Jeder fünfte Deutsche leidet unter Flugangst. Ich kann ein Lied davon singen. Auch ich gehöre zu den zwanzig Prozent, die Schweißausbrüche im Ausmaß der Niagarafälle bekommen, sobald sie nur an ein Flugzeug denken. Mit dem rasenden Herzschlag könnte man die Schallmauer durchbrechen, und der Kopf dreht sich, als wäre man selbst ein Kettenkarussell.
Das ist der Grund, warum ich mich bisher erfolgreich gedrückt habe, ein Flugzeug zu betreten.
Es ist 2:07 Uhr in der Nacht. In diesem Moment befinde ich mich auf dem Weg zum Flughafen. Meine beste Freundin Sarah möchte ihre Großeltern in Portugal besuchen. Das ist nicht das erste Mal, dass ich sie zum Flughafen begleite.
Trotzdem gibt es heute einen entscheidenden Unterschied: Ich, Talina Blau, die unbestreitbar an Aviophobie leidet, werde mich am Terminal nicht von Sarah verabschieden. Oh nein, ich werde mit ihr in den Bereich nur für Passagiere gehen.
Richtig vermutet, ich besuche mit ihr ihre Großeltern. Obwohl wir noch eine halbe Stunde unterwegs sein werden, ist mein Shirt bereits jetzt schweißgetränkt. Würde mein Puls an einem Autorennen teilnehmen, wäre er haushoher Gewinner. Wie kann Sarah nur so locker bleiben? Bedenkt sie überhaupt nicht, dass das Flugzeug abstürzen kann? Angst vor Höhe habe ich nicht, und es ist bestimmt ein fantastischer Blick aus dem Fenster. Dessen ungeachtet befürchte ich, den morgigen Tag nicht zu erleben.
Warum ich mir das dann antue? Ja, das frage ich mich auch gerade.
Sarah hat einfach nicht locker gelassen, bis ich nachgegeben habe. Mein Testament habe ich vorsorglich gestern schon geschrieben. Meinen E-Bass soll meine Großmutter erhalten. Spielen kann sie ihn nicht, aber er wird sicher schön an der Wand aussehen, und sie wird mich nicht vergessen. Mehr habe ich nicht, was ich vererben könnte.
Sarah hält mir ein kleines Fläschchen vor die Nase. „Nimm ein paar Tropfen! Das beruhigt dich.“
Meine Hand zittert, als ich es entgegennehme. „D… danke.“
„Du musst keine Angst haben. Ich bin schon so oft geflogen. Es ist noch nie etwas passiert. Fliegen ist die sicherste Art zu reisen.“
„Sag das meiner Phobie! Die glaubt nicht daran.“ Die Angst kreist wie ein Adler über meinem Kopf und lässt mich erschaudern.
Sarahs Mutter, die sich bereit erklärt hat, uns zu fahren, wirft mir im Rückspiegel einen aufmunternden Blick zu. „Sarah hat recht. Vor dem Fliegen brauchst du keine Angst zu haben, Talina. Sarah wird dich ablenken.“
Sarah hebt ihren Rucksack auf den Schoß. Sie durchwühlt ihn und überreicht mir Bobby und Lucky, meine beiden persönlichen Glücksbringer.
„Woher…?“
Sarah grinst. „Deine Oma. Sie hat mich gebeten, sie mitzunehmen.“
Als ich an meine Großmutter denke, muss ich lächeln. Sie weiß einfach, wie ich mich fühle.
Ich drücke Bobby und Lucky an mich. „Was würde ich nur ohne Oma tun?“
Sarah legt eine Hand auf meine Schulter. „Einen Block und Stifte habe ich auch dabei. Du könntest eine Geschichte über unseren Urlaub schreiben.“
Kopfschüttelnd zische ich. „Du hast vielleicht Ideen.“
„Warum denn nicht? Du könntest im Flugzeug damit anfangen“, schlägt sie vor.
