Es ist Freitag, Mitternacht, als ein Geländewagen langsam den Strandweg in Richtung des Findlings >>Alter Schwede<< fährt. Zwei ganz in Schwarz gekleidete Männer steigen aus, schauen sich um, ob sie beobachtet werden, und öffnen dann die Heckklappe. Zwei längliche in schwarze Folie gewickelte Körper ziehen sie aus dem Wagen und legen sie neben einem Gebüsch ab. Als letztes nehmen sie ein kleines ebenfalls in schwarze Folie gepacktes rundliches Paket und platzieren es neben die beiden Rollen. Sie bedecken alles mit Laub. Dann drehen sie eine Runde über den Elbstrand, um zu wenden und fahren über den Strandweg zurück.
*
Es ist einer dieser trüben und nebligen Herbstmorgen. Dichter Nebel hüllt die Lotsenhäuser, die sich wie eine Perlenkette am Elbwanderweg von Övelgönne aneinanderreihen, ein. Vom Elbestrom tönt in gleichmäßigen Abständen das Nebelhorn eines Containerriesen, der auf den Lotsen wartet, um dann an die Containerbrücken von Waltershof verbracht zu werden. Um acht Uhr, pünktlich wie jeden Morgen, öffnet sich auch an diesem Freitag die Tür vom Haus Nummer zehn und als erstes kommt der Mops an der Leine der Frau Müllerhagen aus dem Haus. Marion Müllerhagen ist seit zehn Jahren Witwe und trifft sich jeden Morgen mit ihrer Freundin Maria Hagenau, ebenfalls Witwe, aber erst seit vier Jahren. Gemeinsam gehen sie immer bis nach Teufelsbrück, so auch an diesem trüben Novembertag.
„Sag mal Maria, hast du diese Nacht auch den Lärm gehört?“ „Nein, habe ich nicht. Wann war es denn?“ „Ich bin gegen Mitternacht wach geworden, bin zum Klo gegangen und habe diesen lauten Motorenlärm gehört. Konnte gar nicht wieder einschlafen.“ „Das du das nicht gehört hast. Sogar Motorenlärm war dabei zu hören, deinen tiefen Schlaf möchte ich haben.“ „Hast du denn nicht aus dem Fenster gesehen?“ fragt Maria. „Nein, natürlich nicht. Du weißt doch, dass ich nachts, wenn ich wach werde, mich vor Angst kaum rühren mag. Und das wird von Jahr zu Jahr schlimmer, seit sie bei Schulzes eingebrochen haben und Frau Schulz gefesselt hatten.“ Die beiden haben inzwischen den „Alten Schweden“, einen großen Findling, erreicht, als plötzlich Kira, der Mops, zu einem großen Laubhügel stark zieht und nicht zu bewegen ist weiter zu gehen, sondern beginn mit tiefer Nase in dem Laubhügel zu wühlen. Er beginnt zu scharren und legt dabei eine weibliche Leiche frei. Den beiden Frauen läuft es eiskalt den Rücken runter. Maria fängt sich als erste wieder und sagt: „Marion, was machen wir? Ich ruf‘ die Polizei.“Marion ruft ihren Hund zu sich und sagt: „Wir dürfen hier nichts anfassen. Habe ich mal in einem Tatort im Fernsehen gesehen. Komm lass‘ uns zur Seite gehen. Mir wird schon ganz schwindlig, ich muss mich setzen.“ Inzwischen hat Maria ihr Handy genommen und die Notrufnummer der Polizei eingetippt.
„Polizei Hamburg“ kommt eine sonore Stimme aus dem Handy. „Was ist passiert? Wo ist es passiert? Wer meldet es?“ hört Maria die fremde Stimme fragen. „Mein Name ist Maria Hagenau Ich bin hier auf dem Elbwanderweg in Övelgönne beim Alten Schweden. Unser Hund hat hier eine Leiche gefunden,“ erklärt mit zittriger Stimme Maria. „Bleiben Sie bitte am Fundort. Wir kommen,“ kommt die Antwort aus dem Lautsprecher. Kaum Ist das Telefongespräch beendet, ist das Martinshorn des Einsatzwagens zu hören. Die Besatzung des Streifenwagens sperrt weitläufig um den Fundort mit Flatterband ab und nimmt die Personalien der beiden Frauen auf. Sie bewacht das abgesperrte Gelände, bis die Einsatzkräfte der Kripo eintreffen.
