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Vor-Sätze und ein Mann muss sich entscheiden können

 

 

60 Prozent der Männer, die haben so `nen Leichenfrust. Halt mit Familie und so, man hat sich irgendwie arrangiert, aber man braucht abends einen, der´s mal sagt.

 

Harald Schmidt, Entertainer

 

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Unter der Dusche kommen mir die besten Ideen. Das warme Wasser läuft an meinem Körper runter. Es wirkt entspannend und der grausligste der grauen Alltage wird zu einem phantasievollen Ereignis. Ich habe die Augen geschlossen und ich spüre die Regungen ganz deutlich. Es kribbelt in meinen Fingerspitzen. Das wird er, das ist er - groß, mächtig und doch sensibel. Wir sind ein unschlagbares Team - mein Geist und seine Stärke. Ich spüre die Kraft und die Herrlichkeit für jetzt und alle Ewigkeit. Er wird den Frauen Vergnügen bereiten und den Männern eine Lehre sein. Noch nie war ich so sicher. Heute, sofort und jetzt muss es geschehen. Die Welt wartet darauf.

Ich liebe sie. Es wird eine sämige Vollmondnacht, würdig um Helden zu zeugen, und heute Nacht werden wir es tun.

Ich trockne mich mit Bedacht ab. Dann verwende ich etwas revitalisierende Body-Lotion, die Gute für besondere Anlässe, für meinen Körper. Ich habe noch eine andere Lotion, aber nur diesen, meinen Body. Etwas Eau de Toilette entspannt und versetzt mich in die sinnliche Stimmung für große Taten. Ich muss es tun. Jetzt und sofort. Ich kleide mich sorgfältig an und verwende keinen Gedanken an eine frische Unterhose. Cowboys in Texas tragen keine Unterhosen. Das sind harte Kerle, die alles zureiten können. Ich will, ich muss es tun, aber zuerst noch an den Kühlschrank. John Wayne hat nur Bourbon getrunken, aber Whiskey ist für mich „die Zigarette danach.“ Ein großes Glas, gefüllt mit kaltem Orangensaft, gepresst aus frischen Orangen, verstärkt meine sprühenden Gedanken.

Frisch geduscht und erfrischt setze ich mich an den penibel aufgeräumten Tisch. Links liegt der Duden, schon etwas angestaubt, und dazu eine Ausgabe der neuen Rechtschreibung. Rechts eine kleine Auswahl silberglänzender Scheiben mit smoother Rockmusik aus den Endsechzigern und frühen Siebzigern. Sorgfältig putze ich meine Brille und lehne mich zurück. Kritisch und etwas herablassend lächelnd sehe ich sie an. Sie steht vor mir. Schweigsam, dunkelfeucht glänzend und bereit auch ausgefallene Spiele zu spielen und meine Wünsche ohne Widerspruch zu erfüllen. Für einen Moment schließe ich die Augen und falte die Hände. Es sieht nur so aus, aber ich bete nicht. Dieser Moment ist wie eine geheimnisvolle Zwiesprache mit ihr. Ovid, der alte Römer hätte jetzt gesagt: „Wähl dir eine, der du sagst: Du nur gefällst mir allein.“ Ich will keine Andere. Warum auch? Sie gehorcht aufs Wort, und nur das zählt. Noch ist sie still wie es sich gehört, aber ich spüre ihre sinnliche Kraft.

Ich möchte sie berühren.

Ich zögere.

Ich tu es.

Vorsichtig drücke ich sie auseinander, und sie wehrt sich nicht. Warum auch, ich bin es. Sie kennt ihren rechtmäßigen Besitzer und Meister. Jetzt sehe ich ihn, den kleinen, etwas versteckten Power-Button. Das Knöpfchen ist schön und irgendwie ästhetisch. Ich lächle weil ich weiß, dass ich viele Dinge kenne, aber noch Unzähliges lernen muss. Ich berühre es vorsichtig mit der Fingerspitze des Zeigefingers meiner rechten Hand. Ein leichter Druck genügt, und sie vibriert. Ich höre leise, fast zärtliche Töne. Es gefällt ihr.

Ich liebe diese Momente der Erwartung. Es ist wie mit einem genialen Verbrechen. Der Coup kann nur gelingen, wenn man sich auf seinen Partner hundertprozentig verlassen kann. Ich habe die beste Komplizin der Welt. Ich weiß, nur ihr kann ich alle Geheimnisse anvertrauen. Es ist wie bei der Mafia. Wenn drei Leute ein Geheimnis kennen, müssen zwei sterben. Bei uns ist es anders. Sie lebt. Sie ist verschwiegen, und sie gehorcht nur mir. Ich behalte sie noch einige Monate, aber dann suche ich mir eine neue, eine Jüngere. Sie weiß es noch nicht, aber wenn ich zu lange zögere, fällt der Preis. Also muss ich sie verkaufen ("das verstehst du doch, Baby") - am besten bei einer Versteigerung. Morgen werde ich mich bei Ebay umsehen. Davon weiß sie noch nichts, und sich sage es ihr auch nicht.

Sie ist besser als die, die ich vorher hatte. Sie funktioniert perfekt und sie kann schweigen. Jetzt schnurrt sie leise, wie eine Katze die am Bauch gekrault wird. Ich bin ihr Gebieter, aber ist es so, oder wünsche ich mir, dass sie heute den aktiven Part übernimmt und mich intellektuell submissioniert? Wird es dann immer so sein? Wird sie, ganz in schwarzem Plastik über mich herrschen? Noch bin ich unentschlossen, aber ich lasse es sie nicht spüren. Disziplin und Präzision gehören zum Spiel, und nur dann kann ich sie benutzen wie ich es will.

Gehorsam gehorcht sie den Befehlen, um das zu tun was zu tun ist. Lächelnd denke ich: „Sie braucht nicht lange. Sie geht los wie eine Rakete.“ Fasziniert beobachte ich wie sie schnell hochfährt. Sie ist gut konditioniert. Ich habe nicht lange dazu gebraucht, ihr alles beizubringen was ich mag. So wie ich es liebe, funktioniert alles perfekt.

 

Vor mir erscheint in unschuldigem Weiß der Hintergrund meines Textprogramms. Eigentlich sollte ich mal ihre Festplatte aufräumen, aber dazu ist später auch noch Zeit. Ein Bestseller, ein Megahit und mein Bankkonto können nicht warten. Ich darf meine Leser nicht enttäuschen.

Links oben blinkt sie, sie zwinkert mir zu. Sie kennt mich und wartet auf meine Befehle, immer willig und bereit. Es juckt mir in den Fingern, ich muss meine genialen Gedanken niederschreiben. Die Menschheit musste zu lange warten. Es muss jetzt entstehen - mein Buch, der Bestseller.

Links oben blinkt der Cursor und wartet auf die ersten Buchstaben. Sie lebt, sie ist nervös, ich bin nervös, mir ist heiß. Sie gibt mir Zeichen, sie ist heiß.

Wenn man liebt ist man verliebt oder man entliebt sich. Ich spüre meine genialen Gedankengänge und bekomme Durst. Die Steigerung von Durst ist durstig. Man ist satt, wenn man nicht mehr hungrig ist. Was mache ich danach, wie soll es weitergehen? Ich finde kein Wort für den Zustand, wenn man nicht mehr durstig ist. Ich gehe noch einmal zum Kühlschrank, aber frischer Orangensaft aus frisch gepressten Orangen ist aus. Kirschsaft ist auch nicht da, aber Wasser aus der Leitung gibt’s im Überfluss. Ein Glas kaltes, erfrischendes Wasser, frisch geklärt aus der Ruhr ist gut für die Kondition. Nach dem ersten Schluck fühle ich mich noch topfitter. Ich zögere. Leitungswasser enthält Pestizide und Östrogene. Ob sie die Pille nimmt, oder womöglich verseucht ist. Erst gestern, weit nach Mitternacht waren wir doch zusammen in einem Chat, wo anständige Menschen nicht hingehen, und nackte Frauen und Paare ihr Unwesen miteinander treiben?

Was soll es, das checken wir später. Der zukünftige Bestseller entsteht. Vor mir ist eine weiße Fläche und links oben blinkt ihr Cursor. Mir wird vor Glück schwindelig - ich bin genial und mir ist nach einem klaren Grappa.

Warum heißt das Wohnzimmer eigentlich Wohnzimmer? Es müsste Denkzimmer heißen. Ist ein Frauenzimmer so etwas wie ein Harem und wie wird es mir mit den siebzig glutäugigen Jungfrauen im Paradies ergehen? Sind die Mädels verschleiert und ansonsten nackt, oder zicken die nett vollfleischig und mit Doppelkinn unterm Schmollmund rum? Ich bin voller spritziger Ideen für einen Bestseller.

 

Im Hintergrund läuft der Fernseher. Er stört mich bei meinen Überlegungen. Ich drehe mich um und sehe es vor mir. Ich erschrecke, ich bekomme Angst und stehe auf. Hinter mir ist die Wand, rechts ist eine Wand und links auch. Nur vor mir gibt es noch einen Ausweg. Bedächtig nach Worten ringend gehe ich auf und ab. Ich schweige, denn was ich vor mir sehe ist die Hölle und nicht das Paradies.

Vielleicht vermehrt es sich ja und ich habe es nicht bemerkt. Ich setze mich wieder zu meiner Geliebten, an die Tastatur meines Computers und durchsuche das Internet. Aber ich finde nichts über seine Lebensgewohnheiten. Wie liebt es und wen? Es gibt nicht den kleinsten Hinweis über die Wachstumsphasen und die Fortpflanzungsmethoden. Sex im Internet ist auch nicht mehr das was es einmal war, aber mir juckt es in der Hand und ich kratze mich am Skrotum.

Links oben blinkt der Cursor. Es ist die Aufforderung, meine Gedanken niederzuschreiben.

Miststück, du versuchst mich unter Druck zu setzen.“ Ich spreche es nicht aus, aber meine Gedanken sind frei. Ich muss mich gelegentlich mal entscheiden.

Ich kann es nicht, ich habe keine Gedanken, ich fühle mich leer und ausgebrannt. Das Wasser schmeckt nach Leitungswasser. Ein Grappa würde mir und meinem Magen jetzt gut tun, aber Grappa ist auch aus. Bols blau ist noch da, aber ich hasse das Zeug, außerdem hat die Flasche schon Staub angesetzt.

Das Geräusch des Fernsehers wird immer lauter und es ist immer noch da. Warum geht es nicht? Lebt es hier? Hat es keine natürlichen Feinde? Warum gebraucht es nicht seine Beine? Hat es Beine? Ich schaue vorsichtig über die linke Schulter. Es ist immer noch da und mein Bestseller wartet.

Warum ist es sprachlos? Es gibt keinen Ausweg, der Cursor blinkt und sie schnurrt. Gibt die Maschine mir Signale? Will sie mir eine Botschaft senden? Ich verstehe sie gut, zu gut. Vor mir ist der Bildschirm meines Computers. Hinter mir ist das Geräusch des Fernsehers. Ich wage es nicht, mich dem Gerät zu nähern, es könnte Entsetzliches passieren. Ich habe Angst und ich liebe meinen Flachbildfernseher auch, aber anders. Nicht so wie meine Geliebte, meine schöne, schwarze Maschine, meinen saugeilen Computer. „Stay on the scene like a sex machine.“ Er ist weiblich und sie gehört auch zu mir und zu meinem Leben, wie mein Namen auf dem selbstgetöpferten Namensschild am gedrehten Bändchen an der Wohnungstür.

 

Ich muss jetzt einen Bestseller schreiben. Ich bin dazu berufen, ich weiß es. Ich kann es schaffen, wenn ich es will. Ich gehe noch einmal zum Kühlschrank, zuerst an der Wand entlang durchs Wohnzimmer, mich klein machend und etwas geduckt am Fernseher vorbei, schweigend und den Blick auf mein Ziel gerichtet zur Küche.

Was ist Zeit? Zeit ist nur ein leerer Raum und in der Ewigkeit und in meiner Küche gibt es keinen Anfang und kein Ende. Ich bin ganz entspannt im Hier und Jetzt. Meine Komplizin steht unter Strom. Strom ist gelb, aber welche Farbe hat Zeit? Die Wände der Küche sind zartblau gefliest und die Decke müsste mal wieder gestrichen werden. Die Spülmaschine muss ausgeräumt werden, damit sie wieder befüllt werden kann. Ein immerwährender Kreislauf bis ans Ende aller meiner Tage, und nur mit ihr kann ich dem Elend entkommen.

Geiles Ding. Nur du bist mein einziger  Trost. Du wartest auf meine Befehle.“ Habe ich das gesagt oder gedacht? Sie möchte gestreichelt werden. Ich hab Bock auf sie und sie weiß es. Gedanken und Empfindungen warten darauf geschrieben zu werden und im Kühlschrank ist nichts. Er ist weiß und leer wie der Bildschirmhintergrund.

 

Ich höre den Dialog zweier Frauen. Die Stimmen kommen aus dem Fernseher. Ich fühle mich wie hinter Gittern und leidenschaftlicher Sex in der Stadt ist nur ein Gerücht, wenn man verheiratet ist. Ich gehe einige Schritte auf und ab. Vier Schritte nach links und vier Schritte nach rechts, dann wieder zurück. Dann durchs Wohnzimmer zu ihr. Ich sehe auf meinen Bildschirm und ich sehe den Cursor. Sie hat auf mich gewartet, meine Sklavin ist gewohnt zu gehorchen.

Aber warum drehe ich mich jetzt um? Es liegt immer noch auf dem Sofa. Eigentlich ist es ein putziges Wesen, wenn es mich nur verstehen würde - irgendwie. Ich schwanke zwischen Willen und Widerwillen. Es ist lustig, wie es sich stundenlang mit dem kleinen grauen Spielzeug beschäftigen kann. Eigentlich ist es ein pflegeleichtes Lebewesen. Ich denke an meine Kakteen, sie brauchen mehr Zuwendung. Mir fällt Paul der Apostel ein, der vor langer Zeit zu den Korinthern sagte: „Ich bezwinge meinen Leib und bringe ihn zur Dienstbarkeit.“ Da hat er weise gesprochen, der alte Griesgram, und ich gehorche. Zwar treibt mich meine niedere menschliche Natur an, das zu tun was ich nicht für recht halte, aber allein durch die Kraft meines Geistes und meines Willens unterdrücke ich die von meinem schwachen Körper ausgehenden Versuchungen nach einem spontanen Mord. Ich zwinge meinen Körper, sich nach meinem Verstand zu richten. Ich muss mich um meinen zukünftigen Bestseller kümmern und setze mich wieder an den Tisch. Der Cursor blinkt mich zärtlich an. Ich höre das leise Schnurren ihrer Festplatte. Es sind Töne der Liebe und der Sinnlichkeit. Ich berühre ihre Maus. Es gefällt ihr und der Cursor zittert vor Erregung.

Ob es immer noch mit seinem Spielzeug rummacht? Ich drehe mich nicht um, aber ich höre es. Meine Nerven sind wie die Saiten einer Stradivari gespannt.

Ist der Fernseher lauter geworden? Die Grappa-Flasche ist immer noch leer. Ich fühle mich ausgebrannt und wie auf einer weit abgelegenen Insel mitten im Ozean. Einsam und unendlich verlassen.

Ich schaue auf den Bildschirm und dann sehe ich aus den Augenwinkeln eine kleine Bewegung. Nicht das Sofa in meinem Wohnzimmer ist seine Lebensgrundlage. Es sind die Fingerspitzen. Sie haben sich auf dem grauen Plastikkästchen bewegt. Ich habe es ganz deutlich gesehen. Ich habe es entdeckt. Es ist eine wissenschaftliche Sensation. Die Energieströme verlassen den Körper und konzentrieren sich in den Fingerspitzen. Der Körper ist nur ein lästiges Anhängsel. Vor unendlich langer Zeit habe ich einen schönen Körper geliebt. Er hat sich ausgedehnt. Er ist ohne Energie und ich habe Hunger auf einen Chefsalat vom Italiener und eine Pizza Hawaii mit Käse der keiner ist.

 

Habe ich es nur gedacht oder tatsächlich ausgesprochen? Ich höre ein Geräusch und es bereitet mir in meinen Ohren starke Schmerzen. Hier in meinem Raum, aus meinem Wohnzimmer, von meinem Sofa kam eine menschliche Stimme, die zu mir spricht: „Ich arbeite den ganzen Tag, du kannst dich auch mal ums Essen kümmern.“

Das Geräusch des Fernsehers wird wieder lauter. Es stört mich immer mehr. Vor mir ist der weiße Bildschirmhintergrund. Sie wird ungeduldig, ich muss ihr meine Liebe zeigen. Meine Maschine lebt, der Cursor blinkt ärgerlich und ich kann es ihr nicht übel nehmen.

Ob das Geräusch des Fernsehers mit den Plastikkästchen zusammenhängt? Ich stehe auf und gehe vorsichtig ein paar Schritte auf das Plastikkästchen zu. Ich versuche danach zu greifen. Ich schaffe es nicht. Zeternd und keifend halten feuerrote Krallen das graue Plastikkästchen fest. Ich sehe den hasserfüllten Blick, der durch mich hindurch zu sehen scheint. Meine Hand zuckte zurück. Sind das noch die liebevollen und warmen Augen die ich mal kannte? Bin ich noch wesentlich, oder nur eine lästige Sichtblende. Lebt das unförmige Anhängsel noch oder wird es nur durch das graue Plastikkästchen am Leben gehalten? Vielleicht ist das Spiel mit dem Kästchen nur eine Art stille Revolution gegen die unerträglichen Lebensumstände in meinem Wohnzimmer? Soll ich das Kästchen einfach mit Gewalt an mich nehmen, und kategorisch demonstrieren, dass die Macht mit mir ist? Aber was geschieht dann mit den Fingern? Kann man sie von dem Kästchen lösen? Stirbt der unförmige Körper dann ab und was wird aus den Telenovelas, aus TV-Kaiser und den Fernsehgerichten? Könnte es sich nach mir überhaupt noch selbst versorgen? Wie wird es ernährt? Vielleicht mit aufgeschnittenen Brötchen, zwischen denen ein grauer Fleischklops liegt? Das Geräusch des Fernsehers wird wieder lauter.

Ich habe Hunger, ich brauche Energie. Entweder das Kästchen oder ein Bestseller - ich gehe in die Küche und greife nach dem großen Messer im Messerblock. Langsam ziehe ich es heraus. Es ist ein japanisches Messer. Es liegt gut in der Hand und die extrascharfe Klinge des Messers blitzt. Ich höre eine disharmonische Stimme aus dem Wohnzimmer: „Kannst du endlich mal Abendessen machen, oder hast du schon wieder nichts eingekauft, du Versager.“

Ich denke an das Leben mit meiner Geliebten. Der Cursor blinkt zärtlich: „Nur du bist mein Leben. Nur dir gehorche ich. Tu es! Tu es jetzt!

Das Messer liegt gut in meiner Hand und nur die Liebe zählt. Ein Mann liebt seinen Computer, und ich muss tun was ich tun muss. Ich schreibe ein Buch.

 

 

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Der Geist des Mannes ist normalerweise frisch und aktiv.

Das kommt nicht von ungefähr, sondern von der Fähigkeit des reflektierten Denkens. Genetisch bedingt, geht der Mann voller Tatendrang den Dingen auf den Grund. Gegen diesen Reflex kann sich der Mann nicht wehren, denn die Evolution hat es so vorgesehen. Sein aufrechtes Tun ist sein Schicksal.

Der Geist der Frauen ist vollkommen anders. Er führt eine Art flatterhaftes Triebleben - bildhaft gesehen wie ein ziellos treibendes Ruderboot auf einem spiegelglatten Bergsee, kurz vor dem Einsetzen des Alpenwinds. Das muss man wissen, um von lustigen und scheinbar sanftmütigen Frauen nicht geblendet zu werden. Aktives, weibliches Verhalten, gepaart mit den üblichen, körperlichen Attributen versucht nur den fehlenden Inhalt zu überdecken, an dem sich der Geist stärken und weiterentwickeln könnte, was er aber nicht macht. Zusammenfassend kann man mit gutem Gewissen sagen: Bei der Beurteilung einer Frau geht es letztendlich nicht darum wie viele Schuhe, sondern wie viele Tassen sie im Schrank hat.“

 

Paul van Cre im Oktober 2010

 

Ich rede mit dir, und warum Jimi mit Uschi vögeln durfte

Aufhören wirst du zu fürchten, wenn du aufhörst zu hoffen, denn der Hoffnung folgt die Angst. Beides ist das Merkmal eines abhängigen, in Erwartung der Zukunft beunruhigten Gemütes. Das liegt hauptsächlich daran, dass wir uns nicht auf die Gegenwart einstellen, sondern die Gedanken in weite Ferne vorauseilen lassen. Die Erinnerung bringt die Qual der Angst zurück, die Voraussicht nimmt sie vorweg; niemand ist nur wegen der Gegenwart unglücklich!

Seneca, 5.Brief

 

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Jimi Hendrix durfte mit Uschi O. vögeln. Das hatte Stil, das ist uns im herbstlich trüben Gedächtnis haften geblieben, und Jimi wurde nicht nur wegen seinem disharmonischen Geschrammel unsterblich. Jetzt, am Ende des breiten Weges muss ich mir neidvoll eingestehen: Ich hätte vieles anders machen sollen. Ich habe es vermasselt. Für mich, den Normalbürger blieb nur der übliche Feld-, Wald- und Wiesenschrott. Wenn ich heute über die vielen, entgangenen Möglichkeiten nachdenke, dann spüre ich, dass sich der Frust wie der Affe in meinem Genick festgebissen hat. Aber soll ich resignieren? Das Leben ist nun mal hart und das Alter nichts für Feiglinge. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, und für den kläglichen Rest meiner Lebenszeit bleibt ein  kleiner Trost. Jimi ist seit mehr als vierzig Jahren tot, und ich lebe immer noch, und das hat auch seine Vorteile. Denn ich kann dir jetzt meine Geschichte erzählen.

 

Du gähnst und schüttelst mitleidig deinen angegrauten Kopf. Deine Frau schaut über deine linke Schulter und mault: „Was liest Du da schon wieder für einen Mist? Der Abwasch steht noch rum, und der Dachboden müsste auch aufgeräumt werden!

Jetzt, in diesem Moment solltest du (vielleicht das erstemal in deinem Leben) deinen ganzen Mut zusammennehmen, und sie in die Küche, oder noch besser, in den Keller schicken. Denn dieses wertvolle Buch ist nur für dich mein Freund bestimmt.

Aus deinem Gesicht kann ich wie aus einem offenen Buch lesen. Du denkst, dass ich nicht dein Freund bin, und dich nur anlüge? Deine Zweifel frustrieren mich. Aber ich schwöre dir, dass sich das, was ich dir jetzt erzählen werde, tatsächlich so zugetragen hat. Ich rede nicht über die Frau, mit der ich viele Jahre meines kostbaren Lebens vergeudet hatte. Ich meine die unvergleichliche, die göttliche und einzigartige Sina, also Petra, die sich Sina und wie ich später erfahren habe, oft auch ganz anders nannte, und die mir das neue Sehen beigebracht hat. Ich weiß, jetzt wird es kompliziert, und vielleicht klingt es für dich irritierend, aber ich hätte es wirklich und wahrhaftig und noch viel mehr getan, wenn sie es verlangt hätte, was sie aber nicht getan hat. Ja, ganz im Vertrauen und nur die sage ich es: Ich hätte auch den Boden abgeleckt, auf dem sie mit ihren zarten Füßen ging. Warum sie es nicht von mir verlangt hat? Auf diese Frage weiß ich bis heute keine Antwort. Ich will auch nicht mehr darüber nachdenken, weil ich nicht mehr daran denken will, dass ich nach so langer Zeit immer noch an sie denken muss. Vielleicht ahnte sie nur nicht, wie weit sie gehen konnte und was ich für sie zu tun bereit war.

Du fragst dich, warum ich dir meine Erlebnisse mit der einmaligen und göttlichen Sina, also Petra, die sich Sina nannte, erzähle? Weil verheiratete Männer, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben, häufig von so einer Art Leichenfrust in Verbindung mit einem besonderen Mitteilungsbedürfnis befallen werden. Bis zu einem bestimmten Punkt, haben die sich irgendwie mit ihrem Leben arrangiert, und das war ´s dann - denken die. Ich bin keine Ausnahme, und bei mir war es nicht anders. Und dann, ganz plötzlich und wenn du dich schon aufgegeben hast, und eigentlich nicht mehr damit rechnest, meldet sich dein revolutionärer Überlebenswille. Er packt dich an deiner Seidenkrawatte, zieht sie langsam zu und spricht freundlich, aber doch bestimmt zu dir: „Sei einmal in deinem Leben stark und entscheide dich. Es gibt nur einen Mann im Haus. Vergiss die Selbstzusammenschraubregale mit Riester-Rente. Vergiss die unendlichen Abwasch- und Putzdiskussionen die dich zum nutzlosen Domestiken degradieren. Vergiss den dir verordneten Deo-Roller und die widernatürliche Sitzpinkelei. Verscheuch die Rotznasen, die angeblich von dir sind, und die dir nur auf der Tasche liegen. Geh nicht zum gemeinsamen Elternsingen in die Waldorfschule. Sperr jetzt und sofort deine Frau weg - am besten in den Keller, und dann setz den Keller zwei Meter unter Wasser (danke Werner, für den Tipp). Sie hat hier nichts zu suchen. Sie soll nicht mitlesen, sie würde es doch nicht verstehen …“ Du siehst, der Überlebenswille ist ein ziemlich durchgeknallter Typ und das was er sagt klingt nicht nur für deine Ohren hart. Auch ich bin sensibel, und habe mich lange Jahre gegen sein defätistisches Geflüster zur Wehr gesetzt. Aber du kannst es mir glauben - eines ist so sicher wie das Amen in der Kirche - auch du wirst seine weisen Worte eines Tages so und nicht anders hören, wenn du erst mal mein Alter erreicht hast. Das soll jetzt nicht überheblich klingen, denn das ist es nicht. Es ist auch nicht die scheinbare Gelehrtheit des Alters, die mich zum abgeklärten Zyniker gemacht hat. Altersweisheit ist nur eine platte Entschuldigung für ein buntes Sammelsurium gelebter Erfahrungen.

Warum es bei mir so war? Mich hatte mein ganz persönlicher Überlebenswille überzeugt. Seine Argumente waren besser, und er hat mir eindringlich zugeflüstert: „Raoul du musst durchhalten und unter allen Umständen die Kapitulation vermeiden, auch wenn die Einschläge unaufhaltsam und immer schneller näher kommen.“ Was ich dir damit sagen will, wirst du vielleicht verstehen, wenn ich dir meine ganze Geschichte erzählt habe.

Du bist noch jung, und an deinem gelangweilten Gesichtsausdruck kann ich deine Gedanken ablesen. Erzählte Banalitäten älterer Männer interessieren dich nicht wirklich, und Geschriebenes ödet dich an. Ich muss zugeben, meine Erlebnisse sind auch nur Alltäglichkeiten, die jedem von uns passieren können, wenn sich Zeit, Schmerz und Perspektive in der idealen Konstellation befinden, um sich gegenseitig die angstschweißigen Hände zu schütteln.

Walk a mile in my shoes“, auch wenn du es noch nicht verstehst. Schon bald wirst du dich an mich erinnern. Spätestens dann, wenn du dich verzweifelt fragst: „Sag mir wo die Jahre sind, wo sind sie geblieben?

Du sagst, diese Frage stellt sich dir nicht, denn du bist glücklich verheiratet und hast noch Zeit? Wenn du dich da mal nicht irrst. In der ersten Hälfte deines Lebens kannst du alles erreichen und vieles bewirken - denkst du. Du denkst, dass du jede Menge Zeit hast. Du kannst üben, probieren und dir die „Hörner“ abstoßen. In der zweiten Hälfte vergeht die Zeit immer schneller und du brauchst mehr Zeit für das, was du dir in deiner Jugend vorgenommen hast. Im dritten Drittel sitzt der Frust im Genick, und am Ende steht immer und unausweichlich der Tod.

Danach? Es gibt kein „Danach.“ Danach kommen keine siebzig Jungfrauen. Danach kommt nichts mehr. Der Tod nimmt keine Rücksicht, ob du das, was du dir im Leben vorgenommen hast, auch erreichen konntest. Deine Witwe wird ein paar Tränchen vergießen, und sie wird mit deinem schwer verdienten Geld einen Jüngeren finanzieren, der einer sehr jungen mit großen Titten vormacht, er habe Geld, und die das auch glaubt, und der ewige Kreislauf wird nicht unterbrochen. Nur du spielst in diesem Spiel keine Rolle mehr.  

So hast du es noch nie gesehen? Du hast noch nie bewusst an das letzte Drittel deines Lebens gedacht? Dein selbstgefälliges Lächeln kann mich nicht täuschen. Morbide Gedanken gehören zum Anfang vom Ende, wie der widerliche Gestank zu einem langsam verfaulenden Kadaver.

Du schweigst betroffen? Die Falten in deinem Gesicht verraten dich. Du bist nachdenklich und bedrückt. Das ist gut so, denn das was ich dir jetzt berichte ist die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, und es wird auch dein Schicksal sein.

Wie ich es bemerkt habe? Ich denke, es war die Routine. Schleichend und zuerst vollkommen unbemerkt, fast wie von einem kurzen Tag auf den nächsten, der sich in nichts von seinem ereignislosen Vorgänger unterschied. Was hatte ich für eine Wahl? Ich konnte nichts dagegen tun. Alles, vom frühen Morgen bis in die Nacht war schon einmal erlebt, und wie ein übriggebliebenes Fertiggericht immer wieder verdünnt und aufgekocht.

Ich muss zugeben, spontan und immer öfter, aber nur damals und heute nicht mehr, habe ich an einen klassischen Mord gedacht. Nicht blutig wie ein Steak, eher gut abgehangen, raffiniert gewürzt und sorgfältig tranchiert, um dann im Bewusstsein, dass eine Grundreinigung auch die letzten Spuren beseitigen würde, den geleerten Teller in die Spülmaschine zur Reinigung zu stellen.  

Die Gedanken sind ja bekanntlich frei, und es blieb auch bei der Theorie. Ich habe mich für einen anderen Weg entschieden. Zuerst habe ich begonnen, einige Worte aneinander zu reihen, aber es waren nur Hülsen ohne Inhalt, die keinen Sinn ergaben. Dann entstanden belanglose Sätze, und jetzt ist so etwas wie ein umfangreiches Buch daraus entstanden.

Du möchtest kotzen und meine morbiden Gedanken nicht lesen? Es sind zu viele Seiten und das Lesen strengt dich zu sehr an, weil du morgen früh wieder in die Tretmühle musst, die sich Job nennt? Das macht nichts. Es gibt kein Entkommen. Du bist schon mitten drin - in unserer Geschichte.

Jeder Anfang ist der Anfang vom Ende

 

 „Schon seit der Steinzeit bis heute, und es wird bis in alle Ewigkeit so sein, ist es das unabänderliche Schicksal des gestandenen Mannes. An einem schönen Morgen wacht man auf und stellt fest, dass die Ehefrau langweilig geworden, und was noch schlimmer ist, defätistisch das Gegenteil glaubt, obwohl man es ihr gesagt hat.

Der Zustand wäre noch erträglich, wenn nicht noch Schlimmeres dazu kommen würde. Für den intelligenten Mann zur schweren Last wird die Gattin, wenn man entdeckt, dass das alte Fleisch zwar willig, aber der Verstand schwach ist.“

Paul van Cre

 

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Als ich anfing an diesem Buch zu schreiben, war ich ein männliches, jedenfalls dachte ich es, einundvierzigjähriges und verheiratetes Lebewesen, das sich am Anfang vom gefühlten Ende sechzehn eintöniger Ehejahre befand. Hinter mir lag eine relativ sichere Zeitspanne, in der ich zwar hin und wieder an die Rente, aber noch weniger an das Leben im letzten Drittel der mir vermutlich noch verbleibenden Zeit gedacht hatte.

Warum ich so gleichgültig in den Tag hinein gelebt habe? Das ist einfach zu erklären. Der tägliche Albtraum von Maloche und Verbrauch hatte alles was im Leben wirklich wertvoll ist überlagert. Aber was ist im noch verbleibenden Leben wirklich wertvoll, und was ist im letzten Lebensdrittel überflüssiger Ballast und entbehrlich? Haus und gut gefülltes Bankkonto ist gut. Das ist keine Frage, denn das gibt dir die Freiheit, das zu tun was du innerhalb deiner sozialen und hedonistischen Ansprüche tun musst und möchtest.

Frau ist für deine Grundbedürfnisse gut. Irgendjemand muss ja die Küche sauber halten, und die Wäsche waschen. Frau ist auch gut, wenn du Kinder hast. Kinder sind gut, wenn du eine Frau hast. Kinder sind schlecht, wenn du keine Frau hast. Frau und Kinder sind ganz schlecht, wenn du an die grenzenlose Freiheit denkst.

„Du musst dir keine Sorgen machen, alles wird gut“, lautet die Theorie der Verdränger. Nichts wird gut, wenn du so weitermachst wie immer. Ich behaupte, dass die Sorgen dann beginnen, wenn die Erinnerungen verblassen, und die Zukunft unter den bestehenden Voraussetzungen, und unter Berücksichtigung des täglichen Reagierens keine Überraschungen zulässt.

Auch ich hatte vieles vergessen, aber eines schönen Tages und vollkommen unverhofft  begann sich mein Verstand zu regen und zu strecken. Plötzlich sah ich es vor mir. Ich, der Rebell der vor langer Zeit die Welt verändern wollte, war zum lustlosen Schrebergärtner meines kleinen Lebens verkommen.

Rein rechnerisch und unter optimistisch kalkulierten Voraussetzungen hatte ich etwa zwanzig Prozent abgelebter Vergangenheit eines, und zwar meines wertvollen Lebens mit einer mir fremden Frau verbracht, von der man auch mit gutem Willen nicht behaupten konnte, dass sie die Fähigkeit und den Ehrgeiz besessen hatte, über die Erfindung des  Schießpulvers nachzudenken. 

 

Die Zeit war wie im Flug mit einem Düsenjet an mir vorbeigegangen und ich hatte sie brav, so wie es seit jeher den gesellschaftlichen Normen in einer zivilisierten Gesellschaft entspricht, ohne Murren abgeleistet. Mein Lebensglas war nicht mehr voll. Es war auch nicht halbvoll, die letzte Hälfte des Inhalts begann sich immer schneller zu leeren. Was mich noch zusätzlichen deprimiert hatte, war die unspektakuläre Aussicht auf weitere, klar strukturierte Jahre der letzten Hälfte meines Lebens, die wie graue Betonklötze, neben denen Panzersperren wie Spielzeug für Kleinkinder wirken mussten, unbeweglich und unveränderbar vor mir lagen. Zu dem ganzen Elend traf mich auch noch das tückische Zeit-Raum-Volumen-Phänomen.

Du hast noch nie etwas davon gehört? Dann will ich es dir in einer simplifizierten Form erklären. Je älter du wirst, umso schneller vergeht die Zeit in einem immer kleiner werdenden Aktionsradius, indem du gefangen bist, während sich alle Personen wie aufgedunsene Körper in einer Leichenhalle ausdehnen.

Du musst mir zu meiner sensationellen Entdeckung nicht gratulieren. Mir wäre es lieber, ich hätte niemals darüber nachgedacht.

Wie ich darauf gekommen bin? Ich habe das Zeit-Raum-Volumen-Phänomen das erste Mal vor etwa fünfzehn Jahren am eigenen Leib erfahren. Mir war der spontane Gedanke gekommen, dass eine Bahnfahrt angenehmer und auch sicherer sein könnte, als der Stress auf den überfüllten Autobahnen. Weg mit dem Risiko des ungehemmten Verkehrs, rein in die geregelten Abfahrt- und Ankunftszeiten. Einmal ganz entspannt im luxuriösen Intercity-Sessel zurücklehnen und die Fahrt genießen. Da saß ich also, zufrieden und mit einer guten Laune. Als Autofahrer achtet man ja nicht so darauf. Anfangs, sozusagen als unerfahrener Bahnfrischling, konnte ich mich noch am Blick aus dem Zugfenster freuen. Die Aussicht war schön und die farbenfrohe Herbstlandschaft, es war am Ende des dritten Jahresquartals, zog immer schneller an mir vorbei.

Kennst du den dämmrigen Zustand, wenn man grenzenlos vertraut und plötzlich schläfrig wird? Die Aufmerksamkeit lässt nach, denn man hat es sich behaglich gemacht. Mit hochgelegten Beinen im häuslichen Fernsehsessel ist diese Erfahrung besonders schön. Man ruht und kann nicht wegrennen, denn der schwache Wille (männlich) wird von der brutalen Bequemlichkeit (weiblich) manipuliert.

Ich erinnere mich noch genau, es war ein entspanntes Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens, damals in meinem komfortablen Bahnabteil. Von mir zuerst unbemerkt, fiel es mir immer schwerer, mich auf die vorbeihuschende Landschaft zu konzentrieren. Die Häuser, Wiesen, Bäume und auch die Kirchtürme sah ich nur noch als einen vorbeiziehenden Einheitsbrei. Die Zeit schien stehen zu bleiben und gleichzeitig immer schneller zu verrinnen. Trotz der schönen Herbstzeit wurde die Farbe der Landschaft mit der Dauer der Zugfahrt immer grauer. Die Augen fielen mir zu und ich hörte die Stimmen der Mitreisenden wie aus weiter Ferne. Dann begann sich etwas zu verändern. In meinem Wachtraum hörte ich zuerst eine leise, fast sanft flüsternde Stimme, die sich nach und nach zu einem hysterischen, sich überschlagenden Geschrei steigerte. Es waren die gellenden Worte: „Du sollst so lange mit diesem Zug fahren, bis dass der Tod euch scheidet“ und eine riesige Hand mit einem ausgestreckten Zeigefinger deute auf mich. In meinem Traum sah ich einen Geisterzug vor mir - endlos auf fest verlegten Gleisen fahrend, jeden Tag und jede Nacht und nie wieder anhaltend, weil die toten Seelen der Mitreisenden den Zug nicht mehr stoppen konnten. Es war eine Fahrt bis zum vorbestimmten Ende, dem endgültigen Ende vor dem Nichts.

Ich bekam grauenhafte Angst und die Panik schnürte mir den Hals zu. So war das nicht abgesprochen. Das war nicht die versprochene Sicherheit, es war eine raffiniert inszenierte Falle, mit den Worten „… lieben und ehren bis das der Tod euch scheidet.“ Voller Entsetzen sprang ich auf und rüttelte an den Ausgangstüren, aber sie ließen sich nicht mehr öffnen, niemals mehr. Der Geisterzug fuhr stampfend und ratternd immer schneller und er hielt nicht mehr an. Für immer und ewig sollte ich dazu verdammt sein, in diesem Zug zu fahren. Immer die gleichen Erlebnisse mit den immer gleichen Mitreisenden, solange ich noch dahinleben würde. Dann sprach eine andere, eine gefährlich drohende Stimme (sie kam von oben) oben zu mir: „Kontrolle.“ Ich spürte eine feste Hand, wie eine hart zupackende Kralle auf meiner Schulter. Es war die pure Angst, die wie ein schweres Halseisen meine Lebensgeister abwürgte. Schweißgebadet und am ganzen Körper zitternd bin ich aufgewacht. Plötzlich sah ich klar. Mein Leben ist zu kurz und zu wertvoll. Ich musste etwas verändern, um zu überleben.

Eheliches mit dem Geschmack einer jungen Unbekannten

 

Die Sorgen um deine Existenz bedeuten nichts. Das sind nur schäbige Gefühle. Kontoauszüge, Verträge, Besitz und Versprechen sind im Angesicht der Ewigkeit noch nicht einmal ein Windhauch.

