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Freitag
„Fahren wir morgen zum Weihnachtsmarkt?“
„Ja, aber dann fahren wir früh. Ich will nicht mit dem Zug so spät losfahren, dann ist es so voll.“
Judith verdreht die Augen. Immer die gleiche Leier mit dem geliebten Ehegatten: Ihr Mann muss immer früh aus dem Haus, egal ob es am Wochenende zum Einkaufen geht oder die Fahrt in den Urlaub ansteht. Oder, wie es heute der Fall ist, zum Weihnachtsmarkt.
„Fährt Sandra auch mit?“
„Frag sie doch, ich weiß es nicht.“
Judith war ja schließlich keine Hellseherin und Tochter Sandra hatte meist an den Wochenenden etwas vor.
„Sandraaaaa, sollen wir am Samstag zum Weihnachtsmarkt fahren?“
Johann rief durch die ganze Wohnung, denn Sandra saß in ihrem Zimmer vor dem Computer und sang. Wahrscheinlich hatte sie eh ihre Kopfhörer auf und nichts gehört. Außerdem war ihre Zimmertür zu, dann wollte sie auch nicht gestört werden.
Aber darauf nahm Johann keine Rücksicht. „Sandraaaaaa, bist du taub?“
„Frag sie doch gleich beim Abendessen.“ warf Judith ein „Dann musst du hier auch nicht so herumschreien. Oder geh zu ihr hin.“
Johann wartete bis zum Abendessen und dann ging das Ganze wieder von vorne los. „Wir wollen am Samstag zum Weihnachtsmarkt, hast du schon was vor, oder möchtest du mitkommen?“
„Wohin wollt ihr denn?“
„Keine Ahnung, wo man mit dem Zug problemlos hinkommt, vielleicht nach Düsseldorf?“
„Okay, in Düsseldorf war ich noch nicht, wann wollen wir denn fahren?“
„Ganz früh“, meinte Johann.
„Neeee, Papa, glaub ja nicht, das ich vor 9.00 Uhr aus dem Haus gehe“
„Wir müssen früh fahren, sonst ist alles überfüllt.“
„Ja, Papa, aber früh heißt dann 10.00 Uhr. Was willst du denn so früh auf dem Weihnachtsmarkt, da ist doch noch alles zu. Der macht erst doch um 10.00 Uhr auf.“
Judith schmierte sich inzwischen schon die zweite Scheibe Brot und belegte sie mit der leckeren Weihnachtsleberwurst, die mit den Preiselbeeren. Dazu trank sie ihren Tee. Die Beiden sollten sich mal einigen, ihr war alles Recht. Hauptsache man kam mal raus aus dem Haus. Am Wochenende lag Johann nachmittags immer auf der Couch, schaute fern und trank ein Bierchen nach dem anderen und ging dann letztendlich frühzeitig ins Bett. Diesmal sollte es also anders werden.

Vater und Tochter hatten sich zwischenzeitig auf den Abfahrtsbeginn geeinigt. Judith war schon gespannt, wie das Ganze dann morgen ablaufen würde.
Sandra hatte einen Plan ausgearbeitet, denn Johann wollte es immer ganz genau geplant haben.
„Mein Gott, wir gehen doch nur zum Weihnachtsmarkt, was für ein Theater!“ dachte Judith, mischte sich allerdings nicht ein, denn sie ahnte ja wie das endete.
Sobald sie ihre Meinung kundtat und einen von Beiden sagte etwas nicht zu, dann hatte sich plötzlich Vater und Tochter gegen sich. Heute Abend hatte sie keinen Bock auf die kleinen Frotzeleien.

„Ich bin jetzt müde, ich gehe ins Bett, morgen müssen wir ja früh raus.“
„Ja, wir stehen dann gegen halb neun auf, also wie immer. Diejenige die früher aufstehen muss ist doch nur Sandra.“
Johann ging zu Bett, dabei hatte der Abend doch gerade erst angefangen. Es war erst 21.30 Uhr. Judith nahm sich das Notebook und surfte noch ein wenig im Internet. Mal sehen ob ein paar Emails angekommen waren. Bei Facebook wollte sie auch noch einen Blick reinwerfen, gucken was die Freunde so treiben. Die Fußballergebnisse lagen auch noch nicht vor, die Spiele waren noch in vollem Gange. Zum Glück gewann gerade die Lieblingsmannschaft.
Gegen 23.00 Uhr meldete Judith ihren PC ab und ging ins Bad. Nach der Abendtoilette noch ein wenig lesen und dann hoffentlich mal wieder gut schlafen.
Der nächste Tag wird bestimmt strapaziös, denn Johann war manchmal sehr anstrengend. Judith war froh, dass Sandra das Heft in die Hand nahm und wenigstens die Fahrroute im Kopf hatte.

