Die "Love without a limit" Reihe besteht bis jetzt auch den Büchern No tear flows without a reason! und Feelings allowed - also for boys! (dieses Buch).
Die Reihe beginnt mit dem Buch "No tear flows without a reason!".
Wie wohl jeder "Autor" es machen würde, würde ich euch empfehlen, mein anderes Buch zuerst zu lesen.
Die Geschichte baut auf dem ersten Buch auf und es wäre Vieles unverständlich, wenn man das Buch nicht erst liest.
Ihr findet es kostenlos auf meinem Profil oder ihr klickt einfach auf den No tear flows without a reason!.
Ich hoffe, dass ich euch mit beiden Geschichten fesseln kann und ihr Spaß beim Lesen habt!
Lächelnd öffnet Jez die Haustür. Kimmy, die davor steht, erwidert sein Lächeln und senkt dann den Blick, bevor sie das Haus betritt und ihrem Freund – ihrem Freund, seit weniger als eineinhalb Stunden – in die Augen sieht. Er macht einen Schritt auf sie zu, streicht ihr mit den Fingern einige Haarsträhnen, die der Wind ihr ins Gesicht geweht hat, aus dem Gesicht und lächelt zärtlich, bevor er sich zu ihr lehnt und einen sanften Kuss auf ihre Wange drückt. Eigentlich nur eine klitzekleine Berührung, doch sie lässt wieder das angenehme Kribbeln durch Kimmys Körper schießen, dass sie sich wünscht, Jez würde ihr noch einen Kuss geben. Stattdessen macht er aber wieder einen Schritt zurück und hält ihren Blick mit seinen intensiv grünen Augen fest. Kimmy ist die, die den Blick abwendet und die rechte Hand hebt, in der sie Jez blaue Trainingsjacke hält, die er ihr vor wenigen Tagen um die Schultern gelegt hat, obwohl er nicht wusste, ob sie noch immer sauer auf ihn ist oder nicht.
„Die war noch bei mir.“ Sie hält sie Jez hin, der nur einen flüchtigen Blick darauf wirft, bevor er ihre Hand sanft mit seiner linken Hand runter drückt.
„Kannst du behalten.“ Kimmy legt den Kopf schief und sieht Jez einen Moment an.
„Sie riecht aber nicht mehr nach dir.“ Leise lacht Jez auf, bevor er seiner Freundin die Jacke aus der Hand nimmt und sie anzieht.
„Das kann man ändern.“ Kimmys lächelt noch immer und spürt wieder das angenehme Kribbeln in ihrem Körper, als Jez sanft mit zwei Fingern ihre Hand berührt. „Gehen wir ein bisschen raus?“ Kimmy nickt, bevor Jez in seine blauen Turnschuhe schlüpft und nach seinem Schlüssel greift, der auf der kleinen Kommode liegt. Er verschränkt seine Finger in Kimmys, bevor sie zusammen das Haus verlassen und langsam den Gehweg, ohne geplantes Ziel, in Richtung See entlanggehen.
Schweigen genießt Jez einfach nur Kimmys Nähe. Das Wissen, dass die für ihn so unendlich lang scheinende Zeit, in der er Ärger mit Kimmy hatte, endlich vorbei ist, lassen ihn ihre Nähe noch mehr genießen. Als hätte Kimmy seine Gedanken gelesen, wendet sie den Kopf zu ihm.
„Jez?“ Auf ihren Lippen liegt nicht mehr das Lächeln und auch ihr Gesichtsausdruck sieht nicht mehr so entspannt aus. Fragend hebt Jez die Augenbrauen.
„Hm?“ Entweder er bildet es sich nur ein, oder Kimmys Hand schließt sich fester um seine.
„Es tut mir leid.“ Sie senkt den Blick auf die Pflastersteine vor sich. „Dass ich dir so viel dummes Zeug unterstellt habe.“ Jez lässt seinen Blick langsam über die weiten Felder zu seiner Linken wandern. Auch wenn es klischeehaft klingt, vor wenigen Wochen, als er noch in Köln, einer Großstadt, gewohnt hat, hat er gerade die Weiten der Natur nicht wirklich zu schätzen gewusst. Zwar hat er sich früher zum Nachdenken auch gerne am Rheinufer aufgehalten, aber es ist dennoch was anderes, ob man an einem natürlich entstandenen ‘Strand‘ eines Sees sitzt, oder an einem künstlichen Ufer eines Flusses.
„Wenn ich jetzt sage, dass es nicht so schlimm ist, dann wiedersprichst du mir, wetten?“ Er wendet sich Kimmy zu und grinst, als sie seine Frage mit einem zustimmenden Grinsen beantwortet.
„Es stimmt doch“, murmelt sie leise, als das Grinsen aus ihrem Gesicht verschwindet und sieht Jez dann von der Seite in die Augen.
„Um sein Ziel zu erreichen, muss man kämpfen, egal gegen wen oder was.“ Kimmy senkt den Blick wieder auf den mittlerweile asphaltieren Feldweg vor sich, bevor sie mit den Augen nach dem kleine, hölzerne Kreuz sucht, das am Rand der großen Bundesstraße steht und den Ort, an dem ihr Bruder Lennard sterben musste, markiert.
„Aber eigentlich nicht gegen Dinge, die das Ziel verursacht.“ Kimmys Blick hängt noch immer an dem kleinen Kreuz. Der Gedanke an ihren Bruder entlockt ihr ein leises Seufzen. Jez folgt ihrem Blick, entzieht seine Hand dann aus ihrer und legt sanft einen Arm von der Seite um ihren Rücken. Wie sehr Kimmy ihren Bruder auch nach fünf Jahren noch vermisst, ist ihm erst am Vortag wirklich bewusst geworden. „Ich glaube, er wäre glücklich, wenn er wüsste, dass wir zusammen sind.“ Kimmy hebt den Blick um Jez anzusehen. Sie ist sich sicher, dass Lennard sich freuen würde, wenn er wüsste, dass der Jungen, mit dem er früher in den Ferien immer gespielt hat, der Freund seiner Zwillingsschwester ist.
„Glaubst du?“ Jez grüne Augen funkeln förmlich, während er, den Arm immer noch um Kimmy gelegt, zusammen mit ihr langsam die Ausfahrt in den Feldweg passiert und die wenigen hundert Meter bis zum See zurücklegt. Kimmy nickt. Ein Grinsen huscht über ihre Lippen.
„Vielleicht glaubst du mir das ja nicht, aber früher hat er manchmal zu mir gesagt: ‘Wenn du irgendwann mal mit dem oder dem zusammen bist, dann hast nicht nur du ein Problem mit mir!‘“ Mit einer Hand streicht sich Jez die Haarsträhne, die schon seit dem Morgen nicht ganz das macht, was sie machen soll, zurück.
„Dann hoffe ich mal, dass ich bei ‘dem und dem‘ nicht dabei wahr.“ Kimmy legt ihren Kopf schief und knufft Jez ganz sachte in die Seite.
„Und wenn, dann hätte er an dir aber auch nichts ändern können.“ Kimmy kuschelt sich, als sie das sagt, in Jez Arm. Nein, Lennard hätte ihr Jez nicht ausreden können. Niemand kann einem die Liebe zu einer Person ausreden. Jez gibt keine Antwort und Kimmy stattdessen einen ganz sanften Kuss aufs Haar. So sanft, dass sie ihn nur erahnen kann, was ihren Körper aber nicht daran hindert, wieder warm und wohlig zu kribbeln.
Nachdem die beiden den Weg bis zum See komplett passiert haben, setzten sie sich in derselben Bucht wie am Vortag auf den staubigen Kiesboden. Kimmy genießt die Wärme, die Jez ausstrahlt und kuschelt sich dicht an ihn. Sie sieht ihn einen Moment von der Seite an, solange, bis er seinen Kopf vom Wasser des Sees, das sich wegen des Winds ein wenig kräuselt, abwendet und ihr in die Augen sieht. Einen Moment hält er an ihren Augen fest, dann wendet er den Blick wieder in Richtung See und seufzt leise.
„Wäre ich, als ich dich das erste Mal küssen wollte, nicht an mein Handy gegangen und hätte dich einfach geküsst, hätten wir schon vor drei Wochen hier sitzen können…“ Kimmy tut es Jez gleich und sieht über das sich immer wieder aufs Neue kräuselnde Wasser. „Dann wäre der ganze Mist nicht passiert.“ Kimmy sieht auf ihre Schuhspitzen.
„Aber vielleicht war das auch das, was ich gebraucht habe.“ Jez sieht sie fragend an. Solange, bis Kimmy die Schultern zuckt. „Ich glaube, ich habe erst nach der ganzen Sache mit…“ sie zögert einen Augenblick. Eigentlich will sie nicht mehr an die vergangenen Wochen denken. Nicht mehr an den ganzen Stress mit Jez, Romy und Betty. Nicht mehr an Finn. An gar nichts mehr. „…Finn gemerkt, wie sehr ich dich eigentlich brauche.“ Kimmy senkt den Blick. „Ich hatte richtig Angst um dich, als er plötzlich auf dich losgegangen ist.“ Mit einem Mal kommen all die Gefühle, die sie an diesem Tag verspürt hat, wieder hoch. Kimmy schließt die Augen und pustet die eingeatmete Luft langsam aus. Erst, als sie spürt, wie Jez nun auch seinen linken Arm um sie schließt, hebt Kimmy den Kopf, um sich eng an Jez Schulter zu drücken.
„Hey.“ Mit den Fingern der linken Hand piekt Jez ihr sanft in die Seite. Fragend hebt Kimmy den Kopf und beginnt zu lächeln, als Jez ihr mit der Hand die Haare aus dem Gesicht streicht und sich dann über sie lehnt, bis sich ihre Lippen berühren. Kimmy hat nicht einmal Zeit, ihre Augen zu schließen, so schnell löst sich Jez schon wieder von ihr. Aber dennoch liegt ein zartes Lächeln auf seinen Lippen und seine Augen funkeln freudig.
Ein Lächeln liegt auf Jez Lippen, als er sich mit geschlossenen Augen die Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen lässt und sanft Kimmys Hinterkopf krault. Sie liegt neben ihm auf der Liege auf der Terrasse, hat den Kopf auf seine Brust gelegt und die Augen, genau wie er, geschlossen. Langsam öffnet Jez die Augen, blinzelt gegen das helle Sonnenlicht und dreht sich dann zu Kimmy, sodass ihr Kopf von seiner Brust herunterrutscht und sie sich mit einem leisen Murren beschwert, was aber sofort wieder verstummt, als sie ihren Kopf auf dem Kissen, das Jez sich eigentlich geholt hat, bettet und zufrieden lächelt. Jez stützt den Kopf auf die Hand und fährt Kimmy wieder sanft durchs Haar. Die drei Wochen, die sie nun schon, oder bessergesagt erst zusammen sind, kommen Jez schon wie eine halbe, wunderbare Ewigkeit für. Er legt den Kopf ein bisschen schief und sieht seiner Freundin dabei zu, wie sie enger an ihn heran rutscht. Dabei lächelt sie so zufrieden wie eine Katze, die sich, genau wie sie, die Sonne ins Gesicht scheinen lässt. Vorsichtig lehnt Jez sich zu Kimmy, soweit, bis seine Lippen ganz sachte ihre streifen. Kimmy öffnet die Augen nicht, sie legt nur eine Hand in Jez Nacken und zieht ihn dichter – soweit das noch möglich ist – an sich. Wie vor drei Wochen lassen Kimmys zarte Berührungen eine Gänsehaut über Jez Arme wandern, die auch von dem warmen, heißen Kribbeln in seinem Inneren nicht vertrieben wird. Sanft streicht Jez mit der freien Hand über Kimmys Seite, woraufhin sie leise zu lachen beginnt und ihre Lippen von seinen löst. Mit der linken Hand gibt sie ihm einen liebevollen Stoß gegen die Schulter, bevor sie ein Stück von dem Kissen freigibt, sodass Jez seinen Kopf neben ihrem auf das Kissen legen kann. Kimmy spürt Jez warmen Atem auf der Haut, als er sich so dicht es nur geht neben sie legt und seine grünen Augen beginnen, ihre lang und intensiv zu mustern. Langsam hebt sie eine Hand und streicht ihrem Freund erst über die weichen, dunklen Haare, bevor sie mit dem Zeigefinger sanft seine Wangenknochen entlangfährt. Jez schließt die Augen und öffnet sie auch dann nicht, als Kimmy ihre warme Hand wieder zu sich zieht.
„Ich vermisse dich jetzt schon.“ Langsam öffnet Jez dann doch die Augen und sieht Kimmy an, bevor er seine Arme um ihren Körper legt und einen Kuss auf ihre Nasenspitze drückt. Er wird die zweite Woche der Pfingstferien komplett in Köln, bei seinem kleinen Bruder Jeremy und bei seinen alten Freunden, verbringen.
„Ich hätte kein Problem dich mitzunehmen.“ Kimmy öffnet die Augen und sieht ihren Freund einen Moment an. Natürlich weiß Jez, dass sie, genau wie er, am nächsten Tag wegfahren wird. Mit dem Unterschied dass sie zusammen mit ihrer Hockeymannschaft ins Trainingslager fährt und er ja, wie schon gesagt, zu seinem Bruder nach Köln. Leise seufzt Kimmy, bevor sie die Hand sanft über Jez rechtes Schlüsselbein wandern lässt. Den Rucksackverband muss er seit zwei Tagen nicht mehr tragen, was zur Folge hatte, dass er sich sofort, nachdem er nach Hause gekommen ist, seinen Handball genommen hat und sich mit einigen Handballjungs getroffen hat, um ein bisschen zu spielen, obwohl Kimmy genau weiß, dass die Ärzte zu ihm gesagt haben, er soll es langsam angehen. Jez greift nach der Hand seiner Freundin und sieht ihr in die Augen. „Habe ich jetzt etwas Falsches gesagt?“ Seine Lippen umspielt noch immer ein und dasselbe Lächeln wie gerade eben noch, doch seine Augen funkeln ernst, sodass Kimmy schnell den Kopf schüttelt, sich aufsetzt und Jez dabei zusieht, wie er sich auf den Rücken dreht und sich mit den Ellbogen abstützt.
„Ach was.“ Sie kann dem Drang, die Hand auszustrecken und noch einmal durch Jez weiches Haar zu streicheln, einfach nicht widerstehen. „Ich habe nur gerade mal wieder festgestellt, was für ein süßer Idiot du bist.“ Nur schwer kann Jez sich ein Grinsen unterdrücken, als er sich aufsetzt und Kimmy gespielt traurig in die Augen sieht.
„Idiot?“, fragt er leise und beginnt zu lachen, als Kimmy sich auf seinen Schoß setzt, in wieder auf den Rücken drückt und seine Handgelenke versucht rechts und links neben seinem Kopf auf die Liege zu drücken.
„Mein Idiot.“ Einen Moment versinkt sie in seinen wunderbar grünen Augen, dann gibt sie ihm einen zärtlichen Kuss. Als sie spürt, wie er beginnt, die sanfte Berührung zu erwidern, löst sie ihre Lippen von seinen und sieht ihn frech an. Kimmy weiß genau, dass sie Jez damit ärgern kann.
„Du machst mich verrückt, Kimberly Beck.“ Mit diesen Worten drückt Jez seine Arme, die Kimmy noch immer versucht auf die Liege zu drücken, hoch und schließt sie um Kimmy, als sie leise aufquitscht. Kimmy kuschelt sich eng an Jez und legt den Kopf schief, als Jez wieder einen Arm von ihr löst und so die losen Haarsträhnen aus ihrem Gesicht streichen kann.
„Wann habe ich dir das letzte Mal gesagt, dass ich dich liebe?“ Kimmy streicht mit einem Finger über Jez rechte Wange.
„Wenn ‚Idiot‘ in Mädchensprache ‚Ich liebe dich‘ heißt, dann vor nicht einmal einer Minute.“ Sanft gibt Kimmy Jez eine Kopfnuss, bevor sie ihn erlöst und noch einmal zulässt, dass seine Lippen ihre berühren. Für Kimmy fühlt es sich wie eine kleine, wunderbare Ewigkeit an, bis Jez seine Lippen von ihren löst und das warme, kribbelnde Gefühl in ihrem Inneren ein wenig abebbt. Jez lehnt seine Stirn gegen ihr linkes, nacktes Schlüsselbein, das von dem weiten T-Shirt, das sie trägt, nicht bedeckt wird. Kimmy hebt beide Arme, legt sie um Jez Rücken und streicht ihm über den Nacken und durch sein weiches Haar, bevor sie die Augen schließt. Deutlich spürt sie, wie Jez langsam seinen Kopf zu bewegen beginnt, seine Lippen über ihre Haut steifen und sie so zum Prickeln bringt. Als er an ihrem Hals angekommen ist, verweilt er dort. Ein Lächeln huscht über Kimmys Lippen, als sie die Nase in Jez Haaren versenkt, bevor sie merkt, was er vorhat. Sofort nimmt sie die Hände von ihrem Kopf, legt sie ihm auf die Brust und versucht ihn von sich zu drücken.
„Jez!“ Kimmy beginnt zu zappeln, spürt aber immer noch den sanften, ein keinen wenig schmerzhaften Zug an ihrem Hals, bevor Jez von ihr ablässt und sein Werk mustert.
„Ich muss noch nur markieren, was mir gehört.“ Unschuldig lächelt er und beginnt leise zu lachen, als er Kimmys bösen Blick sieht. Sie fährt reibt sich mit der Hand über die Stelle, an der Jez ihr einen Knutschfleck verpasst hat. Dann huscht ein weiteres freches Grinsen über ihre Lippen und verrät ihr Vorhaben.
„Na warte!“ Schneller, wie Kimmy reagieren kann, schiebt Jez sie von seinem Schoß, springt auf und sieht sie dann herausfordernd an. Einen Moment sieht Kimmy ihn an, dann tut sie es ihm gleich und beginnt zu lachen, als Jez zwei Schritte zurückweicht, sich dann umdreht und losläuft, als sie sich in Bewegung setzt. Mit einem Satz springt Kimmy über die drei Treppenstufen, die hinunter auf den Rasen führen und läuft Jez hinterher. Anders wie er rutscht sie aber nicht auf dem feuchten Gras, da sie keine Socken trägt, weshalb sie Jez schnell eingeholt hat. Lachend dreht er sich um und versucht sie erfolglos abzuwehren. Kimmy greift nach seinen Handgelenken, drückt seine Arme nach außen weg und legt ihre Arme um Jez Hals, bevor sie sich an ihm hochzieht, die Beine um seine Hüfte schlingt und ihre Lippen an seinen Hals legt. Lachend lässt Jez sich nach hinten ins Gras plumpsen und versucht Kimmy von sich wegzudrücken. Genauso erfolglos, wie sie vorher ganz abzuwehren. Sie lässt erst nach weiteren 5 Sekunden von ihm ab und begutachtet ihr Werk dann.
„Meinen Jungen markiert.“ Lächelnd erhebt sie sich von Jez Schoß und hält ihm beide Hände entgegen. Mit der Hand fährt sich Jez einmal über den roten Fleck an seinem Hals, der sich langsam ins bläuliche verfärbt, bevor er nach Kimmys Händen greift und sich von ihr hochziehen lässt.
Müde lehnt Jez den Kopf seitlich gegen die Scheibe des ICEs, der in gerade nach Köln bringt. Nachdem der Regionalexpress, der ihn vom Bahnhof in Achern nach Karlsruhe gebracht, völlig überfüllt war, kann er die Kühle der Klimaanlage und die Ruhe richtig genießen. Als sein Handy in seiner Hosentasche vibriert, zieht er es heraus, entsperrt es und überfliegt die Nachricht von Kimmy. Sie sitzt, genau wie er, im Zug. Aber nicht nach Köln, sondern irgendwo hin ins Nirgendwo, wo sie sich beginnt, mit ihrer Mannschaft auf die neue Hockeysaison vorbreiten wird. Jez schickt nur ein Herz-Emoji zurück, bevor er sich die Kopfhörer über die Ohren zieht und auf irgendein x-beliebiges Lied in seiner Playlist drückt.
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Als Jez den Kölner Hauptbahnhof verlässt und die ihm so vertraute Domplatte betritt, scheint die warme Mittagssonne auf ihn herab. Es ist kurz vor 12 Uhr mittags. Einmal atmet Jez tief durch, dann bestellt er sich an der nächstbesten Dönerbude einen Yufka. Er nimmt die Alurolle entgegen und geht, während er eins der Enden aufzupft, wieder zurück in den Hauptbahnhof zu den S-Bahn-Gleisen. Er hat Jeremy absichtlich nicht gesagt, wann genau er in Köln eintreffen wird, sodass er ihn von der Schule abholen und ihn so vielleicht wenigstens ein kleines bisschen überraschen kann.
Während Jez sich auf einen der freien Plätze in der Bahn fallen lässt, verputzt er die letzten Fitzel seines Mittagessens und zieht sein Handy dann wieder aus seiner Tasche. Einerseits, um Kimmy die versprochene Nachricht zu schicken, in der steht, dass er gut angekommen ist, aber andererseits auch um nach der Uhrzeit zu sehen. Langsam lässt Jez sein Handy sinken. Die an ihm vorbeiziehenden Hochhäuser und das glitzernde Wasser des Rheins kommen ihm einerseits so vertraut, aber andererseits mittlerweile wieder irgendwie fremd vor. Erst jetzt wird ihm wirklich bewusst, dass er nicht seine Heimatstadt Köln vermisst hat. Nicht die riesigen Hochhäuser, nicht den Gestank von durch die Stadt fahrenden Autos. Das Einzige, was er wirklich vermisst hat, sind seine Freunde und die gewohnte Umgebung. Langsam lässt Jez seinen Daumen über sein Handydisplay kreisen. Aber andererseits… Er hätte Kimmy nie kennengelernt. Natürlich wäre ihm auch der ganze Stress erspart geblieben, den er in den zwei-drei Wochen bevor er mit Kimmy zusammengekommen ist hatte, aber er würde den Umzug nicht mehr rückgängig machen wollen.
Jez erhebt sich von seinem Platz, als die S-Bahn an dem Bahnsteig, der seiner alten Schule am nächsten ist, hält. Er greift nach seiner Trainingstasche, die er als Reisetasche nutzt und verlässt dann die Bahn.
Langsam lässt Jez seinen Blick über die riesigen Schulgebäude der Gesamtschule, die gegenüber dem Gymnasium liegt, auf das er vor wenigen Wochen noch gegangen ist, wandern. Einige Schüler strömen aus den Eingängen der Gesamtschule, andere kreuzen teilweise rücksichtslos mit Rollern oder Fahrrädern seinen Weg. Schweigend überquert Jez die Straße und betritt das riesige Schulgelände seiner alten Schule. Sein Blick wandert über die vielen Gebäude, die allein dem Gymnasium gehören. Die Fläche, die alleine diese eine Schule einnimmt, beeindruckt selbst Jez, jetzt, nachdem er nur wenige Wochen auf eine Schule gegangen ist, die dreimal kleiner ist und dazu Gymnasium, Realschule und Hauptschule in einem. Jez überquert den riesigen Schulhof und lässt seine Tasche auf den Boden neben einer der Tischtennisplatten sinken. Seufzend lässt er sich auf die Platte sinken und genießt den Schatten, den ein Baum spendet und so die extreme Wärme der Sonne ein wenig nimmt. Er zieht sein Handy aus der Tasche und stellt mit Erstaunen fest, dass es schon kurz vor ein Uhr mittags ist und für die meisten der Schule – jedenfalls für die Unter- und Mittelstufenschüler – der Unterricht jetzt eigentlich vorbei sein müsste. Langsam lässt Jez sein Handy wieder zurück in die Tasche seiner halblangen Jeans gleiten, dann lässt er seinen Blick noch einmal über den Schulhof wandern. Schon jetzt verlassen die ersten Schüler, deren Lehrer wohl so nett waren, sie ein paar Minuten früher gehen zu lassen, das Schulgebäude ober kommen von der Sporthalle, die hinter den Schulgebäuden liegt, über den Schulhof gelaufen. Ein Lächeln huscht über Jez Lippen, als er schon von 50 Meter Entfernung Niklas und inmitten der Clique erkennen kann. Niklas blinzelt gegen die Sonne und wendet den Kopf zu Jez, als Solene, die dicht neben ihm läuft, ihn absichtlich anrempelt, nachdem sie Jez entdeckt hat. Die gesamte Clique – Niklas, Solene, die Jungs mit denen Jez bis zu dem Umzug Handball gespielt hat, also Pascal, Samuel, Noel, Robin und Yannik, dann Amelie und Marvin, von denen wohl niemand erwartet hätte, dass sie heute noch zusammen sind und Emelina, die Jez schon von klein auf kennt und eigentlich so ziemlich seine beste Freundin war, in der Zeit in der er noch hier gewohnt hat – kommen auf ihn zu gelaufen. Auch in den letzten Wochen hatte er über WhatsApp und Facebook relativ viel Kontakt mit ihr, was leider auch dazu geführt hat, dass Kimmy wissen wollte wer sie ist und – was Jez eigentlich ganz süß findet - ein ganz kleines bisschen eifersüchtig auf Emelina war, auch wenn sie es nicht zugeben wollte. Erst auf den letzten drei Metern lösen sich Niklas und Emelina ein wenig von der Clique. Jez erhebt sich von der Tischtennisplatte und nimmt Emelina zur Begrüßung in den Arm. Er genießt ihre Nähe schon in die erste Sekunde der Umarmung. Bei ihr fühlt er sich einfach wohl. Wohl, auf eine andere Art als bei Kimmy.
„Hey.“ Jez erwidert nichts darauf, lächelt aber, als er sich von Emelina löst und Niklas begrüßt. Die anderen begrüßt er nur mit einem ‚Hey‘, da die Begrüßung von jedem Einzelnen einfach zu lange dauern würde. Einen Moment lässt Jez seinen Blick über seine Freunde wandern, dann fällt sein Blick wieder auf den nächsten Eingang des Gymnasiums. Und, wie der Zufall es will, verlässt gerade in diesem Moment Jeremy das Gebäude. Er hält sein Handy in der Hand und tippt eine Nachricht. Jez legt den Kopf schief und spürt aber den Blick seiner Freunde auf sich. Jeremy schiebt gerade sein Handy in die Hosentasche, als Jez Handy in der Hosentasche vibriert. Und auch genau in diesem Moment entdeckt Jeremy Jez. Man kann ihm deutlich und auch von der Entfernung erkennen, wie überrascht er ist seinen großen Bruder schon jetzt, hier auf dem Schulhof, wiederzusehen. Dann kommt er auf ihn zugelaufen und springt vor Freude, seinen großen Bruder endlich wieder zu sehen, Jez fast förmlich in die Arme.
„Jez!“ Jeremy drückt sich eng in Jez Arme und grinst erleichtert und freudig zugleich, als er sich aus Jez Umarmung löst. „Warum hast du mir nicht gesagt, wann genau du kommst?“ Er verschränkt die Arme vor seiner Brust und sieht frech zu seinem großen Bruder herauf. Jez fährt ihm mit einer Hand über den Hinterkopf.
„Du hast ja nicht gefragt.“ Jeremy schnappt nach Luft, sagt dann aber nichts, weil er kein Gegenargument hat. Jez lacht leise auf, bevor er seine Trainingstasche vom Boden aufhebt und über eine Schulter hängt.
„Lach mich nicht aus!“ Gespielt schmollend verschränkt Jeremy seine Arme vor der Brust und sieht zu seinem Bruder hinauf. Dieser lächelt nur und setzt sich dann, genau wie die anderen, langsam in Richtung S-Bahn-Station in Bewegung. Er hat wirklich alles an Jeremy vermisst. Seine Art, die auf der einen Seite seiner eigenen so ähnlich ist und auf der anderen Seite doch ganz anders. Seine frechen Antworten, die manchmal einfach nur nerven. Und - auch wenn es vielleicht nicht ganz nachvollziehbar ist – manchmal die Momente, in denen er ihn am liebsten zum Mond schießen könnte, weil er ihm so auf den Geist geht.
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Nachdem Jez sich von seinen Freunden verabschiedet und sich mit ihnen für den Abend am Rheinufer verabredet hat, verlässt er zusammen mit seinem kleinen Bruder die S-Bahn. Jez lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen, als er neben Jeremy durch das ihm so vertraute und irgendwie jetzt schon ein wenig fremde, ruhige Wohnviertel am Stadtrand von Köln läuft. Einen Moment blinzelt er noch gegen die Sonne, dann wendet er sich Jeremy zu und beobachtet ihn einen Moment. Jeremy bemerkt den Blick seines großen Bruders und sieht zu ihm hinauf.
„Habe ich dir eigentlich gesagt, dass ich dich echt vermisst habe?“ Jez lächelt und fährt seinem kleinen Bruder mit der Hand – auch wenn er es eigentlich hasst – liebevoll übers Haar.
„Jetzt schon.“ Jeremy sieht noch mal zu Jez hinauf, bevor er den Blick auf den Boden wendet und einen Stein vor sich her kickt. Das Lächeln, dass bis gerade eben noch im seinem Gesicht gelegen hat, verschwindet langsam. Jez merkt sofort, dass sein kleiner Bruder etwas auf dem Herzen hat. Sanft stößt er ihn mit der Hüfte an.
„Ich weiß, dass dich was beschäftigt…“ Er lächelt sanft, als sein Bruder zu ihm hinauf sieht, und leise seufzt.
„Ich will nicht hier bleiben.“ Wären die beiden noch im innerstädtischen Teil von Köln, hätte Jez Jeremy nicht verstehen können, so leise redet er. Jez seufzt leise, als er die Schulter wechselt und seine Tasche nun über die linke Schulter hängt. Er will gerade etwas, wie ‚Du darfst bestimmt in den Sommerferien kommen.‘, sagen, doch Jeremy kommt ihm zuvor.
„Und nicht nur in den Ferien.“ Er sieht zu Jez auf und bleibt stehen. „Ich will hier ganz weg.“ Jez bleibt neben Jeremy stehen und sieht ihn einen Moment an. Er kann nicht anders, er muss seinen Bruder einfach in den Arm nehmen. „Ich will einfach nur zu dir und Mama.“ Er macht eine kleine Pause und drückt sich an Jez. „Und weg von Papa…“, haucht er leise und lässt die Erklärung dafür greifbar in den Luft schweben. Jez seufzt leise, bevor er sich aus Jeremy Umarmung löst und noch einmal leise seufzt.
„Das ist alles nicht so einfach…“ Er sieht seinem kleinen Bruder in dieselben smaragdgrünen Augen, die auch er es besitzt.
„Warum?“ Jeremy sieht Jez ehrlich fragend an. Jez seufzt ein drittes Mal leise.
„Mama und Papa haben uns, bevor Mama und ich weggezogen sind, gefragt, bei wem wir bleiben wollen und…“ Er senkt die Augenlider einen Moment, da es ihm innerlich wehtut, Jeremy zu sagen, dass er nicht einfach zu ihm und seiner Mutter kommen kann. „…beide haben gesagt, die Entscheidung ist dann erstmal endgültig.“ Jez hebt die Augenlider wieder und sieht Jeremy einen Moment an. Dieser lässt den Kopf hängen.
„Papa interessiert sich doch eh kein Stück mehr für mich. Wieso sollte es ihm dann so wichtig sein, dass ich hier bleibe?“ Zwar beunruhigt Jez die Aussage, dass sein Vater sich nicht mehr für Jeremy interessiert schon ein wenig, aber trotz allem fährt er Jeremy mit einer Hand noch einmal über den Hinterkopf, bevor er ihm mit dem Kopf ein Zeichen gibt, das ihm zeigt, dass sie weitergehen. Jez schweigt, als Jeremy sich in Bewegung setzt. Einfach, weil er nicht weiß, was er auf Jeremy Frage antworten soll. ‚Papa interessiert sich für dich. Es ist nur eben jetzt für ihn auch eine andere Situation.‘ Aber würde er etwas bringen, Jeremy irgendwelche Märchen zu erzählen, an die er selbst nicht einmal glaubt? Schließlich ist sein Vater an allem schuld!
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Erst, als Jez zusammen mit Jeremy ‚Zuhause‘, oder besser gesagt in seinem altes Zuhause angekommen ist, ist ihm wirklich bewusst geworden, was Jeremy mit ‚Papa interessiert sich doch eh kein Stück für mich‘ gemeint hat. Das Haus liegt still und menschenleer vor ihm, nicht einmal die Neue seines Vaters ist da. Jez folgt Jeremy in das Zimmers seines kleinen Bruders. Er runzelt die Stirn, als er hinter Jeremy den schon immer dunklen Treppenaufgang nach oben geht und ihm kalter Zigarettenrauch entgegen stößt. Eigentlich ist Jez sich sicher, dass weder Simeon, also sein ehemals bester Freund und Sohn der Neuen seines Vaters, noch Simeon’s Mutter raucht. Jeremy nimmt Jez irritierten und gleichzeitig besorgten Blick zwar wahr, wartet aber erst, bis Jez hinter ihm sein Zimmer betreten und die Tür geschlossen hat. Jez lässt seine Tasche neben dem Bettpfosten von Jeremys Bett auf den Boden sinken, bevor er sich neben seinen kleinen Bruder auf die weiche Matratze fallen lässt.
„Simeon ist eigentlich nur hier, um bei Papa nach Alkohol und Zigaretten zu betteln und Mädchen abzuschleppen…“ Jeremys kindliche Stimme lässt den Satz irgendwie viel harmloser klingen, wie er eigentlich ist. Jez legt den Kopf schief und mustert seinen Bruder einen Moment, als dieser sich nach hinten in sein Kissen lehnt und ihn aus seinen grünen, aufmerksamen Augen ansieht.
„Sag jetzt bitte nicht, dass er ihm das Zeug auch noch gibt?“ Klar trinkt Jez auch mal ein bisschen Alkohol, aber schon als er noch gut mit Simeon befreundet war, hat dieser gerne mal zu härterem Alkohol gegriffen. Und nach den Dingen, die er zu Jez gesagt hat, kann Jez nicht glauben, dass er sich irgendwie ins Positive geändert haben soll. Jeremy sieht Jez noch einen Moment in die Augen, dann wendet er den Blick auf das Laken seines Bettes ab und zupft ein Fussel von dem hellen Stoff. Allein, wie Jeremy seinem Blick ausgewichen ist, zeigt Jez schon, dass er mit seiner Befürchtung recht hatte.
„Glaubst du, er gibt ihm das Zeug nur, weil er hofft dann besser bei…“ Er macht eine Pause. Jeremy weiß genau, wie sehr die Gefühle seines Bruders von Freundschaft und einer bestimmten Verbundenheit zwischen Freunden – zu, man könnte fast schon Hasse sagen – umgeschlagen sind und wie sehr ihn die Trennung verletzt hat. „…Florina ankommt?“ Florina ist Simeon’s Mutter und Jez hat sie eigentlich immer nur als die liebe, herzensgute Frau gekannt, die anderen alles gegönnt hat und sich in nichts, was sie nicht anging, eingemischt hat. Dass sie mit seinem Vater etwas anfängt und beide nicht einmal den Mumm haben, es ihnen zu sagen, sondern Jez und Jeremys Mutter es dann herausfinden musste, als Jeremy wegen einer Blinddarmentzündung im Krankenhaus lag und sie, weil sich ihr Mann zu Hause kaum noch hat blicken lassen, komplett mit dem Haus und so weiter beschäftigt war. Kaum sichtbar zuckt Jez die Schultern. Schon alleine das Wissen, dass Jeremy nach Hause gegangen ist und nicht, wie wohl jeder andere normale Junge in seinem Alter, dort erstmal etwas gegessen hat, zeigt ihm, dass sein Vater sich wohl wirklich nicht mehr sonderlich um seinen jüngsten Sohn kümmert. Dieser Gedanke lässt in ihm nur den Drang aufflammen, seinen kleinen Bruder für immer in seine Arme zu schließen und ihn nie wieder loszulassen. Jez legt den Kopf schief und mustert seinen kleinen Bruder einen Moment. Wenn man ihn gut kennt, dann sieht man ihm deutlich an, dass er in den letzten Wochen nicht mehr so gelebt hat, wie er es bis zu dem Umzug getan hat, auch wenn die letzten Wochen bevor Jez mit seinem Mutter weggezogen ist, eigentlich auch nicht mehr normal waren. Es war wohl der längste Streit, den Jeremy und Jez je geführt haben und beide haben deutlich bewiesen, dass sie doch eine Sache von ihrem Vater geerbt haben. Die Dickköpfigkeit.
