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Abschied nehmen ist nicht leicht. Mal sind es traurige Anlässe, mal weniger traurige aber es hat immer etwas Endgültiges. So ging es uns auch mit Siggi.

 

Siggi war unser letzter Kanarienvogel. Nachdem wir jahrelang immer einen Kanarienvogel gehabt haben, wollte ich nach dem Ableben unseres Supersängers Kasimir unbedingt wieder einen Kanarienvogel haben. Allerdings sollte er ein wenig von der ruhigen Sorte sein. Unser Kasimir war schon ein ganz schöner Krachmacher, morgens mit dem ersten Sonnenstrahl legte er los und beglückte uns mit seinem Gesang. Manchmal war es uns schon ein wenig zu viel. Es gab auch Tage an dem er aus dem Wohnzimmer verbannt wurde, weil er wieder einmal seinen Schnabel nicht halten wollte. Nachdem Kasimir dann ins Vogelreich gegangen ist, wollte mein Mann auf keinem Fall wieder so einen Schreihals im Haus haben. Am liebsten gar keinen Vogel mehr.

 

„Nein, Papa, der nächste ist wieder ein ganz ruhiger. Genauso wie unser Beatle“, beschwichtigte meine Tochter ihren Papa. Dazu muss man wissen, dass Beatle ein Gloster Corona, ein sogenannter Haubenkanarienvogel war, mit einem Haarschnitt wie einst die Beatles. So bekam er dann gleich den richtigen Namen. Beatle war der Liebling unserer kleinen Familie und er wurde mit der Zeit sogar sehr zutraulich und setzte sich sogar auf unseren Finger. Das ist bei einem Kanarienvogel eigentlich recht unüblich. Unser Beatle war ein ruhiger Geselle, hin und wieder gab er seinen Gesang zum Besten, aber meist war er ruhig, piepste hin und wieder mal und flog seine Runden in unserem Wohnzimmer. Leider wurde Beatle nur sieben Jahre alt und verstarb, gerade, als wir im Urlaub waren. Meine Mutter, die unseren Vogel in Obhut hatte, war mit den Nerven fix und fertig. Sie traute sich erst gar nicht uns von seinem Ableben etwas zu erzählen. Beerdigt hat sie ihn dann an der Grabstätte meines Vaters. Ja, so war das.

 

Nun ja! Der nächste Kanarienvogel sollte wieder ein Haubenkanarie sein, der sich auch etwas ruhiger verhält. Ich war voller Tatendrang und klapperte die verschiedenen Züchter ab. Aber leider hatte niemand einen Haubenkanarie abzugeben. Schade.

 

Schließlich bin ich in die nächste Tierhandlung gegangen. Dort waren jede Menge Kanarienvögel. Gelbe, braune, weiße, alles was das Herz begehrt. An den Käfigen habe ich mir ziemlich lange die Nase platt gedrückt. Und dann hatte ich meinen neuen Liebling im Auge. Es war zwar kein Haubenkanarie, aber ebenfalls ein Gloster. Von der Farbe passte es und der Vogel saß sehr ruhig im Käfig. Sein Mitbewohner, vielleicht der Bruder, wer weiß? , flatterte ständig in Käfig hin und her und attackierte den Kleinen.

Also habe ich kurzentschlossen meinen Favoriten gekauft und mit nach Hause genommen. Meine Tochter war ganz begeistert als sie aus der Schule kam und wir beide tauften den Neuankömmling auf den Namen „Siggi“. Jetzt musste nur noch mein Mann von der Arbeit nach Hause kommen und das neue Familienmitglied begrüßen.

Siggi saß die ersten Stunden recht ruhig auf seiner Stange und begutachtete sein neues Zuhause. Mein Mann meinte nur, „Hoffentlich macht der nicht wieder so eine Theater wie sein Vorgänger.“ Damit war für ihn die Sache erledigt.