Für den denkenden Menschen ist nur der Tod ein existenzielles Problem.“

Paul van Cre

 

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Resignation gehört nicht zu meiner Wesensart und ich neige nicht zu Depressionen. Im Gegenteil, ich war ein aktiver Ehe-Konformist und ich stand mit beiden Beinen fest auf der Hochflor-Auslegeware. Doch was sollte ich tun? Mein Thalamus war wie betäubt. Ich fand nichts Schönes, und Ästhetisches schon lange nicht mehr. Als lustvolle Geliebte und auch unter dem Aspekt der üblichen Low-Level-Bedürfnisse im Rahmen des Gewohnheitsrechts, war meine Ehefrau nur noch bedingt nutzbar. Sie war zwar willig, und wirklich beschweren konnte ich mich eigentlich nicht. Sie gab sich für mich hin, wenn es an manchen Samstagen in der Nacht und nach der Spätausgabe der Tagesthemen mal wieder an der Zeit war. Aber Sex mit ihr erforderte Konzentration und Planung. Etwa so, wie wenn man als fanatischer Autofahrer mit der Straßenbahn zum Zahnarzt fahren muss, weil man schon vorher weiß, dass man eine starke Betäubungsspritze vor dem kommenden Schmerz braucht. Und nach der Einnahme von Narkotika soll man ja bekanntlich nicht mehr schnelle Kisten fahren. Darum schob ich die Bohrtermine immer weiter hinaus.

Auch die erotischen Wünsche meiner Frau blieben mir vollkommen verborgen, obwohl ich dachte, dass ich sie kennen sollte. Ich wollte sie ja erfüllen, wenn ich einen Mangel oder einen konkreten Bedarf erkannt hätte. Was sollte ich tun? Gehorchen und leisten, oder der freudlosen Angelegenheit weiträumig aus dem Weg gehen? Für meine Wünsche hatte sich schon lange niemand mehr interessiert. Ich musste mich zufrieden geben und mich fügen. Immerhin hatte ich vierzig lange Jahre überstanden und mir war nun mal die Rolle des Hauptakteurs in einem Trauerspiel über die erfolgreiche Domestizierung der Bestie Mann zugewiesen. Letztendlich gab es für mich nur noch die Wahl zwischen Destruktion oder Kooperation, eine Alternative gab es nicht.

Ich muss dich nicht ansehen, ich weiß es. Dein Gehirn beginnt zu arbeiten. Du hast nachgedacht, du hast dich in deinem Wohnzimmer umgesehen und du kannst jetzt mitdenken. Spürst du es auch? Mit einem neuen Anstrich ist es nicht getan. Auch das Umstellen der Möbel und neue Bilder aufhängen reicht nicht aus, und mit ein paar Duftkerzen und softer Musik ist es auch nicht getan.

Weißt du noch was geiler Sex ist? Für mich war der erste Begriff nicht mehr existent und der zweite nur noch eine Betätigung unter vielen anderen, die irgendwie zu meiner Ehe dazugehören musste, wenn ich musste, weil sie wollte. Aber eigentlich waren es bei mir nur Banalitäten, so wie bei dir und bei jedem anderen, dem unerbittlich und schnell wie ein Intercity das fünfzigste Lebensjahr entgegen kommt.

 

Routine, Besitzstand, Anpassung und Dauer sind die wesentlichen Bestandteile des ehelichen Zwangs. Meine Ehe sollte als Institution bewahrt werden und gleichzeitig wurde mein Recht auf Freiheit brutal vergewaltigt. Ich ließ es geschehen, obwohl mir schon lange klar war, dass unsere Bedürfnisse so unterschiedlich waren, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Aber noch konnte ich ganz gut damit vegetieren, denn es gab auch Angenehmes. Immerhin war die Wäscherei in meinem Ehekonstrukt nicht zu verachten. Das hatte Vorteile, denn ich musste nicht lernen, wie und wann man eine Constructa zum ordnungsgemäßen Funktionieren bringt und ich weigere mich bis heute, eine Bedienungsanleitung zu lesen. Meine Hemden waren immer ordentlich gebügelt, auch wenn ich an manchen Tagen dabei eingeschlafen bin. Das gleichmäßige hin und her des dampfenden Bügeleisens und der hasserfüllte Blick meiner Frau am Bügelbrett waren für meine Nerven zu viel - das musste sie doch verstehen? Sie hat mir mein Desinteresse am Bügeln noch Jahre danach vorgeworfen, als ob ich eine Erbsünde begangen und vorgehabt hätte, sie an kommende Generationen weiterzugeben. Dabei hätte ich zu gern mit einer anderen gebügelt, aber ich war verheiratet und daran durfte ich noch nicht einmal denken.

Gegen die Küchenleistungen kann ich im Nachhinein auch nichts einwenden. Die zubereiteten Speisen waren schmackhaft und der Service still und hurtig. Alles was gesagt werden musste war ja in den vielen Jahren schon weitgehend gesagt.

Meine Zelle war sauber, mit etwa hundertundachtzig Quadratmetern sehr geräumig und auch stilvoll möbliert. Ich hatte als Rückzugsgefängnis alles was ich brauchte. Ein gut ausgestatteter Hobbyraum im Keller war vorhanden, wo ich mich mit bescheidenen Bastelarbeiten beschäftigen konnte, wenn mir nach einer kleinen Handarbeit zumute war.

Lach nicht, auch du hast dir eine stille Ecke geschaffen, in die du dich zurückziehen kannst, wenn du zu dir selber finden willst.

Eigentlich und im Großen und Ganzen konnte ich mich nicht beklagen. Die Vergangenheit hatte mir, durch ein glückliches Händchen in vielerlei Geschäften, einigen finanziellen Wohlstand, erkennbar an sichtbarem Bauchumfang und gleichzeitig abnehmender Haarfülle beschert, was nach Aussage meines Friseurs auf meinen erhöhten Testosteron-Spiegel zurückzuführen war. Nur das bekannte Plato-Zitat, nachdem nur Frauen und Eunuchen über eine volle Haarpracht verfügen, kann ich bis heute nicht ganz nachvollziehen, da meine Libido zusammen mit meinem Haupthaar eine deutliche Fluchtbewegung „nur weg von dem“ entwickelt hatten.

Von meiner Versicherungsgesellschaft bekam ich regelmäßig Briefe mit Fitnessangebote für Senioren zugeschickt, und ich hatte immer etwas zum Essen und Trinken und meine Fernbedienung für den Fernseher. Alles in allem konnte ich mit frohem Herzen behaupten: „Eigentlich geht es uns gut.“

Du ahnst es sicher schon, jetzt kommt das „Aber“, das immer und hundertprozentig auf ein Lob oder eine positive Aussage folgt. Der Zustand wäre noch schöner gewesen, wenn ich das „Gutgehen“ alleine mit mir und in grenzenloser Freiheit hätte genießen können.

 

Hast du schon mal an einen Mord gedacht? Wenn man es nüchtern bedenkt, und alle sentimentalen Gefühle weg lässt, kann es ein elitäres Vergnügen sein, dass sich nur Mutige gönnen. Ich bin nicht mutig. Eigentlich bin ich ein erbärmlich fauler Feigling. Nicht die Tat an sich schreckte mich ab, sondern das Danach. Ganz pragmatisch betrachtet fehlt mir auch das Know-how für einen ästhetisch-perfekten Mord, mit anschließendem Vertuschen und Verstecken der Leiche. Als reinlicher Mensch hatte ich auch Probleme mit der zu erwartenden Sauerei auf dem Fußboden und in der Badewanne, und als öffentlichkeitsscheuer Mensch war mir etwas bang vor der zu erwartenden Publicity in den Medien.

Dann sah ich wieder die Vorteile meiner Ehe. Sie schuf nicht nur die Ruhe die ich für meinen Narkoseschlaf brauchte. Ich entdeckte auch eine neue Form der Ehe-Kommunikation. Das fing mit der Ehesprache an, die das nicht mehr ausdrücken konnte, was ich tatsächlich wollte. 

Bei mir kam erschwerend hinzu, dass ich als unmittelbar Beteiligter das Verhalten der Menschen unter extremen Bedingungen studieren musste. Das ist etwa so, wie wenn du zusammen mit einer hungrigen Löwin in einen Käfig gesperrt wirst, aber beide wissen, wie der Kampf ausgehen wird. Die Löwin als die Stärkere, und ich als Hauptdarsteller und Beute belauern sich gegenseitig, um in einem günstigen Moment die Reißzähne in den Hals des Opfers geschlagen zu bekommen, um mich dann genüsslich bis zum letzten Tropfen ausbluten zu lassen.

Nicht dass ich mit Streit und blutrünstigen Machtkämpfen leben musste, die kamen in meiner Ehe nicht vor. Es war mehr ein freundlich-kooperatives Ehe-Arrangement unter weitgehend keimfreien Klima-Bedingungen wie in einer gut funktionierenden Tiefkühltruhe. Für eine mir fremd gewordene Frau war ich ein nicht weiter störender Gegenstand. Meine Bestimmung war die Mäuler und hungrigen Mägen zu stopfen - mehr nicht. 

Ich wusste genau, dass mein Nutzen jeden Tag auf dem ehelichen Prüfstand genau kontrolliert wurde. Die Prüf-Formel war einfach und einprägsam: „Schaff Kohle ran Mann. Nur dann bist du ein guter Ehemann.“ Oder anders, etwas salopper ausgedrückt lautete die Formel: „No money, no honey.“  

 

In Gedanken schrie ich „Ich bin verheiratet, holt mich hier raus“, aber ich hatte nicht den Mut, es laut auszusprechen und Amnesty International war damit beschäftigt, öffentlich für die Menschenrechte einzustehen - allen Widerständen zum Trotz, nur nicht für meine.

 

Der scheinbar für alle Zeiten unabänderliche Zustand tat mir in der Seele weh und ich war enttäuscht. Nicht über meine Ehefrau, sie konnte nichts dafür. Alles was mir in den Augen und Ohren unerträgliche Schmerzen bereitete, ihre Nörgeleien, ihre ständige Unzufriedenheit und ihre ästhetischen und proportionalen Unzulänglichkeiten hatten ja eine Ursache. Aber bei wem sollte ich mich beschweren, die Gründe waren eindeutig in meiner Person zu suchen. Voller Bitternis musste ich erkennen, dass ich nicht den Mut und die Kraft besessen hatte mich aufzulehnen, also war ich mitschuldig.

 Ganz am Anfang hätte ich sie durch mein konsequentes Nein vor der Unterschrift beim Standesbeamten retten können, aber damals und angesichts der Umstände besaß ich nicht die Courage, so ein klares Wort auch deutlich hörbar auszusprechen. Nur auf mir lastete die gesamte Verantwortung, denn wir hatten uns Treue bis zum Tod geschworen, und sie hatte den Schwur so interpretiert, dass ich auch für ihr Wohlergehen zu sorgen hätte, bis zum bitteren Ende.

Oft habe ich darüber nachgedacht, wenn ich nachts einsam auf dem Balkon oder einer regennassen Brücke stand. Mir war schon früh klar, dass ich ein schlechter Ehemann war und lebend ein noch schlechterer Ex sein würde. Ein verehrtes Leben nach meiner Ehe konnte es nur im aufgebahrten Zustand als Toter und nach Auszahlung meiner diversen Lebensversicherungen geben. Doch so weit ging meine Opferbereitschaft noch nicht.

 

Alle meine Versuche, das unerträgliche Zusammenleben durch friedliche Mittel, wie zum Beispiel dadurch, dass sie sich einen Liebhaber nehmen, der sie, vielleicht durch mehr oder weniger sanften Druck gebraucht aber immerhin übernehmen würde, waren kläglich gescheitert. Sogar mein demonstratives Wegsehen, das jeder normale Mensch mit Blödheit bezeichnen würde, hatte nichts gebracht. Niemand wollte sie und ich musste sie behalten, so wie sie geworden war.

Unter diesen Umständen gab es nur wenige Möglichkeiten. Ich hatte nur die Wahl zwischen zwei Taten. Die erste war brutale Gewalt, die andere der Ausbruch. Als Mensch mit einer humanistischen Lebenseinstellung war die Entscheidung schnell getroffen. Ich musste mich, die eindeutig identifizierte Ursache des Übels, aus der Verbindung unserer Ehe entfernen, damit sie wieder ruhig leben konnte.

Der Zeitpunkt war so günstig wie nie. Jetzt, in dem Moment, als ich das erste Mal begann meine Gedanken niederzuschreiben war der richtige Moment für Veränderungen. Veränderungen plant man nicht am Anfang einer Ehe. Das ergibt keinen Sinn, denn die Hoffnungen auf einen guten Ausgang überlagern die Bedenken und der Glaube an eine rosige Zukunft ist noch so stark und unverrückbar wie die Kraft in den Lenden. Doch das lässt nach und am Schluss des Lebens bleibt zu wenig Zeit die kleinen Freiheiten zu genießen. Mittendrin, dann wenn alle denken, dass es am schönsten ist, müssen Veränderungen mit allen Mitteln herbeigeführt werden. Aber waren meine Überlegungen triftige Gründe für einen Ausbruch mit allen Konsequenzen?

Komm mir jetzt nicht mit dem uralten Rat: „Ihr hättet miteinander reden sollen.“ Wir haben es nicht getan und es war gut so. Nach meinen Erfahrungen ist der Rat, miteinander zu reden nur graue Theorie. Tiefergehende Gespräche nach langen Ehejahren führen zu nichts. Das hat einen tieferen Grund. Wenn die Gefühle abgestorben sind, und die Einstellung über die Wesensart des Partners als Vorurteil fest betoniert ist, dann erzeugen Aussprachen nur Kämpfe um abstrakte Machtverhältnisse mit kriegerischen Erscheinungsformen von Unterwerfung, Unterdrückung und Beutezügen. Eheliche Aussprachen enthalten brisanten Konfliktstoff in unvorhersehbarer Menge, ausreichend für viele Monate Ehekrieg. Verständnis, Akzeptanz oder eine faire Auseinandersetzung mit den Gefühlen des Partners ist nicht mehr zu erwarten.

Viele, vor allem weibliche Paartherapeuten empfehlen in solchen Situationen eine klärende Aussprache. Grau ist alle Theorie. Ich wusste, wenn ich über meine spontanen Bedürfnisse offen und ehrlich spreche, sind schwere Disharmonien unvermeidlich. Unbestreitbar war ich zu einem kleinen Ehefeigling verkommen, bei dem der Selbsterhaltungstrieb noch normal funktionierte.

Heute, mit zeitlichem Abstand habe ich die uralte Kriegerregel verstanden, nach der die besten Kämpfer unverheiratet sind. Zu einer funktionierenden Ehe gehören Knebel, Fußketten und Fesseln, die die Namen „Bausparverträge“, „Kinder“ und „Versicherungen“ tragen. Zu einer guten Ehe gehören weder Rebellion noch Träume von Freiheit.

Für mich war es ein schwieriger Zustand zwischen Bewusstsein und Möglichkeiten. Ich wusste genau, was mir fehlt, aber ich hatte in meiner Situation nicht die geringste Chance es zu bekommen. Die Tür an meinen Käfig war fest verschlossen. Der Tag war nach strengen Regeln verplant und in der Nacht hatte ich, wie es der Brauch ist, daheim im Bett zu sein. Ich war Gefangener in meinem eigenen System von täglicher Produktion, Verbrauch und Ausscheidung, ohne die geringste Chance auf Veränderung des scheinbar immerwährenden Kreislaufs.

Dabei war die Lösung für meine Probleme ganz einfach. Ich hätte seelsorgerische Hilfe benötigt. Natürlich hatte ich sehr präzise Vorstellungen von meiner persönlichen Seelsorgerin. „Sie“ sollte nicht nur meine seelischen Qualen lindern, sie sollte auch meinen intellektuellen Ansprüchen genügen. Ich brauchte etwas für meinen Geist. Ach ja, fast hätte ich es vergessen. Meine Wunschseelsorgerin sollte auch noch meinen ästhetischen Vorstellungen nahe kommen. Aber wo waren die gutgebauten Retterinnen mit High-Heels am schlanken Fuß und stramm sitzenden Strapsen am glatten Schenkel, die mir in meinen Seelenqualen hätten beistehen können? Es ist immer die gleiche Enttäuschung. Wenn man die helfende Hand der Leute mal braucht, sind sie nirgendwo zu finden, oder wollen bezahlt werden.

Du kannst es mir glauben. Ich gab mir alle Mühe und ich habe mich überall umgesehen, soweit es mein stark eingeschränkter Bewegungsradius zuließ. Aber mein verzweifelter Hilferuf: „Sag mir wo die Frauen sind, wo sind sie geblieben“ blieb ungehört und ich stand es durch. Ich wurde nicht schwul, weil ich keine Frau abkriegen konnte. Harald Schmidt sagte in einer vermutlich ähnlichen Situation einmal: „Das ist nicht so wie bei den Lesben.

Zwar war mir klar, dass man in Notsituationen größere Abstriche vom beanspruchten Lebensstandard machen muss. Ich war auch bereit, meine Bedürfnisse bis auf ein kaum noch erträglich-ästhetisches Minimum zu reduzieren. Aber in meinem näheren und weiteren Bekanntenkreis gab es niemand, der auch nur annähernd meinem Ideal entsprach. „Unsere“ Freunde und Bekannten bestanden aus Günter und einer unförmigen Carmen, Agatha mit strähnigen Haaren und Rolf mit Oberlippenbärtchen, Alfons und seine voluminöse Bärbel mit schlechten Zähnen und ähnlich unattraktiven Zweierbeziehungen. Und die wenigen, mit vielen Abstrichen an meiner inneren Checkliste infrage kommenden, weiblichen Personen waren in einer für mich unzugänglichen Sicherungsverwahrung.

In meiner verzweifelten Vorstellung mied mich das wahre Leben, als ob ich Mundfäule hätte. Es hatte mich übersehen, nicht mehr beachtet und mich allmählich vergessen. Ich war zu einer Art Relikt aus der Vergangenheit geworden. So ähnlich, wie wir heute mit wohligem Gruselschauer Dinosaurier und ähnlich ausgestorbenes Getier betrachten.

Den größten Schock bekam meine labile Psyche, als ich mit Freunden in einer Szenekneipe saß und die zugegeben sehr junge und offensichtlich kurzsichtige Biernachschubverwalterin die neben mir Sitzenden reihum mit einem herzlichen „was kann ich dir bringen“ und mich mit einem kühlen „was möchten Sie trinken“ begrüßte.

Du bist Megaout“ war die unüberhörbare Botschaft und Jim Morrison sprach mich direkt und ohne Umschweife aus dem Jenseits an: „This is the end, my friend” und das musste ausgerechnet mir passieren. Immerhin lag ich mal drei Tage vor Woodstock, eingeschlossen im Dreck und bis zur Halskrause zugekifft. Und nicht zu vergessen, ich hatte wie ein gut genährtes Karnickel vor Ostern, unentwegt für Love and Peace gevögelt, damit es die heutige Jugend mal besser hat. Ich konnte von mir behaupten „Ich war damals dabei“, und on the road again. Jimi hatte mir eine Foxy Lady versprochen, und ich hatte im Vertrauen auf die Versprechungen eine große Schallplattensammlung der späten sechziger, aber auch der frühen siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts zusammengetragen. Auch meine voluminöse und von meiner Frau gehasste Comicsammlung war beeindruckend, und die Begriffe „Harley“ und „Easy Rider“ waren mir nicht ganz fremd. Ich fand, eine kleine Freiheit mit einem bisschen exzessivem Freivögeln für den Weltfrieden, gut gemischt mit einer kleinen Orgie hin und wieder, standen mir rechtmäßig zu.

In meinen postkoitalen Tagträumen sah ich alles noch einmal vor mir, als ob es erst gestern gewesen wäre. Siebzehn Jahr und Stretch-BH (mit Metallbügel und verwirrenden Haken, was zu einem ersten Tasttrauma geführt hat). Die putzigen Bärchen auf den hellblauen Frotteeslips unter den unüberwindbaren Sloggi-Festungen meiner ersten Lieben. Der hellblaue Haschischkuchen mit den silbernen Liebesperlen. Die Freude über das lang ersehnte Palästinensertuch und mein erster eigener Pflastersein. Die Demos auf dem Kurfürstendamm gegen Imperiales und irgendwas Weltumstürzlerisches. Alles nur noch verklärte Heldentaten eines schütteren Veteranen im Epizentrum der Spießigkeit. Meine Diagnose war klar und katastrophal ernüchternd, das Alter ist nichts für Feiglinge. Ich litt an einer schweren Sinnkrise, für jeden Wissenden sofort erkennbar. Die wenigen noch lebenden Jungs aus „My Generation“, Robert (de Niro), Mick (Jagger) und ich waren nach einer viel zu kurzen Zeitreise im mittleren Alter angekommen.

Mein stilles Leiden und mein verzweifelter Schrei „Lasst mich zu einer netten Frau die mich versteht“ waren nicht mehr zu übersehen. Aber es verstand mich niemand, weil die Zeichen von einer gleichgültigen Gesellschaft nicht wahrgenommen wurden.

In dieser schweren Phase fand ich bei Albert Einsteins Relativitätstheorien Trost und Hilfe „Alles Relative ist modifizierbar“, und „die verbrauchte Energie für ein Problem, darf nicht größer sein, als der zu erwartende Energieschub für die Lösung“ waren sein Rat und meine allerletzte Hoffnung. Außerhalb meines kleinen Lebensraums wartete ein Universum der Möglichkeiten auf mich, den dressierten Ehemann. Mir wurde klar, ich durfte nicht länger säumen, denn ich war schon weit in den Jahren vor. Es war an der Zeit für einen Aufbruch in eine neue Welt. In eine Welt, die nur darauf wartete, von mir neu entdeckt zu werden.

Meine Phantasie half mir über manch schlaflose Nacht hinweg. Ich war in hohem Maß anfällig für das, was man mit dem Begriff „Versuchung“ nur Bruchstückhaft umschreibt. Nur um meine egoistischen Bedürfnisse zu befriedigen, sah ich andere, vorzugsweise weibliche Menschen, nicht als gleichberechtigte und freie Subjekte mit einem Anspruch auf Respekt und Glück. Ich sah diese Wesen in verdammenswerter Weise (heute bereue ich es zutiefst) als seelenlose und nutzbare Objekte, über die man Ex-und Hopp verfügen kann, sofern man über die notwendigen Ressourcen verfügt. Ich wusste, solche Gedanken gehören nicht zu einer guten Ehe, und schon gar nicht zu einem moralisch gefestigten Menschen. Aber noch hatte ich die eitle Vorstellung, Herr über meinen eigenen Willen und der Beherrscher der Geschehnisse zu sein. In meiner Situation sah ich nur noch einen Ausweg: Exzessiver Sex bis zum Umfallen mit einer mir fremden, aber saugeilen Frau.

Und dann geschah es. Mein Überlebenswille packte mich wieder einmal am Hals und flüsterte mit drohendem Unterton in der Stimme zu mir: „Bevor du an deinem moralischen Leben zugrunde gehst, musst du etwas ändern, sonst spreche ich nie wieder mit dir und ich werde dein Gehirn und deine Eier amputierten.

Ich nahm diese unmissverständliche Drohung ernst und beschloss, meine Einstellung zu meinem bisherigen Leben zu ändern. Dazu gehörte zuerst einmal ein umfassender Lebensplan um meine Absichten kunstvoll zu verstecken. Meine kriminelle Energie fing an sich zu entwickeln und ich fand Spaß daran. Ich begann, wie es sich für einen vernünftigen und verantwortungsbewussten Menschen gehört, mit einer strategischen Bestandsaufnahme.

Meine Voraussetzungen waren gut. Ich hatte damals das richtige Alter, dazu die Erfahrung (dachte ich), das nötige Kleingeld (dachte ich auch), und die notwendige, gewissenlose Cleverness (dachte ich ebenfalls) um mal etwas zu wagen. Den unbemerkten Ausbruch aus einem sicheren Hochsicherheitsverpflegungsgefängnis, um nach einigen heimlichen Freigängen meine Rest-Lebenszeit in Ruhe und Frieden und nur mit mir und meinen verklärten Erinnerungen abzusitzen.

Bitte glaub mir, es wäre nur eine ganz kleine, eine winzige Flucht geworden. „Nur einmal kurz ausbrechen und dann komm ich sofort wieder zurück“, versprach ich mir bei allem was mir irgendwie noch heilig war. Für die Lust hatten mir meine Triebe die Erlaubnis gegeben. Für meinen Freiheitsdrang hatte ich die Genehmigung meines Geistes. Und mein zu beruhigendes Gewissen erfand eine Vielzahl unschöner Bezeichnungen für meine liebe Ehefrau. Vernunft und Moral? Es war mein rücksichtsloser Wille, der die beiden Stänkerer schon irgendwie überreden würde. Ich wollte nur noch einmal das unbeschreibliche Gefühl fremder, weiblicher Haut spüren, und den frischen, vaginalen Geschmack einer jungen Unbekannten auf der Zunge. Mens sana in corpore sano. Wenn jemand ein Anrecht darauf hatte, dann gab es nur einen auf der Welt: Mich.

Wartezeiten mit leichten Kopfschmerzen ohne Slip

 

Die Beschäftigung mit der Phantasie ist etwas Wunderbares. Es ist wie genialer Sex mit einer Unbekannten. Sie führt dich durch virtuelle Räume und du kannst Wünsche äußeren, die du davor nicht auszusprechen gewagt hast. Mit Phantasie kannst du die Welt verändern und immer wieder anders erleben. Die Phantasie hat nur einen Fehler – sie ist eine Schlampe. Manchmal verbündet sie sich mit der Erinnerung. Die Erinnerung kannst du nicht beeinflussen. Sie tut was sie will. Sie gräbt die Leiche aus, dann wenn du es nicht erwartest, spielt die Phantasie mit ihr. Nicht nur ich, wir sind dem Höllenteam hilflos ausgeliefert.“

Paul van Cre

 

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Das Unverständlichste ist oft so einfach, dass sogar Dumpfbacken die Zusammenhänge sehen, wenn die Zeit gekommen ist. Die Lösung lautet: „Man muss nur warten können, denn alles was geschieht, geschieht, weil es zu einem vorbestimmten Zeitpunkt so geschehen soll.“ Arglos stieg ich aus dem Zug und mit diesem kleinen Schritt, der ein großer Schritt für mein zukünftiges Leben sein sollte, begann ein neues Kapitel meiner Geschichte. Auch ich konnte meinem Schicksal nicht entrinnen, und die Liebe auf den sprichwörtlichen ersten Blick traf mich vollkommen unerwartet.

Nüchtern, mit leichten Kopfschmerzen und an einem regengrauen Dienstag setzte ich vor meinem linken den rechten Fuß auf den Bahnsteig des Bahnhofs einer süddeutschen Stadt am Neckar, die aus für mich unerfindlichen Gründen ein sexuell verstörtes Käthchen zu einer Art Maskottchen erhoben hat. Der Grund meines Ausstiegs war eine an eine  Freifahrkarte gebundene, berufliche Aktivität, weil es nicht zu meinen Gewohnheiten gehört, mich planlos von Bussen und Bahnen in graue Städte mit seltsamen Bewohnern kutschieren zu lassen. Ich sollte meine Meinung zu einem technisch-fachlichen Thema, anlässlich einer kleinen Veranstaltung vortragen und ich war gewillt es zu tun, denn es war ein gut bezahlter Auftrag für wenig körperliche Arbeit.

An das Thema meines Vortrags kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß noch, dass es um irgendwelche Finanzanlagen ging, und wie man Menschen mit wachem Verstand dazu bringen könnte, den Teilnehmern des Seminars ihre Spargroschen anzuvertrauen. Mit den Einzelheiten meiner üblichen Ausführungen möchte ich dich nicht langweilen. Ich kann mich aber noch sehr gut daran erinnern, dass ich irgendwann zwischen den mehr oder weniger schläfrigen und geistig abwesenden Teilnehmern des Seminars, kluge blaugraue, mich gebannt ansehende Augen wahrgenommen habe.

Alles begann mit der langsame Verengung des Blickfelds und der gleichzeitigen Ausblendung der Statisten. Mitten in der Menge der teilnahmslos dasitzenden Körper saß sie, mit einer Ausstrahlung die mich aus der Fassung brachte. Endlich war sie da. „Sie“ auf die ich so lange und sehnsüchtig gewartet hatte, und sie begann mit ihrer Präsenz den Raum zu füllen.

Ich bin kein sehr gläubiger Mensch, aber ich weiß, dass meine gedankliche Erektion falsch, aber ein vom reinen Herzen kommendes „Gott sei Dank“ in diesem spirituellen Moment angebracht gewesen wäre. Nach den langen Jahren der Einsam- und orgiastischen Enthaltsamkeit, verspürte ich zum ersten Mal den gerechten Willen der Götter, die behutsam und doch wohldurchdacht die Geschicke des guten Menschen leiten. In ihrem unergründlichen Wollen hatten sie beschlossen, mich aus meinem Jammertal herauszuführen und meine durch seelische Vergewaltigung erzwungene Treue zu belohnen. Welcher Gott der Wohltäter war, weiß ich nicht, aber ich nehmen mit gutem Gewissen an, dass er männlich und eine gewisse Sympathie für mich empfunden hat, denn in seinem unergründlichen Wollen hatte er mir die Schönste der Nutzbaren und die Zweckdienlichste für meine kleinen Bedürfnisse geschickt. Ich spürte es sofort. Sie war da, die inspirierende Engelin, die mein trostloses Leben aufpoppen sollte. Die den Auftrag hatte, mich sanft an der Hand zu nehmen, um mich ins geile Paradies mit Honigbrot und lustvollen Spielen zu führen. In diesem Moment verstand ich, dass Verbrechen und Gesetze untrennbar zusammen gehören müssen, weil sie sich suchen und finden, und weil sie ohne den Anderen nicht existieren können.

Obwohl ich bekennender Atheist und Ketzer war und auch heute noch bin, ist mein Glaube an eine überirdische und alles steuernde Macht seit diesen Minuten unverrückbar. Wir gehörten zusammen und nur wir waren das ideale Paar. Von mir war es gegenseitige Liebe auf den ersten Blick, denn ihre Gefühle kannte ich ja noch nicht, aber das was ich sah, war Versprechen und Verlangen genug. In diesem Moment des ersten Blicks konvertierte ich vom bekennend-gläubigen Heiden zum Glauben an den Allmächtigen. Ich schickte ein Stoßgebet nach dem anderen in Richtung Himmel.

Hilf, Teufel mir die Zeit der Angst verkürzen. Mag´s schnell geschehen, was muss geschehen?“ Ich wollte dieser Frau nahe sein. Koste es was es wolle. Ich beabsichtigte sie zu besitzen, und sie, ich ahnte es noch nicht, war im Auftrag der Götter unterwegs, um mit mir zu spielen.

Vielleicht fragst du dich, was die Götter damit zu tun hatten? Warte noch etwas, ich werde es dir erzählen. Ich bekam die Antwort auch erst sehr viel später, aber eines kann ich dir schon jetzt verraten: „Mit Göttern spielt man nicht.“

Zwar konnte ich allem wiederstehen, nur nicht der Versuchung, und schwach wie ich damals war, war ich mental schon lange Zeit davor aus meiner Ehe ausgebrochen. Aber meine Ängste und Skrupel wollten mich mit Macht ins ungeliebte Gefängnis zurücktreiben, nur damit meine Erinnerungen und meine schmerzenden Hoden mich später mal kräftig auslachen konnten. Was blieb mir anderes übrig? Ich brauchte qualifizierte Hilfe. Mein Ausbruch musste professionell abgesichert werden. Die etablierten Versicherungsgesellschaften konnten mir nicht dabei helfen, darum bot ich ihm, dem allmächtigen Schöpfers des Homo (Erectus) Sabiens, und darum um die Sorgen und Nöte seiner Geschöpfe wissenden Weltenlenker einen, nach meiner Einschätzung interessanten Deal an. Ich fing an zu beten: „Wenn du mir diese Frau beschaffst, dann kannst du alles von mir haben, und ich werde ihr Sexsklave sein, solange sie es will“, war mein demütiger Vorschlag. Du wirst es nicht glauben, aber mein Gebet wurde erhört, und meine Wünsche sollten in Erfüllung gehen.

 

Inzwischen sind schon einige Jahre vergangen und darum weiß ich nicht mehr genau, welcher Reiz es geschafft hatte, die Triebe in den längst vergessenen Brennkammern meiner Einbildungskraft zu entzünden. Vielleicht war es auch nur die Annahme von Interesse an meinen Ausführungen, die ich damals, vermutlich vollkommen fälschlicherweise, als Anbetung meiner Person wegen meiner pseudointellektuellen Ausführungen interpretiert hatte. Es kann auch sein, dass ich nur hochgradig anfällig für jede noch so banale Versuchung und süchtig nach Anerkennung war. Zugegeben, mit so einem Prachtstück vor der Nase war es nicht schwer mich zum religiös motivierten Bittsteller zu machen. Eigentlich war es ein ziemlich plumper Versuch mich zu korrumpieren. Das banale Schicksal wollte sich meinen privaten Interessen bemächtigen und es wollte auch noch kräftig geschmiert werden. Andrerseits muss man auch sagen, dass der Mensch im Glauben stark sein sollte. Wären meine Gebete nicht erhört worden, wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. Aber es hat sich nun mal so ereignet, und ich musste die Konsequenzen tragen. Ich, der notorische Ketzer hatte dem Chefgott einen Deal angeboten, und für meine egoistische Einstellung hat er mich bestraft. Dafür bin ich ihm heute und wie es sich gehört dankbar. Denn die Erfahrung hat mich klug gemacht, und ich konnte mich mit der Gewissheit trösten, dass die Unerfahrenen und Mutlosen die Dummbeutel sind, denn ich hatte es gewagt, was andere niemals wagen werden. Am Schluss der Episode hat „der da Oben“ alles von mir genommen. Darüber bin ich nicht traurig, denn am Anfang hatte ich es versprochen und Versprechen soll man ja bekanntlich halten. Heute bin ich bei ihm schuldenfrei,  jeder von uns geht seiner Wege. Er lachend mit seiner Beute und ich mit meinen Erfahrungen, von denen ich dir heute erzähle.

Doch bevor ich mit meinen Erinnerungen zu weit abschweife, kommen wir zu dem denkwürdigen Tag in Heilbronn zurück.

In meinen Augen war sie wunderschön. Allerdings denke ich heute, dass eine arglos hin und her huschende Maus beim Anblick einer schillernden Gift- und Würgeschlange so ähnlich empfindet. Es war der Beginn eines Prozesses, vergleichbar mit der Kernschmelze in einem Atomkraftwerk, der mein Leben und meine Zukunft verändern sollte.

In diesen geheiligten Minuten bekam ich spontan eine mächtige Erektion. Gleichzeitig hatte ich den Faden meines Vortrags und dazu meine eisernen Grundsätze über die Heiligkeit der Ehe verloren, und dankbar über das Erstere fand ich beide nicht wieder.

Nun weißt du, und auch ich weiß es, dass es Situationen gibt, in denen sich auch eher zurückhaltende, weil verheiratete Männer, mutig und unverwundbar fühlen. Für mich war der durchaus denkbare Dolchstoß an der Heimatfront nichts gegen die Herausforderung der graublauen Augen für die ich nur noch Augen hatte. Im ehelichen Felde moralisch unbesiegt, wurde ich mit dem Speer der Versuchung aus dem Hinterhalt beworfen und an meiner schwächsten Stelle getroffen, dort wo ich aus Wohlstandsgründen nicht mehr hinsehen konnte.

Wenn du mich in diesem Moment gefragt hättest: „Was würdest du tun? Zu was wärst du bereit, um sie zu bekommen, und um mit ihr an einen fernen Ort zu verschwinden?“ Ich hätte dir ohne zu zögern geantwortet: „Ich ziehe hier und jetzt ein Bast-Röckchen an und führe einen hawaiianischen Fruchtbarkeitstanz auf, wenn es hilft.“ Du hast mich nicht gefragt, denn damals kannten wir uns noch nicht. Aber mein Wille musste als unabänderliche Folge auf den Verfall meiner Wertvorstellungen geschehen. Denn nach diesem Blick war es so gewiss, wie die Sünde zur Moral gehört - der reine Engel wollte mich, und ich wollte sie, und alles andere, die Risiken, die Folgen und die Moral waren mir in Anbetracht ihrer blitzenden Augen herzlich- und scheißegal.

 

Du fragst mich, wo mein Gewissen geblieben ist? Natürlich war es noch da, und es war tonnenschwer mit nie begangenen Verstößen gegen die eine oder andere Moral, die nicht die meine waren, gepflastert. Mit dieser Last war es für mich nicht leicht. Über meine Gewissensqualen kam ich nur hinweg, weil ich mir einredete, dass die Bewertung der Sünde eine simple Frage des Standpunkts sei, und die Gebote, die zehn mit denen man auch dich gepestet hat, nur zur Versklavung des Mannes erfunden worden sind. Immerhin gibt es genug Menschen, die ohne Moral ziemlich glücklich leben, oder die intelligent genug sind, ihre eigene Moral zu entwickeln. Mit solchen Gedanken sah ich die Schlange an und ich wusste, dass meine geordnete Vergangenheit nur eine mit Auszeichnung überstandene Prüfung für zukünftige Vergehen sein konnte.

Heute, mit einer zeitlich und gefühlsmäßig abgekühlten Distanz kann ich Sina nur noch bruchstückhaft beschreiben. Eigentlich war sie kein reiner Engel. Petra, oder Sina, wie sie sich nannte, war „das“ gut getarnte Verderben.

Du möchtest, dass ich sie etwas genauer beschreibe? Ich versuche es, aber es wird mir nur unzureichend gelingen. Optisch hatte sie damals (echte) bis zum Rücken reichende, etwa bis zu der Stelle, wo bei erwachsenen Engeln die Flügel heraus wachsen, pechschwarze und leicht glänzende Haare, die jeden schwulen Friseur zu einem andächtigen Seufzen verleiten, was meine Theorie über die sichtbaren Merkmale der blonden Guten und der vorwiegend dunkelhaarigen Bösen ein weiteres Mal recht ansehendlich bestätigen konnte. Die Brille mit schwarzem Horngestell gab ihrem Gesicht einen zusätzlichen erotischen Touch, den der intime Feingenießer und Kenner strenger Anleitung, üblicherweise mittelalten, und zwar den englischen Internatslehrerinnen aus den konsequenten frühen 50er Jahren zuschreibt. Das elegant mittelgraue Kostüm mit dem die für meine Begriffe vollkommene Figur betonenden, engen Rock stand ihr gut und ich konnte meinen Seitenblick ob der ästhetischen Perfektion nicht von ihr lösen. Ich musste unwillkürlich an Vivienne Westwood denken, die sinngemäß gesagt haben soll: „Ein Mann, der eine Frau im Kostüm nicht jeder anderen Frau vorzieht, muss entweder blind oder ein Idiot sein.“  Vor mir saß eine Frau (nicht Vivienne Westwood, sondern Sina), die trotz, oder wegen der ungewöhnlich schlichten Harmonie ihres optischen Gesamteindrucks alle Blicke auf sich zog und sie wusste es, das Miststück. Ich dachte nicht mehr an meinen Auftrag, sondern nur noch: „Schöne Frauen kann man überall treffen. Es gibt sie in jeder Haar- und Hautfarbe, nur nicht in jeder Figur und fast immer da wo ich nicht bin. Aber das ist ein besonderes Exemplar und ich bin ihr nah.“

Ich weiß, man muss viele Wege gehen, bis ein Mann zum Mann wird. Jungs bis Vierzig können das was in mir vorging, ein intellektuell gesehen, noch nicht begreifen, aber du bist ein gestandener Mann und du verstehst mich. Dennoch kann ich es nicht verhindern, dass auch Frauen mitlesen und mit fiebrigen Augen und angehaltenem Atem mit mir mitleiden. Darum möchte ich meine Leserinnen sozusagen prophylaktisch darauf hinweisen, dass bei mir Äußerlichkeiten keine wesentliche Rolle bei der Beurteilung des Charakters eines Menschen spielen. Für mich kommt es auf den Menschen an. Doch meine Triebe dachten da eher neandertalermäßig-archaisch und zum damaligen Zeitpunkt konnte ich noch nicht auf die inneren Werte eingehen. Mein Forscherdrang war geweckt und meine motivationale Erregung stieg im gleichen Maße, wie meine Erwartung an das Ungewisse. Zwar wusste ich von dem von mir sehr verehrten Friedrich Nietzsche, dass die sinnlichsten Männer vor den Frauen fliehen und den Leib martern müssen. Doch was hätte ich tun sollen? Ich floh nicht und mein Leib blieb an diesem Tag ungemartert. Auch mein klarer Verstand warnte mich eindringlich: „Lass es, aus diesem Blick können nur blaue Augen und verbrannte Erde entstehen.“ Es war mir egal. Mein Glauben, meine Restmoral und meine Grundsätze waren zusammen mit meinem Verstand auf der Flucht. Angesichts des leckeren Törtchens sah ich für meine Zukunft nur noch blau, und ohne dass ich es wusste, stand ich damit vor der vollkommenen Zerstörung des Bewährten und vor einem radikalen Neuanfang. Eigentlich ein banaler Vorgang den jeder Revolutionär schon in der Grundschule für den kleinen Revoluzzer lernt und anstrebt, und es entsprach ja auch meinem Wunsch. Heute weiß ich es, aber damals wusste ich noch nicht, dass Konformisten geheiratet, und Revolutionäre gemartert und erschossen werden.