Samstag
8.15Uhr. Judith hörte wie Johann leise aus dem Bett stieg, die Matratze quietsche ein wenig, dann stieß er noch mit dem Fuß vor die Bettkante, fluchte leise und verschwand ins Bad. Judith drehte sich noch einmal um, jetzt hatte sie noch eine gute halbe Stunde Zeit, dann würde sie ebenfalls aufstehen.
Ihre Haare hatte sie schon am Vortag gewaschen. So durfte sie noch mindestens eine Viertelstunde liegen bleiben.
Johann war beim Zähne putzen angelangt, dann noch rasieren und dann ging er in die Küche um das Frühstück vorzubereiten.
Das war der Zeitpunkt an dem sich Judith aus dem warmen Bett schälte. Sie ging zügig in die Küche, gab Johann einen Gutenmorgenkuss und verschwand dann geradewegs ab ins Bad.

Nach einer Viertelstunde war sie fix und fertig herausgeputzt und öffnete die Tür zum Zimmer ihrer Tochter.
„Guten Morgen, Schatz, hast du gut geschlafen?“
Ihre Tochter bekam ebenfalls einen Kuss aufgedrückt.
„Papa sitzt schon am Frühstückstisch.“
“Soll er mal, ihr könnt schon frühstücken, ich esse gleich nur eine Schale Müsli.“
„Also, wie immer, dann bis gleich.“
Judith setzte sich an den liebevoll gedeckten Frühstückstisch und schenkte den Kaffee ein. Johann hatte seine Scheibe Wurst schon auf sein Brot gelegt und legte los.
„Hast du deine Blutdruckpille genommen?“ fragte Johann.
„Ja, wie immer.“ dabei war Johann doch derjenige den man an seine Tabletten erinnern musste.
Gegen 9.15 Uhr war das Frühstück beendet und Johann räumte das Geschirr in die Spülmaschine. „Sandra, bist du bald fertig?“
„Ja, Papa, nur keinen Stress, wir haben noch genug Zeit, wir fahren erst gegen viertel vor Zehn los!“
Johann ging ins Schlafzimmer, nahm seine Jacke und auf Anraten von Judith seinen Schal aus dem Schrank, die Schuhe hatte er schon an.
Judith suchte noch nach ihren Handschuhen, die Mütze und der Schal lagen schon auf dem Bett. Jetzt fehlten noch die Schuhe. Welche sollte sie heute tragen? Am besten die flachen, dachte sie, denn wenn man den ganzen Tag herumläuft, sind hochhackige Schuhe nicht so ideal, obwohl sie ja schöner aussahen.

Sandra, war mittlerweile in der Küche und schaufelte ihr Müsli rein, bis jetzt war man noch im Zeitplan.
„Ich gehe schon mal nach oben.“ kam dann Johanns Stimme aus der Diele.
“Ja, kannst du machen, dann musst du aber draußen in der Kälte stehen.“ Judith verdrehte die Augen, ihr Mann hatte wieder mal keine Ruhe.
Zwei Minuten später waren dann auch Judith und Sandra soweit und alle quetschten sich in den kleinen Zweitwagen. Johann wollte hinten sitzen.
„Da kommst du gar nicht wieder raus!“
„Doch, ich will hinten sitzen.“

Endlich saßen alle im Auto, waren angeschnallt und Sandra fuhr los.
“Meine Güte, was habt ihr eine dreckige Scheibe…“ kam eine Stimme von hinten.
„Ja, wird demnächst geputzt.“
„Da kann man ja gar nichts sehen.“
„Doch ich sehe gut“, Sandra verdrehte die Augen.
„Ruhe, dahinten!“
Ein paar Minuten war es relativ still, nur leise, sehr leise Musik kam aus dem Radio. Hörfunk lenkte vom Autofahren ab, das wussten Mutter und Tochter. Daher gab es diesmal nur leise Beschallung. Fuhren die beiden Frauen allein, dann wurde die Musik laut gedreht und manchmal recht kräftig mitgesungen, das war jetzt natürlich unmöglich. Auf keinem Fall konnte heute Morgen das Lied der Ärzte „Tut mir leid, ich bin betrunken“ lauthals mitgesungen werden.
„Du fährst aber ganz schön rasant um die Kurve.“
„Das meinst du nur so, Sandra fährt wie immer, ich finde das okay.“ Johann dreht sich nach hinten. „Fahr nicht so dicht auf, du Blödmann.“ hörte man ihn von der Rückbank fluchen.
„Bleib cool, Papa, die Straße gehört uns nicht alleine.“

