Niemand wird dich vermissen wenn ich dich gefressen habe, flüsterte die Stimme des M´rak in ihrem Kopf.
Sarib hörte sie unter ihren brennenden Schmerzen jedoch kaum. Alles was sie tun konnte war sich die Hände auf das faustgroße Loch in ihrer Brust zu pressen und in die Augen des Dämons über ihr blicken, Augen so orange als würde sich die untergehende Sonne in einem klaren Teich spiegeln. Die M´rak konnten bloß in der Morgen- und der Abenddämmerung in diese Welt übertreten und waren selbst dann unsichtbar bis auf die Augen, die abends orange leuchteten, morgens hingegen in mattem grau schimmerten.
Wieso bin ich nicht tot? Sarib konnte es sich nicht erklären. Der Dämon hatte ihr das Herz aus der Brust gerissen, der Waldboden war über und über mit ihrem Blut bedeckt, doch sie starb nicht und auch der Dämon machte nicht die geringste Anstalt sein Werk zu beenden.
Lass los, flüsterte er verführerisch. Geselle dich zu deiner Familie. Sie warten auf der anderen Seite auf dich.
»Wa-Warum … machst du mir … Hoffnungen?«, brachte die junge Frau hervor. Das Blut verklebte ihre rabenschwarzen Locken zu einer verfilzten, blutigen Masse, die ihre Sicht stark einschränkte.
Eine glückliche Seele wird mich stärker machen als eine traurige. Du wirst nie von dem Mann berührt, der sich deine Hand erkauft hat.
Ja, das war tatsächlich ein Trost. Nie würde sie von diesem schleimigen Wiederling berührt werden, der jedem Rock im Umkreis von zwei Meilen nachjagte. In einer Woche hätte die Hochzeit stattgefunden, doch der Tod würde sie retten. Ihr Vater hatte sie damals verkauft, als sie vor zehn Jahren in dieses Dorf kamen. Nach dem Tod ihrer Mutter bei ihrer Geburt hatte er sich in Glücksspiele und andere Ablenkungen von der Realität geflüchtet, konnte sich jedoch immer Zeit für seine Tochter nehmen – eine Eigenschaft, die sie bis heute für Zauberei hielt. Die Schulden stiegen dennoch wie ein Bach bei einem Wolkenbruch, und so blieb ihnen nichts anderes, als die Stadt zu verlassen und vor den Gläubigern in den Norden zu fliehen. Acht Jahre war sie damals gewesen.
Hier angekommen standen sie vor dem Nichts, bis ein Kaufmann meinte, er würde ein wahres Vermögen für eine Vermählung zwischen Sarib und seinem Sohn Erik bezahlen.
»Tut mir leid mein Kind«, hatte er mit Tränen in den Augen gebeichtet. »Aber ich habe das Angebot angenommen, damit du ein besseres Leben führen kannst als ich. Das gesamte Geld gehört dir und die Hochzeit findet erst ein halbes Jahr nach meinem Tod statt. Auch wenn es dir leider nicht vergönnt sein wird, dir deinen Mann selbst auszusuchen, so bin ich mir sicher, dass er dich gut behandeln wird und du ein angenehmes Leben haben wirst.«
Nächste Woche war es soweit. Ihr Vater war dann ein halbes Jahr Tod. Gestorben an einer seltsamen Krankheit, so tödlich, das nicht einmal der Schutzgeist der Quelle unter dem Dorf sie heilen konnte.
Siehst du? Es ist das Beste so. Ich bringe dich zu deinem Vater.
Mit tränenverschleiertem Gesicht sah Sarib die Augen Des M´rak auf sich zukommen und hörte nur noch einen Aufschrei, bevor alles schwarz um sie wurde.
»Sie wacht auf. Gerade noch rechtzeitig vor der Hochzeit. Überanstrenge dich nicht, Kindchen«, sagte die Dorfheilerin mit ruhiger Stimme. »Schließlich musst du heute noch jemanden heiraten.«
»Heute?!« Sarib war auf einen Schlag so hellwach, als hätte man sie in einen eiskalten Teich geworfen. »Aber ich habe noch eine Woche. Wieso lebe ich eigentlich noch? Ich hatte doch ein riesen Loch in meiner …« Sie betastete ihren Brustkorb, stellte aber fest, dass er vollkommen heil war. Noch nicht einmal eine Narbe war zu sehen!