 

Nach meinem ersten Eindruck, und entgegen meiner sonstigen Angewohnheiten unauffällig aus den Augenwinkeln gecheckt, war sie höchstens fünfundzwanzig Jahre alt. Ein junges und gelungenes Exemplar der Gattung Frau. Nicht zu jung, aber alt genug um vor Ungewohntem nicht zu scheuen, sondern erfahren zu sein, wie der Kenner von gut eingerittenen Wildpferden gern sagt.

Du musst es mir nicht sagen, ich weiß es. Auch eine Atombombe kann man optisch schön und proportional ästhetisch finden, aber dennoch rührt man so ein Mist-Ding nicht an. Das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. Im Gegenteil, jeder vernünftige Mann hält einen respektvollen Sicherheitsabstand und zumindest seine Aktentasche schützend vor sein Gesicht. Denn die Optik sagt noch lange nichts über den Inhalt, das Handling und die praktische Anwendung im Alltag aus. Das alles wusste ich, und ich hatte es mit dem ersten Blick in ihre blitzenden Augen vergessen. Dass mich der dazugehörende, äußerst gefällig proportionierte, weibliche Körper und die dezent bestrumpften, sinnlichen Schenkel zusätzlich inspiriert hatten, sei hier nur am Rand erwähnt. Doch noch hatte ich kein Wort mit ihr gewechselt, und es sah nicht so aus, als ob sich die Gelegenheit bieten würde, denn ich bin im anbaggern mir wildfremder Frauen bis heute sehr ungeübt.

In solchen mystischen Momenten der stillen Anbetung löst die optische Wirkung beim mittelalten Mann die Reaktion aus, für die das Objekt geschaffen wurde. Sie hat gezündet, bei mir eingeschlagen (nicht die Bombe) und den revolutionären Flächenbrand der Veränderung ausgelöst. Welcher Sinneseindruck der entscheidende war, oder ob das Zusammenspiel von mehreren den in meiner durch Gewöhnung und Routine verhornten Seele versteckten G-Punkt der Sehnsüchte berührte, weiß ich bis heute nicht. Doch von mir unvergessen ist ihr ungewöhnliches Parfüm, das ich, der aufs äußerste Sensibilisierte mit allen meinen Sinnen wahrnahm. Es war wie Opium von einer schweren, edlen Süße, die meine durch ehebedingte Alltagsgerüche abgestumpfte, olfaktorische Wahrnehmung wiedererweckte.

Als sie in der Pause zielstrebig zwischen Büffet und Small-Talk schlenderte, folgte ich dem Duft mit großem Abstand und so unauffällig wie ein halbverhungerter Hund einer geöffneten Futterbüchse. Heute weiß ich, dass die Wölfin schon damals wusste, dass sie mich am Angelhaken hatte.

Ich sah sie an, sie sah mich so bewusst gleichgültig an, als ob sie die  Gedanken ihrer Beute lesen könnte. Ihr kaum sichtbares Lächeln galt mir und ich war der Gewinner, obwohl wir noch kein Wort miteinander gewechselt hatten. Dann fiel die kleine Handtasche, die sie unter dem linken Arm eingeklemmt hatte, auf den Boden. Ich, der abgebrühte Unternehmer und ehrsame Ehemann vergaß Sinn und Zweck meines geschäftlichen Aufenthalts. In einer metaphorischen Anwandlung dachte ich: „Es sind nicht die Widrigkeiten des Lebens mit der Hässlichkeit der Allerweltsnatur, sondern die Zuckungen des Zufalls, denen der einsame Mensch verfällt“, und sie beachtete mich mit der gleichen Aufmerksamkeit wie man als fanatischer Nichtraucher Zigarettenautomaten an grauen Hauswänden wahrnimmt.

Für mich war die gefallene Tasche wie ein Wink des Schicksals und die Gelegenheit auf die ich intuitiv gewartet hatte.

Darf ich Ihnen helfen?“ war meine ob des Zwischenfalls zögernde Frage, um ohne eine Antwort abzuwarten, mich trotz meines noch nicht gänzlich auskurierten Bandscheibenvorfalls zu bücken um mit den Händen den Boden zu berühren. Hastig begann ich die kleinen Utensilien, die aus der Handtasche gefallen und auf dem Boden verstreut waren, einzusammeln.

Nicht mehr unverbindlich lächelnd, sondern eher kühl, ohne sich zu bücken und ihrem kleinen Missgeschick größere Beachtung zu schenken, antwortete sie: „Bitteschön. Wenn es Ihnen Spaß macht.

Wegen meiner damaligen Leibesfülle etwas zu laut keuchend, begann ich eine vergoldete Lippenstifthülle, dazu ein kleines silbernes Schminketui und ein Feuerzeug aus gebürstetem Metall mit ineinander verschlungenen weiß-, gelb- und rotgoldenen Ringen zusammen zu suchen. So unmittelbar vor ihr auf dem Boden nahm ich den subtilen Geruch der schönen jungen Frau besonders intensiv war. Aus meiner gebückten Perspektive sah ich ihre dezent bestrumpften Beine, und die roten Pumps mit den schmalen Riemchen die sich um ihre schmalen Knöchel spannten, und ich fühlte mich das erste Mal seit vielen Jahren wieder wie der dumme schüchterne Schuljunge, der regelmäßig von der verhassten und gleichzeitig angebeteten Lehrerin mit den ausrasierten Augenbrauen und dem streng nach hinten gebundenen Pferdeschwanz aus der Sindelfinger Klostergartengrundschule seine obligatorischen Kopfnüsse für Unartigkeiten empfangen hatte, um danach mit einem aus den für diesen Zweck zurückbehaltenen Teilen der Sindelfinger Tageszeitung der Vorwoche, die ansonsten traditionell in handliche Stücke geschnitten zur Verwendung als weitgehend untaugliches, weil schmierendes Wischpapier in der Schultoilette verwendet wurde, gefalteten Papierhut auf dem Kopf, bis zum Ende der Unterrichtssunde in der Ecke zu stehen, manchmal bis ich meinen Harndrang nicht mehr unterdrücken konnte, um danach mit nassen, kurzen Hosen und dem Gespött der anderen Kinder im Ohr, mit gesenktem Kopf und dem schweren Leder-Schulranzen auf dem Rücken nach Hause zu trotten um von meiner verärgerten Mutter persönlich gebadet und mit dem Waschlappen abgerubbelt zu werden.

So vor der schönen Unbekannten kniend, empfand ich plötzlich ein längst verdrängtes Gefühl der familiären Hingabe, das sich in dieser Intensität das letztemal, und zwar anlässlich des sogenannten ersten Mals vor vielen Jahrzehnten in einem Stuttgarter Etablissement mit dem bezeichnenden Namen Je t´aime, und in der Hand einer älteren Helga zum Rhythmus von „I want to hold your hand“ wie von Sinnen entladen hatte, und von dem ich dachte, dass ich es in diesem Leben nie wieder erleben würde.

Nach unendlich erscheinenden Sekundenbruchteilen wohliger Erinnerungen an Episoden aus Kindheit und Halbstarkenzeit wollte ich mich aufrichten, aber vor Aufregung fiel mir das kleine Schminketui aus der Hand und mit einem metallisch klirrenden Geräusch auf den Steinboden. Ich bückte mich noch einmal und sah, dass es einen unschönen Kratzer und der kleine Spiegel einen winzig kleinen Sprung bekommen hatte. Beim schuldbewussten Aufblicken sah ich ihre Zornesfalten zwischen den sorgfältig ausrasierten Augenbrauen und das mein zitterndes Tun ohne Worte missbilligende, hochgezogene rechte Augenlid. Als ich ihr mit schweißnassen Händen und kleinen Nervositätsperlchen auf der hohen Stirn das schmale Handtäschchen aus dem Leder einer weltweit geschützten Reptilien-Art übergab, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen.

Entschuldigen Sie bitte, dass ich so ungeschickt war. Selbstverständlich ersetze ich Ihnen den Schaden. Darf ich sie als kleine Wiedergutmachung zu einem Glas Champagner einladen?“ Sie sah mich mit einem spöttischen Lächeln ihrer sorgfältig geschminkten Lippen an.

Ich weiß noch nicht, ob das eine Wiedergutmachung oder eine Strafe ist. Sie werden verstehen, dass ich mich normalerweise nicht so einfach von jedem X-Beliebigen ansprechen lasse.“ Dabei betrachtete sie mich mit einem durchdringenden, überheblichen Blick an, der einer kleinen Krämerseele zu sagen schien: „Du Winzling, sei froh, dass ich dich überhaupt ansehe.

Es ist mir ein Bedürfnis Ihnen den Schaden zu ersetzen“, war meine bittende Antwort.

Ihr Lächeln veränderte sich zu einem Wohlwollen, das hungrige Alligatoren beim Betrachten eines mit verstauchtem Geläuf in halbhohem Wasser stehend, fetten Gnus, gern aufsetzen.

Gut, dann möchte ich Ihr Angebot ausnahmsweise annehmen. Mein Name ist Sina Sidonius, und wer sind Sie?

Obwohl sie mir zugehört hatte und meinen Namen kennen musste, war ihre Frage eine pure Provokation, die meine Hoden zum vibrieren brachte. Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, aber die verheiratete Petra Krafft, alias Sina Sidonius ging mit dem Bewusstsein, den gewünschten Fisch an der Angel zu haben, voran, und ich dachte: „Für diese Frau schwimme ich in einer Tonne durch die Niagarafälle, wenn sie es verlangt.

Aus den Augenwinkeln betrachtete ich ihren Gang, die wohlgeformten Beine, und die Muskeln ihrer Schenkel, die sich am dünnen Stoff des engen Rock ihres Kostüms so vortrefflich abzeichneten. Ich wusste, ich war in geschäftlichen Angelegenheiten unterwegs, und darum versuchte ich mich zu konzentrieren und an etwas anderes zu denken. Aber vor mir ging mit wiegendem Gang nicht der geräumige Volkskombi, sondern der Porsche unter den Frauen. Als sie sich mit einem selbstbewussten Lächeln an die Bar lehnte, sah ich, dass sich der Rock ihres Kostüms etwas, für unkundige Laien kaum bemerkbar, zwischen den Beinen bauschte.

Die Sau hat Strümpfe und keinen Slip an“ schoss es mir spontan durch den Kopf.

 

Liebesfragen wie ein durchgesessener Cord-Sessel und 4711 mit Rose und Ranke

  

Liebe soll kompliziert sein? Das ist ein Irrtum.

Liebe ist ganz einfach.

Stell dir Liebe wie etwas Beliebiges, zum Beispiel Strumpfhosen aus dem Supermarkt vor. Du bekommst immer nur die Qualität die du verdienst. Oder anders ausgedrückt: Liebe ist das was du bezahlen kannst.

Sina (Petra F.) Sidonius

 

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Wie du weißt, war die mir gesetzlich angetraute Frau schon seit langer Zeit ziemlich gleichgültig. Trotz einer markanten Tätowierung (die Zahl 4711 und eine rankende Rose, in Erinnerung an die Filmpremiere des Musicals Rocky Horror Picture Show in Berlin) auf ihrem in den Jahren ausladen gewordenen Gesäß, war das Zusammenleben mit ihr nur noch eine banale Gewohnheit, wie ein durchgesessener Cord-Sessel aus den 70ern, den man zwar vor Jahren, als er noch neu und beneidenswert exklusiv gewesen, begehrenswert gefunden hatte, aber in den vielen Jahren der Nutzung zu einem bequemen und etwas ausgeleierten Gebrauchsgegenstand geworden war. Bei Sina war es anders. Das war kein Horror auf durchgesessenem Alltagssessel, um bei meinem bildhaften Vergleich zu bleiben. Das war ein heißer Feuerstuhl, vergleichbar mit der Durchzugskraft eines Gran Turismo Omologato. Instinktiv und sofort spürte ich, dass die junge und unverbrauchte Sina Sidonius pures Nitroglyzerin war mit dem ich trotz der Gefahren, die solchen Dinge nun mal als wesentliche Eigenschaft besitzen, zwar behutsam, aber doch ausgiebig umzugehen gedachte. Zu meiner Verteidigung muss ich dir gestehen, dass in diesen Minuten mein Mut nicht so groß war, wie ich ihn hier mit vielen Worten umschreibe. Ich wollte siegen, das war mir klar, aber ich hatte meine kleinlichen Ängste, und große Zweifel waren auch da. Ganz im Vertrauen und unter uns sage ich es dir jetzt, und bitte erzähl es nicht weiter. Es gab Momente in denen ich mutlos und mit einer gemurmelten Entschuldigung meinen goldenen Ehering wieder auf meinen Finger stecken und die Flucht ergreifen wollte.

Zweifelsfrei stand ich vor einer schwierigen Herausforderung, der sich jeder Feldherr vor der Schlacht stellen muss. Zwar wusste ich, dass ich die bebende Festung erobern konnte. Ich besaß die monetären Mittel und den unumstößlichen Willen in einem schwankenden Prozess von „Tun oder Nichttun; das ist hier die Frage: Obs edler im Gemüt, die geile Schnitte nutzen, oder in einem See von Plagen, durch Widerstand verenden“, wie der Dichter sagt, wenn die Zweifel am Gewissen nagen, und „ich glaube, ich sollte besser die Finger davon lassen, aber andrerseits …“ Aber was sollte ich machen? Mich wehren? Ich bin nicht nur sensibel, und sensible Männer sind nun mal schwach. Was hättest du an meiner Stelle getan? Hättest du gekniffen und weinerlich den Rückzug angetreten? Die Menschen fliegen zum Mond und wagen den Schritt ins Universum. Der Mars ist nur noch ein Katzensprung entfernt, und mutige Männer erkunden die letzten Winkel der Erde - und sie lud mich mit offenen Schenkeln ein. Sollte ich bei diesen Perspektiven kneifen? Es wäre ein Verbrechen an der Menschlichkeit gewesen, sie unter solchen Voraussetzungen nicht zu erobern.

Aber konnte ich sie auch dauerhaft beherrschen? Jeder Feldherr weiß, dass eine Besitznahme die nicht zur vollständigen Beherrschung führt, nur ein Pyrrhussieg ist.

Besaß ich die Kraft, sie mir untertan zu machen? Ein Wildpferd zuzureiten sieht nur in alten Western leicht aus, aber würde ich es schaffen, im Getümmel mit der ungestümen Jugend im Sattel zu bleiben? Immerhin war sie deutlich erkennbar und ziemlich jünger, und die Sitten und Gebräuche hatten sich in den letzten Jahrzehnten verändert, missionarsstellungsmäßig gesehen. Es gab noch viele Fragen, auf die ich zu diesem Zeitpunkt noch keine Antwort wusste.

Für mich sehr belastend waren auch eher komplexe Ungewissheiten: „Sehe ich noch so attraktiv aus, dass ich auch ohne Unterhosen noch gut aussehe?“, oder „bin ich nicht zu alt, für so ein junges Ding?“ und auch eine andere Frage stand noch unbeantwortet im mentalen Raum: „Werden meine Kumpels auch beeindruckt sein, wenn ich sie vorzeige, was ich ja tun muss, wenn ich sie bekomme?“ Auch meine Frage an meine potenzielle Leistungs- und dauerhafte Zuverlässigkeit war noch nicht abschließend beantwortet. Würde er so funktionierten wann er soll, wie er soll und wie lang er soll? Und wie soll ich wenn ich soll und auch will, sie aber anders will, weil das weibliche Wollen ja bekanntlich wirr und nicht immer klar und verständlich ist? Frauen haben da ja Vorteile. Sie können immer und dazu ziemlich kompliziert sein, habe ich mir sagen lassen. Mit schlagartig erwachtem Bewusstsein wurde mir klar, dass am Ort der Prüfung immer auch das Negative lauert. Aber der Vorfreude auf die vielen Dinge, die wir miteinander tun könnten, gab mir den Mut, um das schwere Los dieser von mir zu bewältigenden Bestimmung auf mich zu nehmen.

 

Herr Ober, zwei Gläser Sekt bitte.“ Im Allgemeinen mag ich das für mich sowohl geschmacklich, wie auch im Preis-Leistungsverhältnis für mich vollkommen unakzeptable Prickelgesöff nicht besonders. Ich bevorzuge eher ein gut gezapftes Pilsbierchen der Essener Stauder-Brauerei (dieser Hinweis ist in die Kategorie „Schleichwerbung“ einzuordnen, und ich hoffe, dass meine Initiative eines Tages auch monetär entlohnt wird.) Dennoch gab ich mit einer generös und gleichzeitig weltmännisch wirken sollenden Handbewegung die obligatorische Bestellung auf. Mein Satz war noch nicht ausgesprochen, als sie mir zeigte, wer die Herrin im Ring ist, und wer der Domestik. Mit einer bestimmenden Geste legte sie ihre Hand auf meinen Unterarm und verbesserte mit einem spöttischen Lächeln ihrer sorgfältig geschminkten Lippen meine kleinmütige Order.

Zweimal Champagner und zwei Martinis. Und lassen Sie bei der Füllung ordentlich die Peitsche knallen.“

Ich sah sie nur an. Das war Stil und echte Eleganz und mir fehlten die Worte für eine gepflegte Konversation.

Stößchen.“

Nur zu gern kam ich der Aufforderung nach und ich stieß mein Glas vorsichtig mit einem leisen Klirren gegen das Glas der attraktiven jungen Frau, die mich sowohl in Hingebungsvorfreude, als auch erwartungsvoll  ansah.

Sie dürfen mich Sina nennen.“

Hallo Sina, dann wollen wir doch anstoßen. Ich bin der Raoul.“

Mit einem bezaubernden Lächeln sah sie mich an, und bevor ich weiterreden konnte, kamen aus ihren vollen Lippen die neckischen Worte: „Darf ich mal an ihre Nüsse?

Mein Herz zog sich mit einem leichten Stich, ich vermute es war meine sensiblere, die linke Herzkammer, zusammen. So viel Offenheit war ich in der Öffentlichkeit nicht gewohnt und darum wusste ich nicht was ich zu der Frage sagen sollte, denn bis dahin nahm ich an, dass Frauen schüchterne und zurückhaltende Wesen seien. Ich kannte vom Hörensagen zwar viele obszöne Worte und die wenigen Damen, die ich ansonsten gegen ein angemessenes Honorar gelegentlich frequentierte, waren üblicherweise älter, also aus Paritätsgründen in meinem Alter und darum in einem erkennbar gebrauchten Zustand. Doch im Hier und Jetzt dieses mystischen Moments war alles anders. In den Sekunden, die sich wie unmessbare Zeiten, angefüllt mit erotischer Spannung dehnten, begann sich in der atemlosen Stille zwischen den beiden Menschen an der Bar eine innige Bindung des Sehnens und Wollens aufzubauen. Der volle Mund der jungen Frau verzog sich zu einem Lächeln, als ob sie jede noch so komplizierte Windung meiner Gedanken lesen könnte. Ich war fasziniert, wie sich ihre Nasenflügel leicht und doch erkennbar krausten und ich sah das rosagesunde Zahnfleisch in ihrem Mund und die nassglänzende Zungenspitze, die beim Sprechen vorwitzig zwischen den prachtvoll weißen Zähnen sichtbar wurde. Unwillkürlich musste ich an eine schnaubende, rossige Stute auf einer nur unzureichend gesicherten Koppel beim Anblick eines erfahrenen Zuchthengstes mit dem Prädikat „Orgasmus-Garantie“ denken.

Ohne meinem Blick auszuweichen griff sie mit der linken Hand nach dem Schälchen mit den Knabber-Nüsschen das vor uns auf dem grauglänzenden Tresen der Bar stand. Als ich die Sekunden der Überraschung überwunden hatte, griff ich auch danach und berührte wie zufällig ihre Hand. Erschrocken über meine Zudringlichkeit zog ich sie zurück. Sina nahm mit ihren sorgfältig manikürten Fingern zwei aus dem Glas-Schälchen und sah sie kurz an, bevor sie die salzigen Nüsschen in ihren Mund steckte.

Ich frag mich gerade, wie viele Männer auf der Toilette ihre Schwänze in der Hand hatten und danach mit ihren Fingern in dem Schälchen waren.“

Ich sagte nichts, bekam aber einen roten Kopf. Mit gesenkter Stimme und mit einem nur für den Kenner erkennbaren provozierenden Unterton, plauderte sie weiter.

Wie bei meinem Mann. Zu kleine und zu weiche Nüsse und schmecken nach nichts“, um dann das Schüsselchen etwas und mit einem fast unhörbaren Klacken mit den rotlackierten Fingernägeln zu berühren und einige Zentimeter in meine Richtung zu schieben. Leise, kaum hörbar fügte sie hinzu: „Haben Sie größere?

Ich griff nach meinem mit Champagner einer mir unbekannten Marke gefüllten Sektglas und hätte es fast umgestoßen. Die ehrliche Offenheit dieser schönen jungen Frau empfand ich als eine überaus erotisierende Erfahrung, und die Spannkraft meiner dezent-grauen Gabardinehose aus einem Trevira Mischgewebe hielt dem überraschenden Widerstand nur dank einem Qualitäts-Reißverschluss aus guter deutscher Produktion stand. Plötzlich schämte ich mich nicht mehr, Obszönes zu denken, aber immer noch, dass man mir vielleicht die schmutzigen Gedanken ansehen könnte. Darum gab ich mich in meinem Verhalten so souverän wie der Repräsentant einer hochmoralischen Glaubensgenossenschaft. Wie ein Vorbild, unerschütterlich und fest in seinen moralischen Grundsätzen wollte ich erscheinen, und ich war es nicht. Und dann, plötzlich hatte ich den entscheidenden Schritt von der Ordnung zum Chaos in einen vollkommen neuen, sinnlichen Erfahrungsbereich getan. In diesem Moment dachte ich, dass ich denken sollte, aber ich ahnte auch, dass dieser Abend zu einem Hauptgewinn werden konnte, und Petra, die sich nur für mich Sina Sidonius nannte, dachte vermutlich das gleiche.

 

Die Konversation mit Sina empfand ich als eine inspirierende Erfahrung von unbeschreiblicher Größe. Wann hatte ich mit meiner, vermutlich in einem Anfall von Geistesdämmerung geehelichten Frau, jemals so geistreiche Gespräche geführt? Plötzlich spürte ich die Leere meiner Ehe, so wie der Leibhaftige das Fehlen anfälliger Seelen. Ein kalter Schauer durchlief meinen Körper. Dort, in meinem grauen Alltag waren nur noch gleichbleibende Intervalle von Tag und Nacht, Gebrauch, Verbrauch, Verfall und Tod. Aber hier, jetzt und an diesem Ort und mit dieser Frau lockte die pralle Fettlebe mit Dekadenz und Orgien bis zum abwinken. Wie mit der Kraft eines unzerstörbaren Elastikbands verbunden, fühlte ich mich zu ihr hingezogen.

Als ich ihr, um das Gespräch nicht abreißen zu lassen, meinen Lieblingswitz (mein einziger) vom einsamen Schäfer erzählte, der jeden Abend vor dem Schlafengehen seine Schafe durchzählt: „Ein, zwei, drei, hallo Schatzi, fünf, sechs …“, war es um mich geschehen. Meine im Wesen sehr nüchterne und im schöpferischen Geist sehr bescheidene Ehefrau verstand weder ihren Ehemann, noch meinen tiefgründigen Humor, und Viola, meine nostalgische Gewohnheitsgeliebte für alle Fälle, kannte alle meine Sprüche und Anekdoten auswendig. Aber hier war eine schöne junge Frau, die mir mit einem herzlichen und aufrichtigen Lachen zeigte, dass sie die hintergründige Pointe verstanden hatte. Eine Frau, die wie gebannt meinen geistreichen Wortspielen lauschte, und sich aufrichtig an meinen intelligenten Witzen erfreuen konnte.

Mit einer schelmischen Mimik sah sie mich an, um zuerst einen kleinen Schluck aus dem hohen Sektglas zu nehmen, bevor sie weiter sprach: „Der arme Schäfer hat nur ein Schatzi. Wie traurig für ihn, dass er beim Bockspringen nur zusehen darf.“

Einen Moment war die ich über die bis dahin entgangene, aber bedeutungsvoll interpretierte Metapher meines oberflächlich betrachtet, banalen Witzes verblüfft. Unwillkürlich musste ich an die große und einmalige Liebe auf den ersten Blick denken, aber dann verwarf ich das sich entwickelnde Hirngespinst wieder. Ich fühlte mich in der Gesellschaft der interessanten jungen Frau wohl. Eines war mir plötzlich klar. Ich, nur ich allein war der Entdecker eines selten schönen und dazu scharfsinnigen Schnuckelstücks und Sina dazu ausersehen meinen Wert in der sozialen Gesellschaft in der ich mich befand, beträchtlich zu steigern.

Sinas Vorschlag zwischen knappern und einem weiteren Schlückchen aus dem hohen Sektglas: „Trinkst Du auch so gern den echten Champagner?“ und ohne eine Antwort abzuwarten: „Lass uns doch woanders hingehen. Irgendwohin wo nicht so viele Leute sind“, klang zu verlockend und ich nahm etwas überrascht an, dass sie vielleicht hungrig sei.

Die warme Hand, die sie sich mit sanftem Druck ziemlich weit oben auf meinen Oberschenkel legte, versprach etwas Verlockendes und ich beeilte mich, die Rechnung zu bezahlen. Zuerst zögernd, dann immer forscher ging ich mit Sina zum Ausgang. Auf halbem Weg sah ich mich noch einmal um, und dann legte ich meinen Arm um ihre Taille, wie um zu signalisieren, dass ich mit dem mir zustehenden Gewinn aus dem Kampf und meiner wohlverdienten Beute als souveräner Sieger den Kriegsschauplatz verlasse.

In der Tiefgarage drückte sich Sina an mich und an ein fremdes Auto. Ich erschrak, als sie mir leise zu hauchte: „Ich will deine Kokosnüsse klackern hören“ und sich spontan vor mich kniete und den Plastikreißverschluss meiner Hose öffnete. Doch dann war es mir egal, was die zufällig Vorbeigehenden dachten, und Sina Sidonius flüsterte kaum hörbar: „Ich liebe die weichen, weißen Lollys“, denn mit vollem Mund soll man nicht zu viel sprechen. Dann dachte sie: „Verheiratete Schwänze schmecken irgendwie ganz anders“, aber das sagte sie mir noch nicht, sondern erst viel später.

Sina war eine begnadete Oraleuse. Sie sah mich mit gefülltem Mund und ihren blauen, pornografisch blitzenden Augen von unten herauf an, und mir blieb nichts anderes übrig als „Süßes Ferkel“ zu stöhnen und mit meinen Händen ihren Kopf zu ergreifen um ihn rhythmisch im angedeuteten Dreivierteltakt eines Wiener Walzers, der mir spontan in den Sinn kam, zu bewegen.

Du machst es mit so viel Hingabe wie eine zum Tod verurteilte Nymphomanin mit der Aussicht auf Aufschub der Hinrichtung“ wagte ich nicht zu sagen, als ich das erste Mal kam. Im gleichen Moment signalisierte die Alarmanlage des fremden Fahrzeugs mit einem gellenden Ton die unerlaubten Erschütterungen. Es war das unbeschreibliche Gefühl, wie beim Tatatadaa von Ludwig van. Ich kann es nicht anders beschreiben, aber und plötzlich wusste ich, was im tausendundeinsten Mann vorgegangen ist, allein in einem Rettungsboot, und tausend Mann auf dem Weg in eisigen Tiefen. Der Klang der Alarmanlage war das weithin hörbare Erkennungszeichen einer Beziehung die verhängnisvolle Auswirkungen auf mein weiteres Leben haben sollte.

Erweckungsspiele vor dem ultimativen Ende

 

Wer die große Liebe sucht, und sie gefunden hat, und sie auch noch festhalten und den strahlenden Glanz erhalten will, und sich vielleicht auch engagiert, als das alles zu seiner Lebensaufgabe macht, muss auch damit rechnen, dass er jeden Tag den Müll wegräumen muss.

Paul van Cre

 

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Magst meine Ava sehen?“ Sina kicherte leise vor sich hin und ich wusste nicht, was ich auf die Frage antworten sollte, denn ich kannte das Wort nicht, und Wikipedia war für mich momentan nicht verfügbar. Sina sah meinen ratlosen Gesichtsausdruck und sie beantwortete hilfsbereit meine unausgesprochene Frage - die gute Seele.

Es ist die Stelle zwischen meinem Anus und meiner Vagina. Magst sie mal sehen? Ich will mir da ein kleines Tattoo stechen lassen. Magst die Stelle mal sehen?“ Mir fehlten die Worte, denn so viel unschuldige, und gleichzeitig charmante Frivolität war ich nicht gewohnt. Aber dennoch war ich von der ansehendlich proportionierten und so schamlos direkten Gesellschaft mehr als nur sehr angetan. Außerdem war ich von den virtuos-oralen und gleichzeitig aktiv-unkomplizierten Vorgehensweise meiner neuen Bekanntschaft inspiriert und voller Vorfreude auf die vielen Varianten in einer möglichen Fortsetzung. In Gedanken begann ich mir schon die Frage zu stellen, ob mir das sehr attraktive Hinterteil in dem die Figur äußerst vorteilhaft betonenden Kostüm ebenso viel Freude bereiten würde, wie ihre mündlichen Künste, denn auf diese Kombination stand ich damals ganz besonders. Spontan fiel mir ein uralter Kneipenreim ein, den ich vor Jahren anlässlich eines Weiterbildungsworkshops über emphatische Verhandlungsführung von einem leicht angetrunkenen und auf dem Tisch tanzenden Kollegen gehört hatte. „Jetzt geht’s rund. Erst in den Po, dann in den Mund. Dann vor der Katze mit dem Hund.“ Ich musste lächeln, aber er wagte nicht, das frivol Gedachte auszusprechen, denn dazu habe ich eine zu gute Kinderstube genossen.

Als sie mich an der Rezeption eines naheliegenden Hotels mit einem verlockenden Kichern fragte: „Sag mal Honey, du hast doch bestimmt Durst. Wollen wir uns Champagner aufs Zimmer bringen lassen?“, stimmte ich trotz meiner für den Monat schon über Gebühr strapazierten Kreditkarte sofort zu. An dem Abend kam es mir nicht mehr aufs Plastikgeld an, denn Visa gestattet auch Teilzahlung. Außerdem hatte ich in Erwartung des vollkommenen Kommens vollkommen verdrängt, dass ich mit allen Pflichten die ein Ehemann nun mal so hat, auch noch verheiratet war.

Sina bestellte gleich zwei Flaschen mit der tiefsinnigen Bemerkung: „Darling, du willst doch sicher nicht, dass wir im Zimmer verdursten?

Das wollte ich nicht, und ich war von der praktischen und vorausschauenden Art meiner geliebten Sina, die ich erst wenige Stunden kannte, beeindruckt. Mehr dachte ich noch nicht, denn der weitere Verlauf der Nacht war für auch für mich mit etwas Phantasie und im großen Rahmen vorhersehbar, aber in den Details, das muss ich zugeben, doch überraschend inspirierend.

Sina Sidonius, alias Petra F. aus dem Heilbronner Stadteil Neckargartach konnte mehr halten, als ich mir in meinen kühnsten Träumen vorzustellen wagte. Denn Sina zeigte mir, dem in der klassischen Sprint-Variante zwar geübten und darum oft frühzeitig das Ziel erreichenden, aber in der avantgardistisch-sexuellen Kür doch sehr Unerfahrenen, das Spiel mit zwei Sektflaschen, und dass es noch andere Variationen der Genüsse unter Einbeziehung aller Körperöffnungen gab, als Champagner in der konservativen Methode aus Gläsern zu trinken. Angesichts der Ereignisse war mir tiefgründig-philosophisch zumute. Ich dachte an Tucholsky, der als alter Genießer, wohl um exquisite Sinnesfreuden wissend, der in einer ähnlichen Situation in einem Berliner Etablissement mit dem bezeichnenden Namen „Salon Kitty“  sinngemäß gesagt haben soll: „Ein Loch ist ohne den Rand und das Ganze drum herum wenig amüsant.

In den Sekunden, in denen mir solche Gedanken durch den Kopf schossen, merkte man mir nicht an, dass ich dabei war, den Verstand zu verlieren. Ich konnte nicht mehr zurück, denn es war mir unmöglich, die Augen noch länger vor den Realitäten zu verschließen. Ich hatte das Glück, eine weise Erzieherin des reinen Sehens gefunden und vor mir zu haben. Plötzlich wusste ich, dass ich nur die Augen öffnen musste. Aber dazu bedurfte es einer dominierenden Anweisung, ähnlich dem Schicksal eines Neugeborenen, dem man mit einem leichten Klaps auf den Po die Anweisung gibt, endlich ein Lebenszeichen von sich zu geben. Mit mir geschah ähnliches, ich konnte wieder sehen.

Sina war eine begabte Lehrerin, die sich behutsam meines morbiden Körpers und meiner nach Sinnlichkeit lechzenden Seele annahm. Eine warme Dankbarkeit überkam mich schon beim ersten zaghaften Rendezvous in dem Moment, als sich meine Prinzipalin mit einer souveränen Bewegung eine Zigarette ansteckte. Ich war unfähig, ihr Feuer zu geben, obwohl mein über jeden Zweifel erhabenes und nachweislich gutes Benehmen selbst in prekären Situationen bekannt ist. Meine Hände zitterten zu sehr, als sie langsam auf meinem Gesicht, den ihr zustehenden Platz einnahm. Mein Verstand war wie gelähmt, und ich bewunderte, was über mir war, aber ich beurteilte es nicht. In diesem Moment war ich wieder der rebellischste Mensch der Welt. Ich fühlte mich wie der Rex diaboli. Sina stimmte mir da völlig zu. Sie pfiff und ich, ihr Rex kam auf allen Vieren an. In meiner Erinnerung höre ich auch heute noch ihre bestimmende Stimme, die mir „mach die Augen auf“ befahl. Ich war willenlos. Wer jemals in der gleichen Situation war, kann das nachvollziehen. Wir waren ein Paar wie Blitz und Donner und die ersten gynäkologischen Tests auf meinem Gesicht waren eine Sensation. Es war die unvergessliche Champagnerprobe für den Kenner. Der Austausch unserer Körperflüssigkeiten besiegelte den glorreichen Sieg über meine Unfreiheit mit dem heißen Drink auf meine persönliche Unabhängigkeitserklärung. Ich kam und sie übernahm cool meine Gefühle. Nur noch mit ihr wollte ich in Zukunft alles erleben und nicht mehr die Augen vor der Realität verschließen. Meine Phantasie war so blind, dass ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie sich dieses geliebte Wesen im Alltag an meiner Seite verhalten würde. In meiner vernebelten Vorstellungskraft war es undenkbar, dass sich sogar Göttinnen im Alltag verändern.

Als sie über mir war, wollte ich voller Lust hinausschreien: „Das Leben zieht nicht mehr an mir vorbei. Das nasspralle Leben setzt sich endlich auf mein Gesicht.“ Aber es gelang mir nur ein erstickter Laut, denn mit vollem Mund blieb mir nichts anderes übrig als das Gegebene zu nehmen und zu schlucken. 

Ich muss zugeben, ich war begeistert, denn solche Experimente wagte (oder kannte) selbst meine erfahrene, aber in der letzten Zeit doch zunehmend lähmend routinierte und wohl durch zu viel Vertrauen in das Bewährte sich nicht weiterbildende Jugendfreundin Viola nicht. Mit meinem Gesicht zwischen Sinas Schenkeln begriff ich endlich die Idee der Freiheit als das höchste und erstrebenswerteste Gut der Menschheit und des Mannes. Endlich war meine revolutionäre Kraft zurückgekehrt. Ich konnte wieder zwischen den Alternativen wählen, die den echten Mann von den Jungs unterscheidet.

 

Sina verließ mich am frühen Morgen, nicht ohne mich noch einmal gekonnt mundmäßig zu verwöhnen. Nach einem ausgiebigen Frühstück im Continental-Style entschloss ich mich zu einem kleinen Stadtbummel und genehmigte mir dann ein Mietfahrzeug der Mittelklasse. Es war schon früher Nachmittag, als ich wie in Trance, mit weichen Knien und immer noch leichten Schmerzen in den Testikeln, aber ohne Gewissensqualen gemächlich, aber mit lauter Musik zurück ins heimatliche Sindelfingen zu meiner Frau und meinen Hypotheken fuhr. In Gedanken war ich bei meiner göttlichen Sina mit ihren höllischen Ideen, von denen ich bis zum Vortag nicht gewusst hatte, dass es sie gab, und die ich nicht mehr missen wollte. Ich hatte in dieser Nacht viel gelernt, aber die für mich wichtigste Erkenntnis war, dass es einen gravierenden Unterschied zwischen einem Heiligen und einem Sünder gibt. Ein Heiliger hat eine Vergangenheit, aber keine erstrebenswerte Zukunft, jedenfalls nicht zu seinen Lebzeiten. Nur dem Sünder gehört die Zukunft, für die es sich lohnt zu leben. Das erste Mal seit vielen Jahren war ich mir hundertprozentig sicher. Im Leben gibt es Dinge, die für die Nachkommen aufbewahrt werden müssen. Es ist doch sinnlos, dass etwas geschieht, wenn niemand davon erfährt. Was mir in der letzten Nacht geschehen ist, bekommt nur einen tieferen Sinn, wenn spätere Generationen davon erfahren und daraus lernen können. Ich muss es jetzt tun. Ich muss die Erfolgsgeschichte eines Gewinners, meine Geschichte schreiben. Das wird garantiert ein Bestseller.