„Celine ist die Autorin, nicht ich. Wenn ich etwas aufschreibe, dann höchstens einen Songtext“, erwidere ich. „Wer sollte schon lesen wollen, wie ich meinen Urlaub verbringe? Alle werden es langweilig finden.“
„Es muss doch kein Meisterwerk sein, einfach nur eine kurze Geschichte, die man zwischendurch liest, um vom Alltag abzuschalten. Außerdem habe ich nicht gesagt, dass du sie veröffentlichen sollst, obwohl das natürlich möglich wäre.“
Sie lässt einfach nicht locker, und ich weiß, wie stur sie sein kann. Sarah ist nicht erst seit gestern meine beste Freundin.
„Na gut, du hast gewonnen“, gebe ich nach.
Ich werde über unseren Urlaub in Portugal schreiben. Vergesst nicht, dass ich Steuerfachangestellten-Auszubildende im zweiten Lehrjahr, und nicht Schriftstellerin, bin!
Für Folgen von Augenrollen während des Lesens übernehme ich keine Haftung.
Wenn ihr die Geschichte langweilig und schlecht findet, wendet euch bitte an Sarah. Sie hat diese Idee gehabt. Ihre Adresse folgt im Anschluss.
„Viel Spaß euch beiden, und guten Flug.“ Sarahs Mutter umarmte nacheinander Sarah und mich.
Am liebsten hätte ich sie nicht mehr losgelassen. Wenn sie jetzt ging, gab es kein Zurück mehr.
Nimm mich mit, flehte ich im Stillen.
Leider beherrschte Sarahs Mutter die Fähigkeit der Gedankenübertragung nicht. Sie lächelte, winkte, drehte sich um und schlenderte davon. Sie brauchte sich auch keine Sorgen zu machen. Gleich saß sie im Auto, während ich die Hölle passierte.
„Warum sind wir nicht mit dem Auto oder dem Zug nach Portugal gefahren?“, fragte ich Sarah.
Sie legte den Arm um meine Schultern. „Das dauert viel zu lang. Talina, ich bin bei dir, und ich verspreche dir, dass wir sicher in Portugal landen werden.“
„Seit wann bist du Hellseherin?“ Meine Stimme, meine Arme, meine Beine – alles zitterte.
„Möchtest du etwas essen? Vielleicht geht es dir dann besser“, wechselte sie einfach das Thema.
Bei dem Gedanken kroch Magensäure meine Speiseröhre hinauf. Ich schüttelte den Kopf und drückte meine Faust vor den Mund.
„Talina, du siehst so blass aus. Komm, wir setzen uns einen Moment hin, bevor wir die Koffer aufgeben!“, entschied Sarah.
Zustimmend nickte ich und schlurfte neben ihr zu einer Bank. Mit einem Seufzer ließ ich mich darauf plumpsen.
„Wenn wir doch nur schon in Portugal wären“, murmelte ich.
Die Flugangst haftete an mir wie eine Klette, so sehr ich auch versuchte, sie abzuschütteln.
Sarah griff nach meiner Hand. „Es wird alles gut werden. In ein paar Stunden sind wir bei meinen Großeltern.“
Ich zuckte mit den Schultern. „Hm.“
Mir machte das Fliegen an sich nichts aus. Die Tatsache, dass wir möglicherweise abstürzten, bereitete mir Sorgen.
Vor meinem inneren Auge tauchte eine Szene auf.
Sarah und ich saßen lachend im Flugzeug. Sarah zeigte Solidarität und bestellte auch sich ein Glas alkoholfreien Sekt, obwohl ich ihr versicherte, dass sie das nicht musste. Schließlich war sie nicht diejenige, die aufgrund eines angeborenen Herzfehlers auf Alkohol verzichten musste.
„Man schmeckt gar keinen Unterschied“, meinte sie.
Ob das stimmte, wusste ich nicht, aber ich fand es eine nette Geste von ihr. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich eine Rauchschwade.