„Sag mal, hast du eigentlich keinen Hunger?“ Jez sieht seinen kleinen Bruder einen Moment an. Er zuckt die Schultern.
„Ich esse immer in der letzten Pause was. Und sonst gibt’s bei mir fast jeden Tag Spiegel- oder Rührei.“ Jez muss einen klitzekleinen Moment lächeln, dann seufzt er leise.
„Ich glaube, wir müssen uns heute Pizza holen, dass du mal wieder was Richtiges zum Essen bekommst!“ Jeremy beginnt zu grinsen und springt dann plötzlich auf, nur um sich keine Sekunde später auf seinen großen Bruder zu stürzen. Jez jault einen Moment auf und beginnt Jeremy dann zu kitzeln. Er beginnt lachend zu strampeln, doch mit nicht einmal drei Handgriffen, kann Jez beide Handgelenke von Jeremy festhalten, während er mit der anderen Jeremys strampelnde Beine auf die Matratze drückt.
„Du bist gemein!“ Jeremy japst nach Luft und atmet tief durch, als Jez ihn loslässt und zu grinsen beginnt.
„Du hast doch angefangen!“ Jeremy verdreht die Augen und lässt den Kopf wieder auf Jez Bauch fallen. Noch einmal stöhnt Jez auf. Dann setzt er sich auf, sodass Jeremy seinen Kopf zwangsläufig auf seinen Schoß legen muss. Mit einer Hand streicht Jez durch Jeremys schwarzes Haar. Ein Lächeln liegt auf Jeremys Lippen, als er die Augen für einen Moment schließt, nur um sie gleich wieder zu öffnen und seinen Bruder einen Moment anzusehen.
„Jez?“ Jez hält inne und legt den Kopf schief.
„Hm?“
„Du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet…“ Jez runzelt fragend die Stirn und streicht mit einer Hand noch einmal über Jeremys Haar, bevor er die Hände wegzieht. „Wieso es Papa wichtig sein sollte, dass ich hier bleibe, wenn er sich sowieso nicht für mich interessiert?“ Jez seufzt leise. Eigentlich hat er die Frage extra nicht beantwortet, weil Jeremy eigentlich recht hat. Der einzige Grund, warum sein Vater Jeremy unbedingt hier behalten wollen würde, wäre, dass er erstens nicht das Gesicht vor Jez und Jeremys Mutter verliert und so deutlich wird, dass ihn seine eigenen Kinder nicht mehr interessieren und andererseits, weil er genau weiß, dass Jez und seine Mutter sich nichts sehnlicher wünschen, als, dass Jeremy zu ihnen kommt. „Es gibt keinen Grund, habe ich recht?“ Jez seufzt leise und sieht Jeremy in die Augen.
„Ich glaube, du verstehst das noch nicht richtig…“ Jeremy setzt sich auf und sieht seinen Bruder aus beinahe funkelnden Augen an. Jez ist klar, dass der Satz ‚Du verstehst das noch nicht…‘ in so einem Moment eigentlich der komplett Falsche ist, aber Jeremy den wahrscheinlichen Grund zu sagen, warum sein Vater ihn nicht gehen lassen will und wird, kann Jez irgendwie auch nicht.
„Oder er will Mama nur eins Auswischen…“ Jeremy sieht Jez immer noch an.
„Jeremy…“ Jez fällt nichts anderes ein, als er sich ein wenig aufsetzt und seinen kleinen Bruder ansieht. „Ich habe dir doch vorhin schon gesagt, dass das alles nicht so einfach ist…“
„Immer wenn ich recht habe und du es mir nicht sagen willst, fängt du so an!“ Jeremy verschränkt die Arme vor der Brust. Jez seufzt, als er seinen kleinen Bruder ansieht.
„Wenn du mich fragst: Ich glaube, Papa würde dich einerseits um Mama eins Auszuwischen nicht gehen lassen, aber andererseits auch, weil er nicht als schlechter Vater dastehen will…“ Jeremy löst die Umklammerung vor seiner Brust und sieht seinen großen Bruder mit schief gelegtem Kopf an.
„Er steht doch so und so als schlechter Vater da!“ Jez kann nicht anders, er zieht seinen kleinen Bruder auf seinen Schoß und schließt beide Arme um ihn.
„Ich würde mir nichts mehr wünschen, als dass du einfach mit mir mitkommen könntest und dann alles gut wäre…“ Jeremy erwidert die Umarmung seines großen Bruders.
„Und wenn ich einfach ohne zu fragen mit dir mitkomme?“ Sachte drückt Jez seinen kleinen Bruder von sich und seufzt.
„Wenn ich dir sage, dass ich da nicht erst einmal dran gedacht habe, aber…“
„Also ja?“ Jeremys Augen leuchten so überrascht, dass Jez es nicht übers Herz bringt, ihm zu sagen, dass er es trotz allem für keine gute Idee hält.
„Vielleicht.“ Jez sieht Jeremy sofort an, dass er seine Freude mit dem ‚vielleicht‘ einen Dämpfer verpasst hat. „Aber nicht schon, wenn ich wieder gehe.“ Jeremy senkt den Blick und seufzt leise.
„Sondern?“ Mit einer Hand streicht Jez über das dunkle Haar seines kleinen Bruders.
„Wenn deine Sommerferien anfangen. Das sind nur noch drei Wochen. Und dann kann Papa nichts dagegen sagen.“ Jeremy hebt den Kopf und sieht Jez fragend an. „Mama und Papa haben das geteilte Sorgerecht für uns. Papa kann Mama nicht verbieten, dass du in den Ferien zu uns kommst.“ Ein Lächeln huscht über Jeremys Lippen und bleibt darauf liegen. Zufrieden lächelt auch Jez, bevor er seinem kleinen Bruder sachte in den Bauch knufft. Lachend dreht Jeremy sich auf die Bettkante zu und klammert sich an Jez Bein fest, dass er nicht vom Bett fällt.
***
Müde lehnt sich Kimmy mit dem Hinterkopf gegen die Wand und schließt die Augen. Sie saß mehr als eine Stunde am Bahnhof, weil der ICE, der sie hierher – irgendwo ins Nirgendwo – bringen sollte, verspätet war und der gesamte Bahnhof in der prallen Sonne war. Auch Romy klettert auf das Etagenbett, das dem von Kimmy gegenüber steht und lässt sich gähnend auf die Matratze fallen. Mit beiden Händen fährt sich Romy übers Gesicht, als sie ihren Kopf auf das überzogene Kissen fallen lässt.
„Oh Mann…“, murmelt sie leise. Kimmy öffnet die Augen, blinzelt einen Moment und klettert dann – ein bisschen ungeschickt – über das ‚Geländer‘ ihres Bettes und versucht noch ungeschickter die zwei Meter Abstand zwischen dein beiden oberen Betten zu überwinden. Romy nimmt die Hände vom Gesicht, stützt sich auf die Ellbogen und sieht Kimmy belustigt zu. „Was wird das?“ Kimmy nimmt ein wenig Schwung und purzelt im nächsten Moment schon über Romy. Diese jault auf, als Kimmy über sie drüber rollt und beginnt dann zu lachen. „Du bist verrückt!“ Kimmy zuckt mit den Schultern, als sie sich aufsetzt und zu lächeln beginnt. Anders wie Neah hat Romy ihr die ganze Sache, die zwischen ihnen, Finn und Jez gelaufen ist, schon längst wieder verziehen. Kimmy lässt den Kopf neben Romy auf das Kissen sinken und seufzt dann leise, bevor sie die Augen schließt. Deutlich spürt sie, wie Romy sich auf die Seite dreht und sie mustert, aber auch das ist kein Grund, für Kimmy jetzt die Augen zu öffnen. Erst, als sie ihre warmen Finger an ihrem Hals – genau an der Stelle, an der Jez ihr am Vortag den Knutschfleck verpasst hat – spürt, öffne Kimmy die Augen und sieht in Romys hellblaue Augen. „Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich total froh bin, dass ihr jetzt zusammen seid?“ Ein bleibendes Lächeln huscht auf Kimmys Lippen, als sie, so gut es im Liegen geht, versucht zu nicken.
„Nicht nur einmal.“ Neckisch knufft sie Romy in die Seite und rollt sich schützen wie ein Igel zusammen, als Romy, nachdem sie einmal empört aufgequitscht hat, sich auf Kimmy wirft und versucht sie zu kitzeln.
***
Langsam schlendert Jez neben seinem kleinen Bruder über die Hohenzollernbrücke – die Brücke mit den unzählbar vielen Liebesschlössern in Köln - während er sich, wie am Mittag schon, die letzten Fetzen seines Yufkas in den Mund schiebt und seinem kleinen Bruder dabei zusieht, wie er mit seinem Döner kämpft. Mit einer Hand knüllt Jez die Alufolie zusammen und lässt seinen Blick über das glitzernde Wasser des Rheins wandern. Jeremy folgt einen kurzen Moment seinem Blick, dann widmet er sich wieder seinem Essen und folgt seinem großen Bruder von der Bücke zu den Rheinterrassen herunter. Emelina, Niklas und Solene sitzen schon zusammen auf einer der Betonplatten, wobei nicht zu übersehen ist, wie dicht Solene an Niklas sitzt, obwohl dieser abstreitet, dass irgendetwas zwischen den beiden gehen würde. Während Jez die drei begrüßt und sich dann neben Emelina auf den von der Sonne angewärmten Beton nieder lässt, lässt sein kleiner Bruder sich einfach auf den Beton plumpsen und sieht nicht einmal von seinem Essen auf. Einen Moment sieht Jez seinen Bruder von der Seite an, dann lehnt er sich an die ebenfalls von der Sonne aufgewärmte Betonwand und lässt seinen Blick über das glitzernde Wasser des Rheins wandern.
Der Horizont mit der untergehenden Sonne wird durch die nächste Brücke unterbrochen, was anders wie bei dem Blick über den See in Fautenbach nicht wirklich bezaubernd aussieht. Dann fällt Jez Blick auf Amelie und Marvin, die - genau wie er und Jeremy vor wenigen Minuten - über die Hohenzollernbrücke, Hand in Hand, geschlendert kommen. Amelies wasserstoffblond gefärbten Haare sind deutlich zu erkennen, was vielleicht auch daran liegt, dass sie sie sich erst kurz bevor Jez weggezogen ist so radikal blond gefärbt hat und Jez sich nicht daran gewöhnen konnte. Obwohl nicht nur er der Meinung ist, dass die goldblonde Farbe, die Amelies Haare vorher hatten, viel besser aussahen. Marvin sieht auch jetzt noch – alleine von der Körperhaltung – ein wenig verloren neben seiner Freundin aus. Sie selbstbewusst, mit erhobenen Kopf, geraden Schultern und genauso groß wie Marvin, er immer noch ein wenig schüchtern von der Körperhaltung, wobei man deutlich erkennen kann, dass seine Freundin ihm in den letzten anderthalb Monaten ein wenig von ihrem Selbstbewusstsein abgegeben hat. Die beiden lassen sich mit einem ‘Hey‘ neben den anderen auf den Betonboden nieder. Amelie lehnt sich seitlich gegen ihren Freund, der ihr liebevoll einen Arm um den Rücken legt. Man kann ihm deutlich ansehen – auch wenn das Schüchterne trotz allem noch ein wenig sichtbar ist – wie glücklich er mit Amelie ist. Diese legt in dem Moment, in dem Jez Marvin mustert, den Kopf schief und beginnt dann zu lächeln, als Marvin ihr einen sanften Kuss auf die Wange drückt. Lächelnd wendet Jez den Blick ab und kann sich nur halbherzig ein Seufzen unterdrücken. Jeremy sieht seinen Bruder, mit zusammengekniffenem, geblendetem Bick an und beginnt zu grinsen. Jez weiß genau, dass Jeremy weiß, dass er Kimmy jetzt schon auf irgendeine Art und Weise vermisst, obwohl er sie am Vortag noch gesehen hat. Nicht, dass er sich weinend in eine Ecke setzten würde und kein Spaß an nichts mehr hätte, aber das Verlangen, sie in die Arme zu nehmen, wenn er ein anderes Pärchen sieht, kann er trotzdem deutlich spüren.
Emelina nimmt den kurzen Blickkontakt zwischen ihrem besten Freund und seinem kleinen Bruder wahr. Sie kennt Jez schon lange genug, dass es für sie nicht schwer zu erraten ist, was Jez gerade denkt oder fühlt. Deshalb stößt sie ihn mit der Schulter sanft an und beginnt zu lächeln.
„Du hast mir immer noch kein Bild von Kimberly gezeigt.“ Alleine daran, wie sie Kimmys Name ausspricht, erkennt man, dass sie sich darüber freut, dass Jez ein Mädchen gefunden hat, dass ihn liebt. Und auch, dass sie kein bisschen eifersüchtig ist, weil Jez ein Mädchen hat, mit dem er sich mehr beschäftigt, als mit ihr selbst. Jez will gerade sein Handy aus der Hosentasche ziehen, als die Jungs, mit denen er früher Handball gespielt hat, in einer Herde eintreffen und sich nicht allzu leise zu den anderen gesellen.
„Wer ist Kimberly?“ Eigentlich hat Emelina den Satz so leise ausgesprochen, dass Noel ihn unmöglich gehört haben kann, aber das ist Jez egal. Er wäre weder Emelina noch Niklas böse, wenn sie den anderen etwas von Kimmy erzählt hätten. Noel grinst Jez an, was eigentlich schon zeigt, dass er weiß, wer Kimmy ist. Seinen blonden Haaren sieht man an, dass das Haargel sie schon den ganzen Tag in Form halten musste. Einige Haarsträhnen haben sich gelöst und hängen locker über Noels Stirn, und lassen sich auch davon, dass er sich immer und immer wieder durch die Haare fährt, nicht stören. Seine Augen funkeln frech und in einem strahlenden Blau.
„Seine Freundin.“ Jeremy sieht nicht mal von seinem Döner auf, als er das sagt. „Aber mach dir nichts daraus. Mir hat er’s auch erst ‘ne Woche, nachdem sie zusammen gekommen sind, gesagt.“ Leise beginnt Jez zu lachen, bevor er seinen kleinen Bruder sanft mit der Schulter anrempelt.
„Seit?“ Mittlerweile hat sich die Aufmerksamkeit von allen auf Jez fokussiert. Noel mustert ihn interessiert. Er ist in der Clique der, der eigentlich immer weiß, was wo passiert ist und wer was total Dramatisches gemacht oder erlebt hat.
„Dreiundzwanzigster Mai, habe ich recht?“ Jeremy grinst seinen Bruder noch immer geblendet von der untergehenden Sonne an.
„Zweiundzwanzigster.“ Ein bleibendes Grinsen huscht auf Jez Lippen, als Jeremy den Mund zu einem Schmollmund verzieht. Emelina, die das Thema eigentlich ‘angezettelt‘ hat, aber für einen Moment dem Gespräch nur gefolgt ist, stößt Jez wieder, wie sie es eigentlich immer tut, wenn sie neben ihm sitzt und seine Aufmerksamkeit möchte, mit der Schulter an.
„Und nochmal: Du hast mir immer noch kein Bild von ihr gezeigt!“ Jez stößt sie mit der Schulter sanft zurück an und zieht gleichzeitig sein Handy aus der Tasche. Mit einer Hand entsperrt Jez sein Handy, während er mit der anderen Hand versucht, Emelinas Rückangriff abzuwehren. Zwar hat er ein Bild von Kimmy und sich, das Betty vor eineinhalb Wochen, beim letzten Heimspieltag der SuS-Jungs gemacht hat und bei dem er wegen seinem Schlüsselbein nur Zuschauer war, als Hintergrundbild, aber trotzdem tippt er auf seine Galerie und öffnet es noch einmal dort. Noch bevor Jez sein Handy drehen und es Emelina hinhalten kann, hat sie es ihm aus der Hand genommen. Einen Moment mustert sie das Bild, dann hebt sie den Kopf und beginnt zu grinsen. „Ganz schön besitzergreifend.“ Jez erwidert das Grinsen und zuckt dann die Schultern. Auf dem Bild sitzt Kimmy seitlich auf seinem Schoß und hat die Arme um seinen Hals gelegt, während seine er seine Hände auf ihre Taille gelegt hat. Beide haben in dem Moment nicht damit gerechnet, dass Betty auf die Idee kommt ein Foto zu machen. Deshalb sehen sie auch beide nicht zur Kamera. Noel, der gerade Jez Handy von Emelina gereicht bekommt, beginnt auch wieder zu grinsen.
„Andersrum aber genauso!“ Mit dem Kopf deutet er auf Jez Hals. Der Knutschfleck, den Kimmy Jez am Vortag verpasst hat, ist deutlich zu sehen. Automatisch hebt Jez die rechte Hand und fährt sich damit über die tiefblaue Stelle.
„Verpasse deinem Mädchen niemals einen Knutschfleck. Du bekommst zu hundertzehn Prozent einen Schlimmeren zurück.“ Solene zuckt die Schultern und grinst Amelie und Emelina zu, als Jez den Satz halbherzig murmelt.
„So sind Mädchen eben. Was ihr könnt, können wir schon lange!“ Emelina und Amelie lachend beide leise auf und nicken zustimmend.
„Da wär ich mir nicht so sicher!“ Jez jault leise auf, als Emelinas Faust schneller seinen Bauch trifft, als er reagieren kann.
„Okay, okay ich nehm‘ alles zurück!“ Er hält sich beide Hände vor den Bauch und setzt sich wieder auf.
„Schlägst du mich auch, wenn ich sage, dass er recht hat?“ Jeremy hat gerade den letzten Bissen seines Döners hintergeschluckt und sieht Emelina jetzt halb zufrieden, halb herausfordernd an. Diese legt den Kopf schief, mustert den 11-jährigen und schüttelt dann den Kopf.
„Dazu müsste ich aufstehen.“ Jez verzieht das Gesicht.
„Systematisches Mobbing gegen mich!“ Emelina sieht Jez kurz fragend an, dann beginnen wirklich ausnahmslos alle aus der Clique zu lachen. Vielleicht ist das etwas, was Jez so sehr vermisst hat. Nicht, dass er nicht auch mit Kimmy und seinen neuen Freunden in Fautenbach lachen und Spaß haben kann, aber einfach zusammen mit dem Menschen zu lachen, die ihn ab spätestens der fünften Klasse kennen, das ist trotzdem irgendwie, auf irgendeine ganz eigenartige Art und Weise, anders.
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Mehr als drei Stunden saßen die Clique plus Jeremy zusammen auf einer der Rheinterrassen. Nach einer Weile hat Jeremy seinen Kopf auf dem Schoß von seinem großen Bruder gebettet und ist einfach eingeschlafen, wofür Jez ihn mal wieder bewundern könnte, da er selbst nicht einmal im Auto schlafen kann. Vorsichtig, dass Jez seinen kleinen Bruder nicht weckt, zieht er sein Handy aus der Tasche. Die Digitalanzeige zeigt schon fast halb elf an. Langsam erhebt Jez sich und hebt Jeremy dann hoch. Dieser murmelt leise etwas, schießt die Beine um Jez Hüfte und hält sich mit den Armen im Nacken seiner Bruders fest, bevor er den Kopf an Jez Schulter bettet und einfach weiterschläft. Auch die anderen haben sich von der mittlerweile ausgekühlten Betonplatte erhoben und schlagen dann, als geschlossene Gruppe, den Weg zur nächsten S-Bahn-Station ein.
Die S-Bahn ist zwar fast menschenleer, aber dennoch setzt Jez sich für die paar Stationen nicht hin. Er lehnt sich ein wenig gegen eine der Stangen und lächelt, als sich sein und Emelinas Blick treffen. Sie sitzt nur auf der Kante von einem der Sitze und schließt dann müde die Augen.
Überrascht öffnet Emelina die Augen, als Jez sie leise anstubst. Die S-Bahn hält gerade an ihrer Station und beide verabschieden sich mit einem: „Tschüss“, von den Verbliebenen, dann verlassen sie nebeneinander den Bahn.
Die Luft ist anders wie in den letzten Nächten in Fautenbach noch nicht abgekühlt. Eher ist es schwül-warm geblieben. Trotzdem zieht Emelina den Reißverschluss ihrer Jacke zu und schiebt die Hände in die Taschen der dünnen Jacke. Schweigend schlendert sie neben Jez her und sieht auf den dunklen Asphalt, bis sie den Blick irgendwann hebt und Jez ansieht. Sie kennt ihn schon seit klein auf, hat früher wirklich immer mit ihm gespielt und war, um ehrlich zu sein, auf Manda – Jez erste Freundin – schon ein bisschen eifersüchtig, da er plötzlich so viel weniger Zeit für sie hatte. Erst, nachdem Jez sie irgendwann auf ihre plötzliche Verschlossenheit ihm gegenüber angesprochen hat, hat sie ihm gesagt, wie sehr sie ihn vermisst. Ab diesem Zeitpunkt hat Jez sich wieder mehr Zeit für sie genommen.
„Willst du eigentlich irgendwann wieder hierher zurück kommen?“ Jez wendet den Kopf überrascht zu Emelina. Ihre Augen glitzern im Licht der Straßenlaternen. Sie erwidert Jez Blick und wendet ihren erst ab, als auch Jez den Kopf wegdreht.
„Nein.“ Auch wenn es Emelina schwer fällt, sie versucht die Enttäuschung darüber so gut es geht zu verbergen. Viel mehr hört sie die Bitterkeit und die Entschlossenheit aus Jez Stimme heraus. Einen Moment starrt er gerade aus, dann sieht er Emelina wieder von der Seite an. Würde Jez nicht immer noch seinen kleinen Bruder auf den Armen tragen, Emelina würde ihn jetzt einfach in den Arm nehmen.
„Schade“, flüstert sie stattdessen und wendet den Blick abermals ab. Mit einer Hand streicht sie sich die Haare aus dem Gesicht.
„Ich will nicht zu meinem Vater zurück.“ Emelina sieht auf, als Jez den Satz leise, fast flüsternd ausspricht. Er wendet den Kopf zu ihr. Tiefe Schatten fallen über sein Gesicht, sodass sie seine Gesichtszüge kaum noch erkennen kann. Einen Moment sieht Jez seine beste Freundin an, dann deutet er mit dem Kopf auf seinen kleinen Bruder. „Und ich will auch nicht, dass er bei ihm bleibt.“ Einen Moment schweigen sowohl Jez, wie auch Emelina.
„Du vermisst ihn sehr, wenn du nicht hier bist, stimmt’s?“ Kaum sichtbar nickt Jez.
„Ich vermisse euch genauso. Die Anderen…“ Jez macht eine kurze Pause und schließt seine Arme enger um seinen kleinen Bruder. „…und dich ganz besonders.“ Im Licht der Straßenlaternen kann Jez das zarte Lächeln erkennen, dass auf Emelinas schmalen Lippen erscheint. „Aber bei euch weiß ich, dass es keine Möglichkeit gibt, euch einfach mitzunehmen. Bei Jeremy schon.“ Sachte nickt Emelina, dann streicht sie sich durchs Haar und seufzt leise.
Mittlerweile haben sie das halbe Viertel durchquert und sind bei Emelina angekommen. Vorsichtig, um Jeremy nicht zu wecken, nimmt sie Jez zum Abschied so gut es geht in den Arm.
„Was hast du morgen vor, wenn wir in der Schule sind?“ Jez zuckt die Schultern.
„Vielleicht versuchte ich mal, mit einem Vater zu reden.“ Er macht eine kurze Pause und seufzt leise. „Mehr als schief gehen kann’s nicht.“ Sachte ironisch schüttelt Emelina den Kopf und lächelt.
„Warst du sonst nicht immer der Optimistischere von uns beiden?“ Lächelnd zuckt Jez ein weiteres Mal die Schultern und lächelt.
„Vielleicht.“ Einen Moment sieht Emelina ihn noch lächelnd an. Dann macht sie einen Schritt nach hinten und die Lampe am vorderen Teil des Einfamilienhauses, in dem sie wohnt, geht durch den Bewegungssensor an.
„Tschüss.“ Das sanfte Lächeln liegt noch immer auf Emelinas Lippen, als sie sich umdreht, Jez noch einmal zuwinkt und dann durch das kleine Gartentor geht. Kurz sieht Jez ihr noch nach, dann murmelt er auch noch ein leises ‚Tschüss‘ und setzt sich dann langsam wieder in Bewegung.
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Nachdem Jez Jeremy den ganzen Weg nach Hause getragen und sich einen sarkastischen Kommentar Simeon gegenüber, der ihm, gerade als er die Tür aufgeschlossen hat, entgegengekommen ist, verkniffen hat, legt er seinen Bruder so behutsam wie möglich auf dessen Bett. Mit einer Hand knipst er die Nachttischlampe an, während er mit der anderen nach Jeremys Schlafklamotten sucht. Jez schüttelt das zerknüllte Shirt einen Moment auf, bevor er sich neben seinen Bruder auf die Bettkante setzt und ihm versucht das T-Shirt, dass er an hat, über den Kopf zu ziehen. Leise beginnt Jeremy zu murren, bevor er seinen großen Bruder verschlafen anblinzelt. Jez lächelt sanft.
„Wieso weckst du mich?“ Jeremy dreht sich zur Seite, rollt sich wie ein Igel zusammen und bettet seinen Kopf auf Jez Schoß. Sanft streicht Jez seinem kleinen Bruder einmal über den Rücken, dann lehnt er sich zu ihm.
„Hey, zieh dich wenigstens noch um!“ Jeremy murmelt irgendetwas von unnötig und ist schon fast wieder dabei einzuschlafen, doch Jez drückt ihn sanft von seinem Schoß und zieht ihn eine aufrecht sitzende Position. Gequält jaulend öffnet Jeremy die Augen und lässt sich dann doch von seinem Bruder das Shirt über den Kopf ziehen. Sanft streift Jez das T-Shirt, das er seinem Bruder über den Kopf gezogen hat, so gut es geht glatt und deckt ihn dann mit der Bettdecke zu. Einen Moment beobachtet Jez Jeremy noch, dann erhebt er sich von der Bettkante, kramt seine Schlafsachen aus der Trainingstasche und verlässt dann leise das Zimmer in Richtung Bad.
Wie schon im Vorjahr im Trainingslager kennt Romy keine Gnade, als sie Kimmy zum aufstehen zwingt. Romy ist schon hellwach, fertig angezogen, hat ihre Haare zu einem lockeren Zopf gebunden und sieht Kimmy nun motiviert an. Und Kimmy schafft es im Gegensatz zu ihn nicht einmal, die Augen länger als fünf Sekunden offen zu halten.
„Man Romy!“ Kimmy versucht sich die dünne Decke wieder über den Körper zu ziehen, doch Romy ist schneller, zieht ihr die Decke weg und beginnt Kimmy am Bauch zu kitzelnd. Quiekend versucht Kimmy sich wegzurollen. Romy lässt sie aber einfach auf sie fallen, sodass Kimmy chancenlos gegen sie ist. Erst, als Kimmy aufhört, sich unter ihr hin und her zu winden und stattdessend nach Luft japsend ein schwer verständliches „Okay, okay, ich steh auf!“ von sich gibt, lässt Romy zufrieden von Kimmy ab und sieht ihr dann dabei zu, wie sie ungeschickt aus ihrem Bett klettert und in dem an das Zimmer angeschlossene Bad verschwindet.
Keine halbe Stunde später steht Kimmy – immer noch nicht ganz wach – neben Romy und den anderen Mädels auf dem blauen Feldhockeyplatz. Mit einer Hand tut sie so, als wollte sie ihre Augen vor der Sonne abschirmen, aber eigentlich verbirgt sie ihre für wenige Sekunden geschlossenen Augen dahinter.
***
Blitzschnell schreckt Jez hoch, als er fast von dem Sofa in Jeremys Zimmer, auf dem er schläft, heruntergefallen wäre. Helle, wärmende Sonnenstrahlen fallen durch das Zimmerfenster. Einmal gähnt Jez, dann setzt er sich auf und angelt nach seinem Handy, das eigentlich viel zu weit weg auf dem Schreibtisch neben einer der Steckdosen liegt. Überrascht legt Jez die Stirn in Falten, als die Digitaluhr auf dem Display schon 7:20 anzeigt. Wenn Jeremy zur ersten Stunde Unterricht hat, muss er eigentlich schon längst aufgestanden sein. Um sicher zu gehen, dass er sich nicht getäuscht hat, setzt sich Jez jetzt vollkommen auf und sieht, dass sein kleiner Bruder wirklich noch schlafend im Bett liegt. Ungeschickt wühlt sich Jez aus seiner Decke, tapst barfuß durch das Zimmer seines kleinen Bruders und lässt sich auf der Bettkante nieder. Sachte zieht er die Decke, die Jeremy wirklich bis über die Ohren gezogen hat, ein Stück herunter und stubst Jeremy sanft an der Schulter an. Verschlafen beginnt dieser irgendetwas Unverständliches vor sich hin zu murren, als er versucht sich umzudrehen und wieder in die Decke einzuwickeln.
„Wann hast du heute Schule?“ Jez lehnt sich über seinen kleinen Bruder und hält mit einer Hand die Decke fest, sodass Jeremy sich nicht wieder über sich ziehen kann.
„Zur Ersten…“ Langsam beginnt Jeremy zu blinzeln. „Wieso weckst du mich schon?“ Jez steht von der Bettkante auf, zieht seinem kleinen Bruder die Decke jetzt ganz weg und wirft sie auf seiner Decke am anderen Ende des Raums.
„Es ist zwanzig nach sieben!“ Jeremy stöhnt leise auf, bevor er sich aufsetzt und mit den Handballen über die Augen fährt.
„Scheiß Wecker…“, murmelt er nur, bevor er ganz bequem und gemütlich aufsteht und das Zimmer in Richtung Bad verlässt. Einen Moment sieht Jez seinem kleinen Bruder ein bisschen besorgt hinterher, dann folgt er ihm ins Bad.
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Jez sitzt seinem Vater gegenüber an dem ihm eigentlich noch so altbekannten Küchentisch. Sein Vater kommt ihm einerseits so vertrauenswürdig und liebevoll vor und andrerseits so kalt und distanziert. Auch wenn sie im Streit auseinander gegangen sind und Jez das, was sein Vater gesagt und getan hat, nicht verzeihen kann, versucht er trotzdem noch so normal wie möglich mit ihm zu reden.
„Warum erlaubst du Simeon, drinnen zu rauchen?“ Deutlich kann Jez das erzürnte Blitzen in den Augen seines Vaters erkennen.
„Warum sollte ich es ihm verbieten? Nur weil es dir nicht gefällt?“ Die Provokation versucht Jez so gut es geht zu ignorieren. Viel mehr konzentriert er sich auf die erste der beiden Fragen, während er einem Vater noch immer in die dunklen Augen sieht.
„Weil du selbst immer der Meinung warst, dass es nicht gut ist, wenn Kinder direkt neben Menschen stehen, die raucht. Und Jeremy ist noch ein Kind!“ Höhnisch lacht Jez Vater auf. Das zeigt Jez allerdings, dass er mit seinem Argument direkt ins Schwarze getroffen hat und dass sein Vater keine Antwort mehr darauf weiß.
„Er ist doch kein Kind mehr!“ Jez öffnet den Mund, um seinem Vater zu widersprechen, doch er bringt keinen Ton raus. Dass sein Vater sagt, ein Elfjähriger wäre kein Kind mehr, haut ihn mehr als um.
„Er ist elf!“ Jez Augen funkeln sauer, als er seine Stimme wieder gefunden hat. „Er ist noch ein Kind!“ In seiner Stimme schwingt der leise, ruhige Klang von Aggressivität. Einen Moment sieht Jez seinen Vater noch aus funkelnden Augen an, dann lehnt er sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Jetzt sind wir doch mal ehrlich, Jez…“ Jez sieht seinen Vater mit zusammengepressten Lippen an. Auch wenn es für so viele andere Menschen auf der Welt normal ist, vom eigenen Vater den eigenen Namen zu hören, für Jez ist es etwas ‘besonderes‘. Im negativen Sinne. Immer, wenn sein Vater ihm etwas verbieten oder unterstellen wollte, hat er ihn vor dem Umzug mit seinem Namen angesprochen. Und auch diesmal will er seinem Sohn wieder etwas unterstellen. „…du suchst doch nur ein dämliches Argument, um Jeremy mitzunehmen!“ Leise schnaubt Jez und setzt sich wieder gerader hin.
***
Langsam schlendert Kimmy an dem kleinen Bächlein entlang, der an der Jugendherberge verbeiplätschert. Es ist kurz nach zwölf und die Sonne steht hoch über ihr und erwärmt ihre nackten Schultern. Das Gras kitzelt an ihren Beinen, als es sanft an ihren Beinen steift. Langsam lässt Kimmy sich im Schatten eines Baumes nieder und schlüpft aus ihren Flip-Flops. Zögerlich taucht sie die Füße in das angenehm kühle Wasser des Baches, während sie sich den sanften Wind durchs Haar wehen lässt. Die Hälfte ihrer Mannschaft ist heute für das Mittagessen verantwortlich, weshalb Kimmy ein bisschen Zeit für sich hat. Einen Moment genießt sie noch die Ruhe, die nicht einmal von dem weit entfernten Klappern von Tellern und vom Lachen der anderen Mädchen gestört wird. Dann zieht sie ihr Handy uns der Bund ihrer Shorts, entsperrt es und sucht dann einen Moment Jez‘ Kontakt in ihrer Kontaktliste, bevor sie auf den kleinen grünen Hörer neben seinem Namen tippt und wartet, bis sie das leise tuten an ihrem Ohr vernimmt. Einen Moment ist nur ein leises Rauschen zu hören, bevor Jez sich meldet.
„Kimmy?“ Als Kimmy den warmen Klang von Jez Stimme wahrnimmt, beginnt ihr ganzer Körper wohlig warm zu kribbeln. Sie schließt die Augen und genießt das Gefühl einfach nur. So sehr, dass sie fast vergisst, sich zu melden.
„Jez…“ Sie öffnet die Augen noch immer nicht.
„Na?“ Jetzt öffnet Kimmy die Augen nun doch und lässt das hohe Gras um sich herum langsam durch die Finger gleiten.
„Was na?“ Sie legt den Kopf schief und entdeckt einen Frosch, der wie versteinert auf einem Stein im Bach sitzt und das Wasser auf sie plätschern lässt. Deutlich kann sie das Stimmengewirr und die Großstadtgeräusche durch das Handy hindurch hören.
„Soll ich lieber ‚Oh Schatz, wie schön, dass du anrufst. Ich habe dich so sehr vermisst!‘ sagen?“ Kimmy kann den liebevoll neckenden Unterton auch durch ihr Handy hindurch aus Jez Stimme heraus hören.
„Jaa!“ Wieder schließt Kimmy die Augen. „Aber wenn du’s schon nicht zu mir sagst, dann sag‘ ich’s halt zu dir: Ich hab‘ dich angerufen, weil ich dich vermisst habe…“ Kimmy löst den Blick von dem Frosch und blickt auf die langen Grashalme, die sie durch ihre Finger gleiten lässt.
