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Ihre Welt war zu Asche verbrannt. Verkohlte Äste und halb verbrannte Leichen säumten ihren Pfad durch den Staub. Außer ihren Schritten konnte Erle bloß das kichern der Glutnester hören, die sie zu verspotten schienen.
An diesem Ort hatte es keinen gewöhnlichen Waldbrand gegeben. Der Tod persönlich war durch dieses einst grüne Tal gewandelt und hatte alles mit sich genommen. Die Dryade wanderte weiter, konnte ihre Augen nicht von diesem Ascheland abwenden, konnte nicht weinen, konnte nicht schreien. Sie wollte ihre Schwestern betrauern, wollte einen Sprössling am Fuße des alten Mutterbaumes einsetzen, doch sie konnte weder das eine noch das andere. Dieses Land war für immer gestorben. Nichts würde in solcher Erde wachsen. Sogar Gefühle wurden von dieser alles beherrschenden Präsenz des Todes unterdrückt.
Die Sonne musste ihre gesamte Kraft aufbringen, um durch den dichten Nebel zu schimmern, verdüsterte die Szenerie jedoch nur, da alles in das unwirtliche Grau eines Traums getaucht wurde.
Sie stand an einer Gruppe aus verkohlten Bäumen, – ihre Schwestern und sie hatten dort immer mit den Vögeln des Waldes gesungen – als sie das stapfen von Füßen hinter sich vernahm.
Schlurfend und gebückt kam Er auf sie zu. Sein Mantel, von solch endgültiger und ewiger Schwärze, wie nur Er ihn tragen konnte, bauschte sich in der windstillen Luft. Allein von der Strömung der verstreichenden Zeit in Bewegung gehalten. Er stützte sich auf eine schlichte Sense, an deren oberen Ende an dem überstehenden Stück Holz über dem Schneidblatt mit einer festgemachten Kette eine Sanduhr baumelte. Das Hinabrieseln des Sandes konnte Erle laut wie das Tosen eines Orkans hören.
Als Er vor ihr stehen blieb, blickte Er aus Seinen leeren Augenhöhlen in ihr Gesicht.
Der Tod stand vor ihr und würde nun auch sie mit sich nehmen.
Schließlich richtete sich der Sensenmann, nach einer Ewigkeit wie es Erle schien, zu Seiner vollen Größe auf. Nun überragte Er die Dryade um dreieinhalb Köpfe.
Die Sanduhr hielt Er nun in der Hand, vor ihrem Gesicht, damit sie sehen konnte, wie ihre restliche Lebenszeit verstrich.
Doch bevor die letzten Körner fielen, ließ der Tod die Sanduhr in Seinem Mantel verschwinden und stieß ihr mit Seinem knöchernen Finger an die Brust, genau an die Stelle, wo ihr Herz schlug.
Die Berührung dauerte bloß den Bruchteil einer Sekunde, und doch konnte Erle die Endgültigkeit des Todes und das Leben aus sich weichenfühlen. Jede Faser ihres Körpers kämpfte dagegen an, doch nichts Lebendiges konnte sich dieser Macht entziehen. Nun würde Er sie also mit sich nehmen.