In diesem Moment meldete sich der Pilot zu Wort: „Meine verehrten Damen und Herren, danke, dass Sie sich für unsere Fluggesellschaft entschieden haben. Die gute Nachricht zuerst: Wir landen früher als erwartet. Die schlechte: Höchstwahrscheinlich werden wir diese Landung nicht überleben.“
„Talina.“ Sarah tippte auf meine Schulter, und ich öffnete meine Augen.
Sie reichte mir ein Taschentuch. Mit dem Zeigefinger rieb ich über meine Wange. Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass ich geweint hatte.
Sie legte den Kopf schief. „Hör auf, dir dauernd so ein Horrorszenario vorzustellen!“
„W… was?““
„Talina, ich kenne dich. In deinem Gesicht kann ich ablesen, dass du dir gerade vorgestellt hast, dass das Flugzeug abstürzt.“
Ertappt.
„Findest du das lächerlich?“, fragte ich.
Sarah griff nach meiner Hand. „Es ist nicht lächerlich, dass du Flugangst hast, nur unnötig. Denk doch einmal daran, dass täglich Unfälle auf der Straße passieren! Trotzdem lässt du dein Auto nicht stehen.“
„Ja, aber da habe ich selbst die Kontrolle“, warf ich ein.
„Und was wäre, wenn dir jemand hineinfahren würde?“, gab sie zu bedenken.
Ich nickte. „Ich weiß, was du meinst. Es ist mir selbst peinlich, dass ich solche Angst habe.“
Sarah schenkte mir ein Lächeln. „Das muss dir nicht peinlich sein. Sperr deine trüben Gedanken ins Gefängnis und wirf den Schlüssel weg! Das Flugzeug wird nicht abstürzen. Du hast mein Wort. Habe ich jemals ein Versprechen gebrochen?“
Auf diese Frage konnte ich nur den Kopf schütteln.
„Siehst du. Komm, wir geben unsere Koffer ab! Du darfst auch aussuchen, ob du am Fenster sitzen möchtest.“
„Ich nehme den Fensterplatz“, sagte ich.
Sarah lachte und erhob sich. „Einverstanden.“
„Ja, wenn wir schon abstürzen, will ich wenigstens eine schöne Aussicht haben.“
Sie verdrehte die Augen, grinste allerdings. „Na, komm schon, kleine Pessimistin!“
Sarah stopfte sich eine Pommes frites nach der anderen in den Mund, während ich die Salatblätter auf meinem Teller mit der Gabel hin- und herschob.
Nachdem wir unsere Koffer abgegeben hatten, konnte mich meine beste Freundin doch noch dazu überreden, ins Flughafen-Restaurant zu gehen. Nur ihr zuliebe hatte ich mir einen grünen Salat bestellt.
„Ganz schön versalzen, aber ich habe so großen Hunger“, sagte Sarah. „Was ist mit dir?“
„Oh, ich bin nicht hungrig“, erwiderte ich und schob den Teller von mir.
„Deshalb hat dein Magen so laut geknurrt. Es wird dir besser gehen, wenn du etwas gegessen hast.“ Sie nahm ihre Cola und trank einen großzügigen Schluck.
„Oder mir wird noch schlechter, und ich spucke im Flugzeug alles wieder aus.“ Mein Handy klingelte, und ich fischte es aus meiner Handtasche.
Die Nachricht war von Jens.
Na, bist du schon aufgeregt? Ich wünsche euch einen guten Flug und viel Spaß in Portugal. Kommt gesund wieder zurück.
Aufgeregt war noch eine schmeichelhafte Umschreibung für meinen Gemütszustand. Gleich fünfmal musste ich die Antwort neu eingeben, weil ich mich immer wieder vertippte. Vielleicht hätte ich die Autokorrektur nicht ausschalten sollen. Warum mussten meine Finger nur so zittern? Konnte ich meinem Freund nicht eine einfache Nachricht schreiben? Dumme Phobie!
Sehr. Bitte drück die Daumen, dass das Flugzeug sicher landet!
Beide Daumen sind gedrückt. Keine Angst, Talina. Alles wird gut. <3
Danke. <3
„Jens“, erklärte ich und packte das Handy wieder zurück in die Tasche.