Seidenstrümpfe und Verpackungsspiele

 

 „Man muss den Männern zeigen, was sie sehen wollen. Stil ist, wenn unter einem Nerzmantel ein billiges Kleid aus dem Second-Hand-Shop wie ein schweineteurer Designerfummel wirkt. Und wenn es dazu nicht mehr reicht -

für eine Frau mit Phantasie, ist Haut eine gute Alternative.“

Sina Sidonius

 

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Vielleicht fragst du dich, warum ich dir das alles erzähle? Warum ich hier und jetzt mein Herz ausschütte? Mein Verhalten ist nicht so ungewöhnlich, wie es vielleicht aussieht. Ein gestandener Mann, der eine Affäre beginnt, möchte sich mitteilen, erzählen und mit Gleichgesinnten sprechen. In dieser Phase des Lebens ist es eine besondere Form von Freiheitsdrang und der Bestätigungssucht, die den mittelalten Grandseigneur befällt. Entdecker und Eroberer, von Alexander dem Großen bis, also jetzt fällt mir kein Name ein, der mit dem letzten Buchstaben des Alphabets beginnt, haben es getan, und wollten sich nicht verzetteln. Sie wollten immer nur das Eine - Ruhm und Anerkennung. Bei mir war es nicht anders. Aus einem einmaligen Seitensprung wurde eine Affäre und durch meine göttliche Sina bekam mein Leben wieder einen Sinn. Für mich war es tiefe und einmalige Leidenschaft. Ich spürte die quälende Liebe mit jeder Faser meines Herzens. Sie war ein Engel und ein Wort von ihr hätte genügt, ja ich gestehe es, ich war bereit es zu tun - den Boden abzulecken auf dem sie mit ihren zarten Füßen wandelte. Ich war ihr verfallen und kurz davor, so wie seit Jahrhunderten unzählige Ehemänner auch, in Puschen zum Zigarettenautomat an der Ecke zu schlurfen (falls damals welche in der Nähe gewesen wären) um dann für immer in der dunklen Nacht zu verschwinden. Zum Glück ahnte sie nicht wie weit ich gehen würde. Sie fand andere Mittel, um mir ihre Liebe zu zeigen.

 

Ich muss zugeben, ich war angenehm überrascht, als mir meine phantasievolle Geliebte wie beiläufig den harmlos klingenden Satz ins Ohr flüsterte: „Schatz (unauffällig-abschätzender Blick von oben nach unten und wieder zurück, dazu ein kaum merkbarer, aber unterschwellig vorwurfsvoller Ton in der Stimme), wir müssen für dich mal wieder ein paar neue Hemden und Sweatshirts kaufen.“

Was für eine gute Seele sie doch ist“ ging mir spontan durch den Kopf. Der Gedanke, dass sie nur mein Bestes will, erzeugte ein beruhigendes Hochgefühl. Obwohl, einen kurzen Moment kam mir der intuitive Gedanke: „Ob sie mich vielleicht unattraktiv findet?

Aber bei ihrem hinreißenden Lächeln und dem verheißungsvollen Blick mit den blitzenden blaugrauen Augen (Geilheit pur) waren die Zweifel schnell weggeblasen, denn ich war verliebt und arglos und darum anfällig für Versuchungen jeder Art. Mental berührt und auch höchst motiviert, schloss ich aus dem Satz, dass jetzt der Prozess der heimlichen Legalisierung unseres äußerst illegalen Verhältnisses beginnen sollte, wozu ich nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen nicht gänzlich abgeneigt war.

Liebling, wenn du meinst, wann ist dein Mann wieder auf Geschäftsreise? Dann können wir ja mal einen Einkaufsbummel machen“, war meine neutral klingende, aber doch beschwingt formulierte Einverständniserklärung.

Schatz, du bist einfach der Beste!“ war der freudig umhalsfallende Ausruf, ohne dass ich die ganze Tragweite des Satzes sofort und in seiner ganzen Tragweite begriff. Immerhin muss man ja eine aktuelle, oder besser mehrere Vergleichsmöglichkeiten haben, um das Prädikat „der Beste“ zu verleihen. Aber immer nur das Gute im Menschen sehend, machte ich mir über die kleinen Spitzfindigkeiten der Kommunikation keine Gedanken. Frohgemut ging ich, zusätzlich überzeugt von einem tiefen und treuherzigen Blick aus den ehrlichen und bereits erwähnten blitzblaugrauen Augen, auf den selbstlosen Vorschlag ein. Mir war in meiner emotionalen Vorfreude bewusst, dass Geiz in so einer Situation ziemlich ungeil wäre. Ich war ohne nachzudenken bereit, nicht nur in mich, sondern gegebenenfalls und in Maßen auch in meine hingebungsvolle Geliebte zu investieren.

Obwohl, für einen kurzen Moment kamen mir die Prioritäten in den Sinn. Die mir zugewiesene Rolle des außerehelichen Lustspenders beinhaltete nicht die Unterhaltsinvestitionen. Nüchtern betrachtet war es die Aufgabe ihres Ehegatten (ich vergaß zu erwähnen, dass meine Geliebte zum damaligen Zeitpunkt verheiratet war), und nicht die meine. Aber in der Liebe gibt es keine Ordnung und darum sah ich es als eine Art erster Bewährungsprobe meiner bedingungslosen Hingabe und meiner Potenz, der finanziellen.

Liebe empörte Leserin, verehrter wissender und erfahrener Freund, deine Vermutung ist richtig. Der Autor war zum fraglichen Zeitpunkt etwas älter, und Sina, also Petra war, wie du inzwischen schon weißt, sehr viel jünger und sich ihres schmückenden Wertes intui- und manipulativ bewusst. Aber du musst um mich nicht sorgen. Ich war und bin nicht so ein verliebter Trottel, der sich in einem letzten Anfall von zweitem Frühling von einer flittchenhaften Liebschaft irreleiten lässt. Und verkleiden, wie ein Pfingstochse lasse ich mich bis heute nicht. Noch hatte ich alle meine ästhetischen und finanziellen Sinne zusammen, dachte ich.

 

Wenn Frauen einkaufen, soll es ja und wie man hört, für Männer eine Qual sein. Ich behaupte, die Qualen befallen ausschließlich verheiratete Männer. Das hat seinen Grund. Man kennt die Ausgabegewohnheiten der Angetrauten und der Einkaufsvorgang ist eine mehr oder weniger lästige Pflicht zur Vorratsergänzung unter Berücksichtigung des verfügbaren und meist zu geringen Kapitals.

Dagegen verhalten sich verheiratete Männer im mittleren Alter, die vom Ehe-Alltag abgestumpft dahinvegetieren, und die mit Umsicht und Bedacht eine leidenschaftliche Affäre kultivieren, vollkommen anders. Sie werden unter Ausschaltung des Groß- und Kleinhirns von dem von mir entdeckten hedonistischen Sorglosigkeitssyndrom befallen. Man kann dieses Verhalten auch mit dem berühmten „Spiel mit dem Feuer“ bezeichnen. Das Spiel mit dem Feuer beginnt dann, wenn die Affäre über eine gewisse Zeit, so etwa ein halbes Jahr nicht aufgeflogen ist. Man(n) wird mutiger, denn er hat gelernt, mit dem Sprengstoff und den Gefahren einer jederzeit möglichen Explosion umzugehen. Außerdem spielt der männliche Geltungstrieb eine besondere Rolle. Solche Konstellationen sind dann besonders brisant, wenn die Affäre im Vergleich zu der legalen Verbindung und entgegen der sonstigen Gewohnheiten und Möglichkeiten sehr vorzeigbar ist.

Du kannst das nicht nachvollziehen? Du warst noch nie in einer vergleichbaren Situation?

Es ist wie mit den Autos. Zur Fahrt ins Büro, zum Bio-Markt, oder um die Kinder von der Schule abzuholen nimmt man den feinstofflich korrekt dieselnden Familienkombi. Praktisch, geräumig, behäbig, etwas schwergängig in den Kurven und mit weicher, etwas durchgesessener Federung. Unauffällig, immer etwas unaufgeräumt, politisch einwandfrei und preisgünstig. Den sündteuren Sportwagen lässt man besser in der Garage, weil es einfach obszön wäre, sich bei Tageslicht damit zu zeigen. Andrerseits, wer hat schon mit einem Traktor viel Spaß, wenn man ein superheißes Gerät sein Eigen nennt? Einige Landwirte in abgelegenen Gegenden und Naturfreaks, die einsam im Regen die Furchen ziehen vielleicht. Aber die richtige, die männliche Freude kommt nur auf, wenn man an schönen Sonnentagen voller Stolz zeigen kann, dass man so eine Höllenmaschine besitzt und dazu über die Fähigkeiten und die Mittel verfügt, die Kräfte zu bändigen. Oder „es ist nur schön, wenn du ohne auf die Kosten achten zu müssen, das Biest reitest“, wie mein Onkel, der Philosoph vor langer Zeit einmal sagte. Bei mir traf das alles zu, denn Sina war zum damaligen Zeitpunkt äußerst vorzeigbar und das Einkaufserlebnis versprach das Vergnügen demonstrativen Konsums. Ich war bereit, und dafür schäme ich mich auch heute noch, einem zwingenden Bedürfnis nachzugeben und die egoistische Botschaft auszusenden, die da lautet: „Ihr kleinen Ehekrüppel, seht euch meine Beute an, ich bin der Größte, ich kann mir so ein leckeres Schnittchen leisten.“ Mehr wollte ich in aller Bescheidenheit nicht. Sina verstand meine Sehnsüchte. Mit einem gütigen Lächeln sah sie mich an und in ihren treuen Augen konnte ich nicht ihre Gedanken lesen. Vermutlich dachte sie: „Heute werde ich ihn Mittagessen nennen.“ Freue dich jetzt mit mir auf einen Einkaufsbummel der besonderen Art.

 

Shoppen ist für Frauen ein situationsbedingtes, zwiespältiges Erlebnis. Der weibliche Teil eines Ehepaars achtet auf das familiäre Geld. Mann und Frau halten es zusammen, jedenfalls im Allgemeinen.

Zwei shoppende Freundinnen verhalten sich wieder anders, mehr bummelig suchend, um dann ein verträumtes Vor- und Nachmittägchen ohne größere Geldausgaben im Cafe zu beenden.

Einzelne Männer gehen los und erwerben das, was zu erwerben beabsichtigt war. Aber eine dekorative erstmehrmalig ausgeführte Affäre erkennt intuitiv die Gunst der schwachen Stunde. Es geht darum, und das scheint ein weiblicher Urinstinkt zu sein, dem schwachen, also abwesenden Teil unter Aufbietung aller psychologischen Tricks den verfügbaren Anteil zu entreißen, um damit die Lebensgrundlage der legitimen Verbindung zu zerstören. Dekorative und frische Affären in männlicher Begleitung verwandeln sich in Sekundenbruchteilen in reißende Werwölfinnen, die skrupellos die männliche Geberhand zerfleischen, wenn die Kreditkarten nicht schnell genug gezückt werden. Das wusste ich nicht, denn ich war verliebt und darum übergab ich meiner angebeteten Sina vertrauensvoll die strategische Teamleitung und sie bestimmte die Einkaufsstätten nach einem uralten, und ich vermute genetisch bedingten Code im weiblichen Gehirn.

Vorzugsweise und ganz zufällig werden solche ausgesucht, die vom Sortiment erlesen und daraus resultierend teuer, und eine größere Auswahl hochmodischer Kleidungsstücke für Mann und Frau gleichermaßen vorrätig haben, und außerdem bei jungen Frauen total angesagt sind. Ich bekam den Part des Investors zugewiesen und vergaß vor lauter Freude den Rat eines bekannten Bankiers: „Investoren sind dumm und frech, sie wollen ihr Geld wieder sehen und sie wollen etwas dafür haben.“

Das Humankapital, in diesem Fall der verliebte Raoul und seine überaus vorzeigbare Begleitung betraten Arm in Arm eine dieser durchgestylten Einkaufsstätten, in einer Straße, die es in jeder Großstadt gibt, und die üblicherweise als trendy und darum teuer verschrien ist. Leise Musik empfing uns und mich traf der juchzende Satz vollkommen unvorbereitet: „Schatz guck mal da, die find ich toll!

Halb zog sie mich, halb sank ich hin, und wie befohlen guckte ich, wie ein Karnickel vor dem ersten Schlag mit einem Knüppel ins Genickel. Sina steuerte (mit dem äußerlich souverän wirkenden Autor als noch benötigtes, aber eigentlich lästiges Anhängsel im Schlepptau) zuerst einmal, vermutlich um mich in Sicherheit zu wiegen und gegen meinen inneren Drang nach Wohlfeilem, zielstrebig auf die chromblitzenden Regale mit den hochmodischen Sweatshirts zu. Die Ouvertüre zum Schlachtfest begann mit dem Satz: „Oh Schatz, die stehen dir bestimmt gut.“ Sinas emotional erregt klingende Stimme fing an, meinen Willen zu paralysieren, weil ich an anderes dachte. Ob des freudigen Ausrufs meiner Sina und die Situation sofort durchblickend, begannen sich mehrere Verkäuferinnen unauffällig in einer strategischen Ausgangslage aufzustellen - immer bereit der schwachen Dame zum Nachteil des Herrn behilflich zu sein. Das sah ich nicht, denn ich war in Einkaufsorgien unerfahren und durch eine Vision geblendet. Für einen kurzen Moment sah ich vor meinem geistigen Auge ein junges Wuschelhündchen, das das erste Mal in seinem Leben auf einer üppigen Sommerwiese herumtollt und das man irgendwie niedlich findet. Falls du dich schon einmal mit der Erziehung von kleinen oder mittelgroßen Hunden beschäftigt hast, weißt du was ich meine. Am Anfang lässt man noch alles durchgehen, weil die Viecher ja so niedlich und tapsig sind. Erst später, oft viel zu spät merkt der Besitzer, welche Fehler man im Unterricht gemacht hat.

Du errätst es, aber klar doch? Jede Nachlässigkeit in der Erziehung und in der Liebe verkehrt die Kräfte ins Gegenteil und mir ging es nicht anders. Unter solidarischer Mithilfe von geschultem und skrupellosem Verkaufspersonal wurden für mich unmündiges Opfer, einige (bitte beachte die Mehrzahl) Shirts ausgesucht, die niemand (und ich schon gar nicht) mit wachem Verstand anziehen würde, denn ich war damals keine Neunzehn mehr.

Und jetzt kommt die hinterlistige Falle, vor der ich dich, lieber männlicher und darum unerfahrener Leser eindringlich warnen möchte. Falls du jemals in eine ähnlich gefährliche Situation geraten solltest, achte wie beim Schach auf den ersten Spielzug. Wenn du bei der Eröffnung unachtsam bist und nicht mitdenkst, ist alles verloren. Du musst in jeder Sekunde das Spiel aktiv führen und darfst dich niemals in die Defensive drängen lassen. Auch wenn deine Augen etwas anderes sehen.

Diesen wertvollen Rat kannte ich nicht, und die strategische Okkupation der viel jüngeren Dame begann mit dem Satz: „Schatz, die sind super, ich zieh die mal für dich an, damit du siehst, wie die aussehen.

Welcher Mann könnte schon widerstehen, wenn der zweite Satz mit einem unschuldigen Augenaufschlag (du erinnerst dich an die blitzblaugrauen Augen), und einer leicht vibrierenden, etwas abgesenkt, betont lockenden Stimme gesprochen wird.

Schahaatz, komm doch mit in die Umkleidekabine, dann musst du nicht draußen allein rum stehen.“

So viel Mitgefühl muss echte Liebe sein, dachte ich. Als aufgeklärter und phantasiebegabter, männlicher Leser wirst du wissen, was dann geschah. Es gehört zum Standardtraumrepertoire jedes gestandenen und auf ehelicher Sparflamme halbgar gekochten Mannes. Auch ich ging in die Falle.

In der engen Umkleidemöglichkeit fand folgendes statt: Zuerst wurde langsam die Bluse aufgeknöpft und danach ausgezogen. Dazu muss natürlich auch die Jeans aufgeknöpft werden. Danach bückte sich meine wunderschöne Pretty-Woman, und ich war sozusagen gezwungen, ihren schmalen schwarzen String zu betrachten, der so prachtvoll den makellos jungen und hübsch tätowierten Po teilt.

Verehrte Leserin, geschätzter Leser, ich weiß, die katholische Kirche sieht „a tergo“ nicht so gern, und die Kaufhäuser ihre Kunden auch nicht. Aber was sollte ich, der verliebt-ahnungslose Raoul machen, wenn ich meinen Verstand angesichts eines sich verlockend dargebotenen Apfels (metaphorisch gesprochen) in ihrer Hand verliere.

Schaaatz, guck mal.“

Meine Brille war zwar wegen der bedrückenden Enge etwas verschoben und beschlagen. Aber ich guckte wieder, wie sie es mir sagte, denn ich konnte nicht anders. Es wäre gegen die Natur gewesen.

Die Shirts für mich standen ihr wirklich gut. Es war eine Situation, in der man Schwächen überspielen und Entscheidungen treffen muss. Doppelt gibt, wer schnell und gern gibt, eine andere Wahl hat der hilflose Mann nicht.

Das Ergebnis dieser Einkaufsejakulation, die, wie du dich sicher erinnerst, für den Besten unter Vielen und nur zu meinem Besten war, kann man nur mit allgemeinen Wohltaten beschreiben. Es war der aussichtslose Kampf zwischen meinen kleinen Genüssen und dem unerwartet großen Limit meiner Kreditkarten.

Du meinst, ich hätte mich falsch verhalten? Hätte ich über mein Verhalten nachdenken sollen? Meine wunderschöne Liebe tadeln, knausern oder mich sogar über ihr Verhalten beschweren? Das konnte und kann niemand von mir verlangen.

Ein weiterer, ich nehme an, typisch männlicher Traum, ging in Erfüllung. Ich kam nicht nur in den Genuss eines kurzen Handy-Quickies in Verbindung mit einem schnellen aber gekonnten Blow-Job. Ich durfte mich sogar, matt wie ich mich nun mal fühlte, mit fünf (oder mehr, ich weiß es nicht mehr so genau) großvolumigen Einkaufstüten (ungefährlich) und einigen kleineren (gefährlich weil teurer Inhalt) abschleppen.

Warum ich es getan habe? Das ist einfach zu erklären. Ich musste es tun, denn der Weg mit der Beute zur heimischen Höhle ist seit den Zeiten des Neandertalers Aufgabe des Mannes. Der Mann ist nun mal der Jäger und Transporteur. Für alles andere ist das Weib zuständig und daran wird sich auch in den nächsten zehntausend Jahren nichts ändern.

 

Über den Inhalt der Einkaufstüten machte ich mir noch keine Gedanken. Als Mann muss man einfach mal hin und wieder etwas wagen. Aber nach meiner Erinnerung waren sie mit Folgendem befüllt: Zwei bunte Sweatshirts und zwei Jeans für mich. In den restlichen vier Tüten waren dann noch einige Kleinigkeiten für die Süße, da ich ja nicht als knickriger, alter Egoist dastehen wollte.

 

Wenn dir, verehrter und sparsamer Haushaltsvorstand, meine Geschichte jetzt schon als nicht zu steigernde Folter erscheint, dann muss ich dich leider enttäuschen. Es gibt immer noch Steigerungen, auf die kein normaler (männlicher) Mensch mit wachem Verstand jemals kommen kann. Auf dem Umweg (beladen mit den Einkaufstüten) durch die Wäscheabteilung, die skrupellose Händler in ihren Hallen so angeordnet haben, dass es kein Entkommen gibt, lauerten weitere Gefahren.

Unsensible Männer und miederschlüpfertragende Allerweltsfrauen können die Risiken und Folgen für den verheirateten Mann nicht beurteilen. Aber für sensitive Männer (und zu dieser seltenen Kategorie gehöre ich) bedeutet die geballte Ansammlung von luftigem Nichts eine ernste, wenn nicht sogar eine existenziell-finanzielle Bedrängnis, der sie nichts entgegensetzen können, ohne irreparablen Schaden an ihren Seelen zu nehmen. Die Gefahr wird in unkalkulierbarem Ausmaß verstärkt, wenn der Geliebte in einer schwachen Stunde des Vertrauens seiner Geliebten alle Details seiner freudlosen Ehe erzählt hat. Warum das so ist, habe ich erst viele Jahre später erfahren. Junge, hungrige, aber gutaussehende Frauen die sich in Affären befinden, haben einen vergrößerten Speicherchip für Benachteiligungen jeder Art und suchen früher oder später den gerechten Ausgleich.

Guck mal Schatz, da gibt’s die gleichen Seidenstrümpfe, die deine Frau auch immer kauft!“ Und schon schnappt die Falle zu. Ein unüberlegt gesprochener Satz vor vielen Monaten. Ein kleines Klagen in schwachen Stunden über die Verschwendungssucht meiner Ehefrau. Nichts war vergessen. Jeder unbedachte Satz wurde zur moralischen Ermahnung an die Gleichberechtigung und meiner Verpflichtung zur finanziellen Gleichstellung meiner Frauen.

Ältere und die vielfältigen, zwischenmenschlichen Konstellationen durchschauende Dessous-Verkäuferinnen kennen dieses Phänomen, und lauern wie hungrige Hyänen auf ihre Opfer. Nur zu diesem Zweck halten sie für schwache Menschen wie mich, vom Besten das Teuerste bereit. Ich hing in der Dessous-Abteilung fest, zu der Mann ja ein erregend-beklemmendes Verhältnis hat. Welcher echte Mann kann schon dem sehnlichsten Wunsch der jungen Geliebten nach Seidenstrümpfen, und dazu ein aufregend-hauchdünnes Korsett, streng englisch, sorgfältig handgearbeitet und zwar nicht notwendig, aber stramm büstenhebend und mit allen Zutaten widerstehen, wenn es doch ganz selbstlos einem guten Zweck, der ästhetischen Freude des Investors dienen soll? Und an diesem Ort, zwischen duftigen Körbchen, winzigen Strings und hauchzarten Kleinigkeiten hatte ich endlich das Prinzip der Liebe verstanden. Liebe ist der Zwang des Nützlichkeitsprinzips unter Berücksichtigung der Gewichtung. Oder anders ausgedrückt: Männer müssen bluten, sonst bockt das Weib.

 

Ich weiß, was dir jetzt durch den Kopf geht, aber es ist nicht so wie du denkst. Dein Freund Raoul gehört keinesfalls zu der willensschwachen Sorte Mann. Im Gegenteil, mir wurde oft bestätigt, dass ich die Hinterlist selbst harmlos erscheinender Situationen schnell durchschaue und die natürlichen Hürden eines schweren Lebens mit Bravour meistere. Aber wie ich aus verlässlichen Quellen und durch die intimen Geständnisse einer Vielzahl betroffener und fast immer finanziell ruinierter Männer erfahren habe, sind solche heimtückische Situationen durchaus alltäglich. Die meisten Frauen kennen die Beziehung des männlichen Willens zur Sinnlichkeit, die in solchen Situationen anschwillt und größer ist, als die zum virilen Verstand. Und sie nutzen diese kleine Schwäche brutal und schamlos aus. Darum möchte ich dir den Schluss dieses Einkaufstages nicht vorenthalten.

 

Wie du vielleicht noch weißt, waren ich und Sina (meine wunderschöne Geliebte) zum damaligen Zeitpunkt noch anderweitig verheiratet. Zum besseren Verständnis, jeder von uns mit einem anderen Partner. Aus diesem Grund wurden die erbeuteten Schätze in der von mir aus steuerlichen Gründen erworbenen Eigentumswohnung anprobiert. Die für mich bestimmten vier (nicht wie ich irrtümlich annahm zwei) Sweatshirts standen ihr eindeutig besser, als mir. Mit den zwei Jeans hatte ich mich auch ganz klar verkauft. Vermutlich lag es an unserem kurzen Aufenthalt an der Sushi-mit-Prosecco-Bar. Sie waren während des Transports kleiner und darum für mich zu eng geworden. Natürlich versprach mir Sina, dass sie mich in Zukunft von solchem Einkaufsstress verschont und mir die Mühe des Umtauschs abnimmt (oder sich das investierte Geld auszahlen lässt). Den Rest der Einkaufsbeute, das rote und figurbetonte Etuikleid, die Strümpfe aus feinster Seide und Nylon mit Naht, die hauchzarten, aber dafür exquisit teuren LaPerla-Slips mit passenden Büstenheben, dazu drei Paar Pumps mit Absätzen über 9 Zentimeter konnte ich zwar kurz betrachten, aber sie verschwanden und zusammen mit der sündteuren Korsage und der restlichen Beute im Schrank. Du wunderst dich? Es gibt eine einfache Erklärung. Sina traf eine sorgfältige, von Nützlichkeitserwägungen geprägte Entscheidung. Ich kannte meine vergötterte Sina ja ohne Verpackung. Es ergibt doch keinen Sinn, einen in und auswendig bekannten Inhalt wieder einzupacken, damit man ihn wieder auspackt. Niemand würde so etwas tun. Außerdem leidet ja die Verpackung darunter, und wer weiß, wann man sie später noch mal brauchen kann (nicht Sina, die Verpackung). Meine Sina hatte in solchen Dingen eine sehr praktische Einstellung. Darum vermute ich, dass sie kein Einzelfall, sondern eine traditionell konditionierte Frau ist. Selbstbewusste Frauen werden in jungen Jahren von selbstbewussten Großmüttern über raffinierte Verpackungstechniken aufgeklärt. In dem Zusammenhang erinnere ich mich noch an meine Großmutter mütterlicherseits. Die hatte auch immer, sparsam wie die Reste der Kriegsgeneration nun mal sind, die bunten Verpackungspapiere von den Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken und die bunten Schleifen etwas angebügelt, fein säuberlich wieder zusammengefaltet und für besondere Gelegenheiten verwahrt.

 

Ist der Beutel leer, lässt sich keine sehen mehr …„ Das Zitat war mir damals nicht geläufig, aber dennoch bin ich nicht verbittert. Mich tröstet auch heute noch der Gedanke, dass meine Investitionen nicht umsonst waren. Aber der Nutzen von mir Ungezählter entstand nicht aus meiner Blindheit. Es war volkswirtschaftliche Nächstenliebe, denn meine Nachfolger konnten davon profitieren. Aber vermutlich ging es denen genau so, und wir konnten mit unserer Liebe einen wichtigen Beitrag für das Bruttosozialprodukt in Deutschland leisten.

Eventuell möchtest du, der vielleicht hoch verschuldet noch jahrelang seine Investitionen abbezahlt, von mir einen geeigneten Rat für ähnliche Situationen? Es ist nicht so wichtig, was „Liebe“ wirklich „ist“. Entscheidend ist das Wissen, dass mit zunehmender Dauer einer Verbindung, der Wert der Liebe vom „Nutzen“ abhängt. Mit voranschreitender Zeit muss man investieren können oder verzichten. Ich habe investiert, ich habe nicht verzichtet sondern genossen, und ich bereue nichts. Ich habe daraus gelernt und angenehme Erinnerungen an eine große Liebe. Eine Liebe die mir geholfen hat, dieses Buch zu schreiben um dich vor Schaden zu bewahren. Falls dir der Sinn nach einer guten Tat steht, gib dieses Buch an Betroffene weiter.

 

An dieser Stelle ist es an der Zeit, zehn wertvolle Tipps für Männer einzufügen:

 

  1. Bei einem außerehelichen Engagement niemals radikale Veränderungen deines Erscheinungsbilds, auch wenn die Geliebte viele Jahre jünger ist und auf modischeres Aussehen drängt.

 

  1. Wenn du das Bedürfnis hast, deine junge Affäre zu schmücken, sei vorsichtig. Verschwenderischen Geldausgaben für deine Affäre fallen schnell auf, wenn das Haushaltsbudget begrenzt ist. Auch wenn du denkst, dass deine legitime Frau von den Finanzen keine Ahnung hat, solltest du nicht leichtsinnig werden. Ein einfacher, leider teurer Trick kann dich schützen. Benutze deine legitime Partnerin für die Wohltaten an deiner Affäre. Das erfordert etwas Organisationstalent. Wenn du zum Beispiel gestern mit deiner Affäre shoppen warst, geh morgen mit deiner legitimen Frau shoppen, und spendiere ihr ebenfalls ein neues Outfit. Das muss nicht so teuer sein, wie das für deine Affäre, aber es lenkt von verräterischen Geldausgaben ab. Wichtig ist nur, dass du die Kassenbons an dich nimmst, und unauffällig verschwinden lässt. Du kannst dann zu einem späteren Zeitpunkt dein strapaziertes Konto mit der angeblichen Verschwendungssucht deiner legitimen Partnerin erklären. Außerdem wird damit dein „schlechtes Gewissen“ wirkungsvoll unterdrückt, denn du handelst nach dem uralten Prinzip „teile und herrsche“ von Kaisern und Königen.

 

  1. Bei Ausgaben für deine Affäre niemals deine Kreditkarte einsetzen. Das hinterlässt verräterische Spuren. Viele Frauen kontrollieren das Ausgabeverhalten ihrer Männer, und oft entsteht aus einem Anfangsverdacht eine Katastrophe. Ausschließlich ältere Männer mit attraktiven Geliebten scheitern zu oft an dem kombinierten Zahlungs- und Belegsammelproblem. Darum niemals mit der Kreditkarte zahlen, wenn deine Partnerin die Finanzen kontrolliert, und auch keine Belege aus steuerlichen Gründen aufbewahren. Das kann sich zu einer Zeitbombe entwickeln, die oft Jahre später (zum Beispiel bei einer Steuerprüfung, oder bei der gemeinsamen Steuererklärung) hochgeht.

 

Merke: Seitensprünge und Affären sind Privatsache. Wer Belege über Ausgaben sammelt ist ein Pedant und verdient es nicht anders, wenn er daran scheitert. Darum denke immer an den Wahlspruch erfahrener Seitenspringer: „Nur Bares ist Wahres.“

 

  1. Wenn du das Gefühl hast, dass du etwas für dein Image tun solltest, gehe mit Veränderungen behutsam um. Wenn deine Frau in der Vergangenheit deine Unterhosen gekauft, gewaschen und sogar gebügelt hat, und du folgsam das angezogen hast, was dir vorgesetzt wurde, solltest du nicht auf die Idee kommen, deine Unterhosen selbst zu kaufen. Das gleiche gilt für jugendlichere Hemden, Jeans oder Sweatshirts, also alles was deine Optik, oder dein Verhalten stark verändert. Frauen haben ein „Gespür“ für drohende Gefahren. Auch in modernen Beziehungen sind die Rollen fest verteilt. Sie weiß, wie er „drunter“ aussieht und jede radikale Veränderung erzeugt Misstrauen. Wenn du wegen einer Geliebten zu Veränderungen gezwungen bist, solltest du mit Unschuldsmine (ruhig faustdick auftragen) deine legitime Partnerin zum gemeinsamen Kauf (für sie und für dich) modischer Unterwäsche und Accessoires „überreden“. Bring deine Vorstellungen mit dem Argument: „Schatz, wir sollten unser Liebesleben etwas auffrischen“ vor. Du wirst sehen, wie engagiert und phantasievoll deine legitime Partnerin vollkommen unwissend für dein illegitimes Verhältnis tätig wird.

 

  1. Wenn du auf die Idee kommen solltest, die die Haare tönen zu lassen, oder über eine jugendlichere Frisur nachdenkst, begründe die Veränderung mit dem Argument, dass ein neuer Friseur daran schuld, oder die Karriere in Gefahr ist, weil Jüngere an deinem Chefsessel sägen.

 

  1. Wenn du vor dem Spiegel Baucheinzieh-Posen übst, plötzlich abnehmen und dein Äußeres verändern möchtest, vielleicht durch eine Ganzkörperrasur, verschließe die Badezimmertür.

 

  1. Wenn zu moderneren Optik auch der Wunsch nach einem sportlicheren Fahrzeug kommt, vielleicht mit dem Argument: „Ich brauch ein Auto für mich, du kannst ja den Kombi nehmen um die Kinder in die Schule zu fahren …“, sind es untrügliche Anzeichen für fremde Einflüsse.

Bei solchen Entscheidungen solltest du immer deine legitime Partnerin mit einbeziehen. Cabrios werden gern von Frauen gekauft und der Hinweis, dass an Sonntagen öfter mal ein Ausflug ansteht, soll angeblich wahre Wunder bewirken.   

 

  1. Wer sich vor dem angeblichen Fußballabend duscht und rasiert ist selber schuld. Einen so gravierenden Fehler begehen nur Anfänger.

 

Merke: Dein Verhalten muss zum Vorhaben passen. Wer zum Sport geht duscht hinterher, und nicht vorher. Anders sieht es aus, wenn du vollkommen abgearbeitet aus dem Büro kommst, und  gewohnheitsmäßig (schon immer) nach der Arbeit duschst. Darum beachte den Gewöhnungseffekt. Niemals radikale Verhaltensänderungen, sondern langsame Anpassung an neue Verhältnisse.

 

  1. Das Familienauto hat keine Ledersitze. Die Flecken in den Stoffbezügen sind angeblich von einer umgefallenen, halbvollen Cola-Dose. Das ist noch einigermaßen glaubhaft, denn so etwas kann trotz Getränkehalter passieren. Unerklärlich sind die verschmierten Fensterscheiben und die Fußabdrücke auf der Innenseite der Vorderscheibe, die erst auffallen, wenn man zum gemeinsamen Familieneinkauf aus der Tiefgarage heraus ins helle Sonnenlicht fährt. Denk nicht, dass dir so etwas niemals passieren kann. Das Auto ist ein beliebter Ort für den schnellen Sex nebenbei. Auch wenn es hundertmal gut gegangen ist, früher oder später macht jeder (jede) einen Fehler. Es müssen ja nicht die Fußabdrücke an der Innenseite der Scheiben sein. Manchmal reichen Fingerabdrücke, vergessene Slips, oder aufgerissene Kondom-Hüllen. Und manchmal „vergisst“ die Geliebte aus „taktischen Gründen“ ein intimes Kleidungsstück, um den Geliebten zu einer Entscheidung zu zwingen.

 

Merke: Auf Stoffbezügen erzeugt Sex verräterische Flecken. Beachte auch die richtige Einstellung der Sitzposition. Es ist empfehlenswert, immer eine Rolle Wischpapier und Fensterputzmittel für alle Fälle mitzuführen. Abzuraten ist von dem Hinweis: „Honey, leg dir ein Küchenhandtuch unter den Hintern. Meine Frau braucht morgen das Auto.“ So etwas zerstört jede Romantik und führt zu Frust.  

 

  1. Wenn du ins Büro gehst, und dich neuerdings ganz anders, irgendwie jugendlicher, sportlicher, modischer anziehst, und außerdem gut gelaunt bist, obwohl du früher eher ein „Büromuffel“ warst, solltest du vorsichtig sein. Das fällt auf. Gefährlich für dich wird es, wenn du neuerdings ein starkes Eau de Toilette und ein neues Deo benutzt, obwohl du früher mit dem Argument „… so etwas brauche ich nicht!“ auf beides verzichtet hast. Wenn du Veränderungen planst, solltest du dich auch privat anders anziehen und deine Partnerin mit gepflegtem Äußeren überraschen. Zeig deine gute Laune, und führ deine legitime Partnerin mal aus. Dann fällt es nicht so auf, wenn dein Objekt der Begierde ganz woanders wartet.

 

  1. Schatz, das neue Projekt in der Firma ist superwichtig und brandheiß, ich muss schon wieder Überstunden machen, warte nicht auf mich, heute wird es wieder einmal spät!“ Sie kann deine Ausrede glauben, oder auch nicht. Frauen wissen, dass die Lust am gemeinsamen Projekt oft genug zur Dauerlust im diskreten Appartementhotel wird.

 

  1. Du bist neuerdings beruflich oft unterwegs und klagst: „Der Chef hat mich schon wieder auf eine neue Tour geschickt. Ich muss den neuen Kunden in Passau (ganz weit weg, wenn du in Hamburg wohnst) betreuen. So ein Mist, ich muss schon wieder unterwegs übernachten.“ Das kann natürlich so sein wie du sagst. Vielleicht musst du wirklich viel arbeiten, um deiner Familie ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Vielleicht kannst du als Alibi Unterlagen, Tankbelege, oder Hotelrechnungen vorlegen. Es kann auch sein, dass du auch noch lustige Anekdoten erzählst, die deinen Arbeitseinsatz glaubwürdiger erscheinen lassen. Wenn du dieses Spiel beherrschst, gehörst du zu den Profis, die bekanntlich schwer zu überführen sind. Du solltest darauf bestehen, dass dich deine Familie bedauert, und Rücksicht auf dein schweres Los nimmt. Immerhin rackerst du dich für die Familie ab. Wer Karriere machen will, muss sich halt opfern. Und etwas Spaß in den Armen einer verständnisvollen Kollegin, oder der neuesten Internet-Bekanntschaft, vielleicht durch das verlängern legaler Termine, steht dir zu.

 

Zusatztipp für Seitenspringer: Je mehr Informationen du zu deinem Alibi liefern kannst, desto glaubwürdiger wird deine Story. Du brauchen jedoch nicht alles ausführlich zu erklären. Die meisten Menschen wollen das glauben, was sie in wenigen Sätzen glaubwürdig erzählt bekommen. Darum zerrede dein Alibi nicht.

 

  1. Falls du übermüdet und unkonzentriert von der Geschäftsreise zurückkommst, solltest du deine Worte mit Bedacht wählen. Wenn du Anekdoten erzählst und unbedacht weibliche Namen ins Spiel bringst, die da nicht hingehören, hast du verloren. Der erfahrene Autor weiß von was er schreibt.

 

  1. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die ein sorgfältig aufgebautes Lügengebäude zum Einsturz bringen. Das können zum Beispiel Strafzettel von einem Ort sein, an dem du angeblich gar nicht warst, oder das Blitzfoto mit der Unbekannten, das die schönste Lügenstory zum Einsturz bringt. Purer Leichtsinn ist es, wenn sich die Geliebte im Moment des „Blitzens“ im Auto umzieht, oder im Überschwang der Gefühle „demonstrativ“ ihre Brüste entblößt. Wie mir glaubhaft berichtet wurde, kommt so etwas öfter vor als der Normalbürger denkt.

 

Nachtrag: Mir wurde von Sex auf einem Friedhof berichtet. Pech für die Beteiligten war, dass ein entrüsteter Rentner die Szene fotografieren konnte und seiner Tageszeitung einen ausführlichen Bericht geschrieben hat. Noch größeres Pech war, dass der Bericht auch mit (verwackeltem) Bild veröffentlicht wurde und die nicht miteinander verheirateten Beteiligten trotzdem (mit etwas Phantasie) erkennbar waren. 

 

  1. Auch wenn die Hormone verrücktspielen, immer den Verstand eingeschaltet lassen. Auch wenn die Geliebte auf Variationen kommt, die der legitimen Partnerin nie im Leben einfallen, möglichst auf bildlich dargestellte Beweise verzichten. Intime Bilder sind zwar schöne Erinnerungen, aber leider auch unwiderlegbare Beweise.

 

  1. Die Kombination von Überstunden und spontanen Duschorgien, wenn du von den vielen Überstunden, abgearbeitet aus dem Büro, nach Hause kommst, sind noch kein Grund misstrauisch zu werden. Deine Antwort, die vielleicht so klingt: „… ich bin total fertig und verschwitzt. Ich muss erst mal duschen …“ ist verständlich. Wenn du das früher nicht so gehalten hast, und ein Verfechter des samstäglichen Familienbadetags warst, fällt dein neues Verhalten auf.

 

  1. Meist sind die Sorgen, dass man deinen Seitensprung am Geruch erkennen kann, überzogen. In vielen Ehen hat sich eine besondere Art der Blindheit und Nasenverstopfung ausgebreitet. Selbst orale Spiele werden nur selten „errochen.“ Darum musst du keine Angst vor verräterischen Gerüchen haben. Zeig dich selbstsicher und du beherrschst die Situation. Wenn deine legitime Frau ein besonderes Parfüm benutzt, schenk deiner Affäre das gleiche. Dann bist du auf der sicheren Seite.

 

Philosophisches Korsett

 

Korsetts sind eine wunderbare Erfindung.