So langsam kam man an seinen Bestimmungsort an, doch was war denn hier los? Flohmarkt auf einem der Parkplätze.
„Da kriegen wir überhaupt keinen Parkplatz, alles voll.“
„Bleib ruhig, Johann, wir werden schon was finden.“
In der Zwischenzeit fuhr Sandra schon wieder runter von dem überfüllten Parkplatz und steuerte den nächsten an. Hier war es auch recht voll, aber nach kurzer Zeit standen die Drei in einer Lücke.
Vater quälte sich hinten aus dem Wagen wieder heraus und nun ging es in Richtung S-Bahnhaltestelle.
„Wir brauchen noch einen Fahrschein, wo ist denn hier der Automat?“
„Da vorne.“
Judith kramte nach ihrem Portmonee und Sandra tippte schon mal die erforderlichen Daten ein. Jetzt noch 35,10¤ einwerfen und dann konnte es losgehen.
„Das 10 Cent Stück kommt immer wieder raus, hast du noch ein anderes?“
„Moment, hier sind noch ein paar Münzen.“
Johann war schon ein wenig genervt, hinter ihnen standen noch drei weitere Bahnfahrer, die ebenfalls ein Ticket ziehen wollten. Allerdings warf der Automat auch die anderen Münzen immer wieder raus. Sandra tippte auf die „Abbrechen“-Taste und ließ den anderen Passanten den Vortritt. Komischerweise klappte es bei denen.
„Noch drei Minuten, dann fährt der Zug. Das schaffen wir nicht mehr, da können wir gleich wieder nach Hause fahren.“
„Bleib ruhig, Papa, es gibt noch andere Züge, wir versuchen es nochmal.“
„Also, wenn es bei mir nicht klappt, dann fahre immer schwarz.“ meinte der junge Mann der hinter uns stand.
„Nee, da mache ich nicht, stell dir mal vor die erwischen uns!“
Johann lief unruhig hin und her.
Jetzt war eh schon alles egal, der Zug fuhr bereits ein, nun nochmal in aller Ruhe aufs Neue versuchen an ein Ticket zu kommen. Von hinten hörte man nur „Da fahre ich einmal im Jahr mit der S-Bahn und schon klappt es nicht, ich fahr gleich wieder nach Hause.“
Zwischenzeitlich hatte Sandra entdeckt, dass man das Ticket auch mit der EC-Karte lösen konnte.
Judith zückte ihre EC-Karte, gab die Pin – es war sogar die Richtige – ein und siehe da, das Ticket kam heraus. Die erste Hürde war geschafft. In gut 20 Minuten kommt die nächste S-Bahn, also nochmal die Toiletten aufsuchen und dann geht’s los.

