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Das Leuchten

Eigentlich war es immer da.

Unter all der Angst, dem Kummer und der Vergeblichkeit.

Ich konnte es sehen im Glanz einer Frucht, der Gestalt eines Baumes, den Farben einer Blüte und jedes Sonnenuntergangs. Ich konnte es spüren in der Wärme der Sommererde unter meinen Füßen und der Wärme der Nähe zu einem anderen Menschen. Ich konnte es hören im Klang einer Geige, einer Stimme und manchmal im lautlosen Lied des Lebens.

Dieses - Leuchten,

Sogar in meinen Gedanken fand ich es, in meinem Verstand. Verstand wurde mir zu Verstehen.

Ich wollte mein Leben nicht damit verbringen, das zu tun, was man anscheinend von mir erwartete. Ich wollte nicht nur tun, um dieses Leben zu erhalten. Ich wollte etwas tun, das dieses Leuchten zum Ausdruck brachte.

Aber was?

Ich träumte vom Theater, von Tanz und vom Zauber des Singens. Aber dazu war ich zu scheu.

Und überhaupt, was sollte das sein?

Brotlose Kunst.

Und doch begann ich, in Ton zu formen. Schalen und Vasen und Brunnen und seltsame Formen in Keramik. Ich freute mich an den leuchtenden Augen derer, die meine Geschöpfe betrachteten. Und manche nahmen etwas davon mit nach Hause.

Aber es war ein karges Brot, mein Rücken begann zu schmerzen von dem langen gebeugten Sitzen über meinen Werkstücken und dem Tragen der Kisten. Irgendwann wurden mir die Kisten zu schwer und ebenso meine Traurigkeit.

Das Schreiben blieb mir, auch wenn ich es niemandem zeigte. Und dann begann ich es zu wagen – würden meine Worte, meine Geschichten das Leuchten fassen können?

Ich weiß es nicht.

Das Leuchten ist noch immer in mir. Es drückt gegen die Wände meines Herzens. Ich kann es manchmal hinaus geben, in kleinen Portiönchen wie winzige Sterne, in einem Lächeln, einem Applaus, einem aufmunternden Wort.

Aber da ist noch mehr. Was kann ich nur tun?

In meinen Geschichten träumte ich bisweilen von einem Kreis von Frauen, die sich die Hände reichen. Ihre Talente verbinden sich zu einer gemeinsamen Kraft und in ihrer Mitte erwacht das Wissen um eine vergessene Mütterlichkeit.

In meiner Jugend träumte ich von einer Form des Theaters, die den verborgenen Wesen der Menschen Raum gibt. Ich träumte von einem Tanz, der seine Musik aus dem Inneren erlauscht und gefangene Gefühle tanzen lässt.

Soll ich eine Gruppe gründen? Habe ich die Zeit dazu, die Kraft, die Fähigkeit? Gibt es die Menschen dazu? Wie sollte ich das anpacken?

Vielleicht bringt mir die Stille zwischen den Jahren eine Antwort.

Das weiß ich: Ich werde auch im nächsten Jahr noch Schreibende einladen in unser kleines Radio. Vielleicht bekomme ich weiter die Gelegenheit, Menschen zu besuchen, die etwas Leuchtendes in diese Welt bringen, um darüber zu berichten, für unsere örtliche Zeitung. Und ich werde mich weiter bemühen, vielleicht lerne ich es ja noch, das Leuchten in Geschichten zu fassen, Worte auszustreuen wie Perlen. Die von denen gefunden werden, für die sie genau in diesem Moment ein Geschenk sein können.

Ich werde Gesangsstunden nehmen.

Und ich werde weiter diese winzigen Sterne aussäen, ein Lächeln, einen Applaus, eine Aufmunterung, ein aufmerksames Ohr und ein klärendes Wort.

Und ab und zu werde ich einen Kuchen backen.

Impressum

Texte: Elvira Stecher
Tag der Veröffentlichung: 08.12.2014

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