Sie wirken anziehend ohne auszuziehen und Frau kann sie mit wenigen Handgriffen der Situation, dem Rückgrat und der Karriere anpassen.“

Sina Sidonius

 

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Früher oder später, erfahrungsgemäß später als früher wächst im gestandenen Mann, zuerst heimlich und unbewusst, dann immer stärker und drängender, der Wunsch nach Veränderung. Üblicherweise beginnt dieser Drang in der Zeit nach der stürmischen Jugend, dann wenn der Mann in der Mitte seines Lebens steht. Erfahrung macht bekanntlich klug und er hat, was wir im natürlich auch gönnen, in den langen Jahren des Kampfes um seine Existenz viel gelernt. Er hat einen Baum gepflanzt, ein Haus gebaut und vielleicht auch wieder verloren. Er hat hier und dort ein bisschen gezeugt und viele hungrige Mäuler gestopft. Die harte Zeit von viel Arbeit und wenig Brot gehört zu seiner glorreichen Vergangenheit von der er gedanklich noch zehrt, so wie die Altvorderen von Stalingrad, Woodstock, oder 14-18 und im Felde unbesiegt. Vielleicht ist eine vermögende Großtante bedauerlicherweise verstorben und hat ihm, wenn er Glück gehabt hat, eine kleinere Erbschaft mit etwas Barem aus einem steuerneutralen Versteck hinterlassen.

Beruflich und finanziell etabliert strebt er nach Höherem. Auch sein Lifestyle entspricht dem gehobenen Einkommen. Er fährt einen nicht zu auffälligen Obermittelklasse-Pkw mit sorgfältig kombinierter Edelausstattung und er joggt in den neuesten High-Tech-Schuhen „Made in Taiwan“ mit amerikanischem In-Logo. Zum kleinen Büronachmittags-Rat-Race trägt er einen seriösen Anzug in Handmade-Optik aus Metzingen, und zur Seidenkrawatte aus Italien die passende mechanische Armbanduhr mit möglichst vielen Komplikationen. Die diskreten Zeichen seines exquisiten Geschmacks sind für Kenner unübersehbar. Sein ästhetischer Lebensstil ist die qualitative Metamorphose seiner sinnlichen Empfindungen. Um da hinzukommen, wo er sich jetzt befindet, war es ein langer Weg. Jetzt, in diesem Stadium des männlichen Lebens, ist der Unterschied zwischen echten Männern und Jungs am Offensichtlichsten. Aus dem ungeschliffenen Jungmann hat sich ein erfahrener Connaisseur entwickelt, falls er nicht resigniert vor dem Fernseher dahin dämmert.

So etwa ab dem vierzigsten Lebensjahr möchte der arrivierte Mann, dass die Träume aus den revolutionären Sturm- und Drangjahren seiner Jugend zur Realität werden. Der Eine gönnt sich die vergötterte Harley und träumt von der grenzenlosen Freiheit, weit weg von Familie und Hypotheken, auf dem einsamen Ritt über die Route 66 von 68, und 69 mit einer gutgeformten Neunzehnjährigen, und nicht von der runden Neununddreißigjährigen, in seinem Haus auf dem durchgesessenen Sofa. Der Andere erfüllt sich den langgehegten Wunsch nach der längst überfälligen, fülligeren Geliebten, und der Dritte legt sich eine umfangreiche CD-Sammlung längst vergessener Beat-Stars zu und investiert in eine 58er Corvette mit Weißbandreifen und Formen, neben denen die aus den Fugen geratene Ehefrau ziemlich blass aussieht. Allen gemein ist die Sehnsucht nach Reinem und Unverfälschtem aus einer glorreichen Zeit, in der die Welt noch aus phantasievollen Formen und nicht aus kalten Funktionen bestand.

Manchmal, geprägt durch sonntägliche Pflichtbesuche bei der Großtante und den visuellen Eindrücke aus unachtsam herumliegenden Versandhauskatalogen aus Weiden und Burgundstadt, können die virilen Jugendträume auch zu einem alles überlagernden Lebensziel werden. Es ist nicht mehr die Frage, ob es das gibt, was man unerlaubterweise und mit glühenden Wangen in der spätkindlichen Prägungsphase gesehen hat. Mann weiß jetzt, dass es das gibt. Nicht Zuhause im heimischen Wohnbereich, das ist der falsche, weil konformistische Platz. Da ist man angepasst, da darf Mann es nicht, weil zwischen überfälliger Wäsche und notwendigem Abwasch der unpassende Platz ist und die notwendige Zeit und auch die Muse für den ästhetischen Genuss fehlt. Eher bei der hemmungslosen Geliebten, die zum Lebensstil des gestandenen Mannes gehört, wie das Navigationsgerät zum modernen Auto. Es ist auch nicht mehr die Frage, ob man es sich leisten kann. Jetzt endlich kann Mann es sich leisten. Er ist Schöngeist und Forscher. Er ist wer und wenn nicht jetzt, wann dann?

Nicht nur an seinen äußeren Attributen und seinen, nur Eingeweihten verschlüsselt mitgeteilten Träumen, ist der erfahrene Mann erkennbar. Er ist nicht mehr der abhängige Täter, der blindlings seinen Trieben folgend. Sinneseindrücke überlagern sein Tun und optische Reize beeinflussen sein durch feinsinnige Perfektion geprägtes, intellektuelles Streben. Er steht vor der Problematik, an deren Lösung sogar erfahrene Designer zu oft scheitern. Es ist die uralte Entscheidung zwischen der unerträglichen Leichtigkeit des seienden Seins oder dem monetären Nichts? Die oft überlebensnotwendigen Fragen sind: „Fügt sie sich, oder kann ich es mir leisten? Ab welchem Druck dominiert die Verpackung das Verhalten? Folgt die Funktion der Form, oder hat die Funktion die Funktion, die ideale Form zu formen? Hat sie oder hat sie nicht? Trägt sie es, oder ist sie wirklich echt, die gertenschlanke und biegsame Taille?

Ich kenne viele Männer und die Geschichte kennt ungezählte Größen, die zur Ergründung dieser existenziellen Fragen Frau und Kinder verließen, Schlachten, Königreiche und Vermögen verloren, um abhängig einer taillierten Geliebten Lola zu dienen, bis zum seelischen und finanziellen Ruin.

Für sinnlich Abgestumpfte ist so ein fanatisches Verhalten unerklärlich. Solche Leser sind hier auch unerwünscht da vermutlich verständnislos. Es ist wie mit dem Essen. Currywurst und Schnitzel sind Bedürfnisbefriediger für die reduzierten Geschmacksnerven der breiten Bevölkerung. Auf dieser niederen Bedürfnisebene ist die Optik des matschig-aufgequollenen Gekröses im Pappschälchen Nebensache. Die Hauptsache ist die Beseitigung des Hungers. Rauf, gedankenlos reinstecken (die kleine Plastikgabel), runter in den Abfall und zurück zum grauen Alltag.

Der welterfahrene und sensible Gourmand hat vollkommen andere Begierden. Seine Verlangen nach Nahrung und das überraschende Arrangement sind gleichwertige Faktoren. Sehr gut kann man diesen Verhaltensprozess bei der Entscheidung zum Besuch eines besseren Feinschmeckerrestaurants mit einer beliebigen Anzahl von Sternen über drei beobachten. Die ästhetische Optik ist für den Genießer das entscheidende Kriterium. Seine Ablehnung, Akzeptanz oder anbetende Begeisterung wird durch das künstlerische Arrangement visueller Eindrücke, die sein tiefes Sehnen nach überraschender Perfektion ansprechen, bestimmt. Über die Qualität der Zutaten, also den Bestandteilen der Speisen, wird nur am Rande diskutiert, denn die hohe handwerkliche Verarbeitungsqualität ist unabdingbare Voraussetzung und bekannt. Es ist die Anordnung die den perfekten, optischen Genuss bringt, und der in der Spitzenklasse über den zusätzlichen Stern entscheidet und damit die Konkurrenz mit ihrer fetten und ungenießbaren Hausmannskost im kalten Regen stehen lässt.

Mir wird oft und besonders von oberflächlichen, weiblichen Lesern vorgeworfen, dass ich schwierige Themen zu ausführlich und geschlechtsspezifisch sehr einseitig behandle. Aus Erfahrung weiß ich auch, dass mir in diesem komplexen Thema nur wenige, sehr erfahrene Männer intellektuell folgen können. Darum bitte ich dich, verstörte und immer noch kopfschüttelnd mitlesende Leserin um Verständnis für meine ausschweifenden Ausführungen. Nur aus Paritäts- und Betroffenheitsgründen, sozusagen für den Fall der Fälle ist es mir ein menschliches Bedürfnis, die diffizile Problematik dieses Themas zu simplifizieren.

 

Mein Freund, verehrte verheiratete und miederschlüpfertragende Leserin, es geht um Korsetts. Nicht um krankenkassengeförderte und auch nicht um rosmarinfarbene Gesundheitskorsetts. Es geht um das edel-klassische und handgearbeitete, mit spezieller Schnürungstechnik ausgestattete, die weibliche Figur, insbesondere die Taille der hingebungsvollen Geliebten (nicht die Körpermitte der Ehefrau) in ästhetische Proportionen stilisierende Korsett. Vom Liebhaber im intimen Männerkreis auch verklärt-frankophil „Korsage“ genannt. 

Unbemerkt von der Alltagsfrau, missachtet von der Ehetroglodytin und von pseudointellektuellen Blickdichtstrumpfhosenfetischistinnen aus falsch interpretierten Glaubensgründen abgelehnt, beeinflusst es in ungeheurem Ausmaß den gestandenen, männlichen Mainstream-Bundesbürger. Führende Modedesigner haben es längst erkannt. Der Trend geht eindeutig zur schmückenden Geliebten, und nicht nur darum feiert das luxuriöse Korsett ein triumphales Insider-Comeback.

Welche Mythen ranken sich darum und warum übt dieses altertümlich anmutende Kleidungsstück einen so extrem aushäusig-erotischen Reiz aus? Liegt es an der feinen Schnürtechnik, oder ist es die konsequente, auf sinnliche Domestizierung ausgerichtete Verarbeitung, die den technisch versierten Perfektionisten begeistert?

Gehen wir die Angelegenheit zuerst von der sachlichen Seite an. Oberflächlich betrachtet ist das Korsett ein formendes Kleidungsstück zum eleganten Ausgleich der natürlichen Unebenheiten des weiblichen Körpers. Es ist auch ein eher selbstverständlicher Aspekt, dass ein gutgeschnittenes Korsett die unkontrolliert wuchernde Form in eine für das geschulte Auge proportional ästhetisch akzeptable Facon bringt, und darum für jede intelligente Frau zwingend notwendig ist. Aber ein Korsett hat noch mehr Funktionen, die ich dir etwas ausführlicher erläutern möchte.

Da Frauen im Allgemeinen, mit Ausnahme der begehrenden Geliebten im Besonderen, einen wunderbaren Instinkt für die Dinge besitzen und alles bemerken, mit Ausnahme des Selbstverständlichen, ist es mir ein Bedürfnis, auch meinen unerfahrenen und darum aufklärungsbedürftigen Leserinnen die unübersehbaren Vorteile eines Korsetts näher zu bringen.

Zuerst sei bemerkt, dass ein Korsett das tiefsitzende, weibliche Begehren nach Vertrauen und Ehrlichkeit erfüllt. Das mag zunächst irritierend klingen, aber es ist so und nicht anders. Vertrauen, und das ist allgemein bekannt, kann einerseits nur durch Ordnung entstehen, die andrerseits durch Regeln definiert wird. Regeln werden nur eingehalten, wenn Disziplin gefordert, Missachtung gebührend bestraft und bei allfälligem Gehorsam auch Schutz gewährt wird. Es ist wie mit den Leitplanken an der Autobahn, die unkontrolliertes Ausbrechen so lange verhindern, bis der Gesetzgeber eine Abweichung gestattet. Oder anders ausgedrückt: Ein Korsett erzeugt Vertrauen durch Ordnung und Sicherheit in einem ansonsten ungeregelten und darum unsicheren Leben.

Für die karrierebewusste Frau und noch mehr für die Leiterin eines kleinen Familienunternehmens, kann es eine faszinierende und vollkommen neue Erfahrung werden, nicht nur darüber zu reden, sondern Disziplin dort zu beweisen, wo es am schwersten fällt – im Alltag.

Du verstehst nicht was ich dir damit sagen möchte? Ich werde es dir umfassend erklären.

Natur kennt keine Ordnung, und darum kann es im Naturzustand auch keine Ordnung geben, weil Regeln fehlen. Im Naturzustand gibt es willkürliche Ausdehnung und aussichtslose Kämpfe gegen wuchernde Pfunde. Darum ist die weibliche Natur letztendlich die Anarchie der Form und die Vergewaltigung der Willensschwäche unter schamloser Ausnutzung der Lethargie. Oder anders ausgedrückt: Ohne fachkundige, männliche Hilfe und Anleitung regiert das Chaos. Diesen Zustand kann man ändern, und du wirst die sogenannten, „offenen Türen“ einrennen, wenn du mit deiner Geliebten darüber sprichst.

Ein Korsett regelt schnürend die Dinge und formt behutsam. Das Korsett passt das biegsame Rückgrat den Bedingungen der Karriere an. Es beseitigt Ängste und Zwanghaftigkeiten und befreit von geistigen, seelischen und körperlichen Hemmungen. Es vermittelt vertrauensvolle Sicherheit in einer gefährlichen Welt.

Auch wenn es oft vermutet wird, der Zwang des Korsetts ist kein Instrument der Ungerechtigkeit und Unterdrückung, sondern ein Test des Charakters. Das mag dir oberflächlich betrachtet unverständlich erscheinen, aber es liegt auf der Hand. Stabile Stäbe bieten Schutz vor Nachlässigkeiten und ein gut geschnürtes Korsett erzwingt einen aufrechten und hochgemuten Gang. Die rückwärtige Linie vom Kopf bis zum Hals wird gerade. Außenstehende interpretieren die Haltung intuitiv als majestätische Selbstsicherheit. Sie ziehen Vergleiche zum eigenen, oft gebeugten Rücken. Das steht nicht im Widerspruch zum Rollenbild des frühen Feminismus der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Das Korsett ist die ultimative Versöhnung mit dem Sexobjekt, denn die stramm geschnürte Taille betont die Hüften. Das Rückgrat wird gestrafft und das Korsett zwingt dazu, das Gesäß stramm einzuziehen. Die Haltung und Atmung, der üblicherweise eher nachlässig daherkommenden Frau, wird straff zum ästhetischen Vorteil korrigiert.

Aber die behutsame Anleitung des Korsett stabilisiert nicht nur den aufrechten Gang der über ihre Tragepflicht stolzen Korsett-Trägerin. Es versteht sich von selbst, dass zu einem Korsett nur eine hoheitsvolle Kopfhaltung passt, die weder gesenkt noch zum Himmel gewandt und ohne unruhigen Blick sein sollte. Die korsetttragende Frau wird darum auch niemals die Stirn in sorgenvolle Falten legen, oder ängstlich die sorgfältig ausrasierten Brauen zusammenziehen. Ein stimmiger Gesamteindruck zwischen Haltung, Gang und Mimik entsteht, wenn die sorgfältig stilisierten und geschmückten Augenbrauen zu den leicht fallenden Augenliedern passen. Der Gesamteindruck in Verbindung mit dem fuchsig-schnürenden Gang in passendem Schuhwerk mit schmalen Absätzen über elf Zentimeter ist eine exquisite Übung für den bekannten und begehrten Knackarsch auf dem man Walnüsse knacken kann (sofern man das will und Walnüsse zur Hand hat). Kein sündteures Fitnessstudioabonnement mit monatelangen Sit-up Quälereien kann solche Ergebnisse erreichen.

 

Welches Korsett das Richtige für die Geliebte ist, bleibt persönlichen Vorlieben des Entscheiders vorbehalten. Das klassische Korsett ist aus edlem Stoff, aber dennoch fest und darum besonders zu empfehlen. Die oft gewünschten Latexkorsetts sind nichts für Anfängerinnen. Die Geliebte wird nach einer ersten und ernsten Belehrung die Notwendigkeit eines solchen, aber nicht aus Latex erkennt. Der Nachteil von Latex ist, dass das Material viel weicher ist und einen größeren Bewegungsspielraum zulässt, was wie bereits dargelegt und darum verständlicherweise nicht gut ist. Aus der Kindererziehung ist ja auch bekannt, dass jede Nachlässigkeit zur Ungezogenheit führt. Warum also Altbewährtes in Frage stellen?

An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass es vorwiegend bei weiblichen Verwendern immer noch Wissenslücken über die korrekte Trageweise gibt. Verehrte Leserin, die Schnürung gehört nach hinten und die Häkchen, sofern welche vorhanden sind, nach vorn. Sollten elastische Bänder am unteren Rand angebracht sein, werden daran Strümpfe befestigt, die aus edlem Material von einschlägigen Markenfirmen und nicht vom Kaufhaus-Krabbeltisch sein sollten.

Ein kleiner Fach-Exkurs ist angebracht, weil das Wissen über subtile Feinheiten in breiten Bevölkerungsschichten weitgehend verloren gegangen ist. Seidenstrümpfe erzeugen beim Gehen, oder beim übereinanderschlagen der Beine ein erotisches Rascheln, das den Kenner um den Verstand bringt. Nylon mit Naht ist etwas für den Genießer, und nasse Strümpfe sind nur für den extravaganten Geschmack und Champagnerfreund. In letzteren Fällen ist auch das Auge schmeichelnder Feingummi zu empfehlen. Aber auf diese Besonderheit komme ich in einem anderen Bericht ausführlich zurück. Nur so viel sei aus einem erotischen Lehrbuch von (dritte Auflage 1912) verraten, dass ein züchtiges Mädchen eine Mannsperson sehr leicht an sich zu fesseln vermag, wenn sie ihm in den Stiefel pinkelt.

Doch ich möchte nicht zu sehr abschweifen und darum kommen wir zum ursprünglichen Thema, zum Korsett zurück.

Zur richtigen Schnürung gibt es die verschiedensten Ansichten und die Experten befinden sich seit Jahrzehnten in einem erbitterten Streit. Aus humanistischen und hedonistischen Aspekten hat die von mir präferiert empfohlene Schnürung nichts mit Gewalt oder Unterdrückung zu tun, aber viel mit intelligenter Submission.

Aus Qualitäts- und Disziplinierungsgründen sollte die Schnürung vom anbetenden Mann vorgenommen werden. Diese präzise Vorgehensweise hat einerseits körperliche Gründe, denn die Schnürung des klassischen Korsetts ist vergleichbar mit dem Spiel der Kräfte bei einem Schwerlastkran unter Voll-Last. Andrerseits sind intellektuelle Ingenieurleistungen erforderlich, um durch eine raffinierte Schnür-Hebelwirkung und mit geringstem Kraftaufwand das größtmögliche Reduzierungsergebnis zu erreichen. Nur ein erfahrener Mann ist dazu fähig. Du glaubst das nicht und unterstellst mir Sexismus? Dann richte dein Augenmerk auf Frauen beim Einparken, und du wirst verstehen.

Kommen wir nun zu weiteren Details, deren Beachtung nicht nur wichtig ist, sondern beziehungsexistenzielle Dimensionen annehmen kann.

Zur Schnürung sitzt oder steht die Geliebte mit dem Rücken zum Mann, der mit der Aktion am oberen Ende des Korsetts beginnt und sich sozusagen zur Mitte vorarbeitet. Das Schnürband wird in die Ösen des Korsetts eingeführt. Die Schnürung sollte mit Bedacht und gleichmäßig überkreuz bis in die Mitte des Korsetts, also bis etwa in Taillenhöhe vorgenommen werden. Falls du kleinere Stöhn-Geräusche, oder ein seufzendes „quäl mich nicht Liebling“ deiner Geliebten hörst, soll dich das nicht weiter stören, denn solche Laute sind normal und gehören zu den anregenden Sentenzen in einer ritualisierten Handlung. Bei eher seltenen, vielleicht ärgerlichen Protesten hilft der sachliche Hinweis, dass ein Korsett die effizienteste Methode zur Taillenreduzierung ist, oder die sofortige Trennung von der Unverständigen. Dann ist üblicherweise Ruhe im Karton. 

Für die Geliebte von Vorteil ist, dass die Sorgen um den nicht vorhandenen, flachen Bauch verschwinden. Mit einem Korsett muss keine Frau mehr eigentümliche Substanzen aus kleinen Döschen trinken. Außerdem wird das Hungergefühl unterdrückt, das ja bekanntlich für den fülligeren Bauch verantwortlich ist.

Kleine Inspirationspausen sind zu empfehlen. Jeder Künstler hält hin und wieder inne, um sein Kunstwerk zu betrachten, zu verbessern und um kleinere Nachlässigkeiten zu korrigieren.

Schnürungstechnisch in der Taillenmitte angekommen, beginnt der schwierige Teil. Achte darauf, dass das Schnürband nicht mehr überkreuzt wird. Führe dann das Band auf beiden Seiten einmal doppelt durch die Ösen. Du siehst jetzt auf beiden Seiten eine Schlaufe. Anschließend schnürst du wieder überkreuz weiter. Wenn du an der unteren Öse angekommen bist, zieh das Band von außen nach innen durch Ösen. In die beiden Enden des Schnürbandes solltest du eine sorgfältig gebundene Schleife oder einen kunstvollen Knoten machen. Nicht empfehlenswert ist, die Enden ohne Sach- und Kunstverstand zusammen zu binden. Zum Schluss korrigierst du das Band und die Unebenheiten der Schnürung. Die Taillenreduzierung erfolgt durch die beiden Schlaufen in der Mitte der Taille.

Falls deine Geliebte wie angewiesen noch bewegungslos steht oder sitzt, kannst du das Korsett durch leichtes Ziehen in die endgültige Position bringen. Abschließend solltest du noch kontrollieren, ob die Ösen akkurat parallel sitzen. Ein bereit gehaltenes Lineal mit Millimeterunterteilung hilft bei der Abstandmessung und erzeugt ein hübsches Geräusch bei der auf dem jetzt prall abstehenden Arsch der Geliebten platzierten Belohnungshieb. Wiederholungen sind durchaus angebracht und werden geschnürt gern entgegen genommen.

Perfektionisten halten das Kunstwerk mit der bereitgehaltenen Digitalkamera für die Nachwelt fest, um das Meisterwerk in einschlägigen Kreisen im Internet zur Begutachtung vorzustellen. Falls die Bänder zu lang sind, bindest du noch eine zusätzliche Schleife, oder falls dadurch dein ästhetisches Empfinden gestört wird, versteckst du die Bänder unter dem Korsettrand.

 

Leider gibt es über die optimalen Korsetttragezeiten keine allgemein anerkannten Empfehlungen. Nach meiner persönlichen Erfahrung, steht einer liebenden Geliebten ein Korsett zu jeder Tages- und Nachtzeit. Falls die Geliebte eine karrierebewusste Frau ist, sollte das Korsett auch beruflich getragen werden, denn der bereits erwähnte, selbstbewusst-schnürende Gang (ein dezent bestrumpftes Bein, leicht überkreuz vor das andere) ist für die Karriere förderlich. Wichtig ist, dass sich nicht nur der Körper, sondern auch der widerstrebende Geist der Frau an das Korsett gewöhnt.

 

Ein motivierender Aspekt soll nicht unerwähnt bleiben. Durch den geraden Rücken stehen auch bei der fülligeren, etwas älteren Dame die Brüste wieder so stramm ab wie bei einer siebzehnjährigen Cheerleaderin. Das Letztere allerdings nur bei einem brusthebenden Korsett. Damit komme ich nicht nur zu einem brisanten Teilaspekt, sondern auch zu einer ernsten Warnung für meine interessierten Leserinnen.

Die Anschaffung eines Korsetts wird oft fälschlicherweise als rein weibliche Angelegenheit gesehen. Das ist falsch. Die Frau als solche mag zwar eine natürliche Beziehung zu allerlei nützlichen Wäscheteilen aus pflegeleichten Materialien haben, aber bei einem Korsett verhält es sich vollkommen anders. Der Korsetterwerb erfordert Erfahrung und großen Sachverstand für eine hochkomplizierte Aktion, über die die Frau aus verständlichen Gründen nicht immer in ausreichendem Maß verfügt.

Eine dem Autor vor den Erlebnissen mit Sina gut bekannte und der Erinnerung nach wohlgeformte, aber zeitweilige Gefährtin (Dorle W. 42, aus Mönchengladbach) wollte gefällig sein und überredete, vermutlich voller Euphorie und Sehnen, eine flachbrüstige und beste Freundin als fachkundige Beraterin zu einer gemeinsamen Korsett-Einkaufstour. Die Beratung der wohlmeinenden Freundin führte zum Erwerb eines billigen Korsett-Machwerks, das seinen Namen noch nicht einmal ansatzweise verdiente. Die vorher wunderschönen, schweren Brüste wurden durch das falsche Korsett wie überreife Melonen zerquetscht. Das Korsett und die Gefährtin sind nie wieder zum Einsatz gekommen. Über den Verbleib der besten Freundin gibt es leider keine Hinweise. Dieses erschütternde Beispiel einer sowohl menschlichen, wie auch korsettierten Tragödie zeigt, dass ausschließlich Männer über den notwenigen, ästhetischen Sachverstand verfügen.

Damit möchte ich meine philosophischen Betrachtungen vorerst abschließen und ich hoffe, dass ich dir helfen konnte. Falls du dich fragst, woher ich meinen reichhaltigen Erfahrungsschatz habe, frag Sina. Sie wird es dir gern erklären.

 

Liebeszeiten und Investitionen um der Konkurrenzfähigkeit Willen

  

Die Entstehung einer guten Beziehung ist unberechenbar!“  So denken nur schlichte Gemüter. Aus dem Ereignis von Ursache und Wirkung entsteht Wirkung und Abhängigkeit.

Paul van Cre

 

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Damals, in der ersten Zeit mit Sina habe ich noch an die ganz große und ewige Liebe geglaubt, an gehauchte Treueschwüre und an gestöhntes Liebesgeflüster. Die Sünde, also Sina wurde schnell zu einer mein Leben bestimmenden Gewohnheit, die ich nicht mehr missen wollte. Ich war verliebt und ich war ihr bedingungslos treu. Aber das Gefühl des verliebten Herzschlags löste bei mir noch keine Überlegungen über die Ursachen und Folgen aus. Zwar hatte ich instinktiv und sofort geahnt, dass die junge und unverbrauchte Sina Sidonius purer Sprengstoff war, aber ich wollte, die Gefahren ahnend, die solche Dinge nun mal als wesentliche Eigenschaft besitzen, behutsam und dauerhaft damit umgehen.

Trotz und in aller Liebe setzte mein nüchterner Verstand nicht vollkommen aus. Aus vielerlei Gründen erschien es mir besser, wenn Sina zwar nach Bedarf verfügbar, gleichzeitig unter vorsichtig-abhängiger Kontrolle, und zwar so, dass sie es nicht als solche empfand, aber sich in sicherer Entfernung vom heimischen Heilbronn aufhielt. Dieser Zustand war zwar für den Normalbürger nur schwer herzustellen, doch durch die langen Jahre als Unternehmer erfahren, wusste ich was zu tun war. Jetzt war mein Alter kein Nachteil mehr. Aber ich durfte mir nichts vormachen. Mit zunehmendem Alter sind größere, aber wohlüberlegte Investitionen um der Konkurrenzfähigkeit Willen nun mal notwendig. Hotels waren, und das ahnte ich intuitiv, für unsere Vorlieben sowohl aus Reinlichkeits- wie auch aus Geräusch- und eigentlich auch aus finanziellen Gründen ungeeignet. Sina hatte mir mit dem Hinweis auf äußerste Diskretion zu verstehen gegeben, dass sie glücklich und äußerst ehrsam mit einem honorigen Mann aus der besten Heilbronner Gesellschaft verheiratet und eigentlich nicht so sei, wie es vielleicht den Anschein hätte. Nach wenigen Wochen war ich zu der schnellen Entscheidung gekommen, dass wieder einmal der richtige Zeitpunkt für eine steuermindernde Investition gekommen wäre. Das Appartement in der oberen Sindelfinger Innenstadt mit einer großen und nicht einsehbaren Terrasse und dem Blick über den Ort und gleichzeitig auf die ehemalige Hauswirtschaftsschule, in der brave Mädchen ehemals mit Zucht zur Ordnung angehalten wurden, das mir von einem ihm verpflichteten Stuttgarter Bauunternehmer angeboten worden war, erschien mir, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, für die beabsichtigten Zwecke am geeignetsten.

Sina Siodonius liebte besondere Spiele und ich bewunderte ihren Einfallsreichtum, der meiner Phantasie nicht nur nahe kam, sondern ohne langes drum herum zu diskutieren, weit übertraf. Die Regeln waren von Anfang an klar definiert. Sina Sidonius war die alleinige Hausherrin und der Autor das kleine Würstchen im Naturdarm, das als Putzsklave und Nutzobjekt zum Kochen und für den Abwasch bestimmt war, und sonst ein Nichts. Wenn sie mir mit ihrer glockenhellen Stimme ins Ohr flüsterte: „Darf`s ein bisschen mehr sein“, war es für mich wie eine göttliche Offenbarung und das Paradies. Aber ich war nicht so einfältig, nur wegen einer Frau den Verstand und noch mehr zu verlieren. Dennoch konnte ich es nicht leugnen. Schon nach wenigen Wochen begann Sina mein Leben in ungeahntem Ausmaß zu beeinflussen. 

 

Eigentlich hätte ich es ja wissen müssen und vielleicht ahnst du es schon. Es war der Anfang einer zeitlich ziemlich beschränkten, einer überirdischen und unendlichen Liebe für eine ziemlich kurze Zeit. Das ist aus meiner heutigen Sicht und mit etwas Abstand betrachtet, an sich kein weltbewegendes Ereignis. Solche Dinge passieren täglich an jeder Ecke. Jeder liebt Irgendwas und irgendwie irgendwann, hin und wieder und dann und wann für was auch immer. Jeder Fast-Verhungerte wird alles dran setzen, Dinge zu bekommen, die seinen Hunger stillen, und wenn es nur Fast-Food ist, und für Verdurstende sind sogar schlammige Wasserlöcher Zeichen des Himmels. Heute sehe ich das natürlich anders. Verliebtheit ist ganz offensichtlich nicht eine besondere Art der Kurzsichtigkeit, sondern ein Problem der Nahsicht. Wahrscheinlich hätte mir damals eine stärkere Brille genügt, um mich zu heilen, aber die hatte ich aus verständlichen Gründen nicht auf der Nase. Eigentlich war es nur ein triviales Spiel, das von unzähligen Frauen und Männern so oder so ähnlich jeden Tag gespielt wird.

In diesem moralischen Zwiespalt gab es für mich mehrere Alternativen. Die erste Alternative war, die Sicherheit meiner Ehe zu wählen und auf jede wertvolle Erfahrung zu verzichten. Mein Gehirn und mein wacher Verstand hätten mir ja sagen können: „Tu es nie wieder. Das ist gut und vernünftig!“,  aber die waren zum damaligen Zeitpunkt neutralisiert. Ich habe meine über alles geliebte Sina gesehen, ihr verträumtes Lächeln und ich las in ihren blitzenden Augen: „Was kann es da noch helfen? Du verstehst nun einmal nichts anderes - so sei denn wenigstens mein Hund“, wie Nietzsche in einer ähnlichen Situation einmal gesagt haben soll. Sie hielt mir ihre Finger zum Ablecken hin und ich wusste genau wo sie vorher waren. Welcher gestandene Mann mit wachem Verstand kann da noch zur Normalität zurückkehren.

Du kannst noch nicht so richtig verstehen, warum ich mich so hingegeben hatte? Ich werde es für dich, lieber verständnisvoller, männlicher Leser in ähnlicher Situation, und für meine verständnislosen Leserinnen etwas einfacher in geraffter Form erklären. Es war der freie Wille eines mündigen Bürgers der wählen musste. Der eine bewusste Entscheidung für den Himmel mit Sina und gegen seine (meine) Ehe-Hölle getroffen hatte. Selbst ein dreiköpfiger Höllenhund hätte mich nicht von meiner Unbeugsamkeit abbringen können.

 

Aber die Episode mit Sina war nicht nur der Himmel, sondern auch das voraussehbare Ende meiner sicheren Ehe und meines Wohlstands. Was soll ich mich beschweren. Vom ersten Moment an kannte ich das Risiko der riskanten Investition in meinen Gefühlshaushalt. Es war schon immer so: Je größer die erhofften Gewinne, umso höher das Risiko des Totalverlustes. Nur Feiglinge investieren in ein konservatives Sparbuch mit Mickerzinsen.

Heiratsgedanken und man wird zwar so alt wie eine Kuh, aber man lernt immer noch dazu

 

Eine Sexual- und Eherevolution ist im Anzuge. Es ist nahe liegend, dass der dadurch aufgerollte sehr verwickelte Fragenkomplex sowohl die Frauen wie auch die Jugend besonders beschäftigt. Sie leidet wie jene ganz besonders schwer unter den heutigen sexuellen Missständen. Sie rebelliert mit dem vollen Ungestüm ihrer Jahre dagegen. Das begreift sich. Nichts wäre falscher, als der Jugend und den Frauen mönchische Askese zu predigen und die Heiligkeit der schmutzigen bürgerlichen Moral.

Wladimir Iljitsch Lenin

 

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Gestählt durch meine Ehe und allerlei eheähnliche Beziehungen habe ich es irgendwie geahnt. Die Frau ist von ihrer Natur her zum Gehorchen bestimmt. Ihr ist das glücklichmachen des Mannes von der Natur aufgegeben.

Liebe und verehrte Leserin, ich höre Ihren empörten Aufschrei. Bitte bleiben Sie besonnen. Gewalt ist keine Lösung. Man wird zwar so alt wie eine Kuh, aber man lernt immer noch dazu, wie schon Goethe (oder Schiller, wer es war ist mir momentan entfallen) einmal gesagt haben soll. Es ist nicht so wie Sie vorschnell annehmen und noch weigere ich mich, in der Tradition altdeutscher Geistesgrößen zu denken.

Obwohl, manchmal befallen auch mich die Zweifel. Die Zeiten ändern sich nun mal. Auch ich muss das Umdenken lernen, um Neues und Ungewohntes erfolgreich zu lehren. Darum halten wir der Ordnung halber und mit kühlem Kopf die von mir ermittelten Fakten fest. Unumstößliche Tatsache ist, dass das Ergebnis meiner langjährigen Feldforschungen nur eine Erkenntnis zulässt. Selbst vollkommen unabhängige und selbstbewusste Frauen schließen sich ohne lange Nachzudenken irgendeinem Mann an, von dem sie sich lenken und beherrschen lassen. Sie heiraten überlegt nach oben, und sie entsorgen geistig und finanziell Unterbemitteltes gewissenlos und ohne Rücksicht auf die Regeln der Genfer Konventionen. Die Ursachen für dieses egoistische Verhalten sind noch nicht erforscht. Nach der allgemeinen Lehrmeinung mag es darin zu suchen sein, dass Frauen einfach eine Art Meister brauchen. Entweder als Ehemann, Liebhaber, oder als eine Art Beichtvater. Dieser wertvollen Erkenntnis möchte ich mich anschließen, und darum musste das auch in aller  Deutlichkeit und ohne falsche Scham geschrieben werden. Leider ist diese lebensnahe, aber weitgehend vergessene Einsicht auch nicht von mir. Sie wurde von mir nur etwas griffiger für den sogenannten Gender-Mainstream umformuliert, ist aber dem Sinn nach von dem von mir sehr geschätzten Arthur Schopenhauer, der diese zeitlosen Sätze in Parerga und Paralipomena II (Über die Weiber) ausführlich, aber etwas sperrig formuliert hatte.

Die weitere Lektüre des Schopenhauerschen Textes möchte ich meinen geschätzten Leserinnen und Lesern ersparen, denn ich kann seine Richtigkeit  durch meine Langzeitstudien mit meiner derzeit zweitbesten Freundin und Muse Viola sozusagen repräsentativ beweisen.

 

Wie meine engeren Freunde, und auch die treuen Leserinnen meiner vielen Fachpublikationen vielleicht noch wissen, ist Viola eine vollkommen unabhängige Frau im mittleren Alter, so wie unzählige andere Frauen auch. Sie hat vor etwa sieben Jahren Werner geheiratet, um heute selbstbewusst mit beiden (sehr schönen und auch gut schließenden) Beinen mitten im Leben zu stehen, und als aktive  Projektmanagerin das gemeinsame Leben zu meistern. Oder wie eine bekannte Staubsauger-Firma behauptet: „Sehr erfolgreich ein kleines Familienunternehmen zu führen.

Ich weiß es, aber Sie wissen nicht, wie es hinter den zugezogenen Gardinen der gutbürgerlichen Villa zugeht. Tatsache ist, dass Viola und Werner eine wunderbare Ehe der gegenseitigen Akzeptanz als notwendiges Übel zur Erhaltung eines gehobenen Lebensstandards führen. Mit Gucci-Schuhen aus Schlangenleder und mehreren Prada-Täschchen gut versorgt, ist sich Viola in ihrem verflachenden Eheleben der psychologischen, aber auch der pragmatisch bedingten Vermengung todfeindlicher Werte nicht bewusst. Ich behaupte sogar, dass sie es sich auch nicht bewusst machen will. Zu meinem großen Bedauern ist auch dieser prägnante und durchaus erwähnenswerte Satz auch nicht von mir, sondern von dem bekannten Philosophen und Autor „Unbekannte Quelle.“

Dagegen hat Werner (Violas Ehemann, mein bester Kumpel und Steuerberater in Personalunion) durch sein Kapital als gutverdienender Steuerberater und Zahlenmensch ein Monopol geschaffen, dem sich Viola gezwungenermaßen unterordnet. Ob die Unterordnung freiwillig, durch psychologischen Zwang, oder aus Verstandesgründen erfolgt, weiß ich nicht. Wichtig ist zu wissen, dass Werner über die Macht verfügt, und Viola die großzügig zugeteilten, wirtschaftlichen Privilegien genießt. Intuitiv ahnt Viola die möglichen Konsequenzen, die aus der aktiven Forderung nach Klassenkampf und Freiheit vom schweren Joch der ehelichen Unterdrückung entstehen können. Mit billigen Deichmann-Latschen an den Füßen und dazu einem kleinen Hunger im Bauch, ist es schwer, auf der freien Wildbahn der gnadenlosen Eitelkeiten, im Spannungsfeld von fortschreitendem Alter und steigenden Ansprüchen, überleben zu müssen.

 

Aus den Perspektiven versklavter Völker sind die Herrschenden immer die Blöden. Das weiß Viola und Werner auch, weil ich es ihm gesagt habe. Aus diesem und keinem anderen Grund bekommt Werner von Viola zwar nicht direkt, aber Unterschwellig die der Kapitalistensau zustehende Verachtung zu spüren.

Andrerseits verhält sich Viola konsequent nach dem in Insiderkreisen bekannten und bewährten Sklavenfreiheitssyndrom. Das Verhaltensmuster ist wissenschaftlich weitgehend erforscht, aber im zwischenmenschlichen Mann-Frau-Bereich kaum bekannt. Es lautet in Kurzfassung: „Futter mit Peitsche erzeugt Hingabe und Demut“, und in der erklärenden Langfassung: „Wenn man Sklaven in die Freiheit entlässt, kommen die meisten ehemaligen Leibeigenen nach kurzer Zeit zu ihren Unterdrückern zurück, denn da gibt es zwar hin und wieder Peitschenhiebe, aber auch Futter und Arbeit, was ja ganz so schlecht nicht ist.

Nun bekommt Viola zwar nach meinem Wissenstand keine heftigen Peitschenhiebe, aber wenn man Züchtigungen mit ehelichem Stress gleichsetzt, dann kommt das auf das Gleiche raus. Dass Viola hin und wieder aufmuckt stört Werner nicht sehr, denn er kennt seine Macht und das ist gut so - jedenfalls für Werner und auch für mich, denn ich bin der Villa der offiziell anerkannte Kriegsberichterstatter.