„Bestimmt ist die Bahn jetzt total überfüllt und wir müssen die ganze Zeit stehen.“ kam wieder das Gemaule von rechts.
„Warte doch erst mal ab, du kannst ja doch nichts daran ändern.“ Judith war langsam genervt. Auf dem Bahnsteig waren noch ein paar Reisende, doch es war nicht besonders voll.
Die S-Bahn fuhr pünktlich ein und siehe da, die Bahn war noch recht leer, die Drei stiegen ein und konnten noch unter den freien Sitzplätzen wählen.
„Geht doch“ Johann war zufrieden. Nun hatten sie 1 Stunde 23 Minuten Fahrt vor sich. An der nächsten Haltestelle stiegen weitere Reisende ein, unter anderem eine Familie mit kleinem Kind und Hund. Die Mutter telefonierte mit ihrem Handy, es ging um belanglose Sachen, aber Judith amüsierte sich.
Die Familie fuhr anscheinend zur Oma nach Essen. Die kleine Tochter wollte bei den Großeltern genüsslich schlemmen.
„Wahrscheinlich kann die Mutter gar nicht kochen“, nahm Judith an.
„Bei Oma kannst du gleich gekochten Pudding essen, wenn sie welchen gekocht hat. Willst du mal mit ihr sprechen, vielleicht kocht sie dann noch Pudding?“
„Nein.“
„Aber wenn du mit ihr sprichst, dann macht sie gleich noch Pudding.“
„Frag du doch, ich habe keine Lust zum telefonieren.“
So ging es eine Weile hin und her. Zwischenzeitlich versuchte der junge Vater den Hund zu erziehen, was allerdings nicht klappte. Man hörte nur „Sitz, Rocky. Komm her, Rocky!“ und weitere Befehle.
Meine Güte, ist der blöd, dachte Judith. Neben ihr war es mal eine Weile ruhig, Johann schaute aus dem Fenster und Sandra saß ebenfalls recht entspannt da. Die junge Familie hinter Judith war immer noch mit Telefongesprächen beschäftigt. So langsam wurde das unangenehm. Wer will schon ständig fremde Telefongespräche mithören, das ist alles andere als spannend.
Kurz vor Essen wurde der Zug etwas voller und nun wurde auch der vierte Platz besetzt. Die Familie mit der ständig telefonierenden Mutter stieg aus.
„Endlich.“ dachte Judith. Sie hatte keine Lust mehr auf laut telefonierende Leute die nur sinnloses Zeug von sich gaben.
Eine allein reisende Frau Mitte Sechzig nahm gegenüber von Judith Platz. Johann wurde wieder gesprächiger.
„Fahren wir auf dem Rückweg die gleiche Strecke?“
„Ja, Papa.“
„Auch ohne umzusteigen?“
„Jaaaa!“ Die Frau gegenüber schaute interessiert.
„Wann fährt denn der Zug wieder zurück?“
„Gucken wir dann Mal, wenn es soweit ist.“
„Wir können ja gucken, wenn wir angekommen sind.“
„Boah, Papa, das bringt doch nichts, wir gucken erst, wenn wir wieder zurück wollen, der Zug fährt doch jede halbe Stunde.“
„Haben Sie einen Autofahrer dabei?“ fragte plötzlich die Frau von gegenüber und grinste.
„Ja“, kam wie aus einem Munde von Judith und Sandra, beide lachten.
„Merkt man“, war dann nur der Kommentar der Dame. Dann war es wieder still, Johann schaute aus dem Fenster.

In Duisburg stieg die Frau wieder aus und Johann musste das gleich kommentieren.
„Was mischt die sich einfach ein, ich hab doch nur gefragt, ober wir wieder den gleichen Weg zurückfahren.“
„Bleib cool, die hat eben gemerkt dass du nicht so häufig mit der Bahn fährst.“
Die weitere Fahrt verlief dann ohne nennenswerte Zwischenfälle.


Endlich in Düsseldorf angekommen, ging es zielstrebig in die Innenstadt. Judith leitete die Familie Richtung Altstadt.
„Sind wir hier auch richtig?“ Johann guckte sich um.
„Müssen wir nicht rechts gehen?“
„Nein, hier stand gerade ein Schild, es ist ca. ein Kilometer bis zur Altstadt.“ Judith und Sandra verdrehten die Augen. Hinter ihnen ging ein junges Pärchen, die wohl ebenfalls in die Altstadt wollten.
„Entschuldigen Sie, ist das der Weg zur Altstadt?“ fragte die junge Frau Johann.
„Ich glaube schon, wir suchen auch.“ war seine Antwort.
„Warum müssen die immer uns fragen?“ Wir waren eben die einzigen Leute in der Nähe.“ Sandra lachte.
Es wurde langsam immer voller, man war also auf dem richtigen Weg. Judith sah schon von weiten das Straßenschild „Königsallee“. So, das war geschafft, Vater war zufrieden und übernahm wieder die Führung. Die Menschen schoben sich über die die Kö.
Judith hatte Schmacht, das Frühstück war schon geraume Zeit her. Jetzt wollte sie noch niemanden damit nerven. Blöd dass man nicht ein paar Kekse mitgenommen hatte, zu trinken hatten sie auch nichts dabei. Gemeinsam mit dem Menschenstrom überquerten sie die Straße und sahen von weitem die ersten Weihnachtsmarktbuden. Judith dachte nur an etwas zu mampfen und folgte Mann und Tochter.
„Wollt ihr euch die Weihnachtsmarktbuden ansehen?“
„Ja, Papa, dazu sind wir doch hier.“
„Ich bleib dann hier mal stehen, ihr könnt da ja alleine rumgehen. Mir ist das zu voll.“
„Dann bis gleich.“
Judith hatte nur noch etwas zu Essen vor Augen, egal was es war. Der erste Stand mit etwas Essbaren war der Brezelstand, also nichts wie hin und schnell eine Salzbrezel gekauft. So, der Tag war gerettet. Sandra wollte lieber eine Bratwurst, ließ sich die halbe Brezel trotzdem schmecken. Der Bratwurststand war direkt gegenüber des Brezelstandes und wie nicht anders zu erwarten, war es dort so richtig voll.
„Sollen wir lieber zwei Würste kaufen, Papa hat bestimmt auch Hunger?“ fragte Judith. Also bestellte Sandra nachdem sie sich durchgekämpft hatte gleich zwei Würste und nun machten sie sich schnellstens auf dem Weg zum Ausgang. Johann lief schon ungeduldig hin und her. Nachdem er aber die Bratwürste entdeckt hatte wurde er wieder ruhig und zu Dritt teilten sie nun die beiden Würste.