*
Hauptkommissar Klaus Klausner hat noch drei Monate bis zum Erreichen des Pensionsalters. Er ist seit vierzig Jahren Polizist und seit zehn Jahren Leiter der Mordkommission. In seinen vierzig Jahren Polizeiarbeit hat er Höhen und Tiefen erlebt. Er besitzt eine athletische und sportliche Figur, ist ausdauernd seinen Mitarbeitern gegenüber führungsfähig, in der Verfolgung von Straftaten unerbittlich und beharrlich. Was Klaus nicht ausstehen kann, sind Arschkriecher. Nur in seiner Ehe hatte er kein gutes Händchen, er ist seit zehn Jahren geschieden. Max Friedrich ebenfalls Hauptkommissar ist seit dreißig Jahren Polizist und seit sieben Jahren der Teamkollege von Klaus. Max ist der solidarische, ausdauernde und belastbare Typ. Als die beiden Kommissare, am Fundort der Leiche eintreffen, sind die Kommissare des Krimminaldauerdienst bereits wieder weg und die Beamten der Spurensicherung und der Rechtsmediziner Dr. Helmut Schulz schon bei der Arbeit. Dr. Schulz gehört zum Ärzteteam des Instituts für Rechtsmedizin und ist in seinem Fach eine Koryphäe. Besonders die forensische Pathologie ist unbestritten seine Stärke. Die sieben Jahre, die Klaus und Max schon als Team zusammen arbeiten, haben sie zusammen geschweißt. Dabei haben sie und Höhen und Tiefen erlebt, aber was sie hier zu sehen bekommen, haben sie in ihren bisherigen Jahren nur selten erlebt. Der Kopf ist abgetrennt und liegt neben der Leiche. Die Genitalien der Frau sind verstümmelt und kreuzweise eingestochen und der Unterkörper ist vom Torso abgetrennt. „Bevor du Fragen stellst: ich kann Näheres erst nach der Obduktion sagen. Nur soviel: der Fundort ist nicht der Tatort“, kommt der Rechtsmediziner der Frage von Klaus zuvor.
„Das ist nun schon der zweite Mord in fünf Wochen. Haben wir es mit einem Serientäter zu tun?“ spricht Max aus was alle denken. „Nur ist es diesmal grausamer als bei dem vor fünf Wochen“ wirft Klaus ein. Aber wie vor fünf Wochen ist es eine unbekleidete weibliche Tote, die auch mit mehr als zehn Messerstichen getötet wurde, aber nicht so zerteilt wie diese hier. Auch bei der ersten Leiche tappen die beiden Kommissare noch im Dunkeln, deshalb hat sich der Polizeipräsident entschlossen, eine SOKO unter der Leitung von Klaus Klausner einzurichten. Klaus ist seit vierzig Jahren bei der Polizei und hat nach der Ausbildung als Streifenpolizist an der Davidswache angefangen und hat sich nach fünf Jahren im Streifendienst bei der Kripo beworben und wurde nach weiteren fünf Jahren Kripoarbeit der Mordkommission zugeteilt. Durch den unregelmäßigen Dienst ist seine Ehe auf der Strecke geblieben und er steht jetzt vor seiner Pensionierung. Sein Teamkollege Max hat eine identische Biografie, was auch der Grund dafür ist, dass sie beide so gut zusammen arbeiten.