„Du bist süß…“ Kimmy sieht wieder auf.
„Du auch…“ Langsam lässt sie sich nach hinten ins hohe Gras sinken. Der Himmel mit seinen unzähligen Blautönen liegt von ihrem Auge und wird nur durch langsam ziehende Schleierwölkchen unterbrochen. Einen Moment dauert es, bis Jez etwas darauf erwidert.
„Was machst du gerade?“ Mit der Hand drückt Kimmy einige Grashalme aus ihrem Sichtfeld.
„Auf ‘ner Wiese an einem Bach liegen, in den Himmel gucken… Du?“ Langsam streckt Kimmy den rechten, freien Arm nach oben aus, schließt ein Auge und verdeckt mit der Hand ein Teil einer Wolke, sodass sie fast ein bisschen aussieht wie der Frosch, der bis eben noch auf dem Stein im Bach saß.
„Momentan noch am Rheinufer sitzen. Und nachher hole ich Jeremy von der Schule ab. Mal gucken, was wir dann noch machen…“ Schon während Kimmy die Augen schließt, kann sie deutlich sehen, wie Jez wohl gerade am Rheinufer sitzt, über das trübe Wasser sieht und mit ihr telefoniert.
„Hast du schon mit deinem Vater über ihn geredet?“ Jez seufzt leise, was Kimmy als nein deutet.
„Ja. Aber ich glaube, es wäre scheißegal gewesen, ob ich mit ihm geredet hätte oder nicht.“ Wieder seufzt Jez leise.
„Warum, was hat er gesagt?“ Kimmy öffnet die Augen wieder.
„Ich habe ich gefragt, wieso er Simeon drinnen rauchen lässt. Er hat darauf keine wirkliche Antwort gehabt und behauptet, ich würde nur Gründe suchen, um Jeremy mitnehmen zu können…“ An Jez Stimme kann Kimmy deutlich erkennen, dass ihn die Sache bedrückt.
„Ich kenne deinen Vater zwar nicht, aber vielleicht will er Jeremy auch einfach wirklich nicht gehen lassen.“ Leise seufzt nur auch Kimmy.
„Er will ihn nur nicht gehen lassen, weil er weiß, dass er Mama und mir damit eine auswischen kann.“ Kimmy schließt die Augen. „Und weil er Angst davor hat, dass Jeremy nicht mehr zurück kommt.“ Schweigend starrt Kimmy in den Himmel, als ihr ein vielleicht nicht einmal allzu abwegiger Gedanke kommt.
„Jez?“
„Hm?“ Einen Moment schweigt Kimmy noch einmal, bevor sie anfängt zu sprechen.
„Normalerweise müssten deine Eltern doch das geteilte Sorgerecht für Jeremy und für dich haben, oder?“
„Wetten, du hast denselben Gedanken wie ich schon gehabt habe, dass ich Jeremy einfach mitnehme?“ Kimmy kann in der Stimme ihres Freundes deutlichen Frust heraushören.
„Naja… Vielleicht.“ Nachdenklich streicht sie sich die Haare, die der Wind ihr vor die Augen geweht hat, zur Seite. „Ich meine, dein Vater kann deiner Mutter ja nicht verbieten, dass sie Jeremy in den Sommerferien zu sich holt. Und wenn Jeremy sagt, er möchte auch – wenigstens in den Ferien – zu euch, dann kann dein Vater doch nichts dagegen machen. Er hat ja nicht das alleinige Sorgerecht.“
„Keine Ahnung. Ich kenn mich damit nicht aus. Aber normalerweise - eigentlich hast du ja recht.“ Kimmy schließt die Augen wieder. „Ich kann Jeremy nicht hier lassen. Jedenfalls nicht in den Ferien. Er war gestern total enttäuscht, als ich ihm gesagt habe, dass ich ihn nicht gleich mitnehmen kann.“
„Hm…“ Kimmy setzt sich auf, als sie von Weitem die unverkennbaren Rufe von Romy hört.
„Kimmy, du Nudel!“ Ungeschickt steht Kimmy auf und winkt Romy zu, die ein wenig ziellos über die Wiese gelaufen kommt. Als sie Kimmys Handy mit der pinken Handyhülle darum in ihrer Hand entdeckt, beschleunigt sie ihre Schritte und ruft von fünf Meter Entfernung laut: „Hey Jez!“ Außer Atem bleibt Romy neben Kimmy stehen, streicht sie ihre blonden Haare aus dem Gesicht und nimmt Kimmy dann einfach das Handy aus der Hand. „Sorry Jez, aber Kimmy muss jetzt leider auflegen, sonst verhunger ich!“ Kimmy hört, wie Jez etwas erwidert, versteht aber nicht, was. Romy beginnt zu grinsen, stützt eine Hand in die Hüfte und legt den Kopf schief. „Na gut, aber wehe, es dauert zu lange!“ Fragend runzelt Kimmy die Stirn und nimmt dann ihr Handy wieder entgegen. „Er muss dir noch was sagen…“ Romy grinst frech und hebt abwechselnd beide Augenbrauen.
„Jez?“
„Ich liebe dich…“ Das himmlische Kribbeln durchfährt Kimmys Körper wieder. Auch wenn sie ‘schon‘ drei Wochen zusammen sind, Jez ist immer sehr sparsam mit diesen drei Wörtern umgegangen und hat sie vielleicht, wenn es hochkommt, fünfmal – einberechnet mit diesem Mal – ausgesprochen. Was das Kribbeln in Kimmys Körper noch viel intensiver werden lässt. Romy, die ihr gegenüber steht, beginnt – als hätte sie Jez Worte auch gehört – zu lächeln, hebt beide Hände und formt daraus ein Herz. Einen Arm legt Kimmy um Romy, während sie wieder in ihre Flip Flops schlüpft und dann langsam wieder in Richtung Jugendherberge schlendert.
„Ich liebe dich auch.“ Sanft knufft Kimmy Romy mit zwei Fingern in die Seite, als sie ein ‘Ohh‘ ähnliches Geräusch von sich gibt.
„Bis morgen.“ Romy lehnt das Ohr an die Handyrückseite und lauscht. Einen Moment lacht Kimmy leise auf.
„Bis morgen…“ Zwei, drei Sekunden hält sie ihr Handy noch ans Ohr, dann nimmt sie das Tut-Zeichen wahr, das ich zeigt, dass Jez aufgelegt hat, dann lässt sich ihr Handy in der hinteren Hosentasche verschwinden und sieht Romy einen Moment von der Seite an.
***
Geblendet von der hoch am Himmel stehenden Sonne lehnt Jez sich ein wenig zurück. Er sitzt neben Emelina und Niklas auf einer großen Decke an einer der Bade-Rhein-Buchten und lässt die kleinen Wassertropfen auf seiner Haut von der Sonne trocknen. Anders als Jez erwartet hat, ist die Bucht schon um die Mittagszeigt gut gefüllt und er ist froh darum, dass sie einen Schattenplatz unter einem der wenigen Bäume ergattern konnten. Emelinas kleiner Bruder Noé – der zusammen mit Jeremy Handball spielt – und Jeremy stehen beide bis zu der Hüfte im Wasser, circa dreißig Meter voneinander entfernt, und werfen sich gegenseitig einen Ball über die Entfernung zu. Einen Moment folgt Jez dem fliegenden Ball mit den Augen, dann sieht er zu Emelina, die sich gerade ihre nassen, hellbraunen Haare zu einem Dutt zusammenbindet und sich dann ihre lilafarbene Sonnenbrille ins Haar schiebt. Als sie Jez Blick bemerkt, lächelt sich und sieht ihm einen Moment in die Augen.
„Sag mal, hast du eigentlich schon mit deinem Vater über Jeremy geredet?“ Leise seufzt Jez, was auch Niklas Aufmerksamkeit erregt. Er setzt sich auf, fährt sich mit einer Hand durch sein nasses Haar, sodass kleine Wassertröpfchen zu allen Seiten spritzen und sieht Jez dann mit einer Mischung aus Neugier und Mitgefühl an.
„Ja. Aber es ist nicht so gelaufen, wie ich gehofft habe…“ Emelina legt den Kopf schief und mustert ihren besten Freund einen Moment mitfühlend.
„Er will Jeremy nicht gehen lassen?“ Ein weiteres Mal seufzt Jez, dann schüttelt er den Kopf.
„Nein.“ Auch Niklas mustert Jez einen Moment. „Aber normalerweise kann er Jeremy nicht verbieten, in den Sommerferien mit mir mitzukommen -“, mit einer Hand fährt Jez sich durchs Haar, „Ich hab‘ vorhin mit Kimmy telefoniert und sie hat dasselbe gedacht wie ich.“ Leise seufzt Jez und lässt seinen Blick dann wieder zu Jeremy wandern, der zusammen mit Noé aus dem Wasser gelaufen kommt.
„Ich glaube, dass es keine gute Idee ist, ihn jetzt – wo noch Schule ist – einfach mitzunehmen -“ Jez sieht Niklas einen Moment an, bevor er den Blick wieder Jeremy zuwendet. „- aber wenn du ihn holst, wenn hier Ferien sind - Das sind ja nur noch drei Wochen…“ Niklas bricht ab, als Emelina sich räuspert und ihm so klar macht, dass er die Klappe halten soll, weil Jeremy in Hörweite kommt. Dieser hebt in dem Moment die Hand mit dem Ball darin und schleudert ihn seinem Bruder entgegen. Jez ist so überrascht, dass er die Hände nur schützend vors Gesicht halten kann und der Ball unkontrolliert in Richtung Emelina wegspringt. Diese quietscht empört auf, als der nasse, kalte Ball auf ihre Haut trifft.
„Jez!“ Jez lässt die Hände wieder sinken und sieht Emelina einen Moment an.
„Das war Jeremy!“ Auch wenn er bis vor weniger als drei Sekunden noch keine gute Laune hatte, muss es sich jetzt bemühen, nicht zu lachen.
„Immer auf die Kleinen!“ Jeremy schiebt die Oberlippe nach vorne und lässt sich mit Schwung auf seinen großen Bruder fallen. Jez stöhnt auf, als Jeremy ihn gnadenlos angrinst. Emelina beginnt zu lächeln, als sie sieht, dass sowohl Jez als auch Jeremy für diesen winzigen Moment vergessen, dass Jeremy hier in Köln und Jez in Fautenbach wohnt. Erst, als Jeremy – sozusagen, vom Aussehen her, Jez in klein – von seinem Bruder herunterklettert, sich zwischen ihn und Emelina quetscht und seinen Bruder dann wieder angrinst, löst sie ihren Blick von den beiden. Noé, ihr kleiner Bruder, lässt sich vor ihr auf die Decke fallen und fährt sich mit beiden Händen durchs Haar. Er dreht sich absichtlich so, dass die kalten Wassertropfen seine große Schwester treffen. Diese hält eine Hand vor das Gesicht und gibt ihrem kleinen Bruder einen sanften Stoß gegen die Schulter.
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Kurz vor nach Sechs schlendert Jez mit dem Rucksack mit den Badesachen über den Schultern langsam neben Emelina durch das heimatliche Stadtviertel. Niklas ist schon kurz nach vier gegangen und hat sich alleine mit Solene – natürlich nur rein freundschaftlich, wie er sagt – getroffen. Natürlich weiß er, dass weder Emelina noch Jez ihm die Ausrede wirklich abkaufen. Zusammen mit Jeremy und Noé sind Jez und Emelina dann viertel vor Sechs auch von der Badebucht aufgebrochen. Jeremy und Noé sind mit der S-Bahn direkt zum Handballtraining gefahren und Jez hat das Angebot, noch mit zu Emelina zu kommen, dankend angenommen und kann so die erneute Begegnung mit seinem Vater wenigstens um einige Stunden nach hinten verschieben.
Emelina lässt sich draußen auf der Terrasse auf einen der Stühle fallen. Jez lässt sich ihr gegenüber auf einem Stuhl nieder, nachdem er seinen Rucksack von den Schultern rutschen lässt. Er legt den Kopf schief und mustert Emelina. Sie öffnet gerade ihren Dutt und schüttelt ihre sonst glatten, aber jetzt vom Wasser wild gewellten Haare auf. Einen Moment verzieht Emelina das Gesicht, als sie sich mit ihren Fingern die gröbsten Knoten löst. Jez beginnt zu lächeln und fährt sich mit den Fingern durch die Haare. Emelina erwidert das Lächeln.
„Du hast mir gar nicht erzählt, wie du mit Kimmy zusammengekommen bist.“ Sie verzieht den Mund zu einem Schmollmund und versucht nicht zu lachen, als Jez sie beinahe überrascht ansieht. Dann setzt er sich ein wenig aufrechter hin und mustert Emelina kurz.
„Warum wollen Mädchen das eigentlich immer wissen?“ Er grinst, weil er genau weiß, dass er nur eine ‘Ist eben so…‘ oder ‘Weil es so ist!‘ Antwort bekommt.
„Ist einfach so…“ Emelina zuckt die Schultern und sieht ihren besten Freund abwartend an. „Also?“ Jez seufzt leise. Er hat Emelina eigentlich absichtlich nie nur ansatzweise davon geschrieben, was bei ihm los war, weil er, als er mit ihr geschrieben hat, froh war, nicht an Kimmy denken zu müssen. Zwar ist das jetzt, wo all der Stress vorbei ist, eigentlich nicht mehr der Fall, aber dennoch wurmt es ihn sehr, dass er sich nach dem Big Blöpp nicht unter Kontrolle hatte und es erst zu dem ‘Streit‘ und dadurch auch zu Kimmys kurzer Beziehung mit Finn kommen musste.
„Naja…“, murmelt er deshalb nur. Emelina sieht ihm mit einer Mischung aus Neugier und Verunsicherung in die Augen. Aus diesem Grund entscheidet Jez sich doch dafür, Emelina davon zu erzählen. „Keine Ahnung… Kimmy ist mir irgendwie schon beim ersten Mal aufgefallen, als ich sie gesehen habe -“ Mit einer Hand wischt Jez einige verbliebene Sandkörner von seinem Tank Top. „- Oder bessergesagt wiedergesehen habe…“ Fragend runzelt Emelina die Stirn.
„Sag nicht, du hast sie vorher schon gekannt?“ Jez sieht zu Emelina auf und nickt dann halb seufzend, was Emelina natürlich noch neugieriger werden lässt.
„Ja, aber ich hab‘s erst später gemerkt.“ Innerlich ringt Jez mit sich, ob er Emelina von Lennard erzählen soll. Davon, dass er gestorben ist und davon, dass Kimmy ihm aufgefallen ist, weil sie sich so viel ruhiger verhalten hat als all die anderen Mädchen. Einen Moment überlegt Jez noch, dann entschließt er sich, Emelina von dem ersten Teil zu erzählen. „Kannst du dich noch erinnern, als ich früher, in der Grundschule, in den Sommerferien, immer ein oder zwei Wochen bei meinen Großeltern in Fautenbach war?“ Zwar stehen immer noch zwei Fragezeichen in Emelinas Augen, aber dennoch nickt sie. „Ich habe früher immer mit Kimmy und ihrem Zwillingsbruder gespielt, als ich da war.“ Einen Moment stockt Jez. In diesem Moment wird ihm erst einmal wieder bewusst, wie sehr er früher an Lennard gehangen hat. Wie sehr er sich immer darauf gefreut hat, ihn wieder zu sehen. „Lennard ist vor fünf Jahren bei einem Autounfall gestorben.“ Für einen kurzen Augenblick starrt Jez auf die hölzerne Tischplatte vor sich, dann hebt er den Blick wieder und seufzt leise. „Ich weiß noch, dass mich meine Eltern in dem Sommer nicht haben gehen lassen. Und irgendwann habe ich einfach nicht mehr daran gedacht und Kimmy und Lennard vergessen…“ Jez sieht zu Emelina auf. Deutlich kann er eine Mischung aus Schock und Mitgefühl erkennen. „Ich habe Kimmy nicht gleich wiedererkannt. Nach ein paar Tagen hat Max mir dann angeboten, ihre Nummer zu geben…“, Jez sieht wieder kurz auf die Tischplatte, „…aber ich habe mir natürlich das Handy abnehmen lassen.“ Jez sieht auf. Emelina fährt sich mit einer Hand durch die immer noch feucht gewellten Haare. Man kann ihr deutlich ansehen, dass sie einerseits gerne ihren altbekannten Spruch ‘Ich habe mir mein Handy in der Schule ja noch nie abnehmen lassen!‘ bringen würde, aber dass Lennard sie andererseits immer noch beschäftigt. Weil Jez nicht mehr unbedingt auf Lennard weiter eingehen will, fährt er fort. „Mittags stand Kimmy dann vor der Tür und hat mir mein Handy wiedergebracht. Ich hab irgendwie nicht wirklich gewusst, was ich machen soll. Abends hab ich sie dann angeschrieben“ Mit einer Hand fährt Jez sich durchs Haar. „Am nächsten Tag hat dann der Lehrer, bei dem Kimmy mein Handy abgeholt hat, uns erstmal gesagt wie schrecklich es ist, wenn wir lügen und hat uns eine Präsentation reingedrückt.“ Kurz blinzelt Jez gegen die langsam sinkende Sonne, die unter das Terrassendach lugt. „Wir haben uns wegen dem Projekt getroffen und…“ Jez bricht ab und setzt auch nicht noch einmal an, um fortzufahren. Ein paar Mal hat er, gerade wenn Kimmy in seiner Nähe war, darüber nachgedacht, ob er damals das Richtige war, an sein Handy zu gehen und Kimmy nicht zu küssen. Wäre er nicht an sein Handy gegangen, wäre ihm erst später bewusst geworden, wie schlecht es Jeremy bei seinem Vater eigentlich geht. Aber die ganze Sache mit Kimmy wäre nicht passiert. Auf die bessere der beiden Lösungen ist Jez bis heute noch nicht gekommen.
„Und…?“ Emelina sieht Jez aus ihren dunkelbraunen, fast schwarzen Augen neugierig an. Jez hebt den Blick und schweigt noch einen Moment.
„Wir haben irgendwann über alles Mögliche geredet und…“ Wieder einmal merkt Jez, wie schwer es ihm fällt, solche Situationen Menschen zu erzählen, die ihn fast in- und auswendig kennen. „…ich wollte sie küssen, aber dann hat mein Handy geklingelt und ich bin rangegangen.“ Vorsichtig sieht Jez zu Emelina auf und wartet auf irgendeine Reaktion. Sie sieht ihn für einige Sekunden ausdruckslos an, dann lächelt sie und beginnt sachte den Kopf zu schütteln.
„Junge, du bist so ein Idiot!“ Jez ist erleichtert, über diese Aussage. In Emelinas Stimme kann man deutlich hören, wie sie das Gesagte einerseits ernst meint, aber andererseits auch mit ein wenig Ironie betrachtet. Jez lächelt, fährt dann aber fort.
„Jeremy hat mich angerufen. Ich habe mir dann irgendwie keine Gedanken mehr über Kimmy gemacht…“ Deutlich zuckt er mit den Schultern. „Und dann war da diese Party…“ Er seufzt leise und stützt die Ellbogen auf die Knie. „Ich bin mit Max, Betty und Kimmy hin - Kimmy hat ein bisschen was getrunken und…“ In Gedanken verloren verschränkt Jez die Finger ineinander und betrachtet sie. „…war ein bisschen mehr als gut drauf. Ich wollte sie dann nach Hause bringen. Sie hat gesagt, sie bekommt total den Stress zu Hause, wenn sie so heim kommt. Deshalb habe ich sie eben mit zu mir genommen.“ Jez sieht von seinen Händen auf und direkt in Emelinas dunkle Augen. Würde er sie nicht schon von klein auf kennen, er würde sie als eins der Mädchen – rein vom Äußerlichen – sehen, die viel Wert auf ihr Aussehen legt und weiß, dass sie gut aussieht. Ihre Augen sind so dunkel, dass ihr schon mehrfach gesagt wurde, sie sähe von Weitem einem Manga-Mädchen ähnlich. „Irgendwie - Sie hat mich geküsst. Ich wollte es erst nicht und habe es ihr auch gesagt aber…“ Jez bricht ab. Er schafft es einfach nicht, die Geschichte noch einmal und noch einmal und noch einmal zu erzählen. Emelina sieht ihn aus ernsten Augen an, bevor sie mit ihrem Stuhl einmal komplett um den Tisch rutscht und sich neben Jez setzt.
„…aber irgendwie hast du sie dann doch geküsst, habe ich recht?“ Jez sieht zu Emelina auf, die jetzt keinen Meter mehr von ihm entfernt sitzt. Seufzend nickt er. Emelina legt den Kopf nur schief, hebt die Beine, legt sie einmal quer über Jez Schoß und lässt sich auf ihrem Stuhl ein kleines Stückchen herunterrutschen. Dann sieht sie gespielt, wie in Filmen die Zicken das immer tun, auf ihre Hände. „Mach dir nichts draus. Das zeigt wenigstens, dass wirklich alle Männer schwanzgesteuert sind…“ Sie sieht mit immer noch dem total desinteressierten Blick auf und beginnt erst zu grinsen und dann zu lachen, als sie Jez ansieht und dann kopfschüttelnd zu lachen beginnt, bevor er eine Hand ausstreckt und sie beginnt am Bauch zu kitzeln.
„Das stimmt nicht!“ Emelina wälzt sich lachend unter Jez Händen heraus und lässt sich von ihrem Stuhl auf die hölzerne Terrasse sinken.
„Sicher?“ Sie steht auf und lässt sich wieder auf ihren Stuhl fallen.
„Hundert prozentig sicher!“ Einmal atmet Emelina tief aus, dann sieht sie Jez wieder in die Augen.
„Wenn du so lieb zu ihr warst, seid ihr dann da schon zusammengekommen?“ Das sanfte Lächeln verschwindet aus Jez Gesicht, als er leise seufzt.
„Nein. Ich…“ Er stockt und seufzt noch einmal. Emelina sieht ihn fragend und fordernd gleichzeitig an. „Als Kimmy am nächsten Morgen aufgewacht ist, hat sie nichts mehr gewusst und gedacht, ich hätte sie abgefüllt, nur um sie dann ins Bett zu bekommen…“ Überrascht hebt Emelina die Augenbrauen. „Ich habe ihr versucht zu erklären, dass es nicht stimmt, aber sie war irgendwie einfach zu überfordert damit.“ Jez hebt den Blick und bleibt an Emelinas dunklen Augen hängen. „In der Schule habe ich ihr nochmal versucht, alles zu erklären, aber irgendwie…“ Er zuckt die Schultern. „Keine Ahnung, hat halt nicht funktioniert.“
„Wieso hast du mir nichts davon gesagt?“ So manch einer würde Emelinas Frage als Vorwurf betrachten, aber Jez weiß, dass es eine ernst gemeinte Frage ist. Eine Frage, die nicht auch in ihrem Inneren aus der gestellten Frage besteht, sondern eher aus dem Kern ‚Ich hätte dir doch irgendwie versucht zu helfen…‘. Schweigend zuckt Jez ein weiteres Mal die Schultern.
„Du konntest mich irgendwie ablenken. Wenn ich dir von Kimmy erzählt hätte, hätte ich mich zwar bei dir ausheulen können, hätte aber trotzdem die ganze Zeit an sie gedacht…“ Kurz legt Emelina ihren Kopf schief und senkt den Blick dann. Als hätte sie gerade gemerkt, dass man ihre Frage vielleicht doch als Vorwurf sehen kann. Jez mustert sie kurz. Ihre langen, braunen Haare, die ihr kleines Gesicht so anders aussehen lassen, als wenn sie einfach nur glatt sind. Ihre dunklen Augen, die durch die Kontaktlinsen, die sie eigentlich immer trägt, weil sie der Meinung ist, dass sie mit Brille beschissen aussieht, immer diesen kleinen Spiegelpunkt besitzen. Und den einen, kleinen Tunnelohrring im linken Ohrläppchen – nicht größer als 3 Millimeter – der der einzige Hinweis darauf ist, dass sie doch nicht eins der so braven ‘Daddy’s Girl‘-Mädchen ist. Langsam löst Jez den Blick von Emelina und sieht auf seine Hände, bevor er fortfährt. „Meine Oma hat mir, als ich bei ihr war, Kinderbilder von mir gezeigt. Und auf einem waren Kimmy und Lennard mit drauf. Erst dann habe ich wieder begonnen, mich an die beiden zu erinnern. Aber… Kimmy hatte plötzlich Kontakt zu so einem anderen Typen. Irgendwie habe ich erst dann gemerkt, wie eifersüchtig ich auf alle war, die mit ihr zu tun hatten. Und dann waren sie plötzlich zusammen…“ Jez bricht ab und schließt für einen Moment die Augen. „Einen Tag, bevor ich gesehen habe, wie die beiden sich geküsst haben, war Romy, eine Freundin von Kimmy, bei mir. Sie hat versucht, mich zu überreden, Kimmy von Finn abzubringen. Irgendwann hat sie hat mir dann gesagt, dass sie…“ Jez stockt wieder. Einen Moment fragt er sich, ob es überhaupt gut ist, Emelina von Romys Gefühlen für Finn zu erzählen. „…Finn süß findet.“ Jez hebt den Blick. Emelina legt den Kopf schief und streicht sich einzelne Haarsträhnen, die ihr ins Gesicht fallen, zur Seite. „Es hat uns beide total fertig gemacht, dass Kimmy plötzlich mit Finn zusammen war. Romy und ich haben dann die ersten beiden Schulstunden geschwänzt und irgendwann haben wir uns dann geküsst -“ Deutlich nimmt Jez Emelinas überraschten Blick war. Sie kennt ihn gut genug, dass sie weiß, wie sehr er Menschen verabscheut, die ohne das geringste Gefühl jemanden küssen, geschweigendem mit ihm oder ihr schlafen. Kimmy ist erst das zweite Mädchen nach Manda, das Jez in seinem ganzen Leben geküsst hat. Eigentlich. „Es war irgendwie eine Kurzschlussreaktion. Wir haben beide nicht darüber nachgedacht.“ Einen Moment sieht Emelina ihn noch an, dann legt sie den Kopf schief. Sie würde sich jetzt am liebsten nach vorne lehnen und Jez einmal mit der Hand durchs Haar fahren. Etwas, was sie ,bis Jez weggezogen ist immer getan hat, ohne darüber nachzudenken. Eine liebevolle Geste unter Freunden, die sich schon ihr gesamtes Leben kennen. Aber jetzt, wo er ihr von einem so wichtigem Erlebnis erzählt, das sie, wenn er noch hier wohnen würde, hautnah miterlebt hätte, lässt ihr erst einmal bewusst werden, dass Freundschaften zwar über riesige Entfernungen halten können, aber niemals so intensiv sein können, wie, wenn man sich tagtäglich sieht. „Finn hat uns gesehen und es Kimmy erzählt. Romy und ich haben versucht, ihr alles zu erklären, aber Kimmy wollte uns nicht glauben.“
„Jez?“ Langsam sieht Jez seiner besten Freundin wieder in die Augen. „Bist du mir böse, wenn ich sage, dass ich es, wenn ich sie wäre, auch nicht geglaubt hätte?“ Einen Moment schweigt Jez, dann schüttelt er den Kopf.
„Nein. Ich konnte sie damals ja auch irgendwie verstehen. Sie hat mich ja kaum gekannt.“ Jez sieht Emelina noch immer an und fährt dann fort. „Nach ein paar Tagen hat sie dann von sich aus mit Finn Schluss gemacht. Ich wollte ihr in der Schule noch einmal alles erklären. Aber sie war die Tage danach krank… Samstags bin ich abends zu ihr und wollte mit ihr reden, aber irgendwie ist es nicht wirklich zu einem richtig klärenden Gespräch gekommen. Sie hat mir nur…“ Jez macht eine Pause. Nein, Kimmy hat ihm nicht nur von Lennard, von ihrem Bruder, von dem er schon wusste, erzählt. Sie hat ihm indirekt gesagt, was ihr an ihm liegt! „Sie hat mir von Lennard erzählt und sie hat mir mehr oder weniger gesagt, dass sie mich braucht…“ Wieder legt Jez eine kleine Pause ein. Warum, weiß er selbst nicht. Mittlerweile fällt es ihm nicht mehr schwer, Emelina von allem zu erzählen. Mit ihren Reaktionen auf die kritischsten Punkt hat sie ihm wieder einmal bewiesen, wie sehr sie immer und immer wieder hinter ihm steht. „Zwei Tage später, montags, hätte ich ihr so gerne gesagt, was ich für sie empfinde, aber es war Lennards fünfter Todestag. Es war irgendwie total unpassend - vielleicht hört sich das jetzt komisch an - aber irgendwie hätte ich mich selbst als respektlos bezeichnet. Am See habe ich Kimmy dann…“ Jez imitiert Gänsefüßchen in die Luft. „...getroffen. Sie hat geweint. Wegen Lennard. Ich bin dann mit ihr heim und solange bei ihr geblieben, bis sie eingeschlafen ist.“ Jez sieht zu Emelina auf und beginnt zu lächeln, als diese den Ansatz eines Seufzens von sich gibt. „Als wir am nächsten Tag von der Schule heim sind, habe ich ihr dann gesagt, dass ich alles dafür geben würde, sie mein Mädchen nennen zu dürfen…“ Emelina seufzt noch einmal und sieht Jez dann an.
„Bitte sag mir jetzt aber, dass sie an dem Tag ja gesagt hat?“ Leise lacht Jez auf und nickt.
„Ja, hat sie…“ Jez sieht auf den unteren Bund seines Tank Tops hinunter. Vor seinen Augen laufen die ganzen Bilder, die in den letzten drei Wochen – die Zeit, seit er mit Kimmy zusammen ist - passiert sind. Die meiste Zeit, die sie miteinander verbracht haben, haben sie entweder bei Kimmy oder bei ihm zu Hause verbracht. Mit Kuscheln, Mathe lernen und sich gegenseitig necken. Und er musste Kimmy immer und immer wieder eintrichtern, das sie nichts auf das Geläster in der Schule geben soll. Auf die Behauptungen, sie hat ihre Zeit als schüchternes, braves Schulmädchen jetzt abgesessen und fängt jetzt, am Ende des letzten Schuljahres vor dem Abi an, mit jedem Jungen, der sich auch nur ansatzweise für sie interessiert, herumzumachen. Klar, haben ihn selbst, als es hieß, er wäre nur einer dieser ‘Großstadtplayer‘, die denken, sie wären was ganz Besonderes und bekommen jedes Mädchen ins Bett, frustriert, weil so viele Menschen den Gerüchten geglaubt haben. Aber dennoch hat er keinen Moment auch nur daran gedacht, sich so lange über diese Geschichten den Kopf zu zerbrechen, bis er selbst der Meinung ist, er ist wirklich diese Person mit diesem ‘erfundenen‘ Charakter. Als Jez wieder von seinem Shirt zu Emelina aufsieht, erkennt er zwar einerseits die Freunde für ihn, dass er Kimmy hat, aber andererseits auch die Frustration und Einsamkeit.
„Du vermisst Marlon, hab ich recht?“ Marlon ist Emelinas Freund. Er ist zwei Jahre älter als sie und hat im letzten Jahr sein Abitur gemacht. Schon bevor er und Emelina ein Paar wurden, hat er einen Medizinstudienplatz in Canberra in Australien – seiner eigentlichen Heimat – angenommen. Anfangs ist für Emelina eine Welt zusammengebrochen, als Marlon ihr gesagt hat, dass er Deutschland verlassen und nach Australien gehen wird. Nach einigen Wochen und gefühlt hunderten tränenreichen Gesprächen sowohl mit Jez als auch mit Marlon hat sie sich wenigstens ein kleinen bisschen an den Gedanken gewöhnt, auch wenn es für sie fast unmöglich war, ihren Freund einfach gehen zu lassen und nicht zu wissen, wann und ob sie sich als Paar noch einmal sehen werden. Dass die Beziehung eine Entfernung von mehr als sechzehntausendfünfhundert Kilometern und einer Zeitverschiebung von 8 Stunden bis heute, fast ein Jahr, überlebt, hat wohl kaum einer gedacht. Leise seufzt Emelina.
„Ja…“ Ihre Stimme kann Jez kaum hören. Als würde die Frustration und Einsamkeit ihr den Atem rauben. Einen Moment schweigt Jez, dann rutscht er von seinem Stuhl, geht vor Emelina in die Hocke und sieht ihr in die glänzenden Augen. Diese Situation, dass Jez sie irgendwie von Marlon ablenken muss, ist schon so häufig eingetreten, dass Jez weiß, es ist das Beste, Emelina jetzt einfach nur in den Arm zu nehmen. Einen Moment sieht Emelina Jez an, dann rutscht sie ebenfalls von ihrem Stuhl und lässt sich beinahe in Jez Arme fallen, sodass er sich erst einmal mit einer Hand abfangen muss, bevor er sich aufrichten kann, beide Arme um Emelina legt und sie fest an sich drückt.
„Hey, Emelina…“ Sachte streicht Jez Emelina mit einer Hand über ihr weiches Haar. Emelina schließt die Augen und lauscht nur Jez ruhiger, fast flüsternder Stimme. „In drei Wochen sind Ferien. Und in vier Wochen fliegst du nach Australien, schon vergessen?“ Leise seufzt Jez‘ beste Freundin an seiner Schulter, bevor sie den Kopf hebt.
„Ich weiß. Aber ich glaube, ich vermisse ihn danach noch viel mehr als jetzt schon…“ Das langsam wiederkommende Glänzen in Emelinas Augen entgeht Jez nicht.
„Das ist doch ganz normal.“ Er macht eine kurze Pause. „Aber du kannst dich vergewissern, dass du ihm wirklich vertrauen kannst. Dass nur ein Mädchen Platz in seinem Leben hat. Und dass du dieses Mädchen bist.“ Jez sieht Emelina immer noch in die Augen. Der nächste Gedanke mag für Emelina vielleicht erleichternd sein, aber für ihn ist er das komplette Gegenteil. „Dann kommst du wieder, machst dein Abi und gehst wieder für ein ganzes Jahr zu ihm, nach Australien.“ Schon vor einem halben Jahr hat Emelina sich bei einer Vermittlungsstelle für Au-Pairs in Australien gemeldet und eine Familie in Canberra gefunden, bei der sie sich ab dem Sommer 2016 ein Jahr lang um die Kinder kümmern wird und so quasi wieder bei Marlon, in ein und derselben Stadt ist. Natürlich freut Jez sich für Emelina, aber dennoch hält es in seinem Kopf, sie, das Mädchen, dass er schon seit siebzehn Jahren kennt, ein ganzes Jahr nicht sehen zu können, fest.
„Du hast ja recht, aber -“ Emelina schließt die Augen und kuschelt sich wieder an Jez, „- dann weiß ich jetzt schon, dass du und die anderen mir extrem fehlen werden…“ Langsam löst Jez seine Arme um Emelina.
„Auch wenn es nur dreihundert Kilometer von Fautenbach nach Köln und keine zwanzigtausend sind, vermisse ich euch über die Entfernung auch.“ Jez sieht Emelina in die Augen. Sie erwidert den Blick einen Moment und lächelt dann, bevor sie den Blick auf den Ausschnitt von Jez Tankt Top senkt.
„Von Köln nach Canberra sind es aber sechzehntausendfünfhundertvierzig Kilometer, keine zwanzigtausend…“ Sanft kneift Jez Emelina in die Seite, bis sie zu lachen beginnt und sich aus seinen Armen dreht.
Nur schwer kann Jez den verweinten Anblick seines kleinen Bruders ertragen. Die letzten beiden Tage – der dritte und der vierte Tag, hier in Köln – haben sowohl Jez, als auch Jeremy nicht mehr darüber gesprochen, wie und ob Jeremy mit zu seinem großen Bruder und seiner Mutter kommen kann.