Johann wollte nun zum Rheinufer, die beiden Damen folgten. Bei dem herrlichen Wetter, es war zwar kalt aber trocken und die Sonne schien, setzten sie sich ein paar Minuten ans Rheinufer und schauten sich die vorbeifahrenden Schiffe an.
„So eine Rheinfahrt müssen wir auch mal machen, für ein paar Tage.“
„Ja, vielleicht in 10 Jahren, da sind doch nur alte Leute auf dem Schiff, dazu hab ich keine Lust.“ Judith wollte nicht eine Woche mit einer Gruppe Scheintoten verbringen, in das Alter kommt man noch früh genug.

Das Thema war dann aber schnell abgehakt, denn nach kurzer Zeit gingen sie weiter und klapperten die Altstadtgassen ab.
„Eigentlich wollte ich mit euch ja was Essen gehen, aber jetzt habt ihr ja schon die Bratwürste gegessen.“ „Ja, und, davon wird man doch nicht satt, das ist nur ein kleiner Lückenfüller.“ Judith dachte schon an ein kleines oder größeres Steak. „Gut, wohin wollen wir denn?“
„Da hinten ist eine Straße mit spanischen und argentinischen Restaurants, da können wir ja mal schauen.“ Johann schlenderte die Gasse zweimal rauf und runter und dann entschieden sie sich für das Lokal „Las Tapas“. „Vielleicht ist da ja nichts mehr frei“, war sein Kommentar. „Dann gehen wir eben ins Nächste.“
Natürlich gab es noch einen Tisch für drei Personen, das Mittagessen war also schon gesichert. Während Johann die Toilette aufsuchte – so war es eigentlich immer - bestellten Sandra und Judith die Getränke und studierten die Speisekarte.
Alle drei entschieden sich für Steaks, die auch sehr gut schmeckten und waren mit dem Mittagessen sehr zufrieden. So gestärkt ging es dann nach einer guten Stunde weiter. Nachdem sie die Altstadtgassen wieder verlassen hatten, sah Judith von weitem einen weiteren kleinen Weihnachtsmarkt „Sternenmarkt“ nannte sich dieser Bereich, er war recht schön angelegt und geschmückt, aber wie nicht anders zu erwarten war, war es sehr voll. Johann war schon wieder von den vielen Menschen genervt, „Was wollen die denn alle hier? Lauter Asiaten und Holländer. Ich glaub ich bin im Ausland.“ „Das ist hier normal, Papa, manche Leute wollen eben was von der Welt sehen. Außerdem leben in Düsseldorf viele Japaner.“
Hinter ihnen spazierte eine Gruppe Engländer, jedenfalls sprachen sie englisch. Anscheinen waren die jungen Leute von der Fülle ebenfalls ein wenig überfordert. Sandra hörte den Ausruf: „I´m so confused“ Der Typ war fix und alle.

„Wenn ihr euch noch was Süßes kaufen wollt, dann müsst ihr hier mal gucken, da hinten sind keine Buden mehr“ Johann wollte schnell raus aus dem Gewühl.
„Ja, wir finden schon was, immer mit der Ruhe.“ Zwei Schokoäpfel und eine Tüte gebrannte Mandeln wurden dann noch eingekauft und dann ging es zurück zur KÖ. Da gab es auch noch die eine oder andere Einkaufspassage, die die Frauen sich mal ansehen wollten.
Bevor Johann etwas einwenden konnte, gingen Judith und Sandra zielstrebig auf eine der Passagen zu. Es war die „Schadow-Passage“, hier war es nicht weniger voll.
Die beiden Damen drückten sich an einigen Geschäften die Nasen platt und bewunderten die schöne Weihnachtsdekoration. Die Geschäfte waren glanzvoll geschmückt und es machte Spaß sich alles anzusehen. Wunderschöne glänzende Weihnachtskugeln, viele Lichter, es passte hervorragend zum Weihnachtsbummel. Johann entdeckte in der Zwischenzeit einen Eisstand. Seine beiden Schleckermäuler kannte er nur zu gut. Judith hatte vor wenigen Minuten einen Passanten mit einem dicken Eishörnchen entdeckt, und fragte sich wo das Eis wohl zu bekommen war. Das hatte sich, dank Johann, ja nun erledigt. Sofort wurden noch zwei Eishörnchen gekauft werden, mal was anderes als Glühwein oder Bratwurst.

