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Das geniale Mäuschen


Das geniale Mäuschen

Es war einmal eine graue Maus namens Lucy. Sie hauste in einem kleinen Loch in der Nähe eines Kellers, in dem es guten Käse und immer frische Wurst gab. Mit ihr lebte dort ihre Familie: Mama, Papa, und die kleine graue Maus Schwester Geraldine. Lucy hatte zu essen und zu trinken, konnte ohne entdeckt zu werden spazieren gehen und eine Katze gab es ebenfalls nicht im Haus. Dennoch, die kleine graue Maus war nicht allzeit zufrieden mit ihrem Leben. In ihrem Innern fühlte sie den betörenden Drang, etwas für die Ewigkeit zu schaffen. Lucy war keine gewöhnliche Maus. Stellt euch vor, sie konnte überdies lesen und schreiben! Johann Wolfgang, der alte Mausdoktor hatte sie in dieser Kunst unterwiesen. Er wohnte nebenan in einem anderen Keller, und war äußerst sprachgebildet. Er war der einzige Mäuserich, der vor vielen Jahren bei den Ratten das Lesen und Schreiben gelernt hatte.
Diese Ausbildung wollte die kleine graue Maus nicht brachliegen lassen. Johann Wolfgang besorgte Lucy Papier und Stift, die kleine graue Maus setzte sich in eine Ecke und begann zu schreiben. Der Stift glitt leicht über das Papier, sie füllte Seite um Seite. Je mehr sie schrieb, desto besser fühlte sie sich. Am Ende hatte sie einen Roman über ihr Leben als Maus geschrieben. Sie war sich sicher, dass dieses Buch ein Bestseller werden würde. Es gab keine schreibenden Mäuse. Leider konnten die Eltern und die Schwester Geraldine das Geschriebene nicht lesen. Johann Wolfgang war von einer großen Katze verletzt worden und lag im Mäusekrankenhaus. Lucy allerdings, wünschte sich, diese Arbeit nicht umsonst gemacht zu haben. Sie beabsichtigte, ihren Roman an die Öffentlichkeit zu bringen.
In der Kanalisation wohnten die gebildeten Ratten. Die meisten von ihnen waren des Lesens und Schreibens mächtig. Aus diesem Grunde schnürte sich die kleine graue Maus eines Morgens ein Bündel mit Käse und frischem Schinken, klemmte sich das Manuskript unter den Arm und machte sich auf den Weg in die Kanalisation. Der Pfad war äußerst mühselig. Lucy musste über stinkende Abfälle steigen, rutschte auf einer Bananenschale aus und blieb mit dem Kopf fast in einem Marmeladeglas stecken. Das Manuskript allerdings, lies sie nicht los. Ramponiert, jedoch mit heilen Gliedern kam sie in der Kanalisation an. Mit großen Augen sah sie sich um. Hier gab es hohe Häuser, in denen die Ratten wohnten, Strassen die beleuchtet waren, und Fahrzeuge mit vier Rädern, die stinkende Qualmwolken ausstießen und laut dröhnten. Ratten und Mäuse bewegten sich auf diese Art durch die Gänge der Kanalisation fort. Die kleine Maus musste ein paar Mal zur Seite springen um nicht überfahren zu werden. Allein, das Glück verließ sie nicht. Es war, als ob ein Stern über ihr aufginge, und ihr den Weg zeigte. Im selben Augenblick, in dem sie einem der Fahrzeuge auswich, gewahrte sie hinter sich ein Gebäude. „Rattenverlag“, stand in großen schwarzen Buchstaben quer über die graue Hauswand geschrieben. Die kleine Maus war eine unerfahrene kleine Maus und freute sich sehr über ihre Entdeckung. Hätte sie die Ratten besser gekannt, wäre ihr aufgefallen, dass ordentliche Ratten keine Hauswände beschmieren, sondern ein Schild aushängen. Das kleine Mäuschen freilich klemmte sich sein Manuskript fest unter den Arm und betrat das Haus. Energisch tappte es die steilen Stufen zum Büro der Oberratte hinauf. Nur ein bisschen klopfte ihr Herzchen, als sie vor der Tür stand.