„Komm Max, wir fahren ins Präsidium und gehen die Vermisstenanzeigen durch, ob wir darin Hinweise auf die Identität finden.“ „Ja, Klaus. Und dann stellen wir die SOKO zusammen.“ Die SOKO‘ Frauenleiche besteht aus sechs männlichen und vier weiblichen Beamten. Klaus verteilt die einzelnen Aufgaben, als sein Telefon klingelt und eine männliche Stimme sich meldet: „Ich habe die beiden Frauen, die Nutten waren, umgebracht und es werden noch weitere dazu kommen“. Bevor Klaus fragen kann, wer der Anrufer ist, ist das Gespräch auch schon beendet. Das Telefonat kam von einer Prepaid-Karte und war zu kurz, um es zu orten. „Gibt es Ergebnisse von der Spusi und der Gerichtsmedizin?“ fragt Klaus in die Runde. „Ja, die Spusi konnte Reifenspuren von einem Geländewagen sichern und der Medizinmann kommt gerade mit dem Bericht,“ sagt Georg. „Das wichtige zuerst,“ beginnt der Rechtsmediziner seinen Bericht. „Der Torso und der Unterleib sind von zwei verschiedenen Leichen. Unter den Fingernägeln haben wir fremde DNA sichern können. Sie muss sich also gewehrt haben. Die Messerstiche sind mit einem Jagdmesser ausgeführt worden, mit einer gebogenen Fünfzehn-Zentimeter- Klinge.“ Klaus notiert alle bisherigen Fakten auf der Wandtafel und klemmt auch die Bilder der Spurensicherung dazu. „Kennen wir schon den Namen und den Todeszeitpunkt des zweiten Opfers, dem der Unterleib zugeordnet werden kann?“ Karen, eine seiner fähigen IT-Ermittlerinnen, setzt sich an ihren PC und sucht in den Vermisstenanzeigen und wird fündig. Karen ist seit vier Jahren bei der Mordkommission. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Innerhalb der Mordkommission hat sie sich zu einer Spezialistin für die Recherche nach nicht identifizierten Opfern einen Namen gemacht. „Die Tote von vor fünf Wochen ist Regina Dürer, die seit dieser Zeit als vermisst gilt,“ sagt Karen und sucht weiter nach dem Namen des heutigen Opfers. „Bingo“ ruft sie. „Auch das heutige Opfer hat einen Namen, Anke Schülke.“ „Nach der Toten, von der wir nur den Unterleib haben, suche ich, wenn ich mehr über den Todeszeitpunkt und Fundort habe“.
Klaus fordert vom Archiv die Akten des gesamten letzten Jahres an und will herausfinden, wer für die Taten in Frage kommen kann und wer von diesen Typen schon wieder in Freiheit ist. Noch während er damit beschäftigt ist, klingelt bei Karen das Telefon und der unbekannte Anrufer kündigt ein neues Opfer an. Auch dieses Gespräch dauert nur Sekunden. Doch diesmal kam es von einer Telefonsäule auf dem Großneumarkt. Der sofort losgefahrene Streifenwagen findet die Säule nur noch leer an. Die alarmierte Spurensicherung kann weder DNA-Material noch Fingerabdrücke sicherstellen. Auf dem Großneumarkt ist Markttag und deshalb hat auch niemand der Anwesenden auf die Telefonsäule geachtet. Das Phantom ist wieder mal in der Menschenmenge verschwunden. Klaus wird in den Akten fündig. Es gab einen ungeklärten Mordfall vor sechs Monaten, bei dem nur ein Torso gefunden wurde und dessen DNA mit der DNA mit der des am heutigen Tag gefundenen Unterleibs übereinstimmt. Dem damals Verdächtigten konnte aber nichts nachgewiesen werden und er sitzt seit vier Monaten wegen eines anderen Delikts in Santa FU (Strafvollzugsanstalt Fuhlsbüttel) ein. Aber in den Akten findet Klaus fünf in Freiheit befindliche Ganoven, die in Frage kommen könnten. Es beginnt ein Vernehmungsmarathon, der aber nicht den gewünschten Erfolg hat, weil alle fünf ein überprüfbares Alibi haben.