So langsam wurde es dunkel und Johann taten die Füße weh. Also machten sie sich langsam auf den Weg zurück zum Bahnhof, Judith schlenderte langsam an den Geschäften auf der KÖ vorbei. Sandra und Johann liefen am Straßenrand. Auf Geschäfte hatte Johann keinen Nerv mehr. Eigentlich soll man die Frauen da auch allein laufen lassen. – Aber ohne EC- Karte. Sonst ist das Konto schneller geplündert, wie man sehen kann.

Endlich am Bahnhof angekommen – zwischenzeitlich noch mal nach dem Weg gefragt – stellten sie fest, dass die S-Bahn in 20 Minuten fährt. Da konnten die beiden Frauen noch einen Blick in die Bahnhofsbücherei werfen. Johann ging unruhig hin und her, er wollte schon zum Bahnsteig.
Nach weiteren 10 Minuten waren auch Sandra und Judith bereit zum Bahnsteig zu gehen.
„Welches Gleis?“ kam eine Frage von hinten.“Gleis 14.“ „Ah, dann sind wir ja schon fast da.“ Johann ging die Treppe hinauf.
Es dauerte noch gut 5 Minuten bis die Bahn kam und Johann positionierte sich schon an einer für Ihn günstigen Stelle. „Papa, da kommt vorher noch ein anderer Zug“, Sandra verdrehte die Augen. „Wo fährt denn unser Zug ab?“ „Hier!“ „Ja, aber der kommt doch gleich auch schon.“ „Bis dahin ist der andere Zug auch weg, bleib cool.“ Judith konnte es nicht verstehen, wieso konnte ihr Mann nicht einmal entspannt am Bahnhof stehen.
Endlich kam die S-Bahn, und welch ein Glück, es fand sich wieder für alle ein Sitzplatz. Johann entspannte sich, er saß ja nun im richtigen Zug und befand sich auf dem Weg nach Hause. Was sollte jetzt noch schief gehen. Rechts und links füllten sich die Sitzreihen, die meisten Leute waren mit Tüten bepackt. Man merkte, dass es nur noch wenige Tage bis Weihnachten waren. Diesmal gab es jedoch keine störenden Dauer- Telefonierer und die Fahrt war recht entspannend. Eine Gruppe mit mehreren Müttern und Kindern im Grundschulalter waren da noch die lebhaftesten Mitfahrer.
Die Kinder waren mit Mutters Handy beschäftigt und sahen sich da die Fotos des letzten Familienurlaubs an.

Judith stellte nach ein paar Haltestellen fest, dass sie für die Rückfahrt ebenfalls nicht an Getränke gedacht hatte. Aber sie hatte schon wieder Durst und hätte sich einen bechern können.
„Ich habe Brand wie eine Bergziege, das lag bestimmt am gewürzten Mittagessen.“ „Tja,,im ICE hättest du jetzt ins Bordrestaurant gehen können“, war Johanns Antwort. „Musst du gerade sagen, wir kaufen da ja doch nichts, denn du hast auf längeren Touren ja immer deine Getränke dabei.“

Dann kam der Bahnhof Bochum-Ehrenfeld, wieder so ein kleiner Vorort-Bahnhof. Doch was war das, man hörte das Rattern der Lok gar nicht mehr. Da kam auch schon die Durchsage: „Liebe Fahrgäste, aufgrund einer technischen Störung können wir im Moment nicht weiterfahren. Wir versuchen das Problem so schnell wie möglich zu beheben. Es wird wahrscheinlich 15 bis 20 Minuten in Anspruch nehmen. Während der Arbeiten geht das Licht hin und wieder aus und Sie können die Bahn nicht verlassen, da die Türen sich in der Zeit nicht öffnen lassen. Danke für Ihr Verständnis.“