Lucy wusste, sie war die erste Maus, die ein Buch geschrieben hatte. Die Ratten würden sich danach die Finger ablecken…Nein, nicht nur das, sie würden sie sofort unter Vertrag nehmen, damit das Buch unter die Ratten kam. Energisch klopfte Lucy an die große braune Holztür, auf der ein golden glänzendes Schild prangte: „Freiherr v. Donnershausen, Verleger.“ Lucy bekam auf ihr Klopfen keine Antwort. Herr von Donnershausen schien nicht da zu sein. Aus diesem Grunde versuchte sie es noch einmal, diesmal energischer und lauter. „Jaaaa“ krächzte eine undeutliche Stimme. Lucy öffnete die Tür, was ihr große Mühe bereitete, denn sie war eben nur ein kleines Mäuschen. Hinter dem Schreibtisch saß eine dicke graue hässliche Ratte. Sie hatte eine Zigarre im Mund. Kleine weiße Rauchwölkchen kräuselten sich in der Luft und hüllten sie ein. Ihre listig funkelnden Äuglein waren tief eingebettet in den Fettwülsten ihres Gesichtes. Eines ihrer Beine hatte sie auf den Schreibtisch gelegt, das andere hing schlaff herunter. Über ihrem drallen Bauch spannte sich eine graue Weste mit goldenen Knöpfen.
Energisch tat Lucy ein paar Schritte vorwärts. „Ist da wer?“ fragte die Ratte, die nicht über ihren Bauch hinwegsehen konnte. „Ich bin hier unten“, sagte Lucy.
„Ach du lieber Rattengott..eine Maus! Die Augen des Rattenverlegers wurden groß. Er nahm den Fuß vom Schreibtisch, und richtete sich auf um besser sehen zu können. Seine gierig glitzernden Augen sahen sofort das Manuskript, das Lucy unter dem Arm geklemmt hielt.
„I..ich habe ein Buch geschrieben, “ stammelte Lucy. Angesichts der Größe des Herrn von Donnershausen kam sie ins Stottern. „Du hast ein Buch geschrieben? Mäuse können nicht schreiben.“ Stellte der Rattenverleger fest. „Ich schon“, sagte Lucy tapfer. „Na, dann zeig mal her“, Seine Äuglein funkelten lüstern, als er nach dem Manuskript griff. Lucy lief eine Gänsehaut über den Rücken. Es war ihr, als ob sie ein Stück ihres Lebens ausborgen müsste. Für solche Feinheiten war Herr von Donnershausen nicht zuständig. „Fräulein Gelbzahn, geben Sie unserem Gast einen Schemel und etwas zu trinken, “ posaunte er.“ Fräulein Gelbzahn, eine ausgesprochen hässliche Rattendame, die vergebens versuchte sich in Schuhen mit hohen Absätzen fort zu bewegen, brachte Lucy einen Napf mit Wasser und einen kleinen Hocker auf dem sie sich zu Füßen des Herrn von Donnershausen setzen konnte.
Herr von Donnershausen las. Auf seiner Rattenstirn erschienen Falten, und er brummelte unverständliches. Nach endlos langen Minuten hob er den Kopf. „Interessant, “ sagte er.“ Schön, wie du dein Leben beschreibst. Leider haben wir schon fünfzig Rattenschreiber, die ihre Bücher vor dir veröffentlichen wollen. Wenn du es nicht eilig hast, gebe ich dir eine Chance. Lass mir dein Manuskript hier, und ich mache dir ein Buch daraus.“ „Oh, ich habe es nicht eilig."Antwortete Lucy. Ich dachte nur ich bin eine Maus.“ und das ist etwas besonderes oder etwa nicht?“ Herr von Donnershausen lächelte schief. Seine dunklen Äuglein glitzerten listig. „Natürlich bist du etwas Besonderes. Alle die schreiben, sind etwas Besonderes. Trotzdem musst du dich in die Gemeinschaft einfügen. Zuerst kommen die Ratten, dann kommst du. Außerdem bekomme ich hundert Rattentaler für die Veröffentlichung. „ Johann Wolfgang hat gesagt dass ich Geld bekomme...“ Wandte Lucy ein. „Ich habe Unkosten“, brummte Herr von Donnershausen. „Meinst du etwa, das Buch druckt sich von alleine? Das weiß dieser Johann Wolfgang wohl nicht.“
Lucy war enttäuscht. Aber da sie zu Hause erzählt hatte, dass sie nicht ohne einen Vertrag für ihr Buch zurückkommen würde, stimmte sie zu.
„Na also, “ sagte Herr von Donnershausen zufrieden, und legte das Manuskript neben das fettige Butterbrotpapier auf seinem Schreibtisch. Eine große dicke Fliege ließ sich brummend darauf nieder. Herr von Donnershausen griff nach der Fliegenklatsche und schlug zu. Lucy zuckte erschreckt zusammen. Auf ihrem Manuskript klebte nun die leblose Fliege. Das hier wollte sie sich nicht gefallen lassen. „Geben Sie mir mein Manuskript wieder“, sagte sie. „Ich mag es nicht, wenn Sie so damit umgehen. Haben Sie keine Achtung vor meiner Arbeit?