„Komm her…“ Jez hebt beide Arme und wartet darauf, dass sein kleiner Bruder sich von seinem Patz auf seinem Bett erhebt und in seine Arme kommt. Während Jeremy aufsteht und sich auf Jez Schoß niederlässt, laufen erneute Tränen über seine Wangen. Schweigend schließt Jez die Arme um seinen kleinen Bruder und drückt die Wange gegen dessen Hinterkopf. Erst jetzt ist Jez wieder einmal bewusst geworden, dass Jeremy wirklich noch ein Kind ist. In den letzten Monaten musste er sich zwangsläufig so erwachsen und selbstständig verhalten, dass sich das gesamte Unverständnis aufgestaut hat und jetzt musste die geballte Ladung einfach heraus, wo Jez ihm versucht hat zu erklären, dass es auch noch ungewiss ist, wann er ihn und seine Mutter wiedersehen kann.
„Ich will nicht hier bleiben, Jez!“ Deutlich kann man aus Jeremys Stimme den Frust und gleichzeitig das Flehen heraushören. Leise seufzt Jez, bevor er sich mit den Rücken wieder gegen die Wand lehnt und seinem Bruder einen Kuss aufs Haar gibt.
„Ich weiß…“ Sachte fährt Jez Jeremys Wirbelsäule mit den Fingern entlang. „Ich kann dir zwar nicht versprechen, dass Papa damit einverstanden ist, aber spätestens an deinem zweiten Sommerferientag bis du in Fautenbach, okay?“ Jeremy hebt den Kopf und sieht seinen Bruder aus roten, verweinten Augen an.
„Und wie willst du das machen, wenn Papa mir verbietet zu gehen?“ Ein Lächeln huscht über Jez Lippen.
„Ich hab da so eine Idee.“ Er hebt den Zeigefinger und legt ihn sich auf die Lippen. „Aber die verrate ich dir erst, wenn Papa sich wirklich weiter quer stellt.“ Zwar verzieht Jeremy das Gesicht einen Moment und signalisiert Jez so, dass es ihm nicht gefällt, dass sein Bruder ihm von der ‘Idee‘ erst dann erzählen will, wenn es nicht so klappt wie er hofft, aber dennoch überwiegt dann das Lächeln. Das Lächeln, das entsteht, weil ihm wieder einmal bewusst wird, was sein großer Bruder alles machen würde, nur, dass es ihm gut geht.
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Die Sonne strahlt noch immer durch die Milchglasfenster hell in die Sporthalle, als Jez die Halle zusammen mit Jeremy betritt. Es ist kurz vor sechs Uhr und in ein paar Minuten beginnt das Training der D-Jugend vom VfL Köln. Direkt nach diesem Training findet das Training der A-Jugend statt. Und natürlich will Jez das Angebot von der gesamten Mannschaft, mitzutrainieren, wenn er mal wieder in Köln ist, nutzen. Eigentlich ist es noch viel zu früh, da das A-Jugend Training schließlich erst in zwei Stunden beginnt, aber dennoch hat Jez seinen kleinen Bruder begleitet. Vielleich auch aus dem Grund, weil der Trainer, der jetzt die D-Jugend trainiert, seine eigene Mannschaft von der F-Jugend bis zu C-Jugend trainiert hat. Jeremy verschwindet gleich in der Umkleidekabine, während Jez seine Tasche am Rand der Halle auf den Boden sinken lässt. Cedric, der Trainer der D-Jugend, kommt gerade mit einem Ballnetz voller Handbälle aus dem Geräteraum. Seine Turnschuhe quietschen auf dem erst neu gemachten Boden, als er die Halle durchquert und das Ballnetz zwei Meter von Jez entfernt auf den Boden ablässt.
„Jez.“ Er wendet sich Jez zu und begrüßt seinen früheren Schützling mit einem Handschlag. „Schön, dass du dich wieder mal in Köln blicken lässt.“
„Ganz los werdet ihr mich nie.“ Jez grinst und sieht seinen ehemaligen Trainer an. Auch wenn manch einer es nicht ganz verstehen kann, Cedric war auch irgendwie eine Stütze für ihn, als seine Eltern sich getrennt haben. Nicht, weil er lange, tiefsinne Gespräche mit ihm geführt hat, sondern weil er nicht wie andere Menschen ständig gefragt hat, ob es ihm gut geht, wenn er mal wieder in der Halle aufgetaucht ist, um sich abzureagieren.
„Du weißt aber schon, dass das A-Training erst in zwei Stunden anfängt.“ Jez zuckt die Achseln.
„Ich weiß. Aber ich hätte sonst irgendwie Langweile.“ Cedric mustert Jez einen Moment und beginnt dann zu grinsen.
„Ja wenn das so ist. Der Geräteraum…“ Lachend bricht er ab, als er Jez negativ überraschtes Gesicht sieht. „Nein, Spaß. Aber wenn du Lust hast, kannst du ein bisschen Torwarttraining mit zwei von den Jungs machen.“ Mit einem Nicken signalisiert Jez Cedric, dass er einverstanden ist und holt dann seine Hallenschuhe aus der Tasche.
Während Jez auf dem grauen Hallenboden sitzt und seine Schuhe bindet, kommen nach und nach die kleinen D-Jungen in die Halle und beginnen, sich warmzumachen. Als Jez gerade die gebundenen Schuhbändchen seines linken Schuhs an der Seite in den Schuh stopfen will, kommt ein altbekannter Ball auf ihn zugeflogen. Mit einer Hand versucht Jez den Ball zu fangen, doch durch die ungewohnte Größe des Balls rutscht er ihm durch die Finger und prallte gegen seine Schulter.
„Fauler Sack!“ Jeremy kommt auf seinen Bruder zugelaufen und stoppt mit dem Fuß den rollenden Ball, bevor er ihn aufhebt und sich seinem Bruder zuwendet. „Und fangen kannst du auch nicht mehr!“ Jez grinst nur und schüttelt sachte den Kopf. Klar, kann er den Sarkasmus aus Jeremy Stimme heraushören und klar, könnte er auch mit dem Argument, ‘der Ball hat eine ungewohnt kleine Größe‘ kommen, aber um ehrlich zu sein, ist Jez froh, dass Jeremy jetzt wieder gut drauf ist.
***
Leise seufzt Kimmy, während sie in die hellen Flammen des eigentlich viel zu warmen Lagefeuers starrt. Morgen Abend werden sie schon wieder nach Hause fahren. Einerseits findet Kimmy es schade. Die Zeit hier war zwar – wie in den letzten Jahren auch – ziemlich anstrengen, aber auch wunderschön. Andererseits freut sie sich aber auch, wieder nach Hause zu kommen. Und vor allem, Jez wieder zu sehen. Ein weiteres Seufzen unterdrückt Kimmy sich und sieht stattdessen über die langsam abflachenden Flammen des Feuers. Ihre gesamte Mannschaft und noch einige andere Mädchen und Jungen, die ebenfalls gerade hier sind, sitzen um die flackernden Flammen und unterhalten sich fast ausnahmslos. Kimmys Blick fällt auf Neah. Beinahe genau ihr gegenüber sitzt sie. Seit der ganzen Sache mit Finn, die ‘Beziehung‘ von ihm und Kimmy und so weiter und der Sache, dass sie ihn mehr oder weniger nur manipuliert und ausgenutzt hat, hat Neah sie, soweit es ging, ignoriert und wirklich nur das Nötigste mit ihr gesprochen. Umso überraschter ist Kimmy, als Neah sich von ihrem Platz erhebt, langsam, von den anderen weitestgehend unbemerkt, um das Langerfeuer geht, Kimmy mit einer Hand am Rücken anstupst und ihr mit dem Kopf zeigt, dass sie ihr folgen soll. Einen Moment zögert Kimmy, dann erhebt sie sich ebenfalls und folgt Neah über die große, grüne Wiese, bis das Gras höher und das leise Plätschern des Baches lauter wird. Mit wenigen Schritten hat Kimmy zu Neah aufgeschlossen und folgt ihr schweigend, bis sie auf das Bachufer zusteuert und sich an haargenau demselben Platz, an dem Kimmy vor einigen Tagen mit Jez telefoniert hat, niederlässt. Kimmy zieht sich ihr Sweatshirt ein bisschen über den Po, bevor sie sich neben Neah auf den Boden sinken lässt. Nur das Zirpen der Grillen und das Plätschern des Baches sind zu hören. Angespannt schweigend wartet Kimmy darauf, dass Neah endlich etwas sagt.
„Es tut mir leid, Kimmy.“ Kimmy hebt den Kopf und sieht Neah an. Im nur spärlichen Licht des Mondes kann sie nur Neah Konturen erkennen. „Ich glaube, dass du weißt, dass die ganze Aktion mit Finn einfach nur daneben war, aber…“ Neah bricht ab und wendet seufzend das Gesicht Richtung Bach ab. „… ich habe dir Finn wirklich gegönnt. Nachdem du den ganzen Krach mit Jez hattest.“ Wieder unterbricht Neah sich und wendet sich dann komplett Kimmy zu. „Weißt du, ich kenne Finn schon seit klein auf. Er ist wie ein Bruder für mich. Und du warst die erste von all seinen Freundinnen, mit der ich wirklich klargekommen bin. Und von der ich eigentlich erwartet habe, dass sie ihn wirklich liebt.“ Kimmy weiß, dass Neah ihr damit eigentlich nicht nochmal eine reinwürgen will, aber trotzdem fühlt sich der letzte Satz an, wie eine eiskalte Ohrfeige. Automatisch senkt Kimmy den Blick. Aber um ehrlich zu sein, kann sie Neah auch verstehen. Sie hat ja von sich selbst nicht einmal erwartet, dass sie so etwas wirklich durchziehen kann! „Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob du sauer auf Jez bist, weil er wusste, dass du ihn süß findest und er dich einfach ausgenutzt hat. Irgendwie… ich dachte, du bist einfach sauer auf ihn, weil er dich als One-Night-Stand angesehen hat.“ Zwar wiederspricht sich Neah in diesem Moment gerade, aber das ist nicht das, was Kimmy auffällt.
„Ich war nicht sein One-Night-Stand.“ Kimmy hebt den Kopf und sieht Neah an. „Ja, wir haben in der Nacht ein bisschen rumgemacht, aber er hat es nicht ausgenutzt, um mit mir zu schlafen. Er hat selbst gesagt, dass er es nicht will.“ Kimmy macht eine Pause. „Ich habe es mit dem Alkohol zusammen einfach falsch interpretiert.“ Einen Moment schweigt Kimmy.
„Das wollte ich damit auch nicht sagen… Anfangs war ich echt total sauer auf dich. Weil es Finn so schlecht ging. Aber… in den letzten drei Wochen habe ich gesehen, dass Jez und du viel besser zusammenpassen… Man sieht, dass ihr euch wirklich liebt. Klar, kann man sagen, dass du und Finn auch ein schönes Paar wärt, aber ihr wärt nur ein optisch schönes Paar. Du und Jez… ihr seid irgendwie mehr als nur optisch süß zusammen.“ Neah wendet den Blick auf ihre Hände ab. „Du fühlst dich wohl bei Jez. Das sieht man. Und das halt man nicht gesehen, als du mit Finn zusammen warst.“
„Danke.“ Leise seufzt Kimmy, als sie an die ersten Wochen, nachdem Jez hierher gezogen ist, denkt.
„Ich will nicht mehr länger sauer auf dich sein. Klar, werde ich irgendwie immer ein bisschen an Finn denken müssen, wenn ich dich sehe, aber… Es fehlt einfach irgendetwas in der Mannschaft, wenn wir beide nicht miteinander reden.“ Neah sieht Kimmy in die Augen. „Du warst zwar mehr oder weniger die, die das ganze ausgelöst hat, aber ich war trotzdem die, die begonnen hat, dich sooft es ging zu ignorieren.“ Ein Lächeln huscht auf Kimmys Lippen.
„Ich glaube, jeder Mensch macht mal Fehler. Fehler, wie wiederum Fehler von anderen Menschen auslösen, auf die man aber nicht länger sauer sein darf.“ Ein sanftes Lächeln umspielt Neah’s Lippen, als während sie sich nach vorne lehnt und Kimmy in den Arm nimmt. Ganz leise, kaum hörbar, murmelt sie ein ‚Danke‘, bevor sie sich aus der Umarmung löst, es Kimmy gleichtut und aufsteht und dann langsam neben Kimmy wieder zurück zum Lagerfeuer schlendert.
***
Es ist schon fast um elf, als Jez völlig ausgepowert das Badezimmer verlässt und in Jeremys Zimmer geht. Jeremy sitzt in seinen Schlafklamotten auf seinem Bett und tippt auf seinem Handy herum. Während Jez mit einem Fuß die Tür hinter sich zudrückt, legt er den Kopf schief und sieht seinen Bruder einen Moment an. Dann geht er zu ihm, lässt sich auf der Bettkante nieder und greift dann so schnell, dass Jeremy nicht reagieren kann, nach dessen Handy.
„Als ich so alt war wie du hatte ich noch nicht mal ein Steinzeithandy. Und ich musste um 9 spätestens im Bett sein.“ Protestierten streckt Jeremy die Hände nach seinem Handy aus.
„Dass musst du mir nicht immer wieder sagen!“ Leise lacht Jez auf und gibt Jeremy dann sein Handy zurück. Schweigend legt er den Kopf schief und mustert seinen kleinen Bruder noch einmal einen Moment.
„Trotzdem solltest du jetzt schlafen. Erstens, dass du diese Woche nicht noch ein zweites Mal verpennst und zweitens, weil ich nicht vor dir einpennen will…“ Jeremy steckt sein Handy an und sieht dann grinsend zu seinem großen Bruder auf.
„Ich bin aber nicht müde…“ Das Grinsen wird zu einem sachten Lächeln. Einen Moment lächelt er noch, dann krabbelt Jeremy doch unter seine Decke, dreht sich auf den Rücken und sieht seinen Bruder aus wachen Augen an. Jez legt den Kopf schief und erwidert das Lächeln seines Bruders. Dann streicht er ihm mit einer Hand durchs Haar.
„Dann versuche daran zu denken, dass du ganz bald bei mir und Mama bist, okay?“ Leise seufzt Jeremy und nickt dann, bevor Jez sich zu ihm beugt und ihm einen sanften Kuss auf die Stirn gibt. Einen Moment bleibt Jez noch auf der Bettkante sitzen, dann erhebt er sich, knipst Jeremys Nachttischlampe aus und tastet sich durchs dunkle Zimmer zu dem Sofa, auf dem er schläft.
Müde legt Kimmy den Kopf gegen die ICE-Wand und mustert Romy, die ihr gegenüber in dem 6-Mann-Zugabteil sitzt. Neben Romy sitzt Neah. Sie hat die Ohrenstöpsel von ihren Handykopfhörern in den Ohren und lächelt, als Kimmys Blick weiter zu ihr wandert. Nicht nur für Neah ist es eine Erleichterung zu wissen, dass der ‘Streit‘ endlich beendet ist. Auch für Kimmy selbst. Leise seufzt sie, als sie die Kopfhörer ihres Handys aus ihrer Tasche kramt und sie sich in die Ohren steckt. In ihrem Media-Player sucht sie nach dem Lied ‘Liebe‘ von Sido. Ein Lächeln huscht auf Kimmys Lippen, als die ersten Töne erklingen. Jez hat ein Teil des Liedes als WhatsApp Status. ‚Guck mal was sie mit mir gemacht hat, diese Liebe, weil ich dich liebe! ~K‘. Lächelnd schließt Kimmy die Augen. Müde rutscht sie auf ihrem Sitz ein bisschen herunter und seufzt dann zufrieden. Das Wissen, dass mit Neah wieder alles in Ordnung ist und das Wissen, dass sie Jez am nächsten, spätestens am übernächsten Tag, wiedersieht, lassen sie zusammen mit dem gleichmäßigen Brummer des Zugs schläfrig werden.
***
Zusammen mit Jeremy, Niklas, Solene und Emelina schlendert Jez durch die eigentlich viel zu überfüllte Fußgängerzone von Köln. Am nächsten Morgen wird Jez schon wieder nach Hause fahren und um Jeremy noch einmal eine Freude zu machen, sind sie nun hier. Außerdem möchte Jez Niklas und Emelina darum bitten, am nächsten Tag mit zum Bahnhof zu kommen, dass Jeremy, während er selbst auf dem Heimweg ist, nicht alleine nach Hause muss. Natürlich weiß Jez, dass sein kleiner Bruder auch alleine nach Hause finden würde, schließlich lebt er schon sein ganzes Leben, anders wie er, in einer riesigen Stadt. Aber da Jeremy Abschiede mindestens genauso schwer fallen, wie ihm selbst, weiß Jez, dass er sich besser fühlt, wenn er Niklas und Emelina bei Jeremy weiß.
Sanft stößt Emelina Jez mit der Schulter an und deutet denn mit dem Kopf verschwörerisch grinsend auf Niklas und Solene. Ob es nun Absicht von den beiden ist oder nicht, ihre Hände berühren sich immer wieder und es macht den Eindruck, als würden Solene’s Finger in denen von Niklas verschränkt sein. Jez sieht wieder zu Emelina und beginnt zu grinsen. Sie ist schon so lange mit Solene befreundet, dass sie bestimmt noch genauer informiert ist als Jez, ob etwas zwischen Niklas und ihr läuft. Mit dem Kopf deutet Emelina auf eine Seitengasse, in der eine kleine, aber ziemlich beliebte Eisdiele liegt. Jez nickt und deutet Jeremy, Niklas und Solene, dass sie ihm und Emelina folgen sollen.
Nur noch einer der Tische ist frei. Solene und Emelina lassen sich fast synchron auf zwei der Stühle fallen. Während Emelina ihre Sonnenbrille von der Nase in ihr dunkles Haar schiebt beginnt sie zu grinsen.
„Holt ihr uns auch was?“ Sie blinzelt gegen die helle Sonne. Jez seufzt leise und schiebt sich dann zusammen mit Jeremy und Niklas bis hin zum Ende der langen Schlange. Die Eisdiele ist bekannt für ihre außergewöhnlichen Sorten. Da sie eine kleine Familieneisdiele ist und der Andrang auf die Theke so hoch ist, gibt es keine Bedienung mehr, also muss man sich die Eisbecher selbst holen. Mit einer Hand fährt Jez sich durchs Haar und lächelt, als sein kleiner Bruder es ihm gleichtut und mit der Hand durchs Haar fährt. Dann wandert sein Blick weiter zu Niklas, der seinen Blick von der Eiskarte an der Wand abwendet und Jez Blick dann erwidert. Jez legt den Kopf schief und mustert Niklas einen Moment.
„Sag mal, hast du nicht vergessen, mir irgendetwas zu sagen?“ Jez lehnt sich gegen die kühle Wand hinter sich und sieht Niklas mit einer Mischung aus einem forderten und lächelnden Gesichtsausdruck an. Fragend runzelt Niklas die Stirn und sieht dann zu Jeremy herunter, als er sich neben ihn stellt und mit dem Kopf in Richtung Emelina und Solene deutet. „Wenn Jeremy das schon vor dir blickt, dann fange ich an, mir langsam Sorgen zu machen.“ Jez grinst, als Niklas Gesicht noch immer ein großes Fragezeichen ist. Ein Grinsen, das sich auch auf Jeremy überträgt, erscheint auf Jez Gesicht. Und dann versteht Niklas auch, was er meint.
„Du meinst: Solene und ich?“ Jez grinst und nickt. Einen Moment sieht Niklas zu Solene und Emelina herüber. „Naja…“ Er sieht Jez einen Moment in die Augen, bevor er den Blick wieder abwendet.
„Warte…“ Mit einer Hand gibt Jez seinem kleinen Bruder ein Zeichen, sodass er zu ihm kommt. Fragend sieht er Jez an, als dieser ihn an den Schultern umdreht. Dann hält er seinem kleinen Bruder die Ohren zu. „So, jetzt kannst du alles sagen, ohne darüber nachdenken zu müssen, ob es Jugendfrei ist.“ Niklas grinst schief, als er zu Jeremy sieht, der verzweifelt versucht, sich aus Jez Armen zu befreien. Als er merkt, dass er chancenlos ist, verschränkt er die Arme vor der Brust und schmollt.
„Naja, keine Ahnung.“ Niklas seufzt leise. „Ganz süß ist sie ja, aber…“ Jez sieht Niklas fragend an.
„Aber?“ Niklas setzt gerade zu einer Antwort an, als eine der Eisverkäuferinnen Jez und Niklas aufmerksam macht und ihnen zeigt, dass sie an der Reihe sind. Jez und Niklas verlangen ihr, Emelinas und Solene’s und Eis. Nachdem die Verkäuferin die Bestellung an die Mitarbeiter hinter sich weitergegeben hat, deutet sie mit dem Kopf auf Jeremy.
„Für den Kleinen auch etwas?“ Jez sieht zu Jeremy herunter und nimmt dann grinsend die Hände von seinen Ohren. Niklas neben ihm kann sich nur schwer ein Lachen, bei dem Blick der Verkäuferin, verkneifen. Komplett ernst verlangt Jeremy sein Eis und grinst, als Jez und Niklas zahlen und an die Eisausgabe gehen. Mit einer Hand knufft Jez seinem kleinen Bruder noch einmal in die Seite und sieht dann zu Niklas.
„Jetzt noch mal. Aber?“ Niklas wendet den Blick ab und sieht auf die Früchte, die unter der Glastheke abstrakt aufgestapelt sind.
„Keine Ahnung. Ich glaube, wir brauchen beide noch ein bisschen Zeit…“ Jez erwidert nichts darauf und sieht Niklas stattdessen einfach nur einen Moment an. Er weiß genau, was Niklas mit ‚ein bisschen Zeit‘ meint. Schließlich hat Kimmy mehr oder weniger auch ‚ein bisschen Zeit‘ gebraucht, bevor sie zusammengekommen sind. Ein Lächeln liegt trotzdem auf seinen Lippen.
„Das klappt schon…“ Jeremy sieht Jez halb fragend, halb irritiert an – schließlich hat er nur die Hälfte des Gesprächs mithören können. Niklas murmelt etwas nicht ganz verständliches und nimmt dann zwei der Eisbecher entgegen.
***
Sanft streicht Jez seinem kleinen Bruder durchs Haar, während er den Kopf auf die andere Hand stützt. Es ist halb zwölf und eigentlich ist Jez der Meinung, dass Jeremy langsam schlafen sollte, allerdings merkt Jez, dass seinem kleinen Bruder seine eigene, bevorstehende Abreise durchs den Kopf geistert. Langsam dreht Jeremy sich auf die Seite und kuschelt sich an seinen großen Bruder. Mit der nun freien Hand zieht Jez die Decke von über Jeremys Schulter, bevor er seinen Kopf neben Jeremys auf dem Kissen bettet.
„Ich will nicht, dass du gehst…“ Leise seufzt Jez, als er den Kopf wieder auf die Hand stützt und seinem Bruder über den Hinterkopf streicht.
„Ich weiß, aber ich habe am Montag auch wieder Schule.“ Leise murrt Jeremy, während er sich wieder auf den Rücken dreht und die Augen schließt, als Jez wieder sanft beginnt, seine Kopfhaut zu massieren.
„Du weißt gar nicht, wie gerne ich einfach mit dir mitkommen möchte.“ Zwar versucht Jeremy, seine Gesichtszüge zu entspannen, aber dennoch kann Jez sehen, wie seine Kiefermuskulatur sich immer wieder anspannt.
„Du weißt gar nicht, wie gerne ich dich einfach mitnehmen würde.“ Jeremys Kiefermuskulatur beginnt immer mehr zu zucken, bis er sich wieder zu seinem Bruder dreht und sich eng an ihn drückt.
„Ich will nicht mehr! Ich kann nicht mehr, Jez! Ich halte das hier nicht mehr aus!“ Jeremys Schultern beginnen zu zittern, als er sich gegen seinen Bruder drückt. Mit einer Hand streicht Jez seinem Bruder über den Rücken, bevor er sich aufsetzt und Jeremy dicht an sich drückt. Er schlingt seine Arme um Jez Hals und drückt das Gesicht gegen Jez Schulter. Irgendetwas sagt Jez, dass er jetzt erstmal nichts sagen sollte und stattdessen seinen kleinen Bruder einfach nur in den Arm nehmen soll. „Jez bitte!“ Jeremys Stimme nimmt einen beinahe flehenden Ton an. Eng drückt Jez seinen kleinen Bruder an sich, als er sanft mit einer Hand über seinen Rücken und mit der anderen über den Hinterkopf streicht, bevor er den Kopf zu seinem kleinen Bruder hinunter beugt und ihm einen sanften Kuss aufs Haar gibt.
„Drei Wochen noch, Jeremy. Dann hole ich dich, egal was Papa sagt, mit zu Mama und mir, versprochen.“ Leise schluchzt Jeremy an Jez Schulter und verstärkt den Griff um Jez Nacken. So gut es geht, zieht Jez Jeremys Decke zu sich und legt sie seinem kleinen Bruder über die Schultern. Auch in seinen Augen brennen die Tränen, aber dennoch versucht Jez sie zurückzuhalten.
„Das dauert noch so lange…“ Sachte streichelt Jez noch einmal über Jeremys Hinterkopf, bevor er seinen kleinen Bruder sanft von sich drückt und in seine glasig glänzenden Augen sieht.
„Ich weiß. Aber du bist der Stärkste elfjährige Junge, den ich kenne! Du hast das hier schon fast zwei Monate geschafft, dann schaffst du auch noch die drei Wochen, versprochen.“ Jeremy sieht seinen Bruder mit einer Mischung aus Frustration und Hoffnung an. Dann lehnt er den Kopf wieder seitlich gegen Jez rechte Schulter und seufzt. Jez schließt die Arme um seinen Bruder, als dieser die Arme wieder um seinen Hals legt. „Und eins kann ich dir auch versprechen. Wenn du es hier nicht mehr aushältst, dann kannst du einfach zu Emelina gehen.“ Jeremy beginnt erst zögerlich zu lächeln, bevor er seinen Bruder ansieht.
„Meinst du, sie passt auf mich dann besser auf, wie auf dich?“ Dass Jeremy auf die eine oder andere nicht ganz ungefährlichen Aktion anspielt, zu der Emelina Jez angestupfelt hat, weiß Jez natürlich. Ein Lächeln huscht über seine Lippen, als er seinem Bruder noch einmal durchs Haar streicht.
„Ich hoffe es.“ Einen Moment erscheint ein kleines Grinsen auf Jeremys Gesicht, dann kuschelt er sich wieder an Jez.
„Du bist der beste große Bruder, den man sich wünschen kann.“ Jez schließt die Augen, als Jeremy sich an ihn kuschelt.
„Und du der beste kleine Bruder, den man sich wünschen kann.“ Langsam löst Jeremy sich von seinem großen Bruder und lässt sich auf sein Kissen sinken.
„Bleibst du bei mir?“ Sachte nickt Jez, bevor er sich neben seinen kleinen Bruder legt, ihn zudeckt und dann die Nachttischlampe ausknipst.
Ganz vorsichtig, um Jeremy nicht zu wecken, krabbelt Jez aus dessen Bett und leuchtet sich mit seinem Handy den Weg zu seiner Tasche. Es hat fast eine Stunde gedauert, bis Jeremy endlich so tief eingeschlafen ist, dass er nicht mehr merken würde, ob sein Bruder noch neben ihm liegt oder nicht. Während Jez den nächstbesten Pulli aus seiner Tasche zieht, schreibt er Emelina. Dann zieht er den Pulli über den Kopf, nimmt sich Jeremys Schlüssel von dessen Schreibtisch und verlässt leise das Zimmer.
Kühle Luft schlägt Jez entgegen, als er das Haus verlässt und der Straße folgt, bis er vor Emelinas Elternhaus steht. Während er durch das kleine Gartentor geht und das Licht durch den Bewegungsmelder angeht, schreibt er Emelina noch einmal. Keine zwei Sekunden, nachdem Jez die Haustür erreicht hat, öffnet Emelina sie. Sie trägt eine kurze Shorts und ein eigentlich viel zu großes T-Shirt. Die Haare hat sie zu einer Mischung aus einem Pferdeschwanz und einem Dutt zusammengebunden. Müde blinzelt sie und legt den Kopf schief.
„Sei froh, dass ich überhaupt nach wach bin…“ Sie lässt Jez herein und sieht ihm dabei zu, wie er aus seinen Schuhen schlüpft, bevor sie ihm mit dem Kopf ein Zeichen gibt, ihr zu folgen. So leise es geht, um Noé und Emelinas Eltern nicht zu wecken, folgt Jez Emelina die Treppe hinauf in ihr Zimmer.
Ihr Laptop steht aufgeklappt auf ihrem zerwühlten Bett. Skype ist geöffnet, was Jez darauf schließen lässt, das Emelina noch wach ist, weil sie mit Marlon skypen möchte. Mit einer Handbewegung klappt Emelina den Laptop zu, während sie sich auf ihr Bett fallen lässt und die Decke über die Beine zieht. Erst setzt Jez sich auf die Bettkante, dann lehnt er sich gegen die Wand am Fußende des Bettes und stopft sich Emelinas Kopfkissen in den Rücken, bevor er sich mit beiden Händen durchs Gesicht fährt und leise seufzt. Einzig das Licht der Straßenlaterne, das durch das Zimmerfenster fällt, erhellt den Raum ein wenig. Jez lehnt den Kopf gegen die Wand hinter sich und sieht Emelina in die Augen. Diese sieht ihn mit einer Mischung aus Neugier und Verwirrung an. Jez hat ihr nur geschrieben, dass er jetzt sofort mit ihr reden muss. Noch einmal seufzt Jez, bevor er leise Luft holt.
„Ich habe vorhin nochmal mit Jeremy geredet. Er hat mir gesagt, dass er es hier nicht mehr aushält…“ Einen Moment stockt Jez. Natürlich hat Emelina viel von dem ganzen Stress, der die Trennung seiner und Jeremys Eltern betroffen hat, mitbekommen, aber trotzdem nicht so intensiv, dass er hundert prozentig weiß, dass Emelina ihn und Jeremy wirklich versucht zu verstehen, obwohl sie natürlich nicht verstehen kann, wie sie sich fühlen, da ihre Eltern zusammenleben und auch nicht vorhaben, sich zu trennen. „…Ich habe ihm versprochen, dass ich ihn am Anfang von den Sommerferien mit zu Mama und mir hole, egal was Papa sagt…“ Jez wartet auf eine Reaktion von Emelina, doch diese sieht ihn einfach nur an und wartet darauf, dass er weiterspricht. „Es sind nur noch drei Wochen, aber trotzdem habe ich irgendwie Angst, dass Jeremy die drei Wochen trotzdem nicht durchhält.“ Jez unterbricht sich selbst wieder. Schweigend, ohne irgendein Geräusch von sich zu geben, rutscht Emelina neben Jez und kuschelt sich dann einfach an ihn. Früher, als beide dreizehn oder vierzehn Jahre alt waren, ist es oft vorgekommen, dass Jez bei Emelina oder Emelina bei Jez geschlafen hat und sie, wie manche Menschen es sich nicht vorstellen können, einfach rein freundschaftlich nebeneinander, sie in seine Arme gekuschelt, in einem Bett geschlafen haben. Als Jez und Manda dann ein Paar wurden, sind diese Nächte deutlich weniger geworden, aber in den letzten paar Monaten, bevor Jez nach Fautenbach gezogen ist, lagen beide wieder öfter zusammen einfach in einem Bett und haben sich freundschaftlich geneckt oder einfach nur gekuschelt. Jetzt, wo Jez weiß, dass Kimmy in Fautenbach auf ihn wartet, braucht er einen Moment, um sich zu überwinden und einen Arm um Emelina zu legen. Einfach, weil er nicht weiß, wie Kimmy reagieren würde, wenn sie davon mitbekäme. Marlon hat nichts dagegen, dass weiß Jez. Er vertraut seiner Freundin und ihm. Auch wenn sie sich eigentlich nur durch Emelina kennen, weiß Marlon, dass weder Emelina, noch Jez jemals auf die Idee kommen würden, etwas mit dem jeweils anderen anzufangen. Dafür wäre die Angst, den jeweils anderen als besten Freund zu verlieren, viel zu groß. Leise seufzt Jez. „Ich habe echt nicht gedacht, dass Jeremy Papa so einen Dreck interessiert.“ Jez seufzt leise. Emelina tut es ihm gleich und legt den Kopf dann auf seinen Schoß. Nachdenklich sieht sie ihn von unten herauf an.
„Du hast ihm gesagt, dass er immer hier her kommen kann, wenn er es nicht mehr aushält, oder?“ Jez nickt. Auch wenn das, was Emelina gerade gesagt, der eigentliche Grund für seinen nächtlichen Besuch war, fühlt er sich immer noch nicht wirklich besser. Mit einer Hand streicht Jez über eine von Emelinas Haarsträhnen, die sich in alle Richtungen über seinen Schoß ausgebreitet haben. Einen Moment sieht Jez Emelina in die Augen, dann zwingt er sich zu einem Lächeln. „Du machst dir immer noch Vorwürfe, dass du es nicht gleich geschafft hast, Jeremy zum Mitkommen zu überzeugen, stimmt‘s?“ Jez lehnt den Kopf gegen die Wand hinter sich und schließt einen Moment die Augen.
„Schon irgendwie – Aber… Ich weiß nicht wie es wäre, wenn Jeremy gleich mitgekommen wäre. Ich weiß, dass ich dann mehr jemand gehabt hätte, um mich von der ganzen Sache mit Kimmy abzulenken, aber ich weiß nicht, inwiefern Papa da schon gestreikt hätte. Jeremy ist ja sozusagen seine letzte Waffe, um Mama immer wieder eine reinzuwürgen…“ Leise setzt Emelina sich auf und lehnt den Kopf dann seitlich gegen Jez Schulter, bis er den Arm wieder hebt und sie sich an ihn kuscheln kann. Sanft legt sie ihren Arm vor seinem Brustkörper entlang um ihn auf seine linke Schulter.
„Ich glaube, wenn dein Vater deiner Mutter ein Bein stellen will, dann braucht er Jeremy nicht unbedingt einmal… Aber um ehrlich zu sein – auch, wenn es jetzt vielleicht ein bisschen egoistisch klingt – denke ich, dass es so, wie es jetzt passiert ist, passieren sollte.“ Jez hebt fragend die Augenbrauen – was Emelina natürlich nicht sieht. Er versteht nicht ganz, was daran egoistisch sein soll. „Aber wenn Jeremy nicht hier wäre, dann wärst du nicht hier her gekommen und dann hätte ich meine besten Freund vielleicht erst an Silvester oder so wieder gesehen.“ Leise seufzt Jez, während er sanft mit einer Hand durch Emelinas Haar streicht.
„Vielleicht. Aber eins kann ich dir trotz allem, was momentan so passiert, versprechen: Mich werdet ihr nicht so schnell los.“ Einen Moment schweigt Emelina, dann hebt sich den Kopf.
„Danke…“
***
Schweigend steigt Jez zusammen mit Jeremy, Emelina und Niklas aus der S-Bahn, die sie direkt in den Kölner Hauptbahnhof gebracht hat. Es wimmelt nur so von lärmenden Menschen, Pendlern, normalen Stadtbewohnern oder Touristen aus aller Welt. Mit einer Hand zieht Jez seine Tasche wieder auf seine Schulter, bevor er Niklas und Emelina in Richtung des Gleis 4 folgt. Jeremy schiebt sich schweigend neben seinen großen Bruder und versucht zu lächeln, als dieser zu ihm heruntersieht, was ihm allerdings nicht wirklich gelingt. Auch wenn es Jez schwerfällt, er schafft es, sich zu einem Lächeln zu zwingen, bevor er den linken Arm um Jeremys Schulter legt und ihn dann sanft vor sich her durch die Menschenmenge schiebt.