 

Verehrte Leserin, lieber Freund und Leidensgenosse, ich weiß, dass mein authentischer Lagebericht kompliziert wird. Damit wir den Überblick nicht verlieren, fassen wir aus Gründen der chronologischen Übersicht, Violas und Werner Ehe- und Beziehungskonstellation gerafft zusammen: Als ehemalige und durchaus fanatische Revoluzzerin gegen vage definierte Ungerechtigkeiten in weit entfernten Ländern, mit immer offenem Ohr für die Nöte der Arbeiterklasse in nie betretenen Fabriken, bunt gemischt mit konsequente Engagement für den Schutz großer, möglichst knuffiger Tiere mit unschuldigen Augen, ist Viola gezwungen, als Sklavin des Kapitals ihre Individualwürde und ihren zeitgeistigen Anspruch auf eine halbwegs menschenwürdige Existenz in Champagner zu ersäufen. Das sagte schon sinngemäß Wladimir Iljitsch Lenin, ein verstorbener sowjetischer Politiker. Wladi war ein begnadeter Visionär, aber anzunehmen ist, dass er wie ein Brummkreisel in seinem Mausoleum rotieren würde, wenn er von der heuchlerischen Dekadenz des 21. Jahrhunderts auch nur den blassesten Schimmer hätte. Darum decken wir auch den blickdichten Mantel der Verschwiegenheit über die modische Fahrrad- und Biolädchenfolklore, der sich Viola neuerdings verschrieben hat, wenn sie aus Imagegründen nicht ihr schnittiges Mercedes-Cabrio der SLK-Klasse und Volllederausstattung zum Bio-Wochenmarkt in Sindelfingen ausfährt.

Sie liebe Leserin, aber auch du mein Freund wirst mir zustimmen, dass Violas Ehe-Schicksal ein schreckliches Schicksal ist. Meine auf meiner vorläufigen Hitparade derzeit zweitbeste und nicht zu dünne Freundin Viola muss bei vollem Bewusstsein das schwere Joch der Ehe tragen. Aber wie es im Leben so und nicht anders ist. Der Besitz von Geld bestimmt nun mal den Grad der Macht und andererseits das Spektrum des zu leistenden Gehorsams. Ehe ist und bleibt eine Institution, die nach einem einfachen Kosten-Nutzen-Merksatz nur so funktioniert. Mein Merksatz lautet: „Die Vorteile müssen größer sein, als die Nachteile.“  

Für Viola zahlt es sich aus, sich nicht zu sehr zu mucksen, damit die ehelichen Vorteile die sie genießt, von Werner nicht bemerkt werden, denn neuerdings liebäugelt Werner mit der hübschen Praktikantin, und die ist nicht ohne, rein figürlich gesehen und dazu auch noch zweiundzwanzig Jahre jünger als Werner - und die Praktikantin ist mit hübschen Blumen glücklich, weil sie noch an die große Liebe und solche Sachen glaubt. Das gibt zu denken, denn der Unterhalt einer blitzgescheiten Praktikantin ist billiger, als die Finanzierung einer anspruchsvollen Ehefrau. Man muss nur an den sprichwörtlichen Esel denken, dem an einer Stange eine Mohrrübe vor der Nase schaukelt, die er aber nie erreichen kann, und trotzdem mit hungrigem Magen Kilometer um Kilometer schwere Lasten zieht, nur um seinem Herrn und Meister gewissenhaft zu dienen.

Um das Thema mit einer kurzen Rast an einem weiteren, literarischen  Milestone etwas aufzuhellen, bleibt mir an dieser Verschnaufstelle nur die Feststellung, dass der Traum von einer Liebesheirat nur ein Wolkenkuckucksheim ist, in dem sich die Lerche und die Nachtigall um den besten Platz streiten. Nach meiner Erfahrung kann in der realen Welt eine Ehe nur funktionieren, wenn sie durch Regeln und Riegel wie ein schwerbewachtes Haus gegen mögliche Ein- und Ausbrüche abgesichert wird. Doch bevor ich den sprichwörtlichen „roten Faden“ meines Vortrags endgültig verliere und im literarischen Niemandsland aufschlage, kommen wir zu Violas und Werners Ehe zurück.

 

Violas und Werners heiliger Bund war, wie könnte es anders sein, eine Liebesheirat. Ich kann mich noch ziemlich deutlich an das feierliche Ereignis erinnern. Am Vorabend ihrer Hochzeit saßen Viola und ich zusammen und wir freuten uns wie giggelnde Kinder auf den nächsten Tag. Ich auf das reichhaltige Essen und die Abwechslung vom grauen Singleleben zum verordneten Fröhlichsein, und Viola auf die fette Beute, aber das sagte sie natürlich nicht. Jedenfalls nicht so deutlich, denn mit vollem Mund ist nicht gut zu sprechen.

Ich fand und finde es auch heute noch mental ergreifend, wenn sich zwei liebende Menschen unter so eindeutig definierten Bedingungen zusammenfinden, um zuerst vor dem Notar, dann vor der Gesellschaft, und zum Schluss vor der Geistlichkeit, in Anwesenheit der verfressenen Mischpoke, eine immerwährende Gemeinschaft einzugehen. Dieser dreifach abgesicherte Vorgang verspricht Gefühlssicherheit und mit den Ringen wird die egoistische Rechtesicherung besiegelt. Anfangs nur nebenbei erwähnt wurde der Umstand, dass Viola am Morgen ihres letzten Tages in Freiheit einen Ehevertrag in Liebe und Vertrauen unterschrieben hatte.

Es ist nur eine Formalität, wegen den Steuern und so …“, sagte mir Viola beiläufig, aber ich habe den gut verstecken Hintersinn sofort erkannt. Es waren Werners kluge Worte aus Violas schönem Mund.

Hätte ich ihr das so deutlich sagen sollen? Viola war an diesem Abend in bester Vorheiratslaune und trotz zweier Fehlstarts noch nicht zu sehr eheverseucht. Endlich, nach zwei gescheiterten Ehen, war sie wieder Braut, und es sollte eine Liebesheirat mit allem Drum und Dran und einem kapitalen Goldfisch am Angelhaken werden. Anzumerken ist, dass gefangene Fische durch einen kräftigen Schlag mit einem Holzknüppel betäubt werden, damit sie nicht mehr zappeln und bald verenden. Werner dachte vermutlich ähnlich. Aber wie ich ihn kenne, nicht an ein Schlagwerkzeug, sondern an eine Fußkette um Violas schlanke Fesseln und mit einem genau berechneten Aktionsradius zwischen Küche, Waschmaschine und Bett, was aus Sicht des kapitalen Goldfisches durchaus legitim ist. 

Viola befand sich an diesem Tag, auch am Abend, und auch noch vor dem Standesbeamten auf einer rosaroten Gefühlswolke. Treu und brav wie es sich für eine liebende Frau gehört, hatte sie der Gütertrennung und dazu dem Verzicht auf Zugewinn- und Versorgungsausgleich zugestimmt. Viola und Werner waren sich einig, denn es war ja nur eine unwesentliche Formsache, dass Viola auch auf nachehelichen Unterhalt (außer für die Zeit der Kinderbetreuung) verzichten sollte. Auch an später hatte Werner der Grundgute gedacht. Falls die Ehe scheitern würde, was einen Tag vor der Hochzeit undenkbar erschien, sollte Viola eine Abfindung von sensationellen 30.000 Euro erhalten. Frühestens aber nach einer zehnjährigen Ehe und keinesfalls vorher, und nicht bei einer kürzeren Ehedauer als genau abgezählten dreitausendsechshundertundfünfzig Tagen.

Zwar weiß ich, und jeder einigermaßen klar denkende Mensch auch, dass solche Eheverträge nach einem Urteil des Oberlandesgerichts München (Aktenzeichen 4 UF 7/02) unwirksam sind, aber das wusste Viola nicht. Dabei sagt das Urteil eindeutig, dass so ein Ehevertrag einer „gleichberechtigten Lebenspartnerschaft" widerspreche, denn er begünstig den Mann. Die Frau müsse auch nach der Scheidung ihren durch die Ehe rechtmäßig erworbenen Lebensstandard beibehalten können. Die Richter sahen es in dem erwähnten Fall als erwiesen an, dass der Mann bei Unterschrift des Vertrags „seine dominante Lage" ausgespielt habe.

Werner war besser informiert und hatte andere Vorstellungen von einem durch seine Arbeitskraft finanzierten Lebensstandard einer Ex-Ehefrau. Er hatte in den Ehevertrag eine kleine Klausel aufgenommen, dass Viola den Ehevertrag in „freier Willensentscheidung" akzeptiert habe, und vermutlich mit dem weiteren Zusatz, dass sie bei Unterschrift auch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gewesen wäre, was sie nachweislich nicht war und oft auch nicht ist. Zur Belohnung für so viel Wohlverhalten durfte Viola ihre blaue Uralt-VW Prollschüssel aus der Pink-Floyd Serie gegen ein neues SLK Modell mit Stern und geschmackvoll nuanciertem Leder an gemasertem Echtholz vertauschen, das Werner günstig und für seine Firma steuermindernd für erst mal drei lange Ehejahre geleast hatte.

Auf meinen Hinweis: „Da hättest aber noch ein paar Briketts drauflegen können“, antwortete Werner in weiser Voraussicht: „Danach sieht man weiter“, und ich musste ihm zustimmen, denn wie bereits erwähnt ist er ein alter Schulfreund und mein bester Kumpel.

Werner wusste natürlich, und das dürfen wir ihm auch nicht übelnehmen, dass das Timing und die Umstände für Vertragsabschlüsse eminent wichtig sind. Eigentlich weiß das jedes Kind, das zuerst mit Bonbons gelockt wird, und vorher, in Aussicht der noch nicht greifbaren Süßigkeiten, das Versprechen abgepresste bekommt, endlich brav zu sein.

Und was war mit Viola und ihrem Verstand? Viola hat ihrer geistigen Tugend gefrönt, wie andere dem Rauchen. Nur darum hatte sie keine Alternative. Der Ehevertrag war ein Angebot, dass sie nicht ablehnen konnte. Werner wollte ihre Unterschrift auf dem Vertrag und dazu ihr schwaches Gehirn.

 

Da Viola in meinem vorliegenden Buch als Frau Mustermann herhalten muss, ist an dieser Stelle ein kleiner Zwischenstopp mit kurzen Hinweisen notwendig. Angeblich blenden drei von vier Frauen das Thema Finanzen aus den verschiedensten Gründen aus. Das geht aus der Commerzbank-Studie „Die Psychologie des Geldes" hervor. Viele Frauen agierten in Geldfragen weniger selbstständig als Männer. Die Mehrzahl der Frauen verdrängt die Zahlen, Daten und Fakten der ehelichen Unternehmung regelrecht, und sie bürden dem Mann die schwere Last der Finanzverwaltung und damit auch die gerechte Zuteilung der Kohlen auf. Oder wie ein bundesdeutscher Außenminister gern sagt: „Auf einem Schiff das dampft und segelt, braucht´s immer einen der das regelt.“ Das bedeutet unmissverständlich, dass der Mann der Kapitän des Eheschiffs ist, und Viola, stellvertretend für die Mehrzahl der verheirateten Frauen, die Heizerin, die ein bisschen die zugeteilten Kohlen hin und her schaufeln darf. Das ist eine verantwortungsvolle Tätigkeit, aber wie wir aus der Geschichte der Seefahrt wissen, können Heizer auch ziemlich rabiat werden. Sie neigen zur Streitsucht, zur Revolution und verlassen wie die klugen Ratten auch gern mal vorzeitig das Schiff, wenn nicht mehr genug Kohlen zum schaufeln da sind - um dann auf einem Dampfer mit mehr Kohlen anzuheuern (bis auch die verheizt sind) - metaphorisch gesprochen.

Da Viola eindeutig zur Mehrheit gehört, gab es für seine keine diskutierbare Alternative, denn ihr Gehirn hatte ja bei der Planung von strategisch platzierten Streu-Engelchen, Tischordnung mit Rosen und unschuldig, weißem Hochzeitskleid mit Myrtenkränzchen (geschlossen) schon ausgesetzt.

 

Nach dieser kleinen Vorgeschichte und zur Feier des kommenden Tages, gab es für mich nur noch die Entscheidung zwischen Johnnie (Walker) und Jim (dem guten alten Kumpel Beam aus dem schönen Kentucky). Mein Glaube und meine Hoffnung auf eine bessere Welt brauchten dringend spirituose Hilfe. Ich beschloss die Dinge lustiger zu nehmen als sie sind, denn ich hatte sie zu lange ernster genommen, als sie es verdienten.

 

Es war, wie es sich für eine Liebeshochzeit gehört, im schönen Mai. Die Frühlingsluft war an diesem Vorabend besonders sämig. Schon das Zusammentreffen dieser Faktoren hätte mir als Warnung vor der göttlichen Hinterlist erscheinen müssen. Denn aus Erfahrung und wie ich im nächsten Kapitel berichten werde, weiß ich, dass der liebe Gott, wenn er es gut meint, ein ziemlich nachtragender Scherzkeks sein kann. Zumindest sind seine göttlichen Wege unergründlich, während der Mensch denkt, dass er um einiges ausgekochter ist.

 

An sich ist nichts einzuwenden, wenn sich zwei Menschen zusammenfinden, um eine gewisse Zeit gemeinsam zu leben. Aber wer sich nur auf weltlichen Versprechungen verlässt, der schließt nur einen unzulänglichen Vertrag. Eine doppelte oder noch besser, eine dreifache Absicherung ist von Vorteil. Jeder weiß, dass Versprechungen nichts bedeuten und nach Belieben gebrochen werden. Zur vollkommenen Selbstaufgabe gehört mehr. Und zwar die Dienstleistung des Glockengeläuts und des Absegnens durch den weltlichen und sichtbaren Vertreter des unsichtbaren Beherrschers der himmlischen Liebesmacht.

Auch Viola und Werner wollten auf Nummer Sicher gehen und fanden sich nach dem Notartermin und dem standesamtlichen Ritual bei einem bei einer weltlichen Institution angestellten Großmeister der den Neigungen entsprechenden Glaubensrichtung ein. Es war ein feierlicher Vorgang, der nicht nur die Seele mit rituellen Formeln angenehm ruhigstellte. Es war auch ein Vorgang des Abschieds und den Neubeginns. Der unbeschwerte Lebensabschnitt der Unzuverlässigkeit neigte sich dem Ende zu, und der neue Lebensabschnitt der geordneten Verhältnisse sollte nun für Viola beginnen. Angenehm an diesem Anlass war, dass man zu dieser Gelegenheit den Freunden, Verwandten und Bekannten mal so richtig zeigen konnte, dass man es sich noch leisten kann, das Opferlamm schön geschmückt zur Schlachtbank zu führen.

 

Zwar bin ich nicht sehr religiös motiviert, aber ich mache mir hin und wieder so meine spirituellen Gedanken. Ich dachte an „erlöse mich von dem Übel …“, und dass Ehen angeblich im Himmel geschlossen werden, wie der Dichter sagt, wenn ihn die Muse abbusselt.

 

Blitz und Donner führen im Himmel eine ideale Ehe, auch das ist seit vielen Jahren bekannt. Dennoch drängten sich mir misstrauische Fragen förmlich auf. Eine immer noch unbeantwortete Frage bewegt mich besonders. Auf der realen Mutter Erde leiten Blitzableiter die kritische, vom Himmel kommende Energie ab. Die irdische Kirche und der allwissende Herrgott im Himmel gehören untrennbar zusammen. Aber warum haben Kirchtürme und Kirchen Blitzableiter? Trauen die dem rechtmäßigen Kirchenbesitzer, dem Schlafjackenpartner in den Wolken nicht über den Weg? Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich Viola im schneeweißen Hochzeitskleid sah.

 

Liebe und verehrte Leserin. Ich gehe davon aus, dass Sie moralisch gefestigt und im Vollbesitz Ihrer geistigen Kräfte sind. Darum möchte ich Ihnen die besonderen Ereignisse dieser ergreifenden Zeremonie nicht vorenthalten. Falls Sie so eine Feierlichkeit unmittelbar vor sich haben, sollten Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit an anderer Stelle weiterlesen. Wenn Sie so etwas lebend überstanden haben, sollten Sie mir von Ihren Erfahrungen berichten.

 

Ich war ganz dicht, sozusagen hautnah dabei. Es war ein feierlicher Moment, und ich muss zugeben, auch ich durfte erfolgreich gegen die Tränen der Rührung ankämpfen. Meine dreilagigen Papiertaschentücher gaben mir noch weniger Auslaufschutz als eine zweiflügelige Slip Einlage, und ich zerknüllte zwei Taschentücher mit tempo, und ein weiteres sotto voce, aber mit nervösen Händen.

Zwar hatte ich beim Gang in die Kirche eine kleine Heidenangst, denn das Bezweifelbare ist und bleibt das Ungewisse. Als bekennender Atheist und Frevler, der vor langer Zeit auf einer Sindelfinger Kirchenbank (siebte Reihe links) von einer Böblinger Uschi (Marion M.) einen erstklassigen Hand-Job mit nassem Mösengriff genossen hatte, bewegte ich mich sozusagen auf feindlichem Territorium. Darum hielt ich beim Betreten der heiligen Stätte zuerst einmal sehr vorsichtig einen Finger in das Weihwasserbecken - etwa so, wie man eine glasklare Flüssigkeit prüft, ob es sich um Salzsäure oder um reines Quellwasser handelt. Aber mir geschah nichts Böses. Das Kirchendach stürzte trotz meines Vorteils beim kommenden Wandel nicht ein, und ich dachte im Schritt etwas ermattet, an den Vortag und an schwingende Glocken.

Ius primae noctis  war nicht nur aus traditionell motivierten Gründen das mir zustehende Recht an meiner Freundin Viola, das ich seit Jahren auch ausgiebig in Anspruch genommen hatte. Auch in Zukunft und nach Violas entscheidendem „Ja, ich will“ wollte ich aus Gewohnheitsgründen nicht darauf verzichten. Denn wie bereits erwähnt, ist Viola meine zweitbeste Freundin und unkompliziert im Handling. Außerdem hatte ich als neutraler Berater, die feinen, die unschuldig weißen Spitzendessous mit ausgesucht und den perfekten Sitz fachmännische begutachtet.

Liebe Leserin, Sie müssen nicht schockiert sein. Ich darf das, denn ich bin Violas Vertrauer für alle Gelegenheiten. Doch etwas hatte ich nicht bedacht. Eigentlich traf mich die Hauptschuld an dem absehbaren Desaster. Denn ich hatte die Kuh geschmückt, damit ein anderer, und zwar mein bester Freund sie zur Schlachtbank führen konnte.

 

Bitte liebe Leserin, verurteilen Sie mich nicht. Ich bin nicht so mutig, dass ich eine Märtyrerin, die im festen Glauben an das Gute und Reine ihre fanatischen Taten vollbringt, von ihrer Entscheidung abbringen kann. Immerhin, und das müssen Sie mir zugutehalten, habe ich Viola zuerst mit schönen Worten, dann mit deftigen Ausdrücken, und zum Schluss durch langsames zuschnüren ihres reizvollen Korsetts zu verstehen gegeben, dass eine Heirat schon immer ein Vorgang war, der nur mit der Erwartung verknüpft wird, dass sich der Besitzstand oder die Vorteile vergrößern. Wer geht schon bewusst das Risiko ein, sich durch eine Ehe zu verschlechtern. Niemand mit klarem Verstand heiratet freiwillig, wenn dauerhafte Nachteile zu erwarten sind. Alle anderen Gründe sind nur hübsche Schleifchen auf bunter Verpackung um einen eigentlich sehr banalen Inhalt fürs latent schlechte Gewissen aufzupimpen. 

 

An dieser Stelle muss ich unwillkürlich an die alten Zeiten denken. Früher war irgendwie alles besser. Heiraten war eine rein materielle Angelegenheit, bei der handfeste Vorteile eine entscheidende Rolle gespielt haben. In den guten alten Zeiten wäre kaum jemand auf die Idee gekommen „aus Liebe“ zu heiraten. Auch wenn uns die Beschreibungen der klassischen Liebespaare aller Epochen etwas anderes weismachen wollen. Es mag ja sein, dass hin und wieder tiefe Liebesgefühle vorhanden waren. Aber letztendlich stand der brutale Vorteil im Vordergrund der Paarungsentscheidung, der dann als „Liebe“, sozusagen nachträglich geschichtsverfälscht wurde. Liebe entstand durch die Vermehrung des Besitzstandes, zum Beispiel durch die Zusammenlegung von Äckern und Höfen zweier Familien. Auch die Verbindung von Stammes- oder Fürstenhäusern war eine beliebte Variante um den Frieden zu sichern und Länder zu vereinen. Die Liebe hat sich im Laufe des Zusammenlebens dann schon irgendwo und irgendwann eingefunden. Aber solche banale Heiratsgründe sind für die klassische Literatur wenig geeignet. Schmelzende Herzen brauchen Storys, die sich am Romeo-und-Julia Prinzip orientieren, und ohne Umwege das zerebrale Gemütszentrum der weiblichen Bevölkerung paralysieren.

Aus Inspirationsgründen habe ich vor einiger Zeit in meinem Lieblingsbuch aus der einschlägigen, spirituellen Literatur geschmökert. In der Bibel kann man über den legendären König Salomon lesen, wie er klug und besonnen seinen Besitz verwaltet hat. Über 700 Ehe- und 300 Nebenfrauen wurden von kastrierten Haremswächtern bewacht.

Mohammed ist Eheangelegenheiten anders, und zwar behutsamer vorgegangen. Er wollte sich und seinen Anhängern diesen Verwaltungsaufwand nicht antun, und begrenzte die Zahl der Ehefrauen. Pro Mann waren von nun an höchstens vier Ehefrauen gestattet. Sich selbst gestand er jedoch einen etwas größeren Harem von zehn Ehefrauen und zwei Konkubinen zu, und für seinen ganz persönlichen Hausgebrauch war er auf die ganz, also die wirklich ganz jungen Mädelz spezialisiert.

Im alten China wurden den Frauen die Füße so lange bandagiert, bis sie mit ihren anmutig kleinen Füßen das Haus kaum noch verlassen konnten. Anzunehmen ist, dass Werner an das nicht gedacht hat. Bewusst war und ist ihm aber, dass eine Ehe eine Vereinbarung über eine wechselseitige Dienstleistung mit gegenseitiger Bedürfnisbefriedigungsabsicht ist. Erst mit dem gegenseitigen Versprechen, die Bedürfnisse nach dem Grad ihrer Wichtigkeit zu befriedigen, entsteht eine ungeschriebene Übereinkunft, die das zeitlich begrenzte Zusammenleben regelt.

Damit meine präzise und auf historischen Fakten begründete Beschreibung nicht zu ernüchternd klingt, wird die Ursache einer Eheschließung mit dem Begriff „Liebe“ ausgeschmückt. Oder haben Sie etwa geheiratet, weil Sie nur Nachteile aus der Verbindung zu erwarten hatten?

Bei Viola muss es reine und wahre Liebe gewesen sein, denn erst im Nachhinein entschied sich Viola für das Denken. Nicht vor ihrer Ehe, sondern in ihrer Ehe, und da war es zu spät.  

 

Mordgedanken und zwei Monate danach

 

Menschen sind nicht treu, weil sie es versprechen. Wer kann von sich behaupten, alle Versprechen einzuhalten? Wer hat noch nie gelogen? Wer hat noch nie eine Regel gebrochen? Falls es so einen Menschen gibt, schreibt mir. Besser noch, meldet euch bei einem Zoo, damit dieser Mensch als Unikum dort ausgestellt wird.

Es ist eine bittere Wahrheit: Liebes- und Treueschwüre sind nichts anderes, als Versprechen ohne werthaltige Garantien. Darum plane kein Haus auf Liebes- und Treueschwüre.

Keine Bank gibt dir darauf einen Kredit.“

 

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Bei Violas Blick musste ich spontan an Alfred Hitchcock denken, der einmal gesagt haben soll, dass sich der wahre Horror nur aus der Realität der Ehe entwickeln kann. Das fängt mit Mord an und geht über Betrug und Trunksucht bis zum Rauchen. Viola zog nervös an ihrer Zigarette, und vor ihr stand ein leeres Longdrink-Glas.

Du weißt ja, mit Werner läuft es die letzte Zeit nicht mehr so gut. Eigentlich kann ich ihn nicht mehr sehen. Ich überleg schon, ob ich den blöden Arsch nicht umbringe.“

Das reale Leben hält doch immer wieder neue Überraschungen bereit. Ich sehe Viola an und bekomme das unschuldigste Lächeln der Frauenwelt und dazu einen Blick zurück, der mir sagen soll: „Das ist doch nur so dahergeredet, das ist nicht ernst gemeint.“

Mir schießen alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Ist das nun ein besonderer Versprecher nach bewährter Freud’scher Tradition, oder ein hundsgemein-hinterhältiger Test, um zu prüfen, wie ich darauf reagiere. Versucht meine beste Freundin für alle Fälle, Grenzen zu überschreiten und weiß noch nicht, ob sie jetzt mit Vorwürfen „beschossen“, oder mit freudig ausgebreiteten Armen empfangen wird. Ich muss mich zumindest verbal etwas wehren, um nicht zum Komplizen ihrer Gedanken zu werden. Mein schwach-hilfloser Einwand: „Wie kommst du denn darauf, so etwas denkt man nicht einmal ...“, wird von Viola wie erwartet beantwortet: „Das war doch nur ein Scherz.

Ich lächle gequält. Um die makabre Situation zu entspannen, erzähle ich Viola einen Witz, den ich in einer älteren Ausgabe des Playboy gelesen habe: Nach gerade mal vier Wochen Ehe ruft die junge Braut schluchzend bei ihrer Mutter an. „Mutti, wir hatten heute unseren ersten Ehekrach.“

Die Mutter versucht die weinende Tochter zu beruhigen. „Das kommt doch in jeder guten Ehe vor.

Ja, aber ich weiß nicht, wohin mit der Leiche.“

Das herzliche Lachen steht Viola gut. Ihre weißen Zähne blitzen und die Atmosphäre an dem kleinen runden Tisch im Bellini, unserem Lieblingsbistro, ist entspannt, aber Viola spürt, dass ich nachdenklich geworden bin, denn sie spendiert mir ausnahmsweise ein kaltes Pils, was in Sindelfingen ein Bier und nicht empfehlenswert ist.

Hoffentlich denkst du jetzt nicht schlecht über mich?

Ich versuche, nichts Schlechtes über Viola zu denken, und leere mit dem wehmütigen Gedanken an ein gut gezapftes Ruhrgebietspils mein Glas.

Du weißt, dass ich so etwas niemals tun würde“ ist Violas liebenswürdige Antwort. Ihre Nasenflügel beben etwas und sie senkt wie die heilige Hildegard von Bingen demütig den Blick. Ich kenne zwar Frau von Bingen nicht persönlich, aber ich spüre es überdeutlich. Violas impulsiver Ausspruch war kein Scherz. Das war ein verbaler Testballon, um festzustellen ob und wie ich reagiere.

Ich reagiere nicht, denn ich weiß, und dazu muss man kein Wissenschaftler sein, sondern nur mal einen beliebigen Friedhof besuchen und die Inschriften auf den Grabsteinen studieren, dass  das gesundheitliche Risiko in einer Ehe nicht zu unterschätzen ist.

Verheiratete Männer gehen hohe Risiken ein. Sie sterben doppelt so oft und früher als unverheiratete Männer, wenn sie mit einer emotional unausgeglichenen Frau zusammen sind. Ehemänner von gestressten und verärgerten Ehefrauen gehen ein zweifach höheres Risiko ein, an Herzerkrankungen zu sterben als unverheiratete Männer. Verheiratete Männer sind zwar oft Nichtraucher, denn irgendwo muss ja gespart werden, dennoch sind sie tendenziell dicker, haben schlechtere Blutwerte und höhere Cholesterinwerte als Singlemänner.

Es ist eindeutig und unübersehbar: Jede Form der Ehe schadet der Figur und der Gesundheit. Leidensfähigkeit und Geduld sind die offensichtlichen Grundvoraussetzungen einer guten Ehe.

Viola kennt meine Gedanken nicht, und das ist gut so. Sie saugt an ihrem Strohhalm. Ihr Glas ist leer und das saugende Geräusch ist die unausgesprochene Aufforderung, mich zur revanchierenden Tat zu bewegen. Ich kümmere mich um frische Getränke und winke dem Kellner.

Sie schweigt, ich schweige. Der Kellner kommt, notiert und geht wieder. Wir schweigen immer noch und warten auf Getränke.

Plötzlich sprudeln die Worte, etwas zu schnell gesprochen, um die Anspannung vollkommen zu verbergen, aus ihrem Mund.

Aber wenn ich an seine alten grünen Jogginghosen denke, kommt mir das große Kotzen. Der hat sie immer bis unter die Arme hochgezogen und das Hemd reingestopft. Und jeden Abend das gleiche Ritual. Der kommt nach Hause, streichelt seinen blöden Hund, öffnet seine Post an, holt eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank, setzt sich vor den Fernseher und sagt dann endlich guten Abend. Und Sex! Ich glaube der weiß gar nicht mehr was das ist. Vielleicht treibt er es ja mit seiner Töle. Na ja eigentlich ist es ja ganz praktisch, er lässt mich in Ruhe.“

Armes Schätzchen, du hast es wirklich schwer“ ist meine mitfühlende Antwort, die ich wirkungsvoll mit etwas abgesenkter Stimme und meiner körperlichen Zuwendung verstärke. Meine Hand liegt auf ihrem Unterarm, den sie nicht wegzieht, und ich spüre die Hitze ihres Körpers und denke spontan an Frenzy von Hitchcock, den Meistermeuchler.

Trotz aller Sympathie für Violas Situation werde ich mich hüten, meine ehrliche Meinung zu sagen. Eigentlich finde ich das Verhalten von Werner ganz praktisch und durchaus akzeptabel. Ich begrüße meinen Geschirrspüler und meinen Fernseher ja auch nicht, wenn ich müde von der Maloche nach Hause komme. Denn eines ist klar, und man kann es sich nicht oft genug ins Bewusstsein zurück rufen: Die Dinger hätten ohne mich keine Existenzberechtigung und würden nutzlos in der Ecke, oder noch schlimmer beim Händler verstauben, wenn ich mich nicht jeden Tag abplagen würde, um dem Stromlieferanten mein mühsam Angeschafftes zu geben. Aber das ist wohl typisch männliches Denken, und nicht für die sensiblen Ohren meiner angebeteten Viola bestimmt.

Sag mal, du bist doch nächstes Wochenende auf diesem Seminar, brauchst du da deine Wohnung? Ich muss mal zu mir selber finden und Ruhe haben ...“ ist die Frage, die das baldige Ende unseres Zusammenseins ankündigt. Nicht das ich da etwas dagegen hätte. Ich verleihe meine Wohnung gern zur allgemeinen Nutzung für außereheliche Eskapaden. Ich freue mich auch, wenn ich nach stundenlangen, nächtlichen Spaziergängen im Regen, endlich in meine verqualmte Bude zurückkehren, und erst mal die überquellenden Aschenbecher leeren darf. Das ist eine Beschäftigung, die einem Nichtraucher wie mir besondere Freude bereitet. Vielleicht sollte ich ihr meine Wohnung mal probeweise „zum nutzbringenden sich mal selber finden“ überlassen.

 

Mir gehen edle Phantasien durch den Kopf. Vielleicht sitzt Viola stundenlang strickend, oder mit einer anderen schönen Handarbeit beschäftigt auf meinem Sofa und hängt ihren Gedanken zur spurlosen Beseitigung meines besten Freundes nach, während sie nach und nach meine Sektvorräte dezimiert. Oder sie macht mal was ganz Perverses. Ich wage ja gar nicht daran zu denken. Meine Wohnung müsste mal wieder richtig sauber gemacht werden, und auch meine Fenster. Und wenn sie in ganz abartiger Stimmung ist, dann putzt sie auch meine Küche.

Ich schließe die Augen und in meiner Phantasie sehe ich sie auf den Knien den Fußboden schruppen. Es wäre vom ästhetisch-visuellen Standpunkt betrachtet meine ganz private Rocky-Horror-Küchen-Show, oder die Emanzipation einer Sklavin aus der Unterdrückung durch einen Anderen in die Unterdrückung durch sich selbst.

Ich muss mich beherrschen, dass ich nicht zu viel sage und durch ein verräterisches Grinsen meine Phantasie von der optischen Leine lasse. Ein kurzes, verklärtes Lächeln und die Zuflucht in den Rat der Bibel müssen reichen.

Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter, wie es sich im Herrn geziemt.“

Ich lächle immer noch und Viola versteht nicht was ich ihr mit meiner Mimik sagen will, und das ist gut so.

Mit spontanen Gedankensprüngen muss ich an Katharina in Berlin denken, mit der ich gestern ausgiebig telefoniert hatte. Sie hat sich jetzt einen Putzsklaven zugelegt. Anscheinend gibt es in den spezialisierten Chatrooms im Internet eine Vielzahl williger Objekte für alle Zwecke. Mir stellt sich die Frage, die ich noch nie öffentlich zu stellen wagte: Warum gibt es nur männliche, bekennende Putzsklaven? Ich hab noch nie von Frauen gehört, die im superkurzen Lack Mini, mit Netzstrümpfen und ohne Slip devote Fußboden- und Toilettenreinigungsarbeiten durchführen. Irgendwie schade. Aber solche wichtigen Fragen werden wohl wieder als typisch männlich-chauvinistische Phantasie diffamiert, obwohl eine wissenschaftliche Untersuchung von der Mehrzahl der erwachsenen Menschheit händeringend gewünscht wird.

Liebe Leserin, vielleicht verstehen Sie nun, warum ich unter dem Druck der Ereignisse gezwungen war, mein bereits vor Jahren entwickeltes Konzept zur Neugestaltung der Ehe („EHE2100“) zu überarbeiten und in einer modernen Form zu veröffentlichen. Bitte verlassen Sie mich nicht. Lesen Sie auf den nächsten Seiten weiter. 

Philosophisches Ehekonzept („EHE2100“)

 

Gebt mir alles, macht mir eine Freude.

Nehmen ist viel schöner als Geben.“

Sina Sidonius

 

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Entweder es überzeugt, oder es überzeugt nicht.“ Dem Argument von Gabriele Pauli, der ehemaligen, leider erfolglosen und inzwischen weitgehend vergessenen Kandidatin für den CSU-Vorsitz, kann ich mich vorbehaltlos anschließen. Sie erinnern sich nicht? Sie haben keinen blassen Schimmer wer Frau Pauli ist (oder war)? Das ist die mit den schwarzen Handschuhen bis zu den Ellbogen und dem verruchten Domina-Blick. Na klingelt es im Kleinhirn? Frau Paulis vor einigen Jahren provokant vorgetragener Vorschlag, die Ehe auf sieben Jahre zu begrenzen, war zwar einleuchtend und entsprach dem Zeitgeist um das Jahr 2005 herum, doch verkrustete Strukturen in politisch-konservativen Kreisen verhinderten damals die Umsetzung. Für die erzkonservative CSU war der Vorschlag „völlig absurd“, und eine verheiratete, dafür aber stellvertretende Parteivorsitzende ließ sich zu dem Ausspruch hinreißen: „Sie (Frau Paulis Idee) ist für die CSU indiskutabel und widerspricht diametral unserem Grundgesetz.“ Diese unqualifizierte Bewertung einer durchaus diskutablen Idee konnte sich der Ehemann der Stellvertreterin nicht anschließen, denn er saß vermutlich gramgebeugt auf einer harten Holzbank im Hofbräuhaus, seinen Gedanken über einem mit gelblichem Getränk gefüllten Bierkrug nachhängend.  

Auch die Kirchen, allen voran die katholische in Bayern, waren mit klerikalem „Senf“ schnell dabei und warnten vor einem „Zerreden“ der Institution Ehe mit dem volksnahen Argument: „Niemand geht eine Ehe ein, um sich eines Tages wieder zu trennen.“ Das ist eine klare Ansage, das ist wahr und das kirchliche Wort überzeugt auch den am Hungertuch nagenden, weil geschiedenen Zweifler. Doch die Zeiten ändern sich schnell und die harte Realität überrollt die politische und religiöse Theorie.

Allerorts kann man es beobachten. Jobs sind in Gefahr und die Unternehmen bauen Stellen ab. Nur der Beruf des Standesbeamten ist krisenfest. In und vor den Kirchen drängeln sich Familien, Freunde und Bekannte, um den Brautpaaren zuzujubeln und zu gratulierten. Die Kirchenglocken läuten und im Angesicht des Herrn wird lebenslange Treue, manchmal sogar bis in den Tod geschworen. Madonna ist von Guy Ritchie geschieden, und ein teurer Streit um Geld und Immobilien ist klammheimlich weil karriereschädigend mit größeren Zahlungen begraben worden. Vor nicht allzu langer Zeit ist der Rentner Paul McCartney noch einmal mit einem millionenteuren, blauen Auge davon gekommen, und Heather Mills muss nach kurzer Ehe nie wieder in ihrem Leben arbeiten, wenn sie mit Geld umgehen kann, was nach unbestätigten Gerüchten aus High-Society-Kreisen nicht der Fall ist. Prominente Vorzeigepaare, wahllos erwähnt, mahnen zur Vorsicht, denn der erfahrene Bürger weiß schon lange, dass man auf „all you need ist love“ keine Häuser bauen kann. Vor dem Gang zum Standesamt und zur Kirche steht immer öfter das Gespräch mit dem Notar. Für das Leben „danach“ wird dem schwächeren Partner ein möglichst „wasserdichter“ Ehevertrag präsentiert, um die eigentlich undenkbare Auflösung der Verbindung fürs Leben auch rechtlich abzusichern. Ist der Grund für die vertragliche Betonierung einer Liebesangelegenheit die banale Einsicht, dass die Hälfte aller Ehen geschieden, und die zweite Hälfte früher oder später nur durch Geld und Besitz zusammen gehalten wird? Ist der heilige Stand der  Ehe zu einem Produkt von Gebrauch und Verbrauch verkommen?

Die Ehe als eine nur durch den Tod aufzulösende Institution der Liebe und vertrauensvollen Partnerschaft befindet sich im Umbruch. Während im Jahr 1960 mehr als 500.000 Paare voller Vertrauen in eine gemeinsame Zukunft den Gang zum Standesamt wagten und 44.391 Ehen scheiterten, sieht es heutzutage vollkommen anders aus. Über 380.000 Ehen wurden im letzten Jahr geschieden. Der unerbittliche Schwur, gesprochen im Angesicht des Herrn und im Bewusstsein der möglichen Folgen: „Ich will dich lieben und ehren, in guten und in bösen Tagen …“, wird schnell vergessen, wenn man mit der intelligenten Kollegin am Arbeitsplatz mehr gemeinsame Zeit verbringt, als mit der windelwechselnden Ehefrau, oder der gutverdienende Traummann mit wenigen Klicks in einer Partnerbörse im Internet wartet.

Zwar ist es für die Scheidung inzwischen irrelevant, wer wen zuerst betrogen hat, denn seit 1977 gilt in der Bundesrepublik Deutschland das Zerrüttungsprinzip. Haupttrennungsgrund ist nach wie vor die sogenannte Untreue, der Seitensprung, oder die Affäre, die zwar oft zähneknirschend und zur Sicherung des Besitzstands vorübergehend verziehen, aber nicht selten unvergessen bleibt, um sich gegenseitig die Pest an den Hals zu  wünschen.