Sarah nickte. „Das habe ich mir gedacht.“
„Er drückt uns beide Daumen“, erzählte ich.
„Dann kann ja nichts mehr schieflaufen. Möchtest du nicht doch etwas essen?“
Ein zaghaftes Lächeln verirrte sich in mein Gesicht. „Ein wenig.“
Warum war ich eigentlich so nervös vor der Kontrolle des Handgepäcks, wenn ich doch nichts zu verbergen hatte? Ich vergrub meine Hände in der Hosentasche, was nicht verhinderte, dass sie wie Blätter im Wind zitterten.
Denk an den Strand, an das tolle Wetter in Portugal, versuchte ich, mich abzulenken.
Sarah war an der Reihe. Wie selbstverständlich legte sie ihren Rucksack, ihren Gürtel und ihre Jacke in eine Wanne, die auf einem Förderband weiter transportiert wurde.
Ein dezenter Hinweis zeigte, dass die Passagiere nicht verpflichtet waren, sich in den Ganzkörperscanner zu stellen. Na dann würde ich das auch nicht machen.
Das Flughafenpersonal bat Sarah, beide Arme zu heben und sich in eine Art Kabine zu begeben. Meine beste Freundin nickte und tat wie ihr geheißen.
„Ich möchte das nicht“, sagte ich mit zitternder Stimme.
Das Flugzeug wird nicht abstürzen. Es wird alles gut, sprach ich mir in Gedanken selbst Mut zu.
Der Sicherheitsbeamte schüttelte den Kopf. „Das geht nicht. Die Scanner sind Pflicht.“
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Und warum steht auf dem Zettel, dass es freiwillig ist?“
Der Mann verdrehte seine Augen. „Stellen Sie sich doch nicht so an! Das geht ganz schnell. Andernfalls müssten Sie von einer Kollegin von Hand abgetastet werden.“
„Dann rufen Sie bitte eine Kollegin!“, meinte ich.
Er schnaubte. „Mann, jetzt gehen Sie schon durch! Sie halten den ganzen Verkehr auf. Wenn Sie sich weigern, haben Sie wohl etwas zu verbergen.“
„Nein, trotzdem möchte ich nicht komplett abgescannt werden. Bitte rufen Sie eine Kollegin!“
„Warum sind Sie so nervös?“
„Weil ich Flugangst habe.“
„Ey, Sie halten den ganzen Verkehr auf! Los, gehen Sie einfach in den Scanner! Sonst müssen wir die Bundespolizei rufen. Dann werden Sie komplett durchgecheckt. Wenn Sie Ihren Flug dadurch verpassen, ist das nicht mein Problem.“
Aha, er wollte mich also einschüchtern. Auch wenn hinter mir einige Passagiere genervt aufstöhnten, blieb ich hartnäckig.
„Ich lasse mich nicht abscannen.“
„He, Fritz, Probleme?“, rief ihm ein Kollege zu.
„Die weigert sich einfach“, erwiderte der unfreundliche Mitarbeiter.
„Dann muss sie eben komplett durchsucht werden. Ruf eine Kollegin!“
„Und was soll ich als Grund eingeben, warum sie sich weigert?“
„Ich bin schwanger“, redete ich dazwischen.
Nach ein paar Minuten erschien eine Kollegin, die mich aufforderte, meine Schuhe auszuziehen. Sie hatte eine spezielle Sonde in der Hand, mit der sie meinen Körper entlangfuhr, ehe sie mich abtastete.
„In Ordnung. Ich habe nichts gefunden“, meinte sie schließlich.
Ich atmete aus und schnappte mir die Schuhe. „Danke.“
Als ich zu Sarah trat, sah mich diese mit hochgezogener Augenbraue an.
„Was denn? Denkst du, ich möchte komplett durchleuchtet werden? Diese Scanner gehen für mich zu weit. Wer weiß, ob nicht doch richtige Nacktfotos gespeichert werden. Ich traue dieser Technik nicht“, sagte ich.