Schweißgebadet und zitternd erwachte Erle aus ihrem Alptraum.
Der Traum war eine verdrehte Ausgeburt ihres verwirrten Geistes. Weder etwas Übernatürliches noch der Tod hatten ihr altes Leben ausgelöscht. Und sie glaubte nicht an Omen oder böse Vorzeichen, versuchte sie sich einzureden.
Das Holz des Bettes war tot. Der warme Körper neben ihr verströmte dafür umso mehr Leben.
Kiran war das einzige auf der Welt, das ihr geblieben war. Hätte sie nicht jene schicksalshafte Nacht mit dem Menschenkrieger verbracht wäre auch sie in den Flammen umgekommen. Sie liebte ihn über alles und war deshalb auch mit ihm in die Stadt gekommen, diese toten Steinwälder, in denen die Menschen lebten.
Es machte sie krank, allzu lange hierzubleiben und Kiran wusste über den Gesundheitszustand der Dryade ebenso gut Bescheid wie sie selbst, doch bis sie einen geeigneteren Platz für ihr gemeinsames Leben gefunden hatten, mussten sie wohl hier bleiben.
Der Geruch nach frischen Äpfeln ließ Erle sich von ihrem Geliebten abwenden und aus dem Fenster sehen. Der Raum in dem sie sich befand war winzig und komplett aus Holz. gerade einmal groß genug für ein Bett und einen kleinen Schrank.
Bretter knarrten, als Erle sich mit dem Holz verband, um durch es hindurch zu wandeln. Das Gefühl der Vereinigung mit den alten Dielen war ekelhaft, aber ihr Verlangen nach Früchten nahm in den letzten Tagen immer mehr zu und war längst stärker als ihr Widerwille, sich mit totem Holz zu verbinden.
Der magische Baum wuchs einige Straßen weiter. Er war so groß wie die Dryade und trug einen einzigen Apfel, der von einem Dickicht aus Zweigen umhüllt war.
Erle griff durch das Dickicht, pflückte den Apfel und biss hungrig hinein. Sie musste sich den Saft vom Handgelenk lecken, weil er saftiger war als jeder Apfel, den sie je gegessen hatte. Sie hatte schon viele dieser Bäume gesehen, und jeder Apfel schmeckte süßer und köstlicher als der vorherige. Satt und zufrieden machte sich Erle auf den Weg zurück in das Haus ihres geliebten.


»Unsere Männer fallen im Krieg gegen die Stämme des Nordens und wir und unsere Kinder werden von einem Wahnsinnigen geschlachtet.«
»Das kann doch kein Wahnsinniger gewesen sein. Nur ein Dämon kann so grausige Morde begehen. Oder kennst du ein anderes Wesen, das einem Menschen das Herz aus dem Leib reißen würde?«
Kiran musste den Kopf schütteln. Das Geschwätz der Frauen auf dem Markt war zu einer echten Plage geworden. Entweder stritten sie über die Gestalt des Mörders, oder sie beschimpften ihn aufgrund seiner Untätigkeit.
Er war der beste Krieger des Reiches, hatte sein Schwert jedoch Erle zuliebe an den Nagel gehängt. seither lebten sie in einer kleinen Hütte mit zwei Zimmern in einem der Außenbezirke von Mirra, dem Handelszentrum des Reiches, wollten aber in den Süden ziehen, um in einem Wald ihr Glück zu finden.
Erle wirkte neben dem Krieger geradezu winzig. Er überragte sie um zwei Köpfe, seine Schultern waren mehr als doppelt so breit wie ihre. Die leichte Metallrüstung unterstrich seine kräftige Statur noch.
Die Dryade zerrte ständig an ihren Kleidern und kratzte sich. Sie hasste es Stoffe oder andere Dinge zu tragen, aber sie durfte nicht noch mehr auffallen, als sie es ohnehin mit ihrer grünen Haut schon tat.
Plötzlich hielt sie inne und starrte ihn mit einem seltsamen Blick aus ihren blauen Augen an. Etwas in diesem Blick verursachte ein Schauern in Kiran.
»Ich gehe einen Apfel essen. wir treffen uns zu Hause.« Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und schlenderte wie in Trance von dannen.
Verwundert fuhr sich der Hüne mit der Hand durch die kurzgeschorenen, braunen Haare und blickte ihr nach. schon seit einigen Wochen verhielt sie sich so merkwürdig.
»Bleib auf den Hauptstraßen und pass auf dich auf«, konnte er ihr noch nachrufen bevor sie verschwand.
Zwar hatte er Angst um seine Geliebte wegen des Mörders, doch wusste der Krieger, dass sie alles andere als wehrlos war und nach ihrem Verlust Zeit für sich alleine brauchte.
Alle, es waren ausnahmslos Alte, Frauen und Kinder, starrten den beiden nach, als sie getrennte Wege gingen. Beide ignorierten die Welt um sich.


