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Rjel hatte schlechte Laune.
Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum. Er hatte eine wundervolle Nacht mit seiner Angebeteten verbracht, das Essen der Herberge war hervorragend gewesen und der Wald, den sie gerade durchwanderten, war eines der idyllischsten Plätzchen, die er je besucht hatte. Kräftige, gesund gewachsene Eichen und Tannen bildeten ein dichtes Blätterdach, welches die Hitze der Mittagssonne abhielt und den Waldboden in kühles Zwielicht tauchte, Holunderbüsche und wilde Rosen verströmten einen angenehmen Duft. Das Plätschern der Quelle bei der Lichtung, auf der sie sich gerade befanden vermischte sich mit dem Gesang der Vögel zu einer Arie des Lebens und bunt leuchtende Feen umschwirrten sie.
Ja, es hätte ein schöner Tag für den Elf sein sollen. Vielleicht lag es an ihrem Reiseziel, einem heiligen Ort, bewacht von grauenhaften Kreaturen, oder daran, dass sie von dort etwas entwenden wollten, ein Vorhaben, welches gegen den Willen der Götter. Es könnte aber auch damit zusammenhängen, dass er und seine Geliebte verflucht waren, und der Gegenzauber eine derart große Menge von Zutaten verschlang, dass ein Alchemist damit ein ganzes Jahr ununterbrochen sich selbst samt seiner Umgebung in die Luft jagen könnte. Aber der Hauptgrund für Rjels schlechte Laune war vermutlich, dass er kopfüber in vier Klaftern Höhe an einem Seil in den Baumkronen hing, die verdammten Feen ihn mit ihren zahnstochergroßen Speeren piekten und seine Geliebte, Ilva die Eiskönigin, ihres Zeichens mächtigste Magierin Galdruns völlig teilnahmslos zu ihm hinauf starrte, das aschfarbene Haar, von Raureif durchzogen, nach hinten fallend, in einem perfekt zu ihren eisig blauen Augen passenden, tief ausgeschnittenen Kleid, ohne auch nur einen schönen Ringbesetzten Finger krumm zu machen. Die Tatsache, dass mittlerweile mehr als zwei Dutzend Pfeile auf ihn gerichtet waren, vermochte ihn auch nicht wirklich aufzuheitern.
»Wenn das nicht Rjel, der Leichenschänder ist. Und wer ist die hübsche Dame in deiner Begleitung? Doch nicht etwa die Eishexe?«, begrüßte sie einer der Elfen, die sich nun aus den Schatten der Bäume auf die Lichtung wagten. Der Sprecher hatte sein langes, blondes Haar zu einem Zopf geflochten, die spitzen Ohren ragten aus den dafür vorgesehenen Löchern in seinem Helm hervor. Der ebenfalls stählerne Brustpanzer war mit Runen und Blattmustern verziert, ein Bogen hing ihm samt Köcher mit Pfeilen, die mit Rabenfedern befiedert waren, über die Schultern. »Ich dachte, ihr wärt Todfeinde, und der einzige Grund, weshalb ihr euch nicht gegenseitig mit euren Armeen auslöscht, ist unser mächtiger Wald, das zufälligerweise genau zwischen dem Großen Abbruch und dem Rad´Ishdar Gebirge liegt. Also wundere ich mich, dass ihr Händchenhaltend und Küssend durch unser Land spaziert.«
»Ich bevorzuge die Anrede mit meinem Titel, der da lautet Nekromant. Und wer bist du, dass du jemanden, der kopfüber an einem Baum hängt, so herablassend behandelst?«
»Mein Name ist Rinan, ich bin -«
»Rinan, Besteiger von Baum, Busch und jedwedem Getier in diesem Wald. Ich habe schon genug von dir gehört. Ilva, meine Liebste, wärst du so freundlich und könntest auf ihren frostigen Empfang angemessen antworten?«, unterbrach Rjel den Elfenhauptmann.
»Rjel«, ihre hellblauen Augen blickten panisch zu ihm auf, und auch ihre Stimme bebte vor Angst, »ich bin in einem Bannkreis. Bitte hilf mir!«
Plötzlich nahm Rjel unter dem starken Blumenduft noch etwas anderes wahr. Etwas, das nicht hierhergehörte, etwas Vertrautes. Es war der süßliche Gestank nach Verwesung.
Blitzschnell zuckte seine Hand nach vorne und zerquetschte eine der Feen, ihre Artgenossen stoben auseinander wie ein Haufen Blätter in einem Sturmwind.
»Hör mir zu Rinan, ich gebe dir Bedenkzeit, bis diese Fee den Boden berührt. Wenn du uns dann nicht gehen lässt, werde ich keinen von euch verschonen.«
Er ließ die Leiche los, langsam wie ein Blatt trudelte sie dem Erdboden entgegen. Der Wind spielte mit ihr, ließ sie in einem Zweig hängen, nur um sie kurz darauf wieder von ihm zu reißen. Sanft setzte sie auf dem Gras auf.