Ach Kindchen, du hast beinahe eine Woche bewusstlos hier gelegen, nachdem wir dich im Wald fanden. Überhaupt hattest du Glück, kein M´rak hat dich gefunden und verletzt warst du auch nicht.« Ein Lächeln ließ die Falten und Runzeln auf ihrem Gesicht sich verbiegen und winden wie Schlangen. »Aber jetzt müssen wir dich fertig machen. Die Sonne ist schon aufgegangen, mittags beginnt die Trauungszeremonie und du trägst noch nicht einmal dein Brautkleid.«
»Ich will nicht diesen schmierigen Halunken heiraten! Ich meine, sollte ich nicht noch ein paar Tage warten, immerhin war ich wirklich lange bewusstlos.«
Vergiss es. Du hast einen Vertrag mit Erik und du weißt doch wie sehr wir Wert auf Verträge legen. Und das letzte was ich dir erzählen muss ist doch wohl, was wir mit Vertragsbrechern machen. Du warst doch in der ersten Reihe, als wir den letzten aufgeknüpft haben. Jetzt beeil dich, ich helfe dir in dein Kleid.«
Sarib glaubte, sie wäre in einem Alptraum, als sie zum Altar vor dem Eingang zur Höhle des Flussgeistes geleitet wurde. Sie sollte tot sein, sollte mit ihrem Vater vereint sein, und nicht mit einem Lüstling wie Erik verheiratet werden.
Ihr Bräutigam stand bereits am Altar und zog sämtliche hübschen Mädchen mit den Augen aus, war aber sofort gefangen, als er sie in dem tief ausgeschnittenen Hochzeitskleid aus weißer Seide sah.
Der Zeremonie folgte sie kaum, sie war zu beschäftigt damit, den M´rak zu verfluchen, der ihr das Leben geschenkt hatte, anstatt sein Versprechen zu erfüllen. Außerdem war sie noch nicht wieder ganz bei Sinnen. zumindest glaubte sie das, da sie farbig leuchtende Wolken in den Körpern der Dorfbewohner sah, und so etwas konnte doch nur eine Halluzination sein.
Anstatt des Treuegelöbnis sagte sie bloß: »Habe ich denn eine Wahl?« Erik presste seine Lippen auf ihre. Er stank nach Alkohol und seine Bartstoppeln Kratzten wie eine Brombeerhecke über ihr Gesicht, und damit war sie in den Fängen dieses Monsters, welches sich ab nun Ehemann schimpfte.
Die Feier zog sich in die Länge, es wurde reichlich getrunken, gelacht und gegessen, die Sonne ging bereits unter und in Sarib machte sich ein Gefühl immer breiter und breiter. Die farbigen Wolken wurden mit jeder Sekunde, die verstrich, klarer und sichtbarer, Geräusche und andere Sinneseindrücke gerieten immer mehr in den Hintergrund, verloren an Wichtigkeit, bis nur noch die frisch verheiratete Frau und ihr Ehemann in einer Welt aus Schatten waren.
»Komm mit! Wird Zeit, dass ich mich einer Ehefrau entsprechend verhalte.« Erik blickte verwundert von dem betrunkenen Schankmädchen auf, dem er schon seit einer Stunde schöne Augen gemacht hatte und blickte in das ernste Gesicht seiner Frau. Irgendetwas … Dunkles war in ihrem Blick und der stahlharte Griff auf seiner Schulter ließ keinen Widerstand zu. Also verabschiedeten sie sich von der angetrunkenen und fröhlichen Dorfgemeinschaft und gingen auf sein Haus zu. Kurz vorher bog seine Frau jedoch ab und zerrte ihn auf den Heuboden, wo sie ihn zornig in einen Heuhaufen warf.
Sarib warf einen Blick in den Spiegel, den sie zusammen mit einem Tisch und einigen Stühlen vor zwei Jahren hier heraufgebrachte, um Erik damit eins auszuwischen.
Nun blickten ihr aus diesem Spiegel ein orange leuchtendes Augenpaar, rasiermesserscharfe Fangzähne und lange Klauen zusammen mit einem gierigen Gesichtsausdruck entgegen. Der Hunger, den sie schon den ganzen Abend verspürte, war in der Dämmerung zu einer unstillbaren Gier geworden.
»Hierher hast du doch immer deine huren geschleppt, hast sie vorher betört, missbraucht und danach wie einen heißen Stein weggeworfen. Du hast einen Teil von ihnen getötet, hast ein Stück von ihnen in den Abgrund des Wahnsinns geworfen und sie danach noch gedemütigt.« Erik schrie auf. Sein Schrei vermischte sich mit dem Schrei, den der M´rak von sich gab, als er sie töten wollte und formte ein einziges Wort, dass sich mit der Schärfe eines Scharfrichterbeils in Saribs Kopf schnitt: »Dämonenfresser!«
»Wenigstens verfügst du über ein bisschen Intelligenz. jede kleine Sünde in deinem erbärmlichen Leben, jeder schmutziger Gedanke, jede Lüge hat dir ein Teil von deiner Menschlichkeit genommen, hat dich zu einer Bösen Seele werden lassen. Oder, da du mir jetzt ausgeliefert bist, zu meinem Abendessen!«
Sarib lag hilflos auf dem Boden, durchlebte die Stunde der Dämmerung immer und immer wieder, konnte ihren Blick nicht von der abgezogenen Haut , den ausgesaugten Knochen oder den zerfetzten Eingeweiden nehmen. Ihre Fangzähne hatten ihre Lippen zerschnitten, die Krallen ihre Hände und ihre Tat hatte ihren Verstand in eine Spirale aus Abscheu und Lust verwandelt. in der Morgendämmerung wäre sie endlich von der Menschlichkeit befreit und könnte ihren Hunger erneut stillen, aber bis dahin würde sie leiden, die Qualen, die der Rest ihres Lebens für sie bereithalten würden, mit jeder Faser ihres Seins durchleben, und das in ein paar Stunden.