Mit gut gefülltem Bauch kehrte Erle in der Abenddämmerung nach Hause zurück.
Sie hatte fünf magische Bäume gefunden und die Äpfel verschlungen, doch plötzlich konnte sie einen weiteren riechen.
der Hunger kam mit der Wucht eines Faustschlages zurück und sie folgte dem Duft bis zu seinem Ursprung.
Der magische Baum wuchs genau vor ihrem Haus.
Gierig rannte sie darauf zu und wollte den Apfel pflücken. Doch dieser Baum wehrte sich. Die Dryade konnte nicht an den Apfel herankommen, da die Zweige ihr immer wieder den Weg versperrten.
Mittlerweile war Erle nicht mehr Herr ihrer Sinne. Sie packte die Äste und riss jeden mit übermenschlicher Kraft aus dem Stamm. Harz mit einer etwas zähflüssigeren Konsistenz als Wasser spritzte durch die Luft und sie meinte einen Schrei zu vernehmen. Schließlich pflückte sie sich den Apfel und biss hinein.
Der Saft hatte dieselbe Konsistenz wie das Harz und schmeckte metallisch.
Ein Schrei hinter ihr, ließ sie auffahren und ausgleiten.
Der Boden unter ihr war blutgetränkt.
Ihr Gesicht war Blutrot und vor ihr lag eine brachial aufgerissene und entstellte Leiche. Der Apfel in Erles Hand war ein halb gegessenes menschliches Herz. Die braunen Augen der Leiche starrten sie entsetzt an. Es waren Kirans Augen.
Das war zu viel für die gepeinigte Dryade. Mit einem entsetzten Schluchzen brach sie zusammen.
Kiran hätte sie aufhalten können. Hätte ihr mit einem Schlag das Genick brechen können. Sie erlösen und sich retten. Doch er hatte es nicht getan. Der Krieger hatte sie mehr geliebt als sein Leben, selbst als sie zu dieser Bestie geworden war.
Sie hatte sich selbst das einzig wertvolle genommen, dass sie noch besessen hatte.
Nun musste sie sich eingestehen, dass der Traum doch ein Omen war. Dryaden konnten nur Leben, solange es genug Leben um sie herum gab. Gab es dieses Leben nicht mehr, mussten sie das Leben von anderen stehlen.
Ein eiskalter Hauch ließ sie aufschauen.
Der Tod stand über sie gebeugt da und hielt ihr ihre Sanduhr vor die Augen. Es waren bloß noch wenige Körner darin, doch sie waren verklumpt und passten daher nicht mehr durch das schmale Mittelstück passten.
Der Tod lachte sie laut und schallend aus. ein Geräusch, das Erle durch Körper und die kümmerlichen Reste ihrer Seele ging.
So plötzlich wie Er kam, war Er auch wieder verschwunden. Die Dryade wurde wütend, ein blinder, unbeherrschbarer Zorn, den nichts auf der Welt zu löschen vermochte. Der Tod hatte ihr alles Genommen, sie verspottet und ausgelacht und nun, wo es für sie nichts mehr gab, erwies Er ihr nicht einmal genug Respekt, um sie mit Sich zu nehmen.
Sie konnte spüren, wie ihre Haut, ihr Fleisch verdorrte, sie selbst zu einem Stück totem Holz wurde, dem es nicht erlaubt war, diese Welt zu verlassen.
Die Magd, die schon die ganze Zeit über hinter ihr Schrie, verfiel nun in hysterisches Gekreische und wollte davonlaufen, wurde aber von den untoten Wurzeln durchbohrt und ausgesaugt, ehe sie zwei Schritte machen konnte. Doch auch dieser Mensch vermochte den Hunger nicht zu stillen. Sie wollte mehr.
Und sie würde alle Menschen in diesem Grab bekommen!


Vor hunderten von Jahren, so erzählt man sich, sei die Stadt Mirra ein blühendes Handelszentrum gewesen, doch heute war sie von toten Wurzeln überwuchert.
Niemand wagte sich hinein, denn wer dort hineinging kam nie mehr heraus.
Einige Wagemutige, die sich bis an den Rand der Stadt wagten, berichten, dass man des Nachts eine Frauenstimme verzweifelt weinen hört, doch welche Frau sollte schon diesen Ort bewohnen, der nichts als Leid und Tod beherbergt?

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.03.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für die Federgruppe auf dass der Tod euch nicht betrügt

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