 

Schon am nächsten Tag gab unser Siggi seine ersten Töne von sich, erst ein recht zaghaftes Piepsen und nach ein paar Stunden versuchte er es sogar schon mit Gesang. Ich war begeistert. Nach und nach steigerte er sich und die Arien wurden länger und lauter, sehr zum Leidwesen meines stressgeplagten Ehemannes.

 

Es kam der Sommer und unser Siggi war nicht mehr zu bremsen, sobald er morgens die ersten Sonnenstrahlen sah und seine Artgenossen im Freien hörte, legte er los mit seinem Gesang. Ich wurde zusehends nervöser und versuchte den Kanarie mit Freiflügen und Badepielen zu beschäftigen. Manchmal klappte das ganz gut. Jedenfalls war er nach den Freiflügen meist erschöpft und ruhte sich längere Zeit aus. Damit mein Mann nach Feierabend seine Ruhe hatte, habe ich Siggi immer kurz vorher noch seine Runden durch Zimmer machen lassen. Danach erholte sich der Vogel erst einige Zeit bevor er wieder los schmetterte.

 

Lange konnte ich das vor meinem Mann jedoch nicht geheim halten. An den Wochenenden bekam er ja mit das unser geflügeltes Familienmitglied die Herrschaft in der Familie übernehmen wollte. Wenn es allzu laut wurde haben wir den Siggi schon recht früh schlafen geschickt. Ich habe ihm einen schicken Überwurf für den Käfig genäht und sobald die Vögel im Freien etwas leiser wurden, musste auch unser Siggi schlafen.

 

In der ersten Zeit ging das auch ganz gut. Nach einiger Zeit merkte unser Kanarie jedoch, das bei uns nicht Schlafenszeit ist. Da er im Wohnzimmer seinen Platz hatte, bekam er natürlich auch unter seinem Tuch mit, das sich bei uns noch etwas abspielte. Schließlich ging abends das Licht an, wir unterhielten uns und er Fernseher lief auch. Nach einiger Zeit meinte Siggi, das es dann für ihn auch noch nicht Zeit ist zum schlafen ist. Zuerst hüpfte er nur von einer Stange zu anderen, dann piepste er manchmal etwas mitleidig. Nach zwei bis drei Wochen hat er auch in seinem abgedunkelten Käfig angefangen zu singen. Nicht nur still und leise! Das machte Siggi vielleicht die ersten beiden Tage. Danach wollte er den Fernseher oder das Radio übertönen und schmetterte was das Zeug hielt. So langsam war ich mit meinen Latein am Ende. Das war nun wirklich nicht der Vogel, den wir uns vorgestellt haben.

 

Mein Mann war sauer, er wollte seine Ruhe haben. Mittlerweile haben wir uns schon gefetzt, wegen des lauten Vogels. Immer wieder kam der Hinweis: „Mach das Fenster auf und lass ihn fliegen. Der raubt mir den letzten Nerv, der Vogel macht mich fertig.“ Nee! So was konnte ich nicht übers Herz bringen, Fenster auf und raus. Auf keinem Fall! Schließlich hatte ich den Kleinen doch liebgewonnen.

 

Dann kam unser Sommerurlaub und unser Siggi musste zu meiner Mutter. Sie war ganz begeistert von dem Wahnsinnssänger und hat sich in den drei Wochen, die er bei ihr blieb ganz gut amüsiert. Allerdings war sie doch froh, als wir ihn wieder abgeholt haben. Nachdem mein Mann ihr angeboten hatte, den Vogel zu behalten hat sie dankend abgelehnt. „Kinder, ihr wisst, doch. Ich bin den ganzen Tag außer Haus. Da langweilt er sich doch nur. Das Tierchen verkümmert doch total“, waren ihre Worte. Es war wohl doch nicht der richtige Vogel für meine Mutter. Na, ja sie war auch eher auf Wellensittiche fixiert. Die hatte sie mal, als sie noch jung verheiratet war.