„Du bist doch nicht wirklich schwanger?“
Grinsend schüttelte ich den Kopf. „Das war die erste Ausrede, die mir eingefallen ist.“
Das Flugzeug konnte man sehen. Es stand direkt am Terminal, verbunden durch eine Röhre. Hatten mir meine Augen einen Streich gespielt, oder war an einem Triebwerk ein Funken gewesen? Was würde geschehen, wenn bei der Wartung übersehen worden war, dass mit dem Flugzeug etwas nicht in Ordnung war?
„Das ist verrückt. Wer steigt schon freiwillig da ein?“, murmelte ich.
Sarah legte den Arm um meine Schultern. „Hatten wir das nicht schon? Talina, ich verspreche dir, dass wir nicht abstürzen. Weißt du, wie oft ich schon geflogen bin?“
„Vielleicht bin ich ja ein Unglücks-Magnet…“, begann ich.
„He, du hast dich erfolgreich gegen den Scanner gewehrt. Da ist ein kurzer Flug doch eine Kleinigkeit für dich“, unterbrach sie mich.
„Mir ist schlecht“, jammerte ich.
Menschen mit Flugangst verstanden, was ich gerade durchmachte. Für andere, wie Sarah, die das Fliegen liebten, war mein Verhalten merkwürdig.
Sie drückte mich auf eine Bank. „Setz dich hin und schreib an deiner Geschichte! Das lenkt dich ab.“
„Na gut, Chefin“, scherzte ich, nahm den Bleistift und schrieb von fiesen Flughafenmitarbeitern und qualmenden Triebwerken.
Eine fröhliche Geschichte würde es nicht werden, eher ein Drama.
„Flight PVA 455 ready for boarding“, ertönte eine Durchsage, und Sarah stupste mich an.
„Das ist unser Flug. Wir können endlich einsteigen.“ Sie strahlte, als gäbe es nichts Schöneres als über den Wolken zu schweben.
Die anderen Passagiere drängten nach vorne, was mich nicht störte. Ich hatte es nicht eilig, in dieses Stahlmonster zu steigen.
Es ging zügig voran – zu zügig für meinen Geschmack. Eine unsichtbare Hand drückte auf meinen Hals und erschwerte mir das Atmen. Kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Nein, ich wollte nicht einsteigen. Von der Portugal Vias Aéras hatte ich bisher noch nie gehört. Der Flug war besonders günstig gewesen. Wahrscheinlich sparten sie an der Sicherheit.
Schon nahm eine lachende Frau meine Bordkarte entgegen und scannte sie.
„Wann ist das Flugzeug zum letzten Mal gewartet worden?“, fragte ich mit piepsiger Stimme.
Ein Passagier, der gerade durch die Röhre gehen wollte, drehte sich kopfschüttelnd zu mir um.
„Sie fliegt heute zum ersten Mal und ist ziemlich aufgeregt“, erklärte Sarah und klopfte auf meine Schulter.
Die Mitarbeiterin der Fluggesellschaft lächelte mich an. „Der Flugkapitän überprüft höchstpersönlich vor jedem Start die Maschine. Es besteht kein Grund zur Aufregung.“
„Ist es ein erfahrener Pilot?“, hakte ich nach.
Hinter mir stöhnte jemand auf. „Ey, geht das mal bald weiter?“
„Man wird wohl noch fragen dürfen. Schließlich geht es hier um die Sicherheit“, wandte ich mich an die ungeduldige Frau. „Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihren Ellenbogen aus meinen Rippen nehmen würden.“
Die Frau zischte. „Eingebildete Schnepfe.“
Sarah zog mich hinter sich her, noch bevor ich meine Frage wiederholen konnte.
Am liebsten hätte ich mich von ihr losgerissen und wäre zurückgerannt. Wenn ich erst einmal in dem Flugzeug war, gab es kein Zurück mehr. Dann lag mein Schicksal in den Händen des Piloten.
„Guten Morgen, willkommen an Bord“, begrüßte uns ein Flugbegleiter am Ende der Röhre.
