Es war nach unserem Mittwinterritual. Wir saßen um den Tisch hinter der Hütte am Waldrand und teilten die mitgebrachten Leckereien, wie immer in fröhlicher Runde.
„Ich muss euch etwas mitteilen!“, rief eine von uns.
Alle wandten sich ihr zu. „Ich habe geheiratet!“
Die anderen ließen sie hochleben. Sie sprachen von der Feier, dem Kleid und der Liebe. Sie sprachen von Hochzeiten und die älteste schilderte ihre eigene.
„Ich muss euch auch etwas sagen,“ erklärte da eine andere. „Ich bin lesbisch. Ich weiß das schon lange, aber meine Eltern sind sehr fromm, die hätten das nie verstanden. Jetzt habe ich an der Uni eine Frau kennengelernt. Ich habe mich in sie verliebt. Und sie sich in mich. Wir sind jetzt zusammen.“
„Ach, du Arme!“, riefen sie. „Das muss aber schwer für dich gewesen sein!“ Sie waren alle sehr verständnisvoll.
Ich saß an der anderen Ecke des Tisches. Ich glitt still von meinem Ende der Bank und schlüpfte rasch in meine Schuhe. Ich weiß nicht mehr, warum ich die Schuhe ausgezogen hatte. Es war Winter, es war dunkel, es lag Schnee. „Wir sind keine Schönwetterhexen!“, pflegte eine von uns zu sagen. Die, die geheiratet hatte. Wir gingen immer nach draußen. Vielleicht war es für das Ritual, ich weiß nicht mehr genau, was für ein Ritual wir vollzogen hatten. Vielleicht auch nur, um meine Füße unter mir zu wärmen.
Jedenfalls schlüpfte ich in meine Schuhe. „Gehst Du schon?“ Die, die neben mir saß, hatte meine Bewegung doch bemerkt. Es war die Jüngste, die, die noch nicht geheiratet hatte.
„Ja“, sagte ich rasch und eilte um die Ecke. Ich weiß noch, daß es die schweren großen Wanderstiefel waren, nur die hatten so dicke Sohlen, daß es sich einigermaßen aushalten ließ bei der Kälte. Ich war so schnell hinein geschlüpft, daß ich sie nicht geschlossen hatte, nur die Schnürsenkel hatte ich in die Schuhe gestopft. Hinter der Hütte traf mich der eisige Wind, vor dem wir auf der Rückseite geschützt gewesen waren. Ich weiß noch, wie diese Schuhe klobig an meinen Füßen saßen, ich stapfte durch den Schnee und den schneidenden Wind. Es war so dunkel, daß ich kaum etwas sehen konnte. Ich ging den Waldweg hinunter zu meinem Auto in absoluter Schwärze.
Als ich in mein Auto stieg, dachte ich: „Ich muss endlich aufhören hierher zu kommen. Auch hier ist kein Platz für mich.“
Als ich mich, Jahre danach, daran erinnere, liege ich in meinem Bett. Es ist dunkel, ich bin allein und es ist warm.
Texte: Elvira Stecher
Bildmaterialien: Thomas Lubinsli
Tag der Veröffentlichung: 09.01.2015
Alle Rechte vorbehalten