Sie wissen es, ich weiß es, wir wissen es. Mann und Frau streben nun mal nach Neuem und Menschen sind nur in seltenen Fällen monogam veranlagt. Der (Liebes-)Traum vom untrennbaren Zusammenhalt in guten und in schlechten Zeiten scheint nur noch eine schillernde Seifenblase, und der Ehe-Albtraum die Realität zu sein. Zweitausend Jahre griesgrämige Gängelei und klerikale Vorschriften sind zu viel. Die Institution Ehe befindet sich auf der Vorstufe zum Chaos. Fast scheint es so, als ob die Institution Ehe nur noch für Träumer und Idealisten eine erstrebende Lebensform ist. Für die Ausgeschlafenen ist es offensichtlich: Die angebotenen, traditionellen Leistungen entsprechen nicht mehr den Erwartungen. Oder anders, etwas nüchterner ausgedrückt: Die Investitionen entsprechen nicht mehr den dauerhaften Erträgen.

Die vor Jahrzehnten noch unverrückbar erscheinenden Lebenszyklen - Geburt, Jugendjahre, beim weiblichen Lebewesen die Entwicklung vom Fräulein zur Frau, beim Jungmann nach der Zeit des fröhlichen „Hörner Abstoßens“ die Metamorphose zum gestandenen Mann, mündeten zwangsläufig in der Heirat, dem sicheren Ehehafen auf Lebenszeit. Früher bedeute der Entschluss zum Bund fürs Leben für die Frau den frühen Übergang von der Mutter in den geachteten Stand der Witwe, und beim Mann vom schwer malochenden Ernährer zum baldigen Tod. Sie glauben das nicht? Dann schauen Sie sich auf den Straßen um. Alleinstehende, ältere Damen mit Gehhilfen sind in der Überzahl.

Früher, als verheiratet sein für das Fräulein eher mehr, und für den Jungmann weniger, noch das einzige erstrebenswerte Lebensziel war, gab es einleuchtende Gründe für eine Heirat. Nur der Mann konnte ein Interesse daran haben, dass „seine“ Frau, also die Frau auf die er durch seinen eingeschränkten Aktions- und Bewegungsradius Zugriff hatte, sich ausschließlich mit ihm paare, damit er sich sicher sein konnte, dass der Nachwuchs auch von ihm ist.

Für die mit ebenfalls eingeschränktem Aktionsradius gehandikapte Frau gab es nur einen harten, ökonomischen Grund für eine Bindung. Sie musste ihm „treu“ sein, wenn sie von ihm ernährt werden wollte. Das Ergebnis war ein Konstrukt, das unter dem Begriff „Ehe“ mit dem idealisierten Überbegriff „Liebe“ legitimiert wurde, weil „Nutzen“ damals und auch heutzutage zu ernüchternd klingt. Angeblich waren in den fünfziger Jahre bis zu 40 Prozent der jungen Ehefrauen beim Gang zum Standesamt und zur Kirche in gesegneten Umständen. Ich denke, dass es sich um ein Märchen aus grauer Vorzeit handelt, denn der Vollzug des Liebesakts war damals ja nur in der Ehe erlaubt, und wer durch Willkür die Weckung neuen Lebens verhinderte, verstieß gegen das Gesetz Gottes und der Natur, und die solches tun beflecken bekanntlich ihr Gewissen mit schwerer Schuld – behaupteten damals viele Kirchenvertreter.

Knaus-Ognio war von den Kirchen auch nicht gern gesehen, außerdem mangels Aufklärung über die korrekte Anwendung ziemlich riskant. Kondome gab es beim Friseur oder mussten über Chiffre-Anzeigen bestellt werden. Die junge Beate (Beischlaf) Uhse war noch mit einem Vertreterköfferchen unterwegs um fachkundig selbst Hand anzulegen.

Der Anspruch, dass Frau gezwungenermaßen unter- und ausgehalten werden muss, und nur auf Nutzen und Vorteil durch die Ehe aus ist, ist widerlegt und nicht mehr zeitgemäß. Die Frauen können aufatmen, und der Mann beruhigt seine Wahl treffen. Unwiederbringlich vorbei sind die unseligen Zeiten, in denen Frauen, vom männlichen Einkommen abhängig, eine Ehe lebenslang ertragen mussten. In einer modernen, gleichberechtigten Gesellschaft, können Frauen und Männer jeden Beruf ergreifen. Männer dürfen sich endlich ihrer Verantwortung als Hausmann besinnen, während ihre selbstständigen Frauen sich um sichere und gut bezahlte Jobs im Straßen-, Hoch- oder Tiefbau, oder bei der Stadtreinigung reißen, um ordentlich Geld für den Unterhalt und das Wachsen des kleinen, sehr erfolgreichen Familienunternehmens zu verdienen.

Doch ohne ein gesetzlich verankertes, vollkommen neues Ehemodell wird der unerbittliche Schwur im Angesicht des Stellvertreters des Allmächtigen: „Ich will dich lieben und ehren, in guten und in bösen Tagen, bis der Tod uns scheidet...“ zur nostalgischen Makulatur in einer schnelllebigen Zeit, die von brutalem Nutzen mit gleichzeitigem und Ge- und Verbrauch bestimmt wird.

Nicht nur die überholte Verpflichtung zur Liebe und Verehrung bis in den Tod, lässt das Modell der konventionellen (monogamen) Ehe zum Ladenhüter verkommen. Wenn die Ehe, wie ein berühmter Schauspieler einmal sagte: „Der garantierte Tod jeder schönen Beziehung ist“, sind es trostlose Aussichten für zukünftige Generationen. Aber ich bin mir sicher, dass die dramatischen, gesellschaftlichen Veränderungen auch eine belebende Wirkung auf unsere angeschlagene Wirtschaft haben müssen.

Sie glauben mir das nicht? Es ist doch logisch: Durch kürzere Ehezyklen werden sich mittelfristig die Umsätze der Anbieter von recyclebaren Verlobungs- und Eheringen, wiederverwendbaren Brautausstattungen, Lebensversicherungsgesellschaften und Eheberatungsunternehmen nachdrücklich erhöhen.

Mein Insider-Tipp: Konsequent in Branchen investieren, die mit den menschlichen Leidenschaften zu tun haben. Auch lukrative Geschäftsideen und ganze Wirtschaftszweige können aus diesem Trend entstehen. Ein mobiler Beratungsdienst von qualifizierten Scheidungsspezialisten, oder Beerdigungsunternehmen mit Spezialisierung auf schnelle Einäscherung vor den Standesämtern etabliert, erscheinen mir als zukunftsweisende Geschäftsideen.

Doch kommen wir zurück zur Politik. Tatsache ist, dass Frau Paulis Idee so neu nicht ist, weil schamlos von mir und meinem urheberrechtlich geschützten Grundkonzept abgekupfert. Schon vor einigen Jahren, und zwar vor Frau Paulis Wahlpolemik habe ich in mühevoller Arbeit ein ausgereiftes und gerechtes Ehesystem für das dritte Jahrtausend entwickelt. Dies vorausgeschickt, denke ich, dass es an der Zeit ist, hier und jetzt mein revolutionäres Gedankengut einer breiten, aufgeschlossenen Bevölkerung nahe zu bringen.

 

Der Kernsatz meiner Erfindung ist, wie bei allen großen Schöpfungen, überraschend einfach. Er lautet: „Funktionierende Ehen müssen sich am Lebensalter orientieren, und nicht die Menschen an den Ehen.“ Dieser revolutionäre Satz steht nicht in der Bibel, sondern ist von mir. Darum bin ich mir sicher, dass meine sensationelle Entdeckung geradezu bahnbrechende Auswirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung haben wird.

Ich weiß, Sie sind aus begreiflicher Not heraus neugierig und möchten erfahren, wie man meine These in der harten Beziehungsrealität umsetzen kann. Vielleicht stellen Sie sich auch die Frage, ob meine bahnbrechende Entdeckung den Alltagstest dauerhaft bestehen wird? Ich kann Sie beruhigen, ich habe, wie es sich für ein Qualitätsprodukt gehört, eine ausführliche Bedienungsanleitung entwickelt. Ich stelle Ihnen jetzt eine faszinierende, nein eine phänomenalen Geschäftsidee vor. Hoffentlich vergesse ich nicht, gleich morgen früh einen Kosten-Nutzen Plan zu erstellen und meine Haus- und Privatbank um ein größeres Investitionsdarlehen zwecks baldiger Markteinführung und Verbreitung anzugehen.

 

In der ersten Stufe sollten Männer im Alter bis Dreißig, ausschließlich zehn Jahre ältere Frauen heiraten. Das hat für Frau und Mann gleichermaßen existenzielle Vorteile. Die ältere Frau kann den jüngeren Mann mit ihrer Erfahrung vor vielen Alltagsgefahren beschützen, und ihm für seinen Karrierestart die notwendige Motivation geben. Das erfordert für die Frau keine besondere Umstellung ihres Gefühlslebens, denn der weibliche Drang zum jungen Mann ist genetisch bedingt und bricht in diesem Alter besonders stark durch. Man kann es in bekannten Urlaubsorten, zum Beispiel auf Jamaica, oder in der Dominikanischen Republik anschaulich beobachten. Hier ist der Rat meines vor Jahrzehnten verstorbenen Großvaters angebracht, der mir, dem damaligen Jungmann Folgendes ans Herz gelegt hat: „Junge, denk immer dran. Auf alten Gäulen lernt man reiten, und alte Hütten brennen schnell und heiß.“ Auch heutzutage ist dieses Phänomen im Verkehr anschaulich zu beobachten. Der junge Fahranfänger bekommt eine zwar verkehrssichere, aber nicht mehr ganz taufrische Rostschüssel zum üben. Später, wenn er erfahren und ein guter Fahrer geworden ist, kann er sich ein schickes Sportmodell leisten.

Damit die Kosten und der Nutzen für Frau und Mann in einem ausgeglichenen Verhältnis zueinander stehen, bekommt die ältere Frau die ästhetischen Reize des jüngeren Mannes, sozusagen kostenlos und frei Haus. Auch die Gefühle sollen nicht zu kurz kommen, sollten aber durch behutsame Anleitung in die richtige Richtung gelenkt werden. Warnen möchte ich den jüngeren, männlichen Partner. Da er altersbedingt moralisch noch nicht gefestigt ist, besteht die Gefahr, dass er auf illegale Ideen kommt. Um die Verbindung zu festigen, ist das gegenseitige Versprechen auf unendliche Liebe für zehn Jahre, und das Verbot der Lust auf fremde Haut notwendig. Es ist in dieser Lebensphase noch nicht schwer, aus der Not der jugendlichen Treue eine moralische Tugend zu machen. Sofern die Medien aufklärerisch tätig werden, kann man davon ausgehen, dass der jüngere Partner noch an seine Ideale glaubt und sich an den Treuschwur hält, was der älteren Frau sicher entgegen kommt.

Um die Ehe in dem von mir mit „Phase 1“ bezeichneten Zeitraum auf feste, rechtliche Grundmauern zu stellen, müssen auch die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden.

Verantwortungsbewusste Standesbeamte werden auf einen rechtsgültigen Ehevertrag mit unwiderruflichen Aufhebungs- und Ausgleichsklauseln bestehen. Eine verbindliche Vereinbarung, dass am Ende des neunundzwanzigsten Jahres des Mannes die Ehe endet, und das gemeinsame Vermögen gerecht geteilt wird, damit dem Mann sein gewohnter Lebensstandard erhalten bleibt, gehört somit in jeden seriösen Ehevertrag.

Die zweite Phase meines Ehemodells beginnt im Mannesalter von Dreißig bis Vierzig. Es ist unumgänglich, dass der jetzt geschiedene Mann eine intelligente, gleichaltrige Frau heiratet, die seinen Geist inspiriert und ihn vorwärts bringt. Auch hier müssen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit sich die Frau in dieser für sie schwieriger werdenden Lebensphase nur mit einem gleichaltrigen Mann verbindet. Mir ist bewusst, dass der Gesetzgeber die Vorteile sieht und die notwendigen Gesetze noch in dieser Legislaturperiode ohne größeres, parteipolitisches Gezänk verabschiedet wird.

Mann und Frau haben in dieser Lebensphase die besten Voraussetzungen, um ihre Lebensziele zu erreichen. Die Partner können sich zwar auf lebenslange Treue einigen, und die Umsetzung des Partnerschaftsmodells auch versuchen, aber es sollten hin und wieder gut versteckte Ausbruchsversuche, zum Beispiel wenn die Gelegenheiten günstig und das Risiko der Entdeckung gering ist, toleriert werden. Damit wird ein hoher Bindungsgrad, in Verbindung mit einem geringen Freiheitsdrang erreicht.

Am Ende des neununddreißigsten Lebensjahrs des Mannes sollte auch diese Ehe aufgelöst werden, denn für die Frau ab Vierzig beginnt jetzt die Phase von Sein und Sinn. Sie könnte die Rolle der geschlechtslosen Freundin und Beraterin des Mannes übernehmen. Man könnte zum Beispiel auch vertraglich vereinbaren, dass für sie und ihren Lebensunterhalt gesorgt ist. Denkbar, aber nicht realistisch ist, dass sie als Beraterin die Verantwortung für das gemeinsame Vermögen übernimmt, aber sinnvoll wäre die Verantwortlichkeit für den Haushalt und die Erziehung der gemeinsamen Kinder. Das hätte viele Vorteile, denn die Frau ab Vierzig könnte sich jetzt voll und ganz ihren Hobbys widmen.

Vielleicht wird sie die Muse küssen und skurril verschwurpelte Gedichte abfassen und im Internet die Allgemeinheit damit pesten, oder wie meine liebe Freundin Sara Maria als Schriftstellerin dilettieren und als Traumfängerin irgendwo zwischen den Welten wandeln.

Die juristischen und steuerlichen Details sind noch zu klären, aber ich gehe davon aus, dass sich Heerscharen von Juristen wie ausgehungerte Löwen, die monatelang nur von Salatblättern ernährt wurden auf die Materie stürzen. Der Tipp mit den Löwen ist übrigens nicht von mir, sondern nach meiner Erinnerung von Asterix und Obelix, aus: „Asterix und Obelix als Gladiatoren.“ Veröffentlicht im EHAPA Verlag Stuttgart.

Ab dem vierzigsten Lebensjahr des Mannes beginnt Phase 3. Für den Mann muss es zur gesellschaftlich akzeptierten Pflicht werden, eine junge Frau zu heiraten, die höchstens fünfundzwanzig Jahre alt sein darf. Das hat für den Mann den Vorteil, dass die jüngere Frau für die allfälligen Alltagstätigkeiten im Haus noch formbar ist, und dazu den optischen Ansprüchen seines gehobenen Lebensstils genügt. Wissenschaftlich erwiesen ist, dass in diesem Alter junge Frauen noch anschmiegsam sind. Ich zitiere: „Sie wollen sich ganz in den Schutz der Herrlichkeit des älteren Mannes geben, sich darin geborgen fühlen dürfen. Dagegen ist das Wesen des Mannes von vielen Stunden konzentrierter Arbeit, schöpferischen Denkens und wissensdurstigem Forschen erfüllt.“

An dieser Stelle möchte dich den Urhebern dieser Erkenntnisse, Herrn Karlheinz Graudenz und Frau Erica Pappritz danken und das wertvolle Buch „Etikette neu“ der gleichnamigen Autoren empfehlen.

Trotz einleuchtender Vorteile sind einige altersbedingte Vorsichtsmaßnahmen erforderlich. Der Mann muss strikt darauf achten, dass die geistigen Fähigkeiten seiner jungen Frau, also von einem niedrigen Level ausgehend, entwicklungsfähig bleiben. Außerdem muss er verpflichtet werden, seine Lebenserfahrung an seine junge Frau weiterzugeben. Dazu gehört unter anderem die konsequente Einhaltung moralischer Regeln, denn sonst läuft er Gefahr, dass die junge Frau sein enthusiastisches Engagement ausnützt.

Mit dem vierundsechzigsten Lebensjahr des Mannes muss auch diese Ehe unwiderruflich enden.

Männer und Frauen sollten ihr fünfundsechzigstes Lebensjahr mit einem großen Fest dem Anlass entsprechend feiern. Ab diesem Lebensjahr, im letzten Lebensdrittel, sollten sich nur gleichaltrige Frauen und Männer zusammen tun. Aber eine Heirat nach klassischem Vorbild sollte gesetzlich untersagt sein.

Ich weiß, die Rentenversicherungsträger befinden sich in einer schweren, finanziellen Krise. Aber darauf kann meine Erfindung keine Rücksicht nehmen. Darum empfehle ich für eine Verbindung ab dem fünfundsechzigsten Lebensjahr eine Gesellschaftsform, wie sie auch in der freien Wirtschaft bekannt ist. Denkbar ist die Rechtsform einer GmbH (Gehst-du-mit-bist-du-Hin) mit einem beliebigen Partner, die bis zum biologischen Ende halten soll. Ausnahmegenehmigungen in begründeten Fällen und nach Vorlage eines Attestes sollten für vitale Männer möglich sein.

Weitere Informationen zu diesem Thema versende ich an ernsthaft Interessierte gegen eine Vorab-Schutzgebühr in Höhe von 65,19 Euro zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Falls Sie mit meiner bahnbrechenden Erfindung nicht einverstanden sind, oder das Bedürfnis verspüren, mich als realitätsfernes Macho- oder Chauvi-Schwein zu beschimpfen, muss ich jegliche Anfeindung empört zurückweisen. Die Anregung zu diesem Text bekam ich von den Herren Lenin, Aristoteles und Friedrich Nietzsche. Das Originalzitat des Letzteren (Auszug) lautet: „Die Ehe ist für die zwanziger Jahre ein nöthiges, für die dreißiger ein nützliches, aber nicht nöthiges Institut: für das spätere Leben wird sie oft schädlich und fördert die geistige Rückbildung des Mannes.“ Für Beschimpfungen wenden Sie sich vorzugsweise an Herrn Nietzsche. Aber ich möchte Sie warnen: Möchten Sie sich wirklich mit einem der ganz großen, deutschen Philosophen und Denker anlegen?

Eindeutige Erkenntnisse

  

In Pompeji und Herkulaneum fand man bei Ausgrabungen in die Mauern eingeritzte Sprüche wie diesen: „Hier entsinne ich mich, ein Mädel gevögelt zu haben. Nicht verrat ich´s der Gattin, wenn sie vor Neugier auch platzt!

 

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Ich hätte mein Ehekonzept vorher kennen müssen, aber Weisheit entsteht nun mal aus Erfahrung. Mein Konzept „EHE2100“ konnte ich nur entwickeln, weil mein Schicksal eng damit verknüpft ist. Es ist wie mit dem Buch der Bücher. Ohne an ein Holzkreuz genagelten Mann, wäre die Bibel nur halb so spannend.

Es gibt eine goldene Regel in der Kriminalistik. Sie lautet: „Es gibt keine Regel.“ Aber es gibt auch einen weitgehend unbekannten Zusatz zur Darwin’schen Evolutionstheorie, den ich dir mein Freund verraten möchte. „Nur wer wirklich gut ist, überlebt.“ Das bedeutet, der Clevere wird nicht erwischt und die Durchfallquote ist hoch, und daran hätte ich denken sollen.

Damals, in meinen jugendlich-revolutionären Sturm und Drangzeiten war es mir eine Berufung. Die gesellschaftsverändernde Forderung „macht kaputt, was euch kaputt macht“, war meine  Losung für einen revolutionären Neuanfang. Aber die Wege des Schicksals sind unergründlich und die ohne nachzudenken gerufenen Sätze aus meinen aufrührerischen Jugendtagen sollten jetzt endlich in Erfüllung gehen. Der berühmte Zufall hieb mir mit voller Wucht seine Faust in die Fresse, und beim Stolpern bin ich voll auf meine vorlaute Schnauze gefallen.

Mein Freund, ich bitte dich flehentlich: Falls du dich jemals in so einer prickelnden Situation wie in diesem Buch beschrieben befindest, dann achte auf jede Kleinigkeit. Verlege niemals deine Brille zusammen mit deinem Verstand. Es sind nicht die großen Besonderheiten, es ist der winzige Stein der ein kunstvoll erstelltes Gebäude zum Einsturz bringen kann. Darum höre, lese und merke dir gut: „Bleib in jeder Sekunde das Tages achtsam wie ein Luchs vor dem Überqueren einer Autobahn. Auch wenn du denkst, dass du alles perfekt organisiert hast. In den kurzen Momenten der Zerstreutheit lauern die größten Gefahren. Zwar ist die Technik heutzutage etwas weiter, aber vertrau niemals einem Fotohändler, oder Jemandem der dir ein Stück Papier als Quittung gibt. Es gibt gewissenlose Gesellen, die ohne nachzufragen fertig entwickelte Fotos an ihnen fremde Menschen herausgeben, die einen Abholbeleg vorlegen. Ohne sich gewissenhaft zu informieren, ob die Abholende auch dazu berechtigt ist. Ich kann dir nur raten: Geh fremd, entferne sofort deine Spiegelreflexkamera, falls du so etwas noch besitzt. Wirf das untaugliche Teufelsgerät in den nächsten Müllcontainer und kauf dir umgehend ein digitales Fotogerät mit ausreichendem Speicherplatz. Aber achte darauf, dass das Gerät gut und sicher verwahrt ist.“

In meinem Fall war es kein Stein, sondern dummerweise ein von mir verwechselter Abholbeleg für die Fotos vom letzten Geburtstag der Familie. Nun weiß ich, dass Fotos nur noch sehr selten beim Fotohändler abgeholt werden müssen. Daran kannst du erkennen, dass meine Erlebnisse mit Sina schon einige Jahre zurück liegen. Doch das soll dich nicht irritieren, denn ausgerechnet mir, dem pseudokonformen Bewahrer des Unantastbaren ist es passiert. Jahrzehntelang hatte ich mich für die Umwelt engagiert. Ich habe grüne Bäume geschützt wo ich nur konnte und jeden wuchernden Busch mit den Augen des Kenners betrachtet. Greenpeace besaß mein volles Vertrauen. Jeder vollschlanke Wal, der nachts und im Regen verloren am Straßenrand herumstand, bekam von mir fünfzig Euro, damit sie sich was Warmes zum Essen und was Anständiges zum Anziehen kaufen konnte. Ich bin brav und politisch voll korrekt mit der mir umgehängten Strohtasche zum Einkaufen in den Bioladen und auf den Gemüsemarkt marschiert, obwohl mir nach leckerem Frischfleisch zumute war. Keinen bösen Gedanken hatte ich beim Aussuchen von Gurken, Feigen und anderem Obst. Ich habe mich mit meinem schmerzhaft gefüllten Beutel abgeschleppt. Immer mit dem Glauben an das Jute und die Kraft der Natur, die es zu schützen galt. Mein Herz war voller Liebe und schon morgens sang ich mit froher Stimme: „Wo wir uns finden, wohl unter Linden.“ Aber nicht Einer hatte mich davor gewarnt, dass grüne Wälder und pure Natur gefährlich sein können. Darum hör auf meinen Rat: Begib dich nicht in Gefahr. Falls es dich danach gelüstet, deinem Dachs mal die Natur zu zeigen, meide unter allen Umständen sonnige Waldlichtungen und bleib mit beiden Beinen auf den befestigten Wegen. Und falls du ganz sicher gehen möchtest, dann verlasse niemals die asphaltierte Bahn deiner Verpflichtungen. Die Leitplanken sind Regeln, die dich vor den Gefahren eines Ausbruchs bewahren. Wenn du meinen Rat befolgst, kann dir eigentlich nichts Schlimmes passieren.

Du hast die sprichwörtliche „Schnauze“ voll, von meinen gutgemeinten Ratschlägen und möchtest endlich mehr von der wundervollen Sina und von mir erfahren? Schittebön, dir kann geholfen werden.

 

Bei mir hat sich alles anders entwickelt, denn ich hatte keinen Freund, der mir mit Rat und Hilfe zur Seite stand. Niemand war da um mich, den sinnenfrohen Naturfreak zu schützen.

Ich soll nicht so dumm rum reden sondern endlich erzählen was geschehen ist?

Ja mein Freund, es ist bedauerlich und die Grünen, aber auch das Bündnis 90 werden es nicht gern hören wollen. Ich bin über eine geballte Überdosis Natur gestolpert.

In meinem Fall brachten wunderschöne Naturaufnahmen, besonders die herrlichen Detailaufnahmen auf der kleinen, verschwiegenen Waldlichtung, etwas abseits am Hölzer See, dort wo die Bäume beginnen und das Schilfrohr endet, mein kunstvoll aufgebautes Zwei-Frauen-ein-Mann-Beziehungsgebäude mit lautem Krachen zum Einsturz. Meine Ehefrau konnte die wunderschönen Detailaufnahmen der ihr zwei fremden und sehr nackten Frauen und des unbekannten Herrn im hellen Waldlicht als eindeutig ihr nicht zugehörige, aber dafür nach näherer Untersuchung der vielen Bilder als meine Körperteile und meinen nackten Arsch identifizieren. Denn sie war nicht gepierced und Sina in meinen Armen eindeutig die scharfe Herrin der Silberringe, die sie aber nicht an den Fingern trug.

Du bist verwirrt?

Das Rätsel werde ich für dich sofort entwirren. Die Geschichte mit Sina war die immer gleiche, banale Geschichte, die auch Johann Wolfgang von Goethe schon selbst erlebt, und in seinem Faust II, im ersten Akt beschrieben hat: „Welches Fest ich auch ersann, ward umsonst begangen; Pfänderspiel und dritter Mann, wollten nicht verfangen.“

Es ist nun mal unabänderliche Tatsache. Mit einer leidenschaftlichen Geliebten probiert man das aus, was man sich im trauten Heim nicht traut und auch niemals bekommt, weil man es nicht macht. Ja, ich gebe es zu. Meine Sina war nicht abgeneigt, sich mit frivolen Paaren zur Freizeitgestaltung zu treffen, und ich habe sie nicht daran gehindert, sondern auch ausgiebig mitgemacht. Denn mein Anrecht auf Orgien wurde in meiner Ehe nicht nur brutal unterdrückt, sondern war auch unerwünscht.

Meine verzweifelten Beteuerungen „Schatz, ich weiß wirklich nicht, wie die Fotos entstanden sind“ waren nur noch aussichtslose Floskeln. Von den Vieren war ich als Einziger deutlich zu erkennen.

Im Nachhinein ist man immer schlauer. Ich hätte Sabine und Dieter noch deutlicher sagen sollen, dass ich beim fröhlichen Outdoor-Treiben nicht abgelichtet werden will.

Auch mein beschwörendes Flehen „Schatz, es ist nicht so wie es aussieht. Das muss eine Verwechslung sein“ war vergebens. Zwar gibt es für den Täter unzählige Wege und Verstecke, aber ich hatte die Hoffnung auf ebenso viele Möglichkeiten der Rettung aus meiner misslichen Situation. Aber es war eine trügerische Hoffnung. Eine sofortige, hochnotpeinliche Hausdurchsuchung meiner intimsten Privatsphäre brachte noch weitere Beweisstücke ans Tageslicht, und in Sekundenbruchteilen entstand eine nicht mehr zu stoppende Kettenreaktion die mich wie eine grausame Lawine überrollte. Angesichts der Beweislage hatte ich jedes Recht auf eine faire und wortreiche Verteidigung verwirkt. Meine Ehefrau bestand als Hintergangene auf ihre Anrechte und auf eine kunterbunte Mischung von Rache-, Schmerz- und Enttäuschungsgefühlen, und ich, der gewissenlose Frevler war der Furie wehrlos ausgeliefert.

Vielleicht fragst du dich jetzt besorgt: „Wie konnte so etwas nur passieren? War deine häusliche Vollzugsanstalt nicht sicher genug? Hattest du es nicht warm, trocken und gemütlich?

Die Frage: „Wie konnte ausgerechnet mir so etwas nur passieren?“ habe ich mir im Nachhinein auch immer wieder gestellt. Damit meine ich nicht die vorhersehbare Katastrophe am Schluss der Episode mit Sina. Die war als zwingend eintreffendes Ereignis abzusehen. Jede Geschichte hat eine Ursache, einen Anfang, ein Mittelteil und immer ein vorbestimmtes Ende. Im Nachhinein hat mich viel mehr die Frage bewegt, was für Ursachen zum Zusammentreffen zweier Menschen führt? Diese wichtige Frage kann ich dir heute beantworten. Die Ursache ist der „richtige Augenblick“, der dann erreicht ist, wenn die Schmerzen und Leiden am größten sind. Dann gibt es nur noch einen Gedanken: „Ich will meinen unerträglichen Zustand sofort ändern.“

Wenn du dich in diesem Zustand befindest, musst du nur noch gleichermaßen Betroffene finden, und das ist nicht sehr schwer. Leidende erkennen sich, oft über hunderte von Kilometern hinweg, denn es gibt ja das Internet. Auch bei mir musste einfach passieren, ich konnte mich nicht dagegen wehren. Damals war Sina die wirksamste Droge aller verfügbaren Mittel um mich von meinen Beschwerden zu befreien.

Etwas habe ich daraus gelernt: Man sollte das Leben nicht nach der Länge der Tage bewerten, sondern nach der Zahl der Ereignisse. Nur aus Erfahrungen werden geachtete Experten gemacht. Die Feiglinge und Versager bleiben brav zuhause hocken und fügen sich ihrem Schicksal. Oder wie ein leider inzwischen verstorbener Großonkel vor langer Zeit einmal zu seinem frankophilen Enkel sagte: „Sohn“, dann schwieg er einen Moment wie abwesend im Geiste. „Das letzte Mal, wo ich einer Frau vertraut habe, das war in Paris im Jahr 1940. Sie sagte, sie wollte nur schnell mal ´ne Flasche Wein holen gehen. Und zwei Stunden später sind die Deutschen in Frankreich einmarschiert.

Dann saugte er mit einem schmatzenden Geräusch an seiner Pfeife und ich glaube mich zu erinnern, ein Tränchen, aber nur ein winziges, in seinen alten Auge gesehen zu haben. Nach einigen Minuten nachdenklicher Stille folgten kluge Worte eines langen Daseins, die ich dir nicht vorenthalten möchte: „Aber am Ende bedauerst du jeden Schuss den du nicht abgefeuert hast.“

Danach verfiel er in Schweigen und sprach bis zu seinem Lebensende nie wieder ein Wort. Solche unvergesslichen Leitsätze erfahrener Menschen haben den zukünftigen Lebensweg eines sensiblen jungen Mannes geprägt.

 

Die Schlussszene meiner Ehe und meiner großen Liebe möchte ich dir nicht vorenthalten. Sie ist wichtig, damit du, falls du in eine ähnliche Situation gerätst, nicht in tiefe Hoffnungslosigkeit verfällst. Im nächsten Kapitel erfährst du, wie es mir weiter ergangen ist.

Rettungsversuche

 

Aufhören wirst du zu fürchten, wenn du aufhörst zu hoffen, denn der Hoffnung folgt die Angst. Beides ist das Merkmal eines abhängigen, beides eines in Erwartung der Zukunft beunruhigten Gemütes. Das liegt hauptsächlich daran, dass wir uns nicht auf die Gegenwart einstellen, sondern die Gedanken in weite Ferne vorauseilen lassen...

Die Erinnerung bringt die Qual der Angst zurück, die Voraussicht nimmt sie vorweg; niemand ist nur wegen der Gegenwart unglücklich!

Seneca, 5.Brief

 

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Während der stressreichen Monate, in denen ich alles mir mögliche und auch den Versuch unternahm, Unmögliches möglich zu machen, nur um meine geleibte Ehefrau zu besänftigen und um meine Ehe zu retten, hatte ich naturgemäß wenig Zeit für Sina, und noch weniger liquide Mittel. Zwar bestand noch Hoffnung auf einen guten Ausgang, aber letztendlich befand mich in einer vergleichbaren Situation wie Varus in der Schlacht im düsteren Wald. In meiner bedingungslosen Kapitulationserklärung war weder Platz und noch weniger Kapital für zwei Frauen vorgesehen. Es war vorbei und gegessen. Die gut getarnten Feinde im dichten Gestrüpp der Absichten und Ziele verhinderten meinen Durchblick.

Dieser Zustand ist an sich nichts Besonderes. Jeder der sich schon mal in so einer Situation wiedergefunden hat weiß, dass unter strengster Bewachung der Bewegungs- und Investitionsradius ziemlich eingeschränkt ist. Mir ging es nicht anders. Ich stand unter strikter Observanz mit der Pflicht zur absoluten Befolgung der mir vorgegebenen Regeln, garniert mit meiner bedingungslosen Unterwerfung. Die gemeinsame Haushaltskasse wurde argwöhnisch rückwärts und aktuell kontrolliert und das Tageszeitkonto lückenlos überwacht, während das tränengeschmückte Vorwurfskonto Strapazen bis zur Schmerzgrenze erdulden musste.

Ich gab mich als perfekter Büßer. Mein vollkommenes Wohlverhalten war mit dem kompletten, mir zu Verfügung stehendem Verwöhn-Aroma, beginnend bei Amsterdam (Blumen aus) bis Zerknirschung (absolute) garniert. Dazu kam mein tiefes und aufrichtiges Bereuen mit dem vollkommen unwirksamen Versprechen, es niemals-niemals-niemals wieder zu tun. In dieser Situation hätte mich jeder Blumenhändler adoptiert und sofort sein Geschäft durch einen größeren Anbau erweitert.

Vielleicht interessiert es dich, was aus meiner sechzehnjährigen Ehe und meiner über alles geliebten Ehefrau geworden ist? Meine kurze Wohlverhaltensperiode hatte nichts bewirkt. Die seelischen Schmerzen, die ich ihr durch meine Affäre zugefügt hatte waren zu groß. Sie wollte Gerechtigkeit für sich und meinen Kopf, aufgespießt auf einer Stange und ausgestellt in der Donnerkuppel der hintergangenen Ehefrauen.

Ich wollte es verdrängen, weil mir mein Glaube an das Gute im Menschen Halt gab. Immerhin steht schon in der Bibel geschrieben, dass man dem Sünder verzeihen soll. Aber es war offensichtlich. Sie beabsichtigte, über meinem auf einem Silbertablett liegenden, bluttriefenden Haupt, mit hochgezogenem Rock einen ausschweifenden Tanz zu Ehren von Nemesis aufzuführen, um dann meinen gespaltenen Schädel an ihrem Frauenstammtisch, auf dem Affenfelsen der hintergangenen Frauen, zur Begutachtung im Kreis herum gehen zu lassen.

Was sollte ich tun? Ich war nicht mehr ihr Lebensinhalt. Ich war das arme Würstchen im eigenen Darm, das zwar mutig die Tat, eigentlich Taten in Serie begangen, und damit avantgardistische Größe gezeigt hatte, aber nur noch ausgezutzelt am Tellerrand liegen zu bleiben hatte.

Zwar hatte ich nach meiner Meinung meine Missetaten ausgiebig bereut um mich von schweren Gewissenslasten zu befreien. Aber meine Ehefrau wollte mir nur noch vor die Füße kotzen. Ich war und blieb der Sündenbock für die Summe aller jemals erlittenen Verfehlungen, Demütigungen, Ungerechtigkeiten und der alleinige Verursacher aller ehelichen Missstände, stellvertretend für alle Männer, die ja bekanntlich nur schlachtreife Schweine sind. Alles was wir in der Vergangenheit gemeinsam erreicht und geschaffen hatten, verlor dramatisch seinen Wert und verkehrte sich ins Gegenteil.

Das klingt schrecklich, aber du musst dich nicht fürchten. Wenn du das alles vermeiden willst, bleib brav, bezahle deine Hypotheken und setze dir ein Ziel - deine Rente. Dann kann dir nichts passieren. Wenn es dir doch passiert, denk an mich.

Mit dem schönen Satz: „Es tut mir so leid, ich wusste nicht was ich tat“ lässt sich zum Beispiel ein Mord einigermaßen entschuldigen, und man geht über die leidige Angelegenheit nach Aussprechen einer den Verhältnissen angemessenen Strafe, wenn es günstig läuft nach der Bewährungszeit, wenn du Pech hast, nach fünf bis sieben Jahren, wieder zur Tagesordnung über. Bei einer aufgeflogenen Affäre wirkt es nicht. Meine düpierte Frau wollte einfach nicht einsehen, dass die Ereignisse ohne ihre Mitschuld niemals geschehen wären. Sie wollte Gerechtigkeit - ihre Gerechtigkeit und nicht das was ich darunter verstand.

Aber mir blieb noch ein unantastbarer, wertvoller Besitz. Ich hatte die unerschütterliche Kampfmoral der Heiligen auf meiner Seite. Ich ließ mich geduldig misshandeln und empfand mein Martyrium als verdiente Strafe, damit ich mich über andere erheben und predigen konnte.

Seht her ihr mutlosen und verzagten Ehekrüppel, ich hab es getan, ich war so mutig, zwei Frauen gleichzeitig zu beherrschen. Das müsst ihr erst mal nachmachen, ihr Ehewixer.“

Das konnte ich von mir behaupten, und ich, der optimistische Revolutionär war stolz darauf.

Nun klingt mein Schicksal für dich vielleicht lustig, aber das war es nicht, denn die moralischen Gesetze hatten nicht nur bei mir kläglich versagt. Sie konnte meinen Zustand der Unfreiheit nicht länger erhalten. Mir war zwar bekannt, dass Befreiungskämpfe keine Fairness, sondern nur unversöhnlichen Fanatismus mit Nachtreten kennen. Aber als ich mich als Betroffener mitten im Scharmützel befand, war es eine ziemlich schmerzliche Erfahrung, dass enttäuschte Liebe kein Herz und kein Mitleid kennt. Ich musste erkennen, dass es in einer Ehe wie im Krieg zugehen kann, und Liebe und Lüge, geforderte Moral und schwere Regelverstöße zusammen gehören.

 

Es war zwölf Uhr mittags, am dritten Tag nach Sylvester, als sie beschloss den Baum rauszuwerfen und mich hinterher. Ich bat Gott um Vergebung, es hat nichts gebracht.

Wehe dem Besiegten“ war das Geheul der heißhungrigen Hyänen, und meine ökonomischen Basis begann größere Risse zu zeigen und zu wanken. Meine Frau und ihre Scheidungsanwältin fanden, dass jeder Besitz an überflüssigen Dingen Eigentum sei, und mein Eigentum ein Verbrechen, solange es noch mir gehöre und nicht ihr. In ihrer destruktiven Gemütsverfassung konfiszierte sie als Reparation den mobilen, ehemals untrennbaren Besitz, um sich ein neues, standesgemäßes Domizil einzurichten. Der verbleibende Rest und dazu die Immobilien mit der schnuckligen Wohnung für die diskreten Stunden mit Sina wurden durch das messerscharfe Schwert des Scheidungsrichters unparteiisch geteilt. Das Teilungsverhältnis war siebzig zu fünf. Siebzig Prozent der ersten und zweiten Hälfte des verbliebenen Restvermögens fielen ihr zu. Fünfundzwanzig Prozent meiner noch verwertbaren Habseligkeiten wurden zur Beute raffgieriger Anwälte, die einen fairen Vergleich ausgehandelt hatten. Die restlichen Erinnerungen an gute Tage und die Hypotheken verblieben bei mir, und meiner Bank die Hoffnung, dass ich die Trennungsschulden eines fernen Tages würde zurückzahlen können. Das war nicht viel, aber immerhin konnte ich als Aktivposten die wertvolle Erfahrung, dass man dann am meisten gehasst wird, wenn man einmal sehr geliebt wurde, verbuchen.

Du findest meine Einstellung unmoralisch? Ich nicht, denn ich habe eine sensationelle Entdeckung gemacht. Es gibt zwischen den Menschen universell gültige Gesetze. Eines davon ist das uralte Gesetz vom Zusammenwirken von Kosten, Nutzen, Stärke und Schwäche. Oder anders ausgedrückt: Die Investitionen müssen, wie bei einer altertümlichen Waage in etwa dem Nutzen entsprechen. Zeigt eine Seite Schwäche, schlägt die Waagschale aus und es entstehen Probleme. Eigentlich ganz einfach zu merken.