»Du bleibst unser gefangener Rjel. und versuche nicht einmal, einen Zauberspruch aufzusagen, oder dein Leichnam wird noch schlimmer aussehen als die Fee, du verdammter Mörder!«
Der Kopfüber hängende Elf reagiert nicht auf die Provokation, schloss einfach die schwefelgelben, von roten Linien durchzogenen Augen und sandte einen mentalen Impuls nach dem Kadaver aus, fühlte die magische Strömung und ließ sie in das tote Fleisch fahren.
»Dann«, er öffnete die Augen wieder und fixierte den Anführer der Gruppe, »sterbt auf der Stelle!«
Der Boden erzitterte, als sich das untote Geschöpf sich erhob, von unheiligem Zauber aus dem Jenseits entrissen, wieder erhob, die halbverfaulten Sehnen und Muskeln das verrottende Fleisch, die von Aasfressern zerrissene Haut und die teils blank liegenden Knochen in Bewegung versetzte. Die noch vorhandenen, nun nutzlosen Organe nahmen ihren Dienst wieder auf. Luft strömte in die durchlöcherten Lungen, das Herz pumpte die letzten Tropfen Blutes, die noch nicht verklumpt waren aus dem Körper. Unaufhaltsam schlurfte es auf seinen Meister zu
Die Elfen wurden unruhig. Vögel flatterten auf und suchten eiligst das weite. Krachend brach der wieder auferstandene Troll durch das Unterholz, einen Baumstamm als Keule schwingend und griff die Elfen an.
Seine ungeheure Kraft, von den Auswirkungen der Totenerweckung noch verstärkt, zerstörte die Rüstung der Elfen, als wären sie aus trockenen Blättern.
Rjel indessen brannte das Seil durch, das ihn am Baum hielt, schwebte mithilfe eines Levithationszaubers zu Boden, zerstörte den Bannkreis, der seine Geliebte festhielt, mit einer Handbewegung und ließ die davonlaufenden Elfen erstarren. Sein untoter Diener vergalt es ihm, indem er sich mit noch größerer Motivation – sofern ein empfindungsunfähiger, toter Troll motiviert sein konnte – dem Töten der Feinde seines Meisters.
Nach zwei Minuten war Rinan der letzte Überlebende. »Wieso hast du das getan, du Monster? Du hast dein eigenes Volk abgeschlachtet! Die Farbe deiner Augen zeigt mir ja, was für ein verdorbener Bastard du bist, aber so etwas hätte ich dir nicht zugetraut. Warum?«
Der Nekromant strich sich die schwarze, mit blutroten Runen bestickte Robe glatt und starrte den anderen Elfen an. »Mag sein, dass die Farbe der Augen die Seele wiederspiegelt, aber du bist auch nicht besser als ich. Wozu ich das alles mache? Ilva und ich wurden von Namra mit einem Liebesbann belegt, wie euer Orakel es sicher schon ausgeplaudert hat, sosehr wie ihr euch damit abmüht, der Göttin der Nacht und Liebe den Dreck von den Stiefeln zu lecken. Ich brauche noch eine von ihren gut behüteten Mondorchideen, um den Bann zu brechen. Und du wirst uns zu ihnen führen.«
Aber warum? Warum willst du diesen Bann brechen? Hast du etwa irgendwelche Nachteile daraus gezogen?«, schrie er jetzt mit Angst und Zorn in der Stimme. »Warum sollte jemand seine Liebe zu einer anderen Person auslöschen wollen?«
Rjel lachte. es war ein Lachen, das Schmerz und Verzweiflung ausdrückte. »Weißt du eigentlich, wie sich so ein Liebesbann anfühlt? Du behältst alle deine Gefühle der Person gegenüber bei, aber sobald du sie siehst, ist da auch noch diese rosarote Wolke in deinem Verstand und du kannst nichts dagegen tun. Wenn du hingegen von ihr entfernt bist, verzehrt dich die übermächtige Sehnsucht nach ihr und du würdest alles tun, um sie wieder zu sehen. Glaube mir, so etwas würde nicht einmal ich jemandem antun. Außerdem war ich ein Mal verliebt. Ein einziges Mal. Und weißt du was passiert ist? Ich musste sie umbringen!« Dem Nekromanten rann eine Träne die Wange hinunter und Rinan konnte deutlich spüren, dass er mehr gesagt hatte, als er wollte. Der Elf hatte ihn in einem unbedachten Moment erwischt und hatte das, was unter der Grausamkeit und dem Hass begraben war, zum Vorschein gebracht. »Ich hatte mir geschworen, ihr würde mein Herz bis in alle Ewigkeit gehören, und daran hat sich auch nach über zweihundert Jahren nichts geändert, bis diese verfluchte Hure von einer Göttin mich mit diesem Bann belegt hat. Und ich schwöre dir, wenn du mich nicht freiwillig zum Hain der Nacht führst, wo ich dieses Stück Unkraut bekomme, wirst du mich als Untoter dorthin führe, aber zuvor wirst du noch unendliches Leid erfahren. Also, wie lautet deine Antwort?«
»Ich … kann nicht«, Presste der Hauptmann hervor. Rjel hob die Hand. » Halt, wartet! Ich kenne noch einen anderen Ort, wo eine Mondorchidee wächst. Dorthin kann ich euch bringen.«
»Welcher Ort ist das?«, fuhr Ilva mit eiskalter Stimme dazwischen. Es war das erste Mal, das sich die Menschenfrau an dem Gespräch beteiligte.