Als die vier am Gleis 4 ankommen, steht der Zug schon im Bahnhof. Immer noch gezwungen lächelnd umarmt Jez Niklas.
„Das mit Solene klappt schon…“, murmelt Jez leise, sodass nur Niklas er hören kann, bevor er sich von ihm löst. Niklas sieht ihn nur schief lächelnd an, bevor Jez sich zu Emelina wendet und sie in den Arm nimmt.
„Wir sehen uns in den Sommerferien nochmal, oder?“ Sanft nickt Jez, bevor er sich auch von Emelina löst und sie einen Moment sanft anlächelt.
„Versprochen.“ Emelina lächelt sanft, aber dennoch sieht man ihr an, dass sie Jez eigentlich nicht gehen lassen will. Einen Moment sieht Jez sie noch an, dann wendet er sich seinem kleinen Bruder zu. Er geht vor Jeremy in die Hocke und schließt ihn in die Arme. Jeremy schlingt seine Arme um Jez Nacken und drückt das Gesicht gegen Jez Schulter. Sanft streicht Jez seinem kleinen Bruder über den Rücken.
„Drei Wochen noch, dann hast du es geschafft, versprochen!“ Jeremy deutet ein Nicken an.
„Ich schaff das schon…“, flüstert er leise. Seine Stimme verrät, dass ihm die Tränen über die Wangen laufen. Sanft drückt Jez Jeremy an den Schultern von sich und sieht ihm dann in die tränennassen Augen. Dieser Anblick bringt ihn selbst fast zum weinen.
„Du weiß ja, du bist der stärkste Elfjährige, den ich kenne!“ Jeremy nickt wieder, als erneut Tränen aus seinen Augenwinkeln quellen. Sanft zieht Jez Jeremy wieder an sich und gibt ihm einen sanften, liebevollen Kuss auf die Stirn.
„Ich vermisse dich jetzt schon…“ Jez schließt Jeremy noch einmal eng in seine Arme und streicht ihm mit einer Hand über den Hinterkopf.
„Ich vermisse dich auch.“ Einen Moment schweigt Jez, dann fügt er leise: „Und ich habe dich unendlich lieb.“, hinzu.
„Ich dich auch…“, flüstert Jeremy, bevor er sich sanft aus Jez Umarmung löst. Sanft lächelt Jez und gibt Jeremy noch einmal einen Kuss auf die Stirn gibt.
„Ich ruf dich an, wenn ich zu Hause bin, okay?“ Jeremy nickt und sieht seinem Bruder in die Augen.
„Tschüss Jez…“ Ein letztes Mal streicht Jez seinem kleinen Bruder durchs Haar, dann lächelt er.
„Tschüss…“ Noch einmal drückt Jez Jeremy an sich, dann steht er auf, schultert seine Tasche und geht dann zwei Schritte nach hinten. „Tschüss…“ Er lächelt Emelina und Niklas noch einmal zu, bevor er seinen Bruder noch einmal ansieht, lächelt und dann zum Zug geht. Vor der Tür bleibt Jez noch einmal stehen, hebt eine Hand und deutet ein Winken an, bevor er sich von Emelina, Niklas und vor allem von seinem Bruder abwendet und in den Zug geht. Durch die Zugfenster sieht Jez, wie Jeremy dicht vor Emelina steht. Sie hat einen Arm um Jeremy gelegt, mit der anderen Hand fährt sie sich über die Augen. Jez wendet den Blick von dem Fenster ab und versucht sich damit zu beschäftigen, seinen Platz zu suchen, bis der Zug sich in Bewegung setzt.
***
Schweigend läuft Kimmy über die riesige Wiese bis hin zu der großen Pferdekoppel, auf der unter anderem die beiden Pferde stehen, die Betty und ihrem Vater gehören. Schon als Betty ganz klein, vielleicht ein Jahr alt waren, haben sich ihre Eltern getrennt und ihre Mutter ist zurück in ihr Heimatland Kanada gezogen. Sie hat den Kontakt zu ihrem Exmann und zu ihrer Tochter abgebrochen und Betty nichts zurückgelassen, sodass Betty nicht einmal die Möglichkeit hatte, ihre Mutter kennenzulernen, als sie älter wurde. Schon von Weitem kann Kimmy Betty erkennen, die ihre wilden, dunklen Locken in einen Pferdeschwanz gebunden hat. Sie sitzt den Rücken zugewandt auf der hölzernen Umzäunung der großen Weide und streichelt den großen Kopf ihres hellbraunen Wallaches Tatiano. Langsam geht Kimmy auf Betty zu und stubst sie sanft von hinten an, bevor sie unter einer der Querlatten des Zauns durchklettert und sich auf die obere Zaunlatte neben Betty setzt. Betty dreht den Kopf zu ihr und lächelt, bevor sie Tatiano noch einmal über die weiche Nase streicht.
„Ich habe gedacht, Jez kommt heute wieder.“ Kimmy sieht über die grüne Weide und streckt eine Hand nach Tatiano aus. Zwar kann sie selbst nicht reiten und sieht auch keinen Grund darin, mit reiten zu beginnen, aber dennoch kennt Tatiano sie und kommt einen Schritt auf sie zugetrottet, bevor er beginnt, ihre Hand mit der weichen Nase zu untersuchen.
„Er kommt heute auch wieder…“ Kimmy zieht schnell die Hand weg, als das große, braune Pferd genüssliche über ihre Hand leckt. „Ich habe vorhin mit ihm telefoniert. Es ist glaube ich besser, wenn er heute noch ein bisschen Zeit für sich hat.“ Fragend runzelt Betty die Stirn, als sie sich mit beiden Händen am Zaun abstützt und wieder ein Stück weiter darauf rutscht. Kimmy seufzt leise und sieht Tatiano hinterher, der zurück zu der Herde in den Schatten trabt und seinen Kopf dann im Gras versenkt. „Jeremy, Jez‘ kleiner Bruder ist ja noch in Köln. Er ist seinem Vater mittlerweile mehr oder weniger scheiß egal, aber trotzdem will sein Vater ihn in den Ferien nicht hier her gehen lassen.“
„Und dass macht Jez fertig, stimmt’s?“ Kimmy nickt und sieht Betty von der Seite an.
„Es ist glaube ich besser, wenn Jez jetzt erstmal mit seiner Mutter über seinen Bruder redet. Das hat meiner Meinung nach Vorrang.“ Betty sieht Kimmy von der Seite an und beginnt dann zu lächeln.
„Weißt du eigentlich, dass du wirklich eine Traumfreundin bist?“ Kimmy wendet den Kopf Betty zu.
„Meinst du jetzt für Jez oder für dich?“ Ein Grinsen umspielt ihre Lippen.
„Für Jez! Ich glaube nicht, dass es viele Mädchen gibt, die man nicht um Freiraum bitten muss. Ich meine welche, die treu sind.“ Betty lächelt und stubst Kimmy dann mit einem Finger in die Seite. „Und dir sagen, dass du die beste Traumfreundin für mich bist, muss ich dir ja hoffentlich nicht. Auch wenn du manchmal echt Sachen machst, die ich nicht verstehe. Aber das müsstest du ja eigentlich wissen.“
***
Als Jez nach vier Stunden Zugfahren, am Bahnhof warten und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie er Jeremy von Fautenbach aus am Besten holen kann, endlich in Achern am Bahnhof aussteigt, lastet die Müdigkeit schon wieder auf seinen Augenlidern. Noch bis halb vier in der Nacht war er bei Emelina, ist frühestens halb fünf eingeschlafen und kurz nach halb acht von Jeremy geweckt wurden. Einen Moment sieht Jez sich am Bahnsteig um, dann entdeckt er seine Mutter und beginnt sanft zu lächeln, bevor er auf sie zugeht. Seine Mutter erwidert das Lächeln, als sie ihren Sohn entdeckt und nimmt ihn dann zur Begrüßung in den Arm. Jez erwidert die Umarmung einen Moment.
„Hallo Mama.“ Das sanfte Lächeln liegt noch immer auf Jez Lippen, als er sich von seiner Mutter löst.
„Schön, dass du wieder da bist.“ Einen Moment sieht Jez Mutter ihrem Sohn in die grünen Augen, die er von ihr geerbt hat, dann deutet sie mit dem Kopf zur Treppe, die vom Bahnsteig zu den Parkplätzen führt. Schweigend folgt Jez seiner Mutter. Innerlich streiten sich jedoch zwei Stimmen in seinem Kopf, ob er seiner Mutter sofort davon erzählen soll, wie es Jeremy geht und dass sein Vater ihn in den Ferien nicht gehen lassen will, oder lieber später.
Auch noch während Jez seine Tasche in den Kofferraum des Autos wirft und sich auf den Beifahrersitz fallen lässt, streiten sich die Stimmen weiter. Fragend runzelt Jez Mutter die Stirn, als sie sich auf dem Fahrersitz niederlässt. Jez hat den Führerschein für das begleitende Fahren eigentlich schon gemacht und ist auch die Strecke von Köln nach Fautenbach gefahren, deshalb wundert seine Mutter sich, wieso er heute nicht fahren will. Einen Moment mustert sie ihren älteren Sohn noch von der Seite, dann startet sie den Motor und fährt vom Parkplatz.
Natürlich weiß Jez, dass seine Mutter sich wundert, warum er sich anders verhält. Deshalb weiß er auch, dass es nichts bringt, ihr zu verschweigen, was ihm auf dem Herzen liegt.
„Papa hat gesagt, dass er Jeremy in den Sommerferien nicht hier her kommen lassen will.“ Leise seufzt Jez Mutter und sieht ihren Sohn einen klitzekleinen Moment von der Seite an, bevor sie den Blick wieder auf die Straße wendet.
„Sowas in der Art habe ich mittlerweile schon erwartet.“ Diesmal ist Jez der, der fragend drein schaut. Er sieht seine Mutter von der Seite an, aber deren Blick bleibt weiter auf die Straße vor sich gerichtet.
„Wie ‘erwartet‘?“ Während Jez Mutter den Blinker setzt und dann schwungvoll abbiegt, seufzt sie noch einmal. Dann holt sie Luft, um etwas zu sagen, pustet sie jedoch wieder aus.
„Ich erklär‘ dir das wenn wir zu Hausen sind alles in Ruhe, in Ordnung?“ Zwar möchte Jez eigentlich jetzt sofort wissen, warum seine Mutter diese Aktion ihres ‘Noch-Ehemanns‘ erwartet hat und was sie ihm sonst noch in Ruhe erklären will, aber er weiß, dass sie – gerade was wichtige, vielleicht auch ein bisschen emotionale Gespräche angeht – weiß, wann der richtige Zeitpunkt ist, um dieses Gespräch zu führen.
„Okay“, murmelt er deshalb nur und lässt seinen Blick dann aus dem Fenster wandern. Über die weiten Felder, bis hin zu den Waldrändern und Baggerseen. Jez hält mit dem Blick an einem See fest, der zwischen den Bäumen hindurch glitzert und kann sich nur mit viel Mühe ein Seufzen unterdrücken. Nachdem er sich nur schwer von Jeremy trennen konnte, hat er im Zug Kimmy angerufen und sie darum gebeten, ihn einfach irgendwie abzulenken. Zwar hat er nach außen hin und Jeremy gegenüber versucht, seine Angst um ihn, nicht so sehr zu zeigen, aber trotzdem knabbert die Angst an ihm. Die Angst vor der Ungewissheit und dem Wissen, ihm von Fautenbach aus sowieso nicht helfen zu können. Kimmy hat, als er angerufen hat, nicht lange nachgefragt, wie es ihm oder Jeremy geht, worüber Jez sehr glücklich ist. Stattdessen hat sie ihm erzählt, dass Neah ihr gesagt hat, dass er viel besser zu Kimmy passt als Finn. Zwar ist das eigentlich auch ein Thema – das Thema Finn – worüber Jez nicht gerne nachdenkt, aber trotzdem kam es ihm gelegen.
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Nachdem Jez und seine Mutter zu Hause angekommen sind und er seine Tasche ausgepackt und seine dreckige Wäsche zur Waschmaschine gebracht hat, geht er zu seiner Mutter runter und lässt sich auf die Couch fallen. Zwar ist wunderbares Wetter um sich raus zusetzten, aber das ist Jez eigentlich egal. Einen Moment sieht Jez seiner Mutter, die sich auch auf dem Sofa niedergelassen hat, in die Augen, dann wendet er den Blick ab.
„Ich habe vor ein paar Tagen mit deinem Vater telefoniert und ihm gesagt, dass ich die Scheidung einreichen möchte.“ Leise seufzt Jez‘ Mutter, als sie sich selbst unterbricht. Sie starrt einen Moment einfach nur ins Leere, dann sieht sie ihrem Sohn in die Augen. „Ich glaube, es weiß jeder, dass diese Ehe nichts mehr bringt.“ Jez sieht seiner Mutter in die Augen, aber anders, als er erwartet hat, sieht er nicht mehr die Enttäuschung und den Frust darin. Mehr die Entschlossenheit für einen Neuanfang. „Außerdem wäre dann die ganzen Sachen mit dem Unterhalt und dem Sorgerecht und so weiter komplett geklärt, aber…“ Jez legt den Kopf schief, als seine Mutter wieder abbricht und ein weiteres Mal leise seufzt.
„Aber?“, fragt er deshalb vorsichtig. Einen Moment sieht seine Mutter ihm schweigend in die Augen.
„Er hat gesagt, dass er die Papiere und Unterlagen und was weiß ich alles für die Scheidung nicht unterschreiben wird.“ Irritiert verzieht Jez das Gesicht. Da die Trennung ja mehr oder weniger von seinem Vater und dessen neuer Frau ausging, ist es für Jez mehr als unverständlich, warum sein Vater sich nicht, wie seine Mutter, schnellstmöglich scheiden lassen will. „Ich wollte einen Grund von ihm Wissen, habe aber keine richtige Antwort darauf bekommen.“ Mit einer Hand fährt Jez sich erst über das Gesicht und dann übers Haar, als ihm bewusst wird, warum sein Vater sich nicht scheiden lassen will.
„Er hat Angst davor, dass Jeremy sagt, er will nicht bei ihm bleiben und dass was weiß ich was für ein Gericht sagt, dass Jeremy zu uns soll, stimmt’s?“ Noch während Jez die Hand wieder senkt, erwidert er den Blick seine Mutter und holt ein weiteres Mal Luft. „Jeremy will nicht bei Papa bleiben! Ich habe ihn noch nie so fertig erlebt. Er hat gebettelt, dass ich ihn gleich mitnehme!“ Jez sieht einen Moment auf seine Hände, als die Bilder der letzten Woche vor seinem inneren Auge noch einmal durchlaufen. „Jeremy ist Papa scheißegal!“ Als Jez den Blick wieder hebt, kann er deutlich erkennen, wie schwer es seiner Mutter fällt, ihm zuzuhören und zu hören, dass es ihrem jüngeren Sohn nicht gut geht. „Simeon ist ihm wichtiger, wie sein eigener Sohn.“ Langsam senkt Jez den Blick, bevor er die Augen einen Moment schließt. „Ich habe Jeremy versprochen, dass ich – oder wir – ihn, sobald er Ferien hat, hierher holen, egal, was Papa sagt.“ Als Jez die Augen wieder öffnet, ist seine Mutter näher an ihn herangerückt. Sie sieht ihrem Sohn in die Augen, bevor sie eine Hand aussteckt, ihm sanft mit der Hand durchs Haar streicht und ihn dann eng in die Arme schließt. Jez erwidert die Umarmung seiner Mutter und schließt die Augen.
„Dein Vater kann mir nicht verbieten, mein Kind zu sehen. Und im schlimmsten Fall musst das ein Richter genauso sehen!“
Müde streicht Kimmy sich das Haar aus dem Gesicht, während sie zusammen mit den Hockeymädchen, der Jungsclique und Betty und Max in der Aula darauf wartet, dass es zur ersten Stunde gongt. Ihr Blick wandert immer wieder durch die vielen Schüler in der Aula und sucht nach Jez. Da sein Schlüsselbein wieder komplett verheilt ist, fährt er wieder mit seinem Motorrad und nicht mit dem Bus zur Schule. Natürlich hat er seiner Freundin angeboten, sie mitzunehmen, aber Kimmy hat erstmal verneint, da ihre Mutter schon so negativ reagiert hat, als Finn sie mit dem Motorrad zur Schule genommen hat und sie einer erneuten Diskussion erstmal aus dem Weg gehen will. Ein Lächeln huscht auf Kimmys Lippen, als sie Jez in der Tür erblickt. Mit einer Hand fährt er sich durch sein etwas zerzaustes Haar und sieht sich einen Moment in der Aula um, bis sein Blick an der Clique hängen bleibt. Schon von weitem erkennt Kimmy, wie müde Jez aussieht. Und sie weiß auch, dass es nicht nur daran liegt, dass heute der erste Schultag nach den Ferien ist. Kimmy löst sich ein wenig von der Gruppe. Jez erwidert ihr Lächeln, als er mit dem Motorradhelm in der Hand, seiner Motorradjacke an und dem Rucksack über den Schultern auf sie zukommt. Dicht vor ihr bleibt er stehen und legt eine Hand auf Kimmys Hüfte.
„Na…“, flüstert er. Sein und Kimmys Gesicht trennen jetzt schon keine fünf Zentimeter mehr. Kimmy legt den Kopf schlief und hebt eine Hand, die sie sanft in Jez Nacken legt.
„Na…“, flüstert sie leise, bevor sie die Augen schließt und den sanften Begrüßungskuss von ihrem Freund erwidert.
„Ich habe dich vermisst…“ Kimmy legt auch die zweite Hand in Jez Nacken, bevor sie sich an seine Schulter kuschelt und die Augen wieder schließt. Sanft streicht Jez ihr mit einer Hand über den Hinterkopf, bevor er ihr einen Kuss auf den Scheitel gibt.
„Ich dich auch…“ Kimmy löst sich von Jez Schulter und sieht einen Moment in seine grünen Augen, wird dann aber von dem Gong unterbrochen. Leise seufzt Kimmy und sieht Jez dann nochmal einen Moment in die Augen, bevor sie ihre Finger in denen von Jez verschränkt und ihn noch zu seinem Schließfach begleitet, in das er den Helm und die Jacke stopft.
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Mit schief gelegtem Kopf mustert Kimmy Jez schweigend. Er sitzt vor ihr, zwei Meter von der Clique entfernt und seufzt leise. Kimmy macht einen Schritt auf ihn zu und legt ihre Arme um seinen Nacken. Jez legt seine Arme um Kimmys Hüfte, bevor er die Stirn einen Moment an Kimmys Bauch lehnt und die Augen schließt.
„Ich habe echt nicht gedacht, dass das so krass anstrengend ist…“ Kimmy erwidert nichts darauf und streicht Jez stattdessen mit einer Hand sanft über den Hinterkopf. Mit ‘das‘ meint Jez die Trennung seiner Eltern und die ganzen Dinge, die diese zur Folge hat. Leise seufzt Kimmy und macht dann einen Schritt zurück, um ihrem Freund in die Augen zu sehen. Deutlich kann Kimmy erkennen, wie die Müdigkeit darin glänzt. Jez wendet den Blick ab, als er merkt, wie Kimmy ihn besorgt mustert. Dann rutscht er von der Mauer und nimmt Kimmy einfach in den Arm. Sanft legt Kimmy ihre Arme um Jez Hals und stellt sich auf Zehenspitzen, dass sie mit ihrem Freund beinahe auf Augenhöhe ist.
„Ich glaube, dass du einer der besten großen Brüder bist, den man sich vorstellen kann…“ Jez sieht Kimmy in die Augen und seufzt leise.
„Ich wäre ein besser großer Bruder, wenn ich Jeremy, als ich hier her gezogen bin, nicht einfach bei unserem Vater gelassen hätte.“ Kimmy legt den Kopf schief und drückt sich sanft aus Jez Armen.
„Warum machst du dir immer Vorwürfe?“ Sie sieht zu Jez hinauf, als sie die Frage leise stellt. Jez seufzt leise und streicht Kimmy sanft durchs Haar.
„Ich glaube, das verstehst du nicht richtig…“ Kimmy sieht zu Jez herauf und seufzt leise.
„Ich kann es gar nicht verstehen. Aber trotzdem. Hättest du ihn gleich mitgenommen und er hätte dir dann Vorwürfe gemacht, dann hättest du dir auch Vorwürfe gemacht.“ Einen Moment sieht Jez seiner Freundin in die Augen, dann zuckt er die Schultern.
„Vielleicht. Höchstwahrscheinlich. Aber…“
„Nicht aber!“ Kimmy senkt den Blick einen Moment, bevor sie Jez wieder in die grünen Augen sieht. „Bitte.“ Jez seufzt leise und gibt Kimmy noch einmal einen Kuss auf das Haar.
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Sanft streicht Kimmy über Jez Stirn und sein Haar. Sie sitzt auf der alten Hollywood-Schaukel, die schon seit Kimmy denken kann auf der Terrasse bei ihr zu Hause steht. Jez hat seinen Kopf auf ihrem Schoß gebettet, liegt auf dem Rücken und hat die Beine angezogen. Leise seufzt Jez und schließt die Augen. Mit den Fingern beginnt Kimmy Jez Kopfhaut zu kraulen. Deutlich kann sie spüren, dass sie ihn trotzdem nicht ablenken kann.
„Und du denkst wirklich, dass dein Vater sich auch gegen deine Mutter wiedersetzt?“ Leise seufzt Jez wieder und öffnet die Augen. Das glückliche Funkeln in seinen Augen fehlt Kimmy.
„Du weißt nicht, wie er sie in den letzten Wochen, in denen wir noch in Köln gewohnt haben, behandelt hat…“ Schweigend streicht Kimmy noch einmal durch das Haar ihres Freundes, bevor sie ihre Hand auf seine Wange legt.
„Ich bin mir trotzdem sicher, dass Jeremy hier her kommen darf.“ Einen Moment macht sie eine Pause. „Und vielleicht auch bleiben darf…“ Jez sieht zu Kimmy auf und seufzt dann leise, während er den Blickkontakt zu seiner Freundin sucht.
„Danke…“, flüstert er leise. Dann setzt Jez sich auf und fährt sich mit beiden Händen erst übers Gesicht und dann durchs Haar. Kimmy rutscht enger an ihren Freund heran und legt die Arme um seinen Hals, bevor sie ihre Beine über seinen Schoß legt und sich dicht an ihn kuschelt. Jez schlingt seine Arme um Kimmys Körper und vergräbt sein Gesicht in ihren Haaren. „… dass du für mich so positiv denkst.“ Mit den Fingern streicht Kimmy noch einmal durch Jez Haare, bevor sie ihm einen Kuss aus die Wange gibt.
„Weißt du eigentlich, wie gerne ich dich jetzt irgendwie ablenken würde, aber nicht weiß wie?“ Ein ehrliches Lächeln huscht über Jez Lippen, bevor er Kimmy sanft von seinem Schoß schiebt und sich erhebt. Kimmy sieht Jez einen Moment fragend an, lässt sich dann aber von ihm hochziehen. Einen Moment verharrt Jez so, seine Arme um Kimmy gelegt, ihre Lippen nur Millimeter voneinander getrennt, dann macht er keinen Schritt zurück, greift nach der Hand seiner Freundin und zieht sie dann mehr oder weniger durch die Terrassentür und das Wohnzimmer in den Flur, wo er in seine Turnschuhe schlüpft und Kimmy ihre roten Chucks vor die Füße stellt.
„Was…?“, fragt Kimmy, bricht ihre Frage dann aber ab und schlüpft wortlos in ihre Schuhe. Erwartungsvoll sieht sie ihren Freund an, nachdem sie ihren Schlüssel und ihr Handy von der Kommode genommen hat. Jez lächelt und greift wieder nach Kimmys Hand.
Draußen blinzelt Kimmy gegen die warm strahlende Sonne. Eigentlich ist es heute viel zu warm, um den Tag auch nur irgendwie draußen in der Sonne zu verbringen. Die Temperaturanzeige auf ihrem Handy jedenfalls sagt, dass es 34 Grad sind. Mit einer Hand streicht Kimmy sich ihr offenes Haar zurück. Noch bevor Jez und sie den Gehweg erreichen, zieht Kimmy ihre Hand aus Jez‘ und bleibt stehen. Fragend runzelt er die Stirn, aber in dem Moment legt Kimmy den Kopf nach vorne und versucht, so gut es ohne Haarbürste geht, einen einigermaßen anschaulichen Pferdeschwanz zu binden. Jez lächelt, als er einen Arm von der Seite um Kimmy legt und ihr einen Kuss auf die Wange gibt.
„Ich wohne zwar jetzt schon mehr als eineinhalb Monate hier, aber trotzdem kenne ich hier keinen wirklich schönen Ort, bis auf den See…“ Kimmy sieht Jez von der Seite in die Augen.
„Das kann man ändern.“ Sanft entzieht sie sich dem Arm ihres Freundes. Natürlich ist es wunderschön, das verliebte Kribbeln in sich zu spüren, wenn sein Körper ihrem so nahe ist, aber andererseits ist es so warm, dass sie sich mehr mit der Wärme, die auch von Jez Körper ausgeht, beschäftigen würde und so das Kribbeln gar nicht genießen könnte. Stattdessen verschränkt sie ihre Finger in Jez‘ und schlendert zusammen mit ihm zu einem ihm noch unbekannten Ort.
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Fragend mustert Jez Kimmy von hinten – was sie natürlich nicht sehen kann – als sie ihn wenig später über eine riesige Wiese führt. Das Gras geht selbst ihm über die Oberschenkel. Mit zwei Fingern schnipst er eine kleine Spinne von seinem Bein. In dem Moment bleibt Kimmy stehen und dreht sich zu Jez um.
„An den Stadtmensch in dir. Das war eine Spinne…“ Lachend quietscht sie auf, als Jez ihr mit den Fingern in die Seiten pikst. Sie windet sich schnell aus Jez Armen und stolpert noch einmal zwei Schritte nach vorne, in den Schatten einiger großer Bäume, bevor sie wieder stehen bleibt und eine Hand nach Jez ausstreckt. Dieser nimmt ihre Hand und bleibt dann dicht hinter ihr stehen. Vor den beiden liegt die Pferdekoppel, auf denen auch Bettys Pferde stehen. Schon als Betty sechs oder sieben Jahre alt war, hat ihr Vater die beiden Pferde gekauft. Und Kimmy ist sich auch ziemlich sicher, dass sie – Betty, Lennard, Jez und sie – früher hier schon das ein oder andere Mal gespielt haben. „Erinnerst du dich noch an hier?“ Kimmy dreht den Kopf ein wenig nach hinten und sieht Jez kurz an. Deutlich kann man in seinem Gesicht erkennen, wie er einen Moment nachdenkt, dann nickt er.
„Davon haben doch mal zwei oder drei Betty gehört, oder?“ Kimmy nickt und wendet den Kopf wieder nach vorne. Ein Grinsen huscht über ihre Lippen, als sie die zwei Personen erblickt, die auf dem Zaum, auf der Schattenseite der Weide, sitzen. Selbst von dieser Entfernung von noch mindestens 25 Metern kann Kimmy Betty und Max erkennen. Max sitzt, wie Betty und sie am vergangenen Tag, auf der oberen Querlatte des Zauns, während Betty ein Bein recht, eins links von seiner Hüfte auf seinem Schoß sitzt. Wie Max es schafft, Betty zu küssen und gleichzeitig das Gleichgewicht zu halten und nicht einfach von dem Zaun zu kippen, ist Kimmy ein Rätsel. Mit einer Hand deutet Kimmy auf die beiden.
„Das beantwortet deine Frage doch eigentlich auch, oder?“ Auch über Jez Lippen wandert ein Grinsen.
„Kannst du mir eins versprechen?“ Kimmy sieht ihn einen Moment fragend an, schafft es aber nicht, das Grinsen wegen Betty und Max loszuwerden. „Wenn wir zu den beiden gehen und uns zu ihnen setzten, setzt du dich nicht so auf mich. Ich kipp da zu hundert Prozent rückwärts vom Zaun.“ Leise lacht Kimmy auf und dreht sich dann zu Jez.
„Das überleg ich mir noch…“ Dann deutet sie ihm mit dem Kopf an, dass er ihr folgen soll. Nachdem sie vielleicht fünf Meter zurückgelegt – und deutlich geschickter als Jez über die vielen abgebrochenen Äste der Bäume geklettert ist - hebt sie eine Hand, legt sich zwei Finger als ‚Ring‘ auf die Lippen und pustet dann einmal. Jez stolpert vor Schreck, als der laute Pfiff ertönt, beinahe über einen der Äste. Kimmy vor ihm ist stehen geblieben und lacht leise auf. Ihr Blick ist immer noch auf Betty und Max gerichtet, die sich mindesten genauso sehr wie Jez bei dem Pfiff erschrocken haben. Deutlich sieht man, wie Max nach hinten kippt und sich geradeso noch mit einer Hand an der oberen Querlatte festhalten und wieder hochziehen kann.
„Ich habe gar nicht gewusst, dass du so mies sein kannst…“ Kimmy gibt keine Antwort auf die Feststellung von Jez. Sie greift stattdessen wieder nach seiner Hand und zieht ihn dann hinter sich her. Zu seinem Glück sind die letzten Meter deutlich leichter zu begehen.
„Kimmy, ich bringe dich um!“, ruft Betty, als Kimmy und Jez keine drei Meter mehr von ihr entfernt sind. Gleichzeitig versucht Betty von Max Schoß zu rutschen und fällt nur nicht, weil Max sich noch am Arm festhält. Einen Moment hält Betty inne, bis sie ihren Fuß, mit dem sie an einer der Holzlatten hängen geblieben ist, befreit hat und ganz von Max runterspringen kann. So schnell, wie das Mädchen unter dem Zaun hindurch getaucht ist, konnte Jez gar nicht gucken. Erst, als Kimmy zwei schnelle Schritte nach hinten macht und so ungestüm gegen ihn rennt, sieht er, wie Betty vor Kimmy steht und sie mit drohendem und gleichzeitig grinsenden Gesicht ansieht. Betty hebt beiden Hände und pikst Kimmy mit zwei Fingern neckisch in den Bauch. Anstatt die Hände zu heben, dass Kimmy nicht noch einmal in ihn hineinrennt, macht Jez einfach zwei Schritte zur Seite. Kimmy weicht Betty lachend aus und rechnet fest damit, dass Jez noch hinter ihr steht und sie mehr oder weniger abfangen kann. Und deshalb stolpert sie auch nach hinten und fällt dann einfach nach hinten ins Gras. Einen Moment verstummt Betty, dann lässt sie sich selbst nach hinten ins Gras fallen und beginnt schallend zu lachen.
„Jez!“ Grinsend sieht Jez Kimmy von oben an, als Kimmy ihm versucht einen bösen Blick zuzuwerfen, der aber von dem Grinsen in ihrem Gesicht verdrängt wird. Jez streckt ihr seine Hände entgegen und zieht Kimmy wieder hoch.
„Jetzt bin ich Schuld, oder wie?“ Das Grinsen liegt noch immer auf Kimmys Lippen, als sie nickt und sich dann aus Jez Armen löst. Dann lehnt sie sich über Betty und streckt ihr, wie Jez es bei ihr selbst zuvor getan hat, die Hände entgegen.
„Wenn dann ist es deine schuld!“ Betty grinst, als sie das zu Kimmy sagt. Sie putzt sich mit beiden Händen das Gras vom Po und weicht dann Kimmys Hand aus.
„Warum? Wenn ihr immer und überall rumknutschen müsst!“ Betty hebt grinsend die Augenbrauen.
„Wir? Ihr beiden unterhaltet doch morgens immer die halbe Aula!“ Sanft gibt Kimmy Betty einen Stoß gegen die Schulter, bevor sie zusammen mit ihr und Jez unter dem Zaun druckklettert und sich neben Max auf den Zaun setzt. Natürlich wissen sowohl Kimmy als auch Jez, was Betty mit ‚die halbe Aula unterhalten‘ meint. Fünft- oder Sechstklässler, die gaffen, als wäre man ein Außerirdischer, wenn man eine andere Person küsst.
„Meinst du so?“ Jez legt einen Arm um Kimmy und hält sich mit der anderen an der Zaunlatte, auf der er sitzt, fest, bevor er sich über sie lehnt und ihr einen langgezogenen, kribbeligen Kuss auf die Lippen drückt. Schon dieser kleine, sanfte Kuss lässt in Kimmy wieder das heiße Kribbeln aufkommen. Jez grinst, als er seine Lippen von Kimmys löst und Betty dann abwartend ansieht.
„Eindeutig!“ Sanft gibt Kimmy Jez einen Rempler gegen die Schulter und lächelt. Seine grünen Augen funkeln anders als vor weniger als zwanzig Minuten wieder glücklich. Kimmy lächelt und wendet den Blick dann ab. Deutlich erkennt sich aus dem Augenwinkel sowohl das Grinsen in Bettys, aber auch in Max‘ Gesicht. Zwar hat Max die ganze Zeit nichts gesagt, aber seine Freundin, Jez und Kimmy die ganze Zeit amüsiert angesehen.
„Ach was…“ Kimmy grinst und sieht Jez noch einmal einen Moment an. Aus dem Augenwinkel kann sie erkennen, wie Bettys brauner Wallach Tatiano auf die vier zugetrottet kommt. Vor ihnen bleibt er stehen und streckt den Hals nach Kimmy aus. Sanft fährt Kimmy dem Tier einmal über die Stirn und stößt ihren Freund mit der Schulter sanft an.
„Noch mal an den Großstadtmensch in dir: Das ist ein Pferd.“ Lachend weicht Kimmy – soweit das sitzend auf dem Zaun möglich ist – Jez Hand aus, aber dennoch schafft dieser es, ihr sanft in die Seite zu piksen.
„Ich hab zwar fast mein ganzes Leben in Köln verbracht, aber stellt euch vor, da gibt es auch Pferde.“ Max lehnt sich ein wenig vor, sodass er an Betty und Kimmy vorbeigucken und Jez sehen kann.
„Wir meinen aber Pferde wie die…“ Mit einer Hand deutet er auf Tatiano, der seinen Hals sofort zu ihm dreht und Max Hand mit der Nase untersucht. „…nicht die vom Kinderkarusell.“ Betty und Kimmy beginnen zu lachen, Jez hingegen rümpft nur die Nase und grinst. Dann lässt er sich vom Zaun rutschen, geht ruhig auf Tatiano zu und hält ihm eine Hand entgegen, an der das menschenliebende Tier akribisch schnuppert, bevor Jez noch mal einen Schritt auf ihn zugeht und erst den Kopf und dann den Hals des Tieres mit beiden Händen streichelt. Kimmy legt den Kopf schief und sieht, genau wie Betty und Max, Jez zu. Zwar war sie immer der Meinung, dass reiten eher zu Mädchen passt, aber dennoch geben Jez und Tatiano ein schönes Bild ab. Sanft streicht Jez dem großen Tier noch einmal über die Stirn, bevor er wieder zum Zaun geht und sich auf die obere Querlatte setzt. Sanft stößt Betty ihren Freund an.
„Guck, Jez weiß, dass Pferde ganz lieb sind.“ Max verdreht die Augen. Betty spielt auf einen ganz bestimmten Tag an, an dem Tatiano so nervös war, dass nicht einmal sie ihn richtig beruhigen konnte. Natürlich hat da ein Pferdelaie wie er doch ein wenig mehr Respekt vor dem Pferd.
„Jaja…“, murmelt er nur. Dann sieht er wieder an Betty vorbei. Kimmy grinst Jez an und streicht ihm dann mit einer Hand durchs Haar.