*
In den späten Abendstunden kommt über Funk von einem Steifenwagen die Meldung „Leichenfund in der Seilerstraße, Höhe Hausnummer 13 im Hinterhof“. Als Klaus und Max zur Seilerstraße kommen, sind der Rechtsmediziner und die Spusi schon wieder bei der Arbeit. „Wissen wir schon, wer das Opfer ist? Und können Sie schon was sagen?“ fragt Klaus in die Runde und den Gerichtsmediziner. „Gibt es Zeugen?“ will Max wissen. „Der Tod ist durch einen tiefen Stich direkt ins Herz eingetreten. Über den Zeitpunkt kann ich erst nach einer genauen Untersuchung etwas sagen,“ äußert sich der Arzt. Max geht zu den Schaulustigen, die hinter der Absperrung stehen und fragt: „Hat von Ihnen jemand etwas gesehen oder gehört?“ Ein Obdachloser meldet sich und sagt: „Ich habe einen Mann mit einer schwarzen Kapuzenjacke und einer schwarzen Jeans weglaufen gesehen.“ – „Können Sie den Mann beschreiben?“ will Max wissen. „Und würden Sie mit zum Revier kommen und eine Phantomzeichnung anfertigen zu lassen?“ Der Obdachlose stimmt zu und Max bringt den Obdachlosen zum Streifenwagen und dieser wird zur Davidwache gefahren. Die Tote hat weder eine Tasche noch einen Ausweis bei sich und von daher wird die Bestimmung der Identität schwierig und mit besonderem Aufwand betrieben werden müssen.
*
Karen hat inzwischen auch die Leichenteile der Unterkörperteile zuordnen können. Es sind die Teile der vor einem Jahr vermissten Abgeordneten der Bürgerschaft Karla Müntig. Die DNA-Probe hat die letzte Gewissheit geliefert. In der SOKO wird gerätselt und diskutiert warum hat der Täter zwei verschiedene Leichen miteinander verbunden und sie in Övelgönne ausgelegt hat. Was wollte er damit zum Ausdruck bringen? Ist er ein irrer Serientäter? Alles Fragen, auf die es spontan keine Antwort gibt. Antworten auf diese Fragen erhofft sich Klaus von der Hinzuziehung eines Fallanalytikers. Hauptkommissar Helmut Meyerhoff ist ein erfahrener Fallanalytiker, einer von zweien, die beim LKA ihren Dienst tun und der jeweiligen SOKO, die einen Fallanalytiker benötigt, zugeordnet werden. Helmut Meyerhoff ist seit mehr als fünfzehn Jahren Profiler, er hat seine Ausbildung in den USA beim FBI absolviert und ist daher ein erfahrener Fallanalytiker, der eng mit seinem Team zusammenarbeitet. Und dabei den Ermittlern der SOKO Anknüpfungspunkte liefert. Zum Beispiel: Wie kam es zu der Tat? Welche Beziehung hat der Täter zum Opfer? Könnte er der Polizei bereits bekannt sein? Aber auf alle diese Fragen gibt es keine Antworten, obwohl Helmut Meyerhoff alle Tatorte aufsucht, auch zu den Tatzeiten, ebenso liest er jeden Obduktionsbefund, muss sich dann aber eingestehen, dass er an seine Grenzen gestoßen ist. Obwohl alle Tatorte in geografischer Nähe zueinander liegen, kann Helmut Meyerhoff keine Verbindung zwischen den Opfern feststellen. Bei den Opfern vom Övelgonner Strandweg war der Täter äußerst brutal vorgegangen, hatte den Kopf vom Torso fachgerecht abgetrennt und beim zweiten Opfer, bei dem nur der Unterleib vorhanden ist, mit einem Messer kreuzweise die Vagina zerstört. Beim Leichenfund in der Seilerstraße wurde das Opfer mit einem gezielten Stich ins Herz getötet und der Tod trat sofort ein, wie aus dem Bericht des Rechtmediziners hervorgeht. Auch muss der
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 15.10.2018
ISBN: 978-3-7438-8369-7
Alle Rechte vorbehalten