Die Morgendämmerung begann. Sarib sah die M´rak vor den Toren des Dorfes, warteten auf den Befehl ihrer Herrin, bereit, das Dorf zu stürmen und endlich ihre Bestimmung zu erfüllen.
Der Schutzgeist war vergangene Nacht vernichtet worden. Sarib war der letzte unschuldige Mensch in diesem Dorf gewesen, doch die unschuldige junge Frau Sarib war tot, umgebracht und verzehrt von der Dämonenfresserin, zusammen mit den Resten des Schutzgeistes.
»Treibt sie zusammen und lasst mich entscheiden, wer mir als Mahlzeit dienen darf.« Sieh sah den M´rak bei der Ausführung ihres Auftrags an. Sie waren allesamt kleine Kinder, misshandelt von ihren Eltern, junge Frauen, von Männern vergewaltigt und ermordet oder Gelehrte, die man aufgrund ihrer Ansichten getötet hatte. Unschuldige Menschen, verdammt als Augen der Dämmerung nach Bösen Seelen Ausschau zu halten und sie einzufangen.
Als alle Dorfbewohner auf dem Platz versammelt waren, schritt die Frau, die einmal Sarib hieß, von einem zum anderen und betrachtete die farbigen Wolken der Bosheit in den Menschen.
Vor dem Lehrling des Schmieds blieb sie stehen. Er war zwei Jahre jünger als ihre menschliche Seite und war überrascht, als sie ihn küsste – bis sie ihm die Zunge abbiss und »Lügner!« flüsterte. Einer der M´rak, ein junges Mädchen, das keine Kehle mehr hatte, beendete die Qualen des Lehrlings.
»Diebin!« sagte die Dämonenfresserin, als sie der Dorfheilerin die Arme ausriss. Eine schwarze Wolke lenkte plötzlich ihre Aufmerksamkeit auf sich, weg von der schreienden und blutenden Alten.
»Du schleppst mehr Bosheit mit dir herum als ich aus diesem Dorf heraussaugen könnte, Priester! Du bist der Dämonenbeschwörer. Deinetwegen ist ein Vertrag in diesem Höllenloch wichtiger als ein Leben. Du wusstest, was mit dem Schutzgeist war und ich hätte heute Nacht geopfert werden sollen, aber jetzt werdet ihr geopfert werden.« Ihre Hand schnellte vor, am Hals des Priesters vorbei und packte einen kleinen Jungen mit Hörnern, der bis eben noch nicht hinter dem Priester gestanden hatte. Krallen und Zähne bohrten sich in den Jungen, ein unheiliger Schrei entwich aus seiner Kehle und dann verstummte er.
»Was seid ihr für Kreaturen?«, brachte der alte Mann hervor, starr vor Schreck über den Verlust seines Beschützers.
»Wir sind bloß Augen in der Dämmerung. Augen, die es leid sind, die Verderbtheit dieser Welt zu sehen, Augen, die verflucht wurden. Verflucht, weil wir unschuldige Wesen waren, die in einer verderbten Welt lebten und dazu verdammt wurden, ihre reinen Seelen mit der Bosheit der Welt zu füllen. Ich bin die letzte, die Königin der M´rak, die letzte reine Seele der Welt und ich werde das größte Übel aller auf mich nehmen. Nachdem alle Schlechtigkeit von uns aufgenommen wurde, werde ich meine Untertanen erlösen und mit der gesamten Bosheit der Welt in meiner Seele ein Zeitalter der Finsternis einläuten, das mit der absoluten Zerstörung des Lebens enden wird.« Schwarze Tränen liefen ihr bei diesen Worten über die Wangen. Mit einem wütenden Brüllen stieß sie ihre Hand in die Brust des Priesters und riss ihm samt einer schwarzen Blutfontäne ein noch schwärzeres Herz aus der Brust.
Das Zeitalter von Tod und Zerstörung würde bald beginnen, und Sarib brannte auf ihr neues Königreich.
Tag der Veröffentlichung: 03.02.2011
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