Herr von Donnershausens Rattenaugen wurden groß und glitzerten auf einmal gefährlich. „Bitte, dann versuch es doch anderswo. Keine vernünftige Ratte wird sich deine Schmiererei ansehen.“
“ Sie haben gesagt, es sei gut geschrieben, “ protestierte Lucy. „Du schreibst nicht besser als die Ratten. Und wenn du mir die hundert Rattentaler nicht schleunigst zahlst, kannst du dein Manuskript wieder mitnehmen, “drohte er.
Mit großen Augen sah Herr von Donnershausen zu, wie Lucy sich ihr Manuskript unter den Arm klemmte und mit erhobenem Haupt das Büro verließ. „Vielleicht hätte ich besser nicht die Fliegenklatsche benutzt“, murmelte er. Aber Herr von Donnershausen hatte sich nichts dabei gedacht. Er war es nicht gewohnt, sorgfältig mit dem Gedankengut Anderer umzugehen. Schließlich hatte er auch für die Rattenmanuskripte nur Geld verlangt. Er dachte gar nicht daran, Bücher daraus zu machen. Das Gekritzel an der Hauswand war schnell abgewaschen und Herr von Donnershausen würde mit Fräulein Gelbzahn weiterziehen, um irgendwo in der Kanalisation eine andere Hauswand zu beschmieren.
Johann Wolfgang schaute seiner klügsten Maus ärgerlich ins Gesicht, als sie nach Hause kam. „Ratten nehmen nur und geben nichts! Es ist gut, dass du dein Buch gerettet hast, so beschmutzen sie es zumindest nicht!“ Lucy wischte sich die Tränen fort. „Nie wieder lass ich mich so behandeln“ schluchzte sie kleinlaut und Johann Wolfgang stupste sie mit seiner kleinen Mäusenase an. „Wir werden über die Ratten siegen“ piepste er sicher. „Wir bringen jeder Maus Lesen und Schreiben bei.“ „Das ist nicht möglich“ widersprach Lucy leise, „Mäuse sind dazu nicht schlau genug.“
Johann Wolfgang grinste verschmitzt: „Wenn du mir hilfst, schaffen wir es ganz bestimmt! Du hast den Mut und ich das Wissen. Gemeinsam verändern wir unsere kleine Mäusewelt.“ „Warum sollten wir das machen?“, wisperte Lucy ängstlich und sah ihn mit großen Augen an. „Wir bringen Licht in diese dunkle Rattenwelt. Kennst du ihr Geschmiere? Für gute Geschichten haben sie oftmals keinen Sinn! Wir schreiben für die, die sich dafür interessieren, nicht für die, die keinen Wert darin erkennen.“
„Aber ich schreibe nie wieder“ weinte Lucy erneut, „das war demütigend. Vielleicht gefällt mein Buch niemandem. “ „Aber nein, da du mit dem Herzen schreibst, gefällt es jedem. Und nun, pass auf:“
Johann Wolfgang öffnete die kleine Tür von ihrem Mauseloch und viele kleine Mäuse strömten herbei. „Schau, all die kleinen Mäuschen möchten Lesen und Schreiben lernen. Ich habe Papier und Stifte mitgebracht. Lass uns beginnen.“
Die kleine graue Maus war vollkommen überwältig von so viel Interesse. „Erzähl uns doch von deinem Buch“ quietschten die einen. „Das möchte ich auch lernen“, piepten die anderen.
Johann Wolfgang und Lucy hatten alle Mäusehände voll zu tun, um die Mäusekinder zu beruhigen. Nach einer Weile hatten sie das geschafft und von nun an übten sie jeden Tag.
„Lucys Schreibschule“ stand in großen Lettern über ihrem Mauseloch als die Ratten sie besuchten. Laut klopfte der Kofferträger des Verlegers an die Tür und verlangte Einlass.
„Wir hörten von euren bunten Geschichten und würden diese gerne lesen“, sprach Frau Gelbzahn in forderndem Ton. „Sie verdienen sehr viel Geld, wenn wir sie für gut befinden und bereit wären, ihre Manuskripte zu verlegen.“

Lucy lächelte verschmitzt. „Das freut mich sehr“ piepste sie „Aber nein. Unsere Geschichten kann man nicht erwerben. Sie sind für die Ratten viel zu schade. Wussten Sie das nicht?“
Unglücklich gingen Frau Gelbzahn, der Kofferträger und der Verleger davon. Niemals würden sie die schönen Geschichten der Mäuse lesen, sie behielten lediglich die Rattenschmiererei.

Impressum

Texte: Heidrun Böhm
Bildmaterialien: Cover: Heidrun Böhm
Tag der Veröffentlichung: 01.06.2017

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