Ein Murmeln ging durch die Bahn, hinter uns saß ein älteres Ehepaar, man hörte es schon an den Stimmen. Gesehen hatte Judith das Paar nicht, aber sie hörte sie umso besser. Die Gesprächsfetzen die sie aufschnappte kamen ihr allzu bekannt vor. „Immer der das Gleiche mit der Bahn, nichts funktioniert, aber teurer wird’s wieder“ gab der Mann zum Besten. Seine Frau versuchte ihn zu beruhigen, „Bleib ruhig, wir haben doch Zeit.“
Judith und Sandra grinsten sich an und jetzt meldete sich auch Johann wieder zu Wort. „Wenn man einmal mit der Bahn fährt.“
Judith entgegnete nichts und schloss für ein paar Minuten die Augen, einfach mal entspannen.
Die Zeit verstrich und bis auf ein paar spielende Kinder war die Situation im Waggon recht entspannt.
Nach ca. 15 Minuten meinte Johann „Jetzt kann es aber wieder weitergehen!“ „Ja, Papa, bleib ruhig, das ist öfters so.“ Sandra hatte ihre Augen geschlossen und lagerte die Beine auf dem freien Sitz.
Sie plauderte ein wenig mit Judith.
„Wenn man Jemanden ermorden wollte, ist jetzt ein günstiger Moment. Ich würde mir vorstellen alle hier zu erdrosseln, am besten mit einem langen Schal.“ „Nee, Schal und erdrosseln dauert zu lange, man weis ja nicht wann das Licht wieder angeht. Wie wäre es denn mit Erstechen? Geht einfach schneller, ein kurzer Stich und es ist vorbei.“ „Aber nur, wenn man die richtige Stelle trifft, vielleicht mitten ins Herz, oder lieber in den Hals? Ich würde eher in den Hals stehen, da ist die Haut weicher und dünner.“
Johann: „Jetzt hört aber auf, die Leute werden noch unruhig. “ Sandra grinste, „Noch besser ist es, wenn man jetzt ein Gas einströmen lässt, dann sind alle auf einmal hin.“ „Ich bin aber fürs Abstechen, “ war Judiths Antwort. „Stilett oder langes Messer finde ich gut.“ So ging es eine Weile hin und her.
Die S-Bahn stand immer noch.
„Vielleicht geht’s es hier gar nicht mehr weiter und wir müssen gleich mit der Nächsten weiterfahren.“ Johann wurde wieder munterer.“ Wie lange stehen wir hier jetzt?“
„Ca. 20 Minuten“, kam Judiths Antwort.
„Liebe Mitreisende, leider konnte unser technisches Problem nicht behoben werden. In wenigen Minuten kommt die nächste S-Bahn, wir bitten Sie in diese Bahn umzusteigen.“
Wie von der Tarantel gestochen sprang Johann auf und sprintete zur Tür. „Mann, Papa, die Bahn ist doch noch gar nicht da, lass mal langsam gehen.“ Sandra und Judith grinsten vor sich hin und schüttelten den Kopf. Der Mann hat keine Ruhe. Nun standen alle Mitreisende auf dem kalten Bahnsteig in Bochum-Ehrenfeld und warteten mehr oder weniger geduldig auf die nächste S-Bahn.
Von Weitem war sie schon zu sehen, aber warum fuhr die Bahn denn so langsam, da konnte man ja nebenher gehen.
Die Bahn fuhr ein und alle Reisenden atmeten auf und stiegen ein. Es gab es hier keine Sitzplätze mehr. Johann moserte vor sich hin und blieb in Höhe der Tür stehen. Die Bahn für an und
kroch langsam vor sich hin. Wieder kam eine Durchsage: „Aus Sicherheitsgründen können wir nur mit 15Km/h bis Bochum Hauptbahnhof weiterfahren, danach geht es dann im gewohnten Tempo weiter“
Die Fahrgäste waren teils belustigt, teils verärgert. Wer öfter mit der Bahn fährt hat da schon einiges erlebt und die meisten Reisenden sehen es mit Humor.
Johann blieb ruhig.“Wir haben ja Zeit, zum Glück müssen wir keinen Anschlusszug mitbekommen.“ „Genau.“ Judith war froh, dass Johann nicht herum moserte. Der Zug tuckerte nach Bochum und von weitem konnte man schon den Bahnhof erkennen. Auf dem Bahnsteig standen sehr viele Leute, das lag auch daran, dass eine S-Bahn ausgefallen war und diese hier gut 20 Minuten Verspätung hatte. Zum Glück stiegen sehr viele Reisende aus und Johann ergatterte sofort drei Sitzplätze, er hatte schon die ganze Zeit darauf gelauert und als eine Familie ausstieg hechtete er sofort zu den frei gewordenen Plätzen. „Jetzt beeilt euch mal, sonst sitzen da gleich andere Leute und ihr könnt bis zum Ende der Fahrt stehen bleiben.“ Judith stöhnte, sie wollte ihre Ruhe haben. „Wir sind ja schon da, aber man muss die Leute erst einmal aussteigen lassen.“ Sie ließ sich auf einen der freien Sitze fallen. „so, jetzt kann der Zug weiterfahren, hier ist es ja recht voll.“