 

Also nahmen wir Siggi wieder mit nach Hause. Kaum zu glauben, aber auch eine Autofahrt von gut 45 Minuten machte ihm nicht viel aus. Selbst da musste er uns mit seinem Gesang verwöhnen. Mein Mann bekam schon wieder schlechte Laune. „ Wenn der so weitermacht, dann kommt er weg.“ Ich hielt mich zurück, nur keinen Streit, dachte ich. Langsam kam der Herbst und ich hatte die leise Hoffnung, dass auch unser kleiner Gesangskünstler seine Ruhe gibt.

 

Doch ich habe nicht mit Siggis Temperament gerechnet. Egal ob die Sonne schien, oder ob es nebelig war, er kannte da nichts. Schon morgens um sechs, wenn mein Mann aufstand um zur Arbeit zu gehen, hörte man ihn in seinem zugedeckten Käfig. Zum Glück hüpfte er da nun hin und her und gab mal einen Piepser von sich. Das hätte mir gerade noch gefehlt, wenn er da schon mehr schreiend als singend den Tag begrüßt hätte. Aber kaum war der Mann aus dem Haus, da wurden die Piepstöne doch fordernder. Ich ließ mich davon nicht beirren, machte die Schlafzimmertür zu und hatte so noch einige Zeit meine Ruhe. Jedoch beim Frühstück, ging der Terror weiter. Egal ob er im abgedunkelten Käfig gesessen hat oder nicht mehr zugedeckt. Mittlerweile halfen auch keine Freiflüge mehr. Denn Siggi hatte Kondition, nun konnte er längere Flüge machen ohne zu ermüden und wenn der dann auf dem Schrank saß und sich putze konnte man davon ausgehen, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis zum nächsten Ständchen. Was soll man mit so einen vogel machen?

 

Wenn das so weiterginge, dann wäre der Familienfrieden bald hin. War die Familie komplett zu Hause, musste Siggi alles was er so konnte zum Besten geben. Selbst in der Badewanne ließ er nicht locker und zwitscherte laut vor sich hin. Hin und wieder haben wir ihn in ein anders Zimmer verbannt, aber nun soll man ja nicht glauben, dass ihn das von seinem Gesang abgehalten hätte. Nein! Nun konnte er uns ja nicht sehen und sein Gesang wurde noch lauter.

 

Langsam wurde ich auch schon sauer, so hatte ich mir einen ruhigen Kanarienvogel nicht vorgestellt. Aber was sollte ich machen, so einen Schreihals will ja keiner haben. Und einfach fliegen lassen, nach dem Motto: „Das Fenster war offen“, das konnte ich nicht übers Herz bringen, denn im Spätherbst würde der Arme keine Nacht draußen überleben. Also ließen wir uns weiter von ihm terrorisieren.

 

So ging es noch ein halbes Jahr, dann war auch ich mit den Nerven am Ende. Ich machte mich im Internet schlau und suchte nach einigen Züchtern. Unser Siggi war ja noch jung, vielleicht wollte einer den Vogel in seiner Voliere aufnehmen.

 

Nach langem Suchen fand ich auch einen Züchter aus der näheren Umgebung. Ich telefonierte eine Zeit lang mit ihm und schließlich wurden wir uns einig. Ich war froh, dass er nun zu seinen Artgenossen kam. Drei Tage nach dem Telefonat kam der Züchter vorbei und wollte unseren Siggi gleich in einen kleinen Käfig umpacken. Ich war jedoch o froh, dass er nun in gute Hände kam, dass ich gleich den Käfig mit verschenkt habe. So durfte Siggi in seinem Käfig die Reise in seine neue Heimat antreten. Als der Züchter dann mit unserer kleinen Nervensäge zum Haus herausging musste ich mir doch ein paar Tränchen wegdrücken.

 

Siggi war bis jetzt unser letztes Haustier, mittlerweile nach fast fünf Jahren, spiele ich aber schon wieder mit dem Gedanken mir wieder einen kleinen Sänger zuzulegen. Wie mein Mann darüber denkt, könnt ihr euch ja vorstellen.

 

 

Impressum

Texte: Karin Blome
Bildmaterialien: Karin Blome
Tag der Veröffentlichung: 02.05.2014

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