„Hast du fein gemacht…“ Kimmy springt vom Zaun, als Jez ihr mit beiden Händen wieder in die Seite pikst.
„Du bist mich heute nur am mobben!“ Lachend versucht Kimmy sich auf Jez Armen zu winden, doch statt sich zu befreien, zieht sie ihren Freund vom Zaun.
„Jez!“ Immer noch lachend versucht Kimmy sich chancenlos aus seinen Armen zu winden, bis sie über den Fuß von Jez stolpert und nach hinten fällt. Mit einer Hand fängt Jez sie noch ab, denkt aber auch nicht daran aufzuhören Kimmy zu kitzeln, als sie auf dem hohen Gras liegt. „Was, wenn hier ein Pferd hingekackt hat?“ Kimmy japst nach Luft, als Jez endlich aufhört sie zu kitzeln und sie stattdessen grinsen ansieht.
„Dann wärst du ein ganz schönes Opfer…“ Lachend macht er einen Schritt zurück, als Kimmy sich blitzschnell aufsetzt und mit einer Hand nach ihm schlägt. Dann verzieht sie den Mund zu einem Schmollmund und verschränkt die Arme vor der Brust, bevor sie aufsteht und sich demonstrativ zwischen Betty und Max auf den Zaun quetscht. Betty schüttelt nur grinsend den Kopf.
„Ihr seid so verrückt!“ Kimmy zuckt die Achseln.
„Na und? Lieber verrückt als langweilig.“
***
Müde schließt Kimmy die Augen. Jez liegt neben ihr auf ihrem Bett und streichelt sanft mit einer Hand über ihr Haar. Es ist mittlerweile bestimmt schon um zehn und dafür, dass sie am nächsten Tag Schule haben eigentlich ungewöhnlich, dass Kimmys Eltern noch nichts gesagt haben, weil Jez noch da ist.
Das gleichmäßigen Pochen von Jez Herz unter Kimmys Ohr macht sie irgendwie schläfrig. Erst, als Jez‘ Handy in seiner Hosentasche vibriert und er sich ein wenig aufsetzt, um es herauszuholen, öffnet Kimmy die Augen wieder. Sie rutscht ein Stückchen nach oben, um auch einen Blick auf Jez Handy werfen zu können. Er hat immer noch den Standardpin 2580. Vorsichtig lehnt Kimmy den Kopf auf Jez linke Schulter, als er WhatsApp öffnet. Emelina hat ihm geschrieben. Kimmy liest die Nachricht nicht mit. Stattdessen betrachtet sie Jez Mimik. Ein Lächeln huscht über seine Lippen, bevor er eine Antwort tippt, sein Handy sperrt und dann auf die Matratze legt. Kimmy dreht sich wieder auf die Seite und hebt eine Hand, mit der sie ihrem Freund sanft durchs Haar fährt.
„Du Jez?“ Jez dreht sich zu Kimmy und sieht ihr in ihre hellbraunen Augen, während er sanft über eine ihrer Locken streicht.
„Hm?“ Kimmy zögert einen Moment.
„Wie gut kennst du Emelina eigentlich?“ Ein Lächeln huscht über Jez Lippen.
„Bist du immer noch eifersüchtig auf sie?“ Kimmy senkt den Blick.
„Vielleicht ein bisschen…“ An Jez ruhiger Stimme kann sie erkennen, dass es ihn nicht jedes Mal auf die Palme bringen würde, wenn sie bei dem einen oder anderen Mädchen, mit dem er Kontakt hat, auch mal genauer nachhakt, wer sie ist.
„Sie ist meine Sandkastenfreundin.“ Sanft streicht Jez Kimmy wieder durchs Haar. „Ich kenne sie, solange ich denken kann.“ Jez holt wieder Luft, um etwas zu sagen, zögert dann aber einen Moment. „Und ich liebe sie auch irgendwie auf eine Art und Weiße. Aber nicht so, wie ich dich liebe. Weißt du, Emelina ist manchmal wie eine kleine Schwester. Ich liebe sie, wie ich meine Schwester lieben würde, wenn ich eine hätte. Ich kann nicht sagen, dass ich dich mehr liebe wie sie. Ich würde sie um nichts in der Welt verlieren wollen. Genauso wenig wie dich. Aber dich liebe ich als mein Mädchen. Ich würde niemals auf die Idee kommen, sie zu küssen oder sie so in den Arm zu nehmen, wie ich dich in den Arm nehme.“ Seine Hand wandert von Kimmys Kopf bis zu ihrer Taille und bleibt dort liegen. „Ich könnte mich niemals in sie verlieben.“ Jez zögert einen Moment. „Es wäre, als würdest du dich plötzlich in Lennard verlieben, wenn er noch leben würde. Es geht einfach nicht.“ Kimmy schließt die Augen, als sie spürt, wie Jez ihr einen sanften Kuss auf die Stirn drückt. „Ich bin mir sicher, dass du sie mögen würdest, wenn du sie kennen würdest.“
„Ehrlich?“ Jez nickt sanft, als Kimmy die Augen wieder geöffnet hat. Einen Moment sieht Kimmy ihren Freund an. „Nervt es dich eigentlich nicht, wenn ich auf ganz einfache Freundinnen von dir eifersüchtig bin?“ Ein Lächeln liegt auf Jez Lippen, als er sanft den Kopf schüttelt.
„Solange es nicht bei wirklich jedem Mädchen, mit dem ich nur rede so ist - und außerdem könnte ich genauso auf Jungs eifersüchtig sein, nur, weil du Kontakt mit ihnen hast.“ Kimmy schließt die Augen und kuschelt sich an ihren Freund.
„Bist du aber nicht, oder?“ Jez hält mit der gleichmäßigen, streichelnden Bewegung inne.
„Vielleicht lasse ich es mir auch einfach nicht anmerken.“ Kimmy sieht wieder in Jez grüne Augen. „Ich weiß, dass ich auf Max nicht eifersüchtig sein muss. Er hat Betty und du kennst ihn schon mindestens fünfzehn Jahre. Aber -“ Jez macht eine kleine Pause und sieht Kimmy in die Augen. „- wenn du wieder anfangen würdest mit Finn zu schreiben, dann wäre ich eifersüchtig. Weil ich weiß, dass er dich süß findet.“ Leise seufzt Kimmy und schließt die Augen. „Ich war eifersüchtig auf ihn, als du mit ihm zusammen warst.“ Sanft legt Jez eine Hand auf Kimmys Wange, sodass sie die Augen wieder öffnet und ihn ansieht. „Ich habe mich mindestens tausend Mal am Tag an seine Stelle gewünscht.“ Kimmy sieht Jez einen Moment an.
„Dann hoffe ich aber, dass du dich jetzt nicht mehr an seine Stelle wünschst…“ Jez lächelt und gibt Kimmy einen Kuss aufs Haar.
„Dann wäre ich schön blöd.“ Kimmy lächelt und streicht Jez mit einer Hand durchs Haar, bevor sie seinen Kopf sanft zu sich zieht und darauf wartet, dass seine Lippen sich endlich auf ihre legen. Schon der Gedanke daran lässt das mittlerweile bekannte, heiß-feurige Kribbeln in ihr aufkommen. Als Jez Lippen ihre hauchzart berühren, schließt Kimmy die Hand fest um Jez Haar, während Jez sich über sie lehnt. Einen Moment löst Jez seine Lippen von Kimmys und sieht ihr in die Augen. „Du kannst ruhig weiteratmen…“ Kimmy hat gar keine Zeit, etwas auf Jez nicht ganz ernst gemeinten, liebevollen Kommentar zu erwidern, denn er hat seine Lippen schon wieder auf ihre gelegt und beginnt ganz vorsichtig und ein bisschen zögerlich, seinen Mund zu öffnen und seine Zungenspitze langsam über ihre Unterlippe wandern zu lassen, was das feurige Kribbeln um ein zehnfaches anschwellen lässt. Zwar sind die beiden jetzt schon fast einen Monat zusammen, aber wirklich rumgeknutscht, mit Zunge und allem drum und dran, haben sie noch nicht. Und aus diesem Grund wird das Kribbeln auch plötzlich von einem kleinen Fünkchen Angst, dass Jez es nicht gefällt, gedämpft. Als hätte Jez irgendwie Kimmy Unsicherheit gespürt, löst er seine Lippen von Kimmys, doch diese zieht ihn wieder an sich und beginnt nun ganz sachte mit ihrer Zungenspitze über Jez weiche Lippen zu fahren. Im nächsten Moment entzieht Jez sich aber Kimmys Küssen, als ihre Mutter Kimmys Namen von unten herauf ruft. Leise seufzt Kimmy und sieht Jez entschuldigend in seine funkelnd grünen Augen.
„Ach man…“, murmelt sie leise. Sowohl sie, als auch Jez weiß, dass ihre Mutter, wenn sie ihr jetzt antworten würde, nicht antworten würde. Sie will ihre Tochter nur darauf aufmerksam machen, dass es jetzt schon viertel nach zehn ist. Jez klettert über seine Freundin und hält ihr beide Hände entgegen, als er vor ihrem Bett steht. Sanft legt er einen Arm um sie und verschränkt die Finger seiner anderen Hand in Kimmys, bevor er ihr noch einmal einen langegezogenen Kuss gibt.
„Keine Angst, das wiederholen wir ohne Unterbrechung nochmal.“ Blitzschnell stellt Kimmy sich auf die Zehenspitzen und gibt ihrem Freund eine zärtliche Kopfnuss.
„Du bist so ein Idiot!“ Jez grinst seine Freundin nur vielsagend an, bevor er ihr die Treppe herunter folgt.
Energisch schiebt Jez den Stuhl zurück, rauf sich die Haare und tigert dann zwei Runden auf dem verbleibenden Platz auf der Terrasse.
„Jez, bitte.“ Einen Moment bleibt Jez stehen und sieht seine Mutter aufgewühlt an. Diese sitzt neben ihrer eigenen Mutter auf einem der hölzernen Gartenstühle auf der sonnigen Terrasse von Jez Oma. Deutlich kann Jez die Augenringe unter den Augen seiner Mutter erkennen. Leise seufzt er, bevor er sich wieder ihr gegenüber auf dem Stuhl niederlässt. Es sind mittlerweile schon zwei Wochen vergangen, seit Jez bei seinem kleinen Bruder war. Dennoch gab es keinen Abend, an dem er nicht mit Jeremy telefoniert oder geskypet hat, oder Emelina per Skype oder Handy angerufen hat und gefragt hat, ob es Jeremy wirklich den Umständen entsprechend gut geht. „Ich bekomme einfach keinen Urlaub für die beiden Tage, dass musst du verstehen und Jeremy auch.“ Jez sieht seiner Mutter müde in die Augen. Natürlich kann er sie einerseits verstehen. Gerade im Ambulanzbereich eines Krankenhauses ist es im Gegensatz zu einem Bürobereich nicht so einfach möglich, einfach zwei Tage Urlaub zu nehmen. Vor allem, weil momentan schon relativ viele dort Urlaub haben. Aber dennoch hat er seinem kleinen Bruder versprochen, ihn an dessen ersten Ferientag nach Fautenbach zu holen und dieser Versprechen will und kann Jez unmöglich brechen. Einen Moment sieht Jez auf die Tischplatte vor sich, bevor sein Blick langsam zu seiner Oma wandert.
„Jez, komm nicht mal auf die Idee!“ Seine Oma hebt beide Hände. „Du weißt ganz genau, dass ich so eine Strecke garantiert nicht fahre.“ Leise seufzt Jez und sieht seine Mutter dann an.
„Dann fahr‘ ich halt mit dem Zug nach Köln und er fährt mit mir wieder zurück.“ Schon bevor Jez den Satz gefühlt fertig ausgesprochen hat, schüttelt seine Mutter den Kopf.
„Nein Jez. Das ist ein Streit zwischen deinem Vater und mir. Außerdem würde er Jeremy nicht gehen lassen.“
„Es geht aber auch um Jeremy und mich!“ Jez schnelle Antwort besitzt einen so scharfen Unterton, dass seine Mutter zurückzuckt.
„Jez, es reicht!“ Sauer verschränkt Jez die Arme vor der Brust und sieht seine Mutter unbeirrt von dem nicht mehr ganz so freundlichen Einwurf seiner Oma an. Einen Moment schweigt Jez.
„Auch, wenn du nach Köln fahren würdest, würde er einen riesigen Aufstand machen!“ Dass ihr Sohn dabei die vielen Telefongespräche mit ihrem Noch-Ehemann andeutet, entgeht Jez Mutter natürlich nicht. „Ich habe Jeremy versprochen, dass wir – oder ich – ihn an seinem ersten Ferientag hier her holen -“ Einen Moment schweigt Jez und presst die Lippen aufeinander. „Du hast nicht gesehen, wie fertig er war!“ Jez Mutter seufzt leise und sieht ihren Sohn müde an.
„Jez, es geht einfach nicht früher…“ Seufzend wendet Jez den Blick ab, bevor er aufsteht.
„Ich habe gleich Training“, murmelt er und verlässt die Terrasse. Er hat heute wirklich noch Training, allerdings erst in mehr als eineinhalb Stunden. Aber irgendwie musste er aus der Diskussion herauskommen. Seufzend zieht er sich seine Trainingstasche, die auf dem kleinen Schuhschrank im Flur der Wohnung seiner Oma liegt, auf die linke Schulter und verlässt das Haus.
Eigentlich ist er eine Person, die Gespräche so lange es geht am Leben hält, wenn er weiß, dass er anderen Menschen damit helfen kann. Und mit diesem Gespräch kann er Jeremy auch ‘helfen‘, aber auch wieder nicht. Er ist nicht der ihm gegenüber, den er mit seinen Worten erreichen kann. Jez hebt den Blick von dem knirschenden Kies unter seinen Schuhen. Natürlich weiß er, dass es sinnlos ist, einfach so vor der Diskussion zu flüchten, aber irgendwie wusste er, dass er keine neuen Argumente mehr finden wird.
***
Kimmy streicht sich lächelnd die Haare aus dem Gesicht und blinzelt gegen die hoch stehende Sonne. Sie sitzt neben Betty an einer der versteckteren Badebuchten des Sees. Mittlerweile sind die Temperaturen so hoch gegangen und geblieben, dass sich das Wasser des Sees wenigsten ein bisschen aufgewärmt hat. Betty schiebt sich ihre Sonnenbrille in ihr lockiges Haar und mustert ihre Freundin. Dann lehnt sie sich über Kimmy und angelt sich die aufgerissene Gummibärchentüte. Während sie sich die verbliebenen grünen Gummibären in den Mund schiebt, sieht sie Kimmy wieder an. Als deren Handy zu vibrieren beginnt, wendet Kimmy den Blick ab, entsperrt ihr Handy und tippt auf die neue WhatsApp Nachricht von Jez. Seufzend lässt sie ihr Handy sinken. Fragend hebt Betty die Augenbrauen.
„Max kommt nachher alleine…“ Noch einmal seufzt Kimmy leise und streicht sich nochmal durch Haar.
„Warum?“ Kimmy hat eigentlich nicht damit gerechnet, dass Betty nachfragt, warum Jez doch nicht noch nach dem Training an den See kommt. Da Kimmy selbst nicht weiß, warum Jez nicht kommt, zuckt sie die Schultern.
„Vielleicht ist irgendwas mit seinem Bruder oder so…“ Betty legt den Kopf schief und schiebt sich das letzte grüne Gummibärchen in den Mund.
„Ich glaube, du bist die beste Freundin, die Jez sich wünschen kann.“ Kimmy sieht Betty in die Augen und lächelt. „Und die Einzige!“, fügt Betty noch schnell hinzu und lässt sich dann langsam wieder nach hinten auf ihr Handtuch sinken. Einen Moment sieht Kimmy ihre Freundin lächelnd an, dann lässt sie sich ebenfalls nach hinten aus ihr Handtuch nieder, bevor sie versucht, sich ein weiteres Seufzen zu unterdrücken. Betty neben ihr rollt sich auf den Bauch und mustert ihre Freundin von der Seite, die sich dann wieder aufsetzt und sich die Sonnenbrille aus dem Haar zieht. Auch ohne Worte weiß Kimmy, dass Betty weiß, dass sie irgendetwas bedrückt.
„Irgendwie…“ Kimmy sieht auf ihre Sonnenbrille in ihren Händen und beginnt, die schwarzen Bügel ein- und wieder auszuklappen. „Ich weiß, dass Jez Emelina schon von klein auf kennt und dass sie ihm gerade mit seinem Bruder und so wirklich hilft, aber trotzdem bin ich glaube ich, ein bisschen eifersüchtig auf sie, obwohl ich es gar nicht will…“ Betty sieht ihre Freundin einen Moment aus ihren hellen Augen an, bevor sie sich erst auf die Seite dreht und dann aufsetzt. Sie weiß, wer Emelina ist. Kimmy hat ihr schon einmal über sie erzählt.
„Ich glaube, das ist normal.“ Sie zieht ihre Sonnenbrille aus dem Haar und sieht einen Moment auf die dreckigen Gläser, bevor sie sie mit ihrem Handtuch poliert. „Ich war – als ich noch nicht so lange mit Max zusammen war – auch auf fast jedes Mädchen eifersüchtig, mit dem er sich gut verstanden hat…“ Einen Moment hält sie inne und legt den Kopf dann schief. „Und um ehrlich zu sein, ich könnte mir auch nicht vorstellen, dass Jez irgendetwas mit ihr einmal am laufen hatte, hat oder haben wird. Sonst hätte er nicht so um dich gekämpft.“ Leise seufzt Kimmy, bevor sie von ihren Sonnenbrillenbügeln aufsieht.
„Und was hast du gemacht, dass du nicht mehr eifersüchtig warst?“ Betty zuckt die Schultern.
„Ich habe ein paar Mal mit Max darüber geredet und dann habe ich einfach versucht, ihm zu vertrauen. Irgendwann, nach ein paar Wochen oder Monaten, hat mein Hinterkopf dann auch gemerkt, dass ich nicht eifersüchtig sein muss. Ich glaube, das kommt irgendwann von selbst.“ Kimmy sieht Betty zweifelnd in die Augen.
„Irgendwann?“ Betty greift sich einige Gummibärchen aus der nun komplett aufgerissenen Tüte heraus. Natürlich ist Kimmys Frage rhetorisch gemeint, aber dennoch antwortet Betty darauf.
„Am Anfang war ich sogar eifersüchtig, wenn irgendein Mädchen die Spielbögen beim Handball ausgefüllt hat und nur kurz mit Max geredet hat.“ Ein Lächeln huscht über Kimmys Lippen. Dann seufzt sie aber trotzdem nochmal.
„Ich habe einfach nur Angst ihn zu verlieren.“ Betty sieht Kimmy einen Moment aus ihren hellbraunen Augen an, dann lächelt sie.
„Die Angst wirst du auch immer irgendwie haben. Aber du nimmst sie irgendwann nicht mehr wahr. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn Max und ich nicht mehr zusammen wären.“
***
Hinter der Ortenauhalle lässt Jez seine Trainingstasche von der Schulter rutschen und lässt sich dann selbst neben der Tasche auf den Boden fallen. Müde fährt er sich mit beiden Händen über das Gesicht und rauft sich die Haare, bevor er leise seufzt und über das rote Hockeyfeld vor sich sieht. Durch Kimmy weiß er, dass es mittlerweile kaum noch Hockeymannschaften beim SuS gibt, weil einfach zu Wenige noch Interesse am Hockey haben. Deshalb wundert es ihn auch nicht, dass der Platz menschenleer vor ihm liegt. Einen Moment schließt Jez noch einmal die Augen und nimmt nur das leise Rauschen des Windes wahr, bevor er die Augen wieder öffnet, sein Handy aus der Hosentasche zieht und nach Emelinas Nummer sucht. Noch während er auf den Anrufbutton drückt, hebt er das Handy ans Ohr, lehnt den Kopf wieder hinter sich an die kühle Wand und schließt die Augen.
„Ja?“
„Hey Emelina…“ Einen Moment hört Jez nur die ihm so bekannten Hintergrundgeräusche, aber diesmal nicht das Rauschen der Autos in der Stadt, sondern die vielen Kinderstimmen und freudigen Schreie. In Emelinas Verwandtschaft hat jedes Paar mindestens zwei Kinder die maximal 5 Jahre alt sind.
„Jez!“ Deutlich kann man an Emelinas Stimme die Überraschung hören. Zwar telefonieren sie jetzt – seit der Woche, in der Jez in Köln war - fast täglich, aber das eigentlich immer erst abends nach elf Uhr. „Warum rufst du jetzt schon an? Hat Jeremy dich angerufen?“ Hätte Emelina den letzten Satz nicht gesagt, hätte Jez gehört, dass die Kinderstimmen und Schreie im Hintergrund leiser werden.
„Ist irgendwas mit Jeremy? Ist er bei dir?“ Alleine durch diese vier Worte ‘Hat Jeremy dich angerufen?‘ hat Emelina dafür gesorgt, dass Jez sich alle möglichen Szenarien ausgemalt hat, warum Jeremy so kurz bevor er eigentlich geplanterweise nach Fautenbach kommen soll, es in Köln nicht mehr aushält.
„Nein, ich hab gedacht, er hat sich irgendwie bei dir gemeldet oder so. Aber er ist hier und versucht gerade mit Noé und zwei dreijährigen Handball zu spielen.“ Sofort fällt Jez ein Stein der Erleichterung vom Herzen und lässt ihm sogar ein Grinsen über die Lippen wandern, als er sich Jeremy, Noé und zwei von Emelinas dreijährigen Cousinen oder Cousins mit einem Handball zusammen vorstellt.
„Du hast mir total ‘nen Schrecken eingejagt…“
„Sorry.“ An Emelinas Stimme kann man erkennen, dass sie ihrem besten Freund nicht absichtlich diesen Schrecken eingejagt hat. „Wieso rufst du jetzt schon an?“ Einen Moment schweigt Jez und legt den Kopf in den Nacken. Die Bäume, die auf der anderen Seite des Hockeyfeldes stehen, rauschen leise.
„Es geht trotzdem um Jeremy…“ Jez schließt die Augen.
„Hättest du mir jetzt was andere gesagt, dann wäre ich jetzt persönlich zu dir gekommen und dich dafür zu verkloppen, dass du mich anlügst.“ Ein Lächeln huscht über Jez Lippen.
„Dann hätte ich dich doch anlügen sollen und du hättest Jeremy gleich mitgebracht.“ Emelina seufzt einmal. „Ich glaube, ich muss Jeremy wirklich holen -“ Emelina seufzt noch einmal. Aber diesmal, weil sie schon als Jez ihr das erste Mal von seinem Notfallplan erzählt hat, nicht begeistert davon war.
„Warte mal kurz.“ Während Emelina, so wie es sich anhört, durch das Haus geht und hinter sich ihre Zimmertür schließt, öffnet Jez die Augen wieder und beginnt einige Grashalme, die aus den Ritzen der Pflastersteine wachsen, heraus zu zupfen. „Jetzt.“ Jez sieht auf die grünen Halme zwischen seinen Fingern und seufzt leise.
„Meine Mutter hat mir gerade gesagt, dass sie Jeremy frühestens an seinem zweiten Ferienwochenende holen kann.“ Leise seufzt Emelina am anderen Ende der Leitung. „Ich hab ihr schon vorgeschlagen, dass ich mit dem Zug zu Jeremy fahr‘ und er mit mir dann wieder zurück, aber sie will nicht, dass ich alleine ihn hole.“ Einen Moment schweigt Emelina.
„Sie glaubt, dass dein Vater Jeremy nicht einfach mit dir alleine mitgehen lässt, wo er euch ja schon verbieten will, ihn an sich für die Ferien mitzunehmen, stimmt’s?“ Leise seufzt Jez und sieht in den komplett wolkenlosen Himmel.
„Ja…“, murmelt er leise.
„Jez, ich hab wirklich kein gutes Gefühl, wenn du Jeremy alleine holst.“ Jez schließt die Augen und lehnt den Kopf an die Wand hinter sich. „Du bist noch nie mit dem Motorrad so eine weite Strecke gefahren. Und es ist – tut mir leid, wenn das jetzt so hart klingt – lebensmüde mit einem Motorrad, das nur knapp über hundert km/h schafft, auf der Autobahn, zwischen keine Ahnung wie vielen LKWs zu fahren!“ Einen Moment macht Emelina eine Pause. „Das sind hin und zurück über siebenhundert Kilometer Jez, das fährst du nie und nimmer an einem Tag!“ Emelina war schon immer sehr begabt darin, die Meinung anderer Menschen zu ändern, indem sie solange die negativsten Fakten und schlimmsten Szenarien, die die Meinung des anderen mit sich zieht, aufzuzählen.
„Ich weiß, Emelina. Aber trotzdem, ich hab es Jeremy versprochen!“ Emelina seufzt. Zwar schafft sie es, fast jeden zu überreden, aber Jez hat manchmal einen solchen Dickkopf, dass sie sich an ihm schon mehrfach die Zähne ausgebissen hat.
„Jez, bitte. Du tust weder Jeremy noch mir, Kimmy oder deiner Mutter einen Gefallen damit!“ Einen Moment schweigt Jez, bevor er die Augen öffnet.
„Kimmy, dir und meiner Mutter vielleicht nicht. Aber Jeremy schon.“ Ein letztes Mal seufzt Emelina durch das Handy hindurch.
„Okay, was genau hast du vor?“
Mit einer Hand streicht Kimmy sich die verschwitzen Haare aus dem Gesicht, als sie sich neben Jez am steinigen Ufer des Sees niederlässt. Weil sie wieder das Gefühl hatte, ihren Freund irgendwie von Jeremy abzulenken, hat sie sich freiwillig dazu entschlossen, mit ihm Laufen zu gehen, obwohl sie mittlerweile gemerkt hat, dass Jez eindeutig eine bessere Kondition hat wie sie.
Ein Grinsen huscht über Jez‘ Gesicht, als er seine Freundin von der Seite mustert.
„Wehe, du lachst mich jetzt aus!“ Das Grinsen liegt immer noch auf Jez Lippen, als er sich zu Kimmy herüber lehnt und ihr einen Kuss auf die heiße Wange gibt.
„Ich doch nicht.“ Kimmy legt den Kopf schief und sieht ihrem Freund mit einem ironischen Gesichtsausdruck in die Augen, bevor sie ihren Blick über den See wandern lässt und mit einem Fuß eine kleine Kule in den Steinstand scharrt. Eigentlich wollte sie, indem sie mit Jez laufen gegangen ist, ja erreichten, dass er nicht mehr an Jeremy denken muss, aber irgendwie hat sie das Gefühl, dass Jez ihr irgendwas wegen seinem kleinen Bruder verheimlicht. Innerlich ringt sie für einen Moment mit sich selbst, ob sie ihn jetzt darauf ansprechen soll oder nicht, doch Jez kommt ihr zuvor.
„Ich hol‘ Jeremy am Wochenende alleine…“ Kimmy löst ihren Blick vom See und sieht ihren Freund fragend an. Bis gerade eben ist sie noch fest davon ausgegangen, dass Jez seinem kleinen Bruder zusammen mit seiner Mutter hierher holen würde, egal ob sein Vater etwas dagegen hat. „Mama bekommt keinen Urlaub, aber ich hab Jeremy versprochen, dass ich ihn an einem ersten Ferientag hol‘.“ Wieder legt Kimmy die Kopf schief, als sie ihrem Freund in die Augen sieht.
„Und deine Mutter erlaubt das, auch wenn dein Vater nicht will, dass Jeremy hierher kommt?“ Irgendwie würde Kimmy Jez auch dann nicht glauben, wenn er ihre Frage jetzt mit einem ‚Ja‘ beantworten würde.
„Nein…“ Kimmy mustert ihren Freund besorgt, als seine Antwort überraschend leise kommt. „Sie will nicht, dass ich ihn alleine hole, aber ich hab es ihm versprochen. Und das Versprechen breche ich nicht einfach so.“ Anstatt Jez zu wiedersprechen und ihm zu sagen, dass er dieses Versprechen nicht halten kann, wendet Kimmy den Blick wieder ab.
„Und wie willst du zu ihm kommen?“ Einen Moment schweigt Jez, als würde er selbst noch überlegen und wissen, dass sein Plan nicht gut ist.
„Mit dem Motorrad.“ Jez kann erkennen, wie Kimmy die Augen schließt, als hätte sie gehofft, er würde jetzt etwas anderes sagen.
„Bitte Jez, mach das nicht!“ Leise seufzt Jez, als Kimmy ihm in die Augen sieht.
„Ich habe Jeremy versprochen, dass ich ihn hole und dann halte ich mein Versprechen auch. Aber ich glaub, du verstehst das nicht…“, murmelt er leise und wendet den Blick ab. Erst, als er seinen Satz ausgesprochen hat, merkt er, wie hart er gerade geklungen hat. Dass Kimmy die Härte des Satzes nicht entgangen ist, spiegelt sich in ihrer Antwort wieder.
„Du kannst deinem Bruder im Gegensatz zu mir auch einfach aus Köln holen und sehen, sooft du willst!“ Kimmy dreht den Kopf von Jez weg, nachdem ihre bissige Antwort über die Lippen gekommen ist. Klar weiß sie, wie hart die Antwort ist, aber trotzdem hat Jez sie gerade irgendwie verletzt. Unbewusst vielleicht, aber das ändert nichts daran.
„Kimmy…“ Jez ist den einen Meter, den er bis gerade noch von seiner Freundin entfernt saß, aufgerückt und berührt mit einer Hand sanft ihren Rücken. „So war das nicht gemeint…“ Einen Moment zögert Kimmy noch, dann wendet sie ihren Blick auf ihre Schuhspitzen.
„Ich hab Angst um dich, Jez…“ Kimmy spürt noch immer den Blick ihres Freundes auf sich, bis sie den Blick hebt und ihm in die Augen sieht. Deutlich spiegeln sich Schuldgefühle darin. Natürlich wollte Kimmy nicht, dass Jez sich schlecht fühlt, aber sie konnte ihre bissige Antwort einfach nicht zurück halten. Einen Moment sieht Jez seiner Freundin noch in die Augen, dann hebt er eine Hand, streicht ihr damit eine Haarsträhne, die aus ihrem Zopf gerutscht ist, hinters Ohr und drückt seine Lippen dann auf ihre Stirn.
„Du brauchst keine Angst um mich zu haben…“, flüstert er leise, bevor er seine Stirn gegen Kimmys lehnt und ihr in die braunen Augen sieht.
„Das sagst du so leicht.“ Kimmy lässt den Blick auf den Ausschnitt von Jez blauem Sportshirt wandern.
„Ich weiß…“, flüstert Jez wieder, bevor er die Augen schließt und Kimmy an sich zieht, um sie einfach in den Arm zu nehmen. „Aber wenn es dich beruhigt: Emelina hat auch zu mir gesagt, dass ich verrückt bin.“ Eigentlich müsste Kimmy, wie sonst auch immer, das kleine Fünkchen Eifersucht in sich aufflammen spüren, aber diesmal merkt sie nur eine Art Erleichterung, dass sie keine übertrieben besorgte Freundin ist. „Und Jeremy passt auf mich auf, wenn wir auf dem Rückweg sind.“ Ein Lächeln huscht auf Kimmys Lippen, als sie sich sanft von ihrem Freund drückt.
„Dann gibst du ihm ja gleich mal eine Mamutaufgabe.“ Ein zögerliches Lächeln huscht nun auch auf Jez Lippen, als er seiner Freundin noch einmal prüfend in die Augen sieht.
***
Auch wenn es schon kurz vor halb zwölf und Kimmy todmüde ist, kann sie nicht schlafen. Das ungute Gefühl, dass Jez alleine nach Köln fahren will, lässt sie einfach keine Ruhe finden. Zwar hat sie mit Jez noch einmal – nachdem sie nach Hause gelaufen sind – über sein Vorhaben gesprochen, sodass Kimmy auch Jez Perspektive verstehen kann, aber trotzdem hat er ihr ihre Angst nicht ausreden können.
Kimmy dreht sich auf den Bauch und angelt sich die kleine Kuschelmöwe, die einmal Lennard gehört hat, von ihrem Bettpfosten. Erst vor ein paar Tagen hat Jez – der, wie Lennard früher war, auch Fan des Handballvereins SG Flensburg-Handewitt ist – die Möwe zwischen den Händen gedreht und sich von Kimmy von Lennard erzählen lasse. Zum ersten Mal hatte Kimmy das Gefühl, jemanden wirklich alle ihre Gefühle, die sie verspürt hat, als der Unfall war und bei Lennard Beerdigung, erzählen zu können. Ohne Mitleid ausgesprochen zu bekommen. Sie hatte einfach nur eine Person bei sich, die sie in den Arm genommen und beruhigt hat, als die Erinnerungen die Tränen in ihre Augen getrieben hat.
Ein wenig ungeschickt dreht Kimmy sich unter ihrer Decke auf den Rücken und sieht im Dämmerlicht auf das helle Kuscheltier. Ob Lennard Jez vielleicht von seinem Vorhaben abbringen könnte? Leise seufzt Kimmy und lässt sich die Möwe auf die Brust sinken. Sie hat wirklich Angst um Jez. Angst, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, mehrere Stunden zwischen abertausenden LKWs auf der Autobahn zu fahren. Weil er sich in den Kopf gesetzt hat, von Köln wieder loszufahren, wenn es noch dunkel ist. Weil er nicht einsehen will, dass er dieses Versprechen brechen kann, ohne damit rechnen zu müssen, dass Jeremy sauer auf ihn ist. Einen Moment sieht Kimmy an die Decke, dann dreht sie sich auf die Seite, zieht die Knie an und drückt das kleine Kuscheltierchen an sich, bevor sie die Augen schließt und versucht, einfach zu schlafen.
***
Es ist schon halb eins nachts durch, als Jez sein Handy auf den Nachttisch legt, sich auf die andere Seite dreht und die Augen schließt. Die Decke liegt nur über seinen Beinen, aber dennoch strampelt Jez sie weg, so warm ist es auch jetzt noch. Einen Moment schließt Jez die Augen und schiebt sich die Hände unter die Wange, öffnet die Augen aber doch wieder und sieht auf die Wand vor sich. Er hat bis eben noch mit Niklas telefoniert. Nachdem Jez mit Emelina an der Sporthalle telefoniert hat, hat er gleich noch Niklas angerufen. Zwar war er auch nicht gleich begeistert, hat aber sofort eingewilligt, ihm zu helfen.
Einen Moment sieht Jez noch an die Wand, dann dreht er sich auf den Rücken. Sein Blick fällt durch das Glas des Dachfensters. Deutlich kann er die Wolken am Himmel erkennen, die hoffentlich ein bisschen dafür sorgen, dass die Temperaturen ein wenig sinken. Ein Seufzen bahnt sich, ähnlich wie ein unüberlegtes Wort, den Weg über seine Lippen. Kimmys Reaktion auf seinen Plan beschäftigt ihn immer noch. Er will nicht, dass sie sich Sorgen um ihn macht. Natürlich kann er irgendwie verstehen, dass Kimmy Angst hat. Als Motorradfahrer ziehst du gegen ein Auto immer den Kürzeren. Aber warum sollte ausgerechnet ihm das passieren? Langsam setzt Jez sich auf und greift nach seiner Decke, bevor er sich wieder zurück in sein Kissen sinken lässt. Warum sollte ausgerechnet ihm das passieren? Aber… Warum ist es dann ausgerechnet Lennard passiert? Dass er wegen einem Verkehrsunfall sterben musste? Jez schließt die Augen, als er sich auf die Seite rollt. Er verspürt gerade – wie auch vor ein paar Stunden, als Kimmy ihm gesagt hat, dass er seinen Bruder wenigstens noch sehen kann – den Drang, sie in den Arm zu nehmen, was natürlich nicht geht, weil sie jetzt in ihrem eigenen Bett liegt und hoffentlich schläft.