Gegenüber von Johann nahm eine junge Asiatin Platz. Wahrscheinlich eine Studentin. Sie blickte stur vor sich hin. Vielleicht war sie von der Warterei genervt.
Kurz nach dem Verlassen des Bochumer Hauptbahnhofs, nahm der Zug die gewohnte Geschwindigkeit auf und nach einer weiteren Viertelstunde waren die drei Weihnachtsmarktbesucher wieder am Ausgangsbahnhof angelangt.
„Gehen wir noch schnell etwas zu trinken kaufen?“ „Auf jedem Fall, ich bin schon halb verdurstet.“ Judith sah im Geiste schon eine eisgekühlte Colaflasche vor sich. Aber was war das. Der Automat war defekt, also doch nichts für die ausgedörrte Kehle.
„Jetzt beeilt euch schon“, maulte Johann. „Je schneller wie zu Hause sind umso früher könnt ihr etwas trinken.“ „Du denkst doch nur an deine Flasche Bier“ bemerkte Judith. Aber auch sie wollte nun schnellstens nach Hause.
Der Wagen war schnell gefunden, nun war der Parkplatz wie leergefegt. „Oh, der Trödelmarkt ist schon beendet“, warf Johann ein. „Dann können wir hier in Ruhe und ohne Gedränge vom Parkplatz fahren.
Schnell wurden die Plätze eingenommen, Johann quetschte sich wieder hinten ins Auto rein und Judith nahm auf dem Beifahrersitz Platz. In 20 Minuten sind alle wieder zu Hause.
Sandra fuhr wie immer den Weg über die Autobahn zurück. Nichts für Johann, der – warum auch immer - nicht gerne Autobahn fährt. Gleich geht es wieder los, dachte Judith. Sie merkte schon, wie er sich an der Autobahnauffahrt hektisch herum drehte. Sandra hatte die Situation jedoch voll im Griff. Da! Jetzt kam wieder ein Kommentar. „Du kannst auffahren, der lässt dich rein.“ „Ja, Papa, habe ich schon längst gesehen.“ Sandra fuhr bedachtsam weiter.
Alles verlief ruhig, kurz vor den Westfalenhallen war noch mächtig Betrieb. Wahrscheinlich gab es dort wieder eine Abendveranstaltung, vielleicht ein Konzert. Sandra kannte die Strecke und wechselte rechtzeitig auf die linke Fahrspur und so gelangten die Drei zur nächsten Autobahn. Wieder das gleiche Spiel, Johann blickte hektisch nach hinten um zu kontrollieren ob weitere Autos auf der Fahrspur waren. Es war frei. Sandra fuhr gemächlich weiter und alles verlief ruhig. So ging es bis kurz vor der Abfahrt. Sandra wechselte auf die Mittelspur, es war dreispurig. „Du musst nicht überholen, wir haben Zeit.“
„Wir müssen hier auf die Mitte wechseln, wir wollen ja nicht nach Frankfurt“, äußerten Sandra und Judith wie aus einem Munde. Johann blieb kleinlaut, „Ich meinte ja nur.“ „Ja, wissen wir.“
Kurz bevor sie auf ihren Stellplatz vor dem Haus angelangt waren, kam noch ein letzter Kommentar von Johann. „Ich möchte vorher aussteigen, sonst trete ich in die Rosen.“ Sandra stoppte den Wagen und Judith und Johann stiegen aus. Johann schaute zu wie Sandra einparkte, ja, das konnte sie gut. Jedenfalls besser als Judith, aber das behielt Johann glücklicherweise für sich.
Nun waren sie wieder zu Hause, Johann war glücklich und zufrieden, weil fast alles nach seinen Vorstellungen abgelaufen war. Sandra verschwand – wie immer sofort – auf ihr Zimmer.
Was machte Judith? Sie öffnete eine Flasche Wasser und ließ die kühle Flüssigkeit den Rachen hinunterlaufen. Das tat gut. Danach bereitete sie das Abendessen vor. Johann legte sich auf die Couch und öffnete die erste Flasche Bier. „War ein schöner Tag heute, da hatte ich eine gute Idee“

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Tag der Veröffentlichung: 17.12.2011

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