„Guten Morgen“, sagte Sarah.
„Hm“, erwiderte ich nur und folgte meiner besten Freundin in den Bauch des Flugzeuges.
In der fünfzehnten Reihe blieb sie stehen. „Das sind unsere Plätze. Möchtest du noch immer am Fenster sitzen?“
Ich nickte. „Das habe ich dir bereits gesagt. Wenn wir schon abstürzen, möchte ich wenigstens etwas sehen.“
Sie grinste und ließ mich zuerst Platz nehmen. „Der Flugbegleiter war doch wirklich süß, oder?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Darauf habe ich nicht geachtet.“
„Mensch, Talina, ich versuche nur, dich abzulenken.“
„Das wird dir nicht gelingen. Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Weißt du, wie ich mich gerade fühle? Als hätte mich ein riesiger Wal aus Stahl geschluckt. Es gibt kein Entkommen.“ Meine Finger kribbelten, und ich legte sie unter meine Oberschenkel.
Die Wände rückten immer näher aufeinander zu. Ich musste mich wirklich zusammenreißen, nicht zu weinen. Auf der einen Seite wollte ich fortlaufen, bevor die Tür geschlossen wurde. Andererseits schämte ich mich, dass ich nicht wie die anderen Passagiere den Start in den Urlaub genießen konnte.
„Tief einatmen und wieder ausatmen“, wisperte Sarah.
Ihren Tipp gegen meine Phobie versuchte ich, sofort umzusetzen. Mit geschlossenen Augen sog ich die Luft tief in meine Lungen. Es schien nichts zu bringen. Eine Träne fand ihren Weg an die Oberfläche und rann meine Wange hinab. Ob sich Sarah gerade ärgerte, dass sie mich überredet hatte, sie nach Portugal zu begleiten?
„Bom dia. Guten Morgen, meine Damen und Herren, die gesamte Crew von Portugal Vias Aéras begrüßt Sie ganz herzlich an Bord dieser Boing 737 auf unserem Flug nach Lissabon. Unsere voraussichtliche Flugzeit beträgt drei Stunden und fünfundzwanzig Minuten. Mein Name ist Felicia da Silva, und ich bin heute die Flugkapitänin. In Kürze werden wir Sie mit den Sicherheitsvorkehrungen vertraut machen. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt an Bord. Vielen Dank.“
Anschließend wiederholte sie alles auf Englisch.
„Meinst du, ich soll wirklich die gesamte Begrüßungsansage in meinem Buch erwähnen? Diejenigen, die schon geflogen sind, werden nur genervt die Augen verdrehen, und es unnötige Seitenfüllung nennen“, sagte ich zu Sarah.
Sie lachte mich an. „Mach dir darüber keine Gedanken! Du siehst das doch nicht.“
Die Sicherheitsansage beruhigte mich nicht. Im Gegenteil. Als die Flugbegleiterin die möglichen Probleme nannte, wurde mir mulmig zumute.
„Im unwahrscheinlichen Falle eines Druckabfalls…“
Jetzt brach der Schweiß aus allen Poren aus. Im unwahrscheinlichen Falle? Das bedeutete doch, dass es passieren konnte. Allein das reichte aus, um meinen Puls in die Höhe zu treiben. Könnte dieser fliegen, wäre er noch vor uns in Portugal.
„Ich darf Sie nun bitten, Ihren Sitz in eine aufrechte Position zu bringen, den Sitzgurt zu schließen und festzuziehen. Bitte klappen Sie die Tische vor Ihnen nach oben. Elektronische Geräte schalten Sie bitte nun aus. Sie können diese im Flugmodus verwenden,
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Stella-Anien Holz
Bildmaterialien: Melanie F.
Tag der Veröffentlichung: 19.01.2017
ISBN: 978-3-7438-2185-9
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Tim, meinen treuesten Testleser
Mit Kummer kann man allein fertig werden, aber um sich aus vollem Herzen freuen zu können, muss man die Freude teilen.
(Mark Twain)