»Unser Dorf. Dort wächst genau ein de-«
»Was versprichst du Narr dir davon, zwei Magier, die gerade ohne mit der Wimper zu zucken deine Einheit ausgelöscht haben, in dein Dorf zu bringen?«
»Selbst wenn ihr mein Dorf und alle, die dort Leben umbringt, ja selbst dann, wenn ihr danach noch den gesamten Wald niederberennt, richtet ihr damit weniger Schaden an, als mit den Dingen, die sich im Heiligtum befinden.«
Na gut. Aber solltest du uns belügen, wirst du mit eigenen Augen abwägen können, ob es nicht doch weniger Schaden gegeben hätte, wenn wir den Hain der Nacht betreten«, antwortete Rjel drohend.


Die spielenden Elfenkinder verstummten sofort, als sich der Nekromant und die Eishexe dem Dorf näherten.
Ohne Umschweife gingen beide sofort auf dien Mittelpunkt der Ansammlung aus Baumhäusern zu. Pechschwarz und schneeweiß blühte sie im Schatten der Buchen. Die Mondorchidee.
Einer der älteren Elfen stellte sich ihnen in den Weg, Rjel schlug ihm jedoch mit dem Handrücken ins Gesicht, so fest, dass er zurücktaumelte.
»Papa, Papa!« Ein kleines Mädchen mit kastanienbraunem Haar rannte auf sie zu. Ilva wollte einen Zauber sprechen, der Nekromant hielt sie jedoch zurück. Ohne Scheu vor der untoten Bestie zu zeigen, rannte sie auf Rinan zu und sprang ihm in die Arme. »Mama hat gesagt sie wird furchtbar mit dir schimpfen, weil du so lange weg warst. Wer sind diese Leute, mit denen du kommst? Die sehen nicht nett aus.«
Rjel bedeutete ihm mit einer kurzen Geste, er solle leise sein, darum drückte er sie an sich und betete, Namra und Galdrun mögen sie beschützen. Einige der jüngeren Elfen wollten schon aufspringen, die Anwesenheit des Trolls hielt sie jedoch von Aggressionen ab.
Der Totenbeschwörer kniete sich vor der Blume hin und öffnete zwei Fläschchen, die er aus dem Ärmel seiner Robe hervorzauberte. Dann riss er mit einem Fluch auf den Lippen die Blüte vom Stängel, drückte sie über den Fläschchen zusammen und wartete, bis einige Tropfen des silbernen Nektars in das Elixier getropft waren.
»Auf unsere neu aufkeimende Feindschaft«, sagte er mit spöttischer Stimme und Reichte Ilva eines. Sie tranken die nach Alkohol schmeckende Brühe schnell hinunter. Die Wirkung trat beinahe sofort ein.
»So mein Lieber, da ich nicht mehr unter dem Bann stehe, kann ich ohne weiteren Aufwand dieses Dorf vernichten, um meine Wut etwas zu lindern, und danach, kümmere ich mich um dich. Sie formte einen gigantischen Eissplitter, der in hohem Tempo auf Rinan und seine Tochter zu jagte.
Doch anstatt sie zu durchbohren, wurden sie bloß mit einem Schwall warmen Wassers bedeckt.
»Es wird Zeit, dass du endlich auftaust, meine Liebe«
Sie brachte noch einen kurzen Schrei zustande, bevor sie von einem grellweißen Inferno zu Asche verwandelt wurde.
»Ich habe euch das Leben geschenkt«, wandte er sich an die Dorfbewohner, »erinnert euch daran, wenn ihr das nächste Mal schlecht über mich sprecht! ach und Rinan, wenn du irgendjemandem von der Lichtung erzählst, wird der nächste Speer aus glühendem Eisen sein.«
Keine Sorge Nekromant, dachte der Elfenhauptmann, als er Rjel nachsah, wie er auf dem Troll davonritt, Niemand wird von dem erfahren, was sich in dem Grab in deinem Inneren befindet.

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Tag der Veröffentlichung: 13.06.2011

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