Max dreht seinen Handball in einer Hand und sieht Jez dann einen Moment an, bevor er wieder auf den Ball sieht und ihn dann an die gegenüberliegende Wand wirft. Mit einer Hand fängt er den Ball wieder auf. Jez sitzt Max gegenüber, an die Hallenwand gelehnt und lässt seinen eigenen Handball langsam, in kleinen Kreisen, über den Boden rollen. Deutlich sind die dunklen Harzspuren auf dem hellen Ball zu erkennen.
„Ich meine, irgendwie kann ich Kimmy ja verstehen.“ Jez sieht Max einen Moment in die Augen, bevor er den Blick wieder auf den Ball senkt. In der vergangenen Nacht hat er noch lange darüber gegrübelt, ob er – Kimmy zu liebe – Jeremy anrufen und ihm sagen soll, dass er eine Woche länger in Köln bleiben muss als er eigentlich will. Einerseits will er natürlich nicht, dass Kimmy seinetwegen Angst hat, andererseits würde er Jeremy, nachdem er ihm gesagt hat, dass nicht seine Mutter, sondern er ihn alleine holen wird, mehr oder weniger einen Schlag ins Gesicht verpassen.
„Ich glaube, bei Kimmy ist es verständlich, dass sie Angst um dich hat.“ Jez sieht wieder auf und mustert Max einen Moment, bevor er leise seufzt.
„Ich weiß, aber deshalb kann ich doch nicht einfach meine Versprechen brechen…“ Max legt den Kopf schief und sieht Jez in die Augen. Er kennt eigentlich keinen Jungen in seinem Alter, der sich so liebevoll um seine kleineren Geschwister kümmert und sorgt.
„Hmm…“, macht Max deshalb nur leise. „Ich glaube, nicht jeder würde das für seine kleinen Geschwister machen…“ Jez sieht ihm einen Moment in die Augen, bevor er den Blick wieder auf den Ball abwendet und leise seufzt. „Ich weiß ja nicht, wie es ist, wenn man so weit auseinander wohnt, aber irgendwie glaube ich, dass ich Alaïa nicht von so weit entfernt holen würde, nur, dass sie ein paar Tage früher bei mir ist. Natürlich ist sie meine Schwester und ich liebe sie auch, aber es ist irgendwie trotzdem…“ Max hebt eine Hand und lässt sie wieder sinken. Er weiß nicht genau, wie er Jez erklären soll, dass er persönlich die eine Woche warten würde und nicht selbst fahren würde, um in seinem Fall seine 14-jährige Schwester Alaïa (die im Gegensatz zu ihm einen wirklich ausgefallenen Namen hat) zu sich zu holen. Leise seufzt Jez wieder, als er aufsieht.
„Ich glaub‘, ich weiß, was du meinst. Aber es ist trotzdem irgendwie… Ich denke mal du würdest sie, so sehr sie dich auch manchmal nerven mag, vermissen…“ Max fängt seinen Ball wieder auf und lässt ihn dann auf den Boden sinken.
„Natürlich. Ich wollte damit eigentlich nur sagen, dass nicht jeder sich für seine Geschwister so aufopfern würde.“ Einen Moment schweigt Max, bevor er Jez wieder aufsieht. „Jeremy kann froh sein, dass er so einen Bruder wie dich hat.“ Ein Lächeln huscht über Jez Lippen. Das Kompliment, dass er ein richtig guter Bruder für Jeremy ist, hat er schon ein paarmal gehört, aber es von den Menschen zu hören, die ihn so ziemlich am besten kennen, ist eine noch größere Anerkennung.
„Ich muss ihn einfach herholen!“, murmelt Jez, als das Lächeln wieder aus seinem Gesicht verschwunden ist. Max legt den Kopf schief und mustert seinen Freund lange.
„Wann willst du eigentlich fahren?“ Jez hebt seinen Ball mit einer Hand vom Boden auf und lässt ihn auf seine Beine fallen.
„Am Freitag. Mama hat glaube ich sowieso Mittagschicht, wenn ich nach der Schule losfahre und sage, ich bin am Wochenende bei dir oder so bin, dann merkt sie nicht, wenn ich ‘nen Rucksack mitnehm.“ Max sieht Jez noch immer an.
„Und du denkst, dass dein Vater keinen Aufstand macht, wenn du einfach auftauchst und Jeremy mitnimmst?“ Ein belustigtes und gleichzeitig auch ein wenig trauriges Lächeln wandert auf Jez Lippen.
„Er ist nicht mal da. Und ganz ehrlich – er soll sich nicht beschweren. In der einen Woche, in der ich in Köln war, hat er sich kein Stück für Jeremy interessiert.“ Jez seufzt leise und sieht auf den Ball auf seinem Schoß. „Samstag fahr ich mir Jeremy dann wieder zurück. Papa wird sowieso frühestens Montag merken, dass er weg ist.“ Max mustert Jez immer noch besorgt. Aber diesmal nicht mehr, weil Jez Jeremy einfach von Köln mitnehmen möchte, sondern weil er gemerkt hat, dass Jez die Trennung seine Eltern doch mehr beschäftigt, als er eigentlich gedacht hat.
„Hast du dich eigentlich, bevor seine Eltern sich getrennt haben, gut mit deinem Vater verstanden?“ Überrascht hebt Jez für einen Moment den Blick, bevor er die Schultern zuckt und den Blick wieder auf den Handball senkt, den er wieder zwischen den Händen dreht.
„Als ich wusste, dass meine Eltern sich trennen werden, nicht mehr. Davor schon.“ Einen Moment schweigt er und lehnt den Kopf gegen die Wand hinter sich. „Es ist irgendwie komisch an Früher zurückzudenken und zu wissen, dass es sich bei dieser Person um denselben Menschen handelt, der sich so verändert hat.“ Schweigend mustert Max seinen Freund. Er hat mit Jez noch nie wirklich über die Trennung von dessen Eltern geredet. Eher über die Folgen, vor allem darüber, dass Jeremy noch in Köln ist.
***
In eine dünne Decke eingerollt liegt Kimmy mit ihrem Handy in den Händen auf der Seite in ihrem Bett. Es ist kurz vor zehn, aber richtig dunkel ist es draußen immer noch nicht. Und deshalb ist Kimmy auch noch nicht wirklich müde. Gelangweilt scrollt sie die Facebook-Startseite herunter und hebt kurz den Kopf, als es an der Tür klingelt. Ihre Mutter hat Nachtschicht und ist nicht zu Hause, aber da Kimmys Vater zu Hause ist und unten – soweit es Kimmy sich vorstellen kann - Fußball guckt, sieht sie sich nicht verpflichtet, aufzustehen, um die Tür zu öffnen. Leise seufzt Kimmy, als sie Facebook schließt und WhatsApp öffnet. Sie hat die Klassengruppe extra auf stumm gestellt, sodass ihr die vielen, sinnlosen Diskussionen nicht angezeigt werden, aber jetzt ist sie einen Moment lang froh, dass sich einige wieder einmal streiten, ob der Naturwissenschaftslehrer nun gesagt hat, ob ein bestimmtes Thema in der nächsten Arbeit noch drankommt oder nicht.
Überrascht setzt Kimmy sich auf und lässt ihr Handy auf die Matratze sinken, als es an ihrer Zimmertür klopft.
„Ja?“ Eigentlich klopft ihr Vater nie an. Im nächsten Moment weiß Kimmy, dass er auch diesmal nicht angeklopft hat. Jez drückt die Tür hinter sich zu und lächelt sanft, soweit Kimmy es im Dämmerlicht in ihrem Zimmer erkennen kann.
„Na?“, fragt er leise, als er sich auf die Bettkante setzt und ihr einen sanften Begrüßungskuss gibt. Kimmy antwortet nichts darauf, sie lächelt nur sanft und mustert ihren Freund einen Moment. Sie hat nicht damit gerechnet, dass er heute noch zu ihr kommen wird. Morgen haben beide Schule und Jez weiß eigentlich, dass Kimmys Mutter es nicht mag, wenn er an Schultagen bis später als 22 Uhr bei seiner Freundin ist. Außerdem hatte Jez bis gerade eigentlich auch noch Training. Was sich auch darin bestätigt, dass er Jogginghosen und seine Trainingsjacke vom SuS trägt und seine Haare noch ein wenig nass sind. Kimmy lehnt sich zu ihrer Nachttischlampe herüber und knipst das Licht an, bevor sie ein wenig nach hinten rutscht und sich mit dem Rücken gegen ihr Kissen lehnt. Jez rutscht neben seine Freundin und hebt beide Arme, sodass Kimmy sich an seine Brust kuscheln kann.
Leise seufzt Jez, während er mit beiden Händen sanft durch Kimmys lockiges Haar fährt. Kimmy hebt den Kopf und sieht ihrem Freund in die grünen Augen. Sofort fehlt ihr der freudige Glanz darin.
„Du denkt an Jeremy, hab ich recht?“ Jez seufzt ein weiteres Mal, als Kimmy sich auf den Bauch dreht, ihre Hände auf seinen Brustkorb legt und ihr Kinn darauf stützt.
„So halb…“ Kimmy legt fragend den Kopf schief. „Ich weiß, dass du Angst um mich hast, wenn ich fahre, aber ich weiß auch, dass Jeremy es nicht mehr lange alleine in Köln aushält…“ Leise seufzt Kimmy. Dann setzt sie sich auf und sieht ihrem Freund in die Augen.
„Ich glaube, du solltest zu ihm fahren und ihn holen.“ Einen Moment kann Kimmy die Überraschung in Jez Augen funkeln sehen. „Ich weiß, dass es dir dann besser geht - und außerdem habe ich nicht das Recht, dir etwas zu verbieten.“ Ein Lächeln huscht über Jez Lippen, bevor er sich zu seiner Freundin lehnt und sie auf seinen Schoß zieht.
„Du verbietest mir nichts. Du sagst mir nur offen und ehrlich deine Meinung…“, kurz unterbricht Jez sich selbst, „…und das ist auch einer der Gründe, warum ich dich liebe.“ Ein Lächeln huscht über Kimmy Lippen, bevor sie sich an die Schulter ihres Freundes lehnt und ihm die Arme um den Hals legt.
„Naja…“, murmelt Kimmy leise und verbirgt ihr Gesicht für einen Moment in Jez Halsbeuge, „…so kann man auch sehen.“ Sachte streicht sie mit einer Hand durch Jez noch nasses Haar und saugt seinen ganz eigenen Geruch, vermischt mit dem Geruch von ein wenig Duschmittel, ein. Einen Moment verharrt Kimmy in dieser Position, dann lässt sie von ihrem Freund ab und sieht im in die Augen. Jez erwidert ihren Blick, bevor er Kimmy sanft die Haare aus dem Gesicht streicht.
„Bist du mir böse, wenn ich jetzt sage, dass ich auch gefahren wäre, wenn du es mir verboten hättest?“ Kimmy legt den Kopf schief und mustert ihren Freund einen Moment.
„Ich würde dir nicht um den Hals fallen, aber es wäre niemals ein Grund für mich, um Schluss zu machen.“ Ein sanftes Lächeln mit einem glücklichen Schimmer erscheint auf Jez Lippen und weitet sich – wenigstens für einige Sekunden – bis auf seine Augen aus. Dann zieht er seine Freundin dichter an sich und vergräbt das Gesicht in ihrer Halsbeuge.
„Da bin ich aber froh“, murmelt er leise. Stumm lächelnd schließt Kimmy die Arme um Jez‘ Kopf, bevor sie ihre Wange sanft gegen seine Schläfe drückt und die Augen schließt. Einen Moment genießt Kimmy Jez Nähe, seine Wärme, einfach, dass er bei ihr ist. Dann öffnet sie die Augen aber wieder und lockert ihre Arme um den Hals ihres Freundes. Vielleicht klingt es komisch, aber irgendwie ist Kimmy erst jetzt aufgefallen, dass sie – wie eigentlich jedes Mädchen, wenn sie vor hat schlafen zu gehen – keinen BH trägt. Und irgendwie ist ihr die Tatsache ein wenig unangenehm, wenn man es mit der Tatsache, dass sie so dicht an Jez gekuschelt sitzt, zusammennimmt. Auch wenn er ihr Freund ist. Fast, als würde Jez spüren, was seiner Freundin gerade durch gen Kopf geht, hebt er seinen Kopf und streicht Kimmy einmal durchs Haar, bevor er ihren Kopf sanft zu sich zieht und seine Stirn gegen ihre lehnt. „Jetzt machst du dir gerade über irgendwas Gedanken, hab ich recht?“ Kimmy senkt den Blick und seufzt leise.
„Naja…“, murmelt sie leise. „Es passt nur nicht wirklich zum Thema.“ Mit zwei Fingern streicht Jez sanft über die Wange seiner Freundin, bis sie den Blick wieder hebt und seinen Blick erwidert.
„Na und?“, flüstert Jez, mindestens genauso leise wie Kimmy gerade. „Ich hab kein Problem damit, wenn du mich von Jeremy ablenkst.“ Ein Lächeln wandert über Kimmys Lippen, als sie den Blick ihres Freundes erwidert. Leise seufzt sie dann. Warum macht sie sich eigentlich Gedanken um so etwas? Und vor allem in diesem Moment? Eigentlich sollte sie Jez doch jetzt fragen, wie genau er überhaupt geplant hat, zu Jeremy zu kommen und wann er wieder zurück sein will!
„Hattest du dein erstes Mal schon?“ Deutlich kann Kimmy das überraschte Blitzen in Jez Augen erkennen. Dann deutet er ein ganz sachtes Kopfschütteln an.
„Nein, wieso?“ Kimmy senkt den Blick und zuckt die Schultern.
„Keine Ahnung…“ Überrascht hebt Kimmy den Blick wieder, als sie Jez Hand auf ihrer Wange spürt.
„Würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass ich selbst ein bisschen Angst davor habe?“ Überrascht legt Kimmy den Kopf schief. Dass jemand vor seinem ersten Mal ein wenig Angst hat, ist ja oftmals normal, aber irgendwie hat Kimmy immer gedacht, dass es nur Mädchen so geht. Darüber nachgedacht, dass auch Jungs sich darüber Gedanken machen könnten, hat sie irgendwie noch nie.
„Ich glaube ja“, murmelt Kimmy leise, als Antwort auf Jez Frage. Einen Moment sieht sie ihrem Freund noch in die Augen, dann schließt sie die Arme wieder um seinen Kopf und zieht ihn eng an sich, bevor sie die Augen schließt. Überrascht, weil er nicht damit gerechnet hat, zögert Jez einen Moment, bevor er seine Arme um Kimmy legt und ihre Umarmung erwidert. „Danke…“, flüstert Kimmy leise in das Ohr ihres Freundes, woraufhin dieser die Augen schließt und seiner Freundin einen sanften Kuss auf den Hals gibt.
Nachdenklich sieht Kimmy aus dem Fenster. Herr Renner – ihr Mathelehrer – versucht gerade, die Klasse zu motivieren und ihnen zu erklären, wie toll Mathe doch ist. Nur schwer kann Kimmy sich ein Seufzen unterdrücken, als sie ihren Blick von den großen, grün belaubten Blättern vor dem Fenster abwendet und ihn durch das Klassenzimmer wandern lässt. Jez sitzt vor ihr – neben Max – und stützt den Kopf auf die linke Hand. Gekonnt verbirgt er hinter seiner Hand seine geschlossenen Augen. Kimmy legt den Kopf schlief und mustert ihren Freund einen Moment. Eigentlich weiß sie, dass er eigentlich nirgends außer in einem Bett richtig schlafen kann. Um sich ein weiteres Seufzen zu unterdrücken, senkt Kimmy den Blick auf das vollgeschriebene Blatt vor sich. Bestimmt ist Jez jetzt so müde, weil er - auch nachdem er kurz vor halb elf nach Hause gegangen ist - nicht geschlafen hat und sich stattdessen den Kopf über Jeremy und vielleicht auch über ihre Angst zerbrochen hat…
Schnell hebt Kimmy den Blick und sieht kurz zu Herr Renner. Eigentlich ist er ein sehr netter und aufgeschlossener Lehrer, der oft auf Schüler zugeht, wenn er merkt, dass es ihnen nicht gut geht, aber sobald es um seinen Matheunterricht geht, kann er ganz schön streng werden. Es hasst jede Art von Störung. Ob jemand redet oder schläft – wobei das Schlafen ja eigentlich besser ist, weil man dann den Mund hält – ist ihm relativ egal, der Betroffene wird mit Nachsitzen bestraft. Mit einem leisen Ratschen reißt Kimmy ein Blatt von ihrem Block und knüllt es zusammen, bevor sie sicherheitshalber noch einmal zu Herr Renner herübersieht und dann versucht, Jez unauffällig mit dem Papierball abzuwerfen. Statt Jez trifft Kimmy jedoch Max. Erst reagiert er nicht, dreht aber nach einigen Sekunden den Kopf dann doch nach hinten und sieht erst Betty fragend an, die aber nur die Schultern hochzieht und mit dem Daumen auf Kimmy neben sich zeigt. Mit dem Kopf deutet Kimmy auf Jez, bevor ihr Blick, instinktiv irgendwie, wieder zu Herr Renner wandert. Deshalb bekommt sie auch nur aus dem Augenwinkel mit, wie Max Jez sanft anrempelt und dieser verschlafen, fragend blinzelt die Augen öffnet.
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Es ist kurz vor halb sechs, als Kimmy das Schulhaus endlich verlässt, sich von Betty verabschiedet und zusammen mit Jez quer über den Schulhof zur Ortenauhalle schlendert. Beide haben in ein bisschen mehr als einer halben Stunde Training.
„Jez?“ Kimmy bleibt stehen und zwingt Jez mehr oder weniger auch dazu, indem sie seine Hand nicht loslässt.
„Ja?“ Kimmy sieht ihrem Freund von unten in die Augen, als er sich zu ihr wendet und sie fragend ansieht.
„Sagst du mir noch, wann du wieder heim kommen willst?“ Einen Moment – so hat Kimmy jedenfalls das Gefühl – kann sie eine Art Überraschtheit in Jez Augen erkennen.
„Komm mit…“ Kimmy will schon fragend den Kopf schief legen, kommt aber nicht mehr dazu, weil Jez sich umdreht und sie bis zu einer der Bänke vor dem Eingang der Halle führt. Er nimmt ihr ihre Tasche ab. „Warte kurz, okay?“ Kimmy will protestieren, hält es aber bewusst zurück. Irgendwie weiß sie, dass Jez sie damit nicht ärgern will. Statt zu protestieren, legt Kimmy den Kopf schief und sieht ihrem Freund hinterher, der gerade in der Halle verschwindet. Dann huscht ein sanftes Lächeln über ihre Lippen, bevor sie sachte den Kopf schüttelt und sich auf die von der Sonne aufgewärmte, eiserne Bank fallen lässt. Einen Moment lässt Kimmy ihren Blick über den menschenleeren Schulhof wandern, dann nimmt sie aus dem Augenwinkel wahr, wie Jez wieder aus der Halle heraus kommt. Er hat sowohl seine als auch ihre Tasche in die Umkleiden gebracht. Lächelnd blinzelt Kimmy, von der Sonne geblendet, ihrem Freund entgegen, als er auf sie zukommt und sich neben ihr auf der Bank niederlässt. Kimmy legt den Kopf schief, sieht zu ihrem Freund hinauf und legt dann beide Beine über seinen Schoß, bevor sie ein Stück näher an ihn heran rutscht und ihre Hände in Jez Nacken ineinander verschränkt. Sanft legt Jez eine Hand auf Kimmys Taille, bevor er sich zu ihr lehnt und ihr einen kurzen, aber dennoch nicht wenig kribbeligen Kuss auf die Lippen gibt. „Ich fahr‘ morgen, gleich nach der Schule zu Jeremy…“ Kimmy streicht ihrem Freund langsam durch sein dickes, weiches Haar.
„Direkt?“ Fragend sieht sie ihm in die grünen Augen. Ein Lächeln huscht bei Kimmys kritischer Frage über Jez Lippen.
„Ich geh‘ kurz nach Hause. Mama muss halb zwei zu ihrer Schicht. Ich hab ihr gesagt, dass ich Freitag auf Samstag bei Max schlafe, weil wir mit den Jungs noch was machen - angeblich - mal gucken, wann ich in Köln ankomme. Vielleicht treffe ich mich noch kurz mit Emelina…“ Beinahe hat Kimmy das Gefühl, dass in Jez Augen einen Moment eine klitzekleine Unsicherheit funkelt, als er den Namen seiner besten Freundin erwähnt.
„Sagst du Emelina von mir, dass sie dich bitte zusammenscheißen soll, weil du alleine mit dem Motorrad nach Köln gefahren bist?“ Der Ansatz eines Grinsens erscheint auf Jez Lippen.
„Das würde sie auch machen, ohne dass ich es ihr von dir sagen müsste, aber ich richte es ihr trotzdem aus…“ Der Ansatz von Jez‘ Grinsen breitet sich jetzt auch auf Kimmys Lippen aus.
„Und Samstag kommst du wieder?“ Der Funken Freude verschwindet wie auf einen Schlag aus Jez Gesicht. Eigentlich will Kimmy ja nicht, dass Jez sich so oft Gedanken um seinen kleinen Bruder macht und sich selbst Vorwürfe macht, warum er ihn nicht gleich mit hierher genommen hat. Aber sie haben beide bald Training und die Wahrscheinlichkeit, dass Jez sie heute Abend noch einmal unangemeldet nach dem Training besuchen kommt, um ihr zu sagen, wann genau er wieder in Fautenbach sein will, schätzt Kimmy – da ihre Mutter zwei Tage frei hat und Jez davon weiß – sehr gering ein.
„Ja…“ Jez streicht Kimmy eine Strähne, die ihr der starke Wind immer wieder ins Gesicht weht, hinter das Ohr. Eigentlich etwas, was wohl kaum ein Mädchen mag, aber andererseits auch wieder liebt, sobald es dieser eine Junge ist, der mit diese kleine, liebevolle Geste seine Zuneigung zeigt. „Mal sehen, wann wir losfahren. Ich denke mal nicht, dass wir so ankommen, dass Mama noch zu Hause ist. Aber ich glaube, es ist sowieso besser, wenn sie von der Aktion erst in Nachhinein mitbekommt…“ Einen Moment sieht Jez Kimmy in die Augen. „Und ja, du brauchst mir jetzt nicht sagen, dass ich dir, Emelina und Mama keinen Gefallen damit tue.“ Kimmy legt den Kopf schief und mustert ihren Freund einen Moment.
„Tu ich doch gar nicht.“ Einen Moment mustert sie ihren Freund noch, dann sieht sie ihm in die Augen. „Ich finde es zwar immer noch nicht gut, aber ich freue mich schon darauf, wenn du wieder bei mir bist.“
***
Müde schließt Jez die Augen, bevor er sein Handy an das andere Ohr hält und sich auf die Seite dreht. Bis vor einer halben Stunde hat er noch mit Jeremy telefoniert und ihm das erste Mal richtig gesagt, wie und wann er ihn abholen wird. Jetzt telefoniert Jez, wie eigentlich jeden Abend, mit Emelina.
„Ich freu mich schon, dich wieder zu sehen…“ Ein Lächeln huscht über Jez Lippen. Er freut sich natürlich auch, Emelina wieder zu sehen. Aber irgendwie hat er auch ein wenig ein mulmiges Gefühl. Zwar hat Kimmy ihm gesagt, dass sie nicht mehr eifersüchtig auf Emelina ist, aber Jez will nicht, dass sie wieder eifersüchtig wird. Weil er Dinge macht, die er mit Emelina schon immer macht – und wenn es nur Kleinigkeiten sind, wie sie beispielsweise in den Arm zu nehmen.
„Ich freu mich auch…“ murmelt Jez leise und seufzt dann. Fast immer, wenn er mit Emelina telefoniert, verspürt er irgendwie das Gefühl, sich in einem Traum zu befinden. Nicht direkt in einem Albtraum – dafür erlebt er hier, mit Kimmy zusammen, viel zu viele schöne Momente – aber ein richtig schöner Traum ist es auch nicht. Nicht, dass er sich wünscht, seine Eltern würden wieder zusammenleben. Er selbst könnte es sich nicht mehr vorstellen, bei seinem Vater zu wohnen. Dafür sind in den letzten 5 Monaten einfach viel zu viele negative Dinge vorgefallen. Aber einfach, dass Jeremy bei ihm und seiner Mutter wäre. Dass er manchmal zu seinen Freunden nach Köln fahren könnte, ohne das Gefühl zu haben, dass seine Mutter sich schuldig dafür fühlt, dass er sie nur noch so selten sieht.
„Dir geht gerade irgendwas durch den Kopf, hab ich recht?“ Jez ein weiteres Mal seufzt leise.
„Naja…“, murmelt er nur. Manchmal wünscht er sich wirklich, Emelina würde ihn nicht so in- und auswendig kennen. Die Sache mit Kimmy, als er noch Stress mit ihr hatte und sie noch nicht zusammen waren, hat Emelina ihm auch angemerkt, Jez hat ihr jedoch immer gesagt, dass ihn einfach die gesamte Umstellung ein wenig fertig macht. „Manchmal wünsche ich mir schon irgendwie, dass alles irgendwie anders wäre…“ Einen Moment zögert Jez. „Nicht einmal, dass ich noch in Köln wohnen würde. Aber dass die ganzen komplizierten Dinge einfach weg sind…“
Er ist viertel nach eins, als Kimmy und Jez ein wenig abseits von dem Motorrad- und Rollerparkplatz stehen.
„Fahr vorsichtig, ja?“ Ganz sachte nickt Jez, bevor er beide Hände auf Kimmys Taille legt und ihr einen sanften Kuss auf die Stirn gibt.
„Ich versprech‘s dir.“ Kimmy sieht Jez in die grünen Augen und lächelt einen Moment, bevor sie eine Hand hebt, sie in seinen Nacken legt und ihren Kopf an Jez Brust lehnt. „Das Erste, was ich mache, wenn ich bei Jeremy angekommen bin, ist mich bei dir zu melden, okay?“ Kimmy hebt den Kopf wieder und lächelt dann einen Moment.
„Okay“, flüstert sie leise. Dann zieht sie Jez Kopf zu sich und drückt ihre Lippen lange auf seine. Das feurige Kribbeln durchfährt ihren Körper augenblicklich und wird nur noch intensiver, als Kimmy sich ins Gedächtnis ruft, dass Jez sich in weniger als einer Stunde auf den Weg nach Köln machen wird. Deshalb spürt sie es auch noch heiß und intensiv, als Jez sich ihrem Kuss ganz sanft entzieht, ihr mit einer Hand durchs Haar streicht und dann die Hände von Kimmys Taille löst, um seine Arme um den Körper seiner Freundin zu legen und sie einfach nur richtig in die Arme schließen zu können. Kimmy öffnet nicht einmal die Augen. Sie drückt das Gesicht lieber gleich an den Hals ihres Freundes und saugt noch einmal seinen so einzigartigen Geruch ein.
„Vergiss nicht Emelina zu sagen, dass sie dich zusammenscheißen soll, weil du mit dem Motorrad bis nach Köln gefahren bist…“ Das Lächeln liegt schon auf Kimmys Lippen, als sie den Satz ausspricht. Sie hebt den Kopf, um ihrem Freund in die Augen zu sehen. Und auch, wenn das freudige Funkeln immer noch fehlt, einen Moment funkelt doch so etwas Ähnliches wie Belustigung in seinen Augen.
„Ich versuche daran zu denken.“ Kimmy legt lächelnd den Kopf schief, bevor sie sich schnell auf die Zehenspitzen stellt und ihrem Freund eine Kopfnuss verpasst.
„Jetzt versuchst du’s nicht nur, jetzt denkst du wirklich dran.“ Grinsend gibt Jez Kimmy eine sanfte Kopfnuss zurück und gibt ihr dann einen Kuss auf die Stirn. Leise seufzt Kimmy, als die Kirchturmuhr in ihr Blickfeld wandert.
„Mein Bus fährt in 5 Minuten“, murmelt sie leise und sieht ihrem Freund in die grünen Augen.
„Dann musst die kleine Kimmy aber ganz schön schnell laufen…“ Natürlich hört Kimmy deutlich heraus, dass Jez sie damit nur necken will.
„Jaja…“ Leise seufzt Kimmy, bevor sie ihre Arme noch einmal fester um Jez Nacken legt, sich auf die Zehenspitzen stellt und ihm einen langen Kuss auf die Lippen gibt. „Und du fährst vorsichtig, ja?“, flüstert sie leise, wobei ihre Lippen ein weiteres Mal, hauchzart, die ihres Freundes berühren.
„Ich fahr ganz vorsichtig“, flüstert Jez zurück, „Für Mama, für dich und für Emelina.“ Kimmy streicht mit einem Finger ganz langsam durch Jez weiches Haar, bevor sie zu lächeln beginnt.
„Nein. Du fährst ganz alleine für dich vorsichtig.“
***
Schweigend lässt Kimmy einen der Heuhalme durch ihre Finger gleiten. Sie liegt zusammen mit Betty vor der großen, geöffneten Luke, auf dem Heuboden des Stalls, in dem Bettys Pferde stehen. Betty stützt ihr Kinn auf die Hände und beobachtet die Pferde, durch die geöffnete Luke hindurch. Betty und Max sind die einzigen hier in Fautenbach, die außer Kimmy selbst wissen, dass Jez gerade auf dem Weg nach Köln ist. Und Betty weiß es auch nur, weil sie sowohl ihrem Freund als auch Kimmy angemerkt hat, dass sie irgendetwas beschäftigt. Leise seufzt Kimmy, was Bettys Aufmerksamkeit erregt.
„Du machst dir trotzdem Sorgen um ihn, hab ich recht?“ Kimmy dreht sich auf die Seite, sodass sie ihre Freundin richtig ansehen kann, bevor sie sich aufsetzt.
„Schon irgendwie…“ Betty legt den Kopf schief und setzt sich auch auf. Ihrer Freundin gegenüber lehnt sie sich nach hinten, gegen einen der riesigen Heuballen. Kimmy zieht die Beine in den Schneidersitz und wendet den Blick von ihrer Freundin ab. Vorsichtig zieht sie einen weiteren Heuhalm aus dem Ballen und dreht in zwischen den Fingern. „Ich will eigentlich gar nicht so sein. Es ist nur irgendwie… ich kann nicht anders…“ Kimmy hebt den Blick und sieht ihrer Freundin in die hellen Augen.
„Ich glaube, wenn Jez es so sehr stören würde, dann wäre ich nicht mit dir zusammen.“ Einen Moment zögert Betty. Und Kimmy weiß auch direkt, warum. Zwar sind die beiden Mädchen beste Freundinnen, aber über Lennard reden sie kaum. Warum direkt, weiß Kimmy nicht. Vielleicht, weil sie immer versucht, so ungerührt wie möglich zu reagieren. Nicht, dass es ihr peinlich ist, aber sie hat irgendwie immer das Gefühl, sie belastet andere Menschen, wenn sie ihnen von ihrem Kummer erzählt.
„Ich hab einfach Angst um ihn. Nicht mal, dass es einfach das Motorradfahren an sich ist. Aber, dass er auf der Autobahn fährt, das finde ich irgendwie…“ Kimmy hebt beide Hände und lässt sie wieder fallen.
„…beängstigend?“ Kimmy sieht ihrer Freundin überrascht in die Augen. Sie hat eigentlich nicht damit gerechnet, dass ihre Freundin genau das Wort findet, was sie gemeint hat, aber nicht wirklich aussprechen wollte.
„Ja…“ Einen Moment sieht sie ihrer Freundin noch in die Augen, dann senkt sie den Blick wieder auf den zerknüllten Heuhalm in ihren Händen.
„Ich glaube, ihm geht es aber besser, wenn er seinen Bruder selbst hier her holt und weiß, dass er sein Versprechen nicht gebrochen hat.“ Überrascht, dass Betty wieder einmal denselben Gedanken hat, wie sie am Vortag hatte, hebt Kimmy den Kopf. „Und natürlich, seine Mutter wird nicht begeistert sein, dass er sich ihr widersetzt hat, aber ich glaube, dass sie sich trotzdem mehr darüber freuen wird, ihren jüngeren Sohn wiederzusehen.“ Kimmy lehnt sich an den ein wenig auseinandergefallenen Heuballen hinter sich, bevor sie kaum sichtbar nickt.
„Können wir bitte das Thema wechseln. Irgendwie habe ich sonst wirklich Angst um Jez…“
---
Kimmy lässt vorsichtig einen der Steinchen, den sie in den Fingern hält, wieder fallen und sieht dann schweigend über den See. Noch lange hat sie mit Betty auf dem Heuboden gesessen und über alles Mögliche geredet. Und Betty hat es sogar geschafft, sie für diese Zeit komplett von Jez abzulenken. Kurz vor sechs haben die beiden Mädchen den Heuboden dann verlassen. Betty ist jetzt gerade irgendwo zwischen den Feldern mit Tatiano ausreiten und Kimmy hatte eigentlich vor nach Hause zu gehen, aber irgendwie hat es sie vorher hier her, an den See, verschlagen.
Das Wasser des Sees glitzert in der Sonne und bildet zusammen mit den vielen Bäumen am anderen Ende des Sees ein wunderschönes Bild. Leise seufzt Kimmy. Auch wenn der Anblick noch so schön ist, sie muss trotzdem wieder an Jez denken. In der nächsten Stunde muss er sie endlich anrufen, sonst macht Kimmy sich noch mehr Gedanken, als sie sich jetzt schon macht! Durch das Geschrei zweier Kinder, die am anderen Ufer des Sees im flachen Wasser spielen, wird Kimmy jedoch von ihrem eigentlichen Gedanken abgelenkt. Ein Junge und ein Mädchen, neun oder zehn Jahre alt, tollen im Wasser herum. Einen Moment folgt Kimmy den beiden Kindern mit den Augen, dann huscht ein Lächeln auf ihre Lippen. Es ist irgendwie komisch, aber seitdem die ganze Sache mit Jez passiert ist, verspürt Kimmy nicht mehr dieses drückende Schuldgefühl, wenn sie an Lennard erinnert wird. Eher ein Gefühl von Dankbarkeit, dass sie elf Jahre mit dem wunderbarsten Zwillingsbruder verbringen durfte. Beinahe kommt es Kimmy vor, als sehe sie nicht zwei fremde Kinder, sondern sich und Lennard, ein oder zwei Jahre vor seinem Tod. Immer noch lächelnd legt Kimmy den Kopf schief und beobachtet die beiden Kinder. Ja, sie verhalten sie genauso, wie Lennard und sie selbst sich früher verhalten haben. Immer wieder versuchen sie sich für einen Moment unter Wasser zu tunken, bis sie – falls Kimmy es richtig sieht – mit den Köpfen zusammenstoßen, das Mädchen sich mit einer Hand den Kopf hält und einige Schritte in Richtung Ufer trampelt. Der Junge läuft dem Mädchen hinterher. Als er hinter dicht hinter ihr angekommen ist und wahrscheinlich fragt, ob alles in Ordnung ist, dreht sich das Mädchen plötzlich um und springt lachend auf den Jungen zu. Nur schwer kann Kimmy sich ein Grinsen verkneifen. Es ist einfach nur schön Kinder zu sehen, die sich genauso verhalten, wie man sich selbst einmal verhalten hat. Der Junge – Lennard – der besorgte und das Mädchen – sie selbst – stürmisch und ein wenig unbedacht.
Erschrocken zuckt Kimmy zusammen, als ihr Handy beginnt zu klingeln.
***
Noch während Jez sich mit dem Mund den zweiten Motorradhandschuh auszieht, hält er sich das Handy ans Ohr und wartet darauf, dass seine Freundin endlich an ihr Handy geht. Natürlich hat er gemerkt, dass Kimmy Angst um ihn hat, auch wenn sie es ihm nur einmal richtig ins Gesicht gesagt hat.
„Jez?“ Deutlich kann Jez auch durch sein Handy hindurch hören, dass ihre Stimme mit purer Erleichterung gefüllt ist. „Endlich rufst du an!“ Ein Lächeln huscht über Jez Lippen.
„Sorry, ich bin vor nicht einmal einer Minute angekommen.“ Einen Moment ist es still, dann hört Jez, wie Kimmy leise lacht.
„Ich hoffe mal, du hast deinen Helm schon ausgezogen!“ Jez grinst, als er seine Handschuhe in den Helm stopft und dann den Reisverschluss seiner Jacke öffnet. Er weiß mittlerweile, dass Kimmy Menschen, die gefühlt Kilometer weit mit Motorradhelmen auf dem Kopf laufen, gruselig findet.
„Keine Angst. Das war mit dich anrufen das Erste, was ich gemacht habe.“ Einen Moment schließt Jez von der Sonne geblendet die Augen.
„Du hast noch nicht mal Jeremy hallo gesagt?!“ Ein weiteres Grinsen huscht über Jez Lippen.
„Nein. Ich musste dich doch vorher anrufen!“
„Du bist so ein Idiot“, lacht Kimmy leise. „Ich will bis auf ein Tschüss jetzt nichts mehr von dir hören!“
„Schon verstanden.“ Einen Moment macht Jez eine Pause. „Tschüss, an das wunderbarste Mädchen der Welt…“
„Das war aber mehr als nur ein Tschüss…“ Deutlich kann Jez heraushören, dass Kimmy ihn nur necken will. „Tschüss - Du Idiot.“ Für einige Sekunden kann Jez nur das leise Rauschen der Handyverbindung hören, dann ertönt das Freizeichen-Geräusch. Jez lässt lächelnd sein Handy vom Ohr sinken und es dann im vorderen Fach seines Rucksacks verschwinden, bevor er seinen Rucksack wieder schultert, nach seinem Motorradhelm greift und dann zur Haustür geht.
Gefühlt keine zwei Sekunden, nachdem Jez geklingelt hat, reißt Jeremy die Tür auf und springt seinem großen Bruder in die Arme.
„Jez!“ Jez stolpert zwei Schritte nach hinten und wäre um ein Haar rückwärts die drei Treppenstufen heruntergefallen, aber eine andere Begrüßung von Jeremy hätte er eigentlich auch nicht erwarten dürfen.
„Jeremy!“ Jez drückt seinen Bruder eng an sich – soweit das mit der dicken Motorradjacke funktioniert.
„Endlich bist du hier!“ Jez erhebt sich, mit seinem Bruder im Arm und lächelt, als dieser sich langsam aus seiner Umarmung löst.
„Versprochen ist versprochen.“ Das Lächeln liegt noch immer auf Jez Lippen. Auch, als er Jeremy wieder auf den Boden stellt und er ihn von unten herauf mustert. Seine grünen Augen strahlen freudig. Auch noch, als er sich umdreht und vor seinem Bruder ins Haus geht. Jez legt den Kopf schief und mustert ihn einen Moment von hinten, dann folgt er ihm hinein.
Als Jez seinen Rucksack von den Schultern rutschen lässt und aus seinen Motorradjacken schlüpft, hebt er schnuppernd die Nase. Jeremy lehnt sich mit dem Rücken gegen das Treppengeländer hinter sich und grinst.
„Bevor du fragst: Emelina ist da und macht Pfannkuchen. Ich glaube, sie hat Angst, dass du sonst verhungerst.“ Jez beginnt zu grinsen.
„Dann musst du dich aber beeilen, sonst bekommst du nichts mehr ab!“ Mit beiden Händen hält Jez seinen Bruder fest und schiebt ihn, als er in Richtung Küche laufen will, einfach beiseite.
„Jez!“ Jeremy versucht sich an seinem Bruder festzuhalten, als dieser ihn einfach zur Seite schiebt und in Richtung Küche läuft. In der Küchentür bremst Jez so stark ab, dass Jeremy in ihn hineinrennt und sich lachend nach hinten auf den Boden fallen lässt. Grinsend dreht Jez sich zu seinem Bruder um. „Du bist so doof!“ Jeremy steht auf und quetscht sich an seinem Bruder vorbei. Kopfschüttelnd sieht Jez seinem Bruder dabei zu und hebt dann den Blick. Noé, Emelinas kleiner Bruder, sitzt am Küchentisch und verputzt einen Pfannkuchen, während Emelina sich gegen die Küchenzeile lehnt und lächelt, als Jez ihr in die Augen sieht. Jez legt den Kopf schief und erwidert Emelinas Lächeln, bevor er auf sie zugeht und sie in den Arm nimmt.
„Hey, du Verrückter“, flüstert Emelina leise, als sie sich in die Arme ihres besten Freundes kuschelt. Sie hat ihre dunklen Haare zu einem Zopf zusammengebunden, in dem sie sich nur ganz sachte wellen. Jez schließt die Augen. Auch wenn es erst drei Wochen her ist, als sie sich das letzte Mal gesehene haben, er hat Emelina vermisst. Das Mädchen, das ihn in und auswendig kennt. Das Mädchen, das immer merkt, wenn ihn irgendetwas bedrückt. Das Mädchen, auf das er sich immer verlassen kann.
„Ich bin nicht verrückt!“, flüstert Jez zurück, wobei ihm wieder Kimmys Einwand in den Kopf schießt. ‘Vergiss nicht Emelina zu sagen, dass sie dich zusammenscheißen soll, weil du mit dem Motorrad bis nach Köln gefahren bist!‘. Emelina löst sich von ihm und mustert Jez einen Moment, bevor sie den Kopf schief legt. Ein leichtes Grinsen umspielt Jez Lippen, als er sich überlegt, ob er Emelina jetzt von Kimmys Einwand erzählen soll.
„Wetten, du sollst mir noch irgendetwas sagen und du überlegst, ob du’s wirklich machen sollst?“ Jez rümpft immer noch grinsend die Nase.
„Warum weißt du immer, was ich denke?“ Seine Frage ist eigentlich rhetorisch gemeint, aber dennoch antwortet Emelina mit einem Schulterzucken und den Worten:
„Tja, ist halt so!“ In dunklen Augen glänzen im Licht der hereinfallenden Sonne, als sie ihren besten Freund mustert.
„Ich soll dir von Kimmy sagen, dass du mich – Zitat – zusammenscheißen sollst, weil ich alleine mit dem Motorrad hierher gefahren bin.“ Emelina lehnt sich gegen den Küchenzeile hinter sich, als ein beinahe schon freches Grinsen auf ihren Lippen erscheint.
„Ich könnte dich theoretisch zusammenscheißen.“ Sie macht einen Moment eine Pause. „Aber ich könnte auch einfach sagen, du bekommst nichts von den Pfannkuchen ab. Das ist eine größere Strafe!“ Jez verzieht protestierend das Gesicht, bevor er sich einfach den fertigen Pfannkuchen aus der Pfanne nimmt, ihn zusammenrollt und abbeißt. Gleichzeitig versucht er vor Emelinas Hand mit dem Pfannenwender darin auszuweichen. „Du bist so doof!“ Sie lässt den Pfannenwender klappernd auf die Arbeitsfläche fallen, huscht unter Jez Armen hindurch und beißt – bevor Jez nur reagieren kann – von dem Pfannkuchen in seinen Händen ab. Kauend zuckt sie die Schultern, als Jez sie einen Moment ungläubig anguckt, bevor er kopfschüttelnd zu grinsen beginnt.
Emelina mustert ihren besten Freund noch einen Moment, bevor sie sich von ihm in den Arm nehmen lässt.
„Fahr vorsichtig, okay?“, flüstert sie leise, als Jez sie an sich drückt.
„Versprochen“, flüstert er zurück und sieht ihr dann in die Augen. „Und du versprichst mir, dass du gut nach Australien kommst und auch wieder zurück, okay?“ Ein Lächeln huscht über Emelinas Lippen, als Jez ihre Reise nach Australien in weniger als eine Woche anspricht.
„Versprochen.“ Ihre dunklen Augen glitzern in der Sonne, als sie den Kopf schief legt. Sie sieht Jez einen Moment noch in die Augen, dann löst sie sich aus seiner Umarmung. Jeremy kommt aus dem Haus, zieht die Tür hinter sich zu und sieht seinen Bruder, nachdem er die drei Stufen heruntergesprungen ist, erwartungsvoll an. Von seinen Freunden weiß nur Noé, dass er mindestens die nächsten sechs Wochen nicht in Köln sein wird. Er hat sich schon vor zwei Stunden von Jeremy verabschiedet und erst da ist Jez wieder bewusst geworden, wie schlecht er Jeremy hier gehen musste, dass er seine Freunde einfach verlässt. Genau das war eigentlich der Grund, warum Jeremy anfangs nicht mit nach Fautenbach wollte.
„Kimberly hat doch gesagt, ich soll auf ihr aufpassen!“ Emelina grinst, als Jeremy gegen die Sonne blinzelt und sie mit einem todesernsten Gesichtsausdruck – soweit das mit der blendenden Sonne geht – ansieht.
„Das sagt nicht nur sie zu dir!“ Sanft nimmt Emelina auch Jez‘ keinen Bruder zum Abschied in den Arm. „Ich sag’s dir auch nochmal. Pass auf, dass Jez vorsichtig fährt, okay?“
„Mach ich.“ Jeremy lächelt, als Emelina ihn loslässt. „Versprochen!“ Emelina erwidert das Lächeln und sieht Jez noch einmal in die Augen.
„Tschüss“, flüstert Emelina leise und wendet den Blick dann ab. Auch wenn sie Jez in den letzten Wochen nur kurze Zeit gesehen hat, er fehlt ihr jetzt schon.
„Emelina.“ Jez greift nach dem Handgelenk seiner besten Freundin und nimmt sie noch einmal in den Arm. „Allerspätestens an Silvester sehen wir uns wieder, okay?“ Auch wenn Jez versucht es sich nicht anmerken zu lassen, er will jetzt, für diesen einen Moment, nicht gehen. Einfach, weil er bei Emelina sein will. Und am liebsten auch bei Niklas und seinen anderen Freunden, aber nur Niklas weiß, dass er überhaupt hier ist. Er ist jedoch kurz nachdem die letzte Schulstunde geendet hat, zu seinem Vater und seinen Stiefgeschwistern gefahren und aus diesem Grund ist er jetzt auch nicht hier.
„Okay.“ Emelinas Augen glitzern, als sie sich aus Jez Umarmung löst, er ihr noch einen Moment in die Augen sieht und dann zwei Schritte nach hinten macht, um seinen Motorradhelm aufzuheben, den er neben sich auf den Boden gelegt hat. Er nimmt die Handschuhe heraus, zieht sich den Helm über den Kopf und schlüpft in seine Handschuhe. Nachdem Jez sein Motorrad von dem Seitenständer gezogen und sich darauf gesetzt hat, wartet er, bis sein kleiner Bruder hinter ihm ebenfalls auf die Maschine geklettert ist. Jez dreht sich ein letztes Mal zu Emelina und zwinkert ihr noch einmal zu, bevor er das Visier seines Helmes und die Sonnenblende zuklappt und dann langsam aus dem Hof rollt.
***
An ihrem Füller knabbernd lehnt Kimmy sich über ihren Geschichtsordner und versucht sich mit aller Gewalt die Jahreszahlen und Daten ins Gehirn zu hämmern, aber es funktioniert einfach nicht. Jez hat ihr vor knapp einer Stunde geschrieben, dass er und Jeremy gleich losfahren und seitdem verspürt sie wieder das knabbernde, unbehagene Gefühl in ihrem Brustkorb. Seufzend lässt Kimmy ihren Füller auf ihren Ordner fallen, bevor sie sich entschlossen von ihrem Stuhl erhebt, aus ihrem Schrank eine Sportshorts, ein Top und einen Sport-BH holt und diese gegen ihre momentane Kleidung tauscht. Irgendwie hat sie die Hoffnung, dass das Laufen sie irgendwie von Jez ablenken kann. Und andererseits hat es in ihr auch den Kampfgeist geweckt, dass Jez eine eindeutig bessere Ausdauer hat als sie. Noch während Kimmy nach ihren Kopfhören angelt, sucht sie im Mediaplayer ihres Handys das Lied ‘Liebe‘ von Sido. Das Lied, das Jez zum Teil als WhatsApp-Status hat. Eigentlich ist das eins der Lieder – jedenfalls vom Stil her – welches Jez eher nicht hört, aber irgendwie hat der Text ihn wohl doch gefesselt.
Noch während Kimmy die Treppe heruntergeht und unten in ihre Sportschuhe schlüpft, steckt sie sich die Kopfhörer in die Ohren.
***
Jez mustert seinen kleinen Bruder, als diese gerade den letzten Schluck aus der Wasserflasche nimmt und sich dann mit dem Jackenärmel über den Mund wischt. Die Sonne steht hoch am Himmel uns lässt es unter den Motorradklamotten auf der Autobahn noch wärmer werden. Aus diesem Grund hat sich Jez auch dafür entschieden, eine Pause zu machen, um seine Motorradjacke wenigstens für eine halbe Stunde loszuwerden. Jeremy mustert seinen großen Bruder mit schief gelegtem Kopf, während er die Plastikflasche zusammendrückt, sodass sie nicht mehr so viel Platz im Rucksack einnimmt. Auch wenn sein großer Bruder versucht es vor ihm zu verbergen, die Fahrt zu ihm nach Köln und der Weg bis hierher zurück nach Fautenbach ist nicht nur körperlich anstrengend für ihn.
„Komm, jetzt ist es nur noch eine Stunde.“ Jez schlüpft in seine Motorradjacke, während er den ‘ermutigenden‘ Satz eher zu sich als zu seinem kleinen Bruder sagt.
„Ist Mama dann noch zu Hause?“ Jez lehnt sich zu seinem Rucksack, der vor seinen Füßen steht, herunter und zieht sein Handy aus dem großen Fach, um auf die Uhr zu gucken. Dann schüttelt er den Kopf.
„Ist glaube ich auch besser so…“ Jeremy sieht seinen Bruder fragend an, als dieser sein Handy wieder in der Tasche verschwinden lässt und den Rucksack dann hochhebt, um Jeremy zu helfen, ihn aufzuziehen. Er hat sich extra auf das Minimum beschränkt, dass Jeremy so viele Sachen wie nur möglich mit nach Fautenbach nehmen kann, was in einem kleinen und einem großen Rucksack trotzdem noch ziemlich minimiert ist.
„Warum?“ Jez erwidert nichts darauf, als er Jeremy hilft, auch den zweiten Rucksack aufzusetzen. Erst, als er wieder vor ihm steht, seufzt er.
„Wenn wir zu Hause sind und vor dem Fernseher sitzen, dann ist Mama nicht halb so, ich sage mal ‘geschockt‘, als wenn wir gerade ankommen.“ Jeremy murmelt ein leises: „Achso“, bevor er den Helm entgegennimmt, den sein Bruder ihm entgegenhält.
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Jez ist einfach nur überglücklich, als er das letzte Mal den Blinker heute setzt und in die Hofeinfahrt herein rollt. Er lässt seinen kleinen Bruder von seinem Motorrad klettern, bevor er selbst absteigt und es auf den Seitenständer stellt. Ein wenig ungeschickt schlüpft er aus beiden Handschuhen, bevor er sich den Helm vom Kopf zieht und sich mit einer Hand durch das nassgeschwitzte Haar fährt. Jeremy versucht noch immer seinen Motorradhelm zu öffnen. Jez legt den Kopf schief und grinst, dann hilft er seinem Bruder, öffnet den Verschluss des Helms und zieht ihn ihm vom Kopf zieht.
„Angekommen!“ Jez lächelt seinem Bruder zu, bevor er ihm den größeren von beiden Rucksäcken abnimmt und seinen Schlüssel herauswühlt.
„Endlich!“ Jeremy lässt auch Jez‘ Rucksack von den Schultern rutschen und zieht dann mit schmerzverzerrtem Gesicht die Schultern hoch. „Lange hätte ich das da drauf nicht mehr ausgehalten!“ Jez zieht den Reisverschluss des Rucksacks wieder zu, hängt ihn sich über eine Schulter und hebt dann seinen Helm mit den Handschuhen darin vom Boden auf.
„Ich auch nicht, das kannst du mir glauben.“ Jeremy sieht seinen Bruder einen Moment an, bevor er seinen Blick über die Straße wandern lässt. Es ist schon lange her, dass er das letzte Mal hier war. Vor zwei Jahren, als Jez‘ und Jeremys Opa gestorben ist, war er zum letzten Mal hier, wobei sie nur bei der Beerdigung an sich in Fautenbach waren, da ihre Oma nach dem Tod ihres Mannes relativ schnell in die Wohnung nach Achern gezogen ist. „Komm…“ Jez deutet seinem kleinen Bruder an, dass er ihm ins Haus folgen soll.
***
Kimmy legt, nachdem sie bei Jez geklingelt hat, den Kopf schräg und blinzelt geblendet von der in den Scheiben der Haustür reflektierten Sonne. Jez hat ihr schon vor drei Stunden geschrieben, dass sie angekommen sind. Eigentlich war das gar nicht nötig. Kimmy hat, auch wenn sie es gar nicht wollte, permanent gelauscht, ob irgendwo ein Motorrad zu hören ist. Und deshalb hat sie natürlich auch gleich gewusst, dass Jez und Jeremy in Fautenbach angekommen sind. Eigentlich hatte sie das Bedürfnis, sofort aufzustehen und zu Jez zu rennen aber dann hat Kimmy sich doch dazu entschlossen noch ein wenig zu warten, um Jeremy und Jez ein wenig Zeit zu geben um überhaupt anzukommen. Vor Kimmy geht die Haustür auf und auch wenn sie es nicht ganz für möglich hält – obwohl sie Jeremy schon auf ein paar Bildern gesehen hat – er sieht wirklich aus wie ein kleines Abbild von Jez. Die schwarzen Haare, die Gesichtszüge, die strahlend grünen Augen und sogar das Lächeln.
„Kimberly, hab ich recht?“ Kimmy nickt.
„Jeremy?“ Jeremy nickt und macht die Tür dann weiter auf. „Jez schläft. Aber ich glaube, wenn du ihn weckst ist er nicht so sauer als wenn ich ihn wecke.“ Kimmy grinst, als sie hinter Jez‘ kleinem Bruder das Haus betritt.
„Sicher?“ Jeremy dreht sich zu Kimmy um und zuckt die Schultern.
„Ich hoffe mal. Sonst bist du Matschepampe.“ Kimmy schlüpft aus ihren Schuhen und folgt Jeremy dann immer noch grinsend nach oben in Jez Zimmer.
Auch wenn Kimmy und Jez schon über einen Monat zusammen sind, Kimmy hat Jez bisher nur einmal schlafen sehen. Und dass war, als sie noch nicht zusammen waren. Um genau zu sein war er an dem Morgen nach dem Big Blöpp und da war Kimmy so sauer und verwirrt, dass sie Jez‘ entspannte Gesichtszüge gar nicht richtig betrachtet hat. Jetzt liegt Jez, wie auch nach dem Big Blöpp, auf der Seite, die Decke von sich weggestrampelt und eine Hand unter die Wange geschoben. Er sieht so friedlich aus, dass Kimmy das Bedürfnis hat, ihn gar nicht zu wecken und sich stattdessen einfach neben ihn zu setzt und ihm beim Schlafen zuzugucken. Aber andererseits spürt sie in sich auch das Bedürfnis ihn zu küssen. Und aus diesem Grund setzt Kimmy sich auch ganz vorsichtig neben ihrem Freund auf die Bettkante, bevor sie mit einer Hand sanft durch sein dichtes, schwarzes Haar streicht. Murrend zieht Jez seine Hand unter seiner Wange heraus, dreht sich auf den Bauch und vergräbt das Gesicht in seinem Kissen.
„Lass mich…“, murmelt er leise. Kimmy legt den Kopf schief und muss unweigerlich grinsen, bevor sie sich zu Jez vorlehnt und ihm einen sanften Kuss auf den Hinterkopf gibt.
„Ganz bestimmt nicht!“, flüstert sie ihm ins Ohr. Einen Moment bleibt Jez noch ruhig auf dem Bauch liegen, dann dreht er sich auf die Seite und blinzelt seine Freundin verschlafen an.
„Warum weckst du mich?“ Kimmy streicht Jez noch einmal lächelnd über den Hinterkopf, als er seinen Kopf auf ihrem Schoß bettet und die Augen wieder schließt. Noch bevor Kimmy antworten kann, lässt Jeremy sich auf seinen großen Bruder fallen. Jez stöhnt auf und schubst seinen Bruder von sich. „Das hab ich ganz sicher nicht vermisst!“ Er setzt sich auf und reibt sich über die Augen.
„Ich schon!“ Grinsend lehnt Jeremy sich gegen die Wand und lässt seinen Blick zwischen seinem Bruder und dessen Freundin hin und her wandern.
„Du solltest doch eigentlich niemandem aufmachen.“ Jez sieht seinen Bruder so gut es mit seinen verschlafenen Augen geht streng an. Dieser zuckt nur die Schultern.
„Ich hab gesehen, dass sie es ist. Wenn nicht, hätte ich dich wecken müssen. Und das wäre nicht so liebevoll gewesen.“ Kimmy legt den Kopf wieder schief, als er Freund sie verschlafen mustert.
„Sorry. Aber Jeremy hat gesagt, er wäre Matschepampe, wenn er dich weckt. Deshalb musste ich dich wecken.“ Unschuldig zuckt sie die Schultern und quitscht im nächsten Moment überrascht auf, als Jez sich zu sich zieht und ihr einen Kuss auf die Wange gibt. „Musst du nicht eigentlich sauer auf mich sein?“ Kimmy sieht bei der eigentlich nicht ernstgemeinten Frage in Jez grüne Augen. Und es funkelt darin etwas, was sie seit Wochen vermisst hat. Freude.
„Eigentlich ja schon. Aber es ist viel schöner wach zu sein. Weil du viel schöner bist als meine Träume…“ Lächelnd schüttelt Kimmy den Kopf, kommt aber nicht mehr dazu, Jez als Schleimer zu bezeichnen, weil Jeremy in dem Moment aufspringt.
„Ihh, viel zu viel Romantik!“ Er quetscht sich zwischen Kimmy und seinem Bruder hindurch, springt vom Bett und dreht sich dann um. „Jez… Ich hab Hunger!“ Jez verzieht das Gesicht und sieht seinen Bruder einen Moment an, bevor ein freches Grinsen auf seinen Lippen erscheint und er sich Kimmy zuwendet.
„Ich auch.“ Auch seine Augen funkeln schelmisch. „Kimmyyy…“ Kimmy lehnt sich zu Jez nach vorne, als er das ‘Y‘ in ihrem Namen extra lang zieht. Die Müdigkeit ist aus Jez Augen verschwunden. Stattdessen glitzern sie hellwach. „Kochst du uns was zu essen?“ Kimmy rümpft lächelnd die Nase, bevor sie sich von der Bettkante erhebt und ihren Blick zwischen Jez und Jeremy hin und her wandern lässt. Beide sehen sie mit demselben bittenden und irgendwie süßen Lächeln an. Mit dem Unterschied, dass Jeremys Lächeln süß ist, weil er eben guckt wie ein ‘kleiner‘ Junge, der etwas möchte und Jez‘, weil es eben sein Lächeln ist. Leise seufzt Kimmy.
„Von mir aus. Aber nur, weil ich selbst Hunger hab!“
***
Lächelnd schließt Kimmy die Augen, als sie sich in Jez Jacke kuschelt. Es ist zwar erst kurz nach zehn und es war eigentlich den ganzen Tag so warm, dass sie die Jacke noch gar nicht wirklich braucht, aber trotzdem hat sie das Bedürfnis, sich in den blauen Stoff zu kuscheln. Betty sitzt auf der Hollywoodschaukel und streicht über das lockige Haar ihrer besten Freundin, die ihren Kopf auf ihrem Schoß gebettet hat. Als Kimmy von Jez nach Hause gegangen ist, hatte sie irgendwie richtig Lust, einfach mal wieder einen Mädchenabend mit Betty zu machen. Und da ihre Mutter Krankheitsvertretung im Krankenhaus macht und ihr Vater morgens auf Geschäftsreise aufgebrochen ist, hat nichts dagegen gesprochen, dass Betty zu ihr kommt.
Betty nimmt ihrer Freundin die Oreo-Verpackung aus der Hand, fischt sich einen der Kekse heraus, dreht ihn auf und schiebt sich die Kekshälfte ohne die Creme in den Mund. Während sie kaut, wirf sie die Kekspackung wieder auf Kimmys Bauch und mustert ihre Freundin einen Moment von oben.
„Kimmy?“ Kimmy versucht gerade vergeblich, einen Keks aus der Packung herauszubekommen, deshalb macht sie nur: „Hm?“, als Antwort, dass sie ihre Freundin gehört hat. „Kann ich dich mal was fragen?“ Beinahe ein bisschen irritiert lässt Kimmy die Packung sinken und sieht ihre Freundin fragend an.
„Natürlich.“ Sie setzt sich auf. Normalerweise fragt Betty sie alles, was sie wissen möchte, ohne vorher zu fragen, ob sie es darf. Außer es geht um Lennard. Und deshalb ist Kimmy umso überraschter, als ihre beste Freundin sie nicht auf Lennard anspricht.
„Hast du schon mit Jez geschlafen?“ Kimmy legt den Kopf schief und sieht ihre Freundin einen Moment an, bevor sie kurz die Stirn runzelt und dann den Kopf schüttelt.
„Nein, warum?“ Betty zuckt die Schultern und weicht Kimmys Blick für einen Moment aus.
„Keine Ahnung.“ Kimmy lehnt sich zur Seite und stellt die Kekspackung auf dem Boden der Terrasse ab. Sie kennt ihre beste Freundin gut genug, um zu wissen, dass sie so eine Frage nicht ohne Hintergedanken stellt. Deshalb mustert sie sie jetzt auch. Bis Betty sich irgendwann gezwungen sieht, ihre Freundin anzugucken.
„Und jetzt ehrlich?“, fragt Kimmy leise. Betty zuckt die Schultern und sieht auf den Reisverschluss von Kimmys blauer Jacke. „Hast du schon mit Max?“ Eigentlich meint Kimmy die Antwort auf die Frage zu wissen, deshalb ist sie umso überraschter, als Betty diesem beinahe sicheren Wissen widerspricht und den Kopf schüttelt.
„Nein.“ Sie hebt den Blick und sieht ihrer Freundin für einen Moment in die Augen. „Hat Jez schon mit dir drüber geredet?“ Einen Moment braucht Kimmy, bis sie die Frage richtig wahrnimmt. Warum, weiß sie selbst nicht. Vielleicht, weil die Gewissheit sie irgendwie ein bisschen verwirrt, dass sie mit ihrem Gedanken die ganze Zeit falsch lag. Mit der eigentlichen Gewissheit, dass Betty ihr erstes Mal schon längst hatte.
„Ja, einmal kurz.“ Kimmy hebt die Kekspackung wieder vom Boden auf und lehnt sich dann gegen die gepolsterte Rückenlehne der Hollywoodschaukel. „Ich hab ihn gefragt, ob er schon einmal mit einem Mädchen geschlafen hat und ich hab ihm gesagt, dass ich irgendwie ein bisschen Angst davor habe.“ Betty sieht ihre Freundin einen Moment an, bevor sie die Frage stellt, die Kimmy eigentlich nicht beantworten will. Einfach, weil sie nicht weiß, ob Jez will, dass Betty solche ‘intimen‘ Dinge über ihn weiß.
„Hatte er schon?“ Einen Moment zögert Kimmy, dann schüttelt sie den Kopf. Betty weiß schließlich, dass Jez Menschen, die mit jemand anderem schlafen, obwohl keine Gefühle da sind, verabscheut. Zwar weiß sie auch, dass Jez vor Kimmy schon einmal eine Freundin hatte, aber sie weiß genauso wenig wie Kimmy selbst, was für eine Beziehung er und seine Freundin geführt haben.
„Nein.“ Betty sieht auf die Kekspackung in Kimmys Händen und nimmt sich einen Keks aus der Packung.
„Manchmal habe ich einfach das Gefühl, dass Max schon gerne mit mir schlafen würde. Aber nicht, weil er mich so liebt, sondern weil er dann weiß, wovon manche von den anderen reden…“ Überrascht legt Kimmy die Kekspackung neben sich auf die Sitzfläche der Hollywoodschaukel und sieht ihrer Freundin einen Moment mit schief gelegtem Kopf in die Augen. Als sie noch nicht mit Jez zusammen war und er auch noch nicht hier gewohnt hat, hat Kimmy versucht, sich bei dieser Art von Gesprächen immer auszuklinken. Natürlich hat sie sich schon einige Male einen Kopf darüber gemacht, wann, wo und vor allem mit wem sie ihr erstes Mal erleben wird, aber diese Gespräche, als wäre es ein Muss für jedes Sechzehnjährige, ihr erstes Mal schon erlebt zu haben und als wären manche nur wegen des Sex zusammen, haben sie irgendwie verunsichert und nicht zu ihrer Meinung zu diesem Thema gepasst. Dass die Gespräche nicht nur zwischen den Mädchen sondern auch zwischen den Jungs innerhalb der Clique von Sex handeln, war ihr auch irgendwie klar, aber Kimmy kann trotzdem nicht ganz verstehen, dass es Menschen gibt, die ihr erstes Mal nur erleben wollen, um bei diesen Gesprächen mitwirken zu können.
„Ehrlich?“ Irgendwie kann Kimmy sich nicht vorstellen, wie es wäre, wenn Jez sie zwar lieben würde, aber trotzdem nur mit ihr schlafen wöllte, um mit den anderen darüber reden zu können.
„Max ist echt süß zu mir. Ich weiß, dass er mich liebt und dass er mich damit nicht verletzten will, aber trotzdem fühlt man sich dann wie eine Puppe, mit der man alles machen kann.“ Einen Moment macht Betty eine Pause seufzt leise. „Er hat es noch nie wortwörtlich zu mir gesagt, aber irgendwie fühle ich das…“ Kimmy sieht ihrer Freundin noch immer in die hellen Augen und hebt fast ein bisschen überrascht sie Hände, als Betty ihren Kopf auf Kimmys Schoß sinken lässt und für einen Moment die Augen schließt. „Ich will einfach nicht, dass die halbe Stufe darüber Bescheid weiß, wann ich mit Max geschlafen habe und wie es war!“ Kimmy streicht ihre Freundin durchs Haar und legt den Kopf schief.
„Ich glaube, du solltest ihn mal darauf ansprechen. Natürlich nicht: ‘Du willst nur mit mir schlafen, um den anderen davon erzählen zu können‘. Eher so, dass du ihm sagst, dass du dich dabei nicht wohl fühlst.“ Kurz macht Kimmy eine Pause. „Und dass es dir unangenehm ist, wenn zu viele andere Leute wissen, wann du mit ihm geschlafen hast. Er wird er verstehen, da bin ich mir ganz sicher.“ Betty sieht ihre Freundin von unten herauf an und lächelt dann halbherzig.
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Jez sitzt auf dem Sofa und fährt mit den Fingern einer Hand sanft durch Jeremys dunkles Haar. Er hat sein Kopf auf Jez rechtem Bein gebettet und sieht zusammen mit seinem großen Bruder das Ende irgendeines uralten Films, der noch im Fernseher läuft. Es ist schon kurz nach halb elf, was bedeutet, dass es nicht mehr lange dauert, bis Jez‘ und Jeremys Mutter heimkommt. Zwar weiß Jez, dass seine Mutter sich riesig darüber freuen wird, dass sie ihren Jüngeren wieder bei sich hat, aber andererseits weiß er auch, dass er sich auf ein nicht so schönes Gespräch mit seiner Mutter einstellen muss, weil er sich ihr widersetzt und Jeremy trotz ihres Verbots alleine aus Köln geholt hat. Nur schwer kann Jez sich bei der Vorstellung ein Seufzen unterdrücken. Um sich abzulenken, angelt er sich eins der Gummibärchen aus der Haribo-Box, die vor Jeremy auf dem Sofa steht und die die beiden heute Abend und die Hälfte geleert haben. Das Gummibärchen hat noch nicht mal Jez Mund erreicht, da hört er das leise Knacken des Schlüssels, als seine Mutter die Haustüre öffnet. Langsam lässt Jez die Hand mit dem Weingummi wieder sinken, bevor er die andere Hand hebt, sodass Jeremy sich aufsetzt kann. Einen Moment sieht Jeremy seinen Bruder an, dann setzt er sich auf und schiebt sich noch ein Gummibärchen in den Mund, bevor er zur Wohnzimmertür sieht, durch die gerade seine und Jez‘ Mutter tritt.
„Hallo Je-“ Sie schafft es nicht, den Namen ihres älteren Sohn auszusprechen. Vorher entdeckt sie Jeremy neben seinem Bruder auf dem Sofa sitzen. Einen Moment sieht sie ihren älteren Sohn ungläubig an, dann erhellt sich ihr Gesicht und sie hebt die Arme, um ihren jüngeren Sohn nach fast zwei Monaten wieder in die Arme schließen zu können. Jeremy springt vom Sofa auf und springt seine Mutter nicht weniger freudig in die Arme als er Jez am Vortag noch begrüßt hat.
„Hallo Mama“, flüstert er so leise, dass Jez nur erahnen kann, dass Jeremy genau das gesagt hat.
„Jeremy…“ Auch in dem nur durch das flackernde Licht des Fernsehers erhellen Zimmer kann Jez erkennen, dass seine Mutter die Augen geschlossen hat, als sie ihren Sohn eng an sich drückt. Jez weiß ganz genau, wie sehr es ihr jeden Tag aufs Neue das Herz gebrochen hat, wenn sie morgens nicht in Jeremys Kinderzimmer gehen konnte, um ihn – nachdem er seinen Wecker ausgemacht hat und wieder eingeschlafen ist – nochmal zu wecken. Die ständigen, liebevollen und gleichzeitig auch oftmals sinnlosen Diskusionen zwischen ihren beiden Söhnen. Dinge, über die sie sich in Köln noch oft beschwert hat, aber die in ihren Alltag genauso reingehörten, wie in Jez‘ und Jeremys. Jez‘ Mutter löst sich auf Jeremys Umarmung und erhebt sich, bevor sie ihren älteren Sohn einen Moment ansieht. Dankbar und ein wenig enttäuscht, irgendwie. Enttäuscht, weil ihr Sohn sich nicht an die Absprache gehalten hat, dankbar aber, weil er sich doch durchgesetzt hat und Jeremy jetzt schon hier, in Fautenbach, ist. Und die Dankbarkeit überwiegt. „Ich glaube, ich frag jetzt erstmal nicht, wie ihr das gemacht habt.“ Jeremy folgt dem Blick seiner Mutter und sieht seinen großen Bruder einen Moment an. Ihm ist erst jetzt bewusst geworden, dass sein Bruder sich für ihn nicht nur Stress mit ihrem Vater eingehandelt hat.
„Das ist glaub ich auch besser so“, murmelt Jez und lächelt zögerlich. Deutlich nimmt er wahr, dass seine Mutter ihn für einen kurzen Moment fast ein bisschen erschrocken ansieht, dann legt sie den Kopf schief und lächelt.
Texte: xXNiicolexX
Bildmaterialien: ThousandpointoneMusicFreak
Tag der Veröffentlichung: 11.05.2016
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