Gerte Krankerty liegt stöhnend im Sommer 1999, es ist drückend heiß in ihrem modernen Bett. Gerte hat schwarz graues Haar und es ist kurz geschnitten. Sie lebt in der Kleinstadt. Gerte leidet an ihrer Krebskrankheit, genauer gesagt Brustkrebs. Der Krebs hat den ganzen Körper angegriffen. Sie kommt seit Jahren nicht mehr an die frische Luft. Sie kann auch seit Jahren nicht mehr so richtig gehen oder laufen. Sie kann seit Jahren nicht, was andere mit ihren 76 Jahren noch alles können und kann seit Jahren auch nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen. Gerte wischt sich die Tränen ab. Ihre Augen sind rotgerändert. Sie möchte doch am liebsten aufstehen.
Übrigens, mein Name ist Montico und ich bin der ein zigste Sohn von Gerte. Geschockt bin ich, wie sie mir erzählte, dass sie einen Hustenanfall bekommt. Ich machte mir Sorgen. Sorgen machten sich auch ihre Nichten. Gerte hat drei Nichten mit den Namen, Jessica, Angela und Monika. Sie kümmerten sich alle drei rührend. Jessica besorgt Lebensmittel, wäscht ab und führt anregende Gespräche mit ihrer Tante Gerte.
Gerte war eine ganz fürsorgliche Person und kann keiner Fliege etwas zu leide tun. Sie ist eher ruhig, viel zu gutherzig. Das Pflegepersonal ist gerade da, als Gerte einen schweren Hustenanfall bekommt.Sie wissen jetzt alle, Gerte ist bestimmt nicht zu retten.
Sie muss sofort ins nahegelegene Krankenhaus eingeliefert werden. Gerte zitterte vor Angst. Sie spürte wohl schon, was alles noch auf sie zukam. Der Krankenwagen wartete nicht lange und raste mit ihr ins nahegelegene moderne Krankenhaus. Die Krankenwagenfahrer sind freundlich, nehmen Anteil an Gertes letzter Reise. Das moderne Krankenhaus am Rande der Kleinstadt Kamp-Lintfort verspricht scheinbar schnelle Hilfe.
Die so genannten Götter in weiß schieben Gerte nun in mit der neuesten Technik ausgestatteten Röntgenraum. Wenige Minuten später, wird sie aufs Weißgetünchte Zimmer in einem Bett gefahren. Drei Patienten befanden sich noch in diesem Zimmer. Das Pflegepersonal kümmerte sich aufopfernd. Die Patienten sind beruhigt. Eine nicht gerade einladende, bedrückende Atmosphäre ist hier deutlich zu spüren.
Kaum zu glauben, alles fing 1987 an. Vater starb. Ich konnte mich noch ganz genau daran erinnern. Gerte verbrachte vierzig Jahre ihres Lebens in Kamp-Lintfort. Hart Arbeitend, doch mit einem ausgefüllten Leben. In einem Eigenheim opferte sie sich für Haushalt, Mann, für mich und für ihren Garten auf. Sie putzte, kochte. Rosen, Stiefmütterchen, Tannen, grüner Rasen, brauchten ihre pflegenden Hände. Es war für sie ein riesiger Schock, ihr kleines Paradies von heute auf morgen aufgeben zu müssen.
Nicht zu ertragen. Sie fühlte sich von der Mitwelt im Stich gelassen. Die neue Unterkunft war eine Bergmannswohnung. Eine verdammte Mietwohnung. Unterstützen sollte man Gerte, wo es nur gerade geht. Dicke Tränen kullerten ihr übers schmale Gesicht. Man wird vierzig Jahre Wohnrecht und harte Arbeit, knüppel harte Arbeit ihr nicht übelnehmen. Das tut ganz schön weh. Ich wartete den nächsten Tag ab. Getrennt von meiner Mutter, meiner geliebten Mutter, deren Klageruf in meinen Ohren bis heute nicht verstummte.
Gestärkt machte ich mich wieder auf den Weg zu ihr. Sie befand sich plötzlich in einem Einzelzimmer. Sie spricht nicht mehr und bekommt im fortgeschrittenem Stadium Morphium. Der Krebs ist nicht mehr zu bremsen. Vor einigen Tagen sagte Gerte noch zu mir.,,Was wird jetzt aus dir?"
,, Ich werde schon durchkommen."
,, Melde die Wohnung, das Telefon und die laufenden Verpflichtungen ab."
,, Regele alles, was es noch zu erledigen gibt."
,, Bleibe anständig und mache mir keine Schande."
Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Der verdammte Krebs breitete sich nun überall im Körper aus.