Du glaubst das nicht? Vielleicht erinnerst du dich daran, wenn du gelegentlich ein beliebiges Justizgebäude in einer Stadt deiner Wahl betrittst. Eine junge, meist nur spärlich bekleidete und bedauerlicherweise blinde Dame mit einer Waage und einem Schwert in der Hand zeigt dir den richtigen Weg. Zweifle nicht an der ausgleichenden Gerechtigkeit, wenn sie wahllos um sich schlägt. Es ist aus ihrer Betrachtungsweise gerecht, denn jede Waage unterliegt unseren deutschen Eichgesetzen. So einfach ist Liebe zu verstehen.

 

Als bekennender Fan von Bertold Brecht musste ich zugeben, dass er Recht hatte. „Besitz besitzt - kein Besitz ist Freiheit.“ Am Ende des Trennungsprozesses war ich durch raffgierige Scheidungsanwälte und entsetzlich ungerechte Scheidungsgesetze pleite und abgemagert, aber frei von jeder Belastung durch Besitz. Es war ein großes und heroisches Gefühl der Unabhängigkeit und der Sorglosigkeit, wenn man von meinem knurrenden Magen und den zugigen Übernachtungsquartieren in kalten Hauseingängen und unter Brücken mal absah.

Wenig war mir geblieben. Schön war die Erinnerung an meinen letzten, den knittrigen 10-Mark-Schein mit der abgerissenen Ecke rechts oben. Die Deutsche Mark und der Geldschein sind Geschichte, wie meine Ehe.

Auch mein Bauchumfang hatte während der Genesungsphase aus verständlichen Gründen ziemlich abgenommen. Und auch meine Steuer- und Abschreibungsdifferenzen mit dem Finanzamt hatten sich relativ schnell erledigt. Denn nach der Investition in meine verlustreiche Beziehung konnte ich nicht nur meine Ehe abschreiben, denn wenn nichts mehr da ist, dann gibt es nichts mehr zum Abschreiben.

Heute machen mich das Bewusstsein und die Erfahrung stolz, dass nur mutige Menschen die Kraft aufbringen, mit gefährlichen Affären souverän umzugehen. Das bedeutet nicht, dass ich nun voll Selbstmitleid zerknirscht in mich gegangen bin und der Welt entsage. Ganz im Gegenteil, solche Erfahrungen hatten mir geholfen, die Liebe und ihre Auswirkungen etwas gelassener zu sehen. Alles, alles geht vorbei, doch wir sind uns treu. Da war ich mir hunderttausendprozentig sicher, und in Gedanken war ich bei meiner Sina, der mir Treuen, mit der ich ein neues Leben in Liebe und Frieden beginnen wollte.

Interessengeficke (Raouls Interpretation der Quantentheorie)

 

Frauen und gutes Essen haben vieles gemeinsam.

Wo es Frauen und Essen im Überfluss gibt, sinkt der Wert, die Nachfrage und die Achtung.“

Paul van Cre

 

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Ich muss zugeben, es war eine schwere Zeit, und ich war ziemlich beschränkt. Meine flüssigen Mittel, die mich bei sparsamster Haushaltsführung für ein ganzes Jahr ernähren sollten, reichten in der zweiten Januarwoche nicht einmal mehr aus, um meinen Jaguar zu füttern, der kurz vor dem Notverkauf stand. Zeitlich sah es auch nicht so gut aus, denn ich befand mich im Kampf um den kleinen Restbesitz aus meiner Ehe. Wenn ich überleben wollte, musste ich kämpfen, und ich war entschlossen, aus der Defensive zu retten was zu retten war.

Aber ich befand mich nicht nur im Kampf um meine Existenz. Es war ein dreidimensionaler Mehrfrontenkrieg mit taktischen Manövern und neuen Allianzen. Hinter meinem Rücken spielte sich, von mir unbemerkt, eine lautlose Anpassung der praktischen Interessen ab.

Am Anfang fiel es mir nicht weiter auf, denn ich hatte andere Sorgen. Aber in milden Nächten hörte ich immer öfter sibyllinische Sätze von meiner geliebten Sina, wie zum Beispiel: „Schatz, ruf mich heute Abend nicht an, ich geh heute früh ins Bett“, oder „wir können uns heute Abend nicht sehen, ich habe so starke Kopfschmerzen.“

Die für mich bestimmten Sätze hatten die gleiche Wirkung wie betäubende Nebelkerzen, mit dem Zweck die Gegend kunstvoll zu illuminieren und mich vom Tatort und den Taten abzulenken. Tatsache war, dass meine Göttin den starken Drang nach mehr monetärer und triebhafter Zuwendung verspürt hatte. Eigentlich wäre das Letztere ein schöner Drang gewesen, wenn er sich nur auf mich, und nicht auf einen anderen Sofortglänzer konzentriert hätte. Im Nachhinein kann ich es ihr auch nicht verübeln. Meine defizitär-ökonomische Situation ließ ihr keine andere Wahl, als mir die bescheidene Rolle des bescheidenen Nachpolierers zuzuweisen. Meine Rolle hatte sich ohne mein Wissen gewandelt. Ich war der dritte Mann und musste irgendwie und möglichst schnell in der Kanalisation verschwinden, jedenfalls so lange, bis meine finanzielle Situation nicht mehr so stinken würde, wie sie es tat. Sie hat es mir nie gesagt, aber Sina war in der guten Hoffnung, dass ich dafür Verständnis aufbringen würde, denn ich bin tolerant.

An dieser Stelle endete eigentlich mein Traum, von wahrer Liebe und treuen Frauen. Ich war verzweifelt, und ich verstand nicht mehr, was um mich herum geschah. „Warum tut sie mir das an?“ war die Frage auf die ich zuerst keine Antwort wusste. In meiner Not fand ich die Rettung in der klassischen Physik mit ihren Unbestimmtheitsrelationen. Geholfen hat mir die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie, die ich allen Hintergangenen nur wärmstens zur Anwendung empfehlen kann.

Mein mitleidender Freund, ich sehe vor meinem geistigen Auge deinen fassungslosen Gesichtsausdruck. Aber die Physik kann auch dir in vielfältigen Liebesproblemen helfen. Ich werde es dir jetzt einfach und nachvollziehbar erklären.

Als ich eines Tages dachte, meinen Schmerz nicht länger ertragen zu können, ging ich in einen nahegelegenen Wald, um mein Herzeleid hinaus zu schreien, und um einen Baum, einen wahren Freund zu umarmen. Dabei sah ich nicht nur seine dicken Äste, sondern auch eine kleine Quelle, und plötzlich verstand ich das Prinzip. Im scheinbaren Chaos der Liebe gibt es ein klar strukturiertes Verhaltensmuster, ähnlich einem quirligen Wasserstrudel. Lässt man einer sinnlichen Frau einen Ausweg, vielleicht weil sie sich langweilt, oder beruflich zu wenig belastet ist, dann ändern sich die Strömungsverhältnisse. Wasser verhält sich nicht anders. Öffnet sich links ein Ausweg, dann fließt das Wasser nach links. Achtet man nicht auf die kleinen Lücken auf der rechten Seite, dann fließt das Wasser nach rechts. Beseitigt man unbeabsichtigt ein Hindernis, dann fließt das Wasser genau an dieser Stelle. Kleinere Hindernisse werden zuerst umspült, dann untergraben und zum Schluss weggespült. Das klingt brutal, aber so ist nun mal die weibliche Natur. Mit dieser epochalen Entdeckung musste ich nur noch die Ergebnisse meiner Beobachtungen in nüchterne Mathematik übersetzen. Mein erster Schritt war, mit wachem Verstand und glasklarer Logik die Orte und die Zeiten zu bestimmen, an denen ich nicht wachsam war, denn nur dort konnten die Risiken gelegen haben. Ich begann die Bewegungsgrößen, zum Beispiel fehlende Hindernisse, unbewachte Zeiten, Ausweichmöglichkeiten, denkbare Orte und den Aktionsradius meiner Geliebten zu identifizieren. Damit bekam ich eine Mischung aus zwei Elementen: Nämlich teilweise eine unumstößliche Tatsache, teilweise den Grad meiner Kenntnis einer Tatsache. Diese Mischung ergab ein Faktum. Aber das hat mir noch nicht gereicht. Auch meine Nachlässigkeiten, mein Vertrauen in das Undenkbare und mein Verhalten musste ich bei meinen mathematischen Berechnungen selbstkritisch beachten. Und zum Schluss meiner Analyse musste der Faktor „Perspektive“ berücksichtigt werden. In dieser Weise konnte ich mein unglückliches Liebesschicksal ziemlich genau berechnen. Meine wissenschaftlichen Berechnungen ergaben ein sehr präzises Resultat: Ich trug die Schuld, denn ich war zu nachlässig.

Das war aber nur ein Teil der Ursache, denn auch die Perspektive in einer legalisierten Verbindung mit mir war mehr als frustrierend. Die Quintessenz meiner Nachforschungen ließ keinen anderen Schluss zu: Ich war nicht länger Akteur mit verdientem Applaus für Höchstleistungen, sondern nicht mal mehr im Vorspann erwähnter und darum entbehrlicher, weil nach Belieben austauschbarer Statist. Soweit hatte ich es verstanden. Alles was mir zugestoßen ist, hing von der Wechselwirkung der Möglichkeiten und der eingesetzten Mittel unter Berücksichtigung von Zeit und Zuwendung ab. Als kasernierter Beobachter mit eingeschränktem Aktionsradius besaß ich keine Chance, die Ereignisse zu beeinflussen. Sina, meine große Liebe war mir entglitten.

Immerhin hatte ich die Möglichkeiten, den Tatort und die Objekte nur mit dem Einsatz meines Verstandes eindeutig identifiziert, und das war nicht schwer. Meine sinnliche Geliebte war die neue Geliebte ihres Arbeitgebers, denn ohne Moos ist nun mal nichts los.

Jetzt blieb nur noch eine Frage unbeantwortet: „Welche Mittel hat die geile Sau zur optimalen Wirkung eingesetzt?

Erst sehr viel später habe ich die einzig mögliche Antwort, mehr durch Zufall erfahren. Sina hatte die Macht ihres roten, und bis dahin noch nie als schnöde Arbeitskleidung missbrauchten Kleides entdeckt. Die optische Wirkung des Kleides und der Seidenstrümpfe, die wir zusammen von meinem mühsam Ersparten gekauft hatten, muss sensationell gewesen sein. Ihr damaliger Arbeitgeber, der Inhaber einer mittelgroßen Heilbronner Druckerei, sah an einem verregneten Montagmorgen seine Aushilfsbuchhalterin inmitten der grauen Aktendeckel plötzlich mit ganz anderen Augen.

Natürlich bin ich nicht so blind, um nicht zu wissen, dass 80 Prozent aller Seitensprünge am Arbeitsplatz ihren Anfang haben. Meine Situation war also nicht die seltene Ausnahme, sondern die alltägliche Regel.

Dir mein Freund, der du dich vielleicht in der bekannten Spät-Midlifecrisis mit realen Alltagsfrustrationen befindest, möchte ich an dieser Stelle den ermutigenden Tipp geben: „Verzage nicht, Aussehen ist nicht so wichtig, es gibt immer Hoffnung, wenn du über die notwendigen Mittel verfügst, oder zumindest den Eindruck vermitteln kannst, dass du diese besitzt.“ An anderer Stelle werde ich dir diese Zusammenhänge etwas näher erklären.

Bei Sina konnte es nur verstandesgeleitet Liebe auf den ersten Blick mit schweren Augentrübungen gewesen sein. Die optischen Werte ihres Brötchen-Gebers gaben nicht besonders viel her. Mein Nachfolger war klein, etwas kugelig und mit schütteren, und noch weniger Haaren auf dem Hinterkopf. Dazu mit einer starken Tendenz auf die „weit über Fünfzig“ zugehend. Mit solchen Voraussetzungen war er für Sina eine dankbare und dazu noch leicht zu erlegende Beute. Kein Vergleich mit einem Klassemann wie es der sensible Autor ist, der allen Anfechtungen widerstehen kann, wenn er will, was aber nicht zu oft geschieht.

In den ersten Momenten der Erkenntnis war ich ziemlich enttäuscht. Denn Verlassen ist die ehrenvolle Variante im Liebesspiel und immer die bessere Alternative, als schmählich verlassen zu werden, was ich als grobe Ungerechtigkeit empfand. Zwar ist es etwas Allgemeines, dass Menschen untreu werden und Paradiese verloren gehen, aber wenn angebetete Engel fallen, muss der Mann, im Gegensatz zur Frau, die üblicherweise über ein Netzwerk von mitfühlenden Freundinnen verfügt, sein Elend einsam und unverstanden auskosten.

Da saß ich nun, einsam und unendlich traurig. Zwischen meinem leblosen Mobiliar, meinem schweigsamen Telefon, meiner tiefen Hoffnungslosigkeit.

Angenagelt am Kreuz sind die ersten drei Nächte angeblich die schwersten, aber danach wurde es auch nicht besser. Viele Nächte lag ich zitternd wach, mit dem Bedürfnis den Mond anzuheulen, und morgens unausgeschlafen und schweißgebadet wie ein Junkie auf kaltem Entzug in meinem zerwühlten Bett.

Geheiligt und verflucht sei dein läufiger, geiler Arsch, bis in alle Ewigkeiten und Amen“ war noch einer der zahmeren Flüche. In meinen Träumen trieb ich, so wie ich es bei den Professoren Alibori und Abronsius gelernt hatte, einen spitzen Holzpflock mit harten und entschlossenen Hammerschlägen in ihr kaltes Herz. Mit Zweifeln und Verwünschungen über die Weiber, insbesondere die Eine, war ich damit beschäftigt, meine unerträglich schmerzenden Liebeswunden zu lecken. Endlich spürte ich die Kraft der Liebe.

Wer die ganze Bandbreite zwischen Lust und Leiden nicht kennt, braucht mir nichts mehr über Liebe zu erzählen. Wie mit dem Affen im Genick musste ich alle Höhen und Tiefen des Entzugs durchleben. Für mich gab es nur noch wenig Hoffnung, dass ich jemals wieder clean werden, und ganz bescheiden zum öden Alltag zurückkehren könnte.

 

Irgendwann ist jeder ein Verlierer. Die Kunst ist, es sich nicht anmerken zu lassen.“ Das war mein Trost und die Sätze murmelte ich, wie ein tibetanischer Wandermönch seine Gebete, unentwegt vor mich hin. Einige Monate litt ich wie ein schwer verwundetes Tier in einer unzugänglichen Wildnis. Keine Krankenkasse half mir, aber ich hatte ja viel Zeit, meine Wunden ausgiebig zu belecken. Doch dann, langsam, also wirklich ganz langsam setzte der Heilungsprozess ein. Endlich, auf dem letzten Drittel des Genesungsprozesses begann meine große Liebe so schnell wie Vanilleeis in der Sonne zu schmelzen. Ich befand mich auf dem Weg zur Sonne zur Freiheit, zum Licht. Ich war endlich auferstanden aus der Krise - ich der Unkaputtbare, der Stählerne der alle Prüfungen des Lebens überstanden hatte.

 

Ich weiß nicht, ob du es weißt? Ohne Verpflichtungen zu leben ist ein wunderbares Gefühl der Unabhängigkeit. Jetzt erst spürte ich die herrliche Ruhe der grenzenlosen Freiheit, ohne den materiellen Besitz meiner Ehe und ohne den sinnlichen Stress meiner außerehelichen Aktivitäten. Ich musste mich um nichts und niemand kümmern. Keine Heimlichkeiten, war meine Devise und ich hatte kein Zeitproblem mehr.

Etwas möchte ich dir ganz im Vertrauen beichten: Ich konnte meine Leiden nicht aus eigener Kraft mildern. So stark bin ich nicht. Ein hochwirksames Gegenmittel war notwendig, und nur dir mein Freund möchte ich das große Geheimnis hier und jetzt verraten. Es lautet; „Liebesschmerzen können nur mit starken Liebesdrogen bekämpft werden.“

Um meine Schmerzen zu überleben, musste ich mit eisernem Willen und einer noch stärkeren Kondition meine Körper bis aufs Äußerste belasten.

Ich suchte willige und möglichst namenlose Gefährtinnen in Serie für ein paar Stunden, und sie waren dienstbereit in allen Formen und in Überfülle da. Früher mit Besitz und Ehestand waren sie nirgends zu finden, sie hatten sich vor mir gut versteckt. Jetzt konnten alle meine Gedanken lesen und wollten meine Wünsche erfüllen. Ich war in der Mehrzahl der Gebundenen und Unerreichbaren das Freiwild, der kapitale Bock, den es mit allen Mitteln zu erlegen galt.

Die tiefe Depression der vergangenen Monate begannen mich allmählich zu verlassen. Mein Optimismus und meine gute Laune kamen wieder zurück, und die Tage wurden wieder heller. Anschmiegsame Freundinnen, wie die mollige, aber umso obszönere Elke, die extrem gehorsame und schweigsame (für meinen Geschmack etwas zu dürre) Susanne, die zur Begrüßung und ohne weitere Worte meinen Schwanz in den Mund nahm und nach einer Stunde und nach dem Putzen der Küche ohne zu sprechen wieder nach Hause ging, und nicht zu vergessen, die bis in die frühen Morgen unermüdliche Sandra, die sich bei mir die ersten Sporen verdienen konnte und die sich dank meiner Tipps und Ausbildung heute als hochbezahlte Domina Violetta von Krafft einen oft respektvoll geflüsterten Namen in der einschlägigen Szene machen konnte.

Es gab auch einige, deren Namen ich vergessen habe, die mir aber mit viel Hingabe über die kurzen Momente möglicher Rückfälle hinweg halfen. Im Gedenken an diese unbekannten Helferinnen möchte ich kurz innehalten und eine kleine Schweigeminute einlegen.

 

Dank der vielen und hilfreichen Objekte begann sich Sina aus meinem Gehirn zu entsorgen. Erst für einige Sekunden, dann für Minuten, und nach einigen Tagen waren es schon Stunden. Und irgendwann dachte ich mehr durch Zufall daran, dass ich schon lange nicht mehr an Sina denken musste. Ich war am Ende eines langen Wegs der Rekonvaleszenz angekommen. Immer immer wieder geht die Sonne auf, und eines Tages waren meine Liebeswunden nicht nur vernarbt, sondern verheilt. Meine treulose Göttin war nur noch ein kurzer Zwischenfall in meiner Vergangenheit. Ich hatte sie ganz einfach vergessen, dachte ich.

 

Rote Pumps

  

Ich weiß wirklich nicht, ob Böses mit Bösem zu vergelten richtig oder falsch ist? Ich kann es nicht wissen, weil ich nicht objektiv zwischen Gut und Böse unterscheiden kann.

Aber wer kann das schon?

Sina Sidonius am 27. Oktober 2005

 

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Nietzsche, der alte Zausel, hatte wieder mal recht. Man muss einem Hund nur das Fell streicheln, sofort wedelt er mit dem Schwanz, und sein Fell knistert und sprüht Funken. Die besonderen Ereignisse hatten sich irgendwie schon angekündigt. Es waren nicht die Vorboten eines gewaltigen Naturereignisses, wie beispielsweise die Beben bei einem Vulkanausbruch, bei dem es zu riesigen Rauchwolken kommt, bevor rote Lava fließt und glühende Steine vom Himmel regnen. Im Gegenteil, der Tag begann gut. Meine Pulsfrequenz war zwar etwas höher als sonst, denn Susanne hatte am Vormittag die Küche auf Vorderfrau gebracht, was sie immer sehr gewissenhaft und ohne mich zu stören tat. Draußen schien die Sonne in einem samtweichen, milchigen Licht durch die besonders farbenprächtig erscheinenden Herbstblätter der Bäume. Im Briefkasten waren keine Mahnungen gewesen, sondern ein Scheck mit einer beträchtlichen Summe als verdienter Lohn für eine gute Arbeit. Am späten Nachmittag musste ich zu meiner größten Überraschung erfahren, dass der Scheck auch noch gedeckt war, und der Filialleiter meiner Bank kam persönlich hinter seinem schusssicheren Panzerglas hervor, um mir die Hand zu schütteln. Dann las ich auch noch, dass eine renommierte Fachzeitschrift einen längeren Artikel von mir veröffentlicht hatte und die Leserbriefe waren überwiegend positiv. Es war ein schöner Tag.

 

Dann, ohne Vorwarnung geschah etwas womit ich niemals gerechnet hätte. Ein sensationelles und unvergessliches Ereignis. Das Telefon begann zu klingeln. Ich weiß, Telefone klingeln heutzutage nicht mehr, sondern erzeugen computerisierte Geräusche und für dich ist so ein Vorgang nichts Besonderes. Das Telefon signalisiert jeden Tag unzählige Male unzähligen Menschen, dass irgendjemand eine Reaktion erwartet. Für mich ist ein Telefonsignal normalerweise auch nichts Besonderes, aber diesmal war der Ton anders. Er war verlockend, etwas zeitverzögernd, eine Nuance leiser als sonst, demütig bittend und doch bestimmend.

Ich hatte es sofort gespürt und darum nicht sofort zugegriffen. Drei-, vier-, nein fünfmal ließ ich diesen besonderen Ton auf mich wirken. Ich sah die jungen Triebe an den Bäumen vor meinem Fenster, die Vögel zwitscherten ihr Lied im Geäst, und dann nahm ich den sich samtweich anfühlenden Hörer ab. Es war alles wieder da, ohne lange Anlaufzeit, die volle Dröhnung. „Sie“ war nach monatelanger Sendepause am anderen Ende der Leitung.

Schatz, ich wollte dich mal anrufen, wie geht es dir?“ war das leise gesprochene (eine bedingungslos-hingebungsvolle Sehnsucht spürte ich aus der Stimme heraus), rituelle Eröffnungsgambit und mir fiel fast der Hörer aus der schweißnassen Hand.

Hi Babe, lange nichts von dir gehört“ war meine zärtlich gehauchte Antwort. Der Telefonhörer begann in meiner Hand leicht und angenehm zu vibrieren. Er war warm und ich spürte die aufsteigende Stärke, so mächtig wie schon lange nicht mehr. Es war, als ob sie nie weg gewesen wäre. Ich spürte sie und sie war mir so hingebungsvoll nah wie noch nie zuvor. Sie wollte mich und ich kann es nicht leugnen, ich wollte sie auch. Ich lehnte mich in meinem Stuhl entspannt zurück. Aus dem Radio kamen die melancholischen Klänge von „Time is on my side“ von den legendären Stones.

Ich, der Untote war wieder im Spiel. Alles war vergessen und niemals geschehen. Die Verwünschungen, die Pest die ich ihr an den Hals gewünscht hatte, meine obszönen Flüche, meine aussichtslosen Schreie nach endlosen Qualen, nächtelang in einsamen, dunklen Stunden. Als ob es nie geschehen wäre. Meine Göttin bedurfte meiner und ich war der Retter. Der qualifizierte Fachmann, der ultimative und uneinholbare Lustspender. Ein unvergesslicher Freund, der Einzige der jetzt und in der Not noch helfen konnte. Ich war der ambulante Nothelfer ohne Medicopter. Ich war nicht nur der Retter, ich war der weiße, der starke Ritter mit blitzender Rüstung.

Ich konnte mich nicht melde, mir ging es nicht so gut“ war die ziemlich niedergeschlagen klingende Antwort, die meine ehrlich mitfühlenden Fragen: „Ach herrje. Was ist den passiert? Was war denn los?“ geradezu provozierte.

Nicht dass ich auf umständlich formulierten Lügen scharf war. So simpel bin ich nicht gestrickt. Aber beim Klang ihrer Stimme musste ich lächeln und lehnte mich entspannt in meinem Stuhl zurück. Mit der linken Hand öffnete ich meinen Gürtel und dachte: „Verzeihen ist wie eine Mehrkampfdisziplin mit weit reichenden Folgen.“

Können wir uns treffen, ich erzähle dir dann alles ausführlich“ war die gehauchte, und ohne weitere Erklärungen, um Verzeihung bittende Antwort.

Seit Monaten hatte ich diesen Moment herbeigesehnt und trotz aller Verwünschungen war ich großmütig bereit der devot Bittenden zu verzeihen.

 

Du musst jetzt nicht an meinem Verstand zweifeln. Ich bin nicht so schwach wie es vielleicht den Anschein hat. Die Ursache für mein Verhalten war in meinem unersättlichen Wissensdrang zu suchen. Vergessen bedeutet, gemachte kostbare Erfahrungen zum Fenster hinaus zu werfen. Ich wollte vergeben um zu erfahren was geschehen war, und ich wollte meine Vergangenheit geordnet wissen. Ich vermute, auch du bist gespannt, was sich da ereignet hatte. Allzu viele Neugier-Qualen möchte ich dir nicht zufügen, darum werde ich die Geschichte in einer gerafften und dem Jugendschutz genügenden Kurzform erzählen.

 

Bitte glaube mir, ich hatte mich wirklich auf diesen Abend gefreut, und ich hatte die besten Absichten. Ich bin nicht nachtragend. Im Gegenteil, ich bin tolerant bis zur Schmerzgrenze meiner ärgsten Feinde, und kann vergeben und vergessen wenn ich will. Aber mein Ziel für diesen Abend war in dominierender Liebe klar definiert: „Der Sieg muss vollkommen sein. Ich will die geile Mist-Natter am Boden und um Verzeihung bitten sehen.“

In aller Bescheidenheit, mehr wollte ich nicht, und das ist nach meinen langen Qualen ja wohl nicht zu viel verlangt.

 

Wir trafen uns in einem gut besternten, und darum sündteuren Restaurant, das ich für diese Zwecke als besonders geeignet ansah. Denn meine monetäre Situation hatte sich durch den erhaltenen Scheck ja erheblich gebessert, was sie nicht wissen konnte, aber ich schamlos zu meinem Vorteil auszunützen gedachte.

Sie sah etwas mitgenommen, aber immer noch hübsch aus, obwohl seit unserem letzten Treffen fast zwölf Monate vergangen waren. Die langen schwarzen Haare flossen weich und leicht im dämmrigen Licht glänzend auf die schmalen, makellos weißen Schultern der Sünderin. Ihr linkes Ohr war frei und ich sah die drei kleinen Ringe von vielen, nach meinem letzten Wissenstand dreizehn, zwei an der linken Brustwarze, drei an den Schamlippen, aber die Aufzählung führt jetzt etwas zu weit, denn es waren nur die an ihrem zarten Ohrläppchen zu sehen. Das rote, schlicht-hochgeschlossene, die Figur vorteilhaft unterstreichelnde Kleid stand ihr gut, fast zu gut. Sie wusste was sich gehört, und dass man dem Sieger das ihm rechtmäßig Zustehende präsentieren muss. Sie trug darunter, das Luder kannte mich genau und wusste, dass ich es durchschauen musste, den schwarzen, glänzenden Push-up BH (von meinem Ersparten gekauft), der ihre Brüste, was ich an ihr sehr liebte, so dekorativ anhob. Da Sina schon immer auf elitäre Eleganz bedacht war, muss ich dir über den Slip nichts erzählen, denn ich habe das Fehlen ja schon ausgiebig beschrieben. Der Verzicht auf übertriebenes Make-up und protzig störenden Schmuck unterstrich den würdevollen Anlass der paritätischen Friedenverhandlungen noch zusätzlich. Offensichtlich wollte sie auf die letzte Information, dass ich finanziell noch etwas defizitär wäre, anstandshalber Rücksicht nehmen. Eigentlich war es ein edler Zug von ihr, der Grundguten.

Schönheit bändigt bekanntlich allen Zorn, und auch ich war zahm wie ein Königstiger unter Drogen. Nur ein kleines Detail warf Fragen auf. Das makellose reine Erscheinungsbild wurde von der medizinischen Halskrause gestört, um die kunstvoll ein dekorativer Schal gewunden war.

Das Rätsel um diesen Augenstörer war schnell gelöst. Wie bereits berichtet, hatte meine Göttin ein Verhältnis mit ihrem Chef. Ich konnte an diesem Abend nicht erfahren, ob ich in der Anfangsphase der Liaison auch noch irgendwo mit im Spiel war. Viel wichtiger sind die unendlichen Gefahren in der klassischen Chef-liebt-Angestellte Konstellation, vor der ich dich, sehr verehrte, in einem Abhängigkeitsverhältnis stehende Leserin eindringlich warnen möchte. Bitte präge dir die folgenden Merksätze gut ein. Vielleicht hängst du diese Sätze in einem neutralen Rahmen an gut sichtbarer Stelle deines Schlafzimmers, zum Beispiel an der Kopfseite über dem Ehebett auf.

 

  1. Merksatz: „Ehefrauen von gutverdienenden, aber etwas älteren Unternehmern sind nicht so blöd wie sie manchmal erscheinen, oder dargestellt werden.“

 

  1. Merksatz: „Männer oder Frauen in mittleren Jahren und mit mittlerem bis größerem Vermögen haben meist einen Partner, der/die den Diebstahl des anderen nicht ohne fanatische Gegenwehr, verbunden mit unnachsichtiger Vergeltung hinnimmt.

 

  1. Merksatz: „Frauen verteidigen wertvollen Besitz wie hungrige Löwinnen, die monatelang leckere Kaninchen vor sich her hoppeln sahen, aber nicht erreichen konnten.“

 

  1. Merksatz: „Chefs werden nicht durch die Liebe, sondern durch Sachzwänge zu Entscheidungen und durch Druck zum Handeln gezwungen. Die willige Angestellte muss immer und ausnahmslos irgendwann entsorgt werden. Meist dann, wenn es die fügsame Angestellte am wenigsten erwartet und in größter Hoffnung ist.

 

Du musst nicht traurig sein, denn es sind universelle Regeln: Mit zunehmendem Mannesalter wird die sinnliche Begierde immer zugunsten des materiellen Besitzes geopfert. Die Lust lässt nach, aber nur Bares ist Wahres und bleibt. Darum verlassen Chefs  nur in extremen Situationen, die so selten sind wie ein Blizzard in der Wüste Gobi, ihre Ehefrauen, um sich mit der geliebten Angestellten für ein ganzes Leben zusammenzutun.

Du glaubst das nicht? Dann versucht mal einem Kind ein Bonbon wegzunehmen, dann verstehst du, was ich dir sagen möchte.

 

Es waren zuerst die kleinen, verräterischen Anzeichen, die der Chefgattin unangenehm ins Auge sprangen. Ihr sonst so grauer und nörgeliger Ehemann begann sich in einen bunten Vogel mit guter Laune zu verwandeln.

Zuerst das Äußere. Eine neue, schicke Lederjacke, modisch bunte Hemden und ein neues Aftershave wurden angeschafft. Er unterschrieb eine Beitrittserklärung für einen Fitnessclub, und vor dem verspiegelten Schlafzimmerschrank übte er heimlich in Unterhosen Posen. Und aus einem ersten Misstrauen wurde Gewissheit, als auf seinen Kreditkartenabrechnungen seltsame Ausgaben auftauchten, die irgendwie nicht zu seinem sonstigen Ausgabeverhalten passten. Der stille Ehefrauenaufschrei: „Seit wann geht der alte Sack in teure Restaurants und Hotels, wenn er steif und fest behauptet, er hätte an dem Tag nur lange Gespräche mit dem Steuerberater geführt“ war wohl das Fass, dass so voll war, dass es zwangsläufig überlaufen musste.

Ein cleverer Privatdetektiv war schnell gefunden, der auf Geschäftskosten mit einer Rundumüberwachung des Verdächtigen begann.

 

Ich weiß, Schadenfreude ist ein verwerfliches Laster. Aber aus eigener Erfahrung kann ich eine hohe Dosis Schadenfreude nur empfehlen. Sie schädigt niemand. Sie regt die Sinne an, mildert Schmerzen und sorgt für genussvolle Stunden. Auch Gerechtigkeit ist ein wirksames Schmerzmittel, wenn man sich als ungerecht Verfolgter fühlt und sie nach vielen Demütigungen endlich bekommt. Dennoch blieben mir einige nachdenkliche Momente nicht erspart, die ich schweigsam, aber mit einer bedenklich gerunzelten Stirn kommentierte.

Dann dachte ich, dass Wiederholungen Erfindungen des Teufels sein müssen, denn die Ereignisse führten dazu, dass ich bedingungslos zum Glauben an einen spirituellen Zyklus in einer gerechten Welt konvertiert bin. Alles im Leben wiederholt sich und lieber Freund, verehrte Leserin, bitte glaubt mir, meine Wandlung hatte einen tiefen visuellen Grund. Es ist erstaunlich, was eine hoch auflösende Kamera für detailgenaue Bilder liefert. Die Naturbilder waren eindeutig und die nackten Tatsachen ließen sich nicht wegdiskutieren. Meine vergötterte Sina hat all das, was ich dachte, was sie nur mit mir macht, weil wir es erfunden hatten, mit „ihm“ versucht zu perfektionieren. Beeindruckende Leistungen, festgehalten auf beeindruckenden Fotos von bestechender Schärfe und Qualität, in besten Hotels, von denen ich immer dachte, dass diese seriös seien, mit einem gräulichen Druckereibesitzer mit Brille und Bierbäuchlein.

Die hintergangene Chefgattin fand, überwältigt von den offensichtlichen Bildqualitäten, dass es an der Zeit wäre, für eine Aussprache unter verschärften Bedingungen. Aber nicht so, wie du es dir vielleicht vorstellst, so mit Tränen, Geschirr- und Wohnzimmereckschrankzertrümmern. Wirkungsvolle Rache kann exquisite Formen annehmen, wenn man sie richtig plant.

Die Fotos wurden nicht dem verliebten Mehrfachbesteiger meiner verheirateten Ex-Affäre präsentiert. Diese kleine Rache wäre zu abgeschmackt und hätte nicht der Tragweite der Folgen entsprochen. Die Fotos bekam der Göttergatte, der Ehemann meiner geliebten Sina, die eigentlich Petra hieß, diskret zugesteckt. In der verständlichen Wut des Gehörnten demolierte er zuerst das gemeinsame Haus und die Inneneinrichtung, was mir eigentlich ziemlich egal war. Aber dann, sozusagen im Anschluss und als Routinetat, wurde auch Sina, also Petra, die sich für mich aus Gründen der Diskretion Sina nannte, ausgiebig vermöbelt. Das Letztere hatte ich selbstverständlich treuherzig verbal und mit empört gereckter Faust aus vollem Herzen bedauert, und mit Tränen in den Augen als rohe Gewalt an Unschuldigen verdammt. Und zum Schluss, ich weiß, es ist schrecklich, aber weil der mit mindesten einem Zwölfender Geschmückte gerade so schön in Fahrt war, verformte er auch noch mit seinem Geländewagen den neuen roten hundertundzwanzigtausend Euro Chefsportwagen aus Zuffenhausen. Eher beiläufig erfuhr ich, dass beim Aussteigen auch noch das Gesicht des Chefs meiner Sina ziemlich verbogen wurde. Dass die unschuldige Sina wenige Stunden später ihren Job verlor und ihr Ehemann die Scheidung einreichte war nur noch die logische Konsequenz aus den abscheulichen Begebenheiten.

 

Hast du schon erraten, warum ich an eine überirdische, alles steuernde und gerechte Macht glaube? Stell dir bitte, nur mal angenommen vor, der Privatdetektiv hätte im Zuge seine Ermittlungen festgestellt, dass meine sinnliche Göttin auch noch mit mir...? Die Folgen für mich wären nicht auszudenken gewesen.

Armer Schatz, es tut mir so leid für dich“ war meine heuchlerisch-überzogene Beteuerung. Aber Sina war in ihrem seelischen Selbstmitleidsschmerz gefangen, und erkannte nicht, dass mir ihre Not gut tat. Ich weiß mich diffizilen Situationen anzupassen. Mein mitfühlender Gesichtsausdruck, der zwischen Erschrecken und tiefster Anteilnahme, verbunden mit einem leichten Kopfschütteln und dem beherzten Ergreifen ihrer zarten Hände, ein perfektes, dramaturgisches Zusammenspiel ergab, wurde dem Anlass ihrer bedingungslosen Kapitulation mehr als gerecht.

Du armes Ding, so etwas hast du nicht verdient“ log ich vor mitleidender Anteilnahme, flüsternd in ihr hübsches Ohr. Sie hielt den Kopf leicht gesenkt, und ich nahm sie tröstend in meine Arme. Ich spürte, wie ihre Gefühle und ihr bebender Körper mir, dem Kriegsgewinnler und rettenden, weil liquiden Strohhalm zuflossen. Ich musste der gefallene Göttin nur die Hand reichen und sie in Barmherzigkeit wieder aufnehmen. Ich hätte es tun können, die Schlange war bereit, vor mir zu kriechen und die Sohlen meiner Stiefel zu lecken. Aber plötzlich war das Gefühl der Wärme verschwunden. Ich spürte es ganz deutlich, da war nichts mehr, absolut Nichts und nur noch Leere. Meine große Liebe war erloschen. Plötzlich war mir nach einem kalten Bier, aber nicht das Sindelfinger Gebräu, das schmeckt nicht, ein schönes gut gezapftes Pils mit Krone wie es sich gehört. Ich wollte nur noch ein guter, ein geschlechtsloser Freund sein.

Vielleicht möchtest du noch erfahren, warum sich meine Liebe so schnell verflüchtigt hatte? Rote Lippen soll man bekanntlich küssen, aber ich hatte keine Lust mehr. Es war nicht die Halskrause und nicht die Schadenfreude. Es waren die Schuhe. Sina hatte rote Pumps zum roten Kleid an. Nicht dass ich etwas an diese Kombination auszusetzen hätte. Ich finde hochhackige Pumps an schönen Frauenfüßen sehr erotisch. Aber zum ersten Mal sah ich ihre großen Füße mit anderen Augen. Ich hatte keine Lust mehr, ihre Füße zu küssen. Darum danke ich „Ihm dort oben“, dass er mir rechtzeitig und verantwortungsbewusst die Augen geöffnet, und mich gerettet hat. Ich war frei, clean und entliebt. Ich hatte nur noch einen Wunsch: Schick mir jedes Jahr eine Weihnachtskarte, möglichst aus einem weit entfernt liegenden Kloster.

Eines habe ich daraus gelernt: Erfahrene Menschen sollten nicht mehr zu den Personen zurückkehren, die sie einst geliebt haben. Am besten knüpft man Glück und Trennung an ihren Enden zusammen, dann kann man den Erfahrungsschatz leichter wegtragen. Man muss nur die Vergangenheit hinter sich lassen, bevor man weitermacht. Frohen Herzens und mit einem kleinen Lied auf den Lippen begann ich meine neue Freiheit zu genießen.

Nachsätze

  

Verehrte Leserin, lieber Freund. Was ich hier, auf diesen wenigen Seiten geschrieben habe, stammt aus meiner privaten Schreib-Werkstatt. Ich habe es mir in langen, einsamen Nächten, im Schein einer Glühlampe, oft frierend, hungrig und durstig, ausgedacht.

Vielleicht denkst du: „Das ist doch alles dummes Zeug. Das stimmt doch nicht. Das kann doch niemals so geschehen sein, was der da geschrieben hat ...“

Du hast recht, es stimmt nicht und es kann nicht stimmen. Obwohl, manches ist tatsächlich so geschehen. Darum schüttle nicht gleich mit dem Kopf, wenn es bei dir ein bisschen anders ist. Oft ist das ist nur eine Laune des Zufalls. Wenn du aber sagst: „Das ist es. Das muss ich Werner (oder wem auch immer) schicken, dem Blödmann!“ dann fühle ich mich reichlich belohnt ...

Übrigens: Falls du es noch nicht bemerkt hast, das Zitat ist frei nach Kurt Tucholksky 

 

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Impressum

Texte: Raoul Yannik
Bildmaterialien: Raoul Yannik
Lektorat: Amélie von Tharach
Übersetzung: Amélie von Tharach
Tag der Veröffentlichung: 06.08.2016

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Petra F. (Sina) aus Heilbronn

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