht glauben wir, endlich im Himmel des Glücks angekommen zu sein, doch in Wahrheit sind wir mit dieser Begegnung noch lange nicht am Ziel, viel mehr beginnt erst jetzt unsere Reise mit der Suche nach dem Ursprung von allem.



1 – Maischamehl und Wolle

Leanah

1912, Atlatica unter der Herrschaft von
Lord Nehef Sorbat

Es fühlt sich so an, als würde mich jemand beobachten. Das kam in den letzten Tagen häufiger vor und doch war es nie mehr als ein bloßes Gefühl gewesen, ohne sichtbare oder hörbare Anzeichen. Wider aller Vernunft gelingt es mir nicht, dieses Gefühl abzuschütteln. Ständig sehe ich mich nach allen Seiten um, lausche jedem Geräusch und glaube langsam schon, verrückt zu werden. Besonders intensiv verfolgte mich dieser Eindruck in meiner geheimen Höhle, sodass ich es dort nicht lange ausgehalten habe. Aber vielleicht war das besser so. In letzter Zeit hat es mich viel zu oft dort hingezogen, doch das erhöht nur die Gefahr, entdeckt zu werden und damit, mein Geheimnis preiszugeben. Noch weiß niemand, dass ich eine von ihnen bin und das muss auch so bleiben. Ich schäme mich so dafür und dennoch kann ich nicht widerstehen, die Magie ab und zu freizulassen.

Fröstelnd trete ich durch die Tür unseres Hauses und klopfe den Schnee von meinen Haaren und aus dem Mantel. Wie die meisten Bauernhäuser besteht das unserer Familie aus im Kreis gewachsenen Giebelbäumen. Stämme und Äste bilden das Gerüst eines zwiebelförmigen Gebäudes, wobei alles Holz oben miteinander zu einem dicken Stamm verwächst, um in luftiger Höhe ein mächtiges Kronendach auszubilden. Die Lücken des Gerüsts werden von milchigen Glasscheiben im Wechsel mit einer gehärteten Tonschicht ausgefüllt, welche elastische Eigenschaften besitzt, sodass sie dem Wachstumsdrang der lebenden Teile nachgeben.

Wenigstens im Inneren des Hauses fühle ich mich unbeobachtet. Aber wahrscheinlich bilde ich mir das Ganze sowieso nur ein.

Ich streife mir die Stiefel von den Füßen und stülpe sie umgekehrt auf die Holzstangen des Schuhregals. Heute gesellt sich zum Stallmist auch noch reichlich Schnee dazu, welcher sich im Profil festgesetzt hat. Den Mantel hänge ich ebenfalls auf und schlüpfe in meine Fellschuhe. Doch ohne die wärmende Hülle beginne ich nun zu bibbern, denn im Vorraum hat sich die Kälte festgesetzt. Eilig trete ich daher in die Wohnstube und schließe die hölzerne Tür sorgfältig hinter mir.

Vier gepolsterte Sessel hängen an dicken Seilen von der Decke aus miteinander verwachsenen Ästen herab. Gerne würde ich mich jetzt in die Sessel hineinlegen, doch dafür bleibt selten Zeit. Stattdessen gehe ich daran vorbei, genau wie an unserem großen, runden Esstisch, bis zum Kochbereich. Das Feuer im Ofen ist fast ausgegangen, sodass ich dringend Holz nachlegen muss. Rechts in der Ecke türmen sich die Scheite auf – normalerweise. Durch den unerwarteten Kälteeinbruch ist der Stapel bis auf ein kleines Häufchen zusammengeschrumpft. Mit dem Schürhaken und den restlichen Holzscheiten bringe ich das Feuer wieder zum Auflodern. Danach fülle ich Maischamehl in eine Holzschale. Nach jahrelanger Übung weiß ich ganz genau, welche Menge ich benötige.

Ein langgezogenes Stöhnen erfüllt den Raum und bringt mich innerlich zum Zittern. Das Geräusch begleitet mich fast mein halbes Leben lang und doch jagt es mir noch immer einen kalten Schauer durch die Glieder, lässt meine Haare zu Berge stehen, so als kratzte man mit den Fingernägeln über glatt polierten Schiefer. Doch dies liegt weniger am Klang des Stöhnens, sondern viel mehr an der Person, die diesen Laut des Schmerzes von sich gibt. Denn ich kann das Leid förmlich an meinem eigenen Körper spüren, wenn sich meine Mutter mit schmerzverzerrtem Gesicht bewegt. Selbst ihre Augen füllen sich manchmal mit Feuchtigkeit, wenn sie stöhnend ihren Hängesessel verlässt, um den Waschraum aufzusuchen oder sich die Beine zu vertreten.

