Ich war 12, als mir das erste mal ein Obdachloser wirklich auffiel.
Ich wusste nie, was ich von ihnen halten sollte. Ich fand sie immer nur schmutzig und widerlich. Ich meine, es ist doch so einfach ein Job und eine Wohnung zu haben.
Wie naiv ich doch war.
Mit 17 fing ich meine Ausbildung an, wie glücklich ich doch war. Endlich konnte ich mal zeigen was ich drauf habe. Endlich selbstständig. Mit 19 habe ich sie abgebrochen. Ich ging lieber mit Kumpels Party machen. Meine Eltern hatten genügend Geld und ich bekam eh alles was ich wollte. Jedes Wochenende 1.000 ¤ auf den Kopf gehauen. Wer hat, der hat war mein Motto.
Wir gingen immer in den selben Club, auf den weg dorthin mussten wir am Bahnhof vorbei.
Dort, wo immer das Zeckenpack rum hing. Ich habe sie gehasst, diese Sozialschmarotzer. Warum gingen sie nicht arbeiten. Warum bettelten sie nur.
Wie naiv ich doch war.
Wenn ich mich heute daran erinnere, muss ich immer grinsen.
Über meine Dummheit und Naivität.
Ich bin jetzt 37 und lebe seit 10 Jahren auf der Straße. Es könnte auch sein das ich 38 oder 39 bin, aber das interessiert ja doch keinen. Wie ich obdachlos wurde, weiß ich nicht mehr.
Dafür weiß ich, wie mir meine Freunde geholfen haben.
Sie lachten mich aus, traten und beschimpften mich. Es machte mich so traurig.
Jetzt sitze ich hier draußen, in der Kälte. An mir laufen die Passanten vorbei, sie gehen zum Weihnachtsmarkt. Manchmal hält der ein oder andere an um mir eine Kleinigkeit zu geben. Meistens ist es leider nur ein Rat. Geh arbeiten. Geh zum Staat.
Wie oft ich es schon gehört habe. Wenn du so tief unten bist wie ich, dann interessiert sich keiner mehr für dich. Jedenfalls fast keiner. Es gibt zwar noch die Notunterkünfte und die verschiedenen Hilfswerke, aber auch sie können nicht viel machen. Sie sind selber auf den Staat und Spenden angewiesen.
Es wird langsam Abend. Ich hatte heute einen guten Tag und 20 ¤ gemacht. Jetzt brauche ich einen Schlafplatz. Zu den Notunterkünften gehe ich nicht mehr hin. Zu viel Ungeziefer und zu viel Leid. Vor allem weiß man nie, wer neben einem schläft. Ich mache lieber Platte. Habe dieses Jahr zum Glück einen neuen Schlafsack bekommen, der auch warm hält.
Andere haben nicht so viel Glück.
Ich gehe zu meinem Lieblingsplatz, da sehe ich auch meisten Sie. Ich weiß nicht, wer genau Sie sind. Wir trafen uns vor ein paar Jahren und sind seitdem jeden Winter hier. Es sind die, die noch nicht aufgegeben haben. Die die noch träumen, von Zuhause und von Weihnachten. Ich beneide Sie. Es sind 5 Leute zwischen 20 und 60, so genau kann ich es nicht sagen. Die Straße lässt einen altern.
Meist sind noch andere dabei. Sehr oft auch junge Punks, die von zuhause weg sind und eine Zeit lang auf der Straße leben. Sie gehen aber meist nach kurzer Zeit wieder. Wollen lieber Zuhause, in einem warmen bett schlafen. Ich kann sie verstehen.
Doch heute sind Sie nur wieder zu fünft. Im Winter ist es meisten so. Da sind die Ausreißer zuhause oder bei Kumpels. Ich setze mich wieder zu ihnen.
Sie sind wieder am erzählen. Von Weihnachten und von Zuhause, ihre Lieblingsthema.
Es wärmt mir immer die Brust.
Wenn man auf der Straße lebt, hat man leider nicht viel. Außer Freunden.
Ich werde langsam müde und kuschel mich in meinen Schlafsack. Es ist heute wieder eine kalte Nacht. Ich weiß nicht was morgen kommt, doch wenn ich ihnen zuhöre weiß ich das ich es schaffen werde.
Ich kommer hier raus.
Ich werde wieder ein Zuhause haben.
Ich werde wieder Weihnachten feiern.
Wie naiv ich doch war.
Der Schlafsack war für solche Temperaturen nicht ausgelegt. Ich bin nie wieder erwacht.
Tag der Veröffentlichung: 27.12.2011
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