Gerte ist an einem Atemgerät angeschlossen. Überhaupt kein Hoffnungsschimmer mehr. Ihre braunen Augen öffneten sich für einen sehr kurzen Moment. Es herrschte eine Totenstille in diesem kalten Raum. Ich merkte jetzt, dass Atmen fällt ihr immer schwerer. Den üblichen Krankenhausrummel bekommt sie nicht mehr mit. In dem Raum steht ein Bett, ein Waschraum verbirgt sich hinter einer Schiebetür, ein brauner Ledersessel lädt ein, sich ein bisschen auszuruhen. Mit traurigen braunen Rehau gen blickte ich nun die Wand an. An der Wand hing ein Kreuz. Ich war nun Tag und Nacht mit meiner Mutter zusammen.
Es ist schon gespensterhaft in dieser Nacht. Unerklärlich gruselig. Das Pflegepersonal schaut hin und wieder in den kommenden Nächten nach dem rechten. Meine Mutter wird medizinisch versorgt. Für mich fast unerträglich. Es geht langsam zu ende. Ein Diensthabender Halbgott in weiß, beruhigt auch meine Nichten. Ich habe schon lange kein richtiges Vertrauen mehr zu diesen Quacksalbern. Zu viel Mitgemacht in den letzten Jahren.
Ein noch junger Pfarrer war anwesend und eine Nonne stand an ihrem Bett. Der Pfarrer erteilte den letzten Segen und ich konnte nur weinend zusehen, meiner Mutter die Hände streicheln. Die Nonne verbrachte den ganzen lieben langen Tag in diesem Zimmer. Sie sprach einige tröstende Worte zu mir. Mir ist aber damit nicht geholfen. In meinem Kopf lief nun ein Film ab. Ein Film, der meine behütete Jugend und die unvergesslichen Tage mit meiner Mutter wieder spiegelte.
Es war so 4:40 Uhr in der früh und ich hielt meine Mutter in meinen Armen. Ich streichelte ihre Hände. Die Nachtschwester sagte mir, als sie wieder den Raum betrat: ,,Das sind die letzten Atemzüge Ihrer Mutter."
Ein letzter Atemzug und alles ist vorbei. Schrecklich alles mit anzusehen. Helfen kann man nicht mehr. Es läuft mir ein Eiskalter Schauer über den Rücken. Plötzlich wird mir ganz kalt, ziemlich kalt, eiskalt. Ich zitterte am ganzen Körper.
Das Atemgerät schaltet man einfach so ab. Einige Minuten durfte ich von ihr abschied nehmen und die Nachtschwester versuchte mich zu beruhigen. Ich hatte drei Nächte nicht mehr geschlafen, mich immer wieder mit Kaffee vollgepumpt und wachgehalten. Weinen, so richtig weinen, konnte ich auch nicht mehr. Alles ist nun vorbei. Ich war von diesem schrecklichen Ereignis so richtig fix und fertig. Ich rief dann gleich den Bestatter an und er stand mir mit Rat und Tat, es war mittlerweile 9:00 Uhr in der Früh, in meinen schwersten Stunden meines Lebens, zur Seite.
Einige für mich schauderhaften Tage vergehen und der Pfarrer hielt in einer kleinen Kapelle, Waldfriedhof Dachsberg die Trauerrede. Mein Zustand war wohl nicht mehr der beste. Diese Situation drohte mich hier zu zerschmettern. Ich konnte meine Mutter nun nicht mehr sehen und hören. Stand jetzt verlassen an ihrem Grab. Ein Bild trage ich in meinem Herzen. Meine Mutter war eine ganz liebe Person, für mich natürlich die beste Mutter der Welt, sie hatte grau schwarzes Haar. Sie war eine fürsorgliche Person und konnte doch keiner Fliege was zu leide tun. Sie war ruhig, gelassen und zurückhaltend. Viel zu Gutherzig.
Die Trauergemeinde bewegte sich auf das offene Grab zu. Es waren Personen, die alle eine wichtige Rolle im Leben meiner Mutter gespielt haben.
Die Sargträger ließen nun den schweren Sarg in die Tiefe gleiten. Das Grab wird nicht mit bunten Blumen und auch nicht mit einem Grabstein geschmückt. Man nennt das Grab, die stille Wiese, also ein Anonymes Grab.
Zu ihren Lebzeiten wollte Gerte es so und nicht anders. Ich sah mit an, wie meine Mutter sich ihr ganzes Leben lang plagte und sich für andere aufopferte.
Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag und ist so wunderlich als am ersten Tag.
Texte: Dieter Battisti
Cover: Pixa Bay
Tag der Veröffentlichung: 06.06.2020
Alle Rechte vorbehalten