Nicht selten ertappe ich mich bei dem Wunsch, sie würde einfach weiter bewegungslos in ihrem Sessel liegen bleiben und schlafen. Doch ich weiß ganz genau, dass ihre Muskeln verkümmern und die Sehnen steif werden würden, wenn sie nur herumliegt. Seit meine Mutter vor drei Jahren von der Moorkrankheit heimgesucht wurde, leidet sie unter unerträglichen Schmerzen in den Gelenken. Sie hat es einmal beschrieben wie die winzigen Nadeln der Baumkakteen, die bei jeder Bewegung ein Meer an Stichen verursachen. Normalerweise hinterlässt die Moorkrankheit nach zweitägigem Fieber keine körperlichen Schäden – auch mein älterer Bruder Mikáso hat sich damals ohne Nachwirkungen angesteckt – doch in seltenen Fällen kommt es zu Komplikationen, welche einen Menschen zu einem Leben in Leiden verdammen.

Meine Mutter liegt in einem der Hängesessel und hat sich eben aufgerichtet. Bestimmt wird sie sich gleich herausquälen. Genau wie meine Schwester Thera würde ich Mama gerne dabei zu Hilfe eilen, aber das lehnt sie energisch ab, da ihr Körper noch immer funktioniert und sie sich nicht wie einer der alten Krüppel fühlen will, die an den Straßenecken der Städte betteln. Um das Elend nicht auch noch untätig mitansehen zu müssen, konzentriere ich mich darauf, den Mehlberg in meiner Holzschale mit warmem Wasser zu vermengen.

Vielleicht ist es ja sogar ein Glück, dass die Krankheit außerdem eine andauernde Müdigkeit verursacht. Kann sein, dass es ein bisschen selbstsüchtig ist, froh darüber zu sein, dass Mama die meiste Zeit des Tages schläft, damit ich nicht so oft daran erinnert werde, wie sehr sie leidet.

»Es ist so kalt heute. Hast du den Ofen angeheizt, Leanah?«, fragt meine Mutter, nachdem sie es unter Ächzen endlich geschafft hat, sich aus dem Sessel zu quälen. Häufig sitzt neben ihr mein Opa, doch heute hat es ihn trotz des Schnees – oder vielleicht sogar gerade deshalb, denn er wirkt ein wenig wirr im Kopf – nach draußen gezogen. Dafür steht meine Mutter heute erstaunlich aufrecht im Raum und sieht mich aus ihren klaren blauen Augen liebevoll an. Die Augen habe ich eindeutig von ihr, auch mein Gesicht sieht dem ihrem sehr ähnlich, nur dass sich bei meiner Mutter graue Strähnen und ein paar Falten eingeschlichen haben, woran vermutlich ihre Dauerschmerzen die Hauptschuld tragen. Das schulterlange, leicht gewellte Haar müsste mal wieder gekämmt werden, aber mich lässt sie das nicht machen und für sie bedeutet es eine Tortur. Wie so oft trägt meine Mutter Denya ihr Lieblingskleid aus grüner Glitzerwolle. Meines dagegen ist eisblau, was sich bestimmt mit meiner graublauen Iris beißt, aber das kann ich selbst ja nicht sehen. Überhaupt bleibt auf dem Schäferhof meiner Eltern wenig Zeit, mir über solche Dinge Gedanken zu machen. Unser Hof gehört zu den Größten in der Region und unsere farbigen Wollschafe blicken auf einen langen Stammbaum edler Zuchtschafe zurück. Wir liefern Wolle in fast allen Grundfarben, während die wertvollsten mit besonderen Schiller-, Glitzer- oder Leuchteffekten aufwarten können. Eigentlich sollte es unserem Hof gutgehen, doch es fehlt ständig an etwas. Zu gerne hätte ich gewusst, wofür Vater die vielen Tinnis und Toloits ausgibt, die er mit der Wolle verdient, welche meine Schwester und ich tagtäglich waschen und spinnen. Als Mama noch gesund war, hat sie daraus sogar edle Stoffe gewoben, aber das schafft sie jetzt leider nicht mehr. So verkaufen wir die gesponnene Wolle an die Weberei oder auf dem Zehntagsmarkt in Mistad.

»Das Feuer brennt, aber es ist vorhin ausgegangen, als ich die Tiere gefüttert habe, deshalb dauert es noch eine Weile, bis es hier drin wieder richtig warm wird‹‹, erkläre ich ein wenig außer Atem, weil ich den Brotteig gerade kräftig durchknete. Ich kann mich an genau zwei Kaltzeiten erinnern, in denen wir auf Atlatica Schnee hatten, eine davon ist diese. So eisig wird es hier nur selten. Schnee findet man sonst eigentlich nur auf den höchsten Gipfeln des Shikoat-Gebirges.

»Danke, Leanah! Es ist ungewöhnlich kalt geworden, dieses Jahr«, spricht Denya meine Gedanken aus.

Ich walke den Teig gründlich durch und schiele zu meiner Mutter hinüber, die sich unter Ächzen die Hände reibt und hineinhaucht, wobei sich ihr Atem in kleinen Nebelwölkchen verflüchtigt.

»Stimmt, über Nacht hat es sogar geschneit. Woran kann es liegen, dass wir um diese Zeit solchen Frost haben?«

Meine Mutter schnaubt verächtlich.

»Du weißt doch, dass wir hier umgeben sind von Femmockmagiern! Es gibt nichts, was die nicht zustande bringen und nicht einer von ihnen zögert, seine Macht gegen uns einfache Menschen zu missbrauchen«, schimpft meine Mutter und wie immer wird mir flau im Magen bei diesem Thema.

Du bist eine von ihnen!, dröhnen die Worte meiner verstorbenen Großtante Tyra in meinem Kopf.

»Aber … findest du nicht, dass es übertrieben ist, alles und jedes den Magiern zuzuschreiben? Ich meine, das Wetter könnte sich doch auch aus anderen Gründen verändern.«

Nur schwerlich gelingt es mir, meine Stimme gleichgültig klingen zu lassen, zu sehr schmerzt mich der Umstand, dass meine eigene Mutter Menschen, die wie ich Magie wirken können, verachtet.

»Welche Gründe wären das schon? Wir hatten genau zwei Mal in zwanzig Jahren Schnee. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen, Leanah.«

Zwecklos, weiter darüber zu streiten, außerdem könnte es mich verraten.

»Ja, vielleicht …«, lenke ich sicherheitshalber ein und baue meine inneren Spannungen stattdessen dadurch ab, dass ich den Teig mit Wucht auf die steinerne Arbeitsplatte knalle.

Nein, ich darf auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass ich das Treiben der Magier in Schutz nehmen würde. Und genau genommen besteht dazu auch kein Grund. Tatsächlich behandeln sie uns einfache Menschen schlecht. Sie stellen die Regeln auf, nehmen sich alle Rechte heraus, uns zu gängeln, zu bestrafen, auszunutzen und zu demütigen. Und wir nichtmagischen Menschen haben keine Chance, uns gegen sie zu wehren.

Wir nichtmagischen Menschen!

So ist es nun mal. In meinem Herzen gehöre ich nicht zu den Magiern und ich weigere mich, weiter darüber nachzugrübeln, ob das so stimmt.

»Thera melkt noch die Kuh?«, unterbricht Denya meine düsteren Gedanken.

»Ja, sie müsste gleich fertig sein«, antworte ich keuchend und werde mir erst da bewusst, mit welcher Wucht ich den Teig malträtiere.

Er müsste jetzt genug durchgeknetet sein. Ich rolle ihn zu einer langen Wurst. Dann sehe ich zu meiner Mutter auf, zwinge mich zu einem Lächeln.

»Du bist ein liebes Kind«, sagt Denya wie so oft.

Bin ich das wirklich? Würde meine Mutter das auch zu mir sagen, wenn sie wüsste, dass ich eine Magierin bin?

Denya wendet sich ab und stakt zum Vorraum, von dem man sowohl nach draußen als auch zum Badom gelangt, als würden ihre Füße über Nagelbretter wandern – jedoch ohne einen Ton von sich zu geben. Aber dieses schweigende Leiden erscheint mir beinahe noch unheimlicher als das Stöhnen.

Nun bleibe ich allein zurück mit meinen Gedanken und dem Brotteig, den ich nun in vier gleich große Stücke teile und diese dann zu Laiben forme. Gehackte Nüsse kommen oben drauf. Der Ofen ist inzwischen heiß genug, sodass ich die Brote hineinschieben kann.

Eigentlich wäre jetzt Zeit, mich ans Spinnrad zu setzen, doch ich fühle mich erschöpft. Wenigstens ein paar Minuten Ruhe möchte ich mir gönnen. Selten ist die Verlockung so groß und dieses Mal kann ich einfach nicht widerstehen. Es ist keiner da, der

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Isabella Mey, LikeBook Verlag
Bildmaterialien: Fotolia_168790758_L_Sabphoto, Fotolia_49279931_L_Subbotina Anna
Cover: Isabella Mey
Lektorat: Astrid Nadler, Susanne Candellari, Jennifer Pleterski
Tag der Veröffentlichung: 27.12.2017
ISBN: 978-3-7438-4771-2

Alle